Mit der Bibel durch das Jahr. Einführung in die biblischen Bücher -  - E-Book

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Beschreibung

Leicht ist es nicht, die Bibel "einfach so" zu lesen. Aber wer sich darauf einlässt, wird einen reichen Schatz finden: Gottes Wort in den Erfahrungen und Zeugnissen von Menschen zwischen Israel, Ägypten, Babylon, Griechenland und Italien aus mehr als 1000 Jahren. Die ökumenischen Einführungen in alle biblischen Bücher erklären in gut verständlicher Sprache und prägnant, welche geschichtlichen Hintergründe und literarischen Bilder den Texten zugrunde liegen. Namhafte Autorinnen und Autoren mit pädagogischem Geschick bahnen den Zugang. Die Einführungen helfen beim gemeinsamen Bibel-Lesen in der Gemeinde, in Schule und Universität, aber sie dienen auch dem Studium zuhause. Sie sind entstanden aus den jährlichen ökumenischen Bibelauslegungen "Mit der Bibel durch das Jahr".

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Seitenzahl: 396

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© Verlag Kreuz in der Verlag Herder GmbH, Freiburg 2022

Alle Rechte vorbehalten

www.verlag-kreuz.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: t0m15/AdobeStock

Satz: Arnold & Domnick GbR, Leipzig

Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

Konvertierung: Newgen Publishing Europe

ISBN E-Book (epub): 978-3-451-82763-1

ISBN E-Book (PDF): 978-3-451-82762-4

ISBN 978-3-451-60118-7

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Innentitel

Inhaltsverzeichnis

Informationen zum Buch

Impressum

Inhalt

Geleitwort: Gotteswort in Menschenworten

Altes Testament

Genesis/1. Buch Mose

I PAUL DESELAERS

Genesis/1. Buch Mose

II AGNETHE SIQUANS

Exodus/2. Buch Mose

PETER RIEDE

Levitikus/3. Buch Mose

THOMAS HIEKE

Numeri/4. Buch Mose

PETER RIEDE

Deuteronomium/5. Buch Mose

THEODOR SEIDL

Josua

EGBERT BALLHORN

Richter

MATTHIAS EDERER

Rut

WERNER GRIMM

1. und 2. Buch Samuel

ELISABETH BIRNBAUM

1. Buch der Könige

PETER RIEDE

2. Buch der Könige

ELISABETH BIRNBAUM

1. und 2. Buch der Chronik

SIEGFRIED KREUZER

Esra und Nehemia

LUDGER SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER

Ester

CHRISTIAN SCHRAMM

Ijob (Hiob)

LUDGER SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER

Psalmen

PETER RIEDE

Sprichwörter/Sprüche Salomos

GEORG FISCHER SJ

Kohelet/Prediger Salomo

LUDGER SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER

Hohelied/Hohelied Salomos

JÖRG BARTHEL

Jesaja 1–39 (Protojesaja)

THEODOR SEIDL

Jesaja 40–55 (Deuterojesaja)

WERNER GRIMM

Jesaja 56–66 (Tritojesaja)

THEODOR SEIDL

Jeremia

GEORG FISCHER SJ

Klagelieder des Jeremia

JÜRGEN KEGLER

Ezechiel/Hesekiel

THEODOR SEIDL

Daniel

REGINA WILDGRUBER

Hosea

FRANZ SEDLMEIER

Joël

ELISABETH BIRNBAUM

Amos

JÜRGEN KEGLER

Obadja

PETER RIEDE

Jona

WERNER GRIMM

Micha

ELISABETH BIRNBAUM

Nahum

PETER RIEDE

Habakuk

PETER RIEDE

Zefanja

ELISABETH BIRNBAUM

Haggai

LUDGER SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER

Sacharja

JÜRGEN KEGLER

Maleachi

JÜRGEN KEGLER

Neues Testament

Matthäusevangelium

JORG CHRISTIAN SALZMANN

Markusevangelium

RENATE KIRCHHOFF

Lukasevangelium

ANNE RADEMACHER

Johannesevangelium

GUDRUN GUTTENBERGER

Apostelgeschichte

THOMAS JOHANN BAUER

Römerbrief

MARGARETA GRUBER OSF

1. Korintherbrief

JÜRGEN KEGLER

2. Korintherbrief

JÜRGEN KEGLER

Galaterbrief

ANNE RADEMACHER

Epheserbrief

MARIA NEUBRAND MC †

Philipperbrief

GUDRUN GUTTENBERGER

Kolosserbrief

WALTER KLAIBER

1. Thessalonicherbrief

ANGELIKA STROTMANN

2. Thessalonicherbrief

ANGELIKA STROTMANN

1. Timotheusbrief

BURKHARD HOSE

2. Timotheusbrief

BURKHARD HOSE

Titusbrief

BURKHARD HOSE

Philemonbrief

CHRISTIAN ROSE

1. und 2. Petrusbrief

ANNE RADEMACHER

1.–3. Johannesbrief

HANS-ULRICH WEIDEMANN

Hebräerbrief

CHRISTIAN ROSE

Jakobusbrief

THOMAS JOHANN BAUER

Judasbrief

LIESELOTTE MATTERN

Offenbarung des Johannes

GUDRUN GUTTENBERGER

Autorinnen und Autoren

Abkürzungen biblischer Bücher

Geleitwort: Gotteswort in Menschenworten

Martin Luther hat einmal gesagt: Gott ist überall, »will aber nicht, dass du überall nach ihm tappest, sondern wo das Wort ist, da tappe nach, so ergreifest du ihn recht.« (Martin Luther, Wider die Schwarmgeister 1526) Gott begegnet und offenbart sich uns Menschen nicht jenseits seines Wortes – diese Überzeugung gründet und nährt den Glauben im Juden- und Christentum. Gottes Wort aber lässt sich auch für uns Heutige nicht »recht ergreifen« ohne die alten, schriftlich fixierten und über die Jahrhunderte tradierten Menschen-Worte der Bibel.

»Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!« (2 Kor 6, 2) – der Vers aus dem zweiten Korintherbrief rief und ruft Christinnen und Christen dazu, ihr jeweiliges »Heute« als »Kairos« wahrzunehmen. Das bedeutet zum einen: »heute« als die ihnen von Gott geschenkte und gesegnete Zeit zu verstehen. Und zum anderen: Jesus Christus als »das lebendige Wort Gottes«, gleichsam als Kompass für ihren gegenwärtigen Lebensweg zu erkennen. Denn weder dem christlichen Glauben noch unseren Kirchen kann es darum gehen, mit biblischen Traditionen und biblischen Zukunftsvisionen aus der gegenwärtigen Realität zu flüchten. Jesus Christus als den Auferstandenen und als das lebendige Wort Gottes bekennen heißt: Als Nachfolger und Nachfolgerinnen Jesu können und sollen wir uns unserer Gegenwart stellen. Wir sollen und müssen uns bewegen lassen von der Frage: Wie offenbart Gott heute sein Wort für uns in den alten biblischen Texten? Oder, um wie Dietrich Bonhoeffer zu fragen: Wer ist Jesus Christus für uns heute? (vgl. D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, Gütersloh 1998, S. 402) Gottes Wort heute in den alten biblischen Texten für uns zu ergreifen – diesem Ziel dienen die in diesem Buch zusammengestellten »Einführungen in die biblischen Bücher«.

Biblische Texte sind nicht vom Himmel herabgefallene Worte Gottes. Auch das Evangelium von Jesus Christus ist uns in der Bibel nur zugänglich in einer nicht aufzulösenden Mischung von Gotteswort und Menschenworten. Gott hat sein Wort nicht diktiert, sondern inspiriert. Deshalb sind biblische Texte immer auch Ausdruck und Zeugnis von menschlichem Ringen um angemessene Vorstellungen einer vor Gott verantwortbaren Ordnung und eines ebensolchen Handelns unter den politischen und gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Zeit.

Die konkrete Wahrheit von Gottes Wort ist uns nur in der Vielfalt und Vielstimmigkeit von Menschenworten greifbar. Gut, dass wir die vielschichtige Bibel und nicht ein kondensiertes Wort Gottes als Grundlage für unseren Glauben und unser Gottvertrauen haben. Zeugnisse aus verschiedenen Kontexten und aus verschiedenen Jahrhunderten sind darin zusammengestellt, selbst wenn sie sich zum Teil widersprechen. Gefahren, die mit der schriftlichen Fixierung des Wortes Gottes verbunden sind, werden so begrenzt. Und die geistliche Diktatur durch fundamentalistische Zwänge wird erschwert. Denn die Bibel zieht uns mit ihren Spannungen und Widersprüchen gleichsam hinein in Gespräche und Diskurse über Gottes Wort für uns und unsere Gegenwart. Auch das verdeutlicht der vorliegende Einführungsband in die biblischen Bücher.

Angesichts der Vielzahl und Vielstimmigkeit der Zeugnisse des Wortes Gottes muss allerdings auch immer wieder dafür Sorge getragen werden, dass Vielfalt nicht zu Beliebigkeit führt. Jeder konkret ergriffene Sinn biblischer Texte muss sich auch messen lassen an den tradierten Bekenntnissen unserer Glaubensgemeinschaften. Und unsere Gespräche und Diskurse über Gottes Wort für unsere Gegenwart brauchen die demütige Einsicht: Angesichts der umfassenden Wahrheit des Wortes Gottes sind wir immer nur in der Lage, »ein Augenblicksbild eines Vogels im Fluge« zu zeichnen: »Denken Sie aber […] daran«, warnte Karl Barth mit einem schönen Bild, »daß der wirkliche, der fliegende Vogel gemeint ist und nicht das gezeichnete Rätselbild, das ich Ihnen vorlegen kann.« (K. Barth, Der Christ in der Gesellschaft, in J. Moltmann (Hg.), Theologische Bücherei Bd. 17, S. 11)

Gottes Worte in den Menschenworten der Bibel beenden nicht alle Diskussion. Gottes Worte in biblischen Texten waren und sind keine völlig eindeutige Instanz, die den Menschen strittige Entscheidungen etwa in ethischen Fragen einfach abnehmen würde. Bisweilen eröffnen biblische Texte sogar erst die Diskussion. Gottes Wort braucht unsere menschliche Auslegung als Ausdruck einer lebendigen Beziehung zu Gott und miteinander. Unsere Auslegung aber braucht theologisch-wissenschaftliche Grundkenntnisse. Und in unserer Auslegung brauchen wir eine demütige und respektvolle Streitkultur. Nur dann können wir einem fundamentalistischen Missbrauch des Wortes Gottes den Boden entziehen. Und nur dann dienen unser Glaube, unsere religiösen Bindungen und unsere Kirchen einem friedlichen Zusammenleben in unseren Gesellschaften.

Mit einer »Zeitansage« machte der theologische Poet vom Niederrhein Hanns Dieter Hüsch für mich deutlich: »Wir leben in einer gespaltenen Welt, mit unseren geteilten Köpfen und Herzen. Wir nehmen unsere absurde Zeit schon gar nicht mehr wahr. Wir sehen alles und sehen nichts. Wir wissen alles und wissen nichts. Wir lesen drauf los um unsere Seele zu retten. Wir retten nichts, wir hören nichts. Wir hören alles und erkennen nichts.« (Hanns Dieter Hüsch, Das Schwere leicht gesagt, Herder 2007, S. 26) Auch nach und trotz der Aufklärung, auch nach und trotz aller wissenschaftlichen und technischen Fortschritte, auch nach und trotz jahrtausendealter Philosophie- und Theologiegeschichte braucht unser menschlicher Geist immer neue Inspiration durch Gottes Wort. Neue Inspiration, die unser Sehen zu einem Wahr-Nehmen macht. Und unser Hören zu einem Erkennen. Und unser Lesen und Wissen zum Anstoß für verantwortliches Tun.

Angesichts der Zerrissenheit und immer neuer Krisen in unseren Herzen und Köpfen und in unserer Welt brauchen wir das immer neue Wort Gottes aus den alten biblischen Texten. Möge dieser Einführungsband in die biblischen Bücher dazu ein Stück Wegweisung geben.

Nikolaus Schneider für die Herausgeberinnen und Herausgeber

AltesTestament

Genesis/1. Buch Mose

I PAUL DESELAERS

Genesis (1 Mose) 1–11

Das Vorwort eines literarischen Werkes enthält in der Regel sein Motto. Man kann ihm entnehmen, worum es geht, was das Herzensanliegen des ganzen Werkes ist. Von daher will das Ganze dann gelesen werden. Von der schon am Anfang erkennbaren Programmatik her wollen die unterschiedlichen Stränge und Kapitel aufgenommen, erschlossen und erläutert werden. Die ersten Kapitel des ersten Buches der Bibel sind wie ein Prolog der ganzen Bibel zu verstehen. Sie enthalten die Vision einer von Gott geschaffenen Welt, in der alle Menschen in Frieden und Gerechtigkeit, in Respekt vor Gottes Schöpfung leben können. Damit wird die gesamte biblische Überlieferung zu einer hellsichtigen Schau für das Leben der Menschen in Gottes Schöpfung, und sie überträgt zugleich eine Aufgabe an alle Menschen und für alle Menschen.

Bis heute werden nicht selten die Erkenntnisse der Naturwissenschaften, die oftmals das Bewusstsein bestimmen, dem Beginn der Bibel entgegengesetzt. Eine ängstlich-starre Überzeugung der Kirche hat mit dazu beigetragen, dass man voraussetzte, es hier mit einer Art Schöpfungsprotokoll zu tun zu haben. Im Gefolge schienen Bibel und Naturwissenschaften unvereinbar. Oft wurde die Sache mit dem unsichtbaren Gott, von dem da erzählt wird, zutiefst fraglich. Lange hat es gebraucht, die eigene Intention der Bibel wahrzunehmen und mit den Ergebnissen der Naturwissenschaften in ein offenes Gespräch einzutreten.

Einige Hilfestellungen zum Verständnis dieses Vorwortes der Bibel (Gen 1–11) sollen kurz skizziert werden:

1. Schon beim ersten Lesen der Genesis wird deutlich, dass es in dieser Schrift unterschiedliche Stile, Gedanken, literarische Formen, Doppelungen, Widersprüche usw. gibt. Genaue Untersuchungen haben in ihren Auswertungen Einblicke in die Entstehung des Buches Genesis wie auch des größeren Zusammenhangs des Pentateuch, der fünf Bücher Mose, erbracht. Gerade etwa der Wechsel von Gottesnamen, Gottesbezeichnungen und Gottestiteln kann darauf hindeuten, dass viele Hände aus verschiedenen Zeiten an der Entstehung dieses Buches beteiligt sind, dass am Ende jedoch im Respekt vor der Vielstimmigkeit das Ganze gestaltet ist. Die Weltschöpfungsgeschichte Gen 1,1–2,4a etwa verwendet konsequent die Gottesbezeichnung Elohim, während die Paradies-Erzählung Gen 2,4b–3,25 durchgängig JHWH-Elohim einsetzt. Eine komplexe Reflexion dieses Befundes ist nötig. Doppelungen und Spannungen gibt es auch etwa innerhalb eines einzigen Erzählzusammenhangs wie bei der Erzählung von der Sintflut (Gen 6,1–9,17). Dahinter liegen eben auch konkurrierende theologische Konzepte und Vorstellungen. Solche Beobachtungen, die vielfältig aufgeführt werden könnten, begründen eine Fülle von Theorien über das Werden der Bibel bzw. der Genesis. Doch ordnen sie sich alle dem übergreifenden Thema unter.

2. Die Welt zu bevölkern und sich um sie zu kümmern, das ist die Vision derer, die sich die Erzählung von der Erschaffung der Welt erzählt haben. Die eigentliche und von Gott zugedachte Aufgabe stellen sie sich so vor: Das anfängliche Chaos aus Wasser, Sturm und Finsternis (vgl. Gen 1,2) wurde, so erzählte man sich, von Gott zurückgedrängt. Dann habe Gott den dadurch entstandenen Raum zu einem einwandfreien und lebenswerten Ort gestaltet. Die Menschen seien aber nicht nur einfach irgendein Teil dieses Kosmos, sondern seien von Gott mit einem besonderen Auftrag betraut worden: Wie einem Hirten die Schafe nicht gehören, um die er sich kümmern soll, so ist auch die Welt nicht Besitz dieser Menschen, über die sie frei verfügen könnten, sondern Gottes Kosmos ist ihnen als fremdes Gut anvertraut worden. Um dieses anvertraute Gut sollen sie sich fürsorglich kümmern, es schützen und pflegen – mit aller Kraft, mit der ganzen Phantasie.

Im Alten Orient wurde das Bild von einem Hirten, der sich fürsorglich um seine Herde kümmert, oft verwendet, um die Aufgabe eines guten Königs zu beschreiben. Diese Vorstellung ist in der biblischen Schöpfungserzählung übernommen worden und als die hauptsächliche Aufgabe des Menschen auf alle Menschen übertragen worden. Wie ein König für sein Volk, wie der Hirte für seine Herde, so ist jeder einzelne Mensch mitverantwortlich für Gottes Schöpfung. Gerechtes und friedvolles Miteinander ist somit das Ziel dieser von Gott den Menschen anvertrauten Welt.

3. Gen 1,1–2,4a zeichnet ein Bild von der Welt, wie sie sich die Erzähler der Geschichte als Ideal vorstellten. Damit ist keine Aussage darüber gemacht, wie die Welt tatsächlich entstanden ist, sondern es geht darum, welche Aufgabe dem Menschen in der von Gott geschaffenen Welt zugedacht war. Eigentlich … – denn auch schon damals, als man sich die Geschichte über die Erschaffung der Welt in sieben Tagen erzählte, sah die Welt, wie die Menschen sie tagtäglich erlebten, deutlich anders aus. Ihre Gegenwart war nicht die heile Welt fürsorglichen Schutzes, sondern eine Welt, in der Missgunst, Ausbeutung, Selbstsucht, Erniedrigung, Gewalt und auch Mord zum Alltag gehörten. Diese Realität haben die biblischen Erzähler nicht ausgeblendet. Sie haben die Störungen der Schöpfung durch die Ursünde gegen Gott und gegen den Menschen ergründet (Gen 2,4b–4,26). Sie haben die Entfesselung der Gewalt mit der Folge der Sintflut in eine zweite Schöpfungserzählung mit einem Bund Gottes mit der Schöpfung einmünden lassen (Gen 5,1–9,29), in dem Noach die entscheidende Rolle übernimmt: Schon nach wenigen Generationen – so erzählte man sich – habe das Böse unter den Menschen in der von Gott geschaffenen Welt überhandgenommen (Gen 6,5). Der Mensch hatte sich nicht als guter Herrscher in der von Gott geschaffenen Welt erwiesen. Daher hatte Gott beschlossen, dem ein Ende zu setzen und die Welt zu vernichten. Nur Noach, der Gerechte, der stimmig die Bestimmung des Menschen lebte, und seine Familie sollten gerettet werden (Gen 6,7–8). Die zu Beginn der Schöpfung an die Ränder des Kosmos zurückgedrängten Wassermassen seien dann wiederum über die Welt hereingebrochen und hätten sie erneut in Chaos verwandelt. In einem mit Pech bestrichenen Kasten, der »Arche«, haben Noach, seine Familie und ausgewählte Tiere überlebt. Als aber die Geretteten die Arche verlassen haben, hat Gott festgestellt, dass sich die von ihm geschaffenen und aus der Flut geretteten Menschen in keiner Weise verändert haben. Sie sind vielmehr die geblieben, die sie schon vorher waren: Menschen, die auch die Möglichkeit haben, schlecht zu handeln. Deswegen aber hat Gott den Menschen keineswegs verworfen – sondern genau umgekehrt: Er hat den Entschluss gefasst, diese Welt, wie sie ist, und die Menschen, wie sie sind, niemals wieder zu vernichten (vgl. Gen 8,21). So hat Gott die Menschen angenommen und hat ihnen erneut die Welt, wenn auch mit leicht veränderten Spielregeln, übergeben (Gen 9,1–7).

Danach kommt die weitere Entwicklung in den Blick: Die Anfangsgeschichte Israels und seiner Nachbarvölker wird im Bildausschnitt herangeholt und präsentiert (Gen 10,1–11,32). Besonderes Interesse richtet sich im weiteren Verlauf auf die erste Generation des auserwählten Volkes. Sie ist in Abraham und Sara verkörpert (Gen 12,1–23,20). Mit ihnen beginnt Gott ein neues Vorhaben.

4. Nimmt man die zahllosen Beobachtungen aus den Forschungen zur Entstehung und Komposition des Buches Genesis bzw. des ganzen Pentateuch zusammen, lassen sich Grundanliegen erkennen, die aus der Summe der Einzelerzählungen sich verdichten und auf jede Einzelerzählung wiederum Licht werfen. Die Genesis beginnt eine Erzählung der Geschichte Gottes mit den Menschen und wie die Menschen diese Geschichte erlebt, reflektiert, durchlitten, bejubelt und darin beantwortet haben. Das Ergebnis ist eben diese Vielfalt an Stimmen und Stimmungen, an Textsorten und theologischen Perspektiven. Ihr Ordnungsprinzip ist über weite Strecken hinweg die »Geschichte« Gottes mit den Menschen und der Menschen mit Gott. »Geschichte« schreiben meint im biblischen Sinn die Möglichkeit, die dramatische Entwicklung einer Beziehung zwischen Gott und den Menschen, und dann eben zwischen Gott und seinem auserwählten Volk, zwischen Gott und einzelnen Menschen in Form von »Geschichten« erzählerisch auszugestalten. »Geschichte« will eine Botschaft vermitteln: wie Menschen ihre Herkunft von alters her, ihren Stand in der Welt, ihre eigenes Ergehen in Glück und Not als Handeln dieses Gottes deuten und wie sie darauf angemessen reagieren, wie sie zu Gott stehen, wie sie sich zu ihren Mitmenschen, zur gesamten Schöpfung und zu sich selbst verhalten. Eingeprägt in diese Erzählungen ist eine Ein-Weisung in ein Leben aus Gott, vor Gott und mit Gott. Denn er ist der, der seine Menschen in das Gelobte Land des fürsorglichen Miteinanders führen will und für den spannungsreichen Weg dorthin Weg-Weisung gibt. Sie ist Ausdruck seiner Barmherzigkeit. Denn dieser Gott hält sein Ja gegenüber der Schöpfung und allem Leben durch, gerade angesichts der Sünde aller Lebendigen. Diese Botschaft wird in einen durchgehenden Strom von Erzählungen gekleidet, wobei dieser Strom vielfältige Entdeckungen machen lässt.

5. In allem sollen die Lesenden sich vorstellen können, wie eine gottgewollte und gottgerechte Welt aussehen kann, aber auch, wie realistisch sich erzählen lässt, in welcher Weise die Menschen tatsächlich leben und sind. Es ist ein ungeschminktes Bild, das am Beginn der Bibel gezeichnet wird. Immer wieder wird die Spannung zwischen dem, wie die Welt sein sollte und wie sie tatsächlich ist, geschildert. Der Traum von einer guten, friedvollen Welt ist an den Uranfang der Welt zurückverlegt worden, als Traum und Vision einer von Fürsorge geprägten Haltung der Menschen gegenüber ihren Mitmenschen, den Tieren und der Natur. Der Mensch erscheint als fürsorglicher Herrscher und Hirte, genauso jedoch auch als Zerstörer der ihm anvertrauten Schöpfung. Die biblische Tradition erzählt in diese Spannung hinein, dass Gott die Menschen nicht verwirft, sondern sie annimmt und ihnen neue Wege aufzeigt. Daraus erwächst jedoch die bleibende Aufgabe, die Vision wird zur handlungsorientierenden Maxime für den Menschen – als Antwort auf Gottes Schöpfung und seine unfassliche Güte.

Genesis/1. Buch Mose

II AGNETHE SIQUANS

Genesis ist Griechisch und bedeutet »Entstehung, Ursprung«. Im Judentum wird das Buch nach dem Wort bezeichnet, mit dem es beginnt: Bereschit, »am Anfang«.

Entstehung

Das Buch Genesis ist, wie die Tora insgesamt und auch die folgenden Bücher, in einem langen Prozess entstanden. Die genauen Umstände dieses Prozesses sind umstritten. Das Buch Genesis vereint unterschiedliche Traditionen aus verschiedenen Zeiten. Vermutlich gab es über längere Zeit mündliche Überlieferungen und erste schriftliche Texte. Wahrscheinlich gab es bereits im 7. Jahrhundert v. Chr. ein größeres Erzählwerk, das aber noch nicht alle Texte des heutigen Pentateuchs enthielt. Um 400 v. Chr. bearbeitete eine Endredaktion den Text: Die fünf Bücher des Mose entstanden als eine abgeschlossene Einheit.

Der Blick auf die komplexe Entstehungsgeschichte – unterschiedliche Überlieferungen aus verschiedenen Zeiten mit oft unterschiedlichen theologischen Schwerpunkten – kann helfen zu verstehen, warum in den Texten manche Spannungen und Widersprüche auftauchen und anderes mehrfach erzählt wird. Wenn auch Details heute nicht mehr exakt rekonstruierbar sind, so verweist uns die Entstehungsgeschichte doch auf die Vielfalt von religiösen Erfahrungen Israels in der Geschichte und deren theologischen Deutungen, die im Buch Genesis ihren Niederschlag gefunden haben.

Naturwissenschaft, Geschichte und Theologie

Das bedeutet aber, dass wir es im Buch Genesis nicht mit einem Geschichtsbericht im modernen Sinn zu tun haben, sondern dass die Erfahrungen, die im Lauf der Geschichte gemacht wurden, theologisch reflektiert und verarbeitet wurden. Die Erzählungen über die Schöpfung wollen keine naturwissenschaftliche Abhandlung sein, sondern das Verhältnis von Gott, Mensch und Welt religiös deuten. Was uns über die Erzeltern erzählt wird, ist nicht historisch nachweisbare Geschichte, sondern Deutung von Leben im Licht des Glaubens. Die entscheidende Frage der biblischen Texte ist: Was bedeutet das Vergangene, die Ursprungszeit, für die Gegenwart? Nicht naturwissenschaftliche und historische Fakten sollen vermittelt werden, sondern die bleibende Bedeutung dieser Ursprünge für »uns«, Menschen späterer Generationen, die diese Texte als ihre Heilige Schrift lesen.

Aufbau

Das Buch Genesis kann in zwei große Abschnitte geteilt werden: die Urgeschichte in Gen 1–9, in der der Ursprung der Welt und der Menschen erzählt wird (Gen 1,1–2,3: die Welt, wie sie von Gott her ist/sein soll; Gen 2,4–4,26: das Zusammenleben der Menschen zwischen Ideal und Wirklichkeit; Gen 5,1–9,29: die Welt, wie sie wirklich ist, bedroht von Gewalt) und Gen 10–50, die Erzelternerzählungen, der Ursprung des Volkes Israel (Gen 10–11: Israel in der Völkerwelt; Gen 12–36: die Erzeltern Abraham und Sara, Isaak und Rebekka, Jakob, Rahel und Lea; und Gen 37–50: Josef und seine Brüder).

Inhalt

Die Urgeschichte

Die Urgeschichte steckt gleichsam den theologischen Rahmen ab, innerhalb dessen die weiteren Texte zu verstehen sind. Sie erzählt von der Schöpfung, in der Gott die Welt, die Lebewesen und ihre Ordnung konstituiert. Der Mensch stellt sich aber gegen die von Gott gesetzte Lebensordnung und wendet sich der Gewalt zu: Das verdeutlichen die Erzählungen von der Ursünde und ihren Folgen und vom Mord Kains an Abel. Die Sintflut kommt über die Menschheit, weil sie voll von Gewalt ist. Am Ende dieser Katastrophe, die beinahe die Schöpfung revidiert, schließt Gott einen Bund mit Noah und mit allen Lebewesen der Erde. Er sichert zu, dass so etwas nicht wieder passieren wird, auch wenn die Menschen sich dem Bösen zuwenden.

Die Erzelternerzählungen

Die »Völkertafel« (Gen 10), die Turmbau-Geschichte sowie die folgende »Geschlechtertafel«, die zu Abraham hinführt (Gen 11), verorten Israel in der Völkerwelt. Ab Gen 12 wird die besondere Geschichte Gottes mit den Erzeltern erzählt. Abraham erhält eine Verheißung, die zugleich eine Aufforderung ist, seine Heimat zu verlassen. Er muss nach Ägypten, führt in Kanaan Kriege, trennt sich von seinem Neffen Lot. Mit Abraham schließt Gott einen Bund. Er verheißt ihm einen Nachkommen, durch den sein Segen zu allen Völkern gelangen wird. Sara aber ist unfruchtbar. Zunächst schickt sie Abraham zu ihrer Magd Hagar, die an ihrer Stelle ein Kind für Abraham gebären soll – damals nicht unüblich. Letztlich bekommt Sara doch einen Sohn: Isaak. Hagars Sohn Ismael wird mit seiner Mutter weggeschickt. Gen 22, wo Gott Abraham auffordert, seinen geliebten Sohn Isaak als Opfer darzubringen (was ein Engel dann letztlich verhindert), zeigt die Herausforderung des Glaubens in schweren Zeiten. Der barmherzige Gott erscheint zeitweise fremd. Abraham, der auch das Volk Israel repräsentiert, lernt, sogar in solchen Situationen auf Gott zu vertrauen.

Nach Saras Tod schickt Abraham seinen Diener in die frühere Heimat, um dort eine Frau für Isaak zu finden. Rebekka verlässt ihre Familie und wird Isaaks Ehefrau. Sie bringt Zwillinge zur Welt: Esau und Jakob. Nachdem Jakob seinen Bruder um den Erstgeburtssegen des Vaters betrogen hat, muss er fliehen. Er begibt sich zu seinem Onkel Laban nach Haran. Dort wird auch er selbst betrogen: Er bekommt zunächst die ältere Lea zur Frau, obwohl Laban ihm Rahel versprochen hatte. Jakob muss Laban zweimal sieben Jahre für die beiden Frauen dienen. In dieser Zeit werden ihm elf Söhne und eine Tochter geboren. Die Rivalität der beiden Frauen um die Gunst Jakobs bestimmt das Leben dieser Familie. Auch die Dienerinnen Bilha und Zilpa werden in den Wettstreit einbezogen. Nach der Trennung von Laban kehrt Jakob nach Kanaan zurück und versöhnt sich mit seinem Bruder Esau. Zuvor hat er einen nächtlichen Kampf mit einem Unbekannten zu bestehen, der ihm einen zweiten Namen gibt: »Israel« – Gottesstreiter. Im Land Kanaan wird Jakobs Tochter Dina vergewaltigt, ihre Brüder nehmen blutige Rache. Rahel stirbt bei der Geburt ihres zweiten Sohnes Benjamin.

Den letzten Teil des Buches Genesis (37–50) nimmt die Geschichte Josefs und seiner Brüder ein, die auch eine Geschichte Jakobs und seiner Söhne ist. Josef, von seinen Brüdern verkauft, gelangt nach Ägypten und wird dort mit Gottes Hilfe der zweitmächtigste Mann. Nach vielen Schwierigkeiten versöhnen sich die Brüder, und Jakob zieht mit seiner ganzen Familie nach Ägypten, um die Hungersnot zu überstehen. Das Buch Genesis endet mit dem Segen Jakobs, seinem Tod und Begräbnis in Hebron und mit dem Tod Josefs, der in Ägypten begraben wird.

Theologische Schwerpunkte

Theologie wird im Buch Genesis narrativ vermittelt, also in Form von Erzählungen. Hier sollen einige wichtige Aspekte genannt werden: Die Schöpfungs-Erzählung der Genesis spricht von Gottes Ja zum Leben. Die Sintflut-Geschichte erzählt von einem barmherzigen Gott, der trotz der Wendung der Menschen zum Bösen an seinem Ja festhält. Die Erzeltern machen die Erfahrung eines Gottes, der herausfordert, der aber auch auf allen Wegen mitgeht, selbst wenn sie schwierig sind. Die Erzählungen vermitteln das Bild JHWHs als eines Gottes, der sich den Menschen und insbesondere seinem Volk zuwendet. Seine besondere Zuwendung gilt den Benachteiligten, wie Hagar und Ismael in der Wüste. Gott schließt einen Bund mit den Menschen, mit Abraham. Er gibt seine Verheißungen, ohne dass diese an das Verhalten der Menschen gebunden wären, die ja nicht immer auf seinen Wegen gehen. So zeigt das Buch Genesis in vielfältiger Weise Gottes Treue und seine Zuwendung zu den Menschen.

Exodus/2. Buch Mose

PETER RIEDE

Exodus/Das 2. Buch Mose erzählt im Anschluss an das Buch Genesis/1. Buch Mose, innerhalb derer u. a. die Familiengeschichte Abrahams, Isaaks und Jakobs entwickelt wird, die Volksgeschichte Israels. Es setzt ein in Ägypten, wo das größer gewordene Volk (vgl. Ex 1,9) Unterdrückung und Knechtschaft erfährt, es schildert aber auch die Geschichte der Befreiung aus dieser Knechtschaft durch die göttliche Rettung am Schilfmeer. Der Name des Buches »Exodus« (»Auszug«) bezieht sich programmatisch auf diese grundlegende Rettungstat, die Israel auf seinen Gott JHWH zurückführte und die zu einem Grunddatum seiner Geschichte und seines Bekenntnisses wurde. Dieses Bekenntnis wird im Alten Testament immer wieder mit der kurzen Formel von »JHWH, der Israel aus Ägypten herausgeführt hat« (vgl. z. B. Num 24,8; Dtn 26,5–10; Am 2,10) zusammengefasst. Nicht umsonst steht es auch zu Beginn des Dekalogs (Ex 20,2) und unterstreicht somit, dass die Befreiung durch Gott Grundlage und Voraussetzung für Israels Verpflichtung in den Geboten ist. Hebräisch heißt das Buch nach seinem ersten Wort »Schemot« (»Namen«).

Man kann das Buch, das einen zeitlich langen Werdegang aufweist und unterschiedliche Traditionen (Erzählungen, Rechtstexte, kultische Anweisungen) vereint, grob in zwei Teile gliedern:

In Ex 1–18 geht es um die Befreiung Israels aus der Knechtschaft Ägyptens und seine Bewahrung in der Wüste, in Ex 19–40 dagegen um seine Verpflichtung als Volk Gottes. Während der erste Teil des Buches als Schauplätze Ägypten, das Schilfmeer und die Wüste nennt, spielt der zweite Teil am Gottesberg, dem Sinai, wo Israel die grundsätzlichen Rechtssatzungen für das Leben im Alltag (Ex 19–24) empfängt und den Bund mit seinem Gott schließt (Ex 24). Darauf folgen kultische und rituelle Anweisungen, u. a. zum Bau des Heiligtums (Ex 25–31). Die Umsetzung der letzteren wird dann in Ex 35–40 beschrieben. Dazwischen finden sich Erzählungen, die den Abfall Israels von JHWH und die Erneuerung des Bundes mit ihm schildern (Ex 32–34).

Zentralgestalt des Buches ist ab Ex/2 Mose, der im Rahmen der geschilderten Geschehnisse in unterschiedlichen Rollen (als Anführer beim Auszug, als Wundertäter, als Mittler) agiert.

Vor dem Hintergrund der ägyptischen Bedrohung, die sich insbesondere im Befehl Pharaos, die Söhne der Israeliten zu töten (Ex 1), zeigt, ist die Geschichte von der Geburt und Aussetzung des Mose eine Kontrastgeschichte. Ebenso wie in Ex 1, wo die Hebammen sich den Tötungsbefehlen des Pharao widersetzen, sind es hier Frauen, die das neugeborene Kind mit List und Gewitztheit am Leben erhalten. So tragen sie dazu bei, dass der spätere Retter selbst zum Geretteten wird, was Ex 2,10 explizit herausstellt.

Besonders auffällig ist, dass Mose einen ägyptischen Namen trägt. Ähnliche Namen finden sich in Ägypten meist in Verbindung mit einem Gottesnamen, z. B. Ramses »(Der Gott) Re ist es, der ihn geboren hat« oder Ramose »(Der Gott) Re ist geboren«. »Mose« ist die Kurzform eines solchen Namens, denn hier ist der Gottesname entfallen. Zu seinem ägyptischen Namen passt auch, dass Mose von seiner Retterin, der Tochter des Pharao, als Sohn angenommen wird. Jahre später muss er aus Ägypten fliehen, weil er sich solidarisch für seine hebräischen Landsleute einsetzt und erneut von Pharao mit dem Tode bedroht wird (Ex 2,11–15). Mose nimmt als Fliehender das spätere Schicksal seines Volkes in seiner Person vorweg. Die Flucht aus Ägypten ist die Voraussetzung für das weitere Geschehen. Mose kommt nach Midian, lernt dort Reguel, den Priester von Midian, kennen, der ihm, dem Ausländer, Schutz gewährt, und heiratet in seine Familie ein (Ex 3,16–22). Mose ist in dieser Zeit ein Retter auf Abruf.

Neben der Geburtsgeschichte ist besonders die Dornbuschgeschichte in Ex 3 zentral, die ebenfalls in Midian spielt, das somit für Mose zum Ort der ersten Gottesbegegnung wird, die am Gottesberg lokalisiert wird. Hier wird Mose von Gott berufen, hier erhält er von ihm den Auftrag, Israel aus Ägypten herauszuführen (Ex 3,10). Als Mose davor zurückscheut, offenbart JHWH ihm seinen Namen und deutet diesen: JHWH heißt nichts anderes als »Ich werde dasein, als der ich dasein werde«. In dieser Namensdeutung und der darin enthaltenen Zusage des Mitseins Gottes (vgl. Ex 3,12) wird ein charakteristischer Wesenszug des Gottes Israels deutlich. Alle weiteren Einwände des Mose gegen seine Beauftragung weist JHWH ab und verheißt ihm Unterstützung durch seinen Bruder Aaron (Ex 4,10–16), der für ihn zum Munde und somit zum Sprachrohr werden soll.

Die Konfrontation Moses mit Pharao im Rahmen der Plagengeschichten (Ex 7ff) mit ihrer sich zuspitzenden Steigerung und der Betonung der Macht JHWHs, der sich Pharao trotz aller Versuche, seine eigene Stärke zu demonstrieren, beugen muss, gipfelt schließlich in der Flucht der Israeliten und ihrer wundersamen Errettung vor dem ägyptischen Heer am Schilfmeer (Ex 14). Dieses Ereignis wird im Schilfmeerlied (Ex 15,1–19) und dem daran anschließenden Mirjamlied (Ex 15,20f) hymnisch gepriesen und soll in der Feier des Paschamahls, das am Vorabend des Auszugs eingesetzt wird, jährlich von den Israeliten vergegenwärtigt werden (vgl. Ex 13).

Auf die Errettung folgt eine erneute Bedrohung des Volkes in der Wüste (Ex 15–17) durch Durst (Ex 15,24; 17,3), Hunger (Ex 16,3) und Feinde (Ex 17,8–16). Daraufhin begehren die Israeliten durch Murren gegen Mose (und letztlich auch gegen Gott) auf und sehnen sich zugleich zurück »nach den Fleischtöpfen Ägyptens« (Ex 16,3). Wie beim Auszug aus Ägypten erfährt Israel auch hier die wunderbare Bewahrung durch Gott, der sein Volk auch in den negativen Widerfahrnissen des Lebens am Leben erhält.

Der Sinai, der von Ex 19 bis Num 10 Schauplatz der erzählten Ereignisse ist, wird schließlich zum Dreh- und Angelpunkt der Begegnung des Volkes mit seinem Gott. Hier erhält Israel die Zehn Gebote als Richtschnur für ein gelingendes Leben in der von Gott gewährten Freiheit (Ex 20), und hier schließt Gott seinen Bund mit seinem Volk (Ex 24). Zwischen dem Dekalog und dem Bundesschluss findet sich noch eine Reihe weiterer rechtlicher Bestimmungen, die im sog. Bundesbuch (Ex 20,22–23,33) zusammengefasst sind.

Am Sinai zeigt Gott seinem Volk auch, wie die künftige Beziehung beider gelebt werden soll: im Heiligtum, dem »Zelt der Begegnung« (Ex 27,21), und durch den Dienst der dort wirkenden Priester (Ex 25–31). Dieses Heiligtum ist transportabel vorgestellt. Es ist der Ort der Gegenwart Gottes, hier »wohnt« Gott inmitten der Israeliten (Ex 29,43–46).

Trotz der lebensdienlichen Funktion der von Gott gegebenen Bestimmungen kommt es beim Volk zum Bruch mit seinem Gott durch die Anfertigung des »Goldenen Kalbs« (Ex 32). Die Zeit am Sinai wird somit nicht als Idealzeit in der Beziehung zwischen Israel und JHWH gezeichnet, sondern schon diese Ursprungszeit war davon geprägt, dass Israel sich von seinem Gott abwandte und seine eigenen Wege ging. Diese »Beziehungskrise« wird durch den Einsatz von Mose überwunden, der sich fürbittend für Israel einsetzt (Ex 32,32).

Das im Exodusbuch entfaltete Gottesbild zeigt einen Gott, der barmherzig ist und gnädig, geduldig und von großer Güte und Treue (Ex 34,6) und der aufgrund seiner Barmherzigkeit Vergebung gewährt und den Bund mit seinem Volk erneuert (Ex 34). Das Buch schließt dann mit dem Bau des Heiligtums und der Anfertigung der für den Kult notwendigen Gerätschaften (Ex 35–40). Am Ende steht der Einzug der Herrlichkeit Gottes in sein Heiligtum. JHWH nimmt sein Heiligtum in Besitz. Dieses symbolisiert die Gegenwart und Nähe JHWHs, der sein Volk auf seinem weiteren Weg begleitet, ja es ist gleichsam ein »wandernder Sinai« (B. Jacob).

Levitikus/3. Buch Mose

THOMAS HIEKE

Mit dem Buch Levitikus bewegt man sich in das Zentrum der Tora, der fünf Bücher Mose. Zum einen legen sich kompositorisch die anderen vier Bücher wie ein innerer (Exodus – Numeri) und ein äußerer Rahmen (Genesis – Deuteronomium) um das dritte Buch Mose. Zum anderen verfolgt das Buch zwei zentrale Fragestellungen des jüdischen und christlichen Glaubens: Wie können der sterbliche und sündige Mensch und der lebendige und heilige Gott einander begegnen? Wie können Störungen der Beziehung (»Sünden«) überwunden werden und wie wird Versöhnung erreicht? Das erste Thema wird auf zwei verschiedene Weisen angegangen. In der ersten Buchhälfte (Lev 1–15) wird der Kult am Heiligtum beschrieben: Gott ordnet an, wie ihm die Menschen Opfer darbringen und so die Kommunikation mit ihm suchen können. Die zweite Buchhälfte (Lev 18–27) gibt Weisungen dafür, wie der Alltag so gestaltet werden soll, dass Gott auch jenseits des Heiligtums mitten unter den Menschen wohnen kann. Im Mittelpunkt steht das zweite Thema: die Gabe der kultischen Versöhnung (Lev 16–17) am Großen Versöhnungstag und im Opfergottesdienst. Die meisten Einzelbestimmungen erscheinen heute schwer verständlich. Viele Anordnungen können nicht mehr direkt ausgeführt werden, weil es seit 70 n. Chr. keinen Tempel mehr gibt. Trotzdem gilt: Im Buch Levitikus werden grundlegende Themen behandelt, aus denen sich Impulse für heutige Fragestellungen in Religion, Gesellschaft und Ethik ergeben. Es lohnt sich, wenn man sich mit den geschichtlichen Gegebenheiten sowie den Inhalten und Themen des Buches vertraut macht.

Das Buch trägt in der griechischen und lateinischen Bibel den Namen Levitikus, der sich von Levi, dem Sohn Jakobs und dem daraus hervorgehenden Stamm ableitet. Aus ihm kommen die Priester, die den in Levitikus beschriebenen Kult ausführen und Israel seine Lebensordnung als heiliges, priesterliches Volk (vgl. Ex 19,6) lehren. Die jüdische Tradition nennt das Buch nach den Anfangsworten Wajjikrá (und er rief), bei den Rabbinen heißt es auch torat kohanim (Priesterlehre).

Der erzählerische Rahmen des Buches »spielt« zwar in der Zeit der Wüstenwanderung Israels während der langen Zeit der Station am Berg Sinai, an dem Ort, wo sich Gott in besonderer Weise offenbarte und wo das transportable Zeltheiligtum errichtet wurde. Faktisch steht aber hinter dem »Heiligtum« im Buch Levitikus der Tempel in Jerusalem. Dort hat König David den ersten Tempel gegründet, und sein Sohn Salomo hat ihn im 10. Jahrhundert v. Chr. gebaut. Dieser Tempel wurde durch die Babylonier 587/586 v. Chr. zerstört. Auf diese Eroberung folgte das Babylonische Exil der Judäer, das in der biblischen Literatur viele Spuren hinterlassen hat. Die meisten der später zur Tora zusammengefügten Traditionen wurden erst im Zuge dieses Exils im 6. Jahrhundert v. Chr. oder danach gesammelt und aufgeschrieben. Als der Perserkönig Kyrus II. Babylon (und den gesamten Vorderen Orient) erobert hatte, waren eine »Heimkehr« der judäischen Oberschicht nach Jerusalem und eine Wiedererrichtung des Tempels mit Erlaubnis der persischen Verwaltung möglich. Die Verfasser des Buches Levitikus und weiterer Passagen in der Tora waren Priester an diesem Zweiten Jerusalemer Tempel, der 515 v. Chr. eingeweiht wurde. Das Werk der Priester spiegelt somit die gottesdienstlichen Abläufe der nachexilischen Zeit unter persischer Oberherrschaft. Was davon inhaltlich auf den vorexilischen Kult zurückgeht, ist ungewiss. Das priesterliche Werk wird Teil der Tora, die im Laufe des 5. Jahrhunderts v. Chr. ihren Abschluss findet. Ab dem 3. Jahrhundert v. Chr. beginnt in Alexandria die Übersetzung der Tora ins Griechische: Im Falle von Levitikus folgt sie der hebräischen Vorlage sehr genau. Der hebräische Text wird ebenfalls weiterhin immer wieder abgeschrieben (zuerst in Jerusalem, später in Tiberias und an anderen Orten). Vergleicht man die erhalten gebliebenen hebräischen Handschriften, so sind die Varianten bei Levitikus gering.

Das Buch Levitikus besteht aus sieben Teilen: Die verschiedenen Opferbestimmungen werden in Lev 1–7 beschrieben; darauf folgen die Einsetzung der Priester und der erste Opfergottesdienst (Lev 8–10). Die Kapitel 11–15 nennen Umstände, die eine Kultteilnahme nicht möglich machen. Dies wird mit dem Begriff »unrein« markiert. Sie geben auch Hinweise, wie durch Waschungen und das Verstreichen von bestimmten Zeitspannen der Normalzustand der kultischen Reinheit wiederhergestellt wird (Reinheitsvorschriften). Im Zentrum des Buches und der Tora steht die kultische Versöhnung als das Gnadengeschenk Gottes (Lev 16–17): der Große Versöhnungstag einmal im Jahr (Jom ha-Kippurim nach Lev 23,27, als jüdischer Feiertag Jom Kippur). Die letzten drei Teile sprechen von der Übertragung der Heiligkeit des Kultes in den Alltag (Lev 18–20), von Einzelbestimmungen für die Priester und von Opfern zum Erhalt dieser Heiligkeit (Lev 21–22) sowie vom Zusammenleben mit Gott und untereinander (Lev 23–27).

Das Interesse der priesterlichen Verfasser bestand neben der handbuchartigen Sicherung der Tradition vor allem in der intensiven Bildung des Volkes Israel in Fragen des Kultes, der Reinheit und der Ethik. Der eigentliche Opferkult fand nur im kleinen Kreis der Priester am Tempel statt – aber jede/r Israelit/in sollte darüber Bescheid wissen und den Kult im Geiste nachvollziehen. Die Reinheit war für die Priester und die am Opfergottesdienst und an den Mählern teilnehmenden Laien die entscheidende Voraussetzung für die Kommunikation mit Gott – aber auch im Alltag sollte die Befolgung der Reinheitsvorschriften ein Bewusstsein der Nähe zu Gott vermitteln. Untrennbar mit dem Kult ist ein hoher sittlich-ethischer Anspruch verbunden: Rechter Gottesdienst und gerechter Umgang mit den Mitmenschen gehen Hand in Hand; insbesondere Levitikus 19 zeigt dies deutlich. Dort steht etwa das Gebot der Achtung der eigenen Eltern auf einer Stufe mit dem Gebot der Beachtung des Sabbats und dem Verbot, fremde Götter zu verehren (Lev 19,3f).

Das Buch Levitikus ist durch eine Fachsprache mit regelmäßig wiederkehrenden Begriffen und stehenden Wendungen (z. B. »Versöhnung erwirken«, »Duft der Beruhigung«, »Hochheiliges«, »das ist die Weisung für …« usw.) gekennzeichnet, deren Bedeutung als bekannt vorausgesetzt und daher nicht erklärt wird. Die Inhalte der Reden Gottes an Mose (und teilweise an Aaron) sollen an die Israeliten weitergegeben werden (vgl. die Weitergabeformel: »Und JHWH sprach zu Mose: Sprich zu den Kindern Israels und sag ihnen …«, z. B. Lev 1,1f; 4,1f; 6,1f u.ö.).

Mit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels 70 n. Chr. durch die Römer ist der Opferkult zu Ende gegangen – die mit ihm verbundenen Gedanken werden aber in übertragener Form weitergeführt: Im Judentum ersetzt das Studium der heiligen Texte ihre Durchführung; das Fasten und die strikte Arbeitsruhe (Lev 23,26–32) am Versöhnungstag (Jom Kippur) sowie die Barmherzigkeit gegenüber dem Mitmenschen werden zum Weg der Versöhnung mit Gott (Hos 6,6). Im Christentum ersetzt das Kreuzesopfer Christi ein für alle Mal jegliche Opfer als Weg zu Gott; insbesondere der Hebräerbrief überträgt viele Vorstellungen aus dem Buch Levitikus in metaphorischer Weise auf das Christusgeschehen. Das bleibende Vermächtnis von Levitikus ist der große Ernst, mit dem die Begegnung zwischen den Menschen und dem lebendigen Gott betrachtet wird. Aus dieser Begegnung folgen zahlreiche Maßstäbe für das soziale Verhalten der Menschen untereinander. Als Beispiele seien genannt: die Ehrfurcht gegenüber den Eltern (Lev 19,3), die Fürsorge für Arme und Fremde (Lev 19,10), die Verbote zu betrügen, den Lohn vorzuenthalten, den Blinden zu behindern, bei Gericht parteilich zu sein (Lev 19,11–16), das Gebot der Nächstenliebe und der Liebe zu den Fremden (Lev 19,17f.33f), das Gebot der Ehrfurcht vor dem Alter (Lev 19,32), das Verbot, andere zu übervorteilen (Lev 19,35f), das Gebot der Dankbarkeit für die Ernte (Lev 23,9–14), die Idee einer generellen Entschuldung nach einem bestimmten Zeitraum, um Verarmung zu verhindern (Sabbatjahr und Jobeljahr: Lev 25,1–31), die soziale Verantwortung für den Armen (Lev 25,35–38).

Numeri/4. Buch Mose

PETER RIEDE

Das Buch Numeri enthält erzählte Theologie, die besonders drei Themenkreise entfaltet: die Führung des Volkes Israel, die Funktion der Priester und das Land. Im Mittelpunkt der Darstellung stehen in Fortsetzung des Auszugs aus Ägypten, die 40 Jahre dauernde Wanderung Israels durch die Wüste unter Führung des Mose und die damit verbundenen Erfahrungen und Geschehnisse mit Gott und unter den Menschen. Ziel dieser Wanderung ist das Land, das Abraham und seinen Nachkommen von Gott verheißen wurde. Im Wesentlichen zeigt sich, dass sich das Volk in Anbetracht der zu bewältigenden Probleme und Krisen in seinem Glauben an den Rettergott aus Ägypten, der ihm seine Freiheit schenkte, nicht bewährt. Besonders die Infragestellung der Herausführung als dem Heilsereignis schlechthin war gleichbedeutend mit einer Verweigerung des Glaubens (Num 14,1–4).

Der hebräische Name Bemidbar (»in der Wüste«) bezieht sich auf den durchgängig vorauszusetzenden Schauplatz des Buches, die Wüste, auf die schon im ersten Vers Bezug genommen wird, der lateinische Name Numeri dagegen auf die im Buch enthaltenen Listen mit ihren verschiedenen Zahlen bzw. auf die schon zu Beginn im Vordergrund stehenden Zählungen des Volkes (Num 1–4; 7; 26; 33; 34,1–12).

In den im Numeribuch gesammelten Geschichten und Stoffen, die unterschiedlichen Zeiten entstammen, spiegeln sich zumeist Probleme späterer Zeiten, insbesondere während des Babylonischen Exils, die in die Ursprungsgeschichte des Volkes Israel zurückverlagert werden. Die gezeigten Lösungsversuche sollen als Modelle dienen, die in ähnlichen Konfliktsituationen Ansätze zur Bewältigung bieten können. Hier ist insbesondere die Vorrangstellung der Priester wichtig, die das Buch immer wieder betont.

Das Buch vereinigt unterschiedlichste Textformen, Erzählungen genauso wie legislative Bestimmungen und Anordnungen (Num 5f; 8,1–10,10; 15; 18f u.ö.), die das Zusammenleben und vor allem den Kult regeln. So wird einerseits eine dramaturgisch angelegte Darstellung möglich, weil die legislativen Texte jeweils die Erzählhandlung unterbrechen und so eine Spannung aufbauen. Andererseits antworten gerade die gesetzlichen Bestimmungen auf Erfahrungen der Menschen und halten den Willen Gottes auch für künftige Zeiten fest. Letzteres zeigt sich beispielhaft an den Bestimmungen über die Opfer, die Festzeiten und die Gelübde (Num 28–30).

Das Buch lässt sich grob in folgende Abschnitte gliedern: Bis Kapitel 10,11 steht anknüpfend an das Buch Levitikus noch der Berg Sinai im Zentrum der Ereignisse. Hier finden die Vorbereitungen zum Aufbruch statt. Von Num 10,11–21,35 wird die Wanderung nach Moab berichtet. In den Kapiteln 22–24 schließt die Bileamerzählung an. Der Zug ins Ostjordanland steht im Zentrum der Kapitel 25–32. Das Buch wird abgeschlossen durch verschiedenartige Nachrichten über Aufenthaltsorte Israels seit dem Auszug aus Ägypten, Asylstädte und Erbvorschriften für Frauen (Num 33–36).

Zu Beginn des Buches geht es um eine Art Bestandsaufnahme, gleichsam die Voraussetzung für den Aufbruch in die Wüste und den daran anschließenden Zug ins verheißene Land. Mose und Aaron ermitteln im Auftrag Gottes die Gesamtzahl der wehrfähigen Israeliten (Num 1), die sich nach Stämmen gegliedert um das Heiligtum als der kultischen Mitte Israels versammeln (Num 2). Ausgenommen von dieser Maßnahme sind die Leviten, die zwar mit dem Dienst am Heiligtum betraut werden (Num 3–4), gegenüber den Priestern jedoch eine deutlich untergeordnete Rolle einnehmen. Verschiedene Bestimmungen regeln dann, wie die Heiligkeit des Versammlungsortes, in dem nach Num 5,3 Gott wohnt, gewahrt werden kann (Num 5). Num 6,24–26 enthält mit dem aaronitischen Segen den sicherlich bekanntesten Text des Buches, ist er doch bis heute Teil der gottesdienstlichen Liturgie.

Der Aufbruch vom Sinai (Num 10,11–36) wird von Seiten Gottes flankiert. Gott lässt sein Volk während des Zuges durch die Wüste nicht allein, er begleitet es tagsüber mit einer Wolken- und nachts mit einer Feuersäule, beides Zeichen für das göttliche Mitsein (Num 9,15–23).

Der Zug durch die Wüste selbst ist überschattet von verschiedenen Reaktionen des Volkes auf Gefährdungen, die es während dieser Zeit erlebt. Das Volk murrt angesichts der einseitigen Ernährung durch das Manna (Num 11) oder aufgrund des Mangels an Wasser (Num 20) oder auch als Zeichen des Protestes gegen die Gefährlichkeit des Zuges (Num 14,2f; vgl. auch Num 16,11; 17,6.20.25). Kundschafter werden nach Erreichen der Oase Kadesch ausgesandt, die das Land erforschen sollen (Num 13–14). Sie kehren zurück mit der guten Nachricht, dass das Land von Milch und Honig überfließe, und der schlechten, wonach seine Städte von starken Befestigungen geschützt würden, was beim Volk Angst und Zagen hervorruft. Feinde bedrohen Israel durch Krieg (Num 20; 21; 31). Die Leitungsautorität des Mose wird mit dem Hinweis auf seine Ehe mit einer Nichtisraelitin infrage gestellt (Num 12), und sein Führungsverhalten wird allgemein angezweifelt (Num 16f). Auf das fehlende Vertrauen des Volkes gegenüber Mose und letztlich auch gegenüber Gott reagiert dieser. Gott kündigt der Generation des Auszugs aus Ägypten den Tod an. Daraufhin schreitet Mose fürbittend zugunsten des Volkes ein und erreicht, dass Gott sein Urteil wandelt. Nur die den Glauben verweigernde, rebellische Generation soll die Verantwortung tragen. Sie wird 40 Jahre in »der Wüste« des Exils bleiben und dort auch sterben, ohne das verheißene Land zu betreten (Num 14,32f). Diese Generation wird abgelöst werden von einer neuen, die das verheißene Land erreicht. Auch Mose und Aaron werden den Einzug in das Land aufgrund des mangelnden Vertrauens auf Gott nicht erleben, sondern in der Wüste sterben (Num 20).

Die Landnahme selbst beginnt im Ostjordanland. Und die entsprechenden Berichte des Numeribuches spielen auch dort. Eine der bekanntesten Geschichten des Buches handelt von Bileam, einem nichtisraelitischen Propheten, der auch aus außerbiblischen Quellen bekannt ist (Num 22–24). Berühmt aufgrund seiner seherischen Fähigkeiten soll er das heranziehende Volk im Auftrag des moabitischen Königs Balak verfluchen. In einer nächtlichen Schauung erfährt er jedoch von Gott, dass das Volk gesegnet ist und somit nicht verflucht werden kann. In einer meisterhaften Inszenierung wird geschildert, wie Balak versucht, Bileam doch noch zum Fluchen zu bewegen. Doch er scheitert letztlich, und Bileam legt dreimal den göttlichen Segen auf Israel, wodurch der Anspruch auf das verheißene Land einmal mehr unterstrichen wird. Gleichzeitig zeigt die Episode exemplarisch, dass die Verheißungen Gottes für Israel unwiderruflich sind.

Mit der Annäherung an das Kulturland kommen neue Probleme auf, z. B. die Gefahr des Abfalls zu den Göttern der Völker, mit denen die Israeliten nun in Berührung kommen (Num 25). Das verheißene Land ist nun in Sicht. Mose kann es erblicken, wird es selbst aber nicht erreichen. Als sein Nachfolger wird Josua bestimmt (Num 27,12–23), der das Volk dann in das Land führen wird. Am Ende steht der Einzug in das verheißene Land unmittelbar bevor. Doch auch hier entstehen grundsätzliche Fragen: Wie steht es um die Beteiligung aller Stämme an der bevorstehenden Aufgabe? Können einige ausscheren und sich mit dem bisher Erreichten begnügen und dem Rest der Stämme die Inbesitznahme des Landes überlassen (Num 32)? Oder geht es auch weiterhin um ein gemeinsames Handeln?

Das Buch schließt rückblickend mit einem großen geographischen Wegverzeichnis, das die einzelnen Wegestationen seit dem Auszug aus Ägypten nennt (Num 33,1–49), und vorausblickend mit der Beschreibung der Grenzen des verheißenen Landes und seiner Aufteilung an die Stämme (Num 33,50–34,29). Auch dabei kommt dem Stamm Levi eine Sonderrolle zu (Num 35).

Deuteronomium/5. Buch Mose

THEODOR SEIDL

Stellung im Pentateuch und Name des Buches

Das fünfte und letzte Buch des Pentateuch bildet eine ausgedehnte Schlussfermate der großen Anfangserzählung Israels. Denn es ist durchgängig als Abschiedsrede des Mose an Israel stilisiert und bietet außer dem Bericht vom Tod des Mose im Schlusskapitel (Dtn 34) kaum noch einen Erzählfortgang. Schauplatz dieser Abschiedsrede sind die »Steppen Moabs« im Ostjordanland, wohin das Volk Israel auf seiner vierzigjährigen Wüstenwanderung vor dem Jordanübergang gelangt ist. Auch Moses Tod ereignet sich im Ostjordanland: Vom Berg Nebo kann Mose das Gelobte Land nur noch aus der Ferne schauen (34,4).

Die Moserede setzt sich aus Gesetz und Gebot (12–26), Mahnung und Belehrung (5–11; 27–30) sowie Rückblicken auf die Stationen der Wüstenwanderung (1–4) zusammen. Die sich daraus ergebenden Wiederholungen zu den Geschehnissen der Wüstenwanderung, wie sie in den Büchern Exodus bis Numeri erzählt sind, haben dem fünften Buch des Pentateuch den griechischen Namen »Deuteronomium« (»zweites Gesetz«) verschafft, nach der in 17,18 genannten »Wiederholung/Zweitschrift der Tora« (hebr.: mischnä ha-tora).

Literarischer Aufbau und Werdegang des Buches

Kern und ältesten Bestandteil des Deuteronomiums bildet das »Deuteronomische Gesetz« in 12–26, das nach dem »Bundesbuch« (Ex 21–23) und dem »Heiligkeitsgesetz« (Lev 17–26) die dritte Gesetzessammlung (Kodex) des Pentateuch darstellt. Sie ist thematisch nach den Dekaloggeboten geordnet und enthält Regelungen zum Kult (12–14; 16), zu sozialen Fragen (14,28–15,18; 23,16–25,4), zur Neuordnung der Staatsverfassung (16,18–18,22) und des Militärs (20,1–20; 23,10–15) sowie der Familie (21,15–21; 22,13–23; 24,1–4; 25,5–10). Sie mündet in ein Erntedankritual mit einem identitätsstiftenden Bekenntnis der Israeliten (26,1–11: sog. »kleines geschichtliches Credo«). In welcher literarischen und historischen Beziehung diese Gesetzessammlung zu der im Jerusalemer Tempel unter König Joschija aufgefundenen Gesetzesrolle und der in 2 Kön 22f geschilderten Kultreform steht, bleibt in der gegenwärtigen Forschung umstritten. Die textlichen Bezüge zum deuteronomischen Gesetz sind jedenfalls überdeutlich.

Eine erste Erweiterung erfuhr dieser Kern des Deuteronomiums durch die Rahmung mit ausgedehnten Mahnreden (»Paränesen«: 5–11; 27–30). An ihrer Spitze steht der Dekalog als Gottesrede (5,1–22), der sich von den Mahnungen der folgenden Moserede abhebt (5,23–6,3). Sie gehen vom Hauptgebot der Gottesliebe (6,4–9) aus, entfalten es (7–11) vor der dunklen Hintergrundfolie des Bundesbruchs mit dem Goldenen Kalb (9,9–29) und stellen es auf die Grundlage der zweiten Gesetzestafeln, die Mose in die dafür angefertigte Lade legt (10,1–5).