Mit allem, was ich habe - Jodi Ellen Malpas - E-Book
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Mit allem, was ich habe E-Book

Jodi Ellen Malpas

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Beschreibung

Roter Teppich, Champagner und wilde Partys! Jeder hält Camille Logan für ein verwöhntes It-Girl, das von Daddys Vermögen lebt. Dabei wünscht sich Camille nichts mehr, als aus dem goldenen Käfig auszubrechen. Umso entsetzter ist sie, dass ihr Vater einen Bodyguard für sie engagiert hat, der Tag und Nacht nicht von ihrer Seite weicht. Beim ersten Blick in die dunklen Augen ihres neuen Beschützers Jake Sharp ist ihr klar: Eigentlich braucht sie Schutz vor ihrer Begierde nach diesem Mann.

»Jedem Kuss, jeder erotischen Szene, jedem Wortwechsel
zwischen diesem Paar gehört ein Stück meiner Seele.«

Audrey Carlan, SPIEGEL-Bestsellerautorin

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Seitenzahl: 569

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Zum Buch

Nach einem traumatischen Erlebnis ist Ex-Scharfschütze Jake Sharp aus der Bahn geraten. Verzweifelt versucht er, seine Dämonen mit belanglosen One-Night-Stands, Arbeit und Alkohol zu betäuben. Doch der Auftrag, das Society-Girl Camille Logan zu beschützen, wird für ihn zur Zerreißprobe. Jake, der sich in seinem Job nie eine Schwäche erlauben darf, fühlt sich von Camille unwiderstehlich angezogen. Sie scheint die erste Frau zu sein, die hinter seine Fassade blicken kann. Bald sieht sich Jake in einem Strudel der Leidenschaft gefangen, der fatale Konsequenzen haben könnte … „Von der ersten Seite an werden Sie dieses Buch lieben. Die Figuren sind so lebens­echt und voll liebenswerter Schwächen, dass sie den Lesern ans Herz wachsen. Malpas’ Schreibstil ist einfach gefühlvoll.“Romantic Times Book Reviews

Zur Autorin

Jodi Ellen Malpas’ Romane wurden in über 20 Sprachen übersetzt und erobern die Bestsellerlisten weltweit. Ein Erfolg, den die bekennende Tagträumerin nicht für möglich gehalten hätte. Seitdem ist das Schreiben von ebenso spannenden wie leidenschaftlichen Geschichten zu ihrer Passion geworden.

MIRA® TASCHENBUCH

Copyright © 2017 by MIRA Taschenbuch in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der englischsprachigen Originalausgabe: The Protector Copyright © 2016 by Jodi Ellen Malpas erschienen bei: Forever, New York

Covergestaltung: büropecher, Köln Coverabbildung: George Kerrigan Photography Redaktion: Mareike Müller E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN E-Book 9783955766658

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Danksagung

Es gibt einfach so viele Leute, denen ich danken muss, und ich frage mich immer, ob ihr es nicht langsam leid seid, das zu hören. Aber für den Fall, dass dem nicht so ist, bedanke ich mich bei meinen Teams hier im Vereinigten Königreich und auf der anderen Seite des Großen Teiches, in Amerika, für die dauerhafte Unterstützung. Ich kann mich glücklich schätzen, euch alle hinter mir zu wissen.

Es gibt einen Menschen, den ich hervorheben muss – jemand, der mir sehr viel bedeutet, nicht nur in beruflicher Hinsicht. Und das ist meine Agentin Andrea Barzvi. Es ist über drei Jahre her, dass wir uns kennengelernt haben – als ich vom Verlagswesen noch überhaupt keine Ahnung hatte und vom Wirbel um „Lost in You – Verlockendes Geheimnis“ völlig überrascht wurde. Viel Ahnung habe ich immer noch nicht, aber Andrea an meiner Seite zu wissen macht diese Achterbahnfahrt eher spannend als beängstigend. Sie ist ein echtes Juwel, und ich danke meinem Glücksstern jeden Abend dafür, dass sie mich gefunden hat. Danke, Andy, für alles, was du tust, beruflich und darüber hinaus.

Zuletzt geht mein Dank an euch erstaunliche Blogger und Leser überall auf der Welt. Danke, dass ihr mich in eurer Online-Welt willkommen geheißen habt und drangeblieben seid, um herauszufinden, wohin meine Schreibreise mich führt. Ich hoffe, ihr habt Freude an meinem neuen Mann Jake.

Widmung

Für meinen Vater, mein ewiger Beschützer

1. Kapitel

Jake

Er starrt mich an, seine Augen weit aufgerissen und voller Angst, sein Körper angespannt unter meinem. Die Hitze, der Staub, die Schreie um mich herum – das alles macht es beinah unmöglich, sich zu konzentrieren. Aber ich muss mich konzentrieren. Ich blinzle mehrmals rasch hintereinander, verlagere mein Gewicht, um ihn fest im Griff zu haben, und drücke ihn in den Schotter und den Sand. Ich sollte nicht hier sein. Ich sollte irgendwo in den umliegenden Hügeln versteckt hocken, unsichtbar zwischen den Felsen und der Vegetation. Die unbekannte, unsichtbare Bedrohung.

Der Mann, den ich in Schach halte, ist mager und unterernährt, das Weiß seiner Augen hat einen Stich ins Gelbe. Dieser verblendete Scheißkerl hat zwei meiner Kameraden ausgeschaltet. Der heftige Schmerz in meiner Schulter erinnert mich daran, dass er auch mich fast getötet hätte. Ich hätte auf meinem Posten bleiben sollen. Ich hab’s vermasselt. Das unbändige egoistische Verlangen, diesen verdammten Bastarden die Hölle heißzumachen, hat zum Tod zweier Soldaten geführt. Ich sollte derjenige sein, der ein paar Meter weiter leblos im Dreck liegt. Ich verdiene es.

Sein Herz klopft wie wild unter seinem dünnen dreckigen T-Shirt. Ich fühle es gegen meine Brust pochen, trotz der Kleiderschichten und meiner schusssicheren Weste. Doch dieses Funkeln in seinen Augen ist nach wie vor da, während er Worte in einer fremden Sprache murmelt.

Er betet.

Sollte er auch.

„Wir sehen uns in der Hölle.“ Ich drücke ab und schieße ihm eine Kugel in den Kopf.

Ich schrecke im Bett hoch, schwitzend, schwer atmend, das dünne Laken klebt an mir.

„Scheißkerl“, flüstere ich und warte, bis meine Augen sich an die frühe Morgendämmerung gewöhnt haben und ich die schwarze Skyline Londons hinter dem Panoramafenster meines Schafzimmers sehe. Es ist sechs Uhr. Das weiß ich, ohne auf den Wecker auf meinem Nachtschrank zu schauen, und es ist nicht nur die langsam aufgehende Sonne, die mir das verrät. Der Alarm, der sich jeden Morgen um dieselbe Zeit in meinem Kopf abspielt, ist sowohl Segen als auch Fluch.

Ich schwinge die Beine aus dem Bett, schnappe mir mein Handy und bin nicht überrascht, dass ich weder Nachrichten noch verpasste Anrufe vorfinde.

„Guten Morgen, Welt“, murmele ich und werfe das Telefon zurück auf den Nachtschrank, dann hebe ich die Arme zur Decke und dehne meine Oberschenkelmuskeln. Ich rolle mit den Schultern, atmete tief ein und durch die Nase langsam wieder aus. Ich beuge mich vor, lege die Unterarme auf die Knie und blicke auf die Stadt. Den Albtraum verbanne ich in den hintersten Winkel meiner Gedanken, während ich bewusst ein- und ausatme. Ein und aus. Ein und aus. Ich schließe die Augen und danke der falschen Gelassenheit. Darin bin ich ein Meister.

Meine Muskeln spannen sich jedoch wieder an, sowie ich die Bewegung im Bett registriere. Ich schiebe eine Hand unter die Matratze, um die VP9 hervorzuziehen, noch ehe mein Verstand den Befehl dazu gegeben hat.

Impuls.

Die Waffe ist auf mein erwachendes Ziel gerichtet, bevor meine Augen es richtig wahrgenommen haben.

Instinkt.

Ich stehe auf dem Boden, nackt wie am Tag meiner Geburt, die Arme von mir gestreckt. Die Neunmillimeter-Waffe schmiegt sich viel zu gut in meine Hände.

„Hmmm.“

Das sanfte Gurren dringt zu mir durch, und ich erkenne das Durcheinander langer entblößter Gliedmaßen zwischen den Laken. Ich erinnere mich an die Bar, in der ich gestern Abend gelandet bin, und stecke die Pistole schnell wieder weg, genau in dem Moment, in dem die Frau die Augen öffnet. Sie lächelt verschlafen und rekelt sich, eine berechnende Bewegung, dazu gedacht, mir das Wasser im Mund zusammenlaufen und meinen Schwanz zucken zu lassen.

Pech für sie. Ich habe nur eines im Kopf. Und sie ist es nicht.

„Komm wieder ins Bett“, flüstert sie und lässt ihren Blick lustvoll über meine eins neunzig gleiten, während sie sich auf einen ihrer Ellbogen stützt. Das Kinn ruht auf der Hand, ihre schmalen Finger trommeln sacht auf ihrer glatten Wange.

Ich schenke ihr nicht die Aufmerksamkeit, die sie will, und erwarte eine sehr enttäuschte Frau. Selbe Szene, anderer Tag.

Ich marschiere davon und spüre ihre zornigen Blicke im Rücken. „Sorry, ich habe zu tun“, sage ich über die Schulter, ohne sie dabei richtig anzuschauen. Ich habe keine Zeit für so etwas. „Nimm dir gern eine Banane, bevor du gehst.“ Dann bin ich ins Bad verschwunden.

Die von der Decke bis zum Boden reichenden Fenster auf zwei Seiten gestatten mir eine Hundertachtzig-Grad-Aussicht auf die Stadt, doch alles, was ich betrachte, ist mein hageres Gesicht im Spiegel. Seufzend mustere ich mein trauriges Äußeres, während ich mich mit einer Hand auf das Waschbecken stütze und mit der anderen den Wasserhahn aufdrehe. Ich sehe genauso mies aus, wie ich mich fühle. Verdammter Jack Daniel’s. Ich streiche mit der Handfläche über meine Bartstoppeln und höre ein „Du blödes Arschloch!“, als die nackte Frau ins Badezimmer stürmt. Ich kann ihr nicht widersprechen. Ja, ich bin ein Arschloch. Ein gemeines, nachtragendes Arschloch. Ich wünschte, ich könnte Ruhe und Frieden empfinden, aber in meinem Leben gibt es keinen Frieden. Jedes Mal, wenn ich die Augen zumache, sehe ich ihre Augen. Danny. Mike. Sie waren für mich wie Brüder, und selbst vier Jahre später ist mir noch klar, dass sie nur meinetwegen gestorben sind. Wegen meines Egoismus, meiner Selbstsucht. Es gibt kein Entrinnen. Nur Ablenkung. Arbeiten. Trinken und Sex sind alles, was ich habe. Und ohne Auftrag bleiben mir im Moment nur Letztere.

Ich richte meine müden Augen im Spiegel auf die Frau hinter mir. Sie wirkt aufgebracht, aber ich habe nichts anderes erwartet. Aber ich erkenne auch Verlangen. Die Brustwarzen sind hart, trotz ihres wütenden Ausdrucks betrachtet sie mich ausgiebig. Ich drehe den Kopf zur Seite und warte darauf, dass ihr begieriger Blick meinem begegnet. Ihre Lippen teilen sich. Nichts regt sich. Nicht mal eine Morgenlatte.

„Mach die Tür zu, wenn du gehst.“ Ich verziehe dabei keine Miene. Und dann sehe ich es. Erkenne, was sie vorhat. „Schon wieder“, sage ich leise zu mir selbst, stoße mich vom Waschbecken ab und richte mich auf.

Sie stürzt sich auf mich und ohrfeigt mich. „Du Mistkerl!“

Ich lasse es geschehen, beiße die Zähne zusammen und warte, bis das Brennen nachlässt. Dann dehne ich den Nacken, bis er knackt, und werfe ihr einen Blick zu. „Die Tür ist dahinten.“ Ich zeige in die entsprechende Richtung.

Einen Moment lang starren wir uns an. Sie sieht perplex aus, wahrscheinlich denkt sie an den heißen Sex, den sie letzte Nacht von mir bekommen hat. Gleichgültig schaue ich sie an und hoffe nur, dass sie endlich verschwindet.

„Danke für die Gastfreundschaft“, erwidert sie schnippisch, macht auf den nackten Füßen kehrt und stampft davon.

Kurz darauf wird die Tür mit solcher Wucht zugeknallt, dass die Wände vibrieren. Ich wende mich erneut dem Spiegel zu und nehme meine Zahnbürste in die Hand. Ich putze mir die Zähne, danach ziehe ich mir Shorts und Laufschuhe an und gehe hinaus.

Die Morgenluft tut gut. Ich schlage den Weg zu den Parks ein und höre die beruhigenden Geräusche Londons am frühen Morgen, den spärlichen Verkehr, die Vögel, Schritte auf dem Gehsteig. Das alles hat genau die Wirkung auf mich, die ich für einen guten Start in den Tag brauche. Das Gras ist noch nass vom Tau, und feuchter Nebel klebt an meinem nackten Oberkörper, während ich den Pfad entlangrenne. Meine Beine fühlen sich allmählich taub an. So mag ich es.

Mein Blick bleibt geradeaus gerichtet, und ich laufe, als hätte ich die Strecke schon eine Million Mal absolviert. Was wahrscheinlich der Fall ist. Täglich dieselben Gesichter, hauptsächlich Frauen, und alle lächeln hoffnungsvoll, wenn sie mir entgegenkommen. Sie strecken den Rücken durch und atmen plötzlich nahezu gleichmäßig. Heute könnte ja der Tag sein, an dem ich tatsächlich stehen bleibe und Hallo sage. Oder ich werfe ihnen im Vorbeirennen ein kurzes Lächeln zu. Aber ich muss sie enttäuschen. Jede ist immer nur ein weiteres Gesicht im Meer bedeutungsloser Gesichter. Ich renne an ihnen vorbei, weiche ihnen aus, um eine Kollision zu vermeiden.

Nach einer halben Stunde werden meine Gedanken klarer, der Alkohol ist aus meinem Blutkreislauf gespült. Der Rest verschwindet auf der letzten Meile meines Laufs aus meinem Körper, auf der ich laufe, bis mir die Lunge brennt.

Geschafft.

Ich verlangsame mein Tempo, komme vor Nero’s Café zum Stehen und schaue zum Himmel. Zufrieden nicke ich. Exakt 7:20 Uhr. Ich stoße die Tür auf, schnappe mir eine Serviette und wische mir die Stirn ab, während ich zum Tresen gehe. Unterwegs schnappe ich mir eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank, schraube sie auf und trinke sie schon aus, bevor ich die Servicekraft erreiche. Sie hat sie eingetippt, noch ehe ich einen Schein aus der Tasche geholt habe.

„Ihr schwarzer Kaffee ist in Arbeit.“ Sie schaut kurz nach hinten.

„Danke.“ Ich werfe die leere Wasserflasche quer durch das Café. Sie landet sicher im Mülleimer. Als ich mich wieder zum Tresen umdrehe, steht mein Kaffee schon da.

Jeden Tag das Gleiche. Ich nehme den Becher und verlasse den Laden.

Der Verkehr nimmt zu, während ich die Berkeley Street entlanggehe und mir von meinem üblichen Verkäufer eine Zeitung kaufe. Er hält sie mir lächelnd hin, als ich mich ihm nähere.

„Sie sind früh heute Morgen, Mister.“

Ich nicke, greife nach der Zeitung und lege ihm das Geld hin, ehe ich die Titelseite überfliege. Zorn erfasst mich beim Anblick der Schlagzeile.

19 TOTE NACH SCHIESSEREI IN TÜRKISCHEM URLAUBSORT

„Bastarde.“ Ich schlucke die Wut hinunter, genau wie die Hilflosigkeit, und lese weiter. Wegen der Evakuierungen gibt es Warnungen an Touristen, nicht dorthin zu reisen. Die Türkei ist auf der Liste der Gefahrenzonen gelandet. Die ganze verdammte Welt ist heutzutage eine Gefahrenzone. Ich falte die Zeitung zusammen und schmeiße sie im Vorbeigehen in den Mülleimer. Ich weiß nicht, warum ich mir das antue. Es gibt nichts, was ich ausrichten kann. Nicht im Augenblick. Ich werde nicht gebraucht. Oder gewünscht. Daran ist mein Amoklauf in Afghanistan schuld. Die Gesichter meiner Kameraden, meiner Freunde dringen hinter den Schutzwall, den ich um diese Gedanken gezogen habe. Glückliche Gesichter. Tote Gesichter. Ich verdränge die Erinnerung, bevor sie mich überwältigen kann. Ich brauche einen weiteren Scheiß-zehn-Meilen-Lauf.

Ich drehe die Dusche an und lasse die Temperatur so eingestellt, wie sie ist. Eisig. Kaltes Wasser prasselt aus vier Richtungen auf mich ein und sorgt dafür, dass mein Körper seine Bestrafung erhält. Es fühlt sich gut an. Ehrlich. Ich lege den Kopf in den Nacken und lasse den Wasserstrahl über mein Gesicht rinnen, während ich über das Arbeitspensum dieses Tages nachdenke. Meine Waffe reinigen … zum vierten Mal in dieser Woche. Meine E-Mails checken. Vielleicht Abbie anrufen.

Der letzte Punkt stand in den vergangenen vier Jahren jeden Tag auf meiner Liste. Er bleibt unerledigt. Sie einfach anrufen. Damit sie weiß, dass ich am Leben bin. Das ist alles, was sie wissen muss. Alles, was ich ihr geben kann. Und doch schaffe ich es nicht, in die Vergangenheit zurückzukehren. Meine Atmung verlangsamt sich, ich lasse den Kopf sinken. Gewehrfeuer, Explosionen, Schreie.

E-Mails!

Ich reibe mir die Wangen kurz vorm Einsetzen der Angstattacke und greife zum Duschgel. Ich muss mit meinem Tag weitermachen.

Nachdem ich geduscht und mir ein Handtuch um die Hüften gewickelt habe, nehme ich meine Pillen und werfe eine ein, wobei ich zu den Panoramafenstern laufe, vor denen mein Schreibtisch steht. Ich setze mich in den riesigen Bürosessel aus schwarzem Leder, schalte den Laptop ein und schaue über die Stadt, während der Computer hochfährt. Nachdenklich lehne ich mich zurück.

Schreib ihr wenigstens eine Nachricht.Lass sie wissen, dass du lebst. Ich lache leise und bitter über mein erbärmliches Leben. Abbie ist vermutlich der einzige Mensch, dem es nicht egal ist, ob ich tot oder lebendig bin. Vielleicht hat sich das aber auch inzwischen geändert. Es gibt nur noch mich. Keine Familie. Keine Freunde. Keine Eltern.

Seit dem Moment, als meine Eltern beim Pan-Am-Flug 103 starben, hatte ich nur ein Ziel. Krieg. Da war ich sieben Jahre alt. Ich verstand nicht einmal richtig, was passiert war, doch ich wusste, dass es böse Menschen gibt, die man aufhalten musste. Der brennende Wunsch, gegen das Böse zu kämpfen, nahm mit dem Älterwerden zu. Meine Großmutter kümmerte sich um mich, bis sie starb. Danach gab es niemanden mehr, der sich um mich Sorgen gemacht hätte. Ich konnte zur Armee gehen und meinen Beitrag leisten, um zu helfen.

Schon bald wurden meine Fähigkeiten als Scharfschütze bemerkt, man entließ mich aus der Grundausbildung und gab mir ein Gewehr. Ich schaute nie zurück. Ich zielte, feuerte, traf. Wieder und wieder. Und jedes Mal verspürte ich dieses Gefühl, etwas geleistet zu haben. Keine Schuld. Nur Erfolg. Denn es gab einen gefährlichen Bastard weniger, um den man sich Gedanken machen musste.

Ding!

Der E-Mail-Signalton reißt mich aus meinen Erinnerungen. „Hallo, Schöne“, sage ich, als ich ihren Namen auf dem Bildschirm lese. Plötzlich bin ich voller Hoffnung. Seit zwei Wochen habe ich keinen Auftrag, und allmählich verliere ich den Verstand. Zwei Wochen, in denen es nichts zu tun gab – außer trinken, vögeln und gegen die Bilder der Vergangenheit ankämpfen.

Wie immer, typisch Lucinda, ist ihre Nachricht knapp und auf dem Punkt … zweifellos der Grund dafür, weshalb sie die einzige Frau ist, die ich mag.

Mein zufriedenes Grinsen gefriert jedoch, je weiter ich lese.

KLIENT: Trevor Logan – Tycoon und Immobilienbesitzer

ZIELPERSON: Camille Logan – jüngstes Kind und einzige Tochter des Klienten

MISSION: Personenschutz

DAUER: unbestimmt

HONORAR: £100.000/Woche

Ich lehne mich im Sessel zurück und forme mit den Fingern ein Dreieck vor meinem Mund. Hunderttausend pro Woche? Da muss es irgendeinen Haken geben. Personenschutz? Das habe ich schon lange nicht mehr gemacht, und ich bin mir nicht sicher, ob das momentan eine gute Idee ist, und zwar deshalb, weil es sich bei der zu bewachenden Person um Trevor Logans Tochter handelt. Logan ist ein rücksichtsloser Geschäftsmann, der auf seinem Weg an die Spitze über Leichen gegangen ist. Ich habe in letzter Zeit häufiger wegen eines Rechtsstreites in der Zeitung über ihn gelesen. Ihm wurde vorgeworfen, einen Minderheitenaktionär aus einem Unternehmen gedrängt zu haben, in das Logan sich eingekauft hat. Natürlich gewann er. Er gewinnt immer, die Presse steht hinter diesem Arsch. Der Mann ist unerträglich scheinheilig, und ich kann mir nicht vorstellen, dass seine kostbare Tochter anders ist. Lucinda musste das doch bedacht haben.

Sie sollte es eigentlich besser wissen. Sie kennt meine Vergangenheit. Den ganzen Horror und jedes schmutzige kleine Detail. Ein solcher Auftrag erfordert Überwachung rund um die Uhr. Für so eine Frau? Auf keinen Fall. Am Ende erwürge ich sie noch … oder schlimmer: Die ständige Erinnerung an eine andere Frau mit den gleichen Charaktereigenschaften könnte meine Schreckensvisionen aus der Vergangenheit verstärken.

Rasch konzentriere ich mich wieder, ehe meine Gedanken mit mir durchgehen können.

Nein, ich kann das nicht tun, nicht einmal für diese Summe.

„Dabei fing ich langsam an, dich zu mögen, Lucinda“, sage ich leise und tippe eine Antwort.

Sie weiß, dass ich nur schwer damit klarkomme, keinen Auftrag zu haben. Zu trinken und zu vögeln bringt es nach Wochen ohne Arbeit nicht mehr, aber mir ein derartiges Angebot zu schicken ist dumm. Will sie mich fertigmachen? Ich will schon auf „Senden“ klicken, doch das Suchen-Symbol in der Leiste ist zu verlockend.

„Verdammt“, flüstere ich und tippe ein paar Worte auf die leere Fläche, die darum bettelt, gefüllt zu werden.

Sofort hasse ich, was ich sehe. Eine Frau, Mitte zwanzig vielleicht, mit schlanken Beinen und einem gefährlich verführerischen Lächeln. Ihr langes blondes Haar ist zerzaust und nachlässig zu einem Zopf geflochten, der ihr vorn über die Schulter hängt, während sie auf einer Gartenparty umringt von Männern Champagner trinkt.

Ich lag genau richtig. Dies ist diese Sorte Frau, und ich sollte unter gar keinen Umständen mehr Zeit mit ihr verbringen, als nötig wäre, um es ihr zu besorgen. Doch statt Lucinda endlich eine Antwort zu schicken, schaue ich mir weitere Fotos an. Es sind Dutzende. Manche zeigen Camille Logan beim Verlassen eines Clubs, einige auf Partys, auf einigen ist sie beladen mit Einkaufstüten beim Shoppen in London. Dann sind da noch die professionellen Fotos, überwiegend für Modelabels und Designer. Ich stutze, als ich einen Wikipedia-Eintrag finde. Ich seufze zwar, klicke den Link dennoch an.

Camille Logan, jüngstes Kind des Tycoons Trevor Logan und als Partygirl bekannt. Geboren am 29. Juni 1991. Camille studierte kurz Mode am London College, bevor sie von Elite Models angeworben wurde. Sie lebt in London und ist ein häufig gesehenes Gesicht in Prominentenkreisen. Beziehungen unter anderem mit Sebastian Peters, Erbe von Peters Communications. Camille hat typische Modelmaße: 1,75m groß, 86 cm Schrittlänge, Körbchengröße 70 A sowie 63 cm Taillenumfang. Nach dem unschönen Ende der Beziehung mit Peters im vergangenen Jahr begab Camille sich in die Priory Clinic, um ihre Kokainabhängigkeit zu überwinden. Seitdem modelt sie und repräsentiert Marken wie Karl Lagerfeld, Gucci und Boss.

Ich bin fassungslos. „Die hat einen Eintrag bekommen?“ Rasch tippe ich ein PS zu meiner E-Mail: Nicht mal für eine Million! Mein letztes Wort.

Ich füge nicht „Danke!“ hinzu. Lucinda muss ihren verdammten Verstand verloren haben. Ich klappe den Laptop zu.

Ich schwenke die bernsteinfarbene Flüssigkeit und beobachte, wie sie an der Innenseite des Glases hochschwappt. Der wievielte Drink ist das heute Abend? Der zehnte? Elfte? Ich atme aus, kippe ihn herunter und knalle das leere Glas auf den Tresen. Der Barkeeper schenkt sofort nach, ich nicke zum Dank und stütze die Ellbogen auf. Ich bin mir der Blicke der Frauen in meine Richtung bewusst, sie alle warten darauf, dass ich sie erwidere. Doch wenn ich einer auch nur einen Hauch Aufmerksamkeit schenke, endet der Abend wie die meisten in letzter Zeit. Eine heiße Nummer, ein Abschied, eine Ohrfeige. Wie gehabt. Nur trinken heute Abend. Nur trinken.

Ich reibe mir mit den Fingerknöcheln die Augen. Ohne Ablenkung, sei es durch einen Auftrag oder eine Frau, ist der Kampf gegen die Visionen aus der Vergangenheit ein anderer. Gesichter tauchen vor meinem geistigen Auge auf, Gesichter, die mich täglich verfolgen. Explosionen erschüttern mein Gehirn, mein Herz fängt an zu rasen.

„Verdammt“, flüstere ich keuchend, schaue auf und entdecke eine Frau, die mir vom Ende des Tresens zuzwinkert. Sie stellt nur einen Aufschub dar von den Qualen, die mich erwarten. Doch als ich aufstehe, um zu ihr zu gehen, ist das ohrenbetäubende Geräusch zersplitternden Glases zu hören, und ich halte mich unwillkürlich an der Theke fest. Mir schlägt das Herz bis zum Hals, während die vertrauten Bilder auftauchen. Zerberstende Fenster, Explosionen, feindlicher Beschuss, schreiende Menschen. Ich versuche mich zu beruhigen, sehe mich in der Bar um, damit ich begreife, wo ich bin. Der Barkeeper flucht über das zerbrochene Glas zu seinen Füßen.

„Hey, Süßer.“

Ich entdecke die Frau vom Ende des Tresens neben mir. Sie lächelt verführerisch. Die Vorstellung, dass ich sie mit zu mir nehmen und sie vögeln kann, bis mein Herz aus einem anderen Grund hämmert, beruhigt mich nicht so, wie sie es sollte.

Ich sehe ihr Gesicht nicht. Ich sehe nur meine Vergangenheit. Es wird nicht funktionieren.

Ich ziehe die Pillen aus der Innentasche meiner Jacke und schraube die Dose beim Hinausgehen auf. Ich brauche etwas, worauf ich mich konzentrieren kann, und zwar schnell. Die Flashbacks kommen häufiger, die Wirkung der Pillen lässt nach.

Wenn das in diesem Tempo weitergeht, beziehe ich bald Camille Logans Zimmer in der Priory Clinic. Ich werde wieder dort sein, wo ich vor vier Jahren war: am Boden, ohne etwas zu tun – außer mich selbst zu quälen und meine Albträume stets von Neuem zu durchleben. Die werde ich nie los, aber ich kann sie in Schach halten. Ich muss nur meinen persönlichen Mist verdrängen und Camille Logan als das betrachten, was sie ist.

Ein Auftrag. Ich muss mich auf den Auftrag konzentrieren, das ist alles. Das ist alles, was ich habe.

Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und wähle die Nummer meiner Rettungsleine.

„Ich wollte dich gerade anrufen“, sagt Lucinda zur Begrüßung.

„Der Logan-Job, ich nehme ihn an.“ Ist mir doch egal, wer der Klient ist. Eine Frau, ein Kind, ein verdammter Affe. Ich muss arbeiten. Nichts könnte schlimmer sein als die momentane Situation.

„Gut“, erwidert sie nur, ohne eine große Sache daraus zu machen. „Freut mich, dass ich dir nicht erst kräftig in den Hintern treten muss.“

Mein Herzschlag beruhigt sich ein wenig. „Jemand sollte aber.“

„Wo bist du?“

„Chelsea.“

„In einer Bar?“

„Bin gerade raus.“

„Mit?“

„Niemandem.“

Sie lacht, als glaube sie mir nicht, was zweifellos der Fall ist.

„Schlaf dich mal aus, Jake. Und sei morgen um drei im Logan Tower. Morgen früh werden hunderttausend auf dein Konto überwiesen.“

Sie legt auf und ich gehe nach Hause, in Gedanken ganz bei dem vor mir liegenden Auftrag. Und nur dort. Ich bin der Beste in dem Sicherheitsunternehmen, für das ich arbeite. Das ist kein Eigenlob, sondern eine Tatsache.

Wenn Sie für die Sicherheit von jemandem garantieren wollen, engagieren Sie mich. Ich habe eine saubere Weste. Und ich beabsichtige, dass das so bleibt.

Mein Kopf ist bei der Sache.

2. Kapitel

Cami

„Camille!“

Ich drehe mich so schnell um, dass meine Einkaufstaschen um mich herumwirbeln, ein Bild, das an ein großes Papier-Tutu erinnert, da bin ich mir sicher. Ich lächle, als ich Heather auf mich zukommen sehe, aufgeregt und mit leuchtenden Augen. Ich nehme die Sonnenbrille ab, wodurch die Tüten gegen meine Seite baumeln und meinen Arm mit ihrem Gewicht herunterziehen.

„Hey!“, rufe ich fröhlich. „Keine Arbeit heute?“

Heathers glückliches Gesicht nimmt kurz einen Ausdruck von Abscheu an, ehe sie die Arme um mich schlingt. Wegen der vielen Einkaufstüten kann ich die Umarmung nicht erwidern, und es tut mir auch kein bisschen leid. Sie wird begeistert sein von dem, was ich ihr zeigen werde.

„Die haben mich gefeuert“, stößt sie wütend hervor und drückt mich fester an sich.

„Oh Shit! Was ist passiert?“, frage ich, als sie mich loslässt, ihr kastanienrotes Haar zurückwirft und sich ihre Chanel-Handtasche auf die Schulter schiebt.

„Dienstagnacht. Das ist passiert.“ Sie hakt sich bei mir unter und geht mit mir die Bond Street entlang.

„Ohhh.“ Mir fällt Dienstagnacht wieder ein, zumindest das, woran ich mich erinnern kann. Champagner. Jede Menge. Außerdem fragwürdige Tanzbewegungen in unserer Lieblingsbar.

„Allerdings oh.“ Sie wirft mir ein Lächeln von der Seite zu. „Ich kam gestern pünktlich zur Arbeit, konnte aber den Teleprompter nicht lesen. Es war alles verschwommen.“

Ich lache, denn ich stelle mir vor, wie sie auf die Monitore hinter den Kameras späht. „Wenn man live im Fernsehen auftritt, sollte man schon in Form sein.“

Wir überqueren die Straße und steuern ein Café an wie heimfliegende Brieftauben. Ich brauche dringend einen Zitroneneistee. „Und jetzt?“ Ich lasse alle Tüten plumpsen, sobald wir an einem Tisch angekommen sind.

Heather pflanzt ihren hübschen Hintern auf einen Stuhl. „Jetzt werde ich mich auf unseren Traum konzentrieren, Camille!“ Sie wirkt schon wieder ganz aufgekratzt. „Gibt es da neue Entwicklungen?“

„Wir haben einen weiteren interessierten Investor.“ Ich versuche, beiläufig zu klingen. Ich gestatte mir keine Aufgeregtheit wegen der Möglichkeit, dass es mit unserer Kleiderkollektion endlich aufwärtsgeht. Nicht, ehe wir einen Vertrag in der Tasche haben. Den Fehler haben wir schon einmal gemacht. Die Feder berührte buchstäblich bereits fast die gepunktete Linie, als mir eine Klausel ins Auge sprang, die bei den Verhandlungen gar nicht zur Sprache gekommen war. Etwas über die Produktion von Kleidung bis zu einer bestimmten Größe, was bedeutete, dass jede Frau, die auch nur die Andeutung eines Hinterns hatte, unsere Kollektion nicht tragen konnte. Das war das K.-o.-Kriterium, denn das lag Heather und mir sehr am Herzen. Wir stellten klar, dass jede Frau, egal welche Größe und Figur sie hatte, unsere Kollektion tragen können sollte. Die Investoren beharrten auf ihrem Standpunkt, wir auf unserem. „Die hörten sich sehr interessiert an.“

„Wirklich?“ Sie strahlt und zeigt dabei ihre Zähne.

„Ja, wirklich.“ Ich muss auch grinsen, obwohl ich nervös bin. Im Augenblick sind wir bloß zwei hübsche Gesichter mit Körpern, die in Klamotten gut aussehen. Ich liebe meinen Job als Model, verspüre jedoch den enormen Drang, allen, einschließlich meines Vaters, zu beweisen, dass ich mehr kann und nicht nur ein Mannequin bin. Ich weiß, dass Heather genauso denkt. Keine von uns ist bereit, bei unserem Traum Kompromisse einzugehen. Ebenso wenig sind wir bereit, irgendeine Finanzierung von unseren Vätern anzunehmen. Heathers Dad ist ebenfalls stinkreich. Natürlich nicht so reich wie meiner, das sind ohnehin nicht viele, wenn überhaupt jemand in London. Aber er ist trotzdem unglaublich vermögend. „Wir haben morgen ein Treffen mit meiner Agentin. Sie will ein paar neue Aufträge mit uns durchgehen.“

„Ich werde da sein!“ Grinsend zeigt sie auf meine Taschen. „Was hast du gekauft? Camille Logans und Heather Porters Kollektion ist ja noch nicht zu haben. Dir ist hoffentlich klar, dass wir dann nur unsere eigenen Kreationen tragen können.“

Diese Vorstellung begeistert mich. Stoffe aussuchen, Schnitte entwerfen, qualitativ hochwertige und bezahlbare Kleidung herstellen. Die Mode wandelt sich zu schnell, als dass Frauen für den jeweils neuesten Trend ein Vermögen ausgeben sollten. „Nur ein Kleid für Saffrons Party zum fünfundzwanzigsten Geburtstag.“ Ich nehme mein Portemonnaie aus der Handtasche. „Und Stoff, den ich in Camden entdeckt habe und den du dir ansehen solltest. Aus dem wird ein tolles Kleid entstehen.“ Ich habe die Form bereits im Kopf und weiß genau, dass Heather es mit ihren Fähigkeiten als Näherin Wirklichkeit werden lassen kann. „Eistee?“

„Bitte.“

Sie wühlt schon in meinen Taschen, noch bevor ich das Café betreten habe. Da ich die Nachwirkungen von Dienstagnacht spüre, meine Haut weniger glänzend und weich ist, hole ich mir eine Flasche Wasser zu meinem Eistee und leere sie, ehe ich an der Kasse bin. Ich brauche Flüssigkeit und vielleicht eine Gesichtsbehandlung. Du meine Güte, ich bin fünfundzwanzig und fühle mich bereits zu alt für das Londoner Partyleben. „Einen normalen Eistee und einen Eistee mit Zitrone bitte“, sage ich zu dem Mädchen hinter dem Tresen und ziehe einen Zehner aus dem Portemonnaie. „Ach ja. Und das Wasser.“

„Oh wow!“, ruft sie und bringt mich damit kurz aus der Fassung. „Sie sind Camille Logan, richtig?“

Ich merke, wie ich erröte. Sie sieht ganz aufgeregt aus. Das ist zugleich schmeichelhaft und peinlich. „Ja“, bestätige ich und hoffe, dass sie keine große Sache daraus macht.

„In echt sehen Sie noch besser aus!“

„Danke.“

„Ich bin so neidisch! Ihr Leben ist perfekt! Ich liebe Sie!“

Mein Lächeln ist nun gezwungen. Perfekt. Natürlich ist es das. Sie muss ungefähr siebzehn sein, wenn überhaupt. Sie hat keine Ahnung. Niemand macht sich eine Vorstellung vom ständigen Kampf, den ich mit mir ausfechte, um mich auf die Zukunft zu konzentrieren, statt auf meine Vergangenheit. Oder von meinem dominanten Vater, der mein Leben zu lenken versucht. Oder von den Herausforderungen, mit denen ich mich beinah täglich in der von Kokain und Champagner beherrschten Partyszene Londons konfrontiert sehe. Es sind private Kämpfe, die auch privat bleiben werden. Es wurden bereits zu viele solcher Schlachten in die Welt hinausposaunt … und an meinen Vater. „Das ist sehr … lieb von Ihnen.“ Das ist schon nicht mehr ganz aufrichtig, obwohl sie ja nun wirklich süß ist. Naiv, aber süß. „Meine Freundin wartet draußen. Würde es Ihnen also etwas ausmachen?“ Ich deute auf die Maschine hinter ihr und hoffe, sie damit aus ihrer Ehrfurchtsstarre zu reißen.

„Ach du Schande, ja!“ Sofort beeilt sie sich und hat meine Bestellung tatsächlich in Rekordzeit fertig. Stolz reicht sie mir die Getränke und meint in vertraulichem Ton: „Ich werde die Getränke bezahlen. Dann kann ich behaupten, dass ich Camille Logan einen Drink spendiert habe!“

„Oh nein, das sollten Sie nicht.“ Ich schüttele den Kopf und lehne diese nette Geste rundheraus ab. „Ich bezahle. Trotzdem vielen Dank.“

„Nein!“ Sie stellt sie hin und weicht zurück, sodass mein Zehner zwischen uns auf dem Tresen landet. Sie verschränkt unnachgiebig die Arme, ein freches Funkeln in den Augen.

Mit überzeugenden Worten komme ich hier nicht weiter, also wähle ich die einzige andere Option. Ich nehme einen weiteren Zehner aus meinem Portemonnaie und lege ihn zum ersten. Dann schnappe ich mir die Getränke und mache mich auf den Weg hinaus. „Jetzt können Sie sagen, Camille Logan hat Ihnen einen Drink spendiert!“ Ich höre ihren Begeisterungsschrei, als ich auf meinen hohen Keilabsätzen balancierend nach draußen trete. Heather hat den fabelhaft samtigen Stoff, den ich gefunden habe, in den Händen. Sie streicht darüber und hält inne, als ich mich setze.

„Alles in Ordnung?“, fragt sie und faltet ihn wieder zusammen.

„Sie ist nur lebhaft.“ Ich stellte ihr den Eistee hin, während sie lacht und ins Café zu spähen versucht.

„Toll.“ Heather trinkt einen großen Schluck von ihrem Tee. „Ich liebe den Stoff.“

„Gut, oder?“ Ich tauche die Eiswürfel mit meinem Strohhalm unter und lehne mich auf dem Metallstuhl zurück. Meine Haut saugt die Sonnenstrahlen förmlich auf. „Ich denke da an eine geschnürte Taille …“

„Und unten ausgestellt“, beendet Heather den Satz für mich.

„Genau!“ Das ist der Grund, weshalb ich sie liebe und wir perfekte Geschäftspartner sind. Unsere Gedanken und Ideen sind stets im Einklang. „Ende der Woche habe ich einen Entwurf für dich fertig.“

„Ich werde mich sofort an die Arbeit machen.“

„Ausgezeichnet. Und wir müssen diesen Stofflieferanten aufsuchen, von dem du mir erzählt hast.“ Ich blättere in meinem Terminkalender. „Nächste Woche?“

„Passt gut, schließlich habe ich keinen Job mehr.“

Ich lache. Sie klingt am Boden zerstört. „Dann überlasse ich es dir, den Termin zu machen.“ Ich schaue auf meinen Tee, in dem das Eis rasch schmilzt. Ich nehme einen langen Zug durch den Strohhalm, dann setze ich meine Sonnenbrille wieder auf. „Was ziehst du zu Saffrons Party an?“

Sie beugt sich zu mir herüber und macht mir ein Zeichen, näher zu kommen. Jeder Beobachter würde glauben, dass sie mir irgendwas Schlüpfriges anvertrauen will.

„Ich dachte an ein rotes Kleid und goldene High Heels.“

„Guter Plan“, versichere ich ihr.

„Und du?“

„Dann hast du also noch nicht in diese Tüte da geschaut?“ Ich bücke mich, um meine neue Errungenschaft herauszuziehen.

„Das wäre doch unhöflich.“ Sie ist pikiert und macht gleich darauf große Augen, als sie das tolle schwarze Kleid sieht. „Wow, ich bin begeistert.“

„Ich auch.“

„Es ist kurz.“

Sie wackelt mit den Brauen, und ich weiß, was sie meint.

Dad.

Da uns meistens auf unseren Streifzügen Fotografen folgen, sind wir uns bewusst, welchen Schaden ein falsches Foto in irgendeiner Zeitschrift anrichten kann. Wie beispielsweise eins, auf dem zu sehen ist, wie dein Kleid hochrutscht und du dadurch zu viel Bein zeigst, oder, um Himmels willen, ein bisschen Cellulite. Das ist nur ein harmloses Beispiel dafür, wie dieses ärgerliche Spiel läuft. Die Presse hat noch grässlichere, zerstörerische Seiten, wie ich während der hässlichen Trennung von Seb im vergangenen Jahr leider selbst erfahren habe. Ich weiß, dass Dad vielen Zeitungen Geld gegeben oder Versprechungen gemacht hat, damit sie aufhören, Fotos von mir zu veröffentlichen. Nur reicht sein Einfluss nicht bis in alle Hochglanzmagazine. Und es waren einfach zu viele Fotos von mir im Umlauf.

Mich überläuft es kalt bei der Erinnerung daran, wie hoffnungslos ich mich fühlte, wie schwarz meine Welt aussah und wie enttäuscht ich von mir selbst war. Sebastian hat mir das angetan. Hat mich in seinen Drogennebel hineingezogen und mich beinah zerstört. Er nahm mein Geld, nachdem er sein eigenes verprasst hatte und seine Eltern sich von ihm abgewandt hatten. Mehr als einmal wurde er wegen Gewaltausbrüchen unter der Einwirkung von Alkohol und Drogen verhaftet, und als es niemanden mehr gab, an dem er seine Wut auslassen konnte, war ich ja noch da. Ich hoffe, er kommt nie mehr zurück nach London. Ich hoffe, er verlässt die Entzugsklinik nicht so bald. Ich will ihn jedenfalls nie wiedersehen.

„Camille?“

Heathers sanfte Stimme erschreckt mich. Ich versuche, mich wieder auf meine beste Freundin zu konzentrieren.

„Wo bist du mit deinen Gedanken?“

„Nirgendwo.“ Ich betrachte mein Glas und stelle fest, dass ich es ausgetrunken habe, während ich im Land des Bedauerns verweilte. Ich merke, dass Heather mich beobachtet, wahrscheinlich traurig lächelnd, da sie zweifellos die richtigen Schlüsse zieht.

Ich schaue auf, zwinge mich zu lächeln, und sie lächelt prompt zurück und nimmt meine Hand.

„Er ist weg“, flüstert sie und drückt sie.

Ich nicke, atme langsam aus und reiße mich zusammen. Heather hat in der schweren Zeit treu zu mir gehalten. Dank der Medien weiß die Welt von meiner Kokain-Verstrickung. Aber sie weiß nichts von Sebs Gewohnheit, seinen Zorn an mir abzureagieren. Das geschah hinter verschlossenen Türen. Heather kam irgendwann darauf, und ich flehte sie an, es niemandem zu verraten. Die Presseberichte hatten meinen Vater längst durchdrehen lassen und nahmen mir die Unabhängigkeit, für die ich so hart gekämpft hatte. Heather brachte mich auf den richtigen Weg zurück. Wir sind verwandte Seelen. Beste Freundinnen seit der Kindheit. Wir haben jeden Schritt in unserem Leben Seite an Seite gemacht. Ich hoffe, dass sich das nie ändert. Heather ist der einzige Mensch auf Erden, der die Details meiner Beziehung mit Sebastian kennt. Und so soll es bleiben.

„Wie dem auch sei.“ Sie lässt mich los und klatscht in die Hände. „Lust auf einen Abstecher zu Harvey Nic’s?“

Ich lasse mutlos die Schultern hängen, denn ich täte nichts lieber als das. Nur kann ich nicht und bin sauer deswegen, weil das, was ich zu tun habe, deutlich weniger lustig ist. Viel weniger. „Mein Vater hat mich vorgeladen.“ Ich zeige Heather meine Elvis-Schnute, allgemein bekannter als gekräuselte Lippe. „Genau genommen wurde ich von seiner Sekretärin vorgeladen, aber wen interessiert’s, von wem der Befehl kommt! Er kam, also gehe ich hin.“

Sie verzieht das Gesicht. „Wird er wieder versuchen, dich zu einem Date mit einem seiner langweiligen Geschäftspartner zu zwingen?“

Ich mache das gleiche Gesicht wie Heather bei dem Gedanken an Dads Vorstellung von meinem Traumpartner. Reich. Sie sind immer reich. Und todlangweilig.

Ich stehe auf, sammle meine Tüten ein und beuge mich hinunter, um Heather einen Kuss auf die Wange zu geben. „Lieber steche ich mir ein glühendes Eisen in die Augen. Soll ich dich irgendwohin mitnehmen?“

Sie drückt ihre Wange gegen meine Lippen. „Nein, ich treffe mich mit Saffron. Sie braucht noch ein Outfit für ihren Geburtstag.“

Ich grummle mürrisch, weil ich gern dabei wäre, dann mache ich mich auf den Weg zum Parkhaus ein Stück die Straße hinunter, um meinen C 63 zu holen. Die ganze Fahrt zum Logan Tower sammle ich innere Kraft für das Treffen mit meinem Vater.

Was letztlich bedeutet, dass ich bereits auf stur schalte.

3. Kapitel

Jake

Als ich die Glasdoppeltür des Logan Tower passiere, bin ich nicht überrascht, in der Lobby ein Durchleuchtungsgerät und einen Gepäckscanner zu sehen. Wenn die glauben, das würde mich davon abhalten, eine Waffe in das Gebäude zu schmuggeln, sind sie dumm.

Ich passe mich den Schritten einer attraktiven Latina an und halte den Blick fest auf den Security-Mann vor mir gerichtet. Ernsthaft? Ein Haufen Hightech-Durchsuchungsausrüstung – und sie haben diesen alten Knaben dafür eingestellt, um sie zu überwachen? Ich schüttele bestürzt den Kopf. Der muss kurz vor der Rente stehen, und er gafft die Frau neben mir an, statt auf mich zu achten – den eins dreiundneunzig großen Typen mit der gut verborgenen Heckler VP9.

Na gut, der arme Security-Mann weiß nichts von meiner Waffe, aber ich bin definitiv eine größere Gefahr als diese zierliche Schöne neben mir, die gerade meinen Arm streift und die lüsternen Blicke des Wachmanns gar nicht bemerkt. Und zwar deshalb nicht, weil sie verträumt zu mir aufschaut.

Ich drücke meinen Arm ein wenig fester gegen ihren und gewinne sie dadurch. Ich höre sie leise nach Luft schnappen. Dann bleibe ich unvermittelt stehen und drehe mich um, als hätte ich etwas vergessen. Durch den kleinen Zusammenstoß sorge ich dafür, dass ihr die Handtasche von der Schulter rutscht.

Es funktioniert reibungslos.

Sie stößt einen kleinen Schrei aus, lässt die Tasche fallen und stolpert rückwärts. Ich halte sie am Arm fest und helfe ihr, das Gleichgewicht wiederzufinden. Der Inhalt ihrer Handtasche verteilt sich vor ihren Füßen, und ich gebe mich als der Gentleman, für den sie mich schon bald halten wird.

„Verzeihung“, sage ich automatisch und sammle ein paar von ihren Sachen ein. Sie geht wie geplant ebenfalls in die Hocke, wobei sie mehr Zeit dafür aufwendet, ihren engen Rock zurechtzuzupfen, als ihr Eigentum einzusammeln. Nebenbei registriere ich den dünnen Stoff, der sich über ihren ansprechenden Brüsten spannt.

„Schon gut“, sprudelt es aus ihr heraus, während der Security-Mann zu uns tritt und sich mit knackenden Gelenken auf den Boden begibt, um Dankbarkeit von der dunkelhaarigen Schönheit einzuheimsen.

Verdammt, besser hätte ich es nicht einfädeln können. Ich ziehe meine Waffe hinter dem Rücken, schaue mich rasch um und lasse sie mit genau dem richtigen Schwung und der nötigen Präzision über den Marmorfußboden am Durchleuchtungsgerät vorbeischlittern. Sie bleibt auf der anderen Seite direkt unter dem Gepäckscanner liegen.

„Hier.“ Ich gebe der Lady ihre Tasche und helfe dem alten Mann auf die Beine, bevor der sich noch was bricht. „Alles klar?“

„Alles bestens!“ Er lacht schwer atmend, während er meine Hand abschüttelt.

Ich grinse innerlich. Dann lächle ich wirklich. Der Kerl sieht mich als Konkurrenz. Dieser übergewichtige alte Mann, mindestens Mitte siebzig, betrachtet mich, den fünfunddreißigjährigen, durchtrainierten und renommierten Bodyguard, als Konkurrenz. Sein Stolz ist rührend.

„Nach Ihnen.“ Mit einer ausladenden Armbewegung bedeute ich der Frau voranzugehen, nachdem der Security-Mann wieder seinen Posten bezogen hat.

Ihr Lächeln. Ich schwöre, wenn ich ein charmanterer Typ und es früher am Tag wäre, hätte ich ihr unverblümtes Angebot angenommen. Stattdessen schiebe ich die Hände in die Hosentaschen, während sie zum Gepäckscanner geht, wobei sie verführerisch und frech mit ihrem üppigen Hintern wackelt.

Ich lache leise und genieße die Show, solange sie dauert. Beim Durchleuchtungsgerät nehme ich Handy, Schlüssel und Brieftasche aus meinen Taschen und lege alles ordentlich auf ein Tablett auf dem Gepäckscanner. Dann gehe ich ganz entspannt nach ihr durch den Körperscanner. Der alte Knabe sieht mich kaum an. Wahrscheinlich hätte der nicht einmal den Warnton mitbekommen, wenn ich Alarm ausgelöst hätte. Er ist viel zu gebannt von diesem wohlgerundeten Hintern, der sich jetzt auf den Fahrstuhl zubewegt.

„Alles klar“, murmelt er nur und sieht mich kurz an, ehe er zu seinem Stuhl zurückkehrt und sich grunzend darauf niederlässt.

Alles klar? Er hat keine Ahnung. Ich sammle meine Sachen wieder ein und bücke mich, um mir den Schuh zuzubinden. Dabei hebe ich die Waffe auf und stecke sie ein. Dann gehe ich zum Fahrstuhl und geselle mich zu der Schönen. Ich verschränke die Hände hinter dem Rücken und schaue hoch zur Stockwerkanzeige.

„Hübsche Krawatte“, bemerkt die Frau und streicht über die Seide, die vor meinem Oberkörper baumelt.

Ich schaffe es nicht, mir ein Lächeln über ihre Dreistigkeit zu verkneifen, und senke den Blick auf ihre Finger, die meine Krawatte liebkosen. „Eine Lady, die weiß, was sie will“, sage ich leise und sehe ihr in die Augen. „Manche Männer finden das attraktiv.“

Sie beißt sich auf die Unterlippe und streckt diskret die Brust heraus, wobei sie meine Krawatte loslässt. „Tatsächlich?“

Ihre gespielte Unschuld amüsiert mich. „Offensichtlich.“ Die Türen des Fahrstuhls zur Linken öffnen sich, und ich betrete vor ihr die Kabine. Es gibt keinen Grund mehr, den Gentleman zu spielen. Sie hat ihren Zweck erfüllt. Ich drehe mich um und drücke den Knopf für das fünfzigste Stockwerk. „Schade, dass ich nicht zu denen gehöre. War mir aber ein Vergnügen.“ Ich zwinkere ihr zu und sehe noch ihr verblüfftes Gesicht, ehe die Türen sich schließen. Jetzt bin ich in den Augen einer weiteren Frau, die mir begegnet ist, ein verdammter Mistkerl. Das zieht sich durch mein ganzes Leben. Zumindest durch die vergangenen vier Jahre.

Ich werde zügig in die oberste Etage des Logan Tower gebracht und betrete einen kleinen, völlig in Weiß gehaltenen Raum, in dem mir sofort kalt wird. Weißer Marmorfußboden, weiße Wände, an denen ebenso kalte abstrakte Gemälde hängen. Ein riesiger weißer Empfangstresen.

„Sir.“

Eine hohe entzückte Stimme lenkt meine Aufmerksamkeit auf die Frau hinter diesem Tresen.

„Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Ich habe einen Termin um drei bei Mr. Logan.“ Ich schaue mich um und entdecke mehrere Kameras. Jede Wette, dass er mich in diesem Moment beobachtet. Ich straffe die Schultern und lege die Hände hinter dem Rücken zusammen, während ich den Blick auf die Rezeptionistin richte.

Sie nimmt Haltung an und hebt den Telefonhörer ans Ohr. „Mr. Logan, hier bei mir steht ein Mr. …“ Ihre Worte laufen ins Leere, denn sie erkennt ihren Fehler. Sie wirkt gedemütigt, es wird noch schlimmer, als eine donnernde Stimme aus dem Telefonhörer zu vernehmen ist. Sie krümmt sich sichtlich und hält den Lautsprecher zu. „Ich habe Ihren Namen nicht verstanden.“

„Das liegt daran, dass ich ihn nicht genannt habe.“ Dabei belasse ich es und beobachte, wie sie auf der Stelle stirbt.

„Ihr Name?“

Ich zeige auf ihren Computer. „Hat das Ding da Ihnen den nicht verraten?“

„Sie sind nicht im System.“

Allmählich verliert sie die Geduld. Ich dagegen bin schon wieder amüsiert, zum – wievielten? – zweiten Mal heute.

„Jake Sharp.“ Ich erlöse sie, und sie nimmt rasch die Hand von der Sprechmuschel. Ihr ist die Erleichterung deutlich anzusehen.

„Mr. Sharp, Sir. Jake Sharp.“ Sie zuckt zusammen und lässt prompt den Hörer fallen.

Logans Ruf eilt ihm voraus, wie es scheint. Ich hätte ja Mitleid mit ihr … wenn ich der mitfühlende Typ wäre. Bin ich aber nicht.

Sie erwischt den Hörer wieder. „Ja, Sir!“ Sie knallt ihn auf die Gabel, setzt sich in ihren Bürosessel und schließt die Augen. „Letzte Tür links.“ Sie zeigt in den Flur.

Ich werfe im Vorbeigehen einen Blick auf die vereinzelt an den Wänden hängenden Leinwände und kann nur die Nase rümpfen über den schlechten Geschmack des berüchtigten Geschäftsmannes. Die Bilder wirken alle, als wären sie völlig planlos mit verschiedenen Farben traktiert und besprenkelt worden. Kunstliebhaber wären sicher entsetzt von meiner Meinung, aber ich spreche nun mal aus, was ich sehe. Und ich sehe ein Durcheinander.

Ich hebe die Faust, um an die solide Mahagonitür zu klopfen, und höre ein knappes „Herein!“ Ich lasse die Hand wieder sinken, werfe einen Blick über die Schulter und registriere die Kamera an der Wand gegenüber der Bürotür.

„Wie Big fucking Brother“, murmele ich und trete ein. Ich weiß nicht, ob ich beleidigt oder beeindruckt davon sein soll, ihn von zwei Gorillas flankiert vorzufinden.

„Tag auch“, sage ich freundlich und mustere die riesigen Kerle, die mich wachsam im Auge behalten.

Logan deutet auf einen Sessel vor seinem Schreibtisch. „Setzen Sie sich, Sharp.“

Ich schließe absichtlich leise die Tür und gehe lässig zum Sessel, damit seine Gorillas annehmen, alles sei in Ordnung. Ich bin auf Mr. Logan konzentriert, präge mir jedoch gleichzeitig jedes Detail seines Büros ein.

Ich öffne mein Jackett, ziehe die Hosenbeine ein wenig hoch und nehme ruhig Platz. Die Gorillas würdige ich keines Blickes, sonst würden sie glauben, ich fühlte mich durch sie bedroht. Tue ich nicht. Das sind nur Muskelpakete ohne Verstand. Bestimmt kann keiner von denen einen Sprint länger als fünf Sekunden durchhalten.

„Sehr erfreut“, lüge ich und lehne mich zurück. Ich spüre die Feindseligkeit der beiden Schläger körperlich. Die mögen mich nicht. Gut. Ich bin auch nicht hier, um gemocht zu werden.

„Ihr Ruf ist beeindruckend.“ Logan nimmt eine Mappe und blättert darin.

Er will mich glauben machen, dass er da einen ganzen Haufen Informationen über mich hat. Es ist mir peinlich für ihn. In der Mappe steht nichts über mich, doch es wäre dumm, diesen Idioten darauf hinzuweisen, dass ich das weiß. Dafür bezahlt er mich zu gut.

Spiel sein Spiel, Jake.

„Ich versage nie.“ Es hat wenig Sinn, bescheiden zu sein. Mein Ruf ist tatsächlich ziemlich beeindruckend, jeder, der in der Securitybranche sein Geld wert ist, weiß das. Aber das ist nur eins von den wenigen Dingen, die über mich bekannt sind. Alles andere ist geheim.

Er legt die nutzlose Akte beiseite und erhebt sich aus seinem Sessel. Die Fotos von ihm werden ihm nicht gerecht. In Wirklichkeit ist er noch hässlicher. Camille Logan hat ihr Aussehen von ihrer Mutter, Logans zweiter Frau, von der er inzwischen getrennt lebt. Das habe ich bei meiner Recherche schnell erkannt. Camilles Mutter sieht fantastisch aus und ist wahrscheinlich zwanzig Jahre jünger als Logan. Ehefrau Nummer eins, lediglich zehn Jahre jünger als er und die Mutter seines Sohnes – Camilles Halbbruder TJ –, hat er für Camilles Mutter fallen lassen. Sie ist in ihre Heimat Russland zurückgekehrt, nachdem sie bei einem hässlichen Streit vor Gericht das Sorgerecht für TJ verloren hat. Ihren Sohn ließ sie bei seinem skrupellosen Vater zurück.

Über TJ habe ich natürlich auch recherchiert. Im Gegensatz zu Camille hatte er das Pech, das Aussehen seines Vaters zu erben, statt das seiner schönen russischen Mutter.

Trevor Logan, der in diesem Monat sechzig wird, ist bei Ehefrau Nummer drei angelangt, der Frau, für die er Camilles Mutter verlassen hat. Die ist jünger als Camille und TJ.

„Sie haben die Anzahlung erhalten?“, erkundigt Logan sich, geht ans Fenster und kehrt mir den Rücken zu.

„Ja“, antworte ich einfach und verzichte darauf, mich bei ihm zu bedanken. Wir müssen eine ausgeglichene Arbeitsbasis schaffen, eine Dankbarkeitsbekundung meinerseits passt nicht dazu. „Wann soll ich anfangen?“

„Sofort.“ Er dreht sich um und gibt einem seiner Männer ein Zeichen, der daraufhin eine Akte von Logans Schreibtisch nimmt und sie mir reicht. „Alles, was Sie über Camille wissen müssen, steht da drin.“

Drohend über mir aufragend, hält Gorilla Nummer eins mir die Mappe hin. Jeder normale Mann wäre aufgestanden, sodass der andere nicht auf diese Weise auf ihn herabblicken kann. Ich bin kein normaler Mann. Ich greife nach der Akte und erwarte, dass er sie loslässt. Aber das scheint er nicht zu wollen. Er will, dass ich daran ziehe, damit ich seinen Widerwillen spüre. Ich sehe ihm in die Augen, tue ihm jedoch nicht den Gefallen, sondern halte die Akte und warte einfach. Ich gebe nicht nach, und es sieht nicht danach aus, als würde er nachgeben. Das könnte eine ganze Weile dauern.

„Grant!“, bellt Logan, dem die Feindseligkeit offenbar nicht entgeht. „Gib ihm die verdammte Akte!“

Grant lässt wie eine verängstigte Katze sofort los und überlässt mir die Mappe. Ich koste den Triumph nicht aus, denn damit würde ich mich auf das Niveau dieser beiden Idioten herabbegeben. Ich lege die Akte auf meinen Schoß und blätterte sie kurz durch.

„Meine Tochter ist mir sehr kostbar“, sagt Logan.

Ich sehe ihn nicht an – nicht weil ich die Informationen vor mir verarbeite, sondern weil Logan eine Menge Fotos seiner Tochter beigefügt hat, von ihr als Baby bis heute. Keines dieser Bilder war im Internet zu sehen gewesen. Sie sah schon immer toll aus. Ich bleibe bei einem Foto hängen, auf dem sie einen Club verlässt. Es datiert vom Oktober 2015, und sie sieht völlig erledigt aus. Der Ex. Dies ist ein Paparazzo-Foto. Wie viel hat Logan bezahlt, um es aus der Presse herauszuhalten? Es war jedenfalls verschwendetes Geld. Es gibt reichlich von diesen Bildern im Internet, alle zeigen seine kaputt aussehende Tochter in der Gesellschaft ihres süchtigen Exfreundes. Ich verziehe das Gesicht, klappe die Akte zu und schenke Logan meine Aufmerksamkeit.

„Wofür genau engagieren Sie mich?“ Ich weiß, wieso ich hier bin, aber der Grund wurde nur grob angedeutet. Ich muss mehr erfahren.

„Um meine Tochter zu beschützen.“

„Wovor muss sie beschützt werden, Mr. Logan? Gab es eine Bedrohung?“

„Ihre Dienste sind eine Vorsichtsmaßnahme.“

Vorsichtsmaßnahme? Ich glaube ihm nicht. Ich bin eine sehr teure Vorsichtsmaßnahme. „Sie müssen mir schon ein bisschen mehr verraten als das.“ Ich werfe die Akte zurück auf seinen Schreibtisch, wobei ich seinen geschockten Gesichtsausdruck ignoriere. Ich vermute, nicht viele Leute sagen diesem Mann, wie etwas zu laufen hat.

„Ich habe Sie als privaten Bewacher engagiert. Ihr Job ist es, meine Tochter zu beschützen.“

„Wovor, Mr. Logan?“ Ich bin genervt und Frustration meldet sich, was nicht oft passiert. Der Kerl ist ein Arsch. „Je mehr Informationen ich habe, umso besser kann ich meinen Job machen.“

Er stößt hörbar die Luft aus und gibt einem der Riesen neben seinem Schreibtisch ein Zeichen. „Zeig es ihm.“

Ich beobachte, wie einer der Männer einen weißen Umschlag vom Schreibtisch nimmt und ihn mir gibt, diesmal ohne Widerstand. Der Bursche lernt schnell. Ich nehme den Umschlag, ziehe das gefaltete Blatt Papier heraus und finde ein Foto von Camille. Unter ihrem Gesicht stehen folgende Großbuchstaben: T. O. T.

Knapp und prägnant.

„Das kam gestern per Kurier“, erklärt Logan. „Wahrscheinlich handelt es sich bloß um irgendeinen Idioten, der geschäftlich den Kürzeren gezogen hat. Drohungen gehören zu meinem Beruf. Ich bringe viele Leute gegen mich auf.“ Er zeigt auf seinen Security-Mann. „Nur gab es bisher noch nie eine Drohung gegen meine Tochter. Wie ich bereits erwähnte, sind Sie nur eine Vorsichtsmaßnahme. Sie sind der Beste.“

Ich nicke skeptisch und streiche nachdenklich mit dem Daumen über das Papier. „Gestern, sagen Sie?“, frage ich beiläufig und lege das Blatt zur Akte auf den Schreibtisch. Es ist frisch und sauber, es kann nicht durch viele Hände gegangen sein. Es weist keine Falten, Eselsohren oder Knicke auf. Es ist wie neu. Man sollte meinen, wenigstens an irgendeiner Stelle müsste etwas sein, vielleicht nur eine leicht umgebogene Ecke, schließlich steckte es in einem Umschlag, wurde zugestellt und herausgenommen. Wie viele Leute mussten es berührt haben auf seiner Reise in den fünfzigsten Stock? Und keine Spuren?

„Ja, gestern.“

Ich bleibe cool. „Der Name des Kuriers?“

Er winkt ab. „Wir haben etliche Kuriere, die hier ein und aus gehen. Darüber führen wir nicht Protokoll. Die kommen, irgendwer unterschreibt, dann wird die Sendung in das richtige Stockwerk geschickt.“

Ich nehme seine Antwort hin. Zumindest gebe ich mir den Anschein. „Keine Geldforderung?“

„Nein.“

„Keine sonstigen Forderungen?“

„Nichts.“

„Dann will man Ihnen nur Angst einjagen?“

„Die meisten Leute wollen mir Angst machen, Mr. Sharp.“

„Ich würde lieber Ihr Geld nehmen.“ Ich zucke mit den Schultern und werde immer skeptischer. Irgendwas stimmt hier ganz und gar nicht.

„Jeder hat seine eigene Motivation.“

Er sieht mich auf eine Weise an, die mir gar nicht gefällt.

„Ihre dürfte vorläufig das hübsche Honorar sein, das ich Ihnen zahle.“

Ich zwinge mich, nicht die Augen zusammenzukneifen, und lächle stattdessen. Logan muss meine Motivation nicht kennen. „Ich werde der Sache nachgehen. Sie wollen sicher wissen, wer für diese Drohungen gegen Ihre Tochter verantwortlich ist.“ Ich bringe das Gespräch zurück zum Grund für meinen Besuch hier.

„Selbstverständlich.“

Logans Gesicht verrät seinen Kummer, was mich ein wenig aus dem Konzept bringt. Er sieht ehrlich beunruhigt aus. Allerdings könnte er ebenso gut gerade dabei sein, den Tod desjenigen zu planen, der seine Tochter bedroht.

„Ich habe Ihrer Kollegin Zugang zu meinen E-Mails und Unterlagen gewährt.“

„Gut.“ Ich nehme mir vor, Lucinda bei der nächsten Gelegenheit anzurufen, und schnappe mir Camilles Akte vom Schreibtisch, um erneut darin zu blättern. „Da steht nichts von einer Beziehung. Hat sie eine?“

„Im Augenblick nicht.“ Er scheint froh darüber zu sein. „Camille hat kein glückliches Händchen, was die Wahl ihrer Männer angeht. Aber ich beabsichtige, das zu ändern.“

„Ach ja?“

„Mein Freund hat einen Sohn. Es ist an der Zeit, dass Camille heiratet und eine Familie gründet. Und sie wird die richtige Entscheidung treffen. Die Verbindung der beiden Familien wird für uns alle von Vorteil sein.“

„Mit Ausnahme von Camille“, sage ich. Was wird das? Eine arrangierte Ehe aus dem neunzehnten Jahrhundert?

„Mr. Sharp, Sie sind nicht hier, um meine geschäftlichen Entscheidungen zu hinterfragen.“

Er schaut auf seine Uhr, und ich muss mich beherrschen. Seine Tochter nennt er eine „geschäftliche Entscheidung“? Verdammter Dreckskerl!

„Sie müsste übrigens jeden Moment eintreffen. Es wäre besser, Sie sind nicht dabei, wenn ich ihr erzähle, was passiert ist. Sie kann sehr aufbrausend sein.“ Jetzt sieht er mich beinah liebevoll an. „Hat ihren eigenen Kopf. Sie kennen ja die jungen Frauen.“

Nein, genau genommen kenne ich keine jungen Frauen. „Sie haben ihr von alldem noch gar nichts erzählt?“ Ich bin entsetzt und mache kein Geheimnis daraus. „Sie ist irgendwo dort draußen ohne Schutz unterwegs?“

„Ich wollte vorher alles klären.“

Ich bin nicht oft überrascht. Es braucht schon einiges, um mich zu erschüttern, nach allem, was ich erlebt habe. Jetzt bin ich erschüttert. „Das Leben des Mädchens könnte gefährdet sein, und sie weiß das nicht einmal? Sie fährt in diesem auffallenden Mercedes-Cabrio durch die Straßen Londons und Sie gestatten ihr das?“

„Sie ist sehr starrsinnig“, murmelt Logan fast reuevoll. „Ich habe versucht, sie dazu zu bewegen, bei ihrer Mutter zu bleiben, aber davon wollte sie nichts hören. Und ich kann Ihnen schon mal versichern, dass sie ganz und gar nicht glücklich darüber sein wird, Sie als Bewacher zu haben.“

Ich stoße die Luft aus. „Verstecken kann ich mich schlecht“, erwidere ich, während ich mich erhebe. Man kann jemanden nur beschützen, wenn derjenige auch beschützt werden will. Ich dachte, sie wollte beschützt werden.

Nach wie vor verblüfft entferne ich mich von den drei Männern. Ich spüre die Waffe hinter meinem Rücken, und es juckt mich, sie zu ziehen, um Trevor Logan eine Kugel in die Stirn zu jagen – als Strafe dafür, dass er ein narzisstisches Arschloch ist und eine solche Rotzgöre in die Welt gesetzt hat. „Sie haben eine halbe Stunde, dann bin ich weg“, sage ich über die Schulter, als ich die Tür öffne. Den Vorschuss werde ich als Aufwandsentschädigung behalten und dafür, dass ich in die Irre geführt wurde. Ich muss Lucinda veranlassen, mir rasch einen neuen Auftrag zu suchen. Irgendwo auf der Welt. Ist mir egal. Hauptsache, ich habe etwas zu tun.

Während ich über den Flur gehe, ziehe ich mein Handy aus der Tasche und stelle die Stoppuhr ein. „Die Zeit läuft, Logan“, murmele ich.

4. Kapitel

Cami

Logan Tower. Vor diesem Gebäude graut mir, denn wenn ich in Dads Büro zitiert werde, bedeutet das für gewöhnlich, dass mir nicht gefallen wird, was er mir mitzuteilen hat. Was auch immer es sein mag, ich werde es als Einmischung empfinden. Dad hingegen wird es als geschäftliche Angelegenheit betrachten. Deshalb bin ich in seinem Hauptquartier. An seinem Arbeitsplatz. Dem Ort, an dem er seine Geschäfte tätigt. Wäre es in dem Anruf heute Morgen darum gegangen, dass Vater und Tochter Zeit miteinander verbringen, befände ich mich jetzt auf seinem weitläufigen Anwesen vor der Stadt. Dort würde ich die Zähne zusammenbeißen, um seine herrische aktuelle Ehefrau Chloe zu ertragen und mir anzuhören, welche Männer seiner Ansicht nach am besten zu mir passen und gleichzeitig seinen Ansprüchen genügen. Seinen, nicht meinen. Was bedeutet, sie sind reich, aber leider auch unendlich langweilig, weil ihnen außerhalb des Berufs jede Persönlichkeit fehlt.

Ich hasse es, dass ich jedes Mal aufs Neue Mut aufbringen muss, wenn ich hier bin. Ich werde mich nie seinen unzumutbaren Forderungen beugen, egal, wie sie lauten mögen. Zum Beispiel sein Versuch, mich dazu zu zwingen, Jura zu studieren statt Mode. Oder als ich mich an der University of London einschreiben sollte, aber das London College wählte. Oder sein Versuch, mich mit einem Geschäftspartner zu verkuppeln, als ich anfing, mit Sebastian auszugehen. Alle seine Ehefrauen passten sich ihm an und stellten keine Fragen, meine Mutter eingeschlossen. Ich werde das nicht tun, und er kann sich dafür nicht von mir scheiden lassen. Er ist mein Dad, und ich liebe ihn, doch er ist auch ein Tyrann.

Ich betrete widerstrebend sein Büro, wo Pete und Grant sich zu beiden Seiten seines Schreibtisches aufgebaut haben. Die sind nicht bloß zum Spaß hier. Mein Vater ist ein rücksichtsloser Geschäftsmann, der auf seinem Weg an die Spitze viele Leute gegen sich aufgebracht hat. Wie damals, als er den neunzigjährigen Vorstandsvorsitzenden einer Seniorenheimkette nach einer feindlichen Übernahme aus dem Unternehmen drängte. Der Mann starb eine Woche später, eine Woche danach wurde eins von Dads Gebäuden in Brand gesteckt. Oder als Dads Rivale und Mitbieter im Kampf um eine Hotelkette wegen sexueller Belästigung einer Mitarbeiterin verhaftet wurde. Das führte dazu, dass der Mann sein Gebot zurückziehen musste. Es hieß, Dad habe die Frau für ihre Anschuldigungen bezahlt. Der Verdacht blieb unbewiesen, ich glaube bis heute, dass mein Vater etwas damit zu tun hatte. Ich trage keine rosarote Brille. Er ist kaltschnäuzig und rücksichtslos.

Ich schenke den beiden Security-Leuten ein gezwungenes Lächeln, was sie gewohnheitsmäßig erwidern, dann richte ich meine Aufmerksamkeit auf meinen Vater, der hinter seinem Schreibtisch sitzend Hof hält.

„Mein Augenstern!“

Für einen Mann mit seinem Umfang ist er erstaunlich schnell auf den Beinen, noch ehe ich den Besuchersessel erreicht habe.

„Lass dich in den Arm nehmen!“

Ich gebe nach, bin jedoch misstrauisch wegen seiner Überschwänglichkeit. Meine Besorgnis nimmt mit jeder Minute zu. „Was ist los?“ Ich mustere Pete und Grant. Beide meiden meinen Blick. Das verheißt nichts Gutes.

„Nichts, Liebes.“

Er hält mich nach der Umarmung an den Oberarmen fest und lächelt liebevoll. Er hat sich wieder die Haare schwarz gefärbt. Ich wünschte, er würde endlich kapitulieren und sich mit dem Silbergrau abfinden. Damit würde er viel vornehmer aussehen und weniger, als versuche er verzweifelt, mit seiner neuen Ehefrau mitzuhalten. Denn das ist ohnehin unmöglich, da er diesmal eine geheiratet hat, die sogar ein Jahr jünger ist als ich.

Ich erschauere bei dem Gedanken an Chloe, Gattin Nummer drei, wegen der er meine Mutter fallen gelassen hat. Sie ist sehr schön, aber leider nicht die Hellste. Die Gute will nur meine Freundin sein. Da steche ich mir lieber Nägel in die Augen.

„Setz dich.“

Er drückt mich buchstäblich in den Sessel hinunter. Meine Besorgnis nimmt zu, weil er nicht seinen üblichen Platz hinter seinem übertrieben großen Schreibtisch einnimmt, wo er thront wie der König im Schloss. Stattdessen zieht er sich einen Sessel heran und setzt sich neben mich, wobei er an seiner goldenen Krawattennadel herumspielt.

„Du siehst heute besonders schön aus.“ Er berührt eine Strähne meines Haars und legt den Kopf nachdenklich schief. „Ich bin so stolz auf dich, Liebes.“

„Ja?“, frage ich vorsichtig. Was läuft hier? Erneut riskiere ich einen Blick auf Grant und Pete. Ihre Mienen verraten nichts.