Mit dem Schlitten auf Wolke sieben - Jenny Hale - E-Book

Mit dem Schlitten auf Wolke sieben E-Book

Jenny Hale

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Beschreibung

Dem Weihnachtszauber kann man einfach nicht widerstehen - oder doch?

Für Carrie kommt die Familie stets zuerst. Doch dann tritt sie kurz vor Weihnachten eine neue Stelle als Kindermädchen an - und muss feststellen, dass nicht jeder das so sieht. Der attraktive Single-Vater Adam jedenfalls lässt sich selten zu Hause blicken. Warum verbringt er nur so wenig Zeit mit seinen Kindern? Carrie will das ändern und nimmt sich vor, den Kindern das schönste Weihnachtsfest überhaupt zu ermöglichen. Und dabei verfällt sie nicht nur dem Zauber der Weihnacht ...

Ein herzerwärmender Roman über die Magie von Kindheitserinnerungen, Familienzusammenhalt und die Liebe, wenn man sie am wenigsten erwartet.

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Seitenzahl: 430

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Danksagung

Widmung

1

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Epilog

Eine Anmerkung von Jenny

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

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Über dieses Buch

Für Carrie kommt die Familie stets zuerst. Doch dann tritt sie kurz vor Weihnachten eine neue Stelle als Kindermädchen an – und muss feststellen, dass nicht jeder das so sieht. Der attraktive Single-Vater Adam jedenfalls lässt sich selten zu Hause blicken. Warum verbringt er nur so wenig Zeit mit seinen Kindern? Carrie will das ändern und nimmt sich vor, den Kindern das schönste Weihnachtsfest überhaupt zu ermöglichen. Und dabei verfällt sie nicht nur dem Zauber der Weihnacht …

Jenny Hale

MIT DEMSCHLITTEN AUFWOLKE SIEBEN

Aus dem amerikanischen Englisch vonSabine Schilasky

Danksagung

Ein großes Dankeschön an meinen wunderbaren Ehemann Justin, der mir den Rücken freihält, während ich versuche, meine Abgabetermine einzuhalten. Er ist mein Fels in der Brandung.

Danke an Oliver Rhodes für seine Anleitung, seine Unterstützung und seine fantastischen Ideen während des gesamten kreativen Prozesses. Ich bin so froh, Teil davon zu sein.

An meine Verlegerin Kate Ahl, die es versteht, mich aufzubauen und herauszufordern, die beste Version meiner Geschichte zu schreiben, die ich kann. Ich danke dir.

Für Tia,

1

Gestressten Menschen kann es guttun, sich mit etwas Vertrautem zu beschäftigen. Eine Aufgabe vorhersehen zu können, lindert bisweilen Angst und Unsicherheit. Carrie unterstrich den Abschnitt in ihrem Buch und klappte es dann zu. Sie atmete tief durch und legte das Buch auf den Beifahrersitz neben die halbleere Schachtel mit Zuckerstangen, die sie sich in einem Laden an der Grenze zwischen North Carolina und Virginia gekauft hatte, auf dem Weg zu ihrem nächsten Job.

Carrie war in einer Kleinstadt in North Carolina aufgewachsen und ihr Leben entsprechend sehr berechenbar. Sie ging mit Freundinnen aus der Nachbarschaft in die Schule, und jeden Nachmittag – selbst an den kältesten Tagen – wartete ihre Mutter auf der langen Hollywoodschaukel auf der vorderen Veranda, wenn Carrie aus dem Schulbus stieg. An den Mittwochabenden während der warmen Monate ging sie zum Fußballtraining, an den Dienstagen im Winter zum Tanzunterricht. Wenn es schneite – wie jetzt gerade –, rodelte sie mit ihren Eltern auf dem großen Hügel in ihrem Vorgarten, und hinterher holte ihr Vater Scheite von der hinteren Veranda, damit sie sich vorm Kamin im Wohnzimmer aufwärmen konnten. Carrie und ihre Freundinnen saßen dann mit ausgestreckten Beinen vor den züngelnden Flammen, ihre filzigen Socken alle in einer Reihe, während Carries Mutter ihnen Becher mit heißer Schokolade brachte. Ja, ihr Leben war sehr vorhersehbar gewesen, aber auch voller schöner Erinnerungen.

Und nun saß Carrie in ihrem Wagen, weit weg von allem, was vertraut und vorhersehbar war. Sie hatte diesen Job in Virginia angenommen, weil ihr neuer Boss, Adam Fletcher, ihr ein beachtliches Gehalt angeboten hatte – deutlich mehr, als sie bei ihrem letzten Job verdient hatte. Und es war nur vorübergehend, bis nach Neujahr. Obwohl es all ihren Wünschen widersprach, hatte Carrie beschlossen, dass dies ihr letzter Job als Nanny wäre. Danach würde sie etwas anderes machen. Sie musste ausprobieren, was das Leben zu bieten hatte, und als Nanny ließ sich das schwerlich bewerkstelligen. Immerzu kümmerte sie sich um die Kinder anderer Leute. Sie brauchte Zeit, sich ihr Leben aufzubauen, wenn sie irgendwann mal eine eigene Familie haben wollte. Also würde sie eine nette Reise nach Virginia machen und sich dann auf ihren Vorsatz für das nächste Jahr konzentrieren: einen neuen Beruf suchen.

Carrie war jedes Mal nervös, wenn sie eine neue Nanny-Stelle antrat. Sie kannte die Kinder und die Erwartungen der Eltern an sie noch nicht. Aber sie hatte ihre Methoden, ihre Arbeit letztlich immer zur Zufriedenheit aller zu machen. Sie wusste, was sie zu tun hatte. Und sie war gut in ihrem Job. Hatte sie sich erstmal eingelebt, traf sie selbstsicher Entscheidungen, was die Kinder anbelangte. Und dabei war es gleich, mit was für Kindern sie anfangs konfrontiert wurde – ob quengelig, wild, klammernd oder ängstlich. Carrie hatte ein Talent, ihnen durch alles hindurchzuhelfen, und wenn sie wieder ging, hinterließ sie stets glückliche, gesunde und entzückende Kinder. Carrie konnte Veränderungen in ihnen bewirken, weil sie wusste, dass mehr zu dem Job gehörte, als nur auf die Kleinen aufzupassen. Oft begriffen die Eltern das nicht, doch Carrie wusste es, und nur darauf kam es an. Carrie fühlte sich meistens erst nach einigen Tagen in einer neuen Familie wohl – wenn sie genügend Zeit gehabt hatte, ein Gefühl für die Atmosphäre im Haus und die Persönlichkeiten der Kinder zu bekommen. Dann allerdings konnte sie recht unverblümt sein, wenn es darum ging, was das Beste für die Kinder war.

Sie sah aus dem Fenster. Um sie herum schneite es, und Carrie spürte, wie die Winterkälte in den Wagen drang. Der Himmel war vollkommen weiß und verschwamm mit der schneebedeckten Landschaft. Alle Häuser in dieser Straße waren aus Backstein, und die roten und braunen Fassaden waren die einzigen Farbtupfer. Selbst die Straße war von einer Schneedecke verhüllt, und es schneite so kräftig weiter, dass die Reifenspuren beinahe genauso schnell wieder aufgefüllt waren, wie die Wagen sie in den Schnee prägten. Carrie blickte hinaus auf die weiße Weite und ließ sich von der stillen Szenerie beruhigen, als plötzlich ihr Telefon auf dem Beifahrersitz aufleuchtete und ihr neuer »Jingle Bells«-Klingelton die Stille durchbrach. Carrie nahm den Anruf an, noch ehe sie auf die Nummer gesehen hatte.

»Hallo?«, meldete sie sich, schloss die Augen und verzog das Gesicht, weil sie voreilig abgenommen hatte. Ihr blieben nur noch wenige Minuten, bis sie bei den Fletchers sein musste. Hoffentlich dauerte dieses Gespräch nicht länger. Jemanden am Telefon abwimmeln zu müssen würde sie erst recht nervös machen, und sie wollte nicht gleich am ersten Tag fahrig erscheinen.

»Hi, spreche ich mit Carrie Blake?«

»Ja.«

»Hier ist Adam Fletcher.«

Carrie setzte sich auf. Sofort war sie in Alarmstimmung, und ihr Herz pochte vor Nervosität. Ihr neuer Boss hatte eine autoritäre Stimme von der Sorte, bei der Carrie sich von ihrer besten Seite zeigen wollte und umgehend jede Silbe gründlich analysierte, bevor sie ihr über die Lippen kam, um auch ja einen guten Eindruck zu machen. Und er befand sich in dem Haus direkt neben ihr.

»Hallo«, sagte sie. Mehr fiel ihr nicht ein.

»Sind Sie das da draußen in dem Wagen?«

Sie wollte nicht zum Haus hinübersehen, wo sie womöglich Blickkontakt mit ihm durch ein Fenster hätte. Seit fünf Minuten saß sie in ihrem Wagen und wartete, dass die Zeiger ihrer Uhr auf vier Uhr dreißig krochen, also exakt die Zeit, zu der er sie bestellt hatte. Sie wollte weder zu früh noch zu spät sein, deshalb hatte sie sich genügend Zeit für die Fahrt genommen, um noch einige Minuten Spielraum zu haben. Und deshalb hatte sie in ihrem Wagen gesessen und in ihrem kürzlich gekauften Buch gelesen: Unsicherheit bewältigen – Wie man mit den kleinen Sorgen des Alltags fertig wird.

»Ich warte, dass es halb fünf wird«, sagte sie ehrlich.

»Nun, es ist eiskalt. Legen Sie bitte auf und kommen Sie rein.«

»Okay … Bye.« Sie legte auf und ließ das Telefon in ihre Handtasche fallen. Ihre Scham war schlimmer als die von außen hereinkriechende Kälte. Wie lächerlich mochte sie ausgesehen haben, wie sie draußen in ihrem Auto saß? Wie lange beobachtete er sie schon? Hatte er gesehen, dass sie beim Lesen die Tropfen vom Rand ihres Kaffeebechers geleckt hatte, die sich unter dem Plastikdeckel hervorgestohlen hatten? Vor lauter Verlegenheit bekam Carrie Kopfschmerzen. Inzwischen häufte sich der Schnee unten an ihrer Windschutzscheibe an. Carrie zog ihre Jacke bis unters Kinn zu und stellte den Motor aus. Der Schnee fiel sehr dicht, und dicke Flocken flogen seitlich gegen den Wagen. Die Hände um den Becher geschlungen, trank Carrie den letzten Rest Kaffee und blickte über den großen, schneebedeckten Vorgarten zu dem Haus, in dem sie die nächsten Wochen wohnen würde.

Es dürfte einige Millionen gekostet haben. In dieser Gegend von Richmond waren Immobilien grundsätzlich nicht billig, und diese hier müsste zur obersten Liga gehören. Die Backsteinfassade war schneeweiß gestrichen, was das Haus von den anderen in der Straße absetzte. Es hatte zwei Seitenflügel und, wie Carrie blinzelnd feststellte, noch ein altes Schieferdach. Die Gegend gehörte noch zum inneren Stadtbereich, war jedoch gerade so weit von der City entfernt, dass die Grundstücke noch groß und die Gehwege von Bäumen gesäumt waren. Die Straße schmiegte sich an den James River wie ein alter Freund, machte jede seiner Biegungen mit. Alle Häuser hier waren größer, als Carrie es je in natura gesehen hatte, und das besonders weitläufige Grundstück der Fletchers ließ deren Haus erst recht riesig wirken. In so einer Villa hatte Carrie noch nie zuvor gearbeitet.

Adam Fletcher hatte ein bisschen förmlich gewirkt, aber freundlich, und er hatte ihr durch nichts zu verstehen gegeben, dass er so reich war. Warum sollte er auch?, dachte sie. Sie war noch nicht mal drinnen, und schon jetzt zitterten ihre Hände wie verrückt. Sie wollte den leeren Kaffeebecher wegstellen, wobei sie ihn versehentlich in die Luft schleuderte, ihn aber abfangen konnte und in den Becherhalter stellte. Verstohlen blickte sie hinüber zu den Fenstern, ob er es auch nicht gesehen hatte.

Sich Kaffee zu holen war »etwas Vertrautes« gewesen. Sie hatte gelesen, wenn sie nervös war, sollte sie etwas Vertrautes tun, um ihre Nerven zu beruhigen. Nachdem sie Richmond früher als erwartet erreicht hatte, war sie durch die Innenstadt mit den engen Straßen gefahren, bis sie einen Coffeeshop fand. Doch selbst mit der längeren Suche nach einem Parkplatz – die Hälfte der Lücken war mit zusammengekehrten Schneebergen gefüllt – hatte sie noch hinreichend Zeit, einen Kaffee zu holen. Es war ein kleines, schlichtes Café. Leinensäcke mit Kaffeebohnen lehnten am Tresen, und im ganzen Laden roch es nach gerösteten Bohnen. In einer Ecke standen einige niedliche Holztische und Stühle unter einer großen Tafel, die mit pastellfarbener Kreide beschriftet war. Carrie hatte auf die Uhr gesehen und beschlossen, sich nicht zum Kaffeetrinken hinzusetzen, auch wenn sie es gern wollte, und ihren Kaffee mitgenommen. Er half ihr nun jedoch nicht, sich zu beruhigen. Vielleicht hatte sie nicht das richtige Vertraute gewählt. Im Umgang mit Kindern war Carrie ein Naturtalent, doch in ihrem eigenen Leben fühlte sie sich hilflos.

Was ihr Privatleben anging, hatte sie das Gefühl, es nie so ganz hinzubekommen. Und in dieser Jahreszeit war es immer am schlimmsten. Zu Weihnachten verbrachten alle Zeit mit ihrer Familie, während Carrie arbeitete oder nach Hause zu ihren Eltern fuhr. Zwar liebte sie ihre Eltern sehr, aber noch lieber wäre ihr eine eigene Familie, zu der sie heimkehren könnte. Sie wünschte sich Kinder, einen liebevollen Ehemann – eine Familie, mit der sie neue Erinnerungen schaffen konnte, die so vollkommen waren wie die an ihre Kindheit. Sie wünschte sich einen riesigen Weihnachtsbaum und Strümpfe am Kamin. Sie wollte Kekse für den Weihnachtsmann backen und ihre Kinder ertappen, wie sie zu den Geschenken unterm Baum linsten. Doch je länger sie arbeitete, desto mehr schwand ihre Zuversicht, weil sie schlicht nicht wusste, wie sie das erreichen sollte, was sie sich wünschte.

Vor zehn Jahren, mit dreiundzwanzig, hatte sie ihren Abschluss an der Erzieherschule gemacht und kurz darauf ihre erste Stelle als Kindermädchen angetreten. Sie fand, dass sie eine erfolgreiche Nanny war, und es machte ihr Spaß, also blieb sie die zehn Jahre dabei. Im Sommer ging sie mit den Kindern in den Park, picknickte mit ihnen und ließ Drachen steigen. Sie lief mit ihnen Schlittschuh und lachte, wenn sie sich aufrecht zu halten versuchten, wobei sie wie Bambi auf Eis aussahen und ihre kleinen Beine doch unter ihnen wegschlitterten. Sie backte mit ihnen Muffins zum Frühstück und Brot fürs Abendessen, malte, bastelte, färbte und schnitt aus – und jede der Kreationen war so einzigartig, dass es Carrie schwerfiel, sie irgendwann wieder vom Kühlschrank abzunehmen. Sie liebte es, Nanny zu sein. Das einzige Problem war, dass sie inzwischen dreiunddreißig war. Und da sie bisher Tag und Nacht mit anderen Familien verbracht hatte, führte sie praktisch kein Leben jenseits der Arbeit. Sie war noch nie ernsthaft mit jemandem zusammen gewesen, und sie hatte nie lernen können, wer sie sein wollte.

Ihre besten Freundinnen hatte es in eine gänzlich andere Richtung verschlagen. Sie verdienten mittlerweile sechsstellig, hatten ein aufregendes Privatleben, bereisten Orte, die Carrie nur aus dem Fernsehen kannte, und gingen mit reichen Männern aus. Einige von ihnen waren bereits verheiratet und gründeten ihre eigenen perfekten Familien. Carrie trennten mittlerweile Welten von ihnen, und sie hätte gern jemanden gehabt, der ihre Welt verstand. Es war seltsam, denn das, was Carrie am liebsten tat, nämlich für Kinder sorgen, hatte sie von den Menschen entfremdet, die ihr am nächsten gewesen waren.

Carrie hatte schon genug Selbsthilfebücher gelesen, um zu begreifen, dass sie nicht glücklich war. Nur wusste sie nicht, wie sie das ändern sollte. Was sie allerdings wusste, war, wenn sie jemals ihr eigenes Leben und die Chance auf ihre eigene Familie haben wollte, müsste sie sich endlich einen Job mit regulären Arbeitszeiten suchen, in dem sie mit Leuten arbeitete, die älter als fünf Jahre waren, und zu einer normalen Zeit nach Hause käme. Sie hatte sich die Kurslisten einiger Colleges zu Hause besorgt und sie durchgeblättert, sie jedoch direkt wieder weggelegt und sich eines ihrer Selbsthilfebücher genommen, um das Gefühlswirrwarr in sich zu ergründen.

Die Auswahl der Hauptfächer bot einfach nichts für Carrie. Nichts passte so eindeutig zu ihr wie der Abschluss in frühkindlicher Pädagogik. Vielleicht könnte sie noch eine Zusatzausbildung zur Vorschullehrerin machen, dachte sie oft. Nur war es eben nicht dasselbe, wie ein Kind hochzuheben, durch die Luft zu wirbeln und auf die Wangen zu küssen. So etwas käme in einer Vorschule nicht gut an. Und die Arbeit würde ihr nicht das Gehalt bringen, das sie jetzt verdiente. Sie konnte nichts finden, das sie lieber tun würde als den Job, der ihr alles andere versperrte, was sie sich wünschte. Folglich hatte sie das Gefühl, mit ihr stimmte etwas nicht; als wären ihre Pläne einfach nicht so klar wie die ihrer Freundinnen.

Und es gab niemanden, mit dem sie über ihre Unsicherheit reden konnte. Ihre Eltern, die sie immer unterstützten, sagten ihr bloß, sie solle sich etwas anderes aussuchen und das machen. Keiner von ihnen liebte seine Arbeit, und sie fanden, dass man sich eben mit seinem Job abfinden musste, so, wie sie es taten. Nur wollte Carrie das nicht. Zu den meisten Freunden vom College hatte sie den Kontakt verloren. Carrie war so viel unterwegs, wenn sie von einer Stelle zur nächsten wechselte, dass sie eigentlich nie neue Freunde fand. Und in ihrer Verlorenheit hatte sie sich hilfesuchend an Experten gewandt: die vielen Autoren von Selbsthilfebüchern. Sie hatte Dinge gelernt, wie sich unter Druck zu konzentrieren, leichter einzuschlafen und einen Wandschrank vernünftig zu ordnen. Doch egal, wie viel sie las, eigentlich fand sie stets nur neue Dinge an sich, die sie dringend korrigieren musste.

Dies hier würde ihr letzter Job sein, und wenn sie danach immer noch nichts fand, was sie wirklich machen wollte, würde sie sich eben mit irgendwas »abfinden« müssen. Doch jetzt wurde es Zeit, sich ihrer neuen Familie zu stellen und ihre Nervosität zu überwinden. So, wie man in einen kalten See sprang: Augen zu und durch. Sie öffnete die Wagentür und stieg hinaus in die Kälte. Der Wind wehte in eisigen Böen und kroch Carrie trotz des neuen gestreiften Schals in den Kragen. Sie warf einige Sachen in ihre Handtasche, drückte sie fest vor ihren Oberkörper, um sich zusätzlich zu wärmen, und stapfte durch den Vorgarten. Dabei hielt sie den Kopf gesenkt, damit ihr der Schnee nicht ins Gesicht wehte.

Bis zur Auffahrt war ihre Nasenspitze wie gefroren, und Carrie wusste, dass sie knallrot war. Doch sie zu pudern wäre zwecklos, weil auf ihrem nassen Gesicht alles zu Brei würde. Sie stapfte das letzte Stück durch den Schnee zur Haustür. Die Tür war im selben glänzenden Schwarz lackiert wie die Fensterläden und hatte einen Messingklopfer in der Mitte. Zu beiden Seiten waren schmale Fensterscheiben, die von der Oberkante der Tür bis hinunter zur Veranda verliefen. Durch sie schien Licht nach draußen. Carrie holte tief Luft, um ihre Nerven zu beruhigen.

Sie hatte allen Grund, selbstbewusst zu sein. Seit vielen Jahren war sie eine erfolgreiche Nanny, sodass sich ihr Ruf allein durch Mundpropaganda herumgesprochen hatte – sogar bis über den Bundesstaat hinaus. Ihr letzter Job war in North Carolina gewesen, und als sie den Anruf von Mr. Fletcher in Virginia bekam, konnte sie es kaum fassen. Sieh selbstbewusst aus, auch wenn du dich nicht so fühlst. Mach die Schultern gerade, lächle und nicke. Ihr Buch, Auf Selbstvertrauen kommt es an, hatte sie das gelehrt, nur half es nicht, die roten Flecken zu verbergen, die sich garantiert auf ihrem Hals zeigen würden, sobald sie Jacke und Schal ablegte. Die bekam Carrie immer, wenn sie nervös war, und bei der Hausbesichtigung würden sie sich wahrscheinlich bis zu ihrem Gesicht ausbreiten.

Bevor sie klingeln konnte, sah sie einen Schatten hinter dem einen Fenstervorhang und hörte Schritte näher kommen. Ihr Herz raste. Dies hier sollte ihr doch allmählich vertraut sein! Sie müsste die Situation entspannt angehen können. Das jedenfalls sagte ihr Buch im zweiten Kapitel. Aber Carrie fühlte sich nicht entspannt. Ihr Mund war ausgetrocknet, und ihre Hände zitterten in den geringelten Handschuhen. Sogar ihre Knie waren ein bisschen wacklig. Wenigstens konnte sie es auf die Kälte schieben. Warum wurde sie immer so nervös? Vielleicht stimmte doch etwas mit ihr nicht … Sie versuchte, den Fehler in ihrer Persönlichkeit zu entdecken, der sie immer wieder in diesen Zustand versetzte, aber da ging die Tür schon auf. Carrie ertappte sich, wie sie mehrfach blinzelte, als sie vor Adam Fletcher stand.

Er war umwerfend. Beim Einkaufen im Supermarkt, beim Pakete-zur-Post-Bringen, beim Spaziergang mit Kindern durch den Park – bei all diesen Gelegenheiten wäre sie wie vom Donner gerührt stehen geblieben, wenn jemand wie er vorbeigegangen wäre. Andererseits mussten Leute, die wie Adam Fletcher aussahen, wohl eher nicht einkaufen oder Päckchen zur Post bringen. Sein dunkelblondes Haar sah aus, als wäre er sich eben mit den Fingern hindurchgefahren, und er trug einen dicken Pullover über einem Oberhemd, Jeans und Halbschuhe. Eine Armbanduhr von der Größe Texas’, die teurer aussah als alles, was Carrie bisher im echten Leben gesehen hatte, lugte unter seinem Ärmel hervor. Sein Gesicht war glattrasiert, er lächelte ein wenig, und seine meerblauen Augen blickten Carrie direkt an … Wartete er, dass sie etwas sagte? Sollte sie als Erste sprechen?

»Hallo«, sagte er, bevor Carrie ihre Gedanken sortieren konnte, und reichte ihr die Hand. »Adam. Adam Fletcher. Freut mich.«

»Hi«, antwortete sie und ergriff seine Hand. Durch den Handschuh fühlte sie Wärme. Sie hatte noch nie gelesen, wie man mit einem verteufelt gut aussehenden Boss umging. Während sie sich vornahm, darüber ein Buch zu suchen, wurde ihr bewusst, dass sie noch nichts außer »Hi« gesagt hatte, also ergänzte sie hastig: »Ich bin Carrie Blake. Freut mich.« Er hat eben schon »Freut mich« gesagt, Mann! Sie zog die Schultern gerade, lächelte und nickte, wie es in ihrem Buch empfohlen wurde.

2

Gesunde Ablenkungen helfen oft, Nervosität zu lindern. Irgendwie glaubte Carrie nicht, dass Adam Fletcher die Sorte Ablenkung war, die in ihrem Buch gemeint war. Bisher hatte Carrie vornehmlich mit Müttern zu tun gehabt. Und sie alle waren der gleiche Typ gewesen: berufstätige Mütter, die ihre Arbeit möglichst gut machen wollten, während sie parallel Kinder großzogen und reichlich Überstunden machten. Vor Adam war Carrie noch nie von einem Mann kontaktiert worden, geschweige denn einem gut aussehenden. Sie war es gewohnt, morgens erstmal im Pyjama Frühstück zu machen, ehe sie sich für den Tag rüstete. Was wäre, wenn er etwas gegen ihr Haarspray im Bad oder ihr Make-up auf dem Waschtisch hatte? Solche Sachen störten andere Frauen nicht, weil sie ja genauso lebten. Aber wie war es wohl, in einem Haus mit einem Mann zusammenzuleben? Er hatte am Telefon gesagt, dass er alleinerziehender Vater sei, nur war Carrie das bis zu diesem Moment gar nicht richtig bewusst geworden. Nicht vertraut, nicht vertraut, nicht vertraut … An dieser Situation war nichts wie gewohnt, und Carrie war noch nicht weit genug in ihrem Buch Unsicherheit bewältigen, als dass sie wüsste, was sie tun sollte. Sicher gab es ein Kapitel darüber, wie man mit nicht vertrauten Situationen klarkam. Gewöhnlich brauchte Carrie nur wenige Tage, um sich sicher und wohl zu fühlen, doch hatte sie das Gefühl, dass es hier ein bisschen länger dauern könnte.

Adam bat sie hinein und schloss die Tür hinter ihr. Carrie blickte sich in der Diele um. Der Fußboden war aus irgendeiner Marmorart und erstreckte sich die geschwungene Treppe hinauf. Carries Blick folgte dem dunklen Holzgeländer bis zu einer Galerie und fiel zwei Stockwerke über ihr auf einen riesigen Kronleuchter. Es war ein Ungetüm aus gusseisernen Blättern und Zweigen sowie tropfenförmigen Glühbirnen, die mit einem Dimmer geschaltet sein mussten, denn das Licht flackerte beinahe. Seitlich von der Treppe stand ein Dielentisch aus dunklem Holz mit einer Tischlampe aus Gusseisen, von der buttrig gelbes Licht in den Raum schien. Neben der Lampe war ein Foto in einem dicken Silberrahmen, das zwei Babys mit wuscheligem Haar zeigte, beide in weiße Baumwolloutfits gekleidet. Das eine trug eine Latzhose, das andere ein Kleidchen mit weißem Smokeinsatz vorn.

»Ah«, sagte Adam, und unwillkürlich sah Carrie zu ihm, woraufhin sie ihre Nervosität wieder mit voller Wucht einholte. »Das sind die Zwillinge, David und Olivia. Inzwischen sind sie älter, vier, wie ich schon am Telefon erwähnte.«

Sie musste die Worte im Kopf einzeln zusammensetzen, um ihnen einen Sinn abzugewinnen, denn noch nie hatte sie jemandem gegenübergestanden, der eine solche Ruhe und ein solches Selbstvertrauen ausstrahlte. Wieder sah sie zu dem Foto. Beim Anblick der kleinen Gesichter, des Grübchens in der rechten Wange des Jungen und der blauen Augen des kleinen Mädchens, umrahmt von langen Wimpern, schmolz Carries Angst dahin. Gleichzeitig bemerkte sie, dass nirgends Weihnachtsdekoration zu sehen war, und sie fragte sich, ob diese Familie Weihnachten gar nicht feierte.

Für Carrie war es unvorstellbar, Weihnachten mit Kindern nicht zu feiern. Der Advent und Weihnachten waren für sie die schönste Zeit des Jahres. Nichts übertraf das Leuchten von Kindergesichtern angesichts dieses besonderen Zaubers. Kinder in Pyjamas unter einem Tannenbaum zu sehen, wie sie Geschichten lasen, Kekse und Milch für den Weihnachtsmann hinstellten und ungeduldig ihre Geschenke auspackten, war das Größte. Carrie hatte die Weihnachtstage geliebt, die sie mit Kindern verbringen durfte, und sich immer ein wenig betrogen gefühlt, wenn ihr die Familien an diesen Tagen frei gaben.

Ein Weihnachtsfest musste sie bisher allein in ihrer Wohnung verbringen, und es war ihr entsetzlich einsam vorgekommen. Am Weihnachtsmorgen war sie aufgewacht und hatte ihren kleinen Tannenbaum genauso wie am Abend zuvor vorgefunden – keine Überraschungen oder Teller mit Kekskrümeln. Nichts. Bloß das Brummen der Heizung und die Stille des Alleinseins. Plötzlich wollte Carrie dringend die Fletcher-Kinder sehen, konnte es gar nicht erwarten, sie kennenzulernen.

»Die Kinder sind im Spielzimmer. Möchten Sie die beiden jetzt sehen?«, fragte Adam, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Danach können wir uns über Ihre Aufgaben hier unterhalten.« Er öffnete eine Tür in der Diele und nahm einen Kleiderbügel zwischen lauter identischen Bügeln hervor. »Darf ich Ihnen Ihre Jacke abnehmen?«

Carrie zog die Jacke aus und reichte sie ihm. Dann wickelte sie ihren Schal los und streifte die Handschuhe ab. Mit jeder Schicht, die verschwand, fühlte sie sich entblößter, und sie ertappte sich bei dem Gedanken, dass ihr Aufzug womöglich nicht angemessen war. Waren ihre Schuhe zerkratzt? Auf jeden Fall waren sie vom Schnee draußen nass und hatten dunkle Ränder. Wie musste ihr Haar unter dem ganzen geschmolzenen Schnee aussehen? Nervös strich sie es sich hinters Ohr. Warum sorgte sie sich um ihr Aussehen? Normalerweise war sie vollgespuckt, hatte Stoffwindeln über der Schulter hängen und lief auf Socken. Ihr Äußeres hatte sie nie sonderlich gekümmert. Doch so ungern sie es zugab, wusste sie, warum es ihr auf einmal so wichtig war. Aus irgendeinem Grund wollte sie vor Adam nett aussehen. Prompt bekam sie ein schlechtes Gewissen. Solche Anwandlungen waren ihr fremd und derart unprofessionell, dass Carrie sich furchtbar fühlte. Sie ermahnte sich, dass sie wegen der Kinder hier war. Die Zwillinge hatten oberste Priorität, und wenn sie den Job gut machen wollte, sollte sie sofort aufhören, über ihr Aussehen nachzudenken, und sich lieber überlegen, wie sie bestmöglich für die beiden sorgte.

Das Problem war, dass Carrie überhaupt nicht an den Umgang mit Männern gewöhnt war. Sie hatte nie Dates, und wann immer sie nur daran dachte, überkam sie das Gefühl, in puncto Entscheidungen nie so gut gewesen zu sein wie ihre Freundinnen; deshalb gab sie direkt den Versuch wieder auf und beschloss, dass sie ein hoffnungsloser Fall war. Sie hatte ein großartiges Buch entdeckt: Zurück zum Wesentlichen – Das Leben neben der Arbeit. Bisher hatte sie noch keine Chance gehabt, irgendeinen der Vorschläge aus dem Buch in der Praxis auszuprobieren. Einer lautete, einem Verein oder Ähnlichem beizutreten und einen Abend pro Woche ganz dieser Aktivität zu widmen. Die Schwierigkeit bestand darin, dass jedes Mal, wenn Carrie es versuchte, eines der Kinder sie brauchte und sie es nicht übers Herz brachte, zu gehen. Also blieb sie, und letztlich war Carrie auch lieber mit Kindern zusammen als bei einem Lesekreis. Stimmte etwas mit ihr nicht?

»Zum Spielzimmer geht es hier entlang«, sagte Adam und zeigte den Flur hinunter.

Alles an ihm strotzte vor Selbstvertrauen. Er strahlte Kraft und Sicherheit aus. Carrie konnte nicht sagen, ob es an seinem Gang oder der Art lag, wie er die Schultern straffte; sie spürte es schlicht, wenn sie ihn nur ansah. Unruhig rang sie die Hände und kam sich klein vor.

»Heute ist Natalies letzter Tag bei uns. Sie hat eine Vollzeitstelle gefunden«, sagte er und lächelte Carrie an. »Sie übernehmen morgen.« Als er zu ihr herabsah, wummerte Carries Herz. Sie musste sich zusammenreißen, wenn sie hier arbeiten wollte. Es ging nicht, dass ihre Nerven jedes Mal verrücktspielten, wenn Adam in der Nähe war. Sie musste endlich erwachsen werden und fähig sein, selbstbewusst neben einem gut aussehenden Mann zu stehen, ohne den Verstand zu verlieren.

Sie erreichten die Tür, und Adam öffnete. Carrie schnappte nach Luft, als sie ins Zimmer sah. Es war wie aus einem Bilderbuch. Alle Spielzeuge standen ordentlich in dunklen Bücherregalen, die vom Boden bis an die Decke reichten, und eine rollbare Leiter war an der obersten, umlaufenden Regalreihe befestigt. Es gab Schaukelpferde, die an alte Karusselle erinnerten, riesige Schaumstoffklötze in einer Ecke und einen Mal- und Basteltisch, der größer war als Carries Auto. Eine junge Frau saß bei den Kindern auf dem Fußboden und legte vorsichtig einen Bauklotz auf einen bunten Turm. Ihr dunkles, schimmerndes Haar war zu einem makellosen Zopf gebunden, jede Strähne exakt da, wo sie sein sollte. Sie trug einen hellblauen, eng anliegenden Pullover mit einem weißen Kragen und weißen Manschetten, sowie eine Perlenkette um den Hals. Ihr Gesicht war glatt, und sie wirkte sanft und sehr beherrscht. Das muss Natalie sein, dachte Carrie.

Neben Natalie war ein kleiner Junge in einer Jeans, dessen Socken vom gleichen Rot wie sein Pullover waren. Sein Haar war dunkelblond, wie das seines Vaters, und kringelte sich um die Ohren. Er hatte große graue Augen und ein rundes Gesicht. Konzentriert zog er die Brauen zusammen, als er einen wackligen Bauklotz richtete. Er versuchte, ihn auf dem Turm zu halten, und versehentlich stupste er ihn dabei herunter. Carrie bemerkte, wie sehr er die Schultern anspannte, als er durch die schmalen rosigen Lippen ausatmete. Er hob den Klotz wieder auf und suchte nach einer besseren Stelle auf dem Turm. Carrie fiel auf, wie fest er den Bauklotz umklammerte und wie sich seine Zehen in den Socken krümmten, während er den Turm fixierte. Der kleine Junge schien richtig besorgt. Und das verstand Carrie – sie sorgte sich so sehr, wie sie ihr eigenes Leben in den Griff bekam, dass sie darüber aufgehört hatte, es tatsächlich zu leben.

Das kleine Mädchen kam zu Carrie, ergriff ihre Hände und entblößte lächelnd weiße, perfekt geformte Zähne. Dann kehrte die Kleine wieder zu dem Turm zurück. Ihr Haar war ein wenig heller als das ihres Bruders, und die goldenen Strähnen brachten die blauen Augen gut zur Geltung. Sie hatte ein herzförmiges Gesicht, und ihr kleiner Schmollmund zuckte, als sie ihren Bauklotz auf dem Turm ausbalancierte. Natalie legte noch einen Klotz obenauf, zog die Hand zurück, und die Kinder klatschten höflich. Sobald alle Klötze verbaut waren, wandte sich das kleine Mädchen zu Carrie um.

»Hallo«, sagte es mit heller Stimme, zupfte an seinem Kleidersaum und zeigte so die Strumpfhose darunter. »Ich bin Olivia.«

»Hi«, antwortete Carrie und musste lächeln. Olivias Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden, aus dem sich einzelne Locken gelöst hatten, die ihr ins Gesicht fielen. Sie strich sie mit beiden Händen weg, sodass Carrie die leuchtend rosa lackierten Fingernägel sah. Olivias Kleid war marineblau mit einem Stickmuster, oben, das dem auf dem Bild in der Diele ähnelte, nur, dass dieses Muster vom selben Hellblau war wie die Strumpfhose. Ihre dunkelblauen Schuhe waren mit zierlichen Silberschnallen versehen, die blitzten, als sie über den Teppich getapst kam.

Die Frau neben den Kindern blickte auf und lächelte. »Hallo. Du musst Carrie sein.« Sie stand auf, um Carrie zu begrüßen.

»Ich lasse euch dann mal allein«, sagte Adam und trat zurück. »Natalie, könntest du Carrie bitte zu meinem Büro bringen, wenn du ihr hier alles gezeigt hast?« Als er hinausging, wünschte Carrie sich, er würde bleiben. Dieser Wunsch überraschte sie sehr, zumal Adam sie unglaublich nervös machte. Zugleich aber war er faszinierend. Carrie mochte ihn. Etwas an ihm reizte sie, ihn näher kennenzulernen, und durch sein ruhiges Auftreten schien er ein klein wenig rätselhaft.

Die Kinder beobachteten nun alles stumm und fragten sich offensichtlich, was hier vorging. Kurz bevor Adam verschwand, bemerkte Carrie, wie er seinen Kindern zulächelte. Doch die beiden liefen nicht zu ihm. Sie hatten auch nicht gestrahlt, als sie ihn sahen, und die Begegnung war ein wenig distanziert gewesen. Jetzt standen die beiden still da, verzogen keine Miene und rührten sich nicht vom Fleck. Das erschütterte Carrie. Noch nie hatte sie solch ein Verhalten bei den bisherigen Familien beobachtet. Keines der Kinder war derart reserviert und vorsichtig im Umgang mit den eigenen Eltern gewesen. Adam mochte direkt und ernst sein, gab sich jedoch kein bisschen furchteinflößend, weshalb es Carrie seltsam erschien, dass die Kinder sich ihm gegenüber so verhielten.

Er schloss die Tür, und die Kinder blickten Carrie an, als sie sich im Schneidersitz auf den riesigen Teppich mit dem bordeauxroten und tannengrünen Muster hockte. »Was spielt ihr gerade?«, fragte sie die Kinder. Die beiden sahen zu Natalie, also schaute Carrie sie ebenfalls an und wiederholte die Frage: »Was spielt ihr gerade?«

»Bauklötze auftürmen«, antwortete Natalie lächelnd.

»Und was ist das für ein Spiel?«

»Oh, gar keines. Wir bauen nur.«

Carries Blick wanderte zu dem einsamen Turm aus einzelnen Klötzen in der Mitte des Teppichs und den vielen anderen Spielsachen, die ordentlich in den Regalen standen. Es war unübersehbar, dass Natalie einen anderen Stil pflegte als Carrie. Natalie war ruhig und streng, wie Carrie schon allein an der Art erkannte, wie sie mit den Kindern kommunizierte. Sie schien nett und freundlich, doch dem Turm und den Spielzeugen drum herum nach zu urteilen, war sie eher nicht der Typ, der auf Händen und Knien Pferdchen für die Kinder spielte und sie einfach in die Luft warf, um sie zum Lachen zu bringen. Das bereitete Carrie Sorgen. Sie fragte sich, ob ihr Stil in diesen Haushalt passte. Natalies Herangehensweise war nicht schlecht, nur anders. Da Carrie weder mit ihr konkurrieren, noch sich kritisch ob des anderen Stils zeigen wollte, sah sie in den Eimer mit Bauklötzen und nahm einen heraus.

»Wo soll ich den hinstellen?«, fragte sie David, den kleinen Jungen. Am liebsten wollte sie die Autokiste holen, eine Garage bauen, vielleicht ein Autokino, und eine Geschichte spielen. Oder ausprobieren, ob die Kinder Türme bauen konnten, die so hoch waren wie sie, und dann so tun, als seien die Türme Monster, die von den Kindern umgehauen werden mussten. Carrie hatte alle möglichen Ideen, hielt sich jedoch zurück. Dies hier war noch nicht ihr Job. Sie wandte sich zu David, der noch merklich schüchtern war, und gab ihm den Bauklotz. »Wie wäre es, wenn du den für mich obendrauf legst? Denkst du, du kannst ihn ausbalancieren?«

Er schien unsicher. Olivia beugte sich zu ihm, strich sich weiter das Haar aus der Stirn, sodass ihr Nagellack blitzte, und flüsterte: »Stell ihn da hin, David.« Dabei wies sie auf eine Stelle neben dem höchsten Turm. David sah kurz in Carries Richtung, dann legte er den Klotz so ab, wie seine Schwester es gesagt hatte.

»Bald gibt es Abendessen«, sagte Natalie. »Wollen wir schon mal aufräumen?«

Carrie betrachtete den winzigen Haufen Bauklötze. Das war definitiv anders als ihr bisheriges Aufräumen mit Kindern. David nahm den Eimer auf und begann, Bauklötze hineinfallen zu lassen. Olivia drehte sich im Kreis und bewunderte, wie ihr Kleid aufflog.

»Olivia, hilfst du David bitte?«, sagte Natalie.

Olivia drehte sich weiter, viel zu vertieft in ihr Wirbeln, um Natalie zu hören.

»Ich zähle bis drei, dann ist Auszeit«, sagte sie freundlich, aber bestimmt.

Carrie wollte Natalie nicht auf den Schlips treten, hatte allerdings das Gefühl, dass es sich besser lösen ließ, und fragte: »Macht es dir etwas aus, wenn ich es mal versuche? Um ein Gespür für die Kinder zu bekommen?«

»Nur zu.«

»Olivia!«, sagte Carrie in einem dramatischen Flüstern. »Olivia!«

Das Mädchen blieb stehen und sah Carrie an. »Mir ist schwindlig!«, kicherte Olivia, und Carrie musste lächeln. Sie kam zu Carrie geschwankt und neigte den Kopf zur Seite, sodass ihr der Pferdeschwanz über die Schulter fiel. Carrie bemerkte ihre hellen, zarten Wimpern, als Olivia mehrmals blinzelte, weil sie noch benommen war.

»Olivia, ich habe mir einen ganz bestimmten Bauklotz ausgesucht, und wenn du den findest, habe ich etwas Besonderes für dich. Doch es zählt nur, wenn du ihn in den Eimer geworfen hast. Spielst du mit?«

»Was hast du für mich?«

»Etwas, das rot, weiß und minzig ist.«

»Oh ja!«, sagte Olivia und zog die schmalen Brauen hoch.

»Darf ich auch mitspielen?«, rief David und kippte die bunten Bauklötze wieder auf den Boden.

Carrie lachte. »Ja, darfst du.«

Die Kinder hoben die Bauklötze einen nach dem anderen auf und fragten: »Ist es der?«, ehe sie ihn in den Eimer warfen.

»Ich kann es euch erst verraten, wenn alle drin sind!«, antwortete Carrie jeweils.

Bald hüpften die beiden umher, sammelten Bauklötze ein und kamen strahlend zu Carrie gelaufen. Carrie sah ihnen an, wie aufgeregt und gespannt sie waren, während sie mit ihren kleinen Händen nach den Klötzen griffen, und ihr wurde ganz warm ums Herz. Es gab nichts Besseres als dies hier. Carrie sehnte sich nach eigenen Kindern, nach dem Geräusch ihrer tapsenden Schritte, wenn sie nachts durch den Flur zu ihr kamen oder wenn sie morgens mit zerzaustem Haar und großen Schlafaugen ins Bett sprangen, um Carrie zu wecken. Sie wünschte sich ein Zuhause, in dem sie über Spielsachen steigen musste, um von einem Zimmer ins nächste zu gelangen, und eine Babydecke unter dem Sofapolster fand, wenn sie sich hinsetzte. Als Nanny kam sie diesem Leben schon recht nahe, und sie liebte alles daran. Die Zwillinge befüllten eilig den Eimer, bis kein einziger Bauklotz mehr auf dem Boden lag.

Carrie ging hin und sah in den Eimer. »Hmm«, sagte sie und wühlte in den Bauklötzen. Die Kinder sprangen aufgeregt auf und ab und ließen Carrie nicht aus den Augen. Sie griff hinein und nahm einen roten, quadratischen Klotz hervor. »Wer hat den hier aufgehoben? Ich erinnere mich nicht«, sagte sie, und beide Kinder rissen die Arme in die Höhe.

»Ich! Ich!«, riefen sie.

»Ich glaube, es war Olivia«, sagte Carrie und gab sich betont unsicher. David verzog tief enttäuscht das Gesicht. »Nein, wartet, oder war es David?« Nun blickte der Kleine mit riesigen Augen auf. Olivia hatte ihre Arme ausgebreitet wie Flugzeug-Tragflügel, sah aber immer wieder zu Carrie.

»Ich weiß es nicht mehr! Ihr zwei habt die Klötze so schnell aufgesammelt, dass ich gar nicht mehr mitgekommen bin! Da werde ich euch wohl beiden eine Belohnung geben müssen.« Sie langte in ihre Handtasche und zog zwei rot-weiße Zuckerstangen hervor, die sie in letzter Sekunde eingesteckt hatte, bevor sie aus dem Wagen gestiegen war. »Aber die steckt ihr für nach dem Abendessen ein«, sagte sie. Beide Kinder grinsten, und ihre Zähne glänzten wie Natalies Perlen, während ihre Augen im Lampenschein funkelten.

»Das war ein netter Trick«, befand Natalie schmunzelnd. »Ich glaube, du wirst mit den beiden deinen Spaß haben. Ich hatte ihn auf jeden Fall. Adam arbeitet sehr viel, deshalb wirst du rund um die Uhr auf Abruf bereitstehen müssen, aber die Familie ist reizend, solange man nichts dagegen hat, immerzu zu arbeiten. Sosehr ich sie auch mag, habe ich einen Job gefunden, bei dem ich normale Arbeitszeiten habe und abends pünktlich Schluss mache.«

Leider stellte Carrie fest, dass sie ideal für diesen Job war. Da zu Hause keiner auf sie wartete, hielt sie nichts davon ab, jede Minute mit der Fletcher-Familie zu verbringen. Und auch wenn sie sich darauf freute, mit den Kindern zusammen zu sein und jemanden zu haben, der sie immerzu brauchte, überlegte sie unweigerlich, ob da draußen womöglich ein glücklicheres Leben auf sie wartete, das sie niemals kennenlernen würde.

3

Nehmen Sie sich täglich fünf Minuten, in denen Sie etwas tun, das Sie glücklich macht. Das hatte Carrie in ihrem Buch gelesen, Finde dein inneres Glück: Lebe stark und gelöst. Dann sollte sie wohl extrem glücklich sein, sagte sie sich. Sie wäre Tag und Nacht mit Kindern zusammen. Das machte eintausendvierhundertvierzig Minuten pro Tag. Es fehlte etwas in Carries Leben, und sie wusste, was diese gigantische Leere verursachte, hatte aber keine Ahnung, wie sie das ändern sollte. Sie dachte an die Anregungen in ihrem Buch. Wenn sie so viel Zeit damit verbrachte, etwas zu tun, was sie wirklich mochte, und immer noch das Gefühl hatte, ihr Leben sei unvollständig, was sollten da fünf Minuten ausrichten? Fürs Erste verdrängte Carrie die Frage. Sie musste arbeiten, und vorher musste sie mit Adam sprechen, damit er ihr sagte, was er von ihr erwartete.

Als Natalie sie vor Adams Bürotür verließ, dachte Carrie darüber nach, welche Verpflichtung sie hier einging. Natalie hatte selbst gesagt, dass Adam Fletcher so gut wie nie zu Hause war und sie sich rund um die Uhr um die Kinder kümmern musste. Aber auch wenn Carrie klar war, dass sie einen Job brauchte, der ihr Zeit für ein Privatleben gewährte, um zum Beispiel in einen Lesekreis zu gehen oder so, wusste sie eigentlich gar nicht, wie sie das anfangen sollte. Wo würde sie hingehen? Sie kannte doch niemanden. Und sie würde ganz sicher nicht allein in eine fremde Stadt ziehen. Also beschloss sie, dass dieser Job vorerst gar nicht so schlecht war. Nein, es war vertraut und gut, Kinder zu betreuen. Carrie klopfte an die Tür.

»Herein«, hörte sie von drinnen, und prompt wurden ihre Finger kribbelig. Gewiss war es gut, dass Adam die ganze Zeit arbeitete. Dann würde sie ihm nicht allzu oft über den Weg laufen.

Carrie öffnete die Tür und erblickte ihn hinter einem Schreibtisch, der aus demselben dunklen, schimmernden Holz war wie alle Möbel hier im Haus. Die gesamte hintere Wand war mit Bücherregalen versehen, gleich denen im Spielzimmer, nur, dass in diesen tatsächlich Bücher standen. Hatte er die alle gelesen? Carrie wäre gern näher herangegangen, um sich die Titel anzusehen. Man erfuhr eine Menge über einen Menschen, wenn man sich ansah, welche Bücher er las. Eine Stehlampe beschrieb einen hohen Bogen vom Boden aus und schien auf die Schreibtischplatte. Auf dem Schreibtisch stand ein einzelnes gerahmtes Bild, aber natürlich mit der Rückseite zu Carrie, sodass sie sich unweigerlich fragte, ob es ein Foto seiner Kinder war. Und daneben befand sich eine kleine Soufflé-Form mit einer Gabel darin.

Carrie kochte gern, und Soufflés waren ihre Spezialität; ob süß, würzig oder deftig … Carrie liebte sie alle.

Adam stand auf. Er hatte eindeutig bemerkt, dass sie zu der Auflaufform gesehen hatte. »Ich habe versucht, ein Soufflé zu machen«, sagte er mit einem verlegenen Lächeln. »Ich esse unheimlich gern Soufflés, bekomme sie aber leider nie richtig hin.«

Nun erst sah Carrie, dass er das Soufflé nicht gegessen hatte und es sich eher um einen zusammengebrannten gelben Klecks am Boden der Form handelte. Die Vorstellung, dass ein solch erfolgreicher Mann beim Kochen versagte, amüsierte sie, und sie musste sich ein Grinsen verkneifen. »Die sind gar nicht so schwierig, wie man denkt«, sagte sie. »Man muss bloß genug Luft ins Eiweiß bekommen, sonst nichts. Ich wette, dass Sie alles andere richtig gemacht haben.«

Zum ersten Mal lachte er kurz und lächelte sie dann an. Es war ein strahlendes, warmes Lächeln, und Carrie musste sich leicht an dem Stuhl neben sich abstützen. Allein beim Anblick dieses Lächelns malte sie sich aus, wie es wäre, abends zu jemandem wie ihm nach Hause zu kommen, jemandem, mit dem sie reden konnte und der sie fragte, wie ihr Tag war.

»Vielleicht können Sie es mir irgendwann mal zeigen.«

Sie musste schlucken, ehe sie antworten konnte. »Gerne.«

»Setzen Sie sich doch.« Er zeigte auf den Stuhl, auf den Carrie sich stützte. »Natalie bringt die Kinder heute Abend ins Bett. Sie fangen offiziell erst morgen an. Also gehen wir mal Ihre Aufgaben durch.«

Carrie war aus zweierlei Gründen froh, sitzen zu können. Der erste war, dass sie so die Hände auf ihrem Schoß falten und stillhalten konnte; der zweite war, dass sich ihre Beine dank des Soufflé-Moments wie Gummi anfühlten. Bisher machte Adam einen freundlichen und warmherzigen Eindruck, doch etwas an ihm schüchterte sie schrecklich ein. Schon seine Körperhaltung verriet, wie klug und wie eisern er wohl in seinem Job sein konnte. Was immer er tun mochte, er schien damit zu einigem Wohlstand zu kommen, und das wiederum war an sich schon einschüchternd. Carrie hatte vorher auch für wohlhabende Leute gearbeitet, aber keiner von ihnen war richtig reich gewesen. Und ihre eigene Familie lebte so anders als diese, dass Carrie befürchtete, irgendwas zu tun oder zu sagen, was ihren völlig anderen Hintergrund verriet.

»Wollen wir direkt zur Sache kommen?«, fragte er. Zwangsläufig musste sie ihn ansehen.

»Ja«, sagte sie mit einem nervösen Lächeln. Zu ihrem Entsetzen fühlte sie die Hitze an ihrem Hals aufsteigen und ahnte, dass sie völlig fleckig wurde. Sie wusste genau, wie sie sitzen, wie sie ihre Schultern halten musste und wie sie selbstbewusst lächelte, doch ihr Erröten machte alles zunichte. Und dagegen hatten ihre Bücher auch keine tollen Tricks geliefert. Plötzlich wurden Adams Züge sichtlich weicher, als würde er Carrie erstmals richtig wahrnehmen. Was sie umso nervöser machte. Ja, er sah garantiert die roten Flecken.

»Oh, es tut mir leid«, sagte er. »Ich habe Ihnen noch gar keine Zeit gelassen, sich ein bisschen einzugewöhnen. Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«

Ein Glas Wein? Ja, das wäre sicher gut, um ihre Nerven zu beruhigen. Andererseits würde sie sich sowieso alles über den Schoß kippen, was er ihr gab. »Nein danke, ist schon gut«, antwortete sie und behielt die Hände auf den Oberschenkeln.

»Na schön. Also …« Er lehnte die Unterarme auf den Schreibtisch. Es erinnerte Carrie daran, dass sie mal gelesen hatte, Kellner sollten sich zum Tisch beugen, um die Bestellungen ihrer Restaurantgäste aufzunehmen. Die Nähe wirkte angeblich beruhigend auf die Gäste. Versuchte Adam, sie zu beruhigen? Spürte er ihre Nervosität?

»Ich habe eine Putzhilfe, die einmal die Woche morgens herkommt. Sie heißt Rose. Daher werden Sie hier nicht putzen müssen. Sie konzentrieren sich ganz auf die Kinder. Wohnen werden Sie in Natalies Zimmer oben. Es ist gleich neben den Zimmern der Kinder. Natalie hat das Bett heute frisch bezogen und ihre Sachen ausgeräumt. Es ist also bereit für Sie. Haben Sie Ihr Gepäck mitgebracht?«

»Ja. Es ist im Auto.«

»Kein Problem. Ich helfe Ihnen, alles reinzuholen. Es schneit ziemlich heftig, daher sollten wir es bald tun.«

»Okay.« Okay? Carrie wollte aussehen, als wüsste sie, was sie tat, weil es ja auch so war! Aber sie wirkte hoffnungslos unterbelichtet, so, wie sie keine zwei Sätze herausbrachte. Zum ersten Mal, seit sie erwachsen war, wurde sie sich ihrer eigenen Ausdrucksweise bewusst und fragte sich, wie sie auf Adam Fletcher wirkte. Wie sah er sie? Darüber hatte sie früher nie nachgedacht und sich einfach natürlich verhalten. Vor Adam hingegen wollte sie selbstsicher und attraktiv erscheinen. Und sie konnte nichts gegen die Angst tun, dass sie nicht annähernd wie die Person aussah, die sie für Adam sein wollte.

»Grundsätzlich können Sie über alles im Haus verfügen. Was immer Sie brauchen, bedienen Sie sich. Sie sind rund um die Uhr für die Kinder zuständig, solange sie hier sind. Ich habe die Zwillinge bis Januar, danach kehren sie zu ihrer Mutter zurück. Sie sind mir wärmstens empfohlen worden, also vertraue ich darauf, dass Sie wissen, wie Sie mit den Kindern umgehen müssen. Und sollte ich mit einer Ihrer Methoden nicht einverstanden sein, reden wir darüber.«

»Gibt es etwas Besonderes bei den Kindern zu beachten? Allergien oder Ähnliches?«, fragte sie, um sich wieder auf ihren Job zu konzentrieren. Über die Kinder zu sprechen war gut. Es linderte ihre Unruhe ein wenig, denn mit Kindern kannte sie sich aus.

»Nein, nicht, dass ich wüsste.«

»Sehr gut. Was ist mit festen Mittagsschlaf- oder Zubettgehzeiten?«

Hatte Adam bisher so sicher und stark gewirkt, brachte ihn diese Frage für einen Augenblick ins Schwimmen. Da war ein Hauch von Unsicherheit, sehr unauffällig, doch Carrie entging es nicht. Carrie konnte noch nicht genau sagen, was es war, aber etwas an Adam und seinen Kindern war völlig anders, als sie es von ihren anderen Familien kannte.

Er notierte etwas auf einem Block. »Ich werde Natalie bitten, Ihnen eine Liste mit den Zeiten, den Essensvorlieben und dergleichen zu machen.« Er schrieb weiter, und Carrie war froh, dass er sie für eine Weile nicht ansah. »Reden wir über Weihnachten«, sagte er dann.

Weihnachten! Sie war so froh, dass er es erwähnte. »Feiern Sie Weihnachten?«, fragte sie vorsichtig. Es überraschte sie, dass er es ansprach, weil nirgendwo im Haus irgendwelche Weihnachtsdekoration zu sehen gewesen war.

»Selbstverständlich!« Er lächelte wieder, und in Carries Bauch hob ein wildes Geflatter an. »Ich habe mir vier Tage freigenommen. Meine Familie kommt her, weil es mein erstes Weihnachten mit den Kindern ist. Normalerweise sind sie bei ihrer Mutter, aber in diesem Jahr ist sie nach Italien gereist, an die Amalfi-Küste.« War da ein verletzter Unterton in seiner Stimme? Adam räusperte sich. »Meine Mutter will unbedingt kommen, also wird das Haus voll mit meinen Verwandten sein. Sie sollten sich allerdings nicht verpflichtet fühlen, alle zu bewirten. Ihre Pflichten beschränken sich auf die Kinder.«

Auch diese Situation war vollkommen neu für Carrie: die Kinder zu betreuen, während Adams versammelte Familie sie beobachtete. Waren sie alle wie er – extrem erfolgreich und einschüchternd? Würde sie die gesamten Feiertage über höllisch nervös sein? Sie sah den Mann ihr gegenüber an und versuchte, sich seine Eltern vorzustellen. Wer hatte diesen reichen Mann großgezogen, der bis auf die vier Tage um Weihnachten herum immerzu arbeitete? Wer hatte ihn zu dem Menschen erzogen, der er war? Hatte er auch still Türme aus Bauklötzen in einem Museum von einem Spielzimmer gebaut, oder durfte er bis zu den Ellbogen in Farbeimer eintauchen, um zu sehen, wie sich Farben vermischten? Carrie glaubte, er wäre eher der stumme Bauklötzestapler gewesen, und das machte sie noch ängstlicher, was seine Familie betraf.

»Bleiben sie über die Weihnachtstage?«, fragte sie.

»Ja.«

»Und … hatten Sie vor …« Sie wollte ihn nicht gleich am ersten Tag vor den Kopf stoßen, aber sie musste fragen, denn schließlich war bereits Dezember. »Wollen Sie einen Baum oder andere Dekoration besorgen?«

»J-ja«, sagte er zögerlich. Es war offensichtlich, dass er daran noch gar nicht gedacht hatte. »Tut mir leid, aber ich hatte noch nie Weihnachten jemanden hier, und da die Kinder sonst immer bei ihrer Mutter waren, habe ich die Feiertage bisher nicht weiter beachtet. Ich gebe Ihnen eine Kreditkarte, mit der Sie online Geschenke für die Kinder bestellen können. Von mir …«

Carrie fielen beinahe die Augen aus dem Kopf, und um ein Haar hätte sie vor Entsetzen den Mund weit aufgerissen, aber sie beherrschte sich. Was war mit dem Weihnachtsmann? Was war mit Baumschmücken und Plätzchenbacken? War Adam nicht klar, wie wichtig solche Erlebnisse waren? Und wusste er nicht, was er seinen eigenen Kindern schenken könnte? Kein Wunder, dass die beiden nicht auf ihn zugelaufen waren. Wahrscheinlich hatten sie bislang viel zu wenig Zeit mit ihm verbracht, um irgendwelche Gefühle zu entwickeln! Carrie hoffte nur, dass die Kinder bei ihrer Mutter diese schönen Erfahrungen machten, denn Adam bot sie ihnen eindeutig nicht. Dann aber bremste Carrie sich. Sie zog voreilige Schlüsse, urteilte über Adam, obwohl sie so gut wie nichts wusste – egal, wie klar einiges schien.

»Könnte ich ein kleines Budget für weihnachtliche Unternehmungen bekommen?«, fragte sie.

»Ja, sicher! Und kaufen Sie, was immer Sie möchten. Sie können auch das Haus schmücken. Es würde den Umgang mit meiner Mutter wesentlich erleichtern«, sagte er grinsend. Demnach war ihm die Vorstellung nicht gerade zuwider. Carrie fragte sich, ob er vielleicht – wie die Kinder – einfach mal seine Hände tief in Farbe tauchen müsste, um lockerer zu werden. Sie stellte ihn sich mit aufgekrempelten Ärmeln vor, die Finger von Primärfarben bedeckt, die Kinder neben ihm, und dieses Lächeln in seinem Gesicht … Das perfekte Familienbild, das in ihrer Fantasie entstand, machte sie aufs Neue nervös, als ihr aufging, dass sie sich eine Situation ausmalte, in die sich die Hauptrolle ihres Tagtraums niemals begeben würde. Hastig verdrängte sie das Bild, ehe die roten Flecken wiederkamen.

»David und Olivia haben am einundzwanzigsten ein Krippenspiel. Vielleicht will die Familie hingehen, vielleicht nicht, aber um sicherzugehen, möchte ich Ihnen die Verantwortung übertragen, die Kinder rechtzeitig hinzubringen. Es findet um fünf Uhr statt.«

Carrie zückte ihr Mobiltelefon und tippte den Termin ein. Dabei fragte sie sich, ob er ihr auftrug, die Kinder hinzubringen, weil er selbst nicht zu kommen plante. Würde er denn nicht sehen wollen, wie seine Kinder als kleine Engel oder als Jesuskind verkleidet waren? War ihm nicht bewusst, dass er nur sehr wenig Zeit hatte, so etwas mit ihnen zu erleben, bevor sie zu alt waren?

»Sicher möchten Sie bald zu Abend essen. Sollen wir Ihr Gepäck hereinholen?«, fragte er.

»Okay«, antwortete sie und wollte sich wieder ohrfeigen, dass sie immer nur dieses eine Wort herausbrachte. Vielleicht würde sie nach und nach darüber hinwegkommen, dass er erfolgreich, gut aussehend und single war … Das hoffte sie jedenfalls.

4

Sprechen Sie selbstbewusst. Selbstvertrauen ist entscheidend für einen guten ersten Eindruck.