Mit dem WAHNmobil auf Tour - Micha H. Echt - E-Book

Mit dem WAHNmobil auf Tour E-Book

Micha H. Echt

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Beschreibung

Klaus Dipendenti, Camper und Oberamtsrat, sowie seine Frau Gertrude wollen sich verändern. Die Freiheit und die Sparpotentiale eines Wohnmobils erscheinen ihnen noch größer als die eines Wohnwagens. Mit dem Besuch der Schwindelfinger Freizeitmesse und dem Erwerb eines günstigen Gebrauchten beginnt die Tour durch die Campingrepublik. An der Nordsee steuert Marcus Bolso sein Campingunternehmen erfolgreich durch die Tücken der Saison. Die kleinen und großen Herausforderungen bewältigen er und seine Crew mit vielen Ideen bis plötzlich eine geheimnisvolle Tierärztin das Leben von Marcus durcheinander bringt. Wo kommt diese Frau her und was haben Freimaurer, eine schwarze Katze und das LKA mit Klaus und Marcus zu tun?

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Seitenzahl: 534

Veröffentlichungsjahr: 2025

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TITEL

Micha H. Echt

Mit dem

WAHNmobil

auf Tour

Impressum

Trotz gewissenhafter Bearbeitung kann eine Haftung für den Inhalt nicht übernommen werden. Für aktuelle Ergänzungen und Anregungen ist der Verlag jederzeit dankbar. Wir bedanken uns bei allen, die uns unterstützt haben.

© 2025 RhinoVerlag Dr. Lutz Gebhardt & Söhne GmbH & Co. KG

Am Hang 27, 98693 Ilmenau

Tel.: 03677 / 46628-0, Fax: 03677 / 46628-80

[email protected]

www.RhinoVerlag.de

1. Auflage 2025

Alle Rechte vorbehalten.

Nachdruck, Vervielfältigung und Verbreitung – auch von Teilen – bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Das gilt insbesondere für Überset-zungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verbreitung in elektro-nischen Systemen. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Weise zum Zweck des Trainings von Technologien oder Systemen der künstlichen Intelligenz verwendet oder reproduziert werden. In Übereinstimmung mit Artikel 4 (3) der Richtlinie über den digitalen Binnenmarkt 2019/790 wird dieses Werk ausdrücklich von der Ausnahme für Text- und Data-Mining ausgenommen.

Titelgestaltung: Katrin Kadelke

Lektorat: Angelika Hoffmann

Satz & Layout: Nicole Güntek, Verlag grünes herz®

Schrift: Minion Pro

ISBN 978-3-95560-710-4 (EPUB)

Vielen Dank!

Mein Dank gilt in erster Linie all meinen tausenden Leserinnen und den hunderten Lesern.

Danke dafür, dass Sie mit mir bereits die Story des CaraWAHNs durchlebt und durchlitten haben.

Danke dafür, dass Sie an den richtigen Stellen gelacht und bei anderen Passagen den Kopf geschüttelt haben.

Danke dafür, dass Sie immer wieder die Weiterfahrt des CaraWAHNs eingefordert haben.

Ich möchte mich auch ausdrücklich bei Verlag und Lektorin dafür bedanken, dass sie mir den Neustart des WAHNsinns ermöglicht haben.

Micha H. Echt, März 2025

001

Autohaus Donner – Starten Sie durch auf neuen Pfaden!

»Scheffe? Meinen Sie der Spruch reißt irgendwen vom Hocker?«

»Wissen Sie was Besseres?« Autohauschef Donner Junior guckte seinen Verkäufer fragend an. Aber Carl Überwasser war geradewegs vom Lehrgang zurück und wollte seinem Chef etwas ganz anderes beibiegen.

»Scheffe, wir müssen nicht nur bessere Werbung machen. Wenn wir jetzt wirklich in Wohnmobile machen wollen brauchen wir gute Leute! Mindestens einen Tischler und einen Installateur. Da müssen Kühlschränke repariert, Wasserpumpen getauscht, Betten angepasst, Rollos ausgemessen …«

»Mann, Überwasser, so ein Mechatroniker wird doch wohl einen Kühlschrank reparieren können und ’nen Bettkasten sollte jeder Schlosser zusammenstecken können.«

»Glaube ich nicht Scheffe, aber nochmal, wir brauchen nicht nur coole Werbung und gute Fahrzeuge, wir brauchen auch mehr Ausstellungsfläche und, wie gesagt, Fachleute!«

»Fachleute! Wollen Sie die backen? Oder im 3-D-Drucker basteln? Es gibt keine Fachleute! Wir müssen mit dem auskommen was wir haben. Und eine Idee, wo wir gebrauchte Wohnmobile herbekommen, habe ich auch schon. Ich hab da eine Anfrage laufen bei der Firma Rent-Mie. Wir werden deren Jahreswagen verticken. Wir spezialisieren uns auf Gebrauchte. Die sind nicht so teuer.«

»Scheffe, dann brauchen wir noch mehr Leute. Gebrauchte machen noch mehr Arbeit!«

002

Oberamtsrat Klaus Dipendenti drehte sich in seinem Gesundheitsstuhl hin und her. Heute ist wirklich mal ein spannender Tag gewesen. Am Vormittag hatte er es bei einem Vor-Ort-Termin endlich geschafft, die völlig gegensätzlichen Vorstellungen und Forderungen eines Antragstellers, den Vertretern der Berufsgenossenschaft und der Gewerbeaufsicht unter einen Hut zu bringen. Einzig das Gesundheitsamt hat noch einige abweichende Forderungen, aber das wird er auch noch klären können. Nach einem monatelangen Brief- und E-Mail-Wechsel wirklich ein Erfolg! Und dann heute Mittag das Erlebnis in der Kantine.

Xaver Schbrichbeidl, seines Zeichens großer Häuptling Passwesen, hat lauthals verkündet, dass er jetzt endlich den Stein der Weisen entdeckt hätte! Nachdem er jahrelang ein bodenloses Budget für Bootspflege, Bootsreparatur und vor allem für seinen Bodensee-Bootsliegeplatz versenkt hatte, nur um dann festzustellen, dass an den freien Wochenenden Stürme über dem Bodensee tobten oder es aber so kühl war, dass weder seine Angetraute noch irgendwelche ominösen Freunde mit ihm aufs Wasser wollten. Jetzt aber meinte er die Idee schlechthin gefunden zu haben.

Mit laut dröhnendem Bass, so wie es seine bescheidene Art war, verkündete er in der Kantine den Mitarbeiterinnen seiner Abteilung, dass er jetzt auf Camping umstellen würde. Aber nicht einfach und spontan wie so Viele in den vergangenen Jahren, sondern mit einem exakten Plan! Der wichtigste Bestandteil seiner intensiv recherchierten Entscheidung war der Kauf eines britischen Wohnwagens.

Diese super gestylten Wagen sind als Jahreswagen auf dem europäischen Festland noch immer unerhört preiswert, weil ja alles falsch herum eingebaut ist. Aber ihm war das egal und jetzt, nach dem Brexit, waren diese Wohnanhänger noch einmal billiger geworden.

Isolde Cabra, Dipendentis Sekretärin, hatte während Schbrich-beidls Monolog ihrem Bauamts-Chef gegenüber gesessen und ihn grinsend angesehen. Sie kannte alle Campingerlebnisse der Dipendentis und konnte sich den Schbrichbeidl bildlich in vielen Situationen vorstellen.

003

An der Nordsee herrschte mal wieder das Wetter, für welches sie berühmt war. Der gar nicht erst da gewesene Winter war noch nicht zu Ende, das Frühjahr noch nicht da und über der See jagte ein Sturmtief das nächste. Die ein bis zwei Tage dazwischen brauchten die verbliebenen Eingeborenen, um kleine Schäden zu beseitigen und alles für den nächsten Sturm zu sichern. Obwohl! Richtige Stürme waren es meist nicht, nur eben etwas mehr als nur eine Mütze voller Wind. Die Häufigkeit der West-Wind-Wetterlagen allerdings war auffällig.

Marcus Bolso, der Chef des Campingplatzes »Watt’n Blick« in Weeldewarft jedenfalls bemerkte seit Jahren, dass er keinen Schnee mehr zu schieben brauchte, dafür aber ständig auf der Hut sein musste, dem nächsten Tief keine Angriffsfläche zu bieten.

Es war Anfang März und somit die letzten Tage, die er allein auf seinem Campinggelände verbringen musste. Oder durfte. Schon in der nächsten Woche wird Jasper Diekgreve, sein Platzmeister, aus seinem Skiurlaub zurück sein. Und Mudder Fliedig. Endlich. Viele Arbeiten die sonst sein Platzwart Jasper übernahm konnte Marcus auch allein, aber diese ganze Buchhaltung, dieser Computerkram, diese kleinen Details bei den Gästewünschen und Buchungen, die hatte nur Birthe Fliedig im Kopf. Mudder Fliedig wusste genau, welchen Gast sie neben wem positionieren konnte, sie kannte die Vorlieben der einzelnen Gäste wie die ihrer eigenen Familie und hatte das Gespür eines Hochleistungsseismographen wenn es um die Begehrlichkeiten neuer Gäste ging. Birthe Fliedig war schlichtweg die Seele des Geschäftes. Jasper Diekgreve hingegen war der Mann für das Praktische. Marcus selbst kam sich da oftmals eher als Lückenbüßer vor. Alles was seine Mitarbeiter nicht konnten, nicht schafften oder auch einfach nicht durften, landete bei ihm. Notfalls auch der Brötchenshop oder die Reinigung der Klos.

004

Gertrude Dipendenti kam an Freitagen immer vor ihrem Göttergatten Klaus nach Hause. Sie hatte sich ihre Wochenstunden so gelegt, dass sie zum Wochenende bereits am späten Vormittag die Apotheke verlassen konnte. Dafür machte sie aber auch jeden Mittwoch den ungeliebten Spätdienst und im Winter übernahm sie schon seit Jahren die meisten Wochenenden. Seit diesem Winter verbrachte sie sogar noch mehr Zeit hinter der Bereitschafts-Klappe, denn Klaus und sie wollten ihre Sommerwochenenden in diesem Jahr viel intensiver nutzen. Nachdem sie die ersten Jahre mit den Kindern die Hotels dieser Welt bereist hatten und zuletzt mit ihrem Wohnwagen in ihre Urlaubsdomizile gereist waren, soll es jetzt eine erneute Änderung geben.

Mit dem Caravan auf irgendwelchen Campingplätzen ihren Urlaub oder auch einmal ein verlängertes Wochenende zu verbringen, war schön gewesen, aber auch arbeitsintensiv. Drei Mahlzeiten am Tage zubereiten, abwaschen und aufräumen oder aber die überteuerten Camping-Kaschemmen nutzen. Nein, Camping war schon eine tolle Sache, aber die ganze Sache war definitiv noch verbesserungsfähig! Außerdem sind die Campingplätze von Jahr zu Jahr teurer geworden, während man mit einem Wohnmobil fast überall kostenlos übernachten konnte. Die besten Plätze, die ihr auf ihren Fahrten untergekommen waren, befanden sich meist vor schicken Restaurants, Bäckereien oder Pizzerien oder einfach auch irgendwo im Nirgendwo. Mitten im Nichts, mitten in einer No-Budget-Area.

Gertrude brühte sich einen Kaffee, nahm sich zwei ihrer Lieb­lingskekse aus der Dose und fläzte sich auf das große Wohnzimmersofa. Klaus beschäftigte sich schon seit Monaten mit dem Kauf eines Wohnmobils, das Einzige jedoch, was bisher feststand, war die Idee, einen, wie es so schön heißt, »Jungen Gebrauchten« zu erwerben. Sie selbst war sich auch ziemlich sicher, welche Ausstattung Küche und Bad zwingend haben mussten. Allerdings, was es am Ende wirklich werden sollte, stand noch immer in den Sternen. Sie hätte ja am liebsten so ein riesiges Glaspanoramafenster gehabt, welches allerdings nur die vollintegrierten Fahrzeuge haben, Klaus hingegen wollte nur einen Kastenwagen. »Gertrude, der passt in jede Parklücke.« Das allerdings hatte sie ihm weitestgehend ausgeredet. Sie verdienten beide genug, um etwas vernünftiges Gebrauchtes zu kaufen, genau genommen könnten sie sich auch ein nagelneues Wohnmobil leisten, auf keinen Fall jedoch würde sie in so eine Makrelenbüchse steigen! Nein, egal was es werden wird, es wird weder ein Kastenwagen noch ein Alkovenfahrzeug sein!

005

Wendelin Donner Junior saß an seinem Schreibtisch und grinste leise vor sich hin. Sein Plan wird grandios funktionieren. Der Großvermieter von Wohnmobilen, die Firma Rent-Mie, schien tatsächlich nicht all ihre gebrauchten Jahreswagen allein verkaufen zu können. Sie waren auf seine Idee eingegangen und hatten ihm ein Vertragsangebot zugeschickt. Ab sofort werden sie ihm in den nächsten drei Jahren eine größere Anzahl gebrauchter Wohnmobile zum Weiterverkauf liefern. Er brauchte also keinen teuren Markenvertrag eingehen und musste sein Autohaus nicht mit teurer Außenwerbung verunstalten. Ja, er durfte noch nicht einmal den Namen Rent-Mie öffentlich machen. Er brauchte nur zu verkaufen und den Gewinn einzustreichen!

Die Gebrauchten werden ihm als Jahreswagen praktisch neuwertig geliefert, die Frage war nur, ob er besser gleich mit richtig hohen Preisen anfangen oder ob er zu Beginn mit kleinen Preisen locken sollte?

Wie auch immer, Wendelin Donner Junior war von seiner Geschäftsidee überzeugt, auch wenn Überwasser noch immer jammerte, dass sie neue Leute bräuchten. Das Mehr an Ausstellungsfläche, welches Überwasser ebenfalls wollte, hatte er allerdings schon organisiert. Er konnte, probeweise für ein Jahr, einen Teil des Nachbargrundstückes nutzen. Die dritte Sache, die sein Verkäufer berechtigter Weise forderte, bereitete ihm allerdings deutlich mehr Kopfzerbrechen. Sie mussten ihren neuen Geschäftszweig unbedingt bekannt machen. Der neue Slogan mit dem »Durchstarten auf neuen Pfaden« würde es allein nicht bringen und Zeitungswerbung war letztlich auch nur teuer. Er musste irgendetwas finden, um zum Insidertipp zu werden. Und der beste Insidertipp war noch immer ein guter Preis. Wohnmobilbesitzer, und erst recht die, die es erst werden möchten, waren extrem preisbewusst. Um es vorsichtig auszudrücken! Also was tun? Zeitung? Internet? Stadt-TV?

»Scheffe!« Carl Überwasser klopfte an die offen stehende Tür. »Also, der Beton-Riesle hat gemeint, er hätte auf keinen Fall die Kapazität, den Hof zu pflastern. Er könnte kurzfristig aber planieren und Schotter einbringen. Er hätte da gerade etwas übrig, es würde auch fast nichts kosten. Sagt er jedenfalls.« Donner drehte sich zu seinem Verkäufer. »Was sind Sie eigentlich von Beruf? Geschenkeverteiler? Glauben Sie ernsthaft der Riesle macht einen Preis ohne dicken Reibach? Und wenn er sagt, er hat günstigen Schotter übrig, dann ist der entweder schon zweimal bezahlt oder atomar verstrahlt! Wir sollten darauf achten, ob das Zeug nachts leuchtet! Aber Sie haben Recht, entscheidend ist, dass es schnell geht.«

Donner hob das Schreiben, welches auf seinem Tisch lag, und wedelte damit vor Überwasser in der Luft. »Ich habe hier das Lieferangebot für die Wohnmobile. Wir kriegen die Jahreswagen supergünstig.«

»So günstig wie den Schotter?« Überwasser grinste. »Aber egal, wir haben dann also die Autos und den entsprechenden Platz. Fehlen nur noch die Mitarbeiter und die Werbung.«

»Falsch! Die Werkstatt kann das locker wuppen. Was tatsächlich fehlt ist die Werbung. Wir müssen die Kisten ja irgendwie unters Volk bringen. Wenn niemand weiß, dass wir sooo günstige Wohnmobile haben, dann werden wir sie auch nicht los.«

»Scheffe, das mit dem sooo günstig sollten wir lassen. Zu billig klingt am Ende auch zu billig. Und ich lebe von der Provision!«

»Na, dann verdienen Sie sich mal Ihren Anteil! Wie bekommen wir das mit der Werbung hin?«

»Wohnmobile dicht an den Straßenrand, ein großes Qualitätssiegel in die Frontscheibe hängen und …«

»Mann, Überwasser! Wer sucht denn bei uns Wohnmobile! Die müssen doch erstmal wissen, dass es sich lohnt zu uns herauszufahren! Also, nächster Vorschlag.«

»Was halten Sie von einer Messe? Die Outdoo …«

»Überwasser, haben Sie heute einen schlechten Tag? Messen funktionieren seit dem Corona-Überfall nicht mehr. Gibt es überhaupt noch welche?«

»Keine Ahnung, aber wir haben eine Einladung in der Post. Schwindelfingen will seine Outdoor-Messe wieder aktivieren. Die bieten günstige Eröffnungspreise.«

»Und wann soll das stattfinden? Und wie günstig ist günstig?«

»Die wollen schon Ende des Monats …«

»Überwasser! Überlegen Sie mal! Wenn die jetzt noch Einladungen für die Messe verschicken und auch noch mit günstigen Preisen werben, was bedeutet das? Mann, die haben keine Aussteller!«

»Na und, das wäre doch unsere Chance. Wenn wir dort ein paar Fahrzeuge präsentieren können und es nur wenige Aussteller gibt, dann muss ja praktisch jeder Messebesucher zu uns kommen. Außerdem, wer weiß, vielleicht sind wir ja die einzigen mit günstigen Gebrauchten!«

006

Marcus Bolso fühlte sich wieder vollständig. Zumindest fast. Arnulf vom Frodewold, sein Schäferhund und langjähriger Begleiter, war in diesem Frühjahr leider nicht mehr dabei. Aber alle anderen waren zurück. Magdalena und Karolina, seine unbezahlbaren Putzfeen, Fiene Comessa, die Backshop-Prinzessin, Mudder Fliedig und Jasper Diekgreve. Nun ja, Platzwart Jasper eher nur zum Teil. Er hatte es geschafft, sich bei seiner letzten Skiabfahrt die Schulter auszukugeln. Zum Glück nur die linke und zum Glück konnte sie wieder eingerenkt werden. Jasper war also nur noch nicht so ganz einsatzfähig und daher heute mit Heizungsbauer Kleineplumber zu Gange. Die jährliche Wartung der Solar-Warmwasseranlage stand an und Meister Kleineplumber würde wieder eine nette Rechnung dafür schreiben, dass er jeden Knopf einmal gedrückt hatte. Wenigstens aber konnte die Anlage in den vergangenen guten Sommern ein paar Euro Energiekosten einsparen und egal, wie hoch die Sonne in diesem Sommer stehen wird. Die Einsparung wird sich lohnen.

Jasper Diekgreve kam mit schweren Schritten in die Rezeption gestapft, nass wie ein begossener Pudel. »Man, man, man, wat’n Schietwetter!« Er feuerte seine Prinz-Heinrich-Mütze punktgenau auf den Garderobenhaken, hängte seine tropfende Jacke daneben, zapfte aus der neuen Kaffeemaschine einen Espresso und ließ sich neben Marcus auf einen Gästestuhl fallen. »Der Kleineplumber macht mich fertig!«

»Wieso? Ist er etwa schon mit Allem durch?« Marcus Bolso guckte Jasper fragend an. »Der braucht doch sonst immer zwei Tage!«

»Mit Allem durch? Im Gegenteil! Wir haben die Filter ausgewechselt und den Druck hochgedreht. Wussten Sie, dass die Druckbehälter Risse hatten?«

»Wie, Risse? Wenn die Risse hätten, wäre uns der Druck abgefallen und das Wasser ausgelaufen.«

»Naja, Kleineplumber meint, die Behälter würden wohl schon seit ein paar Monaten feine Haarrisse haben, jetzt aber mit dem plötzlichen Druck …, also jetzt sind es keine mikroskopisch feinen Risse mehr. Die Behälter sind krachend aufgeplatzt!«

»Wie, geplatzt?«

»Explodiert quasi! Das Wasser ist nur so raus geschossen und die Membran ist uns um die Ohren geflogen. Der ganze Dachboden ist nass und das Wasser läuft an den Wänden der Waschräume herunter.«

»Weil der Kleineplumber den Druck zu hoch gedreht hat?«

»Nee, er sagt Altersschwäche, die Dinger sind ja nun auch schon ein paar Jahre alt.«

»Altersschwäche? Ist der bekloppt? Er hat mir damals extra teure Edelstahlbehälter angedreht!«

»Ja aber …«

»Nix aber!« Marcus Bolso knallte seinen Stift auf den Schreibtisch und sprang auf. »Birthe, wenn der Versicherungsfuzzi nachher anruft, ich brauche ihn auch für die Feuer und Wasser. Er muss also in jedem Fall herkommen. Und sollte mich jemand suchen, ich bin bei Kleineplumber!«

007

Klaus schob Gertrudes Viertele über den Tisch, hob sein eigenes Glas und prostete ihr zu. »Sag mal, bist du jetzt eigentlich schon zu einem Ergebnis gekommen? Du hast doch alles, was hier auf dem Tisch liegt, schon hundert Mal gelesen.«

»Nun, ich sage mal so: So richtig viel anders als ein Wohnwagen ist so ein Wohnmobil ja auch nicht. Ich will …«

»Warte, bevor du mir was vorträumst. Hab ich dir die Story vom Schbrichbeidl schon erzählt?«

»Ja, sicher. Du erzählst mir jede Woche etwas aus der unendlichen Geschichte des größten Seefahrers aller Zeiten.«

»Also hab ich es dir nicht erzählt. Der Xaver Schbrichbeidl hat sein Bötle verkauft. Der macht jetzt auf Camping. Die große Freiheit ohne festen Hafen, dafür endlich preiswert und im Trend.«

»Ja, ist doch schön für ihn und seine Frau. Da muss die Arme nicht mehr bei Sturm ihre Frisur riskieren.«

»Ach, die Gute ist doch fast nie mitgefahren. Auf jeden Fall hat der Schbrichbeidl laut verkündet, dass er sich jetzt einen englischen Wohnwagen kauft und damit in den Urlaub zieht.«

»Einen englischen? So einen mit der Türe auf der falschen Seite? Muss man damit nicht …«

»Genau, meist wird er damit falsch herum stehen müssen, aber er macht ja gern mal was gegen den Trend.«

»Wieso? Camping ist doch im Trend.« Gertrude sah Klaus fragend an. »Oder nicht?«

»Nein, doch, ja. Schon, aber Wohnmobile eben doch noch viel mehr.«

»Wirklich? Nur weil wir uns eines kaufen wollen? Oder sagen wir, nur weil du denkst, Wohnmobil fahren ist billiger als campen, ist es moderner? Klaus, vielleicht macht der Schbrichbeidl dieses Mal ja alles richtig!«

»Und wir alles falsch???«

»Klaus, wir machen es anders richtig. Er kauft einen Wohnwagen, wir ein Wohnmobil. Jeder macht es auf seine Art.« Sie hob ihr Glas und nippte kurz daran. »Die Frage ist nur, wie werden wir es denn nun machen? Ich brauche auf alle Fälle die gleiche Küche wie im Wohnwagen, nur jetzt mit Mikrowelle. Wir brauchen ein von beiden Seiten erreichbares Bett, eine von der Dusche getrennte Toilette und große Schränke. Einen Tiefkühl- und einen Kühlschrank und …«

»Gertrude, wir kaufen ein Wohnmobil, keine möblierte Traum-Villa.« Gertrude grinste und hielt ihm ihr Glas entgegen. »Klaus, wir kaufen unser Traum-Wohnmobil.«

008

Marcus Bolso nahm seine Wetterjacke vom Haken und setzte sich seine neue, rot karierte Schiebermütze auf. Das erste schottische Ivy Cap hatte er sich mal vor Jahren von einer Schottlandreise mitgebracht, dieses neue, wieder rotkarierte Flatcap, war nunmehr schon das zehnte Exemplar seiner Art, welches sein Haupt vor Wind und Wetter schützte und stammte aus den Weiten des Internets.

Er öffnete die Tür und machte sich auf den Weg zu Wibke und Hauke, auf zum »Tüdelpott«. Zuvor drehte er jedoch noch eine kurze Runde über den Betriebshof, um nachzusehen ob auch alles verschlossen war. Heute war Kleineplumber endlich wieder da gewesen. Zwei Heizungsbau-Gesellen waren gekommen, um die Ausgleichsgefäße der Solaranlage auszuwechseln. Das jedenfalls hatte Marcus heute früh angenommen. Als die Beiden jedoch bereits nach einer Stunde wieder aufbrechen wollten, war er sofort aus der Rezeption gestürmt, um sie im letzten Moment noch abzufangen. Sie hatten tatsächlich nur die alten Geräte ausgebaut. Die neuen waren noch gar nicht geliefert worden und obendrein hatten die Beiden das Warmwasser abgestellt. Es war ja nicht so, dass die Heizung nur mit der Sonnenkraft betrieben werden konnte, Marcus konnte auch ganz traditionell mit Gas heizen. Und er brauchte das warme Wasser dringend. Magdalena und Karolina waren dabei, die Grundreinigung durchzuführen und ohne Warmwasser war das schlecht möglich. Marcus hatte die beiden Klempner also zurückgepfiffen, um das Wasser wieder anzustellen, und sie überzeugt, ihm noch schnell die verrosteten Rohrverbindungen der uralten Chemie-Entsorgungsstation zu lösen. Ihm selbst fehlten die dafür notwendigen, überdimensionalen Rohrzangen. Die Montage der neuen Kunststoffanschlüsse wird er in den nächsten Tagen problemlos allein bewerkstelligen können.

Marcus schaute über die Straße und lächelte wehmütig. Seine wunderbare Nachbarin Constance hatte ihr Reisebüro kurz nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes für immer geschlossen und war in den Harz gezogen. Im gleichen Monat, es war der Depressions-November, hatte sich auch seine Mariola entschlossen nach Spanien zurückzukehren. Die norddeutschen, kühlgrauen Wintertage waren einfach nichts für eine sonnenverwöhnte Andalusierin. Nun ja, und seitdem sein Arnulf vom Frodewold eingeschläfert werden musste, drehte Marcus seine abendlichen, oder auch morgendlichen, Rundgänge wieder allein. Wobei, heute Abend wird er keine allzu große Runde machen, sondern möglichst schnell zum »Tüdelpott« wandern. Wenn er schon ungeplante Summen für neue Ausgleichsgefäße ausgeben musste, dann sollte auch ein Feierabendbierchen drin sein.

009

Wendelin Donner guckte sich seine Kontoauszüge an und rechnete zum dritten Mal nach. Er würde sich den Kauf von fünf Wohnmobilen leisten können, wenn, ja wenn er sie schnell wieder loswerden würde. Er musste mindestens fünf auf einmal abnehmen. Fünf Stück beim ersten Mal, das war der Deal, dabei hatte er noch keines der Fahrzeuge im Original gesehen, nicht ein einziges! Hoffentlich halten die ihre Versprechungen! Donner Junior stöhnte leise vor sich hin, er wird wohl die Katze im Sack kaufen müssen. Oder auch nicht. Er hatte eine Idee.

»Überwasser! Kommen Sie mal rüber!« Donner winkte seinen Verkäufer zu sich ins Büro. »Die von Rent-Mie machen jetzt Ernst. Wir bekommen die ersten fünf Mobile in spätestens 14 Tagen. Vielleicht schon nächste Woche.«

»Ist das nicht ein bisschen vorzeitig? Scheffe, ich meine, es weiß noch niemand, dass wir Wohnmobile haben werden. Wir haben keine Werbung, der Zaun zum Nachbarn steht noch immer und die Messe in Schwindelfingen hat sich auch noch nicht wieder gemeldet.«

»Falsch! Oder besser nicht mehr aktuell. Den Messevertrag haben wir bekommen. Die scheinen wirklich händeringend Aussteller zu suchen. Viel wichtiger aber ist, dass Sie für die nächsten Tage einen Transport organisieren müssen. Wir müssen die Wohnmobile abholen.«

»Warum abholen? Ich denke wir bekommen die gebrauchten der Firma Rent-Mie.«

»Ja, aber mit Selbstabholung. Überlegen Sie mal, bei dem Preis kann da keine Anlieferung mit drin sein!« Dass er diesen Teil im Kleingedruckten überlesen hatte, musste Überwasser ja nicht wissen! »Scheffe, die passen weder auf unseren Autotransporter noch auf unseren Anhänger. Wie sollen wir die herbekommen?«

»Überwasser! Wieder einen schlechten Tag heute? Das sind Wohnmobile. Die können fahren.«

»Ach, tatsächlich. Und wer soll die herfahren? Und von wo überhaupt?«

»Die stehen in Stuttgart, das ist ja wohl keine Weltreise. Also, Überwasser, Sie organisieren den Transport und, bevor das Ganze so richtig losgeht, fahren Sie da noch einmal hin. Ich will wissen, was die uns da verkaufen wollen. Und während Sie diese paar Kleinigkeiten organisieren, kümmere ich mich um die Messe.«

»Scheffe, nicht nur die Messe. Der Zaun vom Nachbarn muss dringend weg, Sie müssen Werbung in der Zeitung machen und wir brauchen Leute für die Wohnmobile.«

»Überwasser, lernen Sie es nie? Die Wohnmobile macht die Werkstatt und gut!«

»Okay Scheffe, Sie sind der Boss. Wann fängt der Beton-Riesle eigentlich mit dem Schotter an?«

»Ende der Woche.« Donner guckte seinen Verkäufer erschrocken an. »Oh, Mann, da müssen wir uns mit dem Zaunabbauen aber echt beeilen.«

010

Die Kataloge stapelten sich, obwohl akkurat sortiert, nahmen sie mehr als den halben Tisch ein. »Klaus, wir sollten hier endlich mal aufräumen. Alles was wir auf keinen Fall wollen, kann doch schon mal weg.«

»Und was wollen wir auf keinen Fall?«

»Na, Kastenwagen und Vollintegrierte können doch schon mal in die Papiertonne.«

»Vollintegrierte ja, Kastenwagen nein.«

»Klaus, ich steige in keinen dieser gepimpten Transporter. Kastenwagen fallen aus.« Etwas milder fügte sie hinzu, dass sie das Fahrzeug ja schließlich ein paar Jahre fahren wollen. »Also Klaus, weg mit diesen Wohnmobilersatzdingern!«

»Wir schmeißen alles über die Vollintegrierten weg. Die Kastenwagen sind zum einen perfekte kleine Wohnmobile und zum anderen haben Kastenwagen tolle Innenausstattungen. Davon können wir mit Sicherheit noch etwas verwenden.« Gertrude schüttelte den Kopf und stand auf; ein Viertele Trollinger half eigentlich immer.

Nachdem sie Klaus und sich vom Wein eingeschenkt hatte, nahm sie sich die Kataloge mit den Kastenwagen vor. Schiebetüren, Heckklappen, abgerundete Fenster, Miniküchen, Porta Potti und die Betten immer an einer Tür. Was bitte soll daran eine tolle Innenausstattung sein? »Klaus, mein Lieber, hier ist nichts drin, was in den anderen nicht auch drin ist. Weg damit.«

»Warum denn nur?«

»Weil wir es nicht brauchen, lass uns lieber überlegen, was wir wirklich wollen.«

»Einen Automatik.«

»Warum das denn?«

»Weil es ein Wohnmobil ist. Wir wollen mobil sein. Also fahren. Viel fahren! Von Stellplatz zu Stellplatz, du wolltest doch nicht mehr den ganzen Urlaub auf ein und demselben Campingplatz bleiben.«

»Klaus, du wolltest die Stellplatz-Spar-Variante, ich möchte, dass wir flexibler Urlaub machen und auch an den Wochenenden unterwegs sein können. Also wollen wir beide ein Wohnmobil. Aber warum Automatik?«

»Na ja, genau genommen genügt auch ein Schaltgetriebe, allerdings nur, wenn du fährst.« Klaus hob sein Glas, zwinkerte und prostete ihr zu. »Auf die Automatik!«

Zwei Stunden später hatte ihre gemeinsame Ausstattungsliste tatsächlich schon einige Punkte mehr aufzuweisen. Genau genommen konnten sie noch immer nicht sagen, was sie wirklich wollten. Und es gab noch ein Problem. Die Prospekte auf dem Tisch waren alle Werbung für Neuwagen, aber genau die wollten sie ja nicht.

011

Birthe Fliedig nutzte ihre ersten Tage nach dem Winter, um die chaotische Zettelwirtschaft ihres Chef zu ordnen und längst abgelaufene Werbe-, Aktions- und Sonderangebote in den Papiermüll zu befördern. Dass die, mit teuer bezahlten Verkaufsstrategen ausgestatteten Firmen, es nie begriffen, dass hier im Norden die meisten Gastronomie- und Campingbetriebe im Winter geschlossen hatten. Was nutzte hier ein Sparangebot, gültig nur im Februar, wenn erst im April die Tore wieder geöffnet wurden? Und wer sollte im Januar eine Großbestellung Eis aufgeben, wenn niemand im Laden war?

Zum Glück hatte ihr Chef wenigstens alle Rechnungen bezahlt, die Krankenkassen bedient und vor allem den Lohn überwiesen. Was er allerdings wieder nicht geschafft hatte, waren diverse Meldungen an das statistische Landesamt, an den Tourismusverband, an die Samtgemeinde, an die Handelskammer und an die Berufsgenossenschaft. Das Finanzamt übernahm erfreulicher Weise seit Jahren Bolsos Steuerbüro, das spart Ärger und Mahngebühren. Womit sich Marcus Bolso hingegen immer richtig Mühe gab, war die Bearbeitung der Reservierungsanfragen. Mühe geben allein reichte aber leider nicht. Ihr Chef hatte offenbar täglich alle Anfragen und Reservierungswünsche abgearbeitet, leider war dabei aber so einiges schief gegangen. Nun, mit einem intensiven Telefontag und einem zweiten Tag, an dem sie ganz persönliche E-Mails verfassen wird, müsste es möglich sein, die meisten Fehler auszubessern. Birthe Fliedig fragte sich allerdings, wieviel ihr Chef in den letzten Wochen gearbeitet hatte. Gut, bis Ende Dezember war sie noch immer einen halben Tag in der Rezeption gewesen, aber nachdem Bolso dann aus seinem Urlaub zurück war, ist sie nicht mehr ins Büro gekommen. Dennoch war einerseits das Wichtigste auf ihrem Schreibtisch abgearbeitet, vor allem aber die Rezeption komplett neu gestaltet, gemalert und sogar sauber gemacht worden. Die Teeküche war endlich, genau wie die Personaltoilette … . Was für ein Zusammenhang! Jedenfalls war alles renoviert und auch der Eingangsbereich zu den sanitären Anlagen modernisiert. Dort fehlten nur noch Blumen und Schilder. Aber Frau Arte-Bruch vom Designstudio in der Fischstraße war noch im Winterschlaf. Wenn sie dann endlich die bereits im Herbst in Auftrag gegebene Beschilderung für den Haupteingang, die Rezeption und den Sanitärbereich fertig haben wird, sollte der ganze Campingplatz freundlicher wirken als je zuvor. Einzig der aktuelle Wasserschaden in den Toiletten- und Waschräumen passte überhaupt nicht ins Konzept.

»Frau Fliedig?«

»Jo, Chef. Ich bin da.«

»Ja, sicher sind Sie da. Aber wo ist Diekgreve?«

»Der wollte die Betonfläche für die neue Wohnmobil-Entsorgungs-Station einschalen. Und den Sockel der neuen Chemie-Entsorgung.«

»Ja, das hat er auch angefangen, aber wo ist er jetzt? Die Schalungen sind fast fertig, aber wo steckt Jasper? Ich fürchte, er hat beim Einschalen vergessen, die Frischwasserleitung mit zu verlegen. Ich finde nur die Elektroleitung und das Abwasserrohr.« Birthe Fliedig griff zum Funkgerät, aber Marcus Bolso winkte ab. »Das hab ich schon versucht. Und an sein Handy geht er auch nicht.«

»Wer, Chef?«

Diekgreve stand direkt hinter Bolso und tat so, als könne er auf keinen Fall wissen, um wen es geht. »Mensch, Diekgreve! Ich such dich überall oder, besser gesagt, die Wasserleitung.«

»Die Wasser … , ach so, die liegt unter dem Stein.«

»Wie, unter dem Stein?«

»Du meinst doch die 32er PE-Leitung für die neue Suttmann-Entsorgungssäule, oder?«

»Ja, sicher, welche sonst.«

»Ja, wie gesagt, die eine Hälfte liegt unter dem Stein, die andere habe ich gerade vom Baumarkt geholt. Und einen Verbinder.«

»Wieso denn das? Wir haben die Leitung doch extra länger herausgucken lassen, sogar bis an den Weg. Die muss doch lang genug sein!«

»Gewesen sein, Chef. Irgendwer, wahrscheinlich wieder niemand, ist mit dem Auto, oder eher wohl mit einem schweren Anhänger, genau über die Kante gefahren. Auf jeden Fall ist die Leitung in der Mitte zwei Mal geknickt und ich darf sie jetzt neu zusammenflicken.«

012

Klaus und Gertrude nutzten den grauen Samstag, um sich ins Auto zu setzen und zu Angles Wohnwagenwelt zu fahren. Dort, wo sie vor ein paar Jahren ihren Wohnwagen gekauft hatten, gab es ja vielleicht auch genau das Wohnmobil, welches sie wollten. Obwohl, so richtig wussten sie noch immer nicht, was sie denn wollten.

»Klaus, schau nur, ich glaub der Angle hat sich noch mal vergrößert. So viele Wohnmobile standen hier sonst nicht. Der muss sich ja verdoppelt haben.«

»Nein, ich denke der hat nur weniger Wohnwagen jetzt. Du weißt doch, Wohnmobile sind jetzt die Nummer 1. Nur der Xaver Schbrichbeidl weiß das nicht, der macht den Gegentrend.«

»Ja, so lass ihn doch! Nur weil du zu geizig bist, einen ordentlichen Campingplatz zu bezahlen, muss es ja nicht schlechter sein als zuvor. Vielleicht verdient der Schbrichbeidl einfach mehr als du.«

»So ein Quatsch! Der ist noch nicht so lange im Amt wie ich, der kann gar nicht mehr verdienen. Der denkt nur, dass er spart, wenn er von Boot auf Wohnwagen umsteigt. Aber schau mal hier, gebrauchte Wohnmobile.«

»Klaus, dass die nicht neu sind, braucht der Angle nicht dranschreiben, dass die Kisten nicht nur gebraucht sondern verbraucht sind, sieht man schon von weitem. Die sind einfach nur alt! Hier brauchen wir gar nicht erst gucken.«

»Lass uns doch erst einmal umsehen, der ganze Hof steht voll, da werden schon auch ein paar bessere dabei sein.« Ohne Klaus wirklich zu glauben, trottete Gertrude dennoch ihrem Gatten hinterher. Die erste Reihe, die zweite Reihe, die dritte Reihe. Nur alte Kutschen! Sie schaute nicht einmal auf die Preisschilder in den Frontscheiben. Nein, mit so einer alten Karre wird sie keinesfalls fahren. Dann lieber wieder Hotel.

Wie aus dem Nichts erschien plötzlich ein Mann vor ihr. Südländischer Typ, Italiener, ganz klar. Schwarzer Maßanzug, oder zumindest eine ganz teure Marke. Völlig overdressed mit breitem Zahncreme-Werbe-Lächeln und, wie um das Klischee vollends zu bedienen, kam er mit offenen Armen auf sie zu.

»Guten Tag. Herzlich Willkommen in Angles Wohnwagenwelt. Ich bin Efthimis Mercurius. Möchten Sie auch so ein süper Wohnmobil fahren?« Also doch kein Italiener? Aber süper klang nun auch nicht wirklich griechisch. Aber er hatte fahren gesagt. Nicht kaufen. Nicht dumm der Typ. Gertrude musterte den Verkäufer noch einmal von oben bis unten. Nun, zumindest hatte er die richtige Figur für diesen teuren Anzug. Sein breites Lächeln wirkte sogar erstaunlich natürlich und er hatte so eine Art Gertrude anzusehen. Efthimis Mercurius schien Klaus gar nicht wahrzunehmen. »Madame, möchten Sie sich etwas Bestimmtes ansehen? Haben Sie gar eine Vorliebe?« Habe ich, dachte Gertrude, aber die geht dich jetzt wirklich nichts an!

»Wo ist denn der Herr Becherle? Angles bester Verkäufer?« drängte sich Klaus schnell in das Gespräch. »Martin Becherle verkauft Wohnwagen, aber der beste Verkäufer steht vor Ihnen, ich bin der Süperverkäufer von Angle.« Süper? Kommt der Mercurius vielleicht doch vom Bosporus? Obwohl, eigentlich sah er eher nach einem echten Römer aus, allein schon die charakteristische Nase. Aber das war ja auch völlig egal. Wenn der Herr Süperverkäufer auch ein Süper-Wohnmobil für sie hätte, würde Gertrude herzlich gern bei ihm kaufen. Hauptsache das Verkaufsgespräch wäre nicht zu kurz, denn dieser Mercurius war schon ein Süßer.

»Madame, wollen Sie und Ihr Herr Gemahl hier einmal schauen?« Gertrude stutzte kurz und musste eine Sekunde überlegen. »Was bitte sollen wir uns hier ansehen? Ihre Oldtimerausstellung? Wir brauchen etwas Modernes.«

013

Draußen rumpelte der Bulldozer und drinnen presste sich Wendelin Donner den Telefonhörer ans Ohr, während in dem anderen sein Finger steckte. Beton-Riesles Leute waren heute Morgen in aller Frühe angerückt. Noch bevor Donner überhaupt auf dem Gelände war, hatte die große Maschine bereits den Zaun zum Nachbargrundstück niedergewalzt. Die alten Pfähle sind für die Männer mit der großen Baumaschine überhaupt kein Problem gewesen. Sie waren einfach einmal, mit dem großen Schiebeschild voran, auf der Grundstücksgrenze entlang gefahren. Eine halbe Stunde später lag der alte Maschendrahtzaun bereits auf einem LKW. Ein riesiger 30-Tonner hatte zuvor die erste Fuhre Schotter abgekippt.

Donner bemühte sich trotz des Lärms, nicht zu laut ins Telefon zu brüllen, die nette Dame am anderen Ende der Leitung hörte den Baustellenlärm ja nicht so laut wie er selbst. Er versuchte mit vielen schönen Worten die Mitarbeiterin der Schwindelfinger Messe zu überreden, ihm etwas mehr Fläche für seine Fahrzeuge zur Verfügung zu stellen. »Frau Scheen, wenn ich nur drei Meter mehr in der Tiefe erhalten könnte, würde ich zwei Fahrzeuge mehr auf meine Ausstellungsfläche bekommen.«

»Die äche ist bucht, eien Platz ehr.«

»Dann nehme ich den Platz. Was kostet er zusätzlich?«

»Ir habe ein Pla ehr. Wir sind verkauft!«

»Wie groß ist der Platz? Ich verstehe Sie nicht.« Donner hielt sich so gut es ging sein linkes Ohr zu, um überhaupt irgendetwas zu verstehen. »–ein, wir sind ausverkau–!«

»Nichts mehr frei?«

»Nein.«

»Und im Außengelände? Haben Sie keine Freifläche?«

»Wir ver ten kein Außenstandor, geht iemand hin.«

»Das wäre doch mein Risiko, wenn ich draußen einen Platz bekommen könnte, ich würde ihn gern nehmen. Dann kann ich mit drei Fahrzeugen kommen.«

»Das ss ich lären. Das kann ich nicht beantwo. Rufe rück.«

»Sie rufen zurück?«

»–a.«

»Wann?«

»Heute Nach tag.«

»Gut, Ich freue mich auf Ihren Anruf. Auf Wiederhören.«

»–ören.«

»Überwasser!« Donner brüllte durch die ganze Ausstellungshalle. Gottlob war gerade kein Kunde da. Überwasser allerdings auch nicht. Donner riss die Tür zum Büro seiner Sekretärin auf.

»Wissen Sie wo der Überwasser steckt?«

»Ja, sicher. Der ist nach Stuttgart gefahren. Sich die Fahrzeuge ansehen, die er abholen soll.« Donner nickte. »Alles klar. Falls mich jemand sucht oder anruft, ich bin draußen auf dem neuen Hof.«

Der neue Hof, also der Teil des Nachbargrundstückes, welcher zur neuen Ausstellungsfläche werden sollte, glich einer Mondlandschaft. Allerdings tatsächlich nur bis akkurat an die gepflasterte, alte Autohausfläche. Der Radlader der Firma Riesle war riesig, aber der Fahrer konnte perfekt damit umgehen. Er schob exakt an der abgesteckten Fläche entlang und brachte den Schotter ein. Aber, und deshalb fuchtelte Donner wie wild mit den Händen, der Schotter war viel zu grob! Donner versuchte mit erhobenen Armen den Maschinenführer auf sich aufmerksam zu machen, um ihn zum Anhalten zu zwingen. Endlich bemerkte ihn der Mann und der Bulldozer blieb schlagartig stehen. Unglaublich, wie sensibel diese riesigen Maschinen auf die kleinste Bewegung des Fahrers reagierten. »Das geht so nicht! Da bricht man sich ja die Füße.« Donner brüllte den Fahrer an, aber nicht einmal er selbst verstand etwas von dem, was er ihm entgegen schrie. Der Fahrer drosselte die Drehzahl des Ungetüms, ließ den Motor kurz im Stand laufen und schaltete ihn dann ganz aus. »Was ist los, Meister?« Er setzte seine Ohrschützer ab und sah Donner fragend an. »Der Schotter ist viel zu grob. Das war so nicht abgesprochen«

»Keine Panik, Meister, das ist schon richtig. Wir bekommen jetzt noch so eine Lieferung und dann kommt fein gebrochener Splitt darüber. Das wird perfekt. Aber gut, dass Sie da sind.« Donner schwante nichts Gutes, so fingen immer die ganz hässlichen Geschichten an.

Der Fahrer schlug die Tür ganz auf und kletterte aus dem Monster. »Ich muss Ihnen mal was zeigen.« Er drehte sich zu seinem Kollegen um: »Mäxe, komm mal rüber!« Der Gerufene ließ wie eine Puppe seine Schaufel fallen, versenkte seine Hände in den Hosentaschen und balancierte über den groben Schotter. »Mäxe, wo genau ist das Kabel?« Der Kollege wies, ohne die Hände aus den Taschen zu nehmen, in die Mitte der bereits gefüllten Fläche. »Do, de gäl Dipfale.« Er deutete auf einen gelben Punkt. Der Radladerfahrer zeigte jetzt ebenfalls auf die mit Farbspray markierte Stelle. »Hier lag unter einem der alten Zaunpfähle ein Kabel, nicht mehr ganz neu, kein Strom drauf und sauber abgeschnitten. Wir haben es also auf keinen Fall durchgerissen, aber wir wissen auch nicht, wo es herkommt. Der Mäxe hat es provisorisch eingemessen und wir markieren es nachher auch auf der Deckschicht. Nur, dass Sie das schon mal wissen, Meister.«

»Nicht, dass hier auch noch Wasser oder Abwasser liegt, oder sogar Gas.«

»Keine Ahnung, Meister, wir haben ja nicht gegraben. Nur aufgefüllt. Und wenn doch, ist ja nicht schlimm. Ist ja nur Schotter. Kommt man immer wieder ran. Also, alles klar, Meister?« Donner nickte. »Werdet ihr heute fertig?«

»Wenn wir nicht so viel rommschwätza, da schoh.«

014

Jasper Diekgreve und Marcus Bolso standen in dicken Gummistiefeln mitten im nachrutschenden Beton. Das Betonmischfahrzeug ließ die 12 Kubikmeter Fertigbeton langsam in die vorbereitete Schalung fließen, während Diekgreve und Bolso mit Schaufeln und langen Schiebern die lauwarme Masse möglichst gleichmäßig verteilten. Zum Glück waren die Schalung, die Anschlüsse und das Stahlgitter rechtzeitig fertig geworden, so dass jetzt der Beton nur noch gegossen, verdichtet und abgezogen werden musste. Marcus hatte sich extra einen alten Betonverdichter, welcher an einen großen Dieselkompressor angeschlossen wurde, besorgt.

Die letzten Betonreste fielen aus der Rutsche und die Gesamtmenge schien tatsächlich genau aufzugehen. Nur wenige Schaufeln voll rutschten über den Schalungsrand. Während der Betonmischerfahrer sein Fahrzeug mit einem kräftigen Wasserstrahl aus seinem großen Tank reinigte, glätteten Bolso und Diekgreve die erste Spur mit einem großen Brett. Bolso stand in der separierten Mitte, praktisch im Ausguss, und Diekgreve zog das Brett über den Schalungsrand.

»Chef?!« Birthe Fliedig stand plötzlich neben ihnen. »Chef, der Kleineplumber ist da. Er sagt, er hat diese neuen Ausgleichsdinger da, aber die passen nicht ganz. Sie sollen sich das mal ansehen und …«

»Angucken? Jetzt? Das wird nichts. Ich stehe buchstäblich in der Mitte des Abgrunds. Ich kann und will hier jetzt nicht raus. Der Kleineplumber soll später wiederkommen.«

»Chef, der ist nicht alleine da. Der Vertreter der No-Risk-Insurance Ltd. ist auch da.«

»Wer?«

»Der Versicherungsvertreter von Kleineplumber. Wegen des Wasserschadens. Der will sich das ansehen.«

»Wieso Kleineplumbers Versicherung?«

»Na, weil Kleineplumbers Behälter geplatzt sind.«

»Das ist doch Quatsch! Das sind, das waren meine Ausgleichsbehälter. Ich habe die teuer bezahlt und die Gewährleistung ist längst abgelaufen. Also ist es ein Fall für meine Versicherung. Aber wenn Kleineplumber das regeln will. Von mir aus gerne. Am besten ist, Sie gehen jetzt mit hoch und zeigen dem Versicherungsfuzzi den Wasserschaden.«

»Und wenn er noch Fragen hat?«

»Dann soll er sich Gummistiefel anziehen und zu uns runterkommen. Wir können Hilfe gut gebrauchen!«

»Ja, und was mach ich mit Kleineplumber?«

»Das Gleiche. Der kann sich auch Stiefel anziehen und helfen kommen. Oder er kommt morgen wieder.«

015

Carl Überwasser presste seine zitternden Füße auf den flachen Aluminiumkoffer. Er hockte auf dem hinteren, mittleren Sitz des Transporters und tastete zum hundertsten Mal mit der rechten Hand nach dem dünnen Kuvert in der Innentasche seines Jacketts. Mit einem völlig gestressten Gesichtsausdruck schaute er zwischen Fahrer und Beifahrer hindurch nach vorn und beobachtete die Straße. Neben ihm zur Linken döste Kevin Grobmann, das 65 kg Leichtgewicht aus der Werkstatt, den alle nur Grobi nannten und rechts von Überwasser schlief Altmeister Donner Senior. Wie konnten die nur so entspannt sein? Er presste seine Füße noch fester auf den Aluminiumkoffer und schaute in den Rückspiegel. Hinter ihm auf der Notbank saß Schlaule und observierte die Straße aus dem Heckfenster. Überwasser kannte den Kerl, der im Sommer wie im Winter immer in der gleichen Lederjacke herumlief, nur unter diesem Namen. Schlaule war ein alter Kumpel von Donner Senior und nur der Altmeister wusste wohl mehr über diesen immer etwas zwielichtig daherkommenden Helfer. Bezeichnender Weise lag auch ausgerechnet auf seinem Schoß das Jagdgewehr des Altmeisters. Geladen! Schlaule hatte die Augen zusammengekniffen und registrierte alles was draußen passierte. Werkstattmeister Maximilian Wagner hingegen lenkte den Kleinbus gewohnt ruhig durch das tägliche Verkehrschaos der württembergischen Metropole. Vom Beifahrersitz aus versuchte sich Azubi Luca-Joel als Navigationsgerät. Mit dem Stuttgarter Stadtplan auf den Knien und der Straßenfinder-Smartphone-App vor der Nase dirigierte er Meister Wagner durch die Stadt. Luca-Joel war gerade erst seit vier Wochen mit einem Führerschein gesegnet und sollte heute einen Kastenwagen von der Firma Rent-Mie auf den Hof des Autohauses Donner bringen. Auch die anderen Insassen hatten den Auftrag, jeweils ein Wohnmobil zu überführen, während Altmeister Donner den Kleinbus zurückfahren sollte.

Carl Überwasser indes war für den gesamten Wohnmobil-Deal verantwortlich. Er wachte über den Koffer mit dem Bargeld und den Umschlag mit dem Barscheck. Außerdem sollte er zusammen mit Werkstattchef Wagner die Fahrzeuge auf Herz und Nieren überprüfen.

Sie mussten versuchen, jeden noch so kleinen Schaden an den Wohnmobilen zu finden, denn erst dann würde Überwassers große Stunde schlagen. Er war sich sicher, dass er die Preise für die einzelnen Fahrzeuge noch einmal drücken konnte. Der Kaufpreis war ja eigentlich von Donner bereits ausgehandelt worden. Eigentlich! Im Anschluss an die Preisverhandlung war die Firma Rent-Mie jedoch mit einer völlig bizarren Forderung um die Ecke gekommen. Da es ja das erste Geschäft zweier neuer Vertragspartner war, wollten sie, dass Donner den kompletten Kaufpreis im Vorfeld überwies oder bar bezahlte. Ein Blindgeschäft mit einem neuen Partner bereits im Vorfeld zu bezahlen, kam für Donner aber nicht in Frage. Auch wenn Carl Überwasser sich die Fahrzeuge im Vorfeld schon einmal kurz angesehen hatte, eine Vorauszahlung kam nicht in die Tüte! Also blieb nur die Barzahlung. Bargeld für fünf Wohnmobile auf einen Schlag! Verständlich, dass der Autohauschef als Rache für die kleine Erpressung noch einen Preisabschlag herausschinden wollte.

Der Koffer, auf dem Überwasser saß, enthielt jedoch nur eine deutlich kleinere Summe, als den Kaufpreis der fünf Jahreswagen. Den Restbetrag würde er erst nach der endgültigen Preisfestlegung von der Stuttgarter Bankfiliale holen und genau dieser Barscheck steckte in dem Briefkuvert, nach dem Überwasser alle dreißig Sekunden tastete.

Die Fahrzeuge waren in deutlich besserem Zustand als gedacht, alle Durchsichten und Wartungen waren entsprechend der Herstellervorgaben eingetragen, es gab weder innen noch außen sichtbare Schäden und Überwasser musste zwei Stunden lang suchen, um zwei kleine Fehler in einem Bad und an einem Herd zu finden. Dann jedoch, ganz zum Schluss, entdeckte er an allen Betten den gleichen Murks! Die gepfuschten Reparaturstellen hatte er bei den ersten vier Fahrzeugen völlig übersehen. Nachdem er jedoch in dem Kastenwagen den laienhaft reparierten Bruch an den Bettscharnieren entdeckt hatte, war er noch einmal in die anderen Wohnmobile zurückgegangen. Und tatsächlich, die Verarbeitung der Scharniere an den Betten und Sitzmöbeln schien die Schwachstelle aller Fahrzeuge zu sein. Alle Bettgestelle waren zusammengeflickt worden und, wie es aussah, entweder von einem Kleingärtner oder einem Grobschmied, keinesfalls jedoch von einem Fachmann!

016

Oberamtsrat Klaus Dipendenti saß an seinem Schreibtisch im Schwindelfinger Rathaus und schob die vier vor ihm liegenden Schreiben völlig sinnlos hin und her. Die Sache war verzwickt. Warum, und wie, soll nun ausgerechnet er diesen gordischen Knoten lösen?

Die Idee der Antragsteller war im Grunde genommen brillant. Die Stadt hatte für eine an den Stadtpark angrenzende Fläche einen Wettbewerb zur öffentlichen Nutzung der alten Gewerbefläche ausgeschrieben. Gewonnen hatte diesen Wettbewerb aber ausgerechnet die TÜV-Niederlassung des hiesigen Landkreises. Und nicht nur das, die Mitarbeiter wollten die Realisierung sogar selbst bezahlen und obendrein mit einer künstlerischen Installation krönen. Bis dahin war die ganze Sache noch im Lot, der Haken zeigte sich erst mit dem konkreten Bauantrag. Klaus hätte ihn einfach ablehnen können, aber es gab einen einstimmigen Beschluss der Stadtvertretung und es gab noch einen viel wichtigeren Grund, warum er die Sache nicht verbieten konnte. Er selbst empfand den Entwurf als äußerst kreativ.

Der Siegervorschlag der TÜV-Menschen bestand darin, auf der Fläche neben dem Park vier verschieden große Kletterwände für Kinder und Jugendliche aufzustellen. Als Ergänzung und Krönung des Kletterparks sollte ein bekannter Hobbykünstler eine sechs Meter hohe, innen begehbare Holzpyramide gestalten. Der Künstler war landesweit für seine riesenhaften Holzplastiken und ausgefallenen Ideen bekannt. Gertrude war sogar ein großer Fan von ihm. Seine riesigen Tische, Standuhren oder auch Betten standen in vielen Parks. Jetzt wollte er eine Pyramide gestalten. Und diese Pyramide sollte beweglich sein. Nur mit einer riesigen Feder mit dem Erdboden verbunden! Auf der Pyramide möchte der Künstler eine Sonnenuhr installieren, welche im Winter wie im Sommer die richtige Zeit zeigt, also musste das Gesamtobjekt drehbar gelagert werden. Der eigentliche Clou jedoch ist, dass sich die Pyramide auch kippen lassen soll und die Kletterkünstler immer für ein austariertes Gewicht sorgen müssen. Das Objekt ist so konstruiert, dass seine Spitze nicht mehr erreicht werden kann, sobald die Pyramide schräg steht. Der Ansatz des Künstlers besteht darin, dass niemand allein die Pyramide besteigen kann. Für den Klettererfolg wird immer ein gutes Team notwendig sein.

Klaus raufte sich die Haare. Ein sechs Meter hohes Ungetüm, beweglich und nur auf einer Feder stehend! Sehr schön, aber absolut nicht genehmigungsfähig. Die Stadtvertretung jedoch bestand darauf, das Kunstobjekt und die Kletterwände genauso zu errichten, wie die TÜV-Mitarbeiter und der Künstler es erdacht hatten. Er durfte das Gesamtprojekt keinesfalls in Frage stellen. Hauptsächlich natürlich, weil die Mitarbeiter der TÜV-Niederlassung alle Geräte und auch das Kunstobjekt aus eigener Tasche bezahlen wollen, wobei der Künstler sogar auf seine Bezahlung verzichten würde, denn er arbeitet hauptamtlich als Prüfer in eben dieser Außenstelle. Dort arbeiten neben dem Hobbybildhauer allerdings auch noch vier weitere Prüfer und diese vier Herren sind die ausgewiesenen Experten für Hochseilgärten, Kletterparks und alpine Einrichtungen des Landes. Ihr Vorschlag zur Errichtung der Pyramide hatte also wirklich Hand und Fuß. Aber genau hier lagen die großen Probleme! Der Landkreis, als untere Bauaufsichtsbehörde, verlangte zum einen die Barrierefreiheit der gesamten Anlage, was selbst einem altgedienten Beamten wie Klaus als völlig sinnlos erschien. Viel entscheidender jedoch war die Forderung nach einer umfangreichen fachlichen Prüfung des gesamten Vorhabens. Es gibt allerdings nur eine einzige Prüfstelle, welche genau solche Anlagen prüfen darf. Die Schwindelfinger TÜV-Niederlassung! Ein Antragsteller darf aber natürlich nicht seinen eigenen Entwurf prüfen. Das Monstrum sollte ein Kunstobjekt sein wie in anderen Städten auch. Aber es war gleichzeitig auch eine bewegliche, nicht genormte, bauliche Einrichtung, welche wiederum vom hiesigen TÜV geprüft werden musste, aber eben nicht durfte! Auch die Prüfer aus Bayern, Hessen oder aus dem Rheinland durften nach irgendeiner internen Durchführungsbestimmung hier nicht prüfen. Fachleute aus der benachbarten Schweiz hingegen dürften die Planung und Durchführung kontrollieren, das jedoch würde den finanziellen Rahmen sprengen. Und dann war da noch dieser Künstlerverband, welcher darauf beharrte, dass die Pyramide als künstlerisches Objekt und nicht als Bauwerk zu bewerten sei, da sie ja nicht fest mit der Erde verbunden sein wird.

Klaus hatte in seiner ersten Bewertung als Lösung vorgeschlagen, dass nicht die Mitarbeiter der hiesigen TÜV-Außenstelle, sondern die Stadt selbst den Antrag stellen solle, dies jedoch lehnten die engagierten Wettbewerbsgewinner kategorisch ab. Sie drohten ganz einfach damit, den Kletterpark nicht zu bezahlen und auch der Erschaffer der Pyramide wollte diese dann einfach nicht mehr bauen.

Klaus Dipendenti schob die vier Schreiben von TÜV und Stadt, von Landkreis und Künstler immer wieder hin und her, bis sein Blick auf den Schwindelfinger Boten fiel. Ihm rauchte der Kopf und er brauchte eine Pause. Entschlossen stand er auf, ging hinaus auf den Gang und entlockte dem neuen Kaffeeautomaten ein espressoähnliches Warmgetränk. Mit Kaffee und Zeitung lümmelte er sich in seinen Bürostuhl und widmete sich den lokalen Artikeln. Eine Meldung, eher eine als redaktioneller Beitrag getarnte Werbung, weckte sein Interesse. Nach langer Pause wollte die Schwindelfinger Messe wieder durchstarten. Und nicht irgendwann und nicht irgendwie, sondern schon an diesem Wochenende mit einer dreitägigen Outdoor-Ausstellung. Gärtnerbedarfe, Kletterequipment, Kanuausrüstungen, Geocaching, Campingbedarf und sogar ein Wohnmobilhändler sollen vertreten sein. Klaus schmunzelte und kippte die braune Pfütze in einem Zug herunter. Sein Wochenendprogramm stand fest.

017

Marcus wurde ganz langsam wach, öffnete die Augen und gähnte laut. Irgendetwas war anders. Es roch so frisch. Nach Blumen. Und das Licht stimmte nicht! Es kam von der falschen Seite. Und es wirkte blau. Vorsichtig setzte er sich auf. Zartblaue Vorhänge an den Fenstern, ein schickes helles Zimmer, ein hölzernes Doppelbett, ein handgefertigter, blau-weißer Schrank, hellblaue Holznachttische und zwei weiße Türen. Es dauerte noch eine weitere, lange Sekunde bis er zumindest soweit anwesend war, um zu verstehen wo er sich befand.

Im Kurzurlaub! Norderney. Villa Schön, sein Wochenenddomizil. Gestern Abend war er mit der letzten Frisia-Fähre übergesetzt. Im Gegensatz zu den vielen Stadtmenschen hatte er nur sein Fahrrad und einen Rucksack mit dem Allernotwendigsten für zwei Nächte mitgenommen. Kein Auto, keinen Koffer und kein Handy. Er wollte einfach noch einmal ein Wochenende abschalten, bevor die Saison startete und scheinbar war er auf dem besten Wege, dieses Vorhaben auch umzusetzen. Die kleine Wanduhr ihm gegenüber zeigte 8:30 Uhr! Eine Zeit, zu der Birthe, Jasper und er ihren Tagesplan normalerweise bereits zum zweiten Mal umgeschmissen hatten.

Der Frühstücksraum der kleinen Pension war friesentypisch hellblau-weiß gestaltet. Es gab richtig guten Kaffee, eine üppige Auswahl und alle Frühstücksgäste wurden von Eigentümerin Anne Artig mit einem wunderbaren Guten-Morgen-Lächeln begrüßt.

Die Fahrradreifen surrten leise auf dem Lüttje Damenpfad in Richtung Meer. An der berühmten Marienhöhe bog Marcus ab in Richtung Norden und folgte der Promenade. Links von ihm standen bereits die in Reih und Glied aufgereihten Strandkörbe und warteten darauf, von ihren Verleihern auf den Strand gebracht zu werden. Die Frühjahrssaison stand unmittelbar in den Startlöchern und schon am nächsten Wochenende würde es hier völlig anders aussehen. Noch aber war es verhalten ruhig, der Wind allerdings kam, genau wie zu Hause, auch hier ständig von vorn. Die für ihre Thalasso-Kuren so berühmte Insel brachte selbst seine Meeresluft verwöhnte Lunge zum Aufatmen. Für ihn war es aber eher der Faktor Zeit, welcher ihm das ganz besondere Nordsee-Peeling intensiver als zu Hause spüren ließ. Der feine Sand, vom Wind herauf geweht, die klare Luft, die Sonne und die Frühjahrskühle ergaben einen Effekt, wie man ihn nur in dieser Jahreszeit erleben konnte.

Marcus verließ die Kaiserstraße, radelte am Nordstrand entlang, um hinter dem Krankenhaus auf den Zuckerpad einzuschwenken. Ein paar hundert Meter weiter stieg er ab und schob das Rad auf dem befestigten Pfad. Zu Fuß konnte er die Einsamkeit der Landschaft einfach noch intensiver genießen. Nach einer guten Stunde erreichte er die Aussichtsplattform Weiße Düne. Die moderne Holzkonstruktion bot Radlern, Wanderern und sogar Gehbehinderten einen fantastischen Rundblick über die Dünenlandschaft und auf die See. Das Schönste jedoch war, dass Marcus sich an dieser Aussicht ganz allein erfreuen konnte. Die wenigen anderen Touristen waren in das Restaurant eingekehrt und genossen den Blick auf die See hinter winddicht verglasten Fenstern. Nach einer kurzen Weile radelte er weiter, mutterseelenallein folgte er dem Weg bis zum Dünensender. Dort angekommen lümmelte er sich in einen der Cocons und schloss die Augen. Die Mittagssonne wärmte, es herrschte eine traumhafte Ruhe und die Welt war einfach mal so in Ordnung wie sie war.

Eine halbe Stunde später fuhr Marcus am Campingplatz Eiland vorbei. Er dachte kurz daran, mit dem Chef der Anlage einen kurzen Klönschnack zu machen, überlegte es sich dann aber anders. Er hatte einfach keine Lust, sich über irgendwelche Probleme zu unterhalten. Gut gelaunt radelte er, parallel zu den Dünen, am Golfplatz vorbei bis zum Fischerhafen. Von hier aus wollte Marcus eigentlich zum Wahrzeichen der Insel fahren und sich das restaurierte Kaap ansehen, die älteste Landmarke der Insel. Aber es gab noch eine andere Marke, welche sich in diesem Moment in sein Gesichtsfeld schob: die alte Windmühle. Die strahlend weißen Flügel der einzigen ostfriesischen Inselmühle leuchteten ihm entgegen und ihm fiel auf, dass ja längst Kaffeezeit war. Oder Teezeit.

Zwei Scheiben ostfriesischen Krintstuuts auf einem kleinen Tellerchen, daneben ein Schälchen Kluntje, ein Kännchen Sahne und auf dem Stövchen eine Kanne Tee. Marcus griff nach der extrem filigranen Kluntjezange, fischte sich einen dicken Kandisbrocken aus dem Kluntjepott und bugsierte ihn vorsichtig in die Tasse. Den Tee ließ er erst noch ein paar Minuten ziehen, dann goss er ihn ganz langsam ein, der Kandis knackte wie altes Feuerholz im Kamin. Marcus liebte dieses Geräusch und tröpfelte die fette Sahne mit der kleinen Kelle entgegen des Uhrzeigersinns in die Tasse. Am Nachbartisch rührten ein paar Touristen ihren Tee mit dem kleinen Löffel um. Marcus schüttelte amüsiert den Kopf und beobachtete wie hypnotisiert das Aufsteigen der Wulkjes in seinem Tee.

Die Pause war zu Ende, Marcus stieg auf sein Rad und trat kräftig in die Pedale. Jetzt hatte er es eilig. Er wollte schnell duschen und sich umziehen, um vor Sonnenuntergang noch eine Abendrunde zu gehen.

Mit frischem T-Shirt, einer fast neuen 501 und einem leichten Jackett unter seiner winddichten Jacke machte er sich auf, um zuerst einen kleinen Abstecher ins »Bittersüß« zu machen. Er hatte Mudder Fliedig versprochen, eine kleine Schachtel der hauseigenen und einmalig guten Trüffel-Pralinen mitzubringen. Die Pralinen wären ganz frisch, versicherte ihm die nette Verkäuferin und mit einer kleinen Papiertüte verließ Marcus die urgemütliche Kaffeerösterei in Richtung Kurplatz.

Der langgestreckte Bau des Conversationshauses mit seinen hohen, in filigranen Bögen endenden Fenstern und Türen und dem kleinen Türmchen auf dem Dach beherbergte nicht nur die Tourist-Information, sondern auch eine wirklich gute Bibliothek, welche man als Kurkarteninhaber kostenlos nutzen konnte. Marcus lieh sich bei der netten Bibliothekarin einen abgenutzten Taschenbuchroman und verkroch sich damit nach nebenan in den alten Lesesaal. Mit einem dampfenden Kakao auf dem Seitentischchen machte er sich für eine knappe Stunde daran, in »MI-SIX Operation Bernsteinzimmer« zu schmökern. Wie alle Norddeutschen interessierte ihn das Thema Bernsteinzimmer und einen so gemütlichen Ort zum Lesen gab es kein zweites Mal.

Nachdem draußen die ersten Lichter angegangen waren, musste Marcus leider den Bernsteinroman und den Lesesaal verlassen. Er gab das Buch zurück und verabschiedete die Dame aus der Bibliothek als letzter Leser in ihren verdienten Feierabend. Er selbst zog sich seine Windjacke bis unter das Kinn und ging mit weit ausholenden Schritten in Richtung Weststrand. Es war ausgesprochen kühl geworden und der Wind hatte deutlich aufgefrischt. Zum Glück war es nicht weit bis zum Restaurant »Marienhöhe«. Der große Pavillon thronte oberhalb der Strandpromenade und Marcus bekam noch einen Tisch in Richtung Westen. Die allerletzten Strahlen der untergehenden Sonne färbten das Meer rot und orange. Der Kellner brachte die Speisekarte und kurz darauf ein frisch gezapftes, ausgesprochen herbes Pils.

018

Carl Überwasser trank die Wasserflasche in einem Zug leer. Drei Tage Messe waren viel anstrengender als gedacht. Als Verkäufer im Autohaus war er es durchaus gewohnt, den ganzen Tag über viel zu reden, das hier auf der Schwindelfinger Messe allerdings war ein ganz anderes Kaliber. Im gesamten Hals- und Rachenraum spürte er nur noch ein einziges Kratzen. Seine Stimme war praktisch weg. Egal was er sagte, es klang immer wie eine Kombination aus niederländischen und arabischen Worten. Sein Hals war im Grunde genommen ein Stück rohes Fleisch, was letztlich auch kein Wunder war. Er redete jetzt den dritten Tag am Stück und hatte dabei leider das dringende Gefühl, dass es völlig sinnlos war. Die ganze Messe ein einziger Reinfall! Wendelin Donner hatte zwei große, glänzende, vollintegrierte Liner direkt vor der Messe platzieren dürfen. Kostenlos! Die Messeleitung wollte mit den beiden Eyecatchern bei Zufallsgästen Eindruck schinden. Hier in der Halle trat Donner mit einem wunderbar tiefroten Kastenwagen und einem schicken Teilintegrierten auf. Beide waren mit einer kompletten Küche ausgestattet, wobei die Küche im Transporter vom jeweiligen Koch deutlich mehr Improvisationstalent verlangte, als die im echten Wohnmobil.

Am Eröffnungstag, also am Freitag, waren erstaunlich viele Gäste auf das Messegelände geströmt. Die meisten waren furchtbar neugierig auf die Ausstattung der beiden großen Liner im Eingangsbereich. Überwasser war nichts anderes übrig geblieben, als am Mittag Anna Bambola, Donners Sekretärin und rechte Hand, auf die Messe rufen zu müssen. Es waren einfach zu viele Menschen, welche die großen Modelle auch von innen sehen wollten. Hier in der Halle konnte Carl Überwasser ebenfalls nicht über Arbeitsmangel klagen. Es gab viele Interessierte und viele Fragen, nur keine einzige Seele, die irgendetwas kaufen wollte.

»Griaßgodd der Herr, gehören die beiden schicken Großen vor der Türe zu Ihne?« Überwasser konnte die Fragen schon nicht mehr hören. »Ja, zwei Jahreswagen, also genau genommen 10-Monate-Fahrzeuge und beide voll ausgestattet.« Und, um etwas Eindruck zu schinden, bemerkte er scheinbar beiläufig, dass die Liner extra für die Messe gekauft worden waren. »Der mit der großen Heckgarage ist richtig schick.« Gertrude schaute Überwasser neugierig an. »Und wie alt ist der hier?« Sie zeigte auf den Teilintegrierten mit der breiten Seitentür. »Der ist auch knapp ein Jahr alt und ist nur 50.000 Kilometer gefahren, praktisch wie neu.« Er öffnete die Aufbautür und deutete in den Wohnbereich. »Möchten Sie sich mal umsehen?«

»Ja, natürlich, wenn ich darf.« Noch bevor Überwasser antworten konnte, erklomm Gertrude die beiden Stufen. Klaus hingegen blieb zwischen Tür und Verkäufer stehen. »Hat der Automatik?«

»Gut, dass Sie fragen, diese Ausführung, ein Spitzenmodell der letztjährigen Baureihe, hat einen 88 KW Turbodiesel und ein exzellentes Sechsganggetriebe bei Frontantrieb. Ein sehr effizienter Motor, bei einem moderaten Fahrstil verbraucht …«

»Warum sagen Sie nicht einfach nein«, brummelte Klaus. »Ich wollte nur wissen, ob das Ding ein Automatikgetriebe hat.« Er drehte sich zur Tür und schaute kurz um die Ecke. »Gertrude, wir gehen weiter, das hier ist nichts für uns.«

»Doch, ist es, komm doch mal rein. Schau mal, allein das große Bett ist schon ’ne Wucht.« Sie winkte Klaus in den Wohnraum, aber er blieb gleich vorn in der Küche stehen. »Gertrude, das Fahrzeug hat ein Schaltgetriebe!«

»Und ein Queensbett und ein Raumbad mit abtrennbarer Toilette und Dusche und«, sie kam triumphierend auf Klaus zu, »eine Mikrowelle.«

»Ja, schön, aber damit fährt es sich auch nicht einfacher. Ohne Automatik spielt sich nichts ab!« Dennoch ging sein Blick jetzt an Gertrude vorbei in das Fahrzeugheck. Das große Bett war von drei Seiten zugänglich, hatte ordentliche Nachttische und große Stauklappen über dem Bett. Auch die Küche erschien ihm relativ groß. Interessant, wie die Hersteller das so hinbekommen. »Klaus, guck doch mal, die Küche. Die ist ganz anders als bei uns im Wohnwagen. Drei Flammen nebeneinander. Das habe ich noch nirgendwo gesehen, damit hat man richtig Platz zum Arbeiten.«

»Ich denke, du willst nicht mehr so viel kochen?«

»Ja, aber wenn ich es dann doch mal muss, dann ist schön viel Platz.« Klaus stöhnte und wiegte mit dem Kopf. »Die Küche ist wirklich nicht schlecht, aber die Sitzplätze sind viel zu eng am Tisch.« Klaus winkte ab, Überwasser jedoch witterte seine Chance. »Diese Sitzgruppe hier«, er deutete auf die Sitzbank auf der linken Fahrzeugseite, »können Sie sogar in Fahrtrichtung drehen, dadurch entstehen zwei zusätzliche Sitze. Und der Tisch lässt sich in alle Richtungen verschieben.«

»Dann sind die Sitze ja noch dichter dran, durch das Drehen wird es doch noch enger«, maulte Klaus, obwohl er ganz genau wusste, dass seine Argumentation nicht zu halten war. Überwasser wusste das auch und grinste über das ganze Gesicht. »Beim Fahrbetrieb mit 4 Erwachsenen ist das Platzangebot tatsächlich nicht übermäßig groß. Wenn Sie aber nur zu zweit unterwegs sind, ist es deutlich entspannter. Und«, und jetzt entwickelte er richtigen Ehrgeiz, »wenn Sie die Fahrersitze auf den dafür vorgesehenen Schienen verschieben, bekommen Sie richtig viel Platz. Da ist dann nichts mehr zu eng.« Überwasser schlängelte sich am Esstisch vorbei und zog einen kleinen Hebel am Beifahrersitz. Schon ließ sich der Sitz nach hinten verschieben, die Lehne absenken und aus dem Reiseplatz wurde ein bequemer Sessel. »Und sehen Sie.« Überwasser drängte sich an Klaus vorbei, öffnete ganz oben ein Fach neben der Tür und zauberte wie aus dem nichts einen mittelgroßen Flachbildschirm hervor. »Wenn Sie dort sitzen, in den bequemen Fahrersitzen, dann können Sie hier ganz entspannt fernsehen.«

»Herr«, Klaus schaute noch einmal auf das Namensschild, »Überwasser, wir wollen nicht fernsehen, sondern in die Ferne sehen. Und selbst wenn es ein 77-Zoll-Gerät wäre, das Ding ersetzt nicht das Automatikgetriebe.« Überwasser nickte. »Wo Sie Recht haben, haben Sie Recht, aber glauben Sie mir, egal wie weit Sie fahren werden, egal wie lang Ihre Reisezeit sein wird, Sie werden immer mehr stehen als fahren und dafür brauchen Sie kein Automatikgetriebe sondern Komfort.«

Zurück auf dem Parkplatz erwartete Klaus und Gertrude eine kleine Überraschung. Obwohl der Parkplatz vor dem Messegelände riesig war, hatte ein Fiat500-Besitzer es geschafft, sein Auto so dicht hinter ihrem zu parken, dass nur wenige Zentimeter Luft nach hinten geblieben waren. Da es auch nach vorn keinen Platz gab, musste Klaus den Wagen mit ganz viel Kupplungsgefühl und vielen kleinen Schritten vorsichtig aus der Lücke bugsieren. Nachdem er sich endlich an der Ausfahrt hinter der Ampel eingereiht hatte, versuchte Gertrude noch einmal ihre Argumente anzubringen. »Also mir haben die Betten und die Küche super gefallen und weißt du, was mir noch aufgefallen ist?«

»Nein.« Klaus schaute kurz zu ihr rüber und fuhr an.

»Was denn?«

»Die vielen Schalter. Überall sind Schalter. In der Küche, in Bad und Toilette, an den Betten, an den Türen, vorn und hinten, einfach überall.«

»Ja, und, das ist doch völlig normal.«

»Eben nicht! Hast du das in den neuen Prospekten gesehen?«

»Was denn nur?«