Miss of the Match Band 2 - Carina Isabel Menzel - E-Book

Miss of the Match Band 2 E-Book

Carina Isabel Menzel

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Beschreibung

Kaum haben sich Cynthia und Fabian von den Erlebnissen der Fußball-WM erholt, erwartet sie sofort die nächste Überraschung: Eine Miss-Wahl der Spielerfrauen steht an und Cynthia, die den unfreiwilligen Ruhm verabscheut, sieht sich wohl oder übel zur Teilnahme gezwungen. Und während sie noch versucht, herauszufinden, wie ernst sie all das nehmen soll, wird sie hineingerissen in ein Netz aus schrägen Mitstreiterinnen, Geheimnissen, falschen Spielen und Ereignissen, die sie sich niemals hätte träumen lassen …

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Miss of the Match

Spielerfrau kann jede sein – oder?!

ROMAN

Carina Isabel Menzel

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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.papierfresserchen.de

© 2023 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstraße 10, 88085 Langenargen

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Taschenbuchauflage 2019

Titelbild gestaltet mit Bildern von: © synGGG (Herz), A. Dudy (Hintergrund), Kramografie (Schuhe) - Adobe Stock lizensiert;

redrex (Gras) - fotolia lizensiert

Bearbeitung: CAT creativ - www.cat-creativ.at

ISBN: 978-3-86196-870-2 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-96074-113-8 - E-Book

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Inhalt

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Danksagung

Die Autorin

Unser Buchtipp

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Für Oma und Opa

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1

Es steht eins zu null. Doch jetzt geht das große Bangen erst richtig los. Sieben Minuten Nachspielzeit. Noch ist nichts entschieden. Unsere Jungs hängen sich richtig rein. Jetzt geht es darum, dass kein Ball mehr reingeht. Wir halten uns aneinander fest. Mein Herz rast so schnell wie schon lange nicht mehr. Die Argentinier geben nicht auf. Freistoß für ihr Land. Der zögert sich hinaus, ein Deutscher liegt verletzt auf dem Rasen. Die Anspannung steigt. Ich kann es förmlich in der Luft spüren. Freistoß. Die Spielerfrau neben mir wimmert. Schaut nicht hin. Meine Augen sind auf den Ball geheftet. Jetzt bloß danebenschießen. Der Argentinier nimmt Anlauf, schießt und … daneben.

Mein Herz beruhigt sich. Es wird noch mal verlängert. Die Spannung steigt. Noch drei Minuten bis zum erlösenden Ende. Noch zwei Minuten. Es geht nichts rein. Noch eine Minute. Die Zeit vergeht zäh wie flüssiger Honig. Sie will nicht umgehen. Noch zehn Sekunden. Der Stadionsprecher zählt laut mit. Zehn, neun, acht … Passiert das hier gerade wirklich? Sieben, sechs, fünf … Kann das wirklich sein? Können wir wirklich Weltmeister werden? Vier, drei, zwei… eins … Abpfiff.

Erst als um mich herum alle aufspringen, als die Spieler auf dem Rasen alle auf einem Haufen liegen, Fabian ganz unten, als der Bundestrainer und die Ersatzspieler aufs Feld rennen und per Lautsprecher verkündet wird, was passiert ist, realisiere ich: Wir sind Weltmeister.

Blinzelnd öffne ich die Augen. Die Strahlen der aufgehenden Sonne zwängen sich durch die Jalousien an den Fenstern. Ich spüre die seidige Bettdecke und weiß: Es ist ein Traum gewesen. Ein Traum, den wir vor wenigen Wochen alle erleben durften. Ganz Deutschland. Langsam drehe ich mich auf die Seite. Fabian liegt neben mir, die Augen geschlossen. Als er meinen Atem auf seinem Gesicht spürt, öffnet er sie blinzelnd und sieht mich noch etwas verträumt an. „Morgen, Schatz.“

Mein Lächeln wird breiter. „Morgen.“

Er hebt seine Hand, streichelt durch mein Haar, dann zieht er mich zu sich und küsst mich. Wie immer, wenn er das tut, bäumt sich in mir so ein unsagbares Verlangen auf, den Kuss zu erwidern, dass ich gar nicht anders kann. Er zieht mich noch näher zu sich, er kann nicht genug von mir kriegen, selbst wenn er gerade eben erst aufgewacht ist. Aber ich auch nicht. Gott, was hätte ich nur getan, wenn ich damals nicht in die Katakomben des Tagungsgebäudes und ihm damit direkt in die Arme gelaufen wäre? Langsam lösen sich seine Lippen von meinen und er sieht mich an. Ich spiegele mich in seinen grünen Augen und wie immer, wenn ich ihm so nahe bin, bin ich mir sicher, es gibt auf der ganzen Welt kein größeres Glück als das, das wir in diesem Augenblick miteinander teilen.

Allerdings wird dieser Moment jäh vom unhöflichen Knurren meines Magens gestört. Ich muss grinsen. „Ich geh uns mal Frühstück machen. Sonst kommen wir hier gar nicht mehr raus. Wir müssen doch rechtzeitig zum Flughafen.“

Während die Kaffeemaschine vor sich hin rattert, trete ins ans Fenster, um ein letztes Mal die grandiose Aussicht genießen zu können. Das Meer ist vom Sonnenaufgang in ein feuriges Orange getaucht und schlägt nur leichte Wellen. Kein Schiff und keine Urlauber zu sehen. Niemals hätte ich mir vor einem halben Jahr ausgemalt, dass ich das hier alles erleben darf. Damals, als ich noch stolze Fußballhasserin war und es verflucht habe, dass die Weltmeisterschaft in Deutschland ausgetragen wurde. Na ja, dieser Fluch wurde für mich eher zum Segen. Als mich Kiki, meine beste Freundin seit Schultagen, unfreiwillig zu einem Fantreffen mitgeschleift hat, bin ich dort Fabian über den Weg gelaufen, irgendwo in den Kellergewölben. Daraufhin ist ein ziemliches Durcheinander ausgebrochen, weil ich zu dem Zeitpunkt mit meinem Ex-Verlobten Sven zusammen gewesen bin. Hinzu kam noch meine eifersüchtige Freundin Sophie. Kiki und ich haben Kopf und Kragen riskiert, damit ich Fabian kennenlernen konnte und … jetzt stehe ich hier, auf Fuerteventura auf einer Luxusjacht, und sehe in den Sonnenaufgang hinaus.

Immer noch umspielt ein Lächeln meine Lippen. Das ist alles so unglaublich. Ich muss sagen, mittlerweile habe ich mich an mein neues Leben als Spielerfrau gewöhnt. Kiki hatte recht: Inzwischen rennen uns die Paparazzi nicht mehr ganz so oft hinterher. Kann daran liegen, dass es bei Fabians Kollegen zurzeit etwas kriselt. Dann ist das natürlich wichtiger.

Ich höre, wie Fabian in die Küche kommt, und drehe mich um. Er nimmt die Kaffeetasse aus der Maschine und trinkt einen Schluck, woraufhin er zusammenzuckt. „Scheiße.“

„Ich würde halt warten, bis er abkühlt.“ Ich gehe durch die Küche zum Kühlschrank und hole Eier und Schinken heraus, aus denen ich Rührei zubereite, immer noch so ziemlich das Einzige, das ich kochen kann. Fabian steht auf der anderen Seite der Anrichte und schaut mir zu.

„Es war wirklich schön“, meint er, langt in die Pfanne und nimmt ein Stück Schinken heraus. Ich sehe auf und will etwas sagen, aber er steckt mir den Schinken in den Mund und lächelt. „Ich habe mir schon im Voraus Gedanken gemacht, wohin ich nach der WM in Urlaub soll, so alleine.“

„Du hättest doch mit deinem Bruder gehen können“, grinse ich, denn ich weiß, was jetzt kommt.

„Ha!“ Fabian geht um die Anrichte herum. „Dann hätte Ramona mitmüssen.“

„Ihr hättet ja zum Heilfasten fahren können. Dann hätte sie sogar noch vom Urlaub profitiert.“

„Nee, ich glaube, Ramona wäre nach zwei Tagen durchgedreht und mit einer spektakulären Nacht-und-Nebel-Aktion todesmutig aus ihrem Zimmerfenster geflüchtet“, scherzt Fabian und ich muss lachen.

„Das kann ich mir sogar noch vorstellen.“

Ramona ist die Freundin von Fabians Bruder und na ja … etwas speziell. Auf jeden Fall kann ich mir nicht vorstellen, dass sie nachts eine Hausfassade herunterklettert.

Fabian nimmt mich in die Arme und küsst mich.

„Freust du dich schon aufs Training?“ Ich drehe mich um und gebe ihm keine Gelegenheit, meine Frage zu beantworten.

Erst als es hinter uns verdächtig zischt und ein etwas angebrannter Geruch in meine Nase steigt, löse ich mich von seinen Lippen, doch er lässt mich nicht an die Pfanne, nimmt mich hoch und wirbelt mich herum. Ich muss lachen.

Als er mich runterlässt, wanke ich etwas.

„Auf jeden Fall“, beantwortet Fabian meine Frage, auch wenn ich erst einmal nicht verstehe, was er meint. „Ich meine, jetzt stehen die Spiele für die EM-Qualifikation an.“

Verwirrt stelle ich den Herd aus. „Jetzt schon?“

„Ist dieses Jahr früher.“ Fabian setzt sich auf einen Barhocker. „Aber ich glaube, ich erkläre es dir nicht.“

„Nee, lass mal.“ Ich verteile das Rührei auf zwei Teller und schiebe ihm einen hin. „Ich verstehe diesen FIFA-Kram eh nicht.“

„Wann geht unser Flieger?“

Ich zucke mit den Achseln. „Irgendwann demnächst.“

„Was?“

„Na ja, in drei Stunden oder so. Wir haben noch genug Zeit.“

So viel Zeit ist es dann doch nicht mehr. Das Kofferpacken hatten wir immer bis auf den letzten Tag verschoben, was sich jetzt als ziemlich dumm herausstellt. Nach dem Zähneputzen habe ich das Problem, dass ich nichts mehr zum Anziehen habe und somit wohl oder übel mit meinem Gammel-Onesie vorliebnehmen muss. Die Dreckwäsche und der ganze andere Kram passen irgendwie nicht in die Koffer, obwohl beim Einpacken auch alles seinen Platz gefunden hatte, egal, stopfen wir halt. Die Badesachen von gestern sind noch feucht, das ist das nächste Problem. In Fabians Koffer ist kein Platz mehr und in meinem befindet sich ein Stapel Bücher, der vielleicht nicht nass werden sollte. Also packe ich sie eben in eine Mülltüte und nehme sie so. Zeit, uns irgendwelchen Proviant zu besorgen, haben wir auch nicht mehr. Als wir die Jacht verlassen, haben wir noch knapp eine halbe Stunde und der Flughafen ist eine Dreiviertelstunde entfernt.

Der Taxifahrer dreht fast durch, weil ich fast durchdrehe, dann kommen wir auch noch in einen Stau und der arme Kerl wird beim anschließenden Rasen zum Flughafen zweimal geblitzt. Und dann lässt er uns auch noch umsonst fahren, weil unsere Geldbeutel irgendwo in den Tiefen unseres Gepäcks vergraben sind. Fabian kann die vereinzelten Fans am Flughafen, die ihm extra nachgeflogen sind, nicht einfach ignorieren und ich werde fast wahnsinnig. Als wir aufs Rollfeld hetzen, sind schon alle Passagiere eingestiegen.

Stöhnend lasse ich mich in meinen Sitz sinken. Fabian pennt bereits nach einer halben Stunde ein und ich schaue mir langweilige Komödien auf dem winzigen Bildschirm an, bei denen ich keinen einzigen Witz kapiere, weil sie nur auf Spanisch und Türkisch verfügbar sind, und wir müssen uns mit eingeschweißten labbrigen Salat-Sandwiches und wässrigem Bordkaffee begnügen.

Ich bin schon ganz eingerostet und hundemüde, als wir endlich in Berlin landen. Am liebsten würde ich jetzt heim und ins Bett. Wieder steht hier dieser Fanklub herum, der mich vor ein paar Monaten völlig verstört hat, alle in Fabian-Trikots und alle wollen Autogramme. Ich stehe brav daneben, muss auch Autogramme geben und Fotos machen und bemühe mich, nicht allzu unfreundlich zu sein, weil ich echt scheißmüde bin. Ich halte die ganze Zeit Ausschau nach Kiki, die uns mit Rafael und Kim abholen wollte, und entdecke sie dann endlich, als wir fertig mit den Autogrammen sind, am Ausgang. Kiki wedelt mit einem Trikot, und als ich ihr fröhliches Lächeln sehe, muss ich einfach auch grinsen. Ich kann nicht anders, ich muss hinrennen und ihr in die Arme fallen. Sie zerquetscht mich fast und wirkt so aufgeregt wie die ganzen Fans, die Fabian jetzt hinterhergaffen.

„Wie war’s?“ Kiki sieht mich mit strahlenden Augen an, bevor sie auch Fabian halb zerdrückt und dann in einer Tour zu fragen beginnt. „Wie war die Jacht? Ey, Mann, ihr habt es so gut, habt ihr Bilder gemacht? Wie war der Strand? Wie das Meer? Waren da arg viele Fans, ich mein, kennen die euch dort überhaupt? Na ja, nach der WM wahrscheinlich schon …“

„Kiki!“ Ich hebe die Hand „Erstens: Hör bitte auf zu fragen, ich erzähl dir alles, du bist ja schlimmer als Ramona. Das kann ich mir morgen noch alles anhören. Und zweitens: Wo sind Rafael und Kim?“

„Kim kann nicht, die hat Bauchkrämpfe. Sophie und ich vermuten, dass es vielleicht Nachwuchs ist oder so.“

Augenblicklich verschwindet mein Lächeln und aus irgendeinem Grund steigen mir Tränen in die Augen. Sophie. Seit dem Desaster auf ihrer Geburtstagsparty spricht sie kein Wort mehr mit mir. Ich versuche, mir die ganze Zeit einzureden, dass ich sie auch hassen sollte und irgendwie tue ich es auch, aber trotzdem schmerzt es. Immerhin war sie mal einer meiner besten Freundinnen.

„Sorry.“ Kiki sieht aus, als habe sie ein furchtbar schlechtes Gewissen.

„Egal“, winke ich ab. „Ich lasse mir jetzt nicht meine Laune verderben.“

Kiki wechselt sofort das Thema. „Und Rafael wartet draußen, der steht im Parkverbot.“

Wir gehen nach draußen und sehen Rafael, der neben seinem Cooper steht und aufgebracht mit einem Polizisten diskutiert. Als er uns sieht, wirkt er erleichtert, sagt etwas zu dem Polizisten, der sich daraufhin zu uns umdreht und Fabian und mich anstarrt.

„Hallo“, begrüßt Kiki ihn überschwänglich. „Die beiden geben Ihnen ein Autogramm, wenn sie unseren Freund laufen lassen.“

Ich muss grinsen. Der Polizist wirkt hin- und hergerissen. Das ist aber auch gemein von Kiki. Er macht ja nur seinen Job. Ich bekomme ein schlechtes Gewissen. „Sie bekommen auch eines, wenn sie ihm einen Strafzettel verpassen.“

Er wirkt erleichtert. „Ja?“

Fabian nickt ebenfalls. „Wir wollen ja nicht Ihre Stelle riskieren.“

Zufrieden lächelnd reißt der Polizist den Zettel von seinem Block, drückt ihn dem entsetzten Rafael in die Hand und bittet dann um ein Autogramm für seine Tochter. Beschwingt geht er weiter und Kiki starrt uns völlig entgeistert an. „Mann! Ihr hättet den Strafzettel verhindern können! Der hätte das glatt gemacht!“

„Man spielt nicht mit dem Ruhm anderer Leute“, grinst Fabian und steigt ins Auto. Ich kann nur bestätigend nicken und werfe Rafael ein strahlendes Lächeln zu.

„Ich habe nur wegen euch da gehalten!“, regt er sich auf.

Ich zucke grinsend mit den Achseln. „Tja, ein andermal vielleicht.“

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2

Erst vor dem Restaurant, in das uns Kiki und Rafael einladen, fällt mir auf, dass ich immer noch meinen Onesie trage. „Äh … hat einer von euch was anderes zum Anziehen?“

„Nee.“ Kiki betrachtet mich zweifelnd. „Aber dich werden sie schon nicht rauswerfen.“

„Hat eben doch Vorteile, was?“, entgegne ich amüsiert.

Rafael schnaubt. „Man muss sie eben nur zu nutzen wissen.“

Promi-Status hin oder her, ich komme mir trotzdem underdressed vor. Und die Leute hier machen auch nicht den Eindruck, als ob sie mich kennen würden. Es ist eine ziemlich schicke Pizzeria, schon am Eingang begrüßt uns ein rausgeputzter Ober, der mein Outfit sichtlich entsetzt zur Kenntnis nimmt. „Hatten die Herrschaften reserviert?“

„Ja.“ Kiki nennt ihm ihren Namen und er führt uns zu einem Tisch, Gott sei Dank in einer Ecke. Ich habe das Gefühl, alle Herrschaften hier starren mich an, übrigens hauptsächlich von fünfzig aufwärts ältere Damen, von denen ich nicht glaube, dass sie sich mit Fußball auch nur ansatzweise beschäftigen und mit Spielerfrauen erst recht nicht, und damit auch nicht wirklich wissen, wer ich bin, mal davon abgesehen, dass sie es mir auch dann nicht verzeihen würden. Ich spüre regelrecht die missbilligenden Blicke der in Tüll und Federn gehüllten Grazien, die mit spitzen Fingern ihre Kaviarpizzen verspeisen, und bin unendlich froh, als ich endlich sitze. Als wir gewählt haben und warten, können wir endlich anfangen zu erzählen. Alles bis ins kleinste Detail. Als wir fertig sind und Kiki und Rafael berichtet haben, was sie in der Zeit alles getrieben haben, und Fabian, Rafael und Kiki über irgendwelchen Fußballkram fachsimpeln, sind die Pizzen immer noch nicht da und ich ziemlich hungrig und ungeduldig.

„Kommen die bald?“ Ich habe die schlechte Angewohnheit, sobald ich Hunger habe und nichts bekomme, miese Laune zu verbreiten.

„Bestimmt“, meint Kiki.

„Mann, die haben uns vergessen.“

„Cynthia, echt, du bist kein kleines Kind mehr.“

Ich sehe, dass eine Bedienung im knappen Rock gerade am Nebentisch eine Bestellung aufnimmt und lehne mich rüber. „Entschuldigung?“

„Cynthia!“, zischt Kiki, aber ich höre nicht.

Die Kellnerin wendet sich mir zu. „Bitte?“

„Wir hatten bestellt, ich frage mich gerade, wo die Pizzen bleiben.“

Die Bedienung zieht die aufgemalten Augenbrauen hoch. „Sie werden schon kommen.“

„Ich finde das eine ziemliche Frechheit.“ Wenn ich Hunger habe, ist es mir egal, was andere von mir denken, ich weiß, nicht unbedingt sehr gut, aber wenn ich Hunger habe, will ich auch etwas essen. Punkt.

„Cynthia!“, zischt jetzt Fabian, aber ich sehe weiter die Bedienung an.

„Ich meine, das bringt Ihnen doch nichts. Vielleicht trinken die Leute dann in der Zeit mehr, aber wenn Sie die Leute so lange bei sich behalten, wird doch alles voll und nichts ist mehr frei und dann können auch keine neuen Gäste kommen. Ist doch eigentlich ein Verlustgeschäft.“ Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie jemand ein paar Tische weiter ein Smartphone zückt. Der hat mich erkannt.

Die Bedienung sieht jetzt etwas verwirrt aus. Auch sie hat den Typen mit dem Handy gesehen und denkt ganz offensichtlich drüber nach, ob ich wer bin, den man kennen muss. Oder ob ich nur gefilmt und dann unter Rebellin in der Pizzeria auf YouTube eingestellt werde oder ob hier irgendwo eine versteckte Kamera ist. In diesem Moment kommt eine Horde Teenager-Mädchen in die Pizzeria. Ich erkenne sie. Das ist die Gruppe, die damals in den Wohnanlagen Randale gemacht hat. Natürlich erkennen sie sofort Fabian und fangen an zu kreischen, stürmen auf ihn zu und betteln um Autogramme und Fotos und die Bedienung ist nun komplett verwirrt. Die älteren Damen auch, denn eine erhebt sich nun, funkelt die Bedienung an und fragt lautstark: „Kann man mal bitte wissen, was hier vor sich geht?“

„Äh …“ Die Bedienung weiß keine Antwort, woraufhin zwei weitere ältere Damen ihrer Freundin zur Hilfe kommen und ebenfalls wissen wollen, was das hier eigentlich für ein Saftladen sei, in dem man keine Ruhe habe. Als sie aus dem Restaurant rauschen, wirkt die Kellnerin richtig verzweifelt und ich bin gar nicht mehr die Hauptattraktion, denn ein paar der nicht ganz so überheblichen Omas ist wohl gerade eingefallen, dass Fabian ja der Typ ist, von dem ihre Enkel die ganze Zeit reden, und kommen nun etwas kleinlaut, um um ein Autogramm zu bitten. Ich muss schmunzeln. Ach ja, und unsere Pizzen kommen auch. Kaum hat sich Aufregung gelegt und Fabian hat einmal in seine Pizza gebissen, rasten die Mädchen am Nachbartisch wieder aus. Halb heulend kommen sie zu uns rüber.

„Dürfen wir auch mal abbeißen?“

„Oh mein Gott, bitte! Bitte, bitte!“

Fabian sieht sie entnervt an. Als er sie zurückweist, ziehen sie sich etwas beleidigt zurück, bestellen aber die gleiche Pizza wie er und schmachten ihn die ganze Zeit verstohlen an. Mir werfen sie finstere Blicke zu.

Als wir am späten Abend die Pizzeria verlassen, kommt sogar noch der Küchenchef mit dem gesamten Team und will ein Foto mit Fabian als Aushängeschild für sein Restaurant.

Vor dem Restaurant zerquetscht mich Kiki noch einmal. „Mann, ich hab dich so vermisst.“ Sie grinst breit. „Ohne dich war einfach nichts los.“

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3

Wir übernachten bei meiner Mutter und am nächsten Morgen nehmen wir einen Flieger zurück nach Dortmund. Es ist Mittag, als wir ankommen. Julian muss arbeiten, deswegen kann er uns nicht vom Bahnhof abholen, und bevor uns noch Ramona abgeholt, fahren wir lieber mit der Bahn. Gelangweilt starre ich auf die Filmplakate über dem Gleis und frage mich, wer bitte in einen Liebesfilm mit Colin Firth und Meryl Streep in den Hauptrollen ins Kino geht. Das frage ich auch Fabian und er meint, Ramona sei schon drin gewesen. Ramona geht aber auch in alles, es könnte ja sein, dass irgendwer in ihrem Strick-Ensemble drüber redet und sie will immer überall mitreden können. Selbst wenn sich zwei Leute an einer Supermarkt-Kasse unterhalten, mischt sie sich ein.

Es dauert nur etwa zwei Minuten, bis die Bahn einfährt. Als wir aufstehen und warten, bis die Massen rausströmen, entdecke ich ein bekanntes Gesicht in der Menge – und könnte mich gleich übergeben. Janina Kester. Sie war bei mir in der Grundschulklasse und schon da haben wir uns nicht wirklich leiden können. Nachdem sie aufs Gymnasium und ich auf die Realschule gegangen bin, weil meine Mutter strikt G8 boykottieren wollte, hat sie sich immer als etwas Besseres gefühlt und mich stets, wenn wir uns irgendwo begegnet sind, mit abfälligen Blicken gemustert. Wir hatten eigentlich nie mehr wirklich was miteinander zu tun, waren nur in der gleichen Konfi-Gruppe. Da hat sie mich dann zwischendurch immer wieder angemuckt, sodass ich am Ende nicht mit auf Konfi-Fahrt ging, weil ich Schiss hatte, sie würde jemanden dazu anstiften, mir nachts mit Nagellack das Gesicht zu bepinseln oder so. Meine Mutter hat das aber nicht auf sich sitzen lassen können und ist noch vor der Fahrt zur Gemeindediakonin, die die Gruppe leitete, gerannt und hat gesagt, ich würde mich in der Gruppe gemobbt fühlen, woraufhin ich dann tatsächlich gemobbt wurde. Ist darauf hinausgelaufen, dass ich im Nachbarort Konfirmation gefeiert habe, weil ich Janina nicht die Genugtuung geben wollte, dass sie auf High Heels in die Kirche stöckelte und ich dank meiner High Heels boykottierenden Mutter mit Ballerinas antanzen musste. Irgendwie war das immer ein Konkurrenzkampf zwischen uns und seltsamerweise hat sie sich, kurz nachdem meine Beziehung mit Fabian publik wurde, irgendeinen Kreisliga-Fußballer geangelt und sich dann mithilfe der Connections ihres Vaters, der ein stinkreicher High Society-Zahnarzt ist, einen Nationalspieler angelacht. Es konnte ja aus ihrer Sicht nicht sein, dass ich ihr einmal überlegen war. Aber bitte. Ihr Pech, wenn sie mit einem Typen zusammen ist, den sie nicht liebt, nur weil sie mich nicht triumphieren lassen will. Auf jeden Fall steigt genau diese Tussi jetzt aus der Bahn. So richtig schön aufgetakelt. Natürlich eine Sonnenbrille in die blonden Haare geschoben, aber ganz bestimmt nicht aufgesetzt. Soll sie doch jeder erkennen. Es dauert keine zwei Sekunden, da hat sie meinen Blick aufgefangen und mustert mich, offensichtlich darüber nachdenkend, was sie jetzt mit mir anfangen soll. Den Bruchteil einer Sekunde töten wir uns mit Blicken. Demonstrativ greife ich nach Fabians Hand und werfe ihr dann ein strahlendes Lächeln zu. Sie hat sich wohl entschieden, denn sie klappt ihre Sonnenbrille runter, fährt sich durch die Haare und strahlt mich ebenfalls mit blendend weißen Zähnen an. „Cynthia!“, ruft sie übertrieben fröhlich und winkt mir durch die Masse zu. Oh Mann.

„Hey!“, rufe ich meiner Meinung nach etwas zu gekünstelt zurück und dann werden auch schon die ersten Kameras gezückt. Ich hoffe, das war’s, aber Janina stöckelt auf ihren Louboutin-Stiefeletten mit Pelzbesatz durch die Menge, die ihr natürlich Platz macht, auf mich zu, verstaut noch ihr iPhone 20-Ace-Galaxy-was-weiß-ich mit großer Geste in ihrer Louis Vuitton-Tasche und fällt mir dann klimpernd und nach Puder und irgendeinem schweineteuren, nach Desinfektionsmittel riechenden Parfum stinkend um den Hals und küsst mich auf beide Wangen. Mit funkelnden Augen und einem aufgesetzten Lächeln strahlt sie mich an. „Wie schön, dich zu sehen!“, ruft sie überschwänglich und natürlich werden jetzt auch die Letzten auf uns aufmerksam.

„Die Freude ist ganz auf meiner Seite“, heuchele ich und setze mein schönstes Fake-Lächeln auf.

„Oh Mann, wir haben uns schon so lange nicht mehr gesehen! Das letzte Mal beim WM-Finale oder so, stimmt’s?“ Sie kichert gekünstelt und legt mir einen Arm um die Schulter. „Hey, hast du nicht Lust, mal wieder was mit uns Mädels zu unternehmen?“

O Gott, nein. Das letzte Spielerfrauen-Treffen, auf das ich gezwungener Maßen gegangen bin, war kurz nach dem WM-Sieg – und es war die reinste Hölle. Es gibt genau zwei Sorten von Spielerfrau: das kichernde, mit einem Bein noch in der Schule stehende und sich auch dementsprechend teenagermäßig benehmende Unterwäschemodel, das sich vielleicht noch im Musik-Business versucht oder irgendeine Sendung im Pay-TV oder in irgendeinem Musik-Channel moderiert und ab und zu in diversen Tanzshows oder Ähnlichem zu sehen ist. Es redet die ganze Zeit davon, wie aufregend doch sein Leben und wie toll es sei, sich jetzt alles leisten zu können (und fünfzig Prozent dieser Sorte haben sich nur wegen des winkenden Ruhms oder Geldes auf einen Fußballspieler eingelassen).

Und dann gibt es noch die bodenständige, lieb und nett lächelnde Spielerfrau, die den Spieler noch vor seiner Zeit in der Bundesliga beziehungsweise Nationalmannschaft geheiratet, schon zwei Kinder mit ihm hat und gerade mit ihrem Mann dabei ist, sich irgendwo am Bodensee ein hübsches Reihenhäuschen zu bauen. Die Frauen reden über ganz normale Dinge, weil sie entweder Tierärztin oder Innenarchitektin oder so etwas sind. Doch das Schlimme ist: Ich kann mich keiner Gruppe wirklich zuordnen. Deshalb saß ich auf diesem Treffen etwas unschlüssig herum und hab mal mit der einen und mal mit der anderen geredet, aber wirklich unterhaltsam war es nicht. Janina gehört übrigens zur ersten Spezies.

„Ach, das lässt sich bestimmt einrichten“, gebe ich zurück und schiele Hilfe suchend zu Fabian, der sich ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken kann und in aller Seelenruhe Autogramme gibt.

„Super!“, ruft sie. „Na dann, will ich dich mal nicht länger aufhalten. Vielleicht habt ihr’s ja eilig“, strahlt sie, lässt mich los, quetscht sich zu Fabian durch und umarmt auch ihn. „Hach, es ist so toll, dass ihr hier in unserer Nähe wohnt!“, ruft sie, sodass es auch der Allerletzte mitbekommt „Dann sieht man sich so oft!“ Sie lässt Fabian los und stöckelt an mir vorbei auf den Ausgang zu. Aber nicht, ohne mir vorher ein „Wir werden ja sehen“ zuzuraunen, und für einen kurzen Moment, bis sie auf der Rolltreppe im Gewühl verschwindet, funkeln ihre Augen wieder mit derselben kalten Abscheu wie immer.

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4

„Ich kann sie nicht leiden“, murmelt Fabian, als wir durch die leeren Straßen zu seinem Haus durch das leuchtend rote Laub stapfen, das inzwischen überall von den Bäumen fällt. In der Bahn traute er sich es wohl nicht zu sagen.

„Was glaubst du denn?“, entgegne ich. „Ich kenne sie von früher, damals war sie direkt noch erträglich im Gegensatz zu heute.“

In meinem Kopf schwirrt ihre verwirrende Aussage herum. Was meinte sie mit Wir werden ja sehen? Mir will eine besonders fiese Erklärung nicht mehr aus dem Kopf. Ist ihr die Genugtuung, auch einen Fußballer zum Freund zu haben, nicht mehr genug? Will sie mich jetzt noch direkter besiegen, indem sie mir Fabian nimmt? Ich schüttele zum zehnten Mal den Kopf, um diesen Gedanken zu verscheuchen. Das ist doch Blödsinn!

Ramona öffnet uns die Haustür, noch bevor wir im Vorgarten sind. Meiner Meinung nach hat ihr Weight Watchers-Programm noch nichts gebracht, sie sieht immer noch aus wie vor unserem Urlaub.

„Hallöchen, ihr Urlauber!“, flötet sie und stürmt auf uns zu, umarmt uns beide gleichzeitig und nimmt mir meinen Koffer ab. Noch bevor sie irgendwer daran hindern kann, fängt sie wieder an, zu quasseln. Oh Gott, der arme Julian. Was muss der durchgestanden haben, als wir nicht da waren?

„Wie war euer Urlaub? Oh Gott, Spanien! Spanien ist so ein tolles Land! Die Sprache! Ich hatte ja mal Spanisch in der Schule, nur leider war ich nicht so sprachbegabt, ich musste es mit einer Vier abwählen und ich sag euch, das war ’ne Gnadenvier!“ Sie hievt meinen Koffer durch die Haustür und schließt die Tür hinter uns. Ich ziehe meine Jacke aus. Einen schöneren Empfang hätte man uns kaum bereiten können.

„Aber die Spanier! Holla, die Waldfee! Ich sag euch, als ich in Spanien war … Und diese Menschen!“ Sie plappert unentwegt weiter, noch während sie in die Küche dackelt. Ich werfe Fabian einen gequälten Blick zu. Er zieht seine Jacke aus und küsst mich, dann folgt er Ramona in weiser Voraussicht, dass sie wahrscheinlich irgendetwas Essbares für uns zubereitet hat. Uff. Ich habe keinen Hunger. Mir ist seit heute Morgen schon die ganze Zeit schwummerig, warum auch immer, und seit der stickigen Bahn und der Begegnung mit Janina ist es besonders lustig. Ich will ins Bett. Ich schlurfe ins Esszimmer.

„Schwarze Haare!“, ruft Ramona verzückt. „Aber was für ein Schwarz! Und diese Hautfarbe, Leute, wir sind so blass und die haben eine so tolle Farbe, so richtig schön braun. Und wenn sie dreizehn sind, sehen sie wie sechzehn aus und mit vierzig sehen sie aus wie zwanzig! Das ist so ungerecht, ich meine, warum die und wir nicht?“ Sie reißt den Kühlschrank auf, holt eine Literbox Eis heraus und verteilt sie auf drei Schüsseln. „Aber kommen wir mal zum Thema.“ Ramona beendet ihren Bericht über Spanien und dreht sich zu mir um. „Was sagst du dazu?“

Ich sehe sie einen Moment verwirrt an, werfe dann einen Blick auf das Eis und bin immerhin noch dazu in der Lage, zu kombinieren, dass ihr Weight Watchers-Programm wohl beendet ist und sie jetzt wieder kalorienlastige Sachen zu sich nehmen darf.

„Ja, du siehst toll aus!“ Ich bemühe mich, entzückt zu klingen. „Dass das so schnell geht, habe ich echt nicht gedacht, aber … wow, echt. Wie viel ist denn unten?“

Auf Ramonas Gesicht breitet sich ein erstaunter Gesichtsausdruck aus, weicht dann einem breiten Grinsen. „Oh, ja, ich auch nicht! Sieht man denn schon Veränderungen?“

Mann, was hat sie denn hören wollen? „Ja, natürlich. Das ist der Wahnsinn!“

Ramona lächelt geschmeichelt. „Aber nein, doch. Danke.“

Ich lächele gezwungen. Eine Weile schweigen wir alle. Ramona häuft Eis in die Schüsseln und ein weiteres Mal bin ich froh, dass ich um die Mittagszeit fast nie hier bin. Sonst würde ich wahrscheinlich genauso aufgehen.

„Aber das meinte ich eigentlich gar nicht.“ Ramona stellt die Schüsseln auf den Tisch und beginnt zu löffeln.

Ich rühre mein Eis nicht an. „Was denn dann?“, frage ich stattdessen.

„Na ja, die Wahl!“, ruft sie mit vollem Mund und lässt ihren Löffel wieder sinken. „Die Misswahl! Hast du dich schon angemeldet?“

Ich starre sie verständnislos an. „Wie bitte?“

Ramona sieht jetzt mindestens genauso verwirrt aus. „Wie, du weißt noch nichts davon?“

„Ähm – nein.“

Ohne ein weiteres Wort legt sie ihren Löffel hin, steht auf und geht aus der Küche. Ich sehe ihr hinterher. Was soll das denn jetzt? Ich blicke zu Fabian, aber er hebt nur die Schultern und kaut auf seinem Kaugummi herum. Auch er rührt sein Eis nicht an. Keine Ahnung, ob ihm auch schlecht ist oder ob das einfach nicht auf den Ernährungsplan eines Fußballspielers gehört. „Was weiß ich“, meint er „Ich weiß nichts von irgendeiner Wahl.“

„Wo ist denn jetzt Ramona?“, will ich angesäuert wissen. Erst schwammige Aussagen machen und dann einfach abhauen!

„Hier bin ich!“, höre ich von draußen und Ramona kommt schon wieder in die Küche. Sie wedelt mit einem Briefumschlag, der mit Herzchen in Deutschlandfarben bedruckt ist und am Rand schon aufgerissen wurde. Sie hat mal wieder meine Post gelesen. Wie so oft. Sie drückt mir den Brief in die Hand. Absender Deutscher Fußballbund. Normalerweise bekommt nur Fabian Post von dieser Adresse, meistens dann, wenn mal wieder sein Gehalt erhöht wird. Eigentlich habe ich gar keine Lust, den Brief zu lesen. Ich rupfe den Umschlag auf. Ein Haufen Zettel fällt mir entgegen. Ganz zuoberst ein Wisch mit der Überschrift Anmeldung. Ha, immer mit der Ruhe. Ich nehme einen anderen, Zettel, der mit denselben Herzchen bedruckt ist wie der Umschlag.

Sehr geehrte Spielerfrau,

Oh. Man wird nicht mal persönlich angeredet. Wahrscheinlich Massendruck.

Mit diesem Schreiben laden wir Sie herzlich zur „Miss of the Match“-Spielerfrauen-Wahl vom 20.11. bis zum 26.11. in der Hotelanlage der Deutschen Nationalmannschaft in Berlin ein.

Es stehen doch häufig nur die Männer im Rampenlicht und sicher haben Sie sich schon gefragt, wie es ist, an seiner Stelle auf der großen Bühne zu stehen und Deutschland präsentiert zu werden, wie es sich anfühlt, wenn alle Welt Ihnen zusieht, wie sich Ihr Mann bei der vergangenen Weltmeisterschaft gefühlt hat.

Sich auch einmal der Außenwelt präsentieren? Möchten Sie sich einmal Ihrem Mann überlegen fühlen und das Gefühl, eine Spielerfrau zu sein, vollkommen auskosten? Möchten Sie sieben ereignisreiche Tage mit Ihren besten Freundinnen verbringen, genießen und letztendlich ausgewählt werden, als Spielerfrau des Jahres, als „Miss of the Match“, das Luxusresort verlassen?

Dann haben Sie jetzt die Chance dazu, denn mit etwas Glück, Eifer und Talent werden Sie noch diesem Jahr zur „Miss of the Match“ gewählt!

Wir freuen uns auf Ihr Kommen!

Ihr DFB-Team

WAS?! Ich greife nach meinem Eislöffel. Jetzt habe ich eine Abkühlung doch bitter nötig. Ich versuche, irgendwie zu kapieren, zu was mich diese DFB-Leute da bewegen wollen. Eine Misswahl unter Spielerfrauen?

Ich habe öfter am Rand mal mitbekommen, dass irgendeine Spielerfrau zur Miss Sonstwas-Für-Ein-Verein gewählt wurde, aber dann war das auf dem Mist irgendwelcher Redakteure von Klatschmagazinen gewachsen – und die Leser konnten per Internet abstimmen oder so. Aber was verstehen die hier unter sieben ereignisreichen Tagen mit meinen besten Freundinnen? Bedeutet das, ich muss eine Woche lang mit den anderen Spielerfrauen irgendwo irgendwas … Und was ist mit Talent und Eifer gemeint? Und was zum Teufel meinen die mit der Welt präsentiert werden?

Ramona gluckst vor Freude und hüpft hibbelig auf und ab. „Lies dir mal den anderen durch!“, quietscht sie voller Aufregung.

Völlig durcheinander nehme ich den zweiten Brief.

Ablauf (genaue Daten erhalten Sie vor Ort)

Tag 1 Ankunft in der WM-Wohnanlage, Beratungsgespräch, Untersuchung

Tag 2 Beauty-Information, Problembehebungen

Tag 3 Wellness-Kuren (Massage, Sauna, Packungen, Salzbäder, etc.)

Tag 4 Fotoshooting, abends Möglichkeiten zum Besuch

Tag 5 Catwalk-Training

Tag 6 Information über die Talente, abends Besuch der

Greenpeace-Gala

Tag 7 WAHL ZUR MISS OF THE MATCH

Ehe ich mich versehe, ist der Wisch zusammengeknüllt und im Papierkorb. „Vergiss es“, sage ich zu Ramona, als hätte sie die Briefe geschrieben, stehe auf, nehme mein Eis und rausche aus dem Zimmer. Ich stolpere die Treppe hoch. Was zur Hölle soll die Scheiße? Eine Misswahl? Glauben die ernsthaft, sie kriegen mich dazu, in einem Deutschlandfarben-Bikini über einen Laufsteg zu modeln und mich der Welt zu präsentieren? Ich bin nicht der Typ, der sich gerne der Welt zeigt. Ganz und gar nicht. Vor einem Vierteljahr bin ich daran noch fast zerbrochen. Und jetzt soll ich mich zur Miss of the Match wählen lassen und mich dabei komplett zum Affen machen? Ganz bestimmt nicht.

Ich knalle die Schlafzimmertür hinter mir zu und sinke aufs Bett. Jetzt geht es mir noch schlechter. Das Bettzeug ist angenehm kühl und riecht nach Waschmittel, aber es beruhigt mich nicht. Tausende Gedanken fliegen durch meinen Kopf und es werden immer mehr, je länger ich über diese Wahl nachdenke. Wie soll ich es sieben Tage lang unter den Spielerfrauen aushalten, wenn mir schon zwei Stunden zu viel sind? Was bedeutet Fotoshooting? Vor wildfremden Menschen im knappen Trikot auf Kunstrasen möglichst lasziv in die Kamera schmachten? Was macht eine Miss of the Match aus? Was habe ich für Talente? Muss ich etwa in der End-Show irgendetwas machen, was mir nicht liegt, nur weil irgendwelche Juroren beschlossen haben, dass ich das können muss? Wahrscheinlich werden uns rund um die Uhr Kameras begleiten, wahrscheinlich müssen wir Zickenkriege inszenieren und uns möglichst albern und eingebildet verhalten, damit die Welt jemanden hat, über den sie in die Richtung lästern kann, wenn mal keine bescheuerte Castingshow läuft. Und dann sind wir so oder so und dann erst recht die dummen Spielerfrauen, die nichts im Hirn haben.

Muss ich dahin?

In dem Brief stand nichts von einer Verpflichtung. Aber kann ich es mir überhaupt leisten, nicht zu erscheinen? Machen die anderen Frauen alle mit? Die eingebildeten Unterwäschemodels werden bestimmt alle kommen, weil sie eine Chance wittern, noch ein Stück bekannter zu werden und vielleicht einen Platz in einer Talkshow sicher zu haben. Aber was ist mit den ganzen anderen – die normal arbeiten und Familie haben?

Ich setze mich auf und fahre mir durch die Haare. Am besten, ich frage einfach nach.

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5

Irgendwo im Kleingedruckten finde ich die Telefonnummer der Info-Hotline vom DFB. Energisch tippe ich die Nummer ins Telefon und warte.

„Bitte bleiben Sie am Apparat, der nächste freie Platz ist für Sie reserviert.“ Stöhnend schalte ich den Lautsprecher an, werfe das Telefon aufs Bett, rupfe mein Duschzeugs aus dem Koffer und nehme das Telefon mit ins Bad.

Dort starre ich in den Spiegel. Ich sehe müde und fertig aus. Spielerfrau gleich null. Ich ziehe mein Shirt aus und betrachte meine Arme. Die Narben sind nur noch blass zu erkennen, aber sie sind noch da. Wie soll ich denn so über irgendeinen Catwalk spazieren? Man kann sie überschminken. Mal ganz davon abgesehen, dass ich nicht zu dieser Wahl gehen werde, bevor man mich genauer darüber aufklärt. Das Telefon spult immer noch die Warteschleife herunter, also ziehe ich mich aus und steige unter die Dusche. Das Wasser ist angenehm kühl und während es auf mich herunterrieselt, fühlt es sich an, als würden meine Sorgen davongespült werden. Einfach runter von mir, in den Abfluss und für immer weg. Allerdings nur so lange, bis das monotone Gelaber aus dem Telefon aufhört und sich eine weibliche Stimme meldet. „Ja, hallo?“

Ich zucke zusammen, reiße die Kabinentür auf und schnappe mir das Telefon. „Hallo?“

„Ihr Name bitte?“

Ich stelle die Dusche aus, ziehe mein Handtuch von der Heizung, wickele mich ein und nenne meinen Namen.

„Was ist Ihr Anliegen?“

„Äh, ich habe einen Brief vom DFB bekommen“, fange ich an „Da stand was von einer Misswahl drin und ich habe nicht verstanden, was das ist.“ Einfach blöd stellen, dann bekommt man vielleicht mal verständlich erklärt, was eigentlich Sache ist.

„Einen Moment bitte“, antwortet die Frau und ich lasse mich auf den Badewannenrand sinken. Sie verlangt meine Adresse und will dann doch ernsthaft wissen, mit welchem Fußballspieler ich zusammen bin, dann hackt sie eine Weile auf ihrer Tastatur herum, schließlich seufzt sie. „Können Sie etwas mit dem Begriff Misswahl anfangen?“, fragt sie.

Gerne hätte ich einfach geschnaubt. Ich bin vielleicht Spielerfrau, aber ganz bestimmt nicht der Janina-Verschnitt! Trotzdem hätte ich fast „Nein“ gesagt. „Ja, natürlich“, antworte ich stattdessen sachlich und kann mir einen vorwurfsvollen Ton nicht verkneifen.

„Was genau ist dann Ihre Frage?“

Ich höre, wie die Frau mit einem Kuli herumklackert, und beschließe, es drauf ankommen zu lassen. „Na ja, was das Ganze für einen Sinn hat.“

„Es ist eine reine Vergnügungsveranstaltung“, gibt die Frau zurück.

„Ha!“, schnaube ich, jetzt ist mir mein Image auch egal. „Für die Außenwelt vielleicht, aber haben Sie schon mal dran gedacht, was das für einen Konkurrenzkampf geben wird? Ich glaube, nach dieser Wahl wird niemand mehr befreundet sein.“

„Entschuldigen Sie diesen Fehler, aber ich war nicht für die Entwicklung dieses Projekts zuständig. Ich kann Sie zu den Kollegen in der entsprechenden Abteilung weiterleiten, vielleicht finden Sie dort Antworten.“

„Nein danke“, gebe ich pampig zurück. „Aber könnten Sie mir vielleicht die Frage beantworten, ob diese Veranstaltung für mich verpflichtend ist? Das war der eigentliche Grund meines Anrufs.“

„Na ja“, jetzt klingt sie wieder friedlicher. „Wie Ihnen vielleicht bewusst ist, könnte der Sieg dieser Wahl ein entscheidender Schritt in Ihrer Karriere bedeuten …“, beginnt sie, doch ich unterbreche sie.

„Ich bin kein Unterwäschemodel, ich studiere immer noch Biologie und Mathe auf Lehramt! Ich bin nicht wirklich erpicht darauf, in zwanzig Talkshows sitzen zu müssen, nur weil ich Ihre dämliche Wahl gewonnen habe!“

„Dennoch ist das eine große Imagefrage“, redet sie weiter, hörbar beherrscht. „Natürlich erwartet jeder, dass alle Spielerfrauen mitmachen, das ist Ihnen wahrscheinlich klar.“

Am liebsten hätte ich gefragt, wer denn hinmüsste, wenn der Spieler Single wäre, aber ich lasse es sein und sehe langsam ein, dass diese Fragerei keinen Sinn macht. „Also gut, ich werde es mir überlegen“, antworte ich schließlich und lege auf, bevor sie mir noch tausendmal die Vorteile auflisten kann, die der Sieg dieser Wahl mit sich bringen würde. Entnervt lasse ich das Telefon sinken. Schlauer bin ich jetzt auch nicht. Alle würden es von mir erwarten. Heißt das jetzt, ja, ich muss?

Ich starre auf die Fliesen an der Wand gegenüber und fahre zusammen, als die Badtür aufgeht. Fabian schiebt sich hinein. Er lässt sich neben mich auf den Badewannenrand sinken. „Mit wem hast du so impulsiv telefoniert?“

„Mit der netten Service-Dame vom DFB“, antworte ich. „Nur hat sie mir nicht wirklich Auskunft geben können.“

Fabian nimmt meine Hand in seine. „Cynthia, du musst da nicht mitmachen. Das ist freiwillig. Und ich werde auch nicht…“

„Können wir bitte über etwas anderes reden?“, unterbreche ich ihn. „Ich schlafe eine Nacht drüber, okay?“ Ich ziehe meine Hand aus seiner und stehe auf. „Außerdem würde ich gerne noch zu Ende duschen.“

Fabian lächelt und erhebt sich ebenfalls. Er kommt auf mich zu und küsst mich. Ich kann nicht anders, als die Augen zu schließen und den Kuss zu erwidern. Ich spüre, wie sich seine Hände in mein nasses Haar graben, ich spüre, er will mehr, hier, jetzt, und ich bin bereit, ihm alles zu geben, was ich ihm nur geben kann. Ich lasse die Augen geschlossen. Mein Atem beschleunigt, als sich seine Lippen von meinen lösen und er beginnt, meinen feuchten Hals zu küssen. Seine Hände kriechen unter das Handtuch und wandern meine nackte Haut entlang. Blind lasse ich ihn los und ziehe ihm das T-Shirt vom Körper, sein Atem geht noch schneller als meiner, ich spüre den feuchten Schweiß auf seiner Brust und die Härchen auf seinen Armen, die sich aufstellen, als ich seine Arme entlang zu seinem Hals fahre und ihn wieder zu mir ziehe, um mich zu küssen. Er nimmt mich hoch und trägt mich so aus dem Badezimmer ins Schlafzimmer, wo er mich aufs Bett legt und küsst. Gott, er soll immer so weitermachen, immer, jeden Tag meines weiteren Lebens. Bis mich seine Liebe zu ihm umbringt. Oder zumindest bis zum Ende dieser Nacht.

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6

Nach der Uni springe ich in ein Taxi und vor dem Stadion wieder raus – hin zum Hintereingang, in den ich ungehindert reinkomme. Eine Gruppe Rentner sitzt herum und schaut den Nationalspielern beim Kicken zu und am anderen Ende der Tribüne, an der ich rauskomme, hocken ein paar Teenager, aber sonst ist kaum etwas los. Muss ja auch jeder arbeiten oder in die Schule. Ich gehe die Tribüne hinunter bis zu den unteren Reihen, in denen im Gegensatz zur beinahe gespenstischen Stille im Stadion reges Treiben herrscht. Ein Haufen Spielerfrauen, die wohl auch nichts zu tun haben, sitzen in einem Pulk zusammen und unterhalten sich lautstark. Als ich dazustoße, reden sie alle gleichzeitig auf mich ein. Janina ist ebenfalls dabei. Und jetzt weiß ich auch, was sie bei unserem letzten Treffen gemeint hat. Sie meint, mich bei der Misswahl ausstechen zu können. So eine eingebildete Kuh.

Sabrina, eine der besonders schlimmen Spielerfrauen, ist als Erste bei mir. „Du hast doch sicher schon davon gehört!“ Sie packt mich an beiden Schultern. „Weißt du, was das für uns bedeutet!“, ruft sie beinahe hysterisch. „Gott, diese Misswahl bietet so viele Chancen für uns, du weißt gar nicht, wie glücklich wir uns schätzen können!“

Nein, das weiß ich wirklich nicht. Ich löse mich aus Sabrinas Klammergriff und hocke mich auf einen der Plastiksitze. Ich habe an sich mit den ganzen Spielerfrauen nicht wirklich viel zu tun. Bei diesem Treffen konnte ich mir zwar ein grobes Bild machen, wie die einzelnen so drauf sind und wie sie heißen, aber wirklich kennen tue ich sie nicht, mal ganz davon abgesehen, dass sie sowieso ab und an wechseln und ich schon längst nicht mehr die Hauptattraktion bin.

Für die anderen bin ich schon wieder uninteressant und sie schnattern wild durcheinander. Ich versuche, ihnen irgendwie zu folgen. Leider spricht keine davon, wie schwachsinnig diese ganze Veranstaltung doch ist und keine macht den Anschein, da nicht hinzuwollen.

„Mein Gott, ich bin ja so aufgeregt!“

„Was meint ihr, wer gewinnt?“

„Ich natürlich! Aber du hast natürlich auch Chancen!“

„Ach nein, du bist ja so viel hübscher als ich!“

„Catwalk-Training! Wisst ihr, was das bedeutet?!“

„Also, ich habe es ja eigentlich gar nicht nötig, ich bin ja schon Model.“

So geht es die ganze Zeit hin und her. Leider ist keine der Spielerfrauen dabei, die zur vernünftigen Sorte gehören, sodass ich mir die ganze Zeit dieses Teenager-Geplapper anhören muss und mich schon bald wirklich fühle wie bei einer Castingshow. Na, das kann ja lustig werden.

Ich beobachte die Jungs auf dem Rasen, wie sie passen, Tore schießen und den ganzen anderen Trainingskram hinter sich bringen. Irgendwann spricht Sabrina mich wieder an. An ihrem Arm hängt Anastasia, die ist übrigens genauso schlimm.

„Gehst du denn auch hin?“

Mir ist klar, dass das eine rhetorische Frage ist, die mit Ja beantwortet werden muss und nur gestellt wird, damit Madames noch jemanden haben, mit dem sie hysterisch rumkreischen können, wie toll das Ganze sei, dennoch antworte ich mit: „Ich bin noch am Überlegen.“

„Waas?“ Anastasia löst sich von Sabrina und lässt sich neben mich auf den Sitz sinken. Offensichtlich ist es ihr höchst unverständlich, wie jemand in unserem Alter nicht so drauf sein kann wie sie. „Aber das meinst du doch nicht ernst, Süße?“ Sie nimmt mein Gesicht in beide Hände und sieht mich mitleidig an. „Du bist so hübsch, das kannst du nur gewinnen, ach komm! Das hast du doch nicht ernst gemeint!“

Das Dämliche ist, dass ich von den Spielerfrauen von Anfang an so behandelt wurde, als wäre ich hier die neue beste Freundin aller. Ist ja eigentlich von Vorteil und man hockt nicht ausgeschlossen rum, aber wie soll man sich mit denen bitte vernünftig unterhalten?

„Ich sagte ja auch, ich überlege. Das heißt ja nicht Nein“, gebe ich zurück und winde mein Gesicht aus ihren Händen.

Anastasia betrachtet mich immer noch etwas verblüfft. „Aber das heißt auch nicht Ja. Mensch, Cynthia, wie kannst du denn bei so etwas Nein sagen?“

Gott sei Dank fängt mein Blick in diesem Moment Tanja ein, die Frau vom Torwart, die zur normalen Frau-mit-zwei-Kindern-und-bald-Reihenhaus-am-Bodensee-Sorte gehört. Sie kommt durch die Sitze auf uns zu und lässt sich neben mich fallen. Sie ist übrigens Raumausstatterin. Anastasia sieht mich weiter mitleidig an, dann entfernt sie sich und verzieht sich mit Sabrina zu den anderen der ersten Sorte. Ich beuge mich zu Tanja rüber. „Hast du schon davon mitbekommen?“

Tanja scheint sofort zu wissen, von was ich rede, und nickt. Ein verschmitztes Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus. „Gehst du hin?“

Ich hebe die Schultern. „Keine Ahnung. Ich weiß nicht, was mir das bringen sollte. Gehst du?“

„Ist vielleicht mal eine Abwechslung vom Alltag.“ Tanja grinst immer noch. Ich weiß nicht ganz genau, ob sie das ernst meint. „Ich hab so viel Stress in letzter Zeit, da kann ich diese Auszeit mal gebrauchen.“

„Na ja …“, meine ich zögerlich. „Ich glaube nicht, dass Catwalk-Training und irgendwelche Talentscouts unbedingt Auszeit vom stressigen Alltag bedeuten. Eher im Gegenteil. Und wenn du mich fragst: Da ist doch Zickenkrieg programmiert.“

„Ich hoffe ja mal schwer, dass wir nicht alle in einem Zimmer übernachten müssen.“ Tanja hebt die Augenbrauen. „Und so schlimm wird es doch auch nicht werden. Wir sind schließlich erwachsen.“

Noch eine, die von dieser Schwachsinnsidee überzeugt ist. Ich starte einen letzten Versuch. „Weißt du was von den anderen? Machen sie mit?“

„Soweit ich weiß, ja.“ Tanja lächelt wieder. „Es geht ja nicht ums Gewinnen, sondern um den Spaß, oder?“ In dem Moment klingelt ihr Handy, sie steht auf und verschwindet, um zu telefonieren. Ich starre verzweifelt auf den Rasen. Wenn alle mitmachen – bleibt mir dann überhaupt etwas anderes übrig, als auch teilzunehmen?

Mein Blick schweift durch die Sitzreihen auf der anderen Tribünenseite und mein Blick fängt einen blonden Haarschopf ein, der, kaum, habe ich ihn entdeckt, im Abgang verschwindet. Ich runzele die Stirn und kneife die Augen zusammen, aber die Frau ist weg. Mein Blick wandert die Sitzreihen entlang und bleibt am nächsten Aufgang hängen, wo sie jetzt rauskommt. Blonde, lange Haare, dieses T-Shirt kenne ich. Ich setze mich auf. Sophie.

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7

Allem Anschein nach kommt Sophie nun zu uns rüber. Ich merke, wie ich von einer leichten Panik erfasst werde. Was will sie? Was macht sie ausgerechnet hier? Um Fassung bemüht, stehe ich langsam auf.

„Hey, wo willst du hin?“, ruft Anastasia mich zurück. „Bleib doch hier!“ Die anderen neben ihr grinsen affig in ein Smartphone. Weil ich jetzt wirklich nichts Besseres zu tun habe, als erbärmliche Selfies mit den größten Zicken der Spielerfrauen zu schießen. Wobei – vielleicht würde das Sophie fernhalten. Trotzdem. Ich will ihr kein einziges Mal mehr in die Augen sehen.

„Ich bin gleich wieder da!“, rufe ich zurück und gehe etwas schneller zum nächsten Tribünenabgang. In den Fluren ist es gespenstisch still und die Rollläden vor den Fanshops und Verkaufsfenstern sind heruntergelassen. Alles ist verlassen und nichts deutet darauf hin, wie ausgelassen hier die Stimmung sein kann. Wo soll ich hin, wo Sophie mich nicht findet? Vielleicht will sie eine Versöhnung – aber ich bin noch nicht bereit dazu. Nicht nach alldem, was sie mir angetan hat. Meine Schritte hallen auf dem Betonboden. Es wirkt hier unten grau und trist ohne die Menschenmassen in farbigen Trikots. Ich gehe tiefer in die Arena hinein, habe keine Ahnung, wo ich hinlaufe. Vor einem verlassenen Fanshop bleibe ich stehen und starre ins Schaufenster. Beim Anblick eines Kalenders mit irgendwelchen Bikini-Schnappschüssen von Spielerfrauen keimt wieder die Frage in mir auf: Soll ich oder soll ich nicht?

Schritte hallen durch den leeren Korridor. Ich fahre herum, kann aber niemanden sehen. Ist Sophie mir gefolgt? Augenblicklich reiße ich mich vom Fleck und laufe weiter, irgendwann fange ich an zu rennen, so lange, bis ich die Schritte nicht mehr hören kann. Ich schlittere um eine Ecke, aber kaum mache ich Halt, höre ich sie wieder. Diesmal noch viel näher. Fast schon panisch stolpere ich eine Metalltreppe herunter, auf eine graue Tür zu, reiße sie auf und knalle sie hinter mir wieder zu. Ein hohes Piepsen dringt in meine Ohren und ich verziehe das Gesicht. Es ist dunkel hier, aber etliche Lichter blinken im Sekundenabstand immer wieder auf. Ich will gerade nach dem Lichtschalter tasten, als die Tür erneut aufgerissen wird.

Fabian steht im Türrahmen, er trägt Trainingsklamotten. „Warum läufst du vor mir davon?“

Ich starre ihn an, halb erleichtert, halb ängstlich. „Ich … dachte, du wärst Sophie“, keuche ich.

Er schüttelt den Kopf. „Mann, Cynthia, wann willst du bitte mit diesem Kinderkram aufhören?“

„Das ist kein Kinderkram!“, rufe ich in einem Anflug von Zorn. „Sie hat mit Geschirr nach mir geworfen!“

„Und das ist kein Kinderkram?“ Fabian zieht die Augenbrauen hoch, dann nimmt er mich am Arm und bugsiert mich unsanft aus dem Maschinenraum. Er sieht mich entschlossen an. „Ich wollte mit dir sprechen.“

„Ja, kann ich mir denken“, entgegne ich sauer. „Wegen dieser Misswahl, du willst mich überreden …“

„Können wir das bitte woanders klären?“ Fabian fährt sich durch seinen Dreitagebart und löst sich vom Fleck.

Ich folge ihm. „Können wir bitte irgendwo hin, wo Sophie mich nicht findet?“, fahre ich ihn an, während er zielstrebig durch den Flur geht.

Er antwortet nicht, offensichtlich ist er auch angesäuert. Warum? Ich bin ja wohl im Recht. Er hat keinen Grund, sauer zu sein. Vor der Kabine bleibt er stehen und hält mir die Tür auf. „Bitte.“

Ich zwänge mich an ihm vorbei und sehe mich um. Ich war hier schon mal. In der vierten Klasse waren wir auf Klassenfahrt in Dortmund und hatten eine (für mich damals todbringend langweilige) Führung durch das Stadion gebucht. Es sieht hier immer noch so aus wie vor fünfzehn Jahren, bloß hängen jetzt andere Spieler über den Spinden. Ich lasse mich auf einen Platz fallen, auf dem keine Klamotten liegen, und sehe Fabian herausfordernd an. „Ja?“

Er schließt die Tür hinter sich, seufzt und setzt sich neben mich. „Wegen dieser Misswahl“, beginnt er und ich unterbreche ihn: „Ich weiß, dass ich da hinmuss, weil ich dein Image …“

Fabian vergräbt genervt das Gesicht in den Händen. Ich beiße mir auf die Zunge und bekomme ein schlechtes Gewissen. Vielleicht bin doch ich die Dumme. „Was ist jetzt damit?“, frage ich ihn kleinlaut.

Er hebt den Kopf. „Unterbrich mich bitte nicht gleich wieder“, sagt er und nickt, als ich den Kopf schüttele. „Ich wollte dir nur sagen, dass das nicht sein muss. Ich weiß, wie ungern du im Rampenlicht stehst. Bei dieser Wahl werdet ihr Tag und Nacht verfolgt und das Ganze wird aufgebäumt wie sonst was …“

„Fabian, ich kann das nicht nicht tun“, unterbreche ich ihn doch, aber darauf bedacht, nicht spitz zu klingen. „Sag mal, willst du etwa, dass ich nicht mitmache?“ Ich springe auf. Langsam werde ich wütend. Die Worte sprudeln aus meinem Mund, ohne dass ich sie aufhalten kann. „Ich gehe hin, das habe ich schon längst beschlossen! Es ist schließlich meine Entscheidung, ich brauche dich dazu nicht, verdammt! Ich weiß schon selbst, was ich tue!“

Fabian sieht mich an, als hätte ich ihm eine Ohrfeige verpasst. Dann blinzelt er und steht auf. „Also gut“, meint er. „Aber komm mir hinterher nicht angekrochen, wenn du feststellst, dass es doch nichts für dich ist.“ Ohne ein weiteres Wort öffnet er die Kabinentür und geht.

Ich lehne meinen Kopf an den Spind und schließe die Augen. Scheiße. Als ich sie wieder öffne, brennen Tränen unter meinen Lidern. Etwas in die Richtung hat Sven gesagt, bevor er mich sitzen ließ. Was meint Fabian jetzt damit? Ich wische meine Tränen weg, doch sofort kommen neue. Ich will zu Fabian und mich entschuldigen. Aber das kann ich jetzt nicht bringen. Verzweifelt schließe ich die Augen wieder, damit ich diese furchtbare Welt nicht auch noch sehen muss. Mir reicht, zu wissen, dass ich auf ihr sitze und sie sich in die falsche Richtung dreht. Dass sie mich von einem Loch ins nächste fallen lässt.

Warum kann ich nicht einfach nur glücklich sein?

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8

Ich hocke in der Kabine, bis ein Typ mit Eiswürfeln kommt und mich rausschmeißt. Gedankenverloren gehe ich zum Ausgang zurück. Vielleicht ist es besser, wenn ich teilnehme. Ich zwinge mich, zu lächeln, ich habe mal irgendwo gelesen, dass das bessere Laune machen soll. Ich werde diese Wahl schon überleben, so schlimm wird es hoffentlich nicht werden. Für Fabians Image und mein eigenes tue ich das dreimal. Und wenn es mir doch zu blöd wird, kann ich immer noch aus gesundheitlichen Gründen abbrechen.

Fabian geht nach dem Training noch mit seinen Kollegen, Kumpels, wie auch immer, weg, deswegen habe ich die Wohnung für mich. Plus Ramona und Julian eben. Aber die lassen sich nicht blicken, was mir gerade recht ist.

Ich hole mir erst einmal die gesamte Eispackung von Ramona aus dem Kühlschrank und esse sie leer, woraufhin ich ein furchtbares Gewissen habe. Gerade eben habe ich mich entschlossen, bei einer Misswahl mitzumachen, jetzt fange ich an, mir Kilos anzufressen. Ich sollte mich lieber auf Diät setzen! Ich starre unschlüssig auf die leere Verpackung. Was soll ich nun machen? Mein Blick fährt zum Bad. Finger in den Hals stecken? Kommt überhaupt nicht infrage! Sophie hatte als Teenager mal Bulimie und aus ihren Berichten weiß ich, dass das alles andere als spaßig ist, besonders dann, wenn man es sich wieder abgewöhnen will. Aber wenn ich das einmal mache … Ich muss ja in Zukunft nicht wieder so viel essen, dass ich ein schlechtes Gewissen bekomme. Ich lege die Schüssel beiseite und stehe auf. Langsam gehe ich ins Bad. Aber als ich vor dem Klo sitze und den Badreinigerduft einatme, wird mir der Gedanke doch zu eklig. Meine Güte, ich werde jetzt wegen eines Eis’ schon nicht gleich zu dick werden!

Ich lasse mich wieder aufs Sofa sinken. Ich könnte joggen gehen. Das wäre vielleicht allgemein nicht unsinnig für die Vorbereitung auf diese Misswahl. Auf einmal fallen mir tausend Dinge ein, die ich tun könnte. Ich ziehe einen Block und einen Kuli heran und kritzele auf, was mir einfällt.

Joggen gehen, mindestens 1 Stunde pro Tag.

Das wird ja hoffentlich zu machen sein.

Gesunde Ernährung.

Ja, das auch. Ist ja nicht so, dass ich mich total ungesund ernähre. Ich muss ja nichts von Ramonas fettigem Zeug essen.

Bauch-Beine-Po-Training.

Och nee. Ich starre die Buchstaben an. Wie soll ich dazu jemals meinen inneren Schweinehund überreden …? Aber wenn ich das alles wirklich durchziehe, müsste ich in zwei Monaten eine halbwegs anständige Spielerfrau-Figur haben. Ich lege den Kuli zur Seite und starre aus dem Fenster. Es ist noch nicht dunkel. Eigentlich könnte ich gleich joggen gehen. Boah, nee. Doch, Cynthia!

Langsam raffe ich mich auf, schlüpfe aus meiner Gammelhose in meine Trainingshose, binde mir die Haare zusammen, ziehe meine Turnschuhe an, rupfe den iPod aus der Station – und trete aus dem Haus, bevor ich es mir noch mal anders überlege. Das Abendrot blendet mich. Ich schaue auf die Uhr. Acht. Okay, bis um neun mindestens. Das wird ja wohl nicht so schwierig sein.

Nach fünfhundert Metern stelle ich fest, dass das mit der Stunde heute wohl nichts wird. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal gejoggt bin, aber ein paar Jahre ist es sicherlich schon her. Ich muss nach den ersten zwei Straßenecken anhalten und keuche wie ein Walross. Ich bin froh, dass ich meine Sonnenbrille aufgesetzt habe, was ich inzwischen aus reiner Gewohnheit tue, sonst würden mich ja alle erkennen. Und dann wäre morgen ein fetter Bericht in der Gala.

Cynthias verzweifelte Versuche, sich auf die Misswahl vorzubereiten.

Von diesen harten Worten angetrieben richte ich mich wieder auf und laufe weiter. Bald sticht mein Atem wieder in meiner Lunge und selbst die Musik in meinen Ohren motiviert mich nicht mehr. Ich stolpere an eine Straßenlaterne, klammere mich daran fest und ringe nach Luft. Ich sollte nach Hause. Ich sehe auf die Uhr. Erst eine Viertelstunde ist um. Frustriert stampfe ich auf. Wie soll ich es jemals auf die ganze Stunde bringen?

Nach Hause torkele ich mehr, als dass ich gehe, und nachdem ich die Treppen hochgestiegen bin, spüre ich meine Beine nicht mehr. Fabian ist immer noch nicht da. Ich gehe unter die Dusche und stelle mich anschließend auf die Waage. Okay, dieses Gewicht muss ich halten. Erschöpft lasse ich mich aufs Sofa sinken. Gerade als ich nach meinem E-Book-Reader greifen will, um diesen dämlichen Roman zu Ende zu lesen, den Ramona mir empfohlen hat, die mich seitdem jeden Tag fragt, wie ich das Ende fand, höre ich die Haustür. Fabian. Ich schlucke. Gott, hoffentlich ist er nicht mehr sauer. Ich beiße mir auf die Fingernägel und sofort fällt mir ein weiterer Punkt ein. Aufhören, die ganze Zeit Fingernägel zu kauen. Ich höre, wie Fabian seine Jacke auszieht und die Schuhe abstreift. Dann verschwindet er im Bad. Er sagt nicht mal hallo. Ich höre, wie die Dusche anfängt zu rauschen, dann kann ich meine Tränen nicht zurückhalten. Schluchzend zerknülle ich das Sofakissen neben mir und vergrabe mein Gesicht darin. Was hat er jetzt vor? Will er mich etwa ignorieren? Worauf soll das hinauslaufen?

„Warst du joggen?“ Das Knallen der Badezimmertür und Fabians Stimme reißen mich aus den Kissen. „Deine Klamotten hängen im Bad.“

„Ja“, presse ich hervor. Ich traue mich nicht, ihn anzusehen.

„Alles in Ordnung?“

Ich spüre, wie er sich neben mich auf das Sofa setzt. Langsam hebe ich den Kopf und sehe ihn widerwillig an.

„Hey, was ist denn los?“

Ich spüre, wie Fabian mich an den Schultern nimmt und hochzieht. Er streicht mir die wirren Haarsträhnen aus dem Gesicht und mustert mich besorgt. In seinen grünen Augen spiegelt sich eine verheulte Cynthia. Ich sehe wirklich furchtbar aus. Und jetzt bricht alles aus mir raus. „Ich dachte, du bist sauer auf mich“, schluchze ich. „Ich würde es ja verstehen, aber … ich dachte, weil … du kamst einfach rein und hast mich nicht mal begrüßt und … ich dachte, du willst mich nicht mehr sehen und allgemein bin ich gerade so durcheinander und …, Fabian, ich … ich will nicht, dass du mir in dem ganzen Chaos auch noch verloren gehst und …“

„Was, du …“ Fabian scheint nicht ganz zu verstehen, was ich meine, aber er nimmt mich in die Arme und drückt mich an seinen warmen Körper. Ich spüre seine Wärme und sein Herz schlagen und versinke in dem Duft seiner Haut und das alles lässt mich meine Sorgen vergessen. Wie konnte ich nur jemals glauben, er würde mich irgendwie verlassen wollen? Entschlossen reiße ich mich trotzdem los und sehe ihm fest in die Augen. „Fabian, ich muss mich ändern.“

Er sieht mich immer noch verwirrt an. „Warum denn?“

„Ich kann nicht so weitermachen. Ich bin eigentlich nur glücklich, wenn ich weiß, dass du mich liebst. Wenn wir uns streiten, werde ich sofort … keine Ahnung, aber ich vertrage es nicht und ich habe … Ich glaube, ich sehe immer noch alles durch diese verdammte rosa Brille, dabei will ich doch nur eine richtige Beziehung mit dir führen und …“ Ich weiß selbst nicht, was ich da von mir gebe. Irgendwie überwältigt mich alles gerade. „... eine Beziehung, in der wir uns auch mal streiten können, ohne dass ich gleich denke, ich kann nie wieder glücklich werden. Wir müssen uns ja auch streiten können.“

Jetzt nickt Fabian betroffen. „Ich wusste ja nicht, dass es dir so geht.“

„Ich sagte ja, ich werde mich ändern.“ Meine Stimme zittert immer noch, auch wenn ich mir nun sicher bin. „Ich werde versuchen, mich zu ändern. Es … es tut mir so leid, was ich vorhin gesagt habe, ich …“

Fabian grinst, was immer er daran jetzt auch komisch findet. „Mensch, Cynthia“, sagt er nur, dann zieht er mich an sich und küsst mich.