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Beschreibung

Das »Prinzip Hoffnung« als Lebensmaxime Hoffnung hält uns am und im Leben, weil sie über das Aktuelle hinausweist und Perspektiven und Lichtblicken Raum gibt. Sie aktiviert körperliche und seelische Kraftressourcen, die uns durch schwierige Phasen, durch Zeiten der Skepsis und des Zweifels hindurchtragen. Die Texte aus Philosophie, Literatur und Wissenschaft spannen einen weiten Bogen von der Antike bis in die Gegenwart und bieten Inspirationen für jede Gefühlslage. Sie sind eine Anleitung zur Lebenskunst, laden zu überraschenden Gedankengängen ein und ermutigen uns, die großen Fragen voll Vertrauen und Zuversicht zu stellen: »Wer sind wir? Wo kommen wir her? Wohin gehen wir? Was erwarten wir? Was erwartet uns? Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen.« Ernst Bloch

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Seitenzahl: 240

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Günter Stolzenberger

Mit Bloch geht's doch

Ein philosophisches Lesebuch für Hoffnungsvolle

Herausgegeben von Günter Stolzenberger

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Vorwort

Die Welt ist nicht perfekt. So viel steht fest. Wie gäbe es sonst Tage, an denen man am frühen Morgen bei Sturm und Regen das Bett, und, was noch schlimmer ist, das Haus verlassen muss? Wie gäbe es Nachbarn, die am Samstag pünktlich zum Frühstück ihr nervtötendes Laubgebläse anwerfen, um ein Dutzend Blätter vor sich herzutreiben? Froh kann sein, wer keine anderen Gründe hat zu klagen. Denn es gibt sie jeden Tag: die Sorgen, die Nöte, die Schmerzen und Ängste. Das Leben ist kein Wunschkonzert und irgendwas ist immer. »Mal fehlt uns der Becher, mal fehlt uns der Wein.« Die Welt ist einfach nicht perfekt. Mancherorts ist sie sogar bis heute das Jammertal geblieben, in dem die Menschheit schon vor Tausenden von Jahren saß.

Um hier nicht den Mut zu verlieren, lohnt sich ein Blick in die Geologie. Er lehrt uns, dass jedes noch so tiefe Tal einen Ausgang hat. Ein Blick in die Vergangenheit wiederum lehrt uns, dass in jedem Jammertal eine Geschichte umgeht, die davon erzählt, was hinter diesem Ausgang liegt: das gelobte Land, die beste aller Welten, eine bezahlbare Wohnung mit Südbalkon, das Glück auf Erden – Träume, Phantasien, Utopien, die sich dem Jammern und Klagen entgegenstellen, um an ihrer Stelle ein zartes Pflänzchen aufkeimen zu lassen: die Hoffnung auf ein besseres Leben.

Sie keimt aus dem Mangel und ist am Anfang nicht mehr als ein Bild im Kopf, aber genau so ist der Gang der Dinge: »Alles, was heute ist, wurde gestern geträumt«, war gestern nur ein Wunsch; Abertausende werden jeden Tag in den Himmel geschickt, und nicht alle werden wahr. Manche aber schon. Warum das so ist, ist die Frage, um die es hier geht. Es geht um die hundsgemeine Not. Es geht darum, wunschgemäß zu leben, und vor allem geht es darum, dass der Weg von A nach B noch nie gefunden wurde, ohne zu hoffen. Die Welt ist nicht perfekt? Dann kommt es darauf an, das Hoffen zu lernen.

Wer könnte uns besser zeigen, wie das geht, als Ernst Bloch? Er ist in dieser Disziplin der unangefochtene Meister, denn er hat ein Leben lang dazu geforscht, und es gibt niemanden, der uns beredter und begeisterter seine Ergebnisse überlässt. Bloch ist eine wandelnde Enzyklopädie, eine, die raucht und wettert, manchmal donnerwettert, meistens aber brillante Sätze formuliert, die uns plötzlich verstehen lassen, wie die Dinge zusammenhängen. Dass er uns mit seiner bilderreichen Sprache die Kulturgeschichte erschließt, ist aber nicht alles. Er lässt uns auch teilhaben an einer vielversprechenden Entdeckung: Unsere Geschichte, ja die Geschichte des Lebens insgesamt, verläuft nach einem Prinzip – dem Prinzip Hoffnung!

Es besagt, dass jeglicher Fortschritt mit der Hoffnung auf ein besseres Leben beginnt. Wie das geht, ist kein Geheimnis: Die Hoffnung besteht darauf, dass es das Bessere geben muss, und um das zu beweisen, stellt sie uns mehr oder weniger konkrete Zukunftsentwürfe vor, die einen ganz bestimmten Zweck verfolgen: unsere Aufmerksamkeit von den Notwendigkeiten ab- und zu den Möglichkeiten hinzulenken. Sie liegen noch hinterm Horizont, aber es gibt sie. In ihre Richtung könnte es weitergehen. Eine Perspektive ist entstanden, und das genügt, um unseren Willen zu wecken. Wenn er groß genug ist, um uns zu motivieren, hat die Hoffnung ihr erstes Ziel erreicht, ist aber noch nicht zu Ende.

Sie will, dass wir weiterhoffen. Und das können wir – mithilfe einer ganz simplen Technik. Wir beherrschen sie alle, sie ist kinderleicht. Die Hoffnung beginnt nämlich mit einem Tagtraum. Er entführt uns mal eben für Minuten aus unseren normalen Denkgewohnheiten, um uns in ganz andere Zusammenhänge zu stellen, glücklichere, freiere; sie sind nicht realistisch, aber wir befinden uns ja auch in einem Traum – noch dazu bei wachem Bewusstsein. Da kommt das Beste aus zwei Welten zusammen. Wir haben, um unsere Wünsche zu erfüllen, sozusagen freie Fahrt und können selbst bestimmen, wohin die Reise geht.

Sie geht zum wunschgemäßen Leben. Davon in den Tag zu träumen ist für Bloch keine Flucht vor der Wirklichkeit, sondern ein intelligentes Mittel, um die Welt zu verbessern. Träumer haben einen erheblichen Anteil daran. Sie denken ins Blaue hinein, dorthin, wo sich Kreativität und Phantasie entfalten können; im Handumdrehen bringen sie Dinge hervor, die uns ausgesprochen glücklich machen – so glücklich, dass sie am Ende des Traumes nicht verschwinden. Sie bleiben uns im Hinterkopf erhalten: als Vorstellung einer möglichen Zukunft. Und das war nur ein kleiner Tagtraum.

Wird er konkreter, ausgefeilter, umfangreicher, kann eine Utopie daraus werden, eine große Erzählung von einer zukünftigen Welt, in der alles gut ist oder zumindest besser. Der Kontrast zur Gegenwart ist jedenfalls nicht zu übersehen; die Unterschiede treten deutlich hervor und spätestens hier stellt sich die Frage: Was hindert uns eigentlich daran? Die Antwort bleibt nicht lange aus: Es hindern uns Probleme. Womit wir dann zurück sind in der Wirklichkeit – aus der wir Probleme zur Genüge kennen. Seit der Erfindung des Faustkeils haben wir nichts anderes gemacht, als unsere Intelligenz an der Lösung von Problemen zu entwickeln. Wir wissen, damit umzugehen, beginnen also, sie zu zerlegen, um einen Ansatzpunkt zu finden, wir suchen nach Ursache, Wirkung und Zusammenhang, üben Kraft aus und bringen so die Sache in Bewegung. Manchmal geht das gut. Das Leben wird besser. Ein Traum wird wahr. Wir machen Fortschritte. Was daraus entsteht, nennen wir Kultur.

Für Bloch sind wir bis heute auf diesem Weg, und aus alten Kulturen sind dabei neue entstanden, weil jede wieder neue Träume und neue Hoffnungen hatte, neue Möglichkeiten sah und Mittel fand, sie zu verwirklichen – mit Versuch und Irrtum, mit Forschung und Wissenschaft, mit Technik, Köpfchen und Muskelkraft. Es ist immer wieder eine neue Herausforderung, und wenn wir sie annehmen, hat das nur einen Grund. Weil Menschen Hoffnung haben. Sie ist der eigentliche Motor der Geschichte, das impulsgebende Moment, das alles Weitere vorantreibt.

Die Richtung steht fest: Es geht aufwärts, »denn alles Hoffen geht auf Glückseligkeit«. Schon Kant sah, was Hoffnung für den Fortgang der Weltgeschichte bedeutet: Gerichtet auf das höchste Gut, führt sie uns zum Besseren, hier vor allem im Sinn eines moralisch Besseren verstanden. Bloch geht einen entscheidenden Schritt weiter. Für ihn ist Hoffnung eine Produktivkraft, die es zu nutzen gilt in unserer täglichen Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, die nur einen Grund hat, so zu sein, wie sie ist: damit sie besser werde. Die Gegenwart ist eine Zukunft, die noch nicht ist, aber das Baumaterial zu ihrer Verwirklichung schon enthält. Sogar im Überfluss. Die Erde meint es gut mit uns. Nur wissen wir noch nicht so recht, wie wir es anstellen sollen, mit ihr glücklich zu werden – eine verhältnismäßig junge und unerfahrene Spezies, die wir sind. Da wird es noch viele Versuche und Irrtümer geben. Aber immerhin: Wir irren uns empor. Es besteht Hoffnung.

Und wir können lernen. Wir sind in der Lage, Ideen zu entwickeln, Phantasien und Utopien. Wie sonst kommen wir inmitten einer habsüchtigen und kriegerischen Welt auf Gedanken wie Demokratie, Frieden, Nächstenliebe, Humanismus, Aufklärung, den kategorischen Imperativ? Was veranlasst ein eingefleischtes Raubtier auf zwei Beinen, sich eine Verfassung zu geben, die das Glück des Individuums zum Ziel hat? Für Bloch liegt die Antwort auf der Hand: weil es hofft.

Es hofft auch der Herausgeber dieses Buches, nämlich dass es seinen Leserinnen und Lesern gefallen wird. Es will nicht mehr als ein bisschen Hoffnung verbreiten und versammelt zu diesem Zweck Texte aus den Bereichen Philosophie, Wissenschaft und Literatur von der Antike bis zur unmittelbaren Gegenwart. Ernst Blochs Hauptwerk, ›Das Prinzip Hoffnung‹, setzt den Generalbass, nach dem sie komponiert sind. Entstanden ist daraus keine Symphonie, aber ein spannendes Buch, das hoffen lässt, ja, das uns zeigt, wie einfach es ist, Hoffnung zu haben. Es macht Mut, die Dinge nicht einfach hinzunehmen, beschreibt Möglichkeiten und Ziele und weist Wege, auf denen sie zu erreichen sind. Wer sie ausprobieren will, kann sich auf interessante Begleitung freuen, auf namhafte Leute. Sie sind in der gleichen Richtung unterwegs und haben was zu erzählen. Albert Einstein ist ebenso dabei wie Heraklit und Jürgen Habermas. Aber keine Angst, dies ist keine akademische Veranstaltung. Oscar Wilde, Joachim Ringelnatz, Juli Zeh und viele andere sind auch »ins Gelingen verliebt« und liefern uns gute Gründe, das Leben hoffnungsvoll anzugehen. So darf man immer dann, wenn das Leben mal wieder nicht perfekt ist, getrost darauf vertrauen: Mit Bloch geht’s doch!

Günter Stolzenberger

1DA KANN MAN JA NUR HOFFEN …

Von früh auf will man zu sich.

Aber wir wissen nicht, wer wir sind.

Nur dass keiner ist,

was er sein möchte oder könnte, scheint klar.

Von daher der gemeine Neid, nämlich auf diejenigen,

die zu haben, ja zu sein scheinen, was einem zukommt.

Von daher aber auch die Lust, Neues zu beginnen,

das mit uns selbst anfängt.

Stets wurde versucht, uns gemäß zu leben.

 

Ernst Bloch

Georg Büchner

Es war einmal ein arm Kind

Es war einmal ein arm Kind und hatt’ kein Vater und keine Mutter, war alles tot, und war niemand mehr auf der Welt. Alles tot, und es is hingangen und hat gesucht Tag und Nacht. Und weil auf der Erde niemand mehr war, wollt’s in Himmel gehn, und der Mond guckt es so freundlich an; und wie es endlich zum Mond kam, war’s ein Stück faul Holz. Und da is es zur Sonn gangen, und wie es zur Sonn kam, war’s ein verwelkt Sonneblum. Und wie’s zu den Sternen kam, waren’s kleine goldne Mücken, die waren angesteckt, wie der Neuntöter sie auf die Schlehen steckt. Und wie’s wieder auf die Erde wollt, war die Erde ein umgestürzter Hafen. Und es war ganz allein. Und da hat sich’s hingesetzt und geweint, und da sitzt es noch und is ganz allein.

Gustav Schwab

Wie das Übel in die Welt kam

Himmel und Erde waren geschaffen: das Meer wogte in seinen Ufern, und die Fische spielten darin; in den Lüften sangen beflügelt die Vögel; der Erdboden wimmelte von Tieren. Aber noch fehlte es an dem Geschöpfe, dessen Leib so beschaffen war, daß der Geist in ihm Wohnung machen und von ihm aus die Erdenwelt beherrschen konnte. Da betrat Prometheus die Erde, ein Sprößling des alten Göttergeschlechtes, das Zeus entthront hatte, ein Sohn des erdgebornen Uranossohnes Iapetos, kluger Erfindung voll. Dieser wußte wohl, daß im Erdboden der Same des Himmels schlummre; darum nahm er vom Tone, befeuchtete denselben mit dem Wasser des Flusses, knetete ihn und formte daraus ein Gebilde nach dem Ebenbilde der Götter, der Herren der Welt. Diesen seinen Erdenkloß zu beleben, entlehnte er allenthalben von den Tierseelen gute und böse Eigenschaften und schloß sie in die Brust des Menschen ein. Unter den Himmlischen hatte er eine Freundin, Athene, die Göttin der Weisheit. Diese bewunderte die Schöpfung des Titanensohnes und blies dem halbbeseelten Bilde den Geist, den göttlichen Atem ein.

So entstanden die ersten Menschen und füllten bald vervielfältigt die Erde. Lange aber wußten diese nicht, wie sie sich ihrer edlen Glieder und des empfangenen Götterfunkens bedienen sollten. Sehend sahen sie umsonst, hörten hörend nicht; wie Traumgestalten liefen sie umher und wußten sich der Schöpfung nicht zu bedienen. Unbekannt war ihnen die Kunst, Steine auszugraben und zu behauen, aus Lehm Ziegel zu brennen, Balken aus dem gefällten Holze des Waldes zu zimmern und mit allem diesem sich Häuser zu erbauen. Unter der Erde, in sonnenlosen Höhlen, wimmelte es von ihnen, wie von beweglichen Ameisen; nicht den Winter, nicht den blütenvollen Frühling, nicht den früchtereichen Sommer kannten sie an sicheren Zeichen; planlos war alles, was sie verrichteten.

Da nahm sich Prometheus seiner Geschöpfe an; er lehrte sie den Auf- und Niedergang der Gestirne beobachten, erfand ihnen die Kunst zu zählen, die Buchstabenschrift; lehrte sie Tiere ans Joch spannen und zu Genossen ihrer Arbeit brauchen, gewöhnte die Rosse an Zügel und Wagen; erfand Nachen und Segel für die Schiffahrt. Auch fürs übrige Leben sorgte er den Menschen. Früher, wenn einer krank wurde, wußte er kein Mittel, nicht was von Speise und Trank ihm zuträglich sei, kannte kein Salböl zur Linderung seiner Schäden; sondern aus Mangel an Arzneien starben sie elendiglich dahin. Darum zeigte ihnen Prometheus die Mischung milder Heilmittel, allerlei Krankheiten damit zu vertreiben. Dann lehrte er sie die Wahrsagerkunst, deutete ihnen Vorzeichen und Träume, Vogelflug und Opferschau. Ferner führte er ihren Blick unter die Erde und ließ sie hier das Erz, das Eisen, das Silber und das Gold entdecken; kurz, in alle Bequemlichkeiten und Künste des Lebens leitete er sie ein.

Im Himmel herrschte mit seinen Kindern seit kurzem Zeus, der seinen Vater Kronos entthront und das alte Göttergeschlecht, von welchem auch Prometheus abstammte, gestürzt hatte.

Jetzt wurden die neuen Götter aufmerksam auf das eben entstandene Menschenvolk. Sie verlangten Verehrung von ihm für den Schutz, welchen sie demselben angedeihen zu lassen bereitwillig waren.

Zu Mekone in Griechenland ward ein Tag gehalten zwischen Sterblichen und Unsterblichen, und Rechte und Pflichten der Menschen bestimmt. Bei dieser Versammlung erschien Prometheus als Anwalt seiner Menschen, dafür zu sorgen, daß die Götter für die übernommenen Schutzämter den Sterblichen nicht allzu lästige Gebühren auferlegen möchten. Da verführte den Titanensohn seine Klugheit, die Götter zu betrügen. Er schlachtete im Namen seiner Geschöpfe einen großen Stier, davon sollten die Himmlischen wählen, was sie für sich davon verlangten. Er hatte aber nach Zerstückelung des Opfertieres zwei Haufen gemacht; auf die eine Seite legte er das Fleisch, das Eingeweide und den Speck, in die Haut des Stieres zusammengefaßt, und den Magen oben darauf, auf die andere die kahlen Knochen, künstlich in das Unschlitt des Schlachtopfers eingehüllt. Und dieser Haufen war der größere. Zeus, der Göttervater, der allwissende, durchschaute seinen Betrug und sprach: »Sohn des Iapetos, erlauchter König, guter Freund, wie ungleich hast du die Teile geteilt!« Prometheus glaubte jetzt erst recht, daß er ihn betrogen, lächelte bei sich selbst und sprach: »Erlauchter Zeus, größter der ewigen Götter, wähle den Teil, den dir dein Herz im Busen anrät zu wählen.« Zeus ergrimmte im Herzen, aber geflissentlich faßte er mit beiden Händen das weiße Unschlitt. Als er es nun auseinandergedrückt und die bloßen Knochen gewahrte, stellte er sich an, als entdeckte er jetzt eben erst den Betrug, und zornig sprach er: »Ich sehe wohl, Freund Iapetionide, daß du die Kunst des Truges noch nicht verlernt hast!«

Zeus beschloß, sich an Prometheus für seinen Betrug zu rächen, und versagte den Sterblichen die letzte Gabe, die sie zur vollendeteren Gesittung bedurften, das Feuer. Doch auch dafür wußte der schlaue Sohn des Iapetos Rat. Er nahm den langen Stengel des markigen Riesenfenchels, näherte sich mit ihm dem vorüberfahrenden Sonnenwagen und setzte so den Stengel in glostenden Brand. Mit diesem Feuerzunder kam er hernieder auf die Erde, und bald loderte der erste Holzstoß gen Himmel. In innerster Seele schmerzte es den Donnerer, als er den fernhinleuchtenden Glanz des Feuers unter den Menschen emporsteigen sah.

Sofort formte er, da des Feuers Gebrauch den Sterblichen nicht mehr zu nehmen war, ein neues Übel für sie. Der seiner Kunst wegen berühmte Feuergott Hephaistos mußte ihm das Scheinbild einer schönen Jungfrau fertigen; Athene selbst, die, auf Prometheus eifersüchtig, ihm abhold geworden war, warf dem Bild ein weißes, schimmerndes Gewand über, ließ ihr einen Schleier über das Gesicht wallen, den das Mädchen mit den Händen geteilt hielt, bekränzte ihr Haupt mit frischen Blumen und umschlang es mit einer goldenen Binde, die gleichfalls Hephaistos seinem Vater zulieb kunstreich verfertigt und mit bunten Tiergestalten herrlich verziert hatte. Hermes, der Götterbote, mußte dem holden Gebilde Sprache verleihen und Aphrodite allen Liebreiz.

Also hatte Zeus unter der Gestalt eines Gutes ein blendendes Übel geschaffen; er nannte das Mägdlein Pandora, das heißt die Allbeschenkte, denn jeder der Unsterblichen hatte ihr irgendein unheilbringendes Geschenk für die Menschen mitgegeben. Darauf führte er die Jungfrau hernieder auf die Erde, wo Sterbliche vermischt mit den Göttern lustwandelten. Alle miteinander bewunderten die unvergleichliche Gestalt. Sie aber schritt zu Epimetheus, dem argloseren Bruder des Prometheus, ihm das Geschenk des Zeus zu bringen. Vergebens hatte diesen der Bruder gewarnt, niemals ein Geschenk vom olympischen Herrscher anzunehmen, damit dem Menschen kein Leid dadurch widerführe, sondern es sofort zurückzusenden. Epimetheus, dieses Wortes uneingedenk, nahm die schöne Jungfrau mit Freuden auf und empfand das Übel erst, als er es hatte. Denn bisher lebten die Geschlechter der Menschen, von seinem Bruder beraten, frei vom Übel, ohne beschwerliche Arbeit, ohne quälende Krankheit. Das Weib aber trug in den Händen ihr Geschenk, ein großes Gefäß mit einem Deckel versehen.

Kaum bei Epimetheus angekommen, schlug sie den Deckel zurück, und alsbald entflog dem Gefäße eine Schar von Übeln und verbreitete sich mit Blitzesschnelle über die Erde. Ein einziges Gut war zuunterst in dem Fasse verborgen, die Hoffnung; aber auf den Rat des Göttervaters warf Pandora den Deckel wieder zu, ehe sie herausflattern konnte, und verschloß sie für immer in dem Gefäß. Das Elend füllte inzwischen in allen Gestalten Erde, Luft und Meer.

Moses

Der Sündenfall

Und die Schlange war listiger denn alle Tiere auf dem Felde, die Gott der HERR gemacht hatte, und sprach zu dem Weibe: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von den Früchten der Bäume im Garten?

 

Da sprach das Weib zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten;

 

aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Eßt nicht davon, rührt’s auch nicht an, daß ihr nicht sterbt.

 

Da sprach die Schlange zum Weibe: Ihr werdet mitnichten des Todes sterben;

 

sondern Gott weiß, daß, welches Tages ihr davon eßt, so werden eure Augen aufgetan, und werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.

 

Und das Weib schaute an, daß von dem Baum gut zu essen wäre und daß er lieblich anzusehen und ein lustiger Baum wäre, weil er klug machte; und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann auch davon, und er aß.

 

Da wurden ihrer beiden Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, daß sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schürze.

 

Und sie hörten die Stimme Gottes des HERRN, der im Garten ging, da der Tag kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit seinem Weibe vor dem Angesicht Gottes des HERRN unter die Bäume im Garten.

 

Und Gott der HERR rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du?

 

Und er sprach: Ich hörte deine Stimme im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich.

 

Und er sprach: Wer hat dir’s gesagt, daß du nackt bist? Hast du nicht gegessen von dem Baum, davon ich dir gebot, du solltest nicht davon essen?

 

Da sprach Adam: Das Weib, das du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum, und ich aß.

 

Da sprach Gott der HERR zum Weibe: Warum hast du das getan? Das Weib sprach: Die Schlange betrog mich also, daß ich aß.

 

Da sprach Gott der HERR zu der Schlange: Weil du solches getan hast, seist du verflucht vor allem Vieh und vor allen Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du gehen und Erde essen dein Leben lang.

 

Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe und zwischen deinem Samen und ihrem Samen. Derselbe soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.

 

Und zum Weibe sprach er: Ich will dir viel Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst; du sollst mit Schmerzen Kinder gebären; und dein Verlangen soll nach deinem Manne sein, und er soll dein Herr sein.

 

Und zu Adam sprach er: Dieweil du hast gehorcht der Stimme deines Weibes und hast gegessen von dem Baum, davon ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen, verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer sollst du dich darauf nähren dein Leben lang.

 

Dornen und Disteln soll er dir tragen, und sollst das Kraut auf dem Felde essen.

 

Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis daß du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.

 

Und Adam hieß sein Weib Eva, darum daß sie eine Mutter ist aller Lebendigen.

 

Und Gott der HERR machte Adam und seinem Weibe Röcke von Fellen und kleidete sie.

 

Und Gott der HERR sprach: Siehe, Adam ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, daß er nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich!

 

Da wies ihn Gott der HERR aus dem Garten Eden, daß er das Feld baute, davon er genommen ist,

 

und trieb Adam aus und lagerte vor den Garten Eden die Cherubim mit dem bloßen, hauenden Schwert, zu bewahren den Weg zu dem Baum des Lebens.

Juli Zeh

Schweißausbruch im Home Office

Als ES vor knapp zwei Jahren zum ersten Mal auftrat, dachte er, es sei eine Magenverstimmung oder ein Infekt. Er erinnert sich genau an den Tag. Der 2. Februar 2016. Bibbi war drei Monate alt und brüllte viel, vor allem nachts. Jonas hatte gerade beschlossen, nicht mehr in den Kindergarten zu gehen, und veranstaltete jeden Morgen ein schreckliches Theater. Auf der Arbeit kämpfte Henning mit dem Autor eines Projekts, das nicht fertig wurde, obwohl es im Verlagsprogramm bereits angekündigt war. Theresa war in Elternzeit und schlecht drauf, weil das Stillen sie stresste.

Als am Nachmittag ein paar Minuten Ruhe eintraten – Bibbi war endlich eingeschlafen, Theresa mit Jonas zum Schwimmen gefahren –, lag Henning auf der Couch im Wohnzimmer, genoss jede einzelne Sekunde, in der niemand jammerte oder schrie, und litt gleichzeitig an dem Wissen, jeden Augenblick wieder gestört werden zu können. Er musste sich entspannen, dringend, wenigstens für eine halbe Stunde, am besten kurz einschlafen, denn alles in ihm schrie: Ich kann nicht mehr.

Aber je mehr er versuchte, zur Ruhe zu kommen, desto schneller schlug sein Herz. In der Magengrube kribbelte es, als stünde etwas Aufregendes bevor, ein öffentlicher Auftritt, ein schwieriges Autorengespräch oder eine Flugreise. Als es in seinen Eingeweiden zu rumoren begann, dachte Henning, er würde krank. Er dachte: Kein Wunder, und: Das hat gerade noch gefehlt. Irgendein Scheißinfekt aus dem Scheißkindergarten. Er musste sofort aufs Klo. Er lief ins Badezimmer, voller Hass auf sich selbst, weil sein Immunsystem versagte, weil er den Belastungen nicht standhielt, weil er es nicht schaffte, ausreichend für Theresa und die Kinder zu sorgen. Er stellte sich vor, wie die Magen-Darm-Grippe ihn niederwerfen würde. Wie er im Bett lag, während Theresa alles alleine machte und immer wütender wurde. Wie Jonas und Bibbi unentwegt nörgelten und schrien. Wie sich schließlich die ganze Familie bei ihm ansteckte und niemand mehr übrig wäre, der Kotze wegwischen, Betten beziehen und zur Apotheke fahren könnte.

Von der Toilette kehrte er zurück auf die Couch. Eigentlich wollte er sich einen Tee machen, fühlte sich aber zu schwach. Er legte sich hin, da begann es in seinen Ohren zu fiepen. Tinnitus, dachte er, dieses Geräusch bleibt für immer, und bei diesem Gedanken durchfuhr ihn die erste Welle kalter Angst. Seine Arme begannen zu kribbeln, an manchen Stellen schmerzte die Haut, als käme er aus großer Kälte ins Warme herein. Sein Mund war ausgetrocknet, die Kehle so eng, dass er kaum schlucken konnte. Er glaubte, keine Luft mehr zu bekommen, sprang auf, öffnete ein Fenster.

Dann begann das Stolpern. Sein Herz schlug wie rasend, setzte plötzlich aus, machte ein paar Hüpfer und nahm das gehetzte Tempo wieder auf. Bis es erneut aussetzte.

Henning wusste nicht, was mit ihm geschah. Er wusste nur, dass es aufhören musste, sofort, weil er es nicht ertrug. Er rannte Kreise durchs Wohnzimmer, zog sich an den Haaren, schlug mit der flachen Hand gegen den Kopf. Irgendwann fand sein Herz zum normalen Takt. Er bekam wieder Luft. Bibbi begann zu schreien. Dankbar für die Ablenkung holte er das Baby, trug es durch die Wohnung und machte »Sch-sch«, wobei er sich vor allem selbst beruhigte.

Henning erzählte Theresa nichts von dem Anfall. Er suchte einen Kardiologen auf. Der machte ein EKG und Ultraschall und befand, dass alles in Ordnung sei. Herzrhythmusstörungen träten bei vielen Menschen gelegentlich auf, die meisten merkten es nicht einmal. Die Ursachen seien vielfältig, Veranlagung, Stress, Verdauungsbeschwerden. Solange sich bei den Untersuchungen nichts zeige, bestehe kein Anlass zur Beunruhigung. Henning solle nach Hause gehen und sich des Lebens freuen. Und vielleicht etwas gegen den Stress tun.

Für Henning war das die schlimmstmögliche Diagnose. Wenn er nicht krank war, gab es auch nichts, das man heilen konnte.

Seitdem besucht ihn ES, wann immer es will. Es beginnt mit einem Brennen im Zwerchfell, wie eine Mischung aus Lampenfieber und Flugangst. Sein Herz fängt an zu rasen, dann zu stolpern. Hennings Körper und Geist geraten außer Kontrolle. Manchmal weckt ES ihn mitten in der Nacht. Er fährt dann aus dem Schlaf und bekommt keine Luft, muss sofort auf die Toilette, will schreien oder den Kopf an die Wand schlagen und unterlässt es, um niemanden zu wecken. Er rennt stattdessen durch den Flur, durchs Wohnzimmer, durch die Küche, bis sich sein Herz beruhigt, bis ES den Griff lockert und Henning eine halbe Stunde der Erleichterung schenkt, das armselige Glück, ein weiteres Mal überlebt zu haben.

Zwischen den Anfällen quält ihn die Angst vor den Anfällen. Sie macht es schwierig, irgendetwas anderes richtig wahrzunehmen. Für Henning ist das Leben zu einer Aneinanderreihung von inneren Zuständen geworden, schlechten, sehr schlechten und halbwegs guten. Schönes Wetter und berufliche Erfolge betreffen ihn nicht mehr. Alles Kulisse. Manchmal schaut er Theresa oder die Kinder an und weiß, dass er sie liebt, ohne irgendetwas zu empfinden. Meistens vergrößern die Kinder seine Angst. Ihre Schwäche, ihre Bedürftigkeit, ihre Forderungen. Die Vorstellung, in einer psychiatrischen Anstalt zu landen und nicht mehr für sie da sein zu können. Am schlimmsten ist, dass er nicht mehr in Ruhe denken kann, wie er es früher getan hat, einfach so vor sich hin, minutenlang, stundenlang, ohne dass von irgendeiner Seite Gefahr drohen würde.

Seltsamerweise merkt man ihm das alles offenbar nicht an. Andere Menschen reden völlig normal mit ihm, schauen ihm ins Gesicht, stellen Fragen, machen Witze, über die er lachen soll. Während er innerlich nur damit beschäftigt ist, das Richtige zu denken, ES nicht zu wecken, die Atmung zu kontrollieren. Trotz allem erlaubt ihm die Angst vor den Anfällen, im Alltag zu funktionieren. Aber sie macht den Alltag zur Hölle. Er ist allein, eingesperrt in seinem persönlichen Fegefeuer.

Im Lauf der Monate wurde klar, dass ES nicht von selbst wieder verschwinden würde. Henning probierte alles. ES zulassen. Nicht gegen ES kämpfen. Autogenes Training. Progressive Muskelrelaxation. Kein Alkohol, keine Kohlenhydrate, kein Saccharin. ES blieb. Schließlich erzählte er Theresa davon. Sie sagte »Burnout« und empfahl, zum Psychologen zu gehen.

Henning will nicht zum Psychologen, schon beim Gedanken an den Kardiologen hebt ES den Kopf. Stattdessen hat er im Internet nachgelesen, Belastungsstörungen, Stresssyndrome, Erschöpfungsdepression. Alles, was er dort über die Ursachen liest, scheint auf ihn zu passen. Aber es passt auch auf jeden anderen, den er kennt, auf Theresa, seine Kollegen, Luna, seine Mutter. Er arbeitete sich durch die einschlägigen Webseiten, Panikattacken, generalisierte Angststörung. Fast alles, was er gelesen hat, erkennt er wieder, es beschreibt genau das, was er durchleidet. Nur dass es partout keinen Sinn ergibt, warum die Symptome ausgerechnet ihn befallen. Das sagt sich Henning immer wieder: Ihm geht es doch gut! Besser als den meisten Menschen auf der Welt. Er hat gar kein Recht auf eine Belastungsstörung. Er führt eine gute Ehe, hat zwei gesunde Kinder, eine schöne Wohnung mit Home Office, keine ernsthaften finanziellen Sorgen. Sie fahren mindestens einmal im Jahr in Urlaub. Er mag sogar seinen Job. Bibbi kommt langsam aus dem Gröbsten heraus, Jonas hat sich an die kleine Schwester gewöhnt, beide gehen in den Kindergarten, sind nicht häufiger krank als andere Kinder. Vielleicht sind sie ein bisschen anstrengender als der Durchschnitt, aber das ist, wie Henning und Theresa fest glauben, eine Folge von hoher Intelligenz.

Für ES gibt es keinen triftigen Grund. ES hat mit Henning nichts zu tun. Außer, dass es ihn bewohnt. Ein Tier, ein Parasit, ein Alien, das demnächst seine Bauchdecke durchstoßen wird. In früheren Zeiten hätte man vielleicht von einem Dämon gesprochen; vielleicht hätte man Henning exorziert.

Das Radfahren tut gut. Als würde die Angst von seinem Bauch in die Beine geleitet und dort verbrannt. Hennings Herz schlägt normal. ES hat sich zurückgezogen, sich wieder schlafen gelegt. Am liebsten würde er für den Rest seines Lebens auf dem Fahrrad bleiben. Im Grunde, denkt er, bin ich in diesem Moment völlig normal. Ein Mann im Urlaub auf einem Rad, im Kampf gegen den Wind, angespornt vom grandiosen Anblick der Landschaft. Urzeitlich, vormenschlich. Eine Neujahrsfahrt durch eine Gegend ohne Vergangenheit.

Giovanni Pico della Mirandola

Das Geschenk des freien Willens

B