Mit dem Elektroauto in die Sackgasse - Winfried Wolf - E-Book

Mit dem Elektroauto in die Sackgasse E-Book

Winfried Wolf

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Beschreibung

E-Mobilität heißt das neue Zauberwort. Tesla ist Kult. Winfried Wolf hingegen sieht im Elektroauto nur eine neue Variante zur Intensivierung einer individuellen Auto­mobilität, die für das Klima, die Umwelt und die Städte zerstörerisch ist und jährlich weltweit einen Blutzoll von einer Million Straßenverkehrstoten fordert. Bislang war es den Autokonzernen und ihrer Lobby noch nach jeder tiefen Branchenkrise gelungen, mit einer inneren Scheinreform zu antworten und damit einen neuen weltweiten Auto-Boom auszulösen. Die neue Zauberformel "Elektromobilität" wird laut Wolf aus drei Gründen in die nächste Sackgasse führen. Erstens, weil unter den gegebenen Bedingungen ein Elektro-Pkw im Lebenszyklus nur maximal 25 Prozent weniger CO2 emittiert als ein Benzin- oder Diesel-Pkw. Dabei wächst gleichzeitig mit dem Einsatz von Millionen neuer Elektro-Pkw die Zahl der Autos mit herkömmlichen Antrieben pro Jahr um 70 bis 100 Millionen. Die Gesamtsumme der CO2-Belastung steigt damit von Jahr zu Jahr deutlich. Zweitens, weil Elektroautos meist Zweitwägen sind, die zur Intensivierung des städtischen Verkehrs führen und dabei drei bis vier Mal mehr Fläche beanspruchen als der öffentliche Verkehr. Drittens, weil die damit verbundene zusätzliche Menge an Elektrizität die dringend notwendige Verringerung von Kohlestrom verlangsamt und das Hochfahren der Atomstromerzeugung zur Folge haben wird. So verdreifacht China, das stark auf E-Mobilität setzt, aktuell die Zahl der Atomkraftwerke auf 100. Aus Sicht der Autolobby beabsichtigt und aus Sicht der Umweltfreunde fatal: Mit dem Kult um das Elektroauto wird die Tatsache ausgeblendet, dass es für Mobilität einfache und überzeugende Lösungen gibt. Winfried Wolf plädiert in seinem Buch eindringlich für dezentrale Strukturen, die "Wiederentdeckung der Nähe", die Entwicklung der "Stadt der kurzen Wege" und für eine umfassende Förderung des nichtmotorisierten Verkehrs – des Zu-Fuß-Gehens und Radfahrens. Dazu braucht es den Ausbau öffentlichen Verkehrs mit umfassendem Nulltarif.

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Winfried WolfMit dem Elektroauto in die Sackgasse

© 2019 Promedia Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Wien

ISBN: 978-3-85371-870-4 (ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-85371-450-8)

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Promedia Verlag Wickenburggasse 5/12 A-1080 Wien

E-Mail: [email protected] Internet: www.mediashop.atwww.verlag-promedia.de

Inhalt
Vorwort
Kapitel 1: Drei Anläufe zur Durchsetzung der Elektroautos. Oder: Es geht bei E-Mobilität nicht um Klimapolitik
Kapitel 2: Die Krise der motorisierten Mobilität
Kapitel 3: Die Zyklen der Autobranche und die Zyklen der Reformprojekte
Kapitel 4: Die dramatischen Verschiebungen in der Weltautobranche – China als das neue Zentrum
Kapitel 5: Der weltweite Boom bei Elektro-Pkw und die Rolle Chinas als Mekka von e-mobility
Kapitel 6: E-Pkw – Basics: Klimabelastung und Bumerang-Effekte
Kapitel 7: E-Auto-Kohle-Strom, E-Auto-Atomstrom und E-Auto-Rohstoffe
Kapitel 8: Tesla-Saga und Elon-Musk-Ideologie
Kapitel 9: Elektromobilität verstärkt die Macht der Autokonzerne und das Potenzial an Zerstörung
Kapitel 10: Die Notwendigkeit einer umfassenden Verkehrswende
Der Promedia Verlag im Internet

Über den Autor

Winfried Wolf, geboren 1949 in Horb am Neckar, studierte Politikwissenschaften in Freiburg und Berlin und promovierte in Hannover. Von 1994 bis 2002 war er Mitglied des deutschen Bundestags. Er ist Chefredakteur von Lunapark21 – Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Attac. Im Promedia Verlag sind von ihm u.a. erschienen: »Verkehr. Umwelt. Klima. Die Globalisierung des Tempowahns« (2. Auflage 2009) und (gemeinsam mit Nikos Chilas) »Die griechische Tragödie« (2016, aktualisierte Neuauflage 2018).

Vorwort

Die Kritik am Elektroauto war immer Bestandteil meiner Kritik an der Autogesellschaft. 1986 zitierte ich in »Eisenbahn und Autowahn« die Neue Zürcher Zeitung, die – vergleichbar der heutigen Argumentation in China – darauf verwies, dass das Elektroauto MEV-1 der Schweizer Industrie eine Chance böte, da die »Autoindustrie auf diesem Gebiet keinerlei Erfahrungsvorsprung« hätte. 2007 beschrieb ich in »Verkehr. Umwelt. Klima«, dass das Elektromobil »oft der Zweit- und Drittwagen ist«. Im September 2014 plädierten Prof. Hermann Knoflacher und ich in Peking auf dem »4th China-EU-Forum on Social Ecology« für eine stadtverträgliche Mobilität und gegen die Orientierung auf E-Pkw, die sich damals in China bereits abzeichnete. 2018 entwickelte ich im Auftrag von Bürgerinitiativen in Dortmund und Hannover Pläne für eine umweltverträgliche Stadtmobilität als Gegenmodell zur jeweils propagierten Elektromobilität. Im selben Jahr erschien im Institut für sozialökologische Wirtschaftsforschung (isw) eine von mir verfasste Broschüre zu »Elektro-Pkw als Teil der Krise der aktuellen Mobilität«.

Mittlerweile ist es unernst, Elektromobilität als ein Projekt fortschrittlicher Verkehrsplanung darzustellen, das gegen die »fossilen« Großkonzerne durchgesetzt werden müsste. 2018 fuhren die zwölf größten Autokonzerne Rekordgewinne ein und starteten gleichzeitig das größte Investitionsprogramm ihrer Geschichte – pro Elektromobilität. Die Ölkonzerne investieren derzeit massiv im angestammten Geschäft und steigen zugleich in die Stromerzeugung ein. Die Internationale Energie-Agentur (IAE), eine Energie-Lobbyorganisation, freut sich, dass »die Zukunft elektrisch« und die Stromerzeugung (u.a. mit neuen AKW) massiv gesteigert wird – wegen der Elektromobilität. Damit ist die Elektromobilität Teil eines zerstörerischen Prozesses, den wir seit Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Automotorisierung erleben. Ebenso wie es vor einem Jahrhundert eine auch von »progressiven« Kräften getragene Begeisterung für Henry Ford gab, so gibt es gegenwärtig einen auch von »fortschrittlichen« Gruppen befeuerten Hype um Elon Musk und Tesla. Ford und Musk verkörpern den US-amerikanischen Kapitalismus der jeweiligen Zeit; die Ideologie der beiden Milliardäre ist vergleichbar elitär und menschenverachtend.

Es ist an der Zeit, die Offensive zugunsten des Elektroautos in einen dreifachen Gesamtzusammenhang zu stellen: Es handelt sich dabei erstens um einen weiteren Schritt zur Intensivierung einer Mobilitätsorganisation, bei der immer mehr Menschen vom Auto abhängig gemacht werden. Zweitens um einen Prozess, in dessen Folge die Belastungen, die mit jedem Autoverkehr zusammenhängen, weiter steigen – hinsichtlich Verkehrsopfern, Stadtqualität und Emissionen, die die Gesundheit und das Klima schädigen. Drittens um eine Entwicklung, die vom Wachstumszwang der bestehenden Wirtschaftsordnung und den Profitinteressen der führenden Konzerne in der Autoindustrie, im Technologiesektor und in der Energiewirtschaft vorangetrieben wird.

Eine überzeugende Verkehrswende fühlt sich anders an. Etwa so: Anfang 2019 diskutiert der CDU-Oberbürgermeister der Stadt Münster im niederländischen Groningen darüber, wie der Anteil der Fahrradwege in Münster von aktuell 40 Prozent auf das Groningen-Niveau von 60 Prozent gesteigert werden kann. Addiert man Fußgängerwege und Fahrten des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) hinzu, dann bleibt für Pkw-Verkehr ein Restmarktanteil, bei dem die Antriebsart einigermaßen unwesentlich ist.

Winfried Wolf,im Februar 2019

Kapitel 1: Drei Anläufe zur Durchsetzung der Elektroautos. Oder: Es geht bei E-Mobilität nicht um Klimapolitik

Bei den Elektromobilherstellern herrscht Goldgräberstimmung. Die Marktprognosen versprechen bis zu einer Million verkaufter E-Mobile in den nächsten fünf Jahren.

VCD-Zeitschrift »Fairkehr«, März 1991

Ein Star der Messe ist in diesem Jahr [2018; W.W.] der Silverado, den die Marke Chevrolet [eine Tochter von GM; W.W.] gerade auf den Markt gebracht hat. Ein Pick-up, mehr als fünf Meter lang, voll beladen rund sechs Tonnen schwer. Nur wenige Schritte entfernt davon zeigt Ford den F-150, das meistverkaufte Auto Amerikas. Es ist sogar noch ein wenig größer als der Chevy, noch bulliger. Der Hype, der derzeit um elektrische, selbst fahrende, vernetzte Pkw herrscht, spielt auf der NIAS [Automesse von Detroit; W.W.] keine allzu große Rolle. In der alten Autostadt Detroit ist mehr Gegenwart als Zukunft zu betrachten. All die glamourösen Ankündigungen großer Firmen und kleiner Start-ups […] täuschen über die Realität auf Amerikas Straßen hinweg. Pick-ups dominieren das Bild. – noch immer.

Stefan Beutelsbacher und Benedikt Fuest, Revolution im Automobilbau, »Die Welt« vom 20. Januar 2018

Der Weg scheint vorgezeichnet: Mit Elektroautos in eine sonnige Zukunft. In Deutschland wurde im Herbst 2018 die »Nationale Plattform Elektromobilität« gleich mal umbenannt in »Nationale Plattform Zukunft der Mobilität«. So wie der Begriff Elektromobilität, den seit mehr als 100 Jahren elektrisch betriebene Eisenbahnen, S-Bahnen, Stadtbahnen und Straßenbahnen für sich in Anspruch nehmen konnten, gekapert wurde, so soll es zukünftig bei E-Autos gleich um »die Mobilität als solche« gehen. Und zwar ausschließlich um erstens motorisierte Mobilität und zweitens um eine solche auf Straßen mit Pkw. Der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier führte anlässlich der Vorstellung der »Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität« aus: »Deutschland muss auch im nächsten Jahrzehnt die Zukunft der Mobilität mitgestalten, wenn nicht anführen. Batteriezellfertigung und autonomes Fahren sind hier zentral. Entscheidend wird sein, dass wir Innovationen in Deutschland nicht nur entwickeln. Wir müssen sie – im wahrsten Sinne des Wortes – auch hier auf die Straße bringen!«1

Angesichts einer solchen Grundstimmung wirken kritische Einwände wie aus einer vergangenen Dino-Welt. So meldete sich im Januar 2019 Volker Schmidt, der Niedersachsenmetall-Hauptgeschäftsführer und Vertreter des niedersächsischen Metall-Unternehmerverbandes, zu Wort. Die EU versuche, »Elektromobilität mit der Brechstange einzuführen«, meinte er. Dabei sei »Elektromobilität äußerst CO₂-intensiv«. Im Übrigen sei zu bedenken: »Wenn wirklich im prognostizierten Umfang E-Autos gekauft werden, steigt der Stromverbrauch bei uns exorbitant an. […] Diese Rechnung macht bei uns interessanterweise niemand auf. Dann kann es passieren, dass wir unser Ziel von 50 Prozent erneuerbarer Energie bis 2030 erst gar nicht erreichen und stattdessen mehr Kohle- oder importierten Atomstrom benötigen. Die Einführung der E-Mobilität ist vorne und hinten nicht zu Ende gedacht.«2 Es sieht gerade Anfang 2019 stark danach, dass dieses Ziel bei weitem verfehlt wird. Denn fast zur gleichen Zeit war in deutschen Medien zu lesen, wie dramatisch die deutsche Energiewende im Jahr 2018 ausgebremst wurde. So hieß es in der ökologisch engagierten Tageszeitung taz im Januar 2019: »Das Arbeitspferd der Energiewende lahmt: 2018 hat sich der Windkraftausbau mehr als halbiert. […] Mit dem absehbaren Szenario dürfte die Energiewende, deren wichtigste Säule die Windkraft ist, in den kommenden Jahren heftig ins Stocken geraten. Ein Ausgleich für die Windflaute ist kaum möglich. Den Zuwachs für die Photovoltaik hat die Bundesregierung klar begrenzt.« Wobei es dann noch heißt: »Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gilt als Bremser der Erneuerbaren«.3 Das ist derselbe Mann, der die Elektro-Pkw-Offensive betreibt. Schließlich kommt der Strom aus der Steckdose. Oder eben aus der Ladesäule.

Volker Schmidt, der ohne Zweifel die Interessen von VW vertritt, genauer, der die alte VW-Strategie vertritt und der die gewaltigen Investitionen von VW in die Fertigung von Elektro-Pkw noch nicht verinnerlicht hat (siehe Kapitel 3), verwies beim Stichwort »CO₂-intensive Elektromobilität« auf die Studie des Swedish Environmental Research Institute mit dem Titel »The Life Cycle Energy Consumption and Greenhouse Gas Emissions from Lithium-Ion Batteries«, auf die wir auch noch genauer eingehen werden (siehe Kapitel 6).4 Umgehend erhob sich ein Chor von Gegenstimmen. So wurde – beispielsweise in der österreichischen Tageszeitung Der Standard – betont, es handle sich da ja gar nicht um eine »echte Studie«; der knapp 50-seitige Text biete »nur einen Überblick über die Ergebnisse vorhandener Studien über den aktuellen Stand der Technik«.5 Als ob eine Studie, die eine größere Anzahl von Studien miteinander vergleicht und die auf dieser Basis zu dem verheerenden Ergebnis einer »CO₂-intensiven Elektromobilität« kommt, nicht ernst zu nehmen wäre. Als »Entlastung« wird dann in deutschen Medien und im zitierten Standard eine neue Studie der Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) in München angeführt, die die Feststellungen in der schwedischen Studie relativiert. Nicht erwähnt wird, dass die Münchner Forschungsstelle vor allem die Interessen der deutschen Energiewirtschaft – also die der Stromproduzenten – vertritt. Aldi Süd gab sich jüngst als Kofinanzier der FfE aus. Diese Lebensmittelhandelskette informierte uns über ihr Engagement für Elektromobilität wie folgt: »Für die Stadt ist so ein Elektroauto ja praktisch. Freunde besuchen und zur Arbeit fahren. […] Abends noch schnell in den Biergarten (natürlich auf ein alkoholfreies Bierchen). Alles kein Problem mit einem umweltfreundlichen E-Auto. In Städten und als Zweitauto hat sich das Elektroauto schon oft bewährt. Etwas verzwickter wird es, wenn das E-Auto für längere Fahrten genutzt wird […] Die Praxis-Reichweite von Elektroautos liegt aktuell bei gut 200 Kilometern. [… ] Gut, dass ALDISÜD sich auch hierzu Gedanken gemacht hat. Im Sommer 2018 erhalten 28 weitere ALDISÜD Filialen eine Schnellladestation. Das Besondere daran: Diese liegen im Abstand von maximal 160 Kilometern. Sie sind über das ganze ALDISÜD Gebiet verteilt und ganz nah an den wichtigsten Autobahnen.«6

Derzeit erleben wir den dritten Anlauf zur Durchsetzung des Elektro­autos. Einen ersten gab es Anfang des 20. Jahrhunderts. Als Henry Ford mit der Massenproduktion von Autos mit Verbrennungsmotoren startete, hatte die Mehrzahl der im Verkehr befindlichen Automobile einen Elektroantrieb (siehe Kapitel 8). Weitgehend in Vergessenheit geraten ist der zweite Anlauf Anfang der 1990er-Jahre. Tatsächlich gab es vor drei Jahrzehnten ähnliche Debatten über das Elektroauto wie heute. Damals wurden auch bereits vergleichbare kritische Stimmen laut wie diejenigen, die heute vorgetragen werden. Die Umweltbehörde, die damals konkrete gesetzliche Vorgaben für Elektro-Pkw entwickelte, trägt den Namen California Air Ressources Board (CARB). Es handelt sich um dieselbe Behörde, die 2015 maßgeblich dazu beitrug, dass die Kampagne der deutschen Autokonzerne »Clean Diesel« sich zu einem VW-Skandal und zu Dieselgate entwickelte. 1991 wurde von CARB für Kalifornien festgelegt: Zwei Prozent aller dort neu zugelassenen Pkw und leichten Nutzfahrzeuge müssten ab dem Jahr 1997 einen Elektro­antrieb haben. Bis 2003 müsste dieser Anteil bei 10 Prozent liegen.7 Letzteres ist der Anteil, der in China seit dem 1. Januar 2019 gilt. In Europa gab es einen »Solar- und Elektromobil-Salon«, der mehrmals stattfand, das dritte Mal beispielsweise im März 1991 in Basel. Auf dieser – nach Selbstdarstellung – »weltweit einzigen Informations- und Verkaufsmesse« für Solar- und Elektromobile wurden bereits 1991 u.a. »zehn typengeprüfte, im gewerblichen Raum gefertigte Elektromobile« vorgestellt, die »über gut ausgebaute Händlernetze landesweit [= Schweiz-weit; W.W.] vertrieben und teilweise exportiert« wurden.8 Damals ging man fest von einem großangelegten Einstieg der führenden Autokonzerne in den Bau von Elektroautos aus. In dem zitierten Bericht der NeuenZüricherZeitung(NZZ) heißt es diesbezüglich: »Vor dem Hintergrund, dass mehrere Autokonzerne für die zweite Hälfte des Jahrzehnts [der 1990er-Jahre; W.W.] die Serienfabrikation von Elektroautos angekündigt haben, sieht beispielsweise Max Horlacher, wohl erfahrenster Konstrukteur in der Schweiz, Erfolgschancen eher in den Bereichen Prototypen und Komponentenbau.«

Es gab damals auch in dem soeben wiedervereinigten Deutschland konkrete Modelle von Elektrofahrzeugen, die sich im Einsatz befanden. In Bonn wurden im März 1991 von dem damaligen Bundesforschungsminister Riesenhuber zwei VW-Jetta-Modelle mit Elektromotor vorgestellt. Dazu hieß es in einem Bericht: »Anstatt mit Bleibatterien werden sie [die VW Jetta; W.W.] mit einer Natrium-Schwefel-Hochenergiebatterie betrieben. Seit 1973 bastelt die Firma Asea Brown Boveri (ABB) an der komplizierten Technik; jetzt ist sie serienreif. Die besonderen Vorteile der Batterien beruhen auf ihrem geringen Platzbedarf und ihrem niedrigen Gewicht.« Als Reichweite der Pkw wurden erstaunliche 150 Kilometer – »bei vorsichtiger Fahrweise sogar 200 Kilometer« – angegeben.9 Der CDU-Staatsminister für Landesentwicklung und Umweltfragen in Bayern, Peter Gauweiler, präsentierte zum selben Zeitpunkt »zwei umweltfreundliche Elektromobile von BMW und Audi«, die zum »Minister-eigenen Fuhrpark« zählten.10 In Dänemark verkehrten zum selben Zeitpunkt allein vom Elektro-Pkw-Modell »Mini-el City« mehr als 1500 Fahrzeuge. In der Schweiz wurden in wenigen Wochen im Jahr 1991 700 Citymobile dieses Typs verkauft. Es handelte sich, so damals das deutsche Blatt Wirtschaftswoche, um »das mittlerweile erfolgreichste Elektroauto Europas«. Es wurde »über die Vertragshändler renommierter Automarken vertrieben« – was, so der Bericht, zu einem Problem wurde.11

Sperrung der Innenstädte für Diesel-Pkw? Nein, eine Sperrung der Innenstadt für alle herkömmlichen Pkw wurde debattiert: Just so erfolgt 1991 in München – gewissermaßen eine Neuauflage zu den Pkw-Fahrverboten, die 1973 in Westdeutschland im Zusammenhang mit der Ölkrise und den »autofreien Sonntagen« debattiert wurden (siehe Kapitel 3). Bereits 1991 sollten es Elektro-Pkw sein, mit denen der größte Teil der motorisierten Mobilität bewältigt werden sollte. Aus einem Bericht: »Schon in zwei bis drei Jahren soll die mit giftigen Autoabgasen verpestete Altstadt [von München; W.W.] für Kraftfahrzeuge mit den herkömmlichen Verbrennungsmotoren dichtgemacht werden. Mit dieser einschneidenden Forderung will Umweltschutzreferent Rüdiger Schweikl den Stadtrat noch vor der Sommerpause [1991; W.W.] konfrontieren. […] Gestern stellte das Umweltschutzreferat zum Abschluss einer einjährigen Testreihe ein gutes Dutzend abgasfreier Autos auf der Theresienwiese vor.«12

Und zur gleichen Zeit – es sei wiederholt: vor mehr als einem Vierteljahrhundert – gab es bereits die Kritik an den Elektro-Pkw-Visionen, wie sie auch heute vorzufinden ist. Nach einem vierjährigen, aufwendigen Test mit Elektro-Pkw auf der Insel Rügen in den Jahren 1992 bis 1996 – beteiligt waren 60 Fahrzeuge, davon 36 Pkw von VW, Opel, BMW und Daimler-Benz; die Kosten betrugen 60 Millionen Mark – lauteten die Ergebnisse, verfasst vom Institut für Energie- und Umweltforschung (IFEU) in Heidelberg, das wiederum bei seiner Forschungsarbeit vom Bundesforschungsministerium beauftragt worden war, wie folgt: »Die Bilanz fällt […] nur im lokalen Bereich positiv aus. Da E-Mobile keinen Auspuff haben, werden weder Menschen noch Gebäude durch direkte Schadstoffeinwirkung beeinträchtigt. […] Zwiespältig ist hingegen die Situation bei der regionalen Schadstoffbelastung. Beim derzeitigen Energiemix der Kraftwerke, aus denen der Batteriestrom der E-Mobile stammt, tragen diese zwar weniger als konventionelle Autos zum Sommersmog und zur Stickstoffbelastung der Böden bei. Aber stärker zum Sauren Regen. Eindeutig negativ ist die Bewertung beim Thema Klima. Elektroautos verbrauchen pro Kilometer zwischen 50 Prozent (Vielfahrer) und 400 Prozent mehr Primärenergie als vergleichbare Autos mit Verbrennungsmotoren. Der Ausstoß des Treibhausgases CO₂ liegt auch im günstigsten Fall deutlich über dem der Konkurrenz, da über zwei Drittel des Stroms aus fossilen Kraftwerken stammen.« Es handelte sich dabei keineswegs um eine Einzelwertung eines spezifischen Instituts. Im selben Bericht heißt es: »Das Umweltbundesamt (UBA) in Berlin sieht sich in seiner Ablehnung der Elektroauto-Strategie bestätigt.«13

Wenn es diese Wiederholung in Sachen Elektromobilität gibt, was hat sich also geändert, dass dieses Thema seit wenigen Jahren neu auf die Tagesordnung der Wirtschafts- und Verkehrspolitik gelangte – und dass nunmehr die Mobilität mit Elektroautos massiv umgesetzt wird? Es gibt dafür im Wesentlichen drei Gründe: Erstens hat sich die Klimakrise neu zugespitzt. Die Klimakonferenzen in Paris und in Katowice sind hier Meilensteine. Zweitens gibt es die tiefe Glaubwürdigkeitskrise der Autokonzerne, wofür der Begriff Dieselgate steht. Und drittens gibt es seit wenigen Jahren eine spezifische Wirtschaftspolitik der Volksrepublik China zur Durchsetzung der Elektromobilität, hinter der kaum Klimapolitik, sondern primär eine Industriepolitik zur Durchsetzung der chinesischen Autoindustrie auf dem Weltmarkt steckt (siehe Kapitel 5).

Doch auch in Europa geht es nicht um Klimapolitik, wenn die Elektro­mobilität gepuscht wird. Dies sei an zwei einigermaßen praktischen Beispielen verdeutlicht. Ein Elektro-Pkw emittiert auch bei optimistischer Annahme und den gesamten Lebenszyklus berücksichtigend maximal 30 Prozent weniger CO₂ als ein herkömmlicher Pkw. Würde man in Deutschland ein Tempolimit einführen und EU-weit deutlich niedrigere Tempolimits als die bestehenden (beispielsweise Tempo 100 auf Autobahnen wie in den USA und Tempo 80 auf Landstraßen und Bundesstraßen) umsetzen, dann könnte man weitgehend ähnliche CO-2-Einsparungen erzielen.14 Vergleichbares gilt, wenn man Auflagen für den Bau von Pkw beschließen würde, die das Gewicht der Pkw begrenzen (und höhere Gewichte bzw. besonders PS-starke Motoren massiv mit Steuern belegen würden), also den Trend zu großen Pkw und vor allem den zu den SUVs ausbremsen würden. Dabei müsste dann auch der Luftwiderstand bei Pkw als ein wichtiger Faktor für den Energieverbrauch Berücksichtigung finden. Genauer: Dieser Faktor müsste neu entdeckt werden. Früher warben Autohersteller mit einem niedrigen Luftwiderstand.15 Es wurde in den Werbebroschüren für Pkw auch erklärt, wie wichtig der »cw-Wert« für den Kraftstoffverbrauch und für die Klimabilanz eines Autos sei. Inzwischen wird das Thema ausgeblendet; ja, die Hersteller verschweigen, wie die Autofachpresse kritisch vermerkt, bewusst den Luftwiderstandswert eines jeweiligen Modells.16 Sie tun dies, weil sie Pkw bauen können, deren Luftwiderstand dem eines Billy-Regals von Ikea entspricht. Und weil die Kraftstoffpreise (relativ zu den Einkommen der jeweiligen Pkw-Besitzer) so niedrig und die Kosten für die Pkw-Nutzung (beispielsweise im Fall von Geschäftswagen, die bei den Neuzulassungen in Deutschland und Österreich dominieren) so tief liegen, dass der hohe und teilweise sogar steigende Kraftstoffverbrauch – und damit die Klimabelastung – im Geldbeutel kaum eine Rolle spielen. Im Sommer 2018 konnte man im Blatt Auto Bild – das Woche um Woche mit einer Auflage von mehreren Hunderttausend Exemplaren erscheint – lesen: »Wie relevant der Luftwiderstand in der Praxis ist, bewies Autobild vor vier Jahren. Bei einem Autobahntest mit Durchschnittstempo 130 verbrauchte ein VW Golf 2.0 TDI 7,5 l/100 km, ein gleich motorisierter [VW-]Tiguan 9,9 l. Differenz 32 Prozent.« Allgemein heißt es zu dem Thema in dem Blatt unter Verweis auf wissenschaftliche Studien: »Der aerodynamische Widerstand steigt im Quadrat zur Geschwindigkeit. Mehr Widerstand bedeutet mehr Verbrauch und weniger Geschwindigkeit. […] Thomas Indinger vom Lehrstuhl für Aerodynamik und Strömungstechnik an der TU -München sagt: ›Ab 60 km/h ist die Aerodynamik der dominierende Fahrwiderstand und hat somit den höchsten Einfluss auf den Kraftstoffverbrauch‹.«17

Die Unterschiede sind gewaltig. Während die aktuelle Mercedes A-Klasse oder der Opel Calibra einen – für die heutigen Verhältnisse – niedrigen Wert für den Luftwiderstand haben (0,48 und 0,49), liegen die meisten Mittelklassewagen (z.B. Ford Focus, Audi A8, VW Golf Variant, Hyundai i20) aktuell bei einem Luftwiderstandswert von über 0,60. Das ist bereits das Doppelte des weiter oben zitierten Werts des Audi A100 mit Baujahr 1982. Die meisten SUVs haben nochmals deutlich höhere Luftwiderstandswerte: Zum Beispiel der VW Tiguan Allspace (0,84), der Audi Q8 (0,91), der Volvo XC90 (0,92) und – als Spitzenreiter – der Porsche Cayenne (0,96). Die Bilanz in Auto Bild: »Bei den zusammengetragenen Aerodynamikdaten zeigt sich, dass auf den hinteren Plätzen ausnahmslos SUVs mit ihren hohen Stirnflächen liegen.«

Was heute kaum vorstellbar ist, geschah 1991. Damals war es die IG Metall, die eine grundsätzliche Debatte zum Thema Verkehrspolitik und Alternativen zur vorherrschenden Struktur von Mobilität und Transport führte. Am 9. und 10. November 1991 gab es in Frankfurt am Main eine »Gemeinsame verkehrspolitische Konferenz der Industriegewerkschaft Metall und des Deutschen Naturschutzringes«. Auf dieser Konferenz hielt der Verkehrswissenschaftler und Biochemiker – heute würde man auch sagen: der Querdenker – Frederik Vester das Hauptreferat. Die einleitenden Sätze, gesprochen vor mehr als einem Vierteljahrhundert, sind brandaktuell: »Die Umweltsituation auf unserem Planeten ist für die Menschheit zu einer Überlebensfrage geworden. […] Was uns bevorsteht sind möglicherweise verheerende Dürren wie Überschwemmungen, Klimakatastrophen durch den Anstieg von CO₂, sich akkumulierende Gifte und radioaktive Verseuchung in der Luft, Wasser und Boden. […] Die Grenze der Belastbarkeit unserer Erde ist bereits in mehreren, für die menschliche Existenz wichtigen Bereichen erreicht.« Vester entwickelte in seinem Referat eine Reihe eher immanenter, technischer Reformvorschläge. Er relativierte damals bereits die Behauptungen, Elektroautos könnten eine umfassende Perspektive bieten.18

Vester beendet seinen Vortrag mit der folgenden entscheidende Passage: »In einer 1989 erschienenen Dissertation kommt der Schweizer Verkehrsspezialist Eugen Meier zu dem klaren Schluss, dass eine Verkehrsinvestition grundsätzlich neuen Verkehr verursacht. […] Denn das Verhalten der Menschen orientiert sich […] am Angebot und kompensiert dann die erreichten Effekte. Anders als sonst in der Wirtschaft, wo die Nachfrage das Angebot regelt, regelt auch hier wieder das Angebot die Nachfrage. Werden mehr Wege angeboten, nimmt sie der Mensch an. Er hält sich sogar länger und öfters im Verkehr auf, sein übriges Zeitbudget schmilzt, die erhöhte Mobilität geht auf Kosten des sonstigen Handlungsspieltraums.«

Mit der Elektromobilität werden neue Fahrzeuge und neue Straßen auf den Verkehrsmarkt kommen. Das Angebot wird erhöht. Es wird neuer Verkehr – und zwar Straßenverkehr – induziert. Die Klimabelastung wird in der Summe deutlich steigen. Entscheidend ist – gleich wie der Antriebsstrang beschaffen ist, unabhängig davon, ob es Verbrenner oder Elektroautos sind –, dass Verkehr und Transportleistungen reduziert und verbleibender Verkehr auf die Füße, auf Fahrräder und auf öffentliche Verkehrsmittel verlagert werden. Das wird nur möglich sein, wenn die Macht der Autokonzerne erkannt und gebrochen und wenn jedes Greenwashing von individueller Elektromobilität als Augenwischerei erkannt wird.

1. Presseerklärung der Bundesregierung vom 19. September 2018, siehe: https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Pressemitteilungen/2018/073-nationale-plattform-zukunft-mobilitaet.html [aufgerufen am 3.2.2019]

2. Interview in der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 28. Januar 2019.

3. Joshua Kasberg und Manfred Kriener, Das Horrorjahr 2020, in: taz vom 29. Januar 2019.

4. Die schwedische Abkürzung für das genannte Institut lautet IVL; weiter unten wird auf die Studie nochmals genauer eingegangen; siehe: https://www.ivl.se/download/18.5922281715bdaebede9559/1496046218976/C243+The+life+cycle+energy+consumption+and+CO2+emissions+from+lithium+ion+batteries+.pdf [zuletzt aufgerufen am 4.2.2019]

5. Der Standard vom 4. Februar 2019. Interessant ist da, dass der (namentlich nicht gezeichnete, also redaktionelle) Aufmacher auf Seite 1 die Überschrift trägt »Ökobilanz von Elektroautos besser als gedacht«. Auf Seite 9 gibt es dann einen Artikel mit der einigermaßen anders gewichtenden Überschrift »Supersauber sind E-Autos auch nicht«. Verfasserin ist Regina Bruckner.

6. Pressemitteilung ALDI Süd vom 9.8.2018; hervorgehoben von W.W. Siehe: https://blog.aldi-sued.de/elektrotankstellen-aldi-sued/ [abgerufen am 4.2.2019].

7. U.a. nach: Peter Klinkenberg, »Der schöne Traum vom abgasfreien Auto«, in: Frankfurter Rundschau vom 18. Mai 1991.

8. Neue Zürcher Zeitung vom 22. März 1991.

9. Jürgen Sussenburger, »Ohne Geräusch und Abgase durch Bonns Innenstadt fahren«, in: Frankfurter Rundschau vom 21. März 1991.

10. Gastkommentar von Peter Gauweiler, in: Welt am Sonntag vom 9. Juni 1991.

11. »Den renommierten Automarken ist das Nebengeschäft ihrer Händler ein Dorn im Auge. ›Dieses Auto passt nicht in unsere Philosophie‹, erklärt etwa Ruedy Hess, Sprecher von BMW Schweiz, ›der BMW-Fahrer hat andere Ansprüche‹. Auch Mercedes und Nissan verboten ihren Händlern das Geschäft, der Opel-Importeur kündigte einen ähnlichen Schritt an.« Nach: Wirtschaftswoche vom 7. Juni 1991.

12. Otto Fischer, »Der Verkehrsstrom soll nur noch elektrisch fließen«, in: Süddeutsche Zeitung vom 4. April 1991.

13. Joachim Wille, »Elektroautos sind keine Patentlösung für die Umwelt«, in: Frankfurter Rundschau vom 10. Februar 1997. Eine ähnliche Bilanz zog damals der TÜV Rheinland. Siehe: »Nach Berechnungen des TÜV Rheinland: Elektroautos erhöhen die Luftverschmutzung«, in: Süddeutsche Zeitung vom 30. Juli 1991.

14. In den USA gilt außerhalb von Ortschaften eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 55-65 mph, was 88-105 km/h entspricht. Die Geschwindigkeit auf einigen Interstates (ähnlich wie die deutschen Autobahnen, nur häufig mit noch mehr Spuren) beträgt 70 bis maximal 75 mph, das entspricht 112-120 km/h. Diese deutlich unter dem EU-Niveau liegenden Geschwindigkeitsbegrenzungen werden in der Regel mit der damit bewirkten reduzierten Zahl von Unfällen und Straßenverkehrstoten bzw. Verletzten, mit niedrigeren Schadstoffemissionen und mit einer Verflüssigung des Verkehrs begründet.

15. 1982 wurde der neue Audi 100 in der Audi-PR mit der Schlagzeile beworben: »Seit wir das aerodynamisch beste Serienauto der Welt bauen, können Sie auch mit komfortablen Limousinen wieder rechnen.« Das Fahrzeug hatte einen Wert für Aerodynamik (»cw-Wert«) von 0,30. Heute wirbt z.B. Skoda für das Modell Kodiaq mit dem Slogan: »Gönnen Sie Ihren Verfolgern ein wenig Windschatten«. Gemeint ist, dass dieser Pkw einen hohen Luftwiderstand hat. Der Luftwiderstand »setzt sich aus mehreren Faktoren zusammen: Der Luftwiderstandsbeiwert (cw) sagt aus, wie windschnittig eine Fahrzeugform ist. Hinzu kommt die Stirnfläche (A). Sie kann man sich als Schatten eines von vorn angestrahlten Autos vorstellen. Der Luftwiderstandsbeiwert multipliziert mit der Stirnfläche ergibt den Luftwiderstand (cw mal A). Je geringer dieser Wert ist, desto weniger Kraft muss der Motor zum Fahren aufbringen.« Auto Bild vom 2. August 2018.

16. Das Blatt Auto Bild befragte im August 2018 mehrere Autohersteller nach den cw-Werten einzelner Modelle und dokumentierte deren Antworten. Die Mehrzahl der Hersteller hielt sich bedeckt. Einige verweigerten explizit eine Aussage. Volvo beispielsweise teilte mit: »Wir konnten noch nie eine ausgeprägte Nachfrage von Kunden zum Thema Aerodynamik feststellen«. Deshalb werde dieser Aspekt »nicht sonderlich betont«. Auto Bild vom 2. August 2018.

17. Matthias Moetsch, Der verschenkte Fortschritt, in: Auto Bild vom 2. August 2018.

18. Referat Frederic Vester, »Anforderungen an zukünftige Fahrzeuge: Pkw, Fahrrad, Lkw, Busse und Bahn«, Frankfurt im November 1990, (Zitate auf Seiten 13 und 15 des Manuskripts). Zur Deutschen Bundesbahn – das war noch vier Jahre vor der »Bahnreform« mit der Bildung der Deutschen Bahn AG – sagte er: »Der Trend bei der Bundesbahn mit der von ihr herausgegebenen Parole ›Schiene statt Straße‹ weckt allerdings falsche Hoffnungen. Denn […] die Entwicklung bei der Bundesbahn ging genau umgekehrt. […] Sie selbst betreibt die zunehmende Verlagerung des Personen- und Güterverkehrs auf die Straße und ist längst zum größten Busunternehmer und Lkw-Spediteur der Bundesrepublik geworden.«

Kapitel 2: Die Krise der motorisierten Mobilität

Vor zwei Jahren besuchte uns der ehemalige kalifornische Umweltminister James M. Strock für einen Parlamentarischen Abend zu Abgas- und CO₂-Manipulationen – und wie US-Umweltbehörden ihre Abgasstandards durchsetzen. Damals wies die CDU-Vertreterin die Forderung nach Kontrollen mit dem Hinweis zurück, auch in einer Ehe könne man doch nicht alles kontrollieren, sondern müsse vertrauen. Das ist genau das Problem dieser Bundesregierung, die ein enges, eheähnliches Verhältnis zur Autoindustrie pflegt.

Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe (DUH), Juli 201719

Wir erleben eine Krise der Mobilität im Allgemeinen und der Automobilität im Besonderen. Diese Krise konkretisiert sich auf drei Ebenen. Erstens in Form einer sich verschärfenden Klimakrise mit Klimaerwärmung und Wetterextremen. Stichworte: Eine Hitzeperiode im Sommer 2018, gehäufter Starkregen, Orkane, Taifune und Sintfluten über das Jahr 2018 hinweg, eine hilflose Klimakonferenz in Katowice im Dezember 2018, gewaltige Schneemassen im Winter 2018/19 und ein US-Präsident, der die »Behauptung« einer Klimaveränderung als Trick der Chinesen bei deren Kampf gegen MAGA – »Make America Great Again« – identifiziert. Zweitens manifestiert sich diese Krise als weltweite Krise der Städte. Stichworte: Zerstörung von Stadtqualität bzw. »Urbanität«, Feinstaubdebatten, Fahrverbote für Diesel-Pkw in einer Reihe von deutschen Städten und wachsender Flächenverbrauch für Kfz-Verkehr. Drittens kam es in den letzten Jahren zu einem dramatischen Glaubwürdigkeitsverlust der Autohersteller und damit der führenden Industrie überhaupt, der Autobranche. Stichworte: »Dieselgate«, Abschaltvorrichtungen bei Millionen Diesel-Motoren, zwei Top-Autobosse wurden inhaftiert (Rupert Stadler von Audi und Carlos Ghosn von Renault-Nissan) und der E-Pkw-Hersteller Tesla geriet im Herbst 2018 in Schieflage.

Die Regierungen, die Autokonzerne und eine Mehrheit der Umweltverbände geben auf allen drei Ebenen dieser Mobilitätskrise eine gemeinsame Antwort. Diese lautet: Mit »Elektromobilität« ließe sich diese Krise bewältigen oder zumindest deutlich entschärfen. Die »e-mobility« wäre der entscheidende Baustein für eine nachhaltige Verkehrspolitik und für die Politik einer Verkehrswende.

Untersuchen wir diese drei Ebenen der kombinierten Krise der motorisierten Mobilität.

Klimaerwärmung

Seit drei Jahrzehnten ist bekannt – und wird inzwischen von so gut wie allen Institutionen und Regierungen eingestanden: Es gibt die bedrohliche menschengemachte Klimaerwärmung. Setzt sie sich fort, werden sich die Bedingungen für menschliches Leben auf dem Planeten auf eine Art und Weise verändern, dass menschliches Leben in einigen bislang bewohnten Regionen kaum noch in angemessener Form stattfinden kann. Die Umweltorganisation Greenpeace geht davon aus, dass in einem solchen Fall bis zu 200 Millionen Menschen zu Klimaflüchtlingen werden.

Im Vorfeld der Klimakonferenz in Katowice im Dezember 2018 wurde die dramatische Verschlechterung der Klimasituation von unterschiedlicher Seite unterstrichen. Die Internationale Energieagentur (IEA), eher eine Pro-Energie-Lobby, legte Ende 2018 eine Studie vor, wonach es einen »anhaltenden Anstieg des CO₂-Ausstoßes« geben würde. Festgestellt wurde: »Setzt sich der Trend fort, ist der Klimawandel nicht zu bremsen.« Die Weltwetterorganisation (WMO) veröffentlichte im November 2018 ihren Jahresbericht, in dem es heißt: »Es gibt keine Anzeichen für eine Umkehrung des Trends, der zu langfristigem Klimawandel, dem Meeresspiegelanstieg, der Versauerung der Meere und mehr extremen Wettersituationen beiträgt.« Der Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), das von den Vereinten Nationen eingesetzte Wissenschaftlergremium, erklärte in einem ebenfalls im Vorfeld des Katowice-Gipfels vorgelegten Sonderbericht, dass das 1,5-Grad-Celsius-Ziel »nur noch mit radikalen Maßnahmen erreicht« werden könne. Hans Joachim Schellnhuber, Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, beschrieb in einem Interview irritiert die kaum noch rationalen Reaktionen auf die Warnungen der Klimaforschung: »Es herrscht eine seltsame Gelassenheit. Wir steuern im Irrsinnstempo auf eine unbeherrschbare globale Situation zu, […] aber viele Medien berichten nur noch mit gequälter Beiläufigkeit darüber.« Schellnhuber erwies sich 25 Jahre lang als eher zurückhaltender, aber engagierter Klimaforscher. Inzwischen hofft er auf eine »Weltbürgerbewegung«, die zwei vor zwölf dem Rad in die Speichen greift.20

Der ständig wachsende Autoverkehr, der explosionsartig sich steigernde Flugverkehr und die globalisierte Container-Schifffahrt, die ebenfalls rasant anwächst, sind für gut ein Viertel derjenigen Emissionen verantwortlich, die für die Klimaerwärmung entscheidend sind. Auf den KfZ-Verkehr allein entfällt rund ein Fünftel aller das Klima schädigenden Emissionen. In allen drei Bereichen gibt es Verkehrswachstum und steigende Emissionen.

Beim Straßenverkehr geht es dabei durchaus auch um Diesel-Pkw. Das deutsche Umweltbundesamt widerspricht ausdrücklich der Behauptung der Autohersteller und einiger Regierungen, Diesel-Pkw würden das Klima schonen. Da Diesel-Pkw überwiegend schwere Pkw mit einem deutlich überdurchschnittlich hohen Kraftstoffverbrauch sind, ist ihr Anteil auch beim Ausstoß der klimaschädigenden Kohlendioxide durchaus beträchtlich. In der Summe sind es jedoch in erster Linie die Benzin-Pkw, die in einem wachsenden Maß zur Klimabelastung beitragen. Wobei auch bei den Benzinern Betrug im Spiel ist. 2001 lag der reale Kraftstoffverbrauch von Diesel- und Benzin getriebenen Pkw »nur« um knapp 10 Prozent über dem offiziell ausgewiesenen Verbrauchswert. 2018 betrug diese Diskrepanz knapp 40 Prozent.21

In Deutschland, das sich als Musterland für nachhaltigen Klima-und Umweltschutz ausgibt, gestand Ende 2017 die damals neu gebildete Bundesregierung ein, die selbst gesetzten Klimaziele nicht einhalten zu können. Dabei war es Angela Merkel, die erklärt hatte: »Die weltweite Umweltkrise ist zugleich eine Entwicklungskrise in allen Ländern der Welt; sie ist Folge einer Lebens- und Wirtschaftsweise gegen die Natur.« Deutschland sei »der Motor des Umweltschutzes in Europa«. Das war allerdings 1992 auf dem Umweltforum der CDU; Angela Merkel war damals »nur« Umweltministerin.22 In Katowice war die deutsche Vertretung eher zurückhaltend und auch mal kleinlaut. Auf die Frage »Will sich Deutschland freikaufen für sein Scheitern an den eigenen Klimazielen?«, antwortete die deutsche Umweltministerin Svenja Schulze: »Wir helfen. Punkt.« Auf die Vorhaltung, das Umweltministerium mache keine konkreten Vorgaben für Emissionsreduktionen im Verkehrssektor, antwortete Schulze, man werde nun das »alte Spiel, dass nur das Umweltministerium die Vorschläge macht und alle anderen sagen, was alles nicht geht«, nicht mehr spielen. Stattdessen mache sie »es jetzt so, dass alle relevanten Ressorts sich selbst überlegen sollen, wie sie zum CO₂-Einsparen beitragen können. Und alle stehen damit vor der Wahl, ob sie Geld in CO2-Zertifikate aus dem Ausland stecken oder lieber in eine moderne, klimaverträgliche Infrastruktur bei uns.«23

Die für die letzten zwei Jahrzehnte offiziell behaupteten Reduktionen des durchschnittlichen Spritverbrauchs fanden – Klimaanlagen und anderen technischen Schnickschnack berücksichtigend – weitgehend nur auf dem Papier statt. Was auch heißt: Die realen Treibhausgase aller Pkw (und auch diejenigen der Lkw) sind deutlich höher als behauptet. Die Schädigung des Klimas ist entsprechend größer. Im Zeitraum 2010 bis 2017 stiegen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden die Kohlendioxid-Emissionen, die der in Deutschland verkehrenden Pkw-Flotte zuzurechnen sind, um 6 Prozent auf 115 Millionen Tonnen CO₂. Dafür werden drei Gründe genannt: Erstens der gewachsene Fahrzeugbestand. 2010 waren 41,8 Millionen Autos zugelassen; 2017 waren es mit 46 Millionen Fahrzeuge rund 10 Prozent mehr. Zweitens stieg die Fahrleistung im gleichen Zeitraum um 9 Prozent (auf rund 642 Milliarden Kilometer). Und drittens stieg vor allem die Motorleistung. 2010 lag diese noch bei durchschnittlich 130 PS je Pkw; 2017 waren es 150 PS. Der leicht gesunkene Durchschnittsverbrauch (offiziell von 7,4 Liter je 100 Kilometer auf 7,2 Liter) konnte den Anstieg an Emissionen lediglich abschwächen.

Vergleichbare Zahlen liegen für Österreich vor, wo im angegebenen Zeitraum das Wachstum der Pkw-Zahl sogar deutlich höher und das Wachstum der übrigen Kraftfahrzeugarten nochmals größer war.24

Die Bilanz: Der Straßenverkehr ist zunehmend entscheidender Treiber der Klimaerwärmung. Behauptet wird – beispielsweise in einer Studie im Auftrag des (katholischen) Bischöflichen Hilfswerks Misereor e.V., von Brot für die Welt – dem Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung –, und von der Umweltorganisation Powershift: »Die zügige Abkehr vom Verbrennungsmotor ist aus Gründen der Umwelt- und Klimagerechtigkeit dringend geboten. Elektroautos mit Akkuspeicher sind die derzeit beste Option, um Verbrennungsmotoren zu ersetzen.«25

Die Krise der Städte – die Zerstörung von Urbanität

Die Krise der Städte hat vielfältige Ursachen. Die hohen und vielfach explodierenden Bodenpreise und Mieten und der wachsende Flächenverbrauch, den der Autoverkehr beansprucht, sind wichtige Faktoren. Ein weiterer Faktor für den Verlust von Stadtqualität ist die Verlärmung, wobei hier der Straßenverkehr mit Abstand der wichtigste Verursacher ist.

In erster Linie ist die Krise der Städte inzwischen von der schlechten Luftqualität bestimmt. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben derzeit jährlich acht Millionen Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung im weiteren Sinn. Dabei soll es allein aufgrund der Feinstaubbelastung zu 4,5 Millionen Todesfällen pro Jahr kommen.26 Der Straßenverkehr ist wesentliche Ursache für die Feinstaubbelastung in den städtischen Zentren. Er entsteht beim Verbrennen fossiler Kraftstoffe in Motoren oder Kraftwerken, aber auch durch Abrieb von Reifen und Bremsen sowie durch das Aufwirbeln von Staub.

In den meisten Ballungsgebieten liegt die Feinstaubbelastung dauerhaft um ein Vielfaches über dem WHO-Grenzwert.27 80 Prozent der Menschen, die in den Städten leben, atmen verschmutzte Luft ein. In den armen Ländern atmen laut Weltgesundheitsorganisation sogar 98 Prozent der Menschen Luft ein, die massiv die Gesundheit gefährdet. In den Städten der hochindustrialisierten Staaten wiederum ist die Luft zwar generell weniger belastet. Hier sind es jedoch wiederum die Bevölkerungsschichten mit den niedrigen Einkommen, die in Wohngegenden mit einer Luftqualität, die oft derjenigen in den Drittwelt-Metropolen entspricht, leben.

Unter den zehn Städten der Welt mit besonders hoher Luftverschmutzung befinden sich vier indische (Gwalior, Patna, Allahabad und Raipur) und zwei chinesische (Xingtai und Baoding). In allen diesen Städten enthält ein Kubikmeter Luft mehr als das Zehnfache an Feinstaub als der Wert, den die WHO als nicht bedenklich einstuft (10 Mikrogramm). In den genannten chinesischen Städten liegt dieser Wert beim Elffachen, in den indischen Städten Gwalior und Allahabad beim 17-Fachen, in der iranischen Stadt Zabol gar beim 21-Fachen. Die Feinstaubbelastung in den international bekannten Metropolen Teheran, Peking, Delhi ist nur unwesentlich geringer als in den erwähnten Großstädten im Iran, in China und in Indien.

Auf der chinesischen Website Sixth Tone berichtete Zhao Xiaogang, ein Chirurg an einem Lungenkrankenhaus in Shanghai: »Der starke Anstieg von Lungenkrebs ist eng mit der Luftverschmutzung verbunden.« Vor zehn Jahren habe sein Krankenhaus jährlich 1000 bis 2000 Operationen an der Lunge ausgeführt, mittlerweile seien es »mehr als 10.000. Soviel wie nirgendwo in China, vielleicht nirgendwo auf der Welt.«28

Ende 2017 war die Luftqualität über der indischen Hauptstadt Delhi so schlecht und der »tödliche Giftnebel« so dicht, dass die indische Regierung Notstandmaßnahmen ergriff, Bauarbeiten stoppte, den Lastwagenverkehr stark begrenzte, Schulen zeitweilig schließen ließ. Die US-amerikanische Fluggesellschaft United Airlines stellte für mehrere Tage ihre Flüge von und nach Delhi ein. Begründung: »Die Flugsicherheit ist nicht mehr gewährleistet.«29

Auch in vielen deutschen und österreichischen Städten werden die WHO-Grenzwerte für Feinstaub deutlich überschritten. Allerdings gelten in der EU Grenzwerte, die deutlich großzügiger bemessen sind; diese – unzureichenden! – Feinstaub-Grenzwerte werden dann in deutlich weniger Städten überschritten.30

Die Bilanz: Die Krise der Städte erfährt derzeit eine neue Steigerung. Das Elektroauto – in China bezeichnet als Autoverkehr mit New Energy Vehicles (NEV) – scheint da eine Perspektive zu weisen. Eine Studie, die im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung erstellt wurde und von dieser verbreitet wird, heißt es: »Die Städte der Zukunft werden […] auf Nachhaltigkeit angewiesen sein. Deshalb wird es in ihnen keinen Platz für Individualverkehr mit Verbrennungsmotoren mehr geben.«31

Dieselgate & Autokartell

Ein Jahrzehnt lang haben die Autokonzerne, angeführt von VW, die Software der Dieselmotoren so manipuliert, dass die Schadstoff-Grenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten werden. In freier Wildbahn, auf den Straßen und Plätzen, wird das Vielfache des Erlaubten in die Stadt- und Landluft geblasen. Es gibt in diesem Zusammenhang konkrete Ansatzpunkte für organisierte Kriminalität. So ein 11-seitiges Dokument aus dem Audi-Konzern mit der Überschrift »Risikoeinschätzung« aus dem Jahr 2013, in dem detailliert der Code zur Manipulation der Dieselmotoren beschrieben und argumentiert wird, es handle sich um illegale Betrugssoftware, die im Fall der Aufdeckung massive juristische und finanzielle Konsequenzen nach sich ziehen würde.32 Im Herbst 2018 wurde publik, dass die VW-Tochter Audi sogar Fahrgestellnummern gefälscht hatte, um Audi-Pkw mit Dieselmotoren mit unzulässig hohen Schadstoffemissionen nach Südkorea exportieren zu können. Die besondere Rolle, die Audi in dem Dieselskandal spielt, dürfte dazu beigetragen haben, dass der langjährige und vielfach gefeierte Audi-Boss Rupert Stadler 2018 immerhin ein Vierteljahr in einem Gefängnis verbringen musste.33

Nach Auffliegen von Dieselgate wurde auch bekannt, dass es mehr als zwei Jahrzehnte lang geheime, bis ins Detail durchorganisierte Treffen aller deutschen Autokonzerne gab, auf denen offensichtlich unter anderem die gemeinsame Diesel-Strategie – in den USA unter dem Label »Clean Diesel« vermarktet – abgesprochen wurde. Die Kartell-Geheimtreffen fanden in einer Zeit statt, als die Manipulation bei den Dieselmotoren ihren Ursprung nahm. Da inzwischen für Daimler und Porsche ebenfalls Manipulationen bei den Dieselmotoren festgestellt wurden, spricht sehr viel dafür, dass die Betrugssoftware bei Dieselmotoren ein wesentliches Element der Kartellabsprachen war. Zumal es ziemlich genau seit zwei Jahrzehnten die explosionsartige Steigerung der Diesel-Pkw-Verkäufe gibt. 1995 lag in Deutschland der Anteil von Diesel-Pkw bei Neuzulassungen bei 14,5 Prozent; ein Wert, den es in ähnlicher Höhe seit Jahrzehnten gab. Bis 2016 jedoch war dieser Wert auf 45,9 Prozent hochgeschnellt. In absoluten Zahlen und hier den Gesamtbestand an Pkw betreffend: Im Jahr 1998 waren in Deutschland 41,4 Millionen Pkw zugelassen, darunter 5,4 Millionen oder 13 Prozent Dieselautos. 2016 waren es dann bereits 45,1 Millionen Pkw, darunter 15,1 Millionen oder 33,5 Prozent Diesel-Pkw. In Österreich machten 1995 Diesel-Pkw am Gesamtbestand 23 Prozent aus – 2016 waren es bereits 57 Prozent; nochmals mehr als in Deutschland.34

Für den engen Zusammenhang von Dieselgate und Autokartell spricht auch die Tatsache, dass sich die deutschen Pkw-Hersteller spätestens 2000 darauf einigten, in ihren Diesel-Pkw nur kleine AdBlue-Tanks einzubauen. AdBlue ist ein Harnstoff-Wassergemisch, mit dem die Stickoxide in den Motoren zu einem größeren Teil neutralisiert werden können, womit also der Ausstoß dieser stark gesundheitsschädlichen Emissionen reduziert wird. Das Handelsblatt zitierte 2017 aus dem oben erwähnten Papier der deutschen Autohersteller, datiert auf den 1. April 2010, mit der Überschrift »Clean Diesel Strategie«. In diesem ist explizit von einem »Commitment der deutschen Automobilhersteller auf Vorstandsebene« die Rede, »künftig kleine AdBlue-Tanks« zu verwenden.35 Diese sind seither mit zwischen acht und zwölf Litern so gering dimensioniert, dass das AdBlue bei normalem Dauereinsatz spätestens nach 5000 bis 6000 Kilometern oder nach rund acht Tankfüllungen verbraucht wäre. Doch alle deutschen Hersteller von Diesel-Pkw beruhigen ihre Kunden damit, dass ein Nachfüllen der AdBlue-Behälter mit der klebrigen Flüssigkeit nur alle rund 30.000 km erforderlich wäre und dass dies im Rahmen der Kundendienstintervalle stattfände. Ausdrücklich heißt es in der zitierten Präsentation: »Kunde darf mit AdBlue nicht in Berührung kommen«. Was nur heißen kann: Der Einbau illegaler Abschaltvorrichtungen war fest eingeplanter Teil des Systems. Nur mit einer geheimen Software, die die AdBlue-Einspritzung dann erheblich reduzierte oder gar ganz abschaltete, wenn der Pkw nicht auf einem Prüfstand stand, war es vorstellbar, den Vorrat an Harnstoff-Flüssigkeit über die 30.000-Kilometer-Distanz zu strecken. Damals wurde stillschweigend festgelegt: Der Schutz der Motoren geht vor dem Schutz der menschlichen Gesundheit.

Inzwischen wird alles getan, den Vertrauensverlust erstens auf VW zu begrenzen und zweitens nur dessen Dieselmotoren als Motoren mit einer »Mogel-Software« erscheinen zu lassen. Dabei spricht viel dafür, dass so gut wie alle Autohersteller mit Diesel-Pkw im Programm mit vergleichbaren – die menschliche Gesundheit gefährdenden – Tricks arbeiteten. Und sehr viel spricht dafür, dass es ähnliche kriminelle Manipulationen auch bei Pkw mit Benzin-Motoren gibt. Eineinhalb Jahre vor Bekanntwerden von »Dieselgate« konnte man im Autolobby-Blatt Auto Bild lesen: »Um den Verbrauch [eines Autos] auf dem Prüfstand zu messen, muss vorher der Fahrwiderstand ermittelt werden. Dazu werden Fugen abgeklebt, Spiegel demontiert […] Klimaanlagen werden ausgebaut […] Dazu erkennen Steuergeräte, wenn eine Messfahrt vorliegt. Die Autos sind inzwischen auf diese Minimal-Last hin konstruiert. Hieß es früher: ›Turbo läuft – Turbo säuft‹, sollen jetzt ausgerechnet aufgeladene Motoren sparen. Das tun sie nur auf dem Prüfstand, wenn wenig Leistung gefordert wird.«36 Wohlgemerkt: Als dies in dem zitierten Blatt der Autolobby, das von rund 350.000 Menschen gelesen wird, geschrieben wurde, gab es noch keinen Dieselskandal, war »Dieselgate« ein Fremdwort.

Die Erklärung, warum »Dieselgate« 2015 überhaupt zu einem globalen Skandal wurde, lautet: Es war primär die internationale Konkurrenz – die Macht der US-Autolobby –, die den Skandal ins Rollen brachte und die VW