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Julia Rogasch

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Beschreibung

Alte Freundschaften, große Gefühle und eine neue Liebe auf Sylt Anna hat alles: Einen tollen Mann, eine steile Karriere als Juristin und ein Jetset-Leben als Teil der Hamburger High Society. Doch ein Brief wirft ihr Leben komplett aus der Bahn. Er ist von Tessa. Tessa, ihrer ehemals besten Freundin. Tessa, mit der sie nach einem Streit seit Jahren keinen Kontakt mehr hat. Sie bittet Anna um Hilfe. Als Freundin und als Anwältin.  In Sorge, aber auch überglücklich, dass ihre Freundin sich nach all der Zeit bei ihr meldet, reist Anna nach Sylt, um Tessa zu finden. Aber als sie dort ankommt, ist Tessa tot. War es wirklich Selbstmord? Mit Hilfe von Tessas gutaussehendem Nachbar Claas versucht Anna dem Geheimnis auf die Spur zu kommen und erfährt dabei Dinge über ihr eigenes Leben, die sie bis ins Mark erschüttern … Von Julia Rogasch sind bei Forever erschienen: Honigmilchtage Mir dir am Horizont Das Geheimnis vom Strandhaus Der kleine Laden am Strand Das kleine Haus in den Dünen

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Seitenzahl: 670

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Die AutorinJulia Rogasch, geboren 1983, lebt mit ihrem Ehemann und ihren Töchtern in Hannover. Seit 2010 sorgt ihr Leben als Mama mit Job täglich für Inspirationen. Ihr großes Glück ist die Familie, welche sie nun mit der Arbeit und der Leidenschaft fürs Schreiben vereinbaren kann, da man ihr die Chance bot, im Marketing via Homeoffice für das Autohaus ihre Kreativität auszuleben, für das sie bis 2010 Autos verkaufte. Wann immer der Familientrubel es zulässt, widmet sie sich privat dem Schreiben.

Das Buch

Alte Freundschaften, große Gefühle und eine neue Liebe auf Sylt

Anna hat alles: Einen tollen Mann, eine steile Karriere als Juristin und ein Jetset-Leben als Teil der Hamburger High Society. Doch ein Brief wirft ihr Leben komplett aus der Bahn. Er ist von Tessa. Tessa, ihrer ehemals besten Freundin. Tessa, mit der sie nach einem Streit seit Jahren keinen Kontakt mehr hat. Sie bittet Anna um Hilfe. Als Freundin und als Anwältin.  In Sorge, aber auch überglücklich, dass ihre Freundin sich nach all der Zeit bei ihr meldet, reist Anna nach Sylt, um Tessa zu finden. Aber als sie dort ankommt, ist Tessa tot. War es wirklich Selbstmord? Mit Hilfe von Tessas gutaussehendem Nachbar Claas versucht Anna dem Geheimnis auf die Spur zu kommen und erfährt dabei Dinge über ihr eigenes Leben, die sie bis ins Mark erschüttern …

Von Julia Rogasch sind bei Forever erschienen:HonigmilchtageMir dir am Horizont

Julia Rogasch

Mit dir am Horizont

Ein Sylt-Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever Forever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin November 2017 (1)  © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017 Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © privat  ISBN 978-3-95818-231-8  Hinweis zu Urheberrechten Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben. In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Für meine Familie, weil Ihr meine Insel seid.

Für meine wundervollen Leser

Prolog

Ihre Miene war mit einem Mal kalt und regungslos wie die einer Statue, deren Blick am Betrachter vorbeigeht. Ihre eben noch warmherzigen und ehrlichen Lachfältchen, die von unserer gemeinsamen Zeit erzählten, wirkten wie eingefroren. Tessa schaute durch mich hindurch. Die Sekunden fühlten sich an wie eine Ewigkeit. Um ihre Augen, die wie Saphire leuchteten, hatte ich sie immer beneidet.

Ihr Leuchten war einem Ausdruck gewichen, der mir fremd war. Fassungslosigkeit und tiefe Enttäuschung schimmerten in ihren blauen Augen.

Nur einen Wimpernschlag lang trafen sich dann unsere Blicke ein allerletztes Mal.

Für einen kurzen, warmen Moment erkannte ich zwischen der unbändigen Wut und der Verachtung, die mich daraus anblitzten, ein vertrautes Hoffen. Dieser Hoffnungsschimmer war nur ein letztes Aufbäumen und im selben Moment schon wieder erloschen. Wie ein Lichtstrahl am Horizont, in einer Atmosphäre wie inmitten eines eisigen Wintersturmes.

Vielleicht wünschte sie sich, dass ich mit geöffneten Armen auf sie zuliefe und zurücknähme, was wir ihr gesagt hatten. Doch das gelang mir nicht. Alles in mir sträubte sich dagegen, und mein Mund blieb stumm, als presste eine unsichtbare Macht, gegen die ich nicht ankam, ihre Hand darauf.

Ich ließ meine beste Freundin nicht ins offene Messer laufen, egal wie flehend ihre Blicke mich dazu bewegen wollten, alles wieder ungesagt zu machen.

Ich konzentrierte mich, so gut es mir gelang, darauf, die Fassung zu wahren. Innerlich bebte ich. Ich haderte mit meinem Herzen, das mir trommelnd gegen den Brustkorb schlug, weil es nicht wahrhaben wollte, dass es Tessa ziehen lassen musste. Aber es wusste keinen anderen Weg. Vor meinem inneren Auge tauchten Bilder und Erinnerungen auf, die von unserer gemeinsamen Zeit erzählten. Jedes einzelne von ihnen schmerzte.

Dann sah ich, dass ihre schlanke Hand, wie üblich frei von Schmuck oder auffälligem Nagellack, nach ihrer Handtasche griff. Sie warf die Tasche auf die Gepäckstücke im Kofferraum des überladenen Pkw, schlug die Klappe zu und drehte sich nicht mehr nach mir um.

Ohne ein Wort des Abschieds nahm sie Platz auf dem Beifahrersitz. Ihr kräftiges, gelocktes Haar glänzte in der Sonne. Bis eben gebändigt durch ihre Sonnenbrille, die sie nun vor die Augen schob, sodass es ihr wie ein schwerer Schleier ins Gesicht fiel. Schmerzvoll lieb geworden stach mir dieser Anblick mit voller Wucht ins Herz. Im Seitenspiegel sah ich ihr Gesicht. Die Augen versteckt hinter den dunklen Gläsern, erkannte ich nur noch ihre zu dünnen Linien zusammengekniffenen Lippen.

Ihre Haare, deren Fülle und Schwung immer schon denen eines Filmstars glichen, legten sich fließend um ihre Schultern und hüllten sie ein. Ich hatte sie stets um ihr unverfälscht natürliches Blond beneidet. Mit einer für sie so typischen Handbewegung warf sie einige Strähnen aus der Stirn und klemmte sie hinter das Ohr.

All ihre Gesten waren vertraut, gehörten bis zum heutigen Tag zu meinem Leben wie mein Herzschlag.

Dieses Gefühl täuschte nur wenig darüber hinweg, dass ab heute alles anders war. Millimeter für Millimeter kroch dieser Gedanke zu meinem Kopf empor und verließ mein Herz.

Die Vertrautheit bäumte sich wie ein Schutzschild vor mir auf, um mich vor den Gefühlen zu schützen, die ihre Kälte bei mir auslöste.

Sie drehte sich nicht mehr um, als Paul den Motor startete. Ihr schwarzer Kombi mit den getönten Scheiben verließ die Einfahrt, fuhr auf die Straße und damit fort aus unserem gemeinsamen Leben in Hamburg.

Ich schaute den Rücklichtern, deren roter Schein langsam immer kleiner wurde, noch lange hinterher, unfähig, etwas zu denken oder mich zu bewegen.

Auf meiner Haut landeten Regentropfen. Auf einmal spürte ich einen Wind, der die Tropfen wie kalte, stechende Nadeln erscheinen ließ. Das Wetter wechselte, die Sonne wurde von tiefgrauen Wolken verdrängt. Es geschah wie in einem Theaterstück, in dem das zur atmosphärischen Gestaltung des Bühnenbildes gehörte.

Ludger legte den Arm um mich. Er hielt mich fest umschlungen und verhinderte damit, dass ich den Halt verlor.

In diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich eine Entscheidung getroffen hatte, die mein Leben verändern würde. Ich drehte mich um und schlich schweren Schrittes zu unserer Tür.

Ich wusste, dass Tessa nie wieder zu mir zurückkehren würde. Zusammen mit der Autotür hatte Tessa auch die Tür zu meinem Leben ins Schloss fallen lassen.

Kapitel 1

Um uns herum zwitscherten Vögel. Der Duft süßer Blüten und frisch gemähten Rasens lag in der Luft. Ein sommerlicher Wind umwehte uns und spielte mit den flatternden Enden der blütenweißen Tischdecke, die im Sonnenschein besonders hell strahlte. Der Luftzug ließ die Blätter der Bäume tanzen, die neben der Terrasse standen. Das Sonnenlicht flackerte durch die angenehm kühlen Schatten, die die alten Eichen uns schenkten. Das Schattenspiel malte viele kleine graue Inseln auf den Rasen.

Wir saßen auf der Terrasse, die den Blick freigab auf den großzügigen Garten. Dieser Ort war eher ein Park, in dessen Mitte fürstlich die prachtvolle Villa meiner Schwiegereltern residierte. Das Elternhaus meines Mannes imponierte mir bei jedem Besuch bei Familie Klaasen. Es war ein in hellem Gelbton gestrichenes Gutshaus mit grünen Fensterläden und einem orangefarbenen Dach. Vor vielen Jahren beherbergte das Anwesen eine Pferdezucht. Die ehemaligen Stallungen grenzten unmittelbar an das Haupthaus. Rechts und links davon lagen die zwei kleineren Nebengebäude, in denen auf der einen Seite ein Raum für Feierlichkeiten angelegt war. Seit das letzte Pferd das Gebäude verlassen hatte, war es zum Schauplatz etlicher gesellschaftlicher Veranstaltungen avanciert und hatte damit rasch neuen Ruhm errungen.

Auf der anderen Seite lebte in bescheidenen Räumlichkeiten die Haushälterin mit ihrem Mann. Familie Mai galt als die gute Seele des Hauses und als Retter, wenn etwas zu Bruch ging und Reparaturen anstanden.

Ludgers Eltern wohnten, seit dem Auszug der Söhne, zu zweit in dem großzügigen Haupthaus.

Im Wohnbereich empfingen den Besucher mit kostbaren Antiquitäten ausgestattete Räume. Wertvolle Bilder zierten die Wände. Jagdmotive und Stammbäume bedeutender Pferde aus der früheren Zucht ergänzten den Eindruck einer traditionsreichen Historie der Familie Klaasen. Außer der modernen Küche prägte ein klassisch edler Stil das Bild. Es gab eine Bibliothek mit schweren Holzregalen und tiefen Ledersesseln sowie ein Jagdzimmer. Über massive Teppiche, die jeden Schall schluckten, schritt man durch lange Flure durch das Haus. Das Jagdzimmer galt als Herzstück des Gebäudes. Es diente als Raum für den Jägerstammtisch von Ludgers Vater mit seinen Freunden. Oft trafen wir uns in der kühleren Jahreszeit hier mit den Eltern meines Mannes. Wir saßen dann am wärmenden Feuer des Kamins und ein Geruch von Leder und angebranntem Holz erfüllte den Raum.

Weil das Wetter spätsommerlich warm war, genossen wir also an diesem Tag unser Treffen auf einer der Terrassen des Anwesens.

Maria und Richard Klaasen hatten meine Eltern, Ludger und mich auf ihr Gut eingeladen, um die Planung der Feier zur Übergabe der Kanzlei an uns zu besprechen.

Leider hielten unvorhergesehene Termine Ludger davon ab, diesem Treffen beizuwohnen. Mir wäre es lieber gewesen, wenn er dafür Zeit gefunden hätte. Gegenüber seiner Mutter kam ich mir ohne ihn häufig unsicher vor. Ihre starke, charismatische Ausstrahlung, die gerade Haltung und der durchdringende Blick schüchterten mich ein.

Wie immer trat das Ehepaar Klaasen edel gekleidet auf und vervollständigte das Bild des adelig anmutenden Gutshauses. Sie trugen beide helle Hosen, hellblaue Hemden und darüber Blazer mit Lederpatches an den Ärmeln. Meine Schwiegermutter hatte ein leichtes Tuch locker, aber zugleich perfekt in Szene gesetzt um ihren Hals gelegt, was ihre aufwendige Frisur noch besser hervorhob.

Sie lebte den Anspruch, zu jeder Zeit bestens gekleidet zu sein. Seitdem wir uns kannten, war ihr dieses Kunststück immer gelungen. Ihr exklusives und stilsicheres Auftreten in allen erdenklichen Lebenssituationen und Umgebungen sorgte bei mir für Bewunderung und Respekt gleichermaßen. Sie strahlte etwas aus, was eine gewisse Ehrfurcht in mir auslöste.

Meine Schwiegermutter versprühte die mondäne Ausstrahlung einer Lady aus einem englischen Film, der auf einem Schloss spielt.

Maria Klaasen wusste genau, was sie wollte, und hielt damit nicht hinterm Berg. Klar und strukturiert kam sie ohne Umwege direkt auf den Punkt. Gefühlsduselei kam für sie einem Zeichen von Schwäche gleich. Damit war man bei ihr fehl am Platz. Es gab kaum etwas, worüber sie sich mehr zu echauffieren schien, als über unprofessionelles oder in ihren Augen überzogen emotionales Verhalten. In ihrer Welt lag der Fokus darauf, seinen Weg zu gehen und die eigenen Ziele zu verfolgen. Und nicht immer fiel es mir als Menschen, der auch die Zwischentöne einer Beziehung zu registrieren vermochte, leicht, damit umzugehen.

Auch ihrem Sohn hatte sie vermittelt, dass an allererster Stelle das eigene Wohl und das der Familie standen.

Sie legte Wert darauf, in der Hamburger Gesellschaft einen exzellenten Ruf zu genießen, und war auf nahezu allen Events gerne gesehen. Sie kannte jedermann, wusste souverän zu etlichen Themen etwas zu sagen. Maria Klaasen verlieh einer Veranstaltung alleine durch ihr Erscheinen, das dem einer Schauspielerin auf einem roten Teppich glich, einen Hauch von Glamour.

Mein Schwiegervater galt als inoffizieller Ruhepol der Familie. Er erinnerte mich an einen Gutsherrn, der in Reitstiefeln über die Wege auf seinem Anwesen spaziert und mit seinem Leben sehr zufrieden ist. Klassisch und edel gekleidet, lehnte er mit einer Pfeife, die Beine lässig überschlagen, in einem der Sessel und ließ in allen Fragen zur Planung seiner Frau den Vortritt.

Während ich ihn betrachtete, wünschte ich mir in diesen Tagen, Ludger hätte ein wenig mehr von der Gelassenheit seines Vaters geerbt. Die Lachfalten um die herzlichen Augen meines Schwiegervaters zeugten von einer Portion liebenswerten Humors, die sein Leben begleitete. Ludger hingegen hatte die ernste Falte seiner Mutter geerbt, die von angestrengter Nachdenklichkeit und überbordendem Ehrgeiz herrührte und sich fest zwischen den Augenbrauen eingeprägt hatte.

Mein Schwiegervater zeigte auch Freude an der Feier, weil er stolz war auf seinen Sohn und den Erfolg der Kanzlei. Dennoch stand für ihn im Fokus seines Lebens, zufrieden zu sein.

Dazu gehörte für ihn nicht zwingend, dass die Elite von Hamburg ihm applaudierte und mit teurem Champagner zuprostete. Als guter Mensch und liebender Ehemann respektierte er jedoch die Ambitionen seiner Frau, was die Optimierung der Feier anging. Es war ihm bewusst, welche Bedeutung sie dieser beimaß.

Über mein Gesicht huschte ein Lächeln, das ich zu unterdrücken versuchte, als ich registrierte, wie er eine eingehende Nachricht auf seinem Smartphone las. Er klickte dabei unbeholfen mehrfach daneben, und plötzlich lief in unangemessen dröhnender Lautstärke einer dieser spaßigen Filme ab.

Wenn Blicke töten könnten, wäre Maria Klaasen inmitten der unwirklich idyllischen Atmosphäre soeben zur Mörderin geworden.

Angestrengt biss ich mir auf die Unterlippe, um der Planung die angemessene Aufmerksamkeit zukommen zu lassen und das Lachen im Keim zu ersticken.

Auch mich traf sofort ein Blitz in Form eines scharfen Blickes meiner Schwiegermutter, der »Contenance!« zu rufen schien.

Es ging heute darum, minutiös das Fest zu organisieren, welches anlässlich der Übergabe der seit vielen Generationen durch die Familie Klaasen erfolgreich geführten Kanzlei stattfinden sollte.

Schauplatz der feierlichen Zeremonie und damit des Fegefeuers der Eitelkeiten würde das Anwesen der Familie sein.

Ob Ludger seinen dringenden Termin nur vorgeschoben hatte? Er kannte seine Mutter schließlich und wusste, wie wenig entspannt solche Zusammenkünfte vonstattengingen.

Ludger und ich arbeiteten seit einiger Zeit federführend in der Kanzlei. Der Zeitpunkt, dass Richard und Maria Klaasen sich aus dem Berufsleben zurückziehen wollten, war gekommen.

Die Kanzlei Klaasen & Klaasen hatte sich über Jahrzehnte einen Namen erarbeitet, der in Hamburg für Qualität und herausragende Arbeit stand. Zur Übergabe planten die Schwiegereltern ein gigantisches Fest. Eingeladen waren alle wichtigen Geschäftspartner der Kanzlei, das Who is who der Hamburger Gesellschaft hatte zugesagt.

Die Familie setzte Erwartungen in das Event, die vergleichbar waren mit denen an den Wiener Opernball.

Mir wurde regelmäßig schwindelig, wenn ich mir die Größenordnung dieser Feier vor Augen hielt. Die Selbstverständlichkeit, mit der meine Schwiegermutter allerdings mit Zahlen und Umfang der Feier jonglierte, ließ mich schweigend der Dinge harren, die da kommen sollten.

Seit Wochen zelebrierte man Probeessen verschiedenster Caterer, wählte Servicepersonal für den Tag aus und legte Musik fest.

Auch für mich stellte dieser Tag einen Meilenstein von immenser Bedeutung dar. Ich trat offiziell in die Fußstapfen meiner erfolgreichen Schwiegermutter und würde an der Seite ihres Sohnes die Kanzlei fortführen.

Was einigen Juristen ihr Leben lang vorschwebte, sollte mir durch die Verbindung zu Ludger bald ermöglicht werden.

Mein Part in der Planung des Events war nicht von großem Umfang. Das meiste hatte Maria Klaasen in die Hand genommen. Sie traute niemandem so wie sich selbst und ihrem Sohn. Wenn ich ehrlich sein soll, war ich hier sogar gerne einen Schritt zurückgetreten. Zu schwerwiegend wäre meine Schuld, würde an diesem Tag irgendetwas schiefgehen, was in meinen Verantwortungsbereich fiel.

Einzig um einen Fotografen hatte ich mich gekümmert. Das geschah selbstverständlich nicht, ohne dass sie seine Arbeit zu unserer Hochzeit bereits für tadellos befunden hatte.

Ich hatte einen alten Schulfreund angeheuert. Bis zum Abitur leiteten wir gemeinsam die AG für Fotografie. Uns verband in unserer Schulzeit und weit in unser Privatleben hinein die Leidenschaft für schöne Bilder. Er hatte nach der Schule sein Hobby zum Beruf gemacht. Ich freute mich, dass er dieses Ereignis für uns begleiten würde, wie er es schon bei unserer Hochzeit getan hatte.

Da meine To-do-Liste mit diesem einzigen Punkt überschaubar war, lauschten meine Eltern und ich seit Minuten dem Monolog meiner Schwiegermutter. Einwände und Verbesserungswünsche waren sowieso nicht in ihrem Sinne. Aus diesem Grund beschränkte sich unser Tun auf körperliche Anwesenheit, zustimmendes Nicken und Süßholzraspeln.

Stolz betrachtete ich meine Eltern, die aufgeregt wirkten aufgrund des bevorstehenden Wirbels um ihre Tochter.

Meine Mutter saß kerzengerade in ihrem Sessel und lauschte ehrfürchtig den Ausführungen meiner Schwiegermutter. Während der Blick meiner Schwiegermutter streng und angestrengt war, wie der einer Oberlehrerin vor ihren Schülern, erkannte ich bei meiner Mutter die gewohnt weichen Züge. Sie war nervös, strahlte aber eine beruhigende Wärme aus, die wie Balsam auf meine Nerven wirkte.

Meine Eltern bewiesen Größe, seit Ludger und ich ein Paar waren.

Der Umgang mit meiner selbstbewussten und tonangebenden Schwiegermutter erforderte von allen Familienmitgliedern hohe Kompromissbereitschaft und Souveränität. Nicht selten waren Verständnis und Rücksichtnahme gegenüber ihrem anspruchsvollen Charakter vonnöten.

Aber auch mein Leben als Frau an der Seite von Ludger forderte viele Zugeständnisse von ihnen. Es war für mich zweifelsohne ein Leben voller Vorzüge und Annehmlichkeiten in einer unwirklich aufregenden Welt. Diese Welt brachte jedoch auch mit sich, dass ich immerzu verplant war. Oft fehlte mir diese Zeit dann, um sie zu besuchen.

Sie hatten sich für ihre Tochter gewünscht, dass sie in absehbarer Zeit heiraten, ihnen Enkel schenken und ein harmonisches Familienleben führen würde.

Ich wählte jedoch, nachdem ich Ludger getroffen hatte, für mein Leben einen anderen Plan.

Die Karriere, unsere Ehe und der Alltag, der daraus resultierte, waren nicht vergleichbar mit dem meiner Eltern. Familie stand für sie über allem. Die unbedeutendste Rolle spielte der Erfolg im Beruf. Mein Vater arbeitete, damit wir ein sorgenfreies Leben genießen konnten. Das verhielt sich bei Familie Klaasen anders.

Meine Eltern gaben mir dennoch das Gefühl, aufrichtig stolz darauf zu sein, dass ich beruflich auf der Erfolgswelle schwamm. Sie standen immer hinter mir.

Mein Vater und Richard Klaasen lagen trotz allem auf einer Wellenlänge. Dem gleichbleibend lächelnden Blick meines Vaters während der nicht enden wollenden Checklisten im Vorfeld der Feier sah ich an, dass er keine Einwände haben würde, die Planung für ein Getränk zu unterbrechen. Schmunzelnd stellte ich mir vor, dass er nicht den blassesten Schimmer hätte, würde man ihn in diesem Augenblick fragen, worüber Maria Klaasen gerade im Detail referierte.

Zu seiner Erleichterung schien Richard Klaasen demselben Gedanken den Vorzug zu geben und stellte ihn in diesem Moment zur Diskussion. »Was halten die Anwesenden davon, mit einem Getränk in die nächste Runde der Organisation zu starten?«, schlug er, untermalt von einem erwartungsvollen Lächeln, vor.

»Hervorragende Idee«, befürwortete mein Vater sofort diesen Vorschlag und klatschte dabei in die Hände. Sein freudestrahlender Gesichtsausdruck sprach für sich.

Der mahnende Blick meiner Schwiegermutter in Richtung Richard Klassen entging uns nicht, dennoch orderte man die Getränke. Die Herren gönnten sich jeweils ein Glas Wein.

Meine Schwiegermutter bestellte ein Glas Champagner.

Diese Gelegenheit nutzten meine Mutter und ich für eine kurze Pause, um miteinander zu reden. Wir entschuldigten uns unter dem Vorwand, uns den Raum, in dem die Feier stattfinden sollte, anschauen zu wollen. Im Hinblick auf die von uns noch zu bewundernde Dekoration, die selbstverständlich vom besten Floristen der Stadt entworfen und in Szene gesetzt wurde, passte dies hervorragend in die Planung meiner Schwiegermutter. Sie entließ uns gnädig vom Tisch.

Nur für eine Sekunde hob sie den Blick und nickte uns zu. In dem Moment wurden bereits die Getränke an den Tisch gebracht.

Maria Klaasen saß, über verschiedene Prospekte gebeugt, in ihrem Sessel. Flüchtig prostete sie den Herren zu und nippte an ihrem Champagner, bevor sie sich sofort wieder ihren Unterlagen widmete. Die Falte zwischen ihren Augen trat vor lauter Nachdenken so stark hervor, dass ich es mit der Angst zu tun bekam.

Sie tat, als ginge es bei dieser Planung um den Empfang des amerikanischen Präsidenten und setzte mich damit unter Druck.

Meine Mutter schien mir anzumerken, dass heute einer dieser Tage war, an denen mir alles über den Kopf wuchs.

Wiederholt hatte ich mir während des Monologs meiner Schwiegermutter leicht auf die Unterlippe gebissen. Dabei schob ich den Unterkiefer angestrengt hervor. Meine Kiefergelenke schmerzten bereits vom Druck.

Ein untrügliches Zeichen von Nervosität.

Mein Blick wurde in diesen Momenten starr, fixierte sich auf einen Punkt. Die Gedanken schweiften ab, während das Haupt der Familie nahezu im Alleingang die Pläne für den Tag schmiedete.

Das war meiner Mutter nicht entgangen, und ich war ihr dankbar, dass sie die Idee mit der Inspektion des Feierraumes geäußert hatte.

Ludgers Eltern waren mir gegenüber immer höflich und interessiert. Während Richard Klaasen mich hier und da väterlich in den Arm nahm und mich mit warmer Herzlichkeit spüren ließ, dass er mich mochte, wirkte Maria Klaasen aber distanziert.

Sie erschien im ersten Moment freundlich, war zugleich aber fordernd und stellte hohe Ansprüche an mich und ihren Sohn. Diese galten vor allem ihrem Lebenswerk, der Kanzlei.

Auch ich setzte hohe Erwartungen an mich selbst und war ehrgeizig, was meinen Job betraf. Privat lähmte mich dieser Druck. In den letzten Monaten überkam mich immer mehr der Eindruck, es gäbe für uns kaum noch ein Privatleben. Alles war von dem straffen Schleier des Beruflichen überzogen, der von Druck und Perfektionismus gezeichnet war.

Der Termin rückte näher, und je weiter die Planungen für das Event voranschritten, desto häufiger kamen mir Zweifel. Sie waberten wie dunkle Gewitterwolken vom Horizont her direkt auf mich zu. Noch gewann die Sonne immer wieder Oberhand. Ich war mir aber nicht sicher, ob ihr das auf Dauer gelingen würde. Es gab Momente, in denen ich mich am liebsten der Verantwortung entziehen und mich in mein früheres, normaleres Leben zurückziehen wollte.

Die Herausforderung, in die Fußstapfen meiner Schwiegermutter zu treten, war enorm. Das war ein Hauptgrund für meine Zweifel.

Außerdem hatte für mich der berufliche Anteil in unserem derzeitigen Leben einen zu gewaltigen Stellenwert.

Würde das vor dem Hintergrund der hohen Erwartungen unserer Schwiegereltern an uns jemals anders sein?

Ludger ließ ich das nicht spüren, denn er war voller Vorfreude auf den Tag, der neben unserer Hochzeit den für ihn bisher bedeutendsten seines Lebens darstellte. Das wollte ich ihm nicht verderben.

Einzig meine Mutter erkannte in letzter Zeit, dass ich immer öfter Panik bekam und in Grübeleien verfiel.

War das das Leben, das ich wollte und für viele Jahre, möglichst für immer, genießen und dauerhaft durchhalten konnte? Sie kannte mich besser als jeder andere Mensch. Keine Gefühlsregung blieb unentdeckt. Sie war auch die Einzige, der ich derartige Sorgen anvertraute.

Es hatte eine Zeit in meinem Leben gegeben, in der ich jede Sorge und jedes Geheimnis zuallererst mit Tessa geteilt hatte. Schmerzlich dachte ich an meine beste Freundin, deren pragmatisch unbeschwerte Art ich in diesen Tagen so dringend gebraucht hätte. Sie fehlte mir.

Als Ludger und ich damals geheiratet hatten, war ich der glücklichste Mensch auf Erden gewesen. Zu dem Zeitpunkt hatte noch nicht festgestanden, ob auch Ludgers Bruder Max Interesse daran hatte, in die Kanzlei einzusteigen. Als dieser sich dagegen entschieden hatte, lag alle Hoffnung auf Ludger, und es entsprach den Erwartungen der Familie, dass ich als Juristin am selben Strang ziehen und an seiner Seite das wertvolle Erbe antreten sollte.

Ich triumphierte innerlich, aber wie bei allen bedeutsamen Ereignissen im Leben kamen mir vom ersten Moment an auch Zweifel. Ich spürte eine Unsicherheit, ob ich mich der Verantwortung, die zugleich eine immense Verpflichtung war, gewachsen fühlte.

In manchen Augenblicken überkamen mich Sorgen, wenn ich darüber nachdachte. Es galt, an der Seite meines erfolgreichen Mannes als Ehefrau immer ein strahlendes Bild abzugeben. Jedes Event war wichtig für uns, für unseren Ruf in Hamburg und somit für die Kanzlei. So reizvoll das war, so tückisch fühlte es sich für mich in schwächeren Momenten an.

Auf der anderen Seite war der Zeitpunkt, einen Rückzieher zu machen, in gewisser Weise längst verpasst. In mir keimte die Hoffnung, dass diese Bedenken nur eine Form von Torschlusspanik waren, die sich bald legen würde.

»Anna, mein Liebling, was bedrückt dich?«, fragte mich meine Mutter mit sorgenvollem Blick, als wir den Kieselsteinweg in Richtung des Nebengebäudes entlangspazierten.

Der Weg führte uns vorbei an farbenprächtigen Hortensien, um deren Blüten Bienen herumsummten. Sie waren umrahmt von sorgfältig geschnittenen Buchsbaumhecken. Das Anwesen von Ludgers Familie sah eben so aus wie ein Herrenhaus aus einem Roman, der in Cornwall spielt.

Man wartete minütlich darauf, dass eine schicke Lady auf einem edlen Pferd vorbeigaloppieren würde. Alternativ könnte auch ein Geländewagen knirschend die Kies-Einfahrt entlangrauschen, dessen Fahrer vom Klippensturz des jungen Grafen berichten wollte.

Ich pflückte eine Blume vom Rande des Weges, zupfte jedes Blütenblatt einzeln ab und ließ es zu Boden fallen.

In meinen Augen stiegen Tränen auf. Unsicher drehte ich mich zu unserem Tisch um. Zu meiner Beruhigung stellte ich fest, dass wir bereits außer Sichtweite der anderen waren.

Bevor ich antwortete, nahm meine Mutter mich in den Arm, streichelte meinen Rücken und ließ mich mein Gesicht in ihrem weichen Halstuch vergraben.

»Mama, ich weiß nicht, ob ich das alles schaffe«, flüsterte ich und bemerkte kurz darauf das beruhigende Nicken meiner Mutter.

»Wenn du es willst, schaffst du alles, mein Schatz. Und, egal, was passiert, wir stehen immer hinter dir und sind für dich da. Wir sind dein Zuhause, jederzeit. Und gerade dann, wenn dich die Kraft verlässt«, beteuerte sie mit ihrem liebevollen Ton in der Stimme.

»Ich weiß, Mama. Danke!«, flüsterte ich und schaute sie an.

Ihre warmen Augen wirkten beruhigend auf mich. In diesem Moment fühlte ich mich wie ein kleines Mädchen, das Angst hat vorm ersten Schultag und lieber an der Hand der Mama wieder nach Hause, zurück in die frühe Kindheit, die frei von Erwartungen und fremden Menschen war, spazieren wollte.

Die Worte meiner Mutter taten gut und schenkten mir Geborgenheit und Halt. Diese Gefühle sog ich auf, indem ich tief durchatmete und sie bis in die kleinste Zelle meines Körpers wirken ließ.

Wir betraten den Raum, in dem die Feier stattfinden sollte. Beim Anblick des festlich geschmückten Saals verschlug es uns die Sprache. Der historische Steinboden, der von der jahrhundertelangen Geschichte des Hauses erzählte, war auf Hochglanz poliert. Die Wände erstrahlten in neuer Farbe. Meine Schwiegermutter hatte einen edlen Grauton gewählt, von dem sich die Fußleisten und der Stuck an der Decke in strahlendem Weiß abhoben. Das Highlight des Raumes bildete der glänzende, gläserne Kronleuchter.

Dort wo bald das exklusive Büfett seinen Platz finden würde, standen Tische mit blütenweißen Decken. Die Vorhänge an den klassischen Sprossenfenstern waren erst zum Teil aufgehängt. An vielen Stellen funkelten Sonnenstrahlen hindurch, die den Raum in hellem Licht erscheinen ließen.

Probehalber hatte man auf einigen der Stühle bereits die weißen Hussen aufgelegt, die kunstvoll mit einer Schleife an der Rückenlehne verziert waren.

Meine Mutter legte den Arm und mich und ließ ihren Kopf an meiner Schulter ruhen. »Es ist wie im Film!«, flüsterte sie staunend.

Ich nickte stumm.

Die Palette der Gefühle, die der Anblick des Raumes in mir auslöste, glich einer bunten Mischung aus Angst, Stolz und Aufregung. Vor dem Hintergrund der immensen Bedeutung, die der Tag für die Familie Klaasen hatte, schlug mein Herz, als wollte es aus meiner Brust ausbrechen.

Aufgehalten wurde es durch den sanften Händedruck meiner Mutter, der mir Zuversicht gab, dass ich mit ihrer Unterstützung der Sache gewachsen wäre. In diesem Moment fühlte ich, dass meine Mutter immer an meiner Seite sein würde.

Nach ein paar Minuten gingen wir zurück auf die Terrasse, auf der die Planungen in vollem Gange waren.

»Liebes«, rief meine Schwiegermutter und sprang auf. »Wie kommst du mit dem Fotografen voran? Hast du alles organisiert? Ich habe bereits mit seiner Kollegin von der Lokalzeitung gesprochen, sie wird hier sein und möchte einige der Bilder gerne verwenden. Bitte leite die Info an den Herrn weiter! Teil ihm bitte auch noch einmal mit, wie entscheidend eine optimale fotografische Begleitung an diesem Tag für die Kanzlei ist! Sowohl für uns als auch für die Presse, wünsche ich mir, dass unsere Feier für Aufsehen sorgt. Und wie gesagt, ich habe jederzeit auch jemanden, der vor Ort sein kann«, erinnerte mich meine Schwiegermutter.

Obwohl ihre Worte nicht böswillig gemeint waren, verlieh der Klang ihrer Stimme diesen Sätzen das für sie typische Fordernde und Bestimmende. Ihr Blick, der allem, was sie sagte, herrischen Nachdruck verlieh, traf mich durchdringend.

Ergeben nickte ich. So oft hatte ich in den letzten Wochen schon betont, dass der Mann sein Handwerk perfekt beherrsche.

Jedes Gespräch über die Feier strengte mich an, und beinahe hörte ich mich sagen, sie möge doch ihren Kontakt bestellen, damit auch keinesfalls etwas danebenging.

Aber ich hatte bewusst meinen Bekannten ausgewählt. Er hatte mir versprochen, dieses Event mit einer ganz besonderen Fotosession zu verbinden. Ich wünschte mir, in meinem Büro Fotografien aufzuhängen von diesem malerischen Fleckchen Erde. Auch Ludger wollte ich Bilder schenken von seinem Elternhaus. Er liebte diesen Ort, sein Zuhause.

Ich wollte die Aufnahmen mit der professionellen Ausrüstung des Fotografen an einem der Folgetage des Festes selber erstellen. Auf diese Stunden freute ich mich wie ein kleines Kind auf seinen Geburtstag.

Viele Jahre war die Fotografie auch meine Leidenschaft gewesen. Sie hatte jedoch nach und nach meiner beruflichen Tätigkeit weichen müssen. Da sah ich es als Chance an, wenigstens auf diesem Wege mit eigenen Aufnahmen im Blickfeld täglich an mein früheres Hobby erinnert zu werden. Diesen Punkt in der Planung wollte ich deshalb keinesfalls jemand anders überlassen, weil mein Herz so daran hing.

Nach einem anstrengenden Tag machte ich mich am Abend mit vielen Gedanken im Kopf in meinem Auto auf den Heimweg. Mein Kalender quoll geradezu über vor Notizen für Ludger, an was und wen er noch denken musste für die Feier. Ich war angespannt. Nicht, weil ich irgendwelche Aufgaben übernehmen sollte, sondern eher weil ich fürchtete, irgendetwas falsch zu machen. So sehr verunsicherte mich die ständige Nörgelei meiner Schwiegermutter.

Da war das Outfit meines Mannes, das für den Fall der Fälle unbedingt zweifach vorhanden sein musste. Der Duft, der an diesem Tag in allen Zimmern als Raumduft verwendet werden würde und auch als Seife und kleines Präsent überreicht werden sollte, musste vorab von mir getestet werden. Keinesfalls dürfte es am Tag der Feier zu Überraschungen in Form von Hautausschlag oder Ähnlichem kommen.

Die Worte, die sich in Texten über das Event finden lassen sollten, standen schon heute fest. Auch die, die ich auf diverse Fragen antworten sollte. Dies erhöhte schon jetzt meine Nervosität und stellte hohe Anforderungen an mein schauspielerisches Talent.

Die Planungen für die Feier überstiegen alles, was ich je zuvor an Organisation vor einem Event erlebt hatte.

Läge es im Rahmen ihrer Möglichkeiten, hätte Maria Klaasen auch Petrus für den Tag eine Checkliste in die Hand gedrückt und ihm mit harschem Ton Instruktionen erteilt.

Ich atmete tief ein, drehte die Musik im Radio meines Cabrios lauter und versuchte, den Wind in meinen Haaren das wuselige Chaos in meinem Kopf zerstreuen zu lassen.

Auf dem Weg zu unserer Wohnung fuhr ich durch ein Wohngebiet, in dem überwiegend junge Familien lebten. Sie grillten in ihren Gärten, Kinder sprangen in Planschbecken und auf Klettergerüsten umher, und ich sah, wie sie lachten und sich glücklich in den Arm nahmen.

Dieser Anblick schmerzte.

Kapitel 2

Der Ausblick von hier oben war fantastisch. Ich sog den Zauber des Augenblickes, erhaben über der Skyline von Hamburg zu stehen, tief ein, in der Hoffnung, darin das Gefühl wiederzufinden. Das Gefühl, dass dieses Leben das war, was ich mir noch immer aussuchen würde und in dem ich aufging. Es war mir in den letzten Wochen abhandengekommen.

Die Erkenntnis lag wie ein Stein auf meiner Brust und zerdrückte mich fast.

Ich stand an der weit geöffneten Tür, die zur Dachterrasse führte. Unsere Wohnung lag oberhalb der umstehenden modernen Häuser mit ihren weitläufigen Dachgeschossen und gläsernen Fassaden. Auf den Terrassen standen teure Lounge-Möbel neben aufwendigen Gasgrills im Wert eines Kleinwagens.

Es war das pulsierende urbane Leben mit seinen Lichtern, dem Trubel, Motorengeräusch, Musik und Baustellen, was sich hier in einigen Metern über dem Boden zu einer Komposition zusammenfügte, wie sie nur einer Großstadt gelang.

Mit der Gewissheit, dass ein Artikel in der Hamburger Tageszeitung von morgen uns wieder einmal optimal positionieren würde, ließ es sich entspannt in die Zukunft blicken.

Ludger und ich hatten, unter anderem durch seinen spontanen Einsatz am heutigen Tag, einen aufsehenerregenden Fall zum Vorteil eines berühmten Klienten verhandeln können.

Dieser Erfolg brachte uns erstklassige Publicity und war Gold wert. Wir hatten uns am Abend mit einem Essen in einem der besten Restaurants von Hamburg belohnt und waren vor einer halben Stunde in unserem Penthouse angekommen und ließen nun den Tag ausklingen.

Der Blick in unsere Wohnung glich dem in den Prospekt eines noblen Ausstatters. Das Apartment repräsentierte unseren Lohn für ein anstrengendes, von Zeitdruck und gesellschaftlichen Terminen geprägtes Leben.

An den Wänden hingen Gemälde berühmter Künstler.

Im Schlafzimmer zierten neben den Bildern unserer Hochzeit einige Fotografien die Wände, die ich selbst gemacht hatte.

Ludger belächelte meine Leidenschaft ein wenig und tat sie als Spielerei ab. Weil ich in den Jahren, seit wir uns kannten, kaum noch dazu kam, zu fotografieren, beschränkten sich meine aktuellen Werke auf Fotos mit dem Smartphone.

Ich trat einen Schritt vor auf unsere Terrasse aus Schiffsbodenparkett. Das Parkett fühlte sich sogar an diesem kühlen Sommerabend noch angenehm warm und weich unter meinen nackten Füßen an. Dieses Gefühl löste Geborgenheit in mir aus. Unser Jacuzzi sprudelte mit einem seichten Gluckern neben mir und warf dabei magische Schatten an das Stoffdach, welches darüber gespannt war wie bei einem Segelschiff.

Ich wickelte meinen Kaschmir-Hausanzug fester um mich herum, stolz, mich in meinem Körper nach dem abendlichen Training gut zu fühlen.

Mit meinem Aussehen war ich zufrieden. Nach Aussage meines Mannes konnte ich verbergen, dass ich die siebenunddreißig bereits überschritten hatte. Meine Figur war sportlich, die langen braunen Haare zum dicken Zopf zusammengebunden, und mein Outfit auch zu dieser späten Stunde noch ansehnlich.

Ich schloss die Augen, atmete tief die klare und kühle Luft ein und fühlte den warmen Stoff auf der Haut.

Ich zuckte zusammen, als Ludger mit einem leisen Seufzer in den Jacuzzi stieg.

»Kommst du zu mir?« Einladend hob er die Hand, in der er ein Glas Weißwein hielt.

»Danke, ich kuschle mich auf die Liege und schaue von hier die Sterne an«, sagte ich und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.

»Hauptsache, du bleibst in meiner Nähe«, erwiderte er mit geschlossenen Augen. Ich legte mich mit einer Decke neben dem Jacuzzi auf eine Liege.

»Wie war es bei meinen Eltern?«, erkundigte sich Ludger.

»Sagen wir so: Deine Mutter hat alles im Griff«, antwortete ich. »Ich denke, es läuft so weit alles nach Plan. Jeder hat eine Checkliste, obwohl sowieso jeder einzelne Schritt durchgeplant und in ihrer Hand ist. Im Prinzip kann nichts mehr schiefgehen.« Lächelnd fuhr ich mir durch die langen braunen Haare und ließ den schweren Zopf durch meine Finger gleiten.

Meine aufkommenden Zweifel behielt ich für mich.

Ludger streichelte mir mit einer Hand den Arm, während er mit zufriedenem Gesichtsausdruck im Jacuzzi lag und mit geschlossenen Augen die Ruhe über den Dächern Hamburgs genoss.

»Ich bin mir sicher, das Fest wird großartig. Morgen erscheint noch dieser Artikel über unseren letzten Fall. Es könnte kaum besser laufen«, sagte Ludger.

Ich nickte schweigend.

»Und sonst war nix?«, erkundigte er sich.

»Nein, wieso?« Erstaunt darüber, dass er nachfragte, hakte ich nach.

»Schon gut. War nur eine Frage. Sag mal, heute kamen verschiedene Prospekte. Wollen wir dieses Jahr mal in Deutschland Urlaub machen?« Mit seinem Vorschlag riss er mich aus meinen Gedanken.

Weil Urlaub in den letzten Jahren immer weniger auf unserem Plan gestanden hatte, war ich sehr erstaunt.

»Vielleicht eine Städtereise nach München oder Berlin? Sightseeing, tolle Restaurants, vielleicht kann ich das mit einem Termin verbinden.«

Ich schmunzelte. Ludger ließ kaum eine Chance aus, sich an jedem Ort, an dem er war, Häuser anzuschauen und im Zweifel das eine oder andere Objekt zu kaufen. Das war seine Leidenschaft, und er war der Meinung, es gebe kaum einen Ort auf dieser Welt, der es nicht wert sei, zumindest darüber nachzudenken, ob er geeignet wäre für ein Feriendomizil.

Was er wohl damit gemeint hatte, ob sonst noch etwas gewesen sei? Ich beruhigte mich mit der Annahme, dass es wohl nur eine Frage ohne Hintergedanken war. Sonst hätte Ludger sicher nicht gleich auf das Thema Urlaub umgeschwenkt.

»München oder Berlin ist durchaus interessant. Aber hattest du nicht daran gedacht, dieses Jahr die Tour zum Gardasee zu machen, um unseren Ort wiederzusehen?« Während ich meinen Mann an seine Reisepläne erinnerte, war ich aufgestanden, hatte mich hinter ihn gesetzt und massierte ihm den Nacken.

»Mhmmm…« Genießerisch lehnte Ludger sich nach vorne. »Der Ort, an dem alles begann … Wie recht du hast. Wer will da noch in Deutschland bleiben?«, sagte Ludger, umfasste meine Handgelenke und küsste meine Hände.

Ich merkte, wie er gedanklich bereits wieder einzog in einem kleinen, feinen Weingut am Rande der Toskana. Während ich schmunzelnd auf meine Liege zurückkehrte, klingelte Ludgers Handy.

Wir hatten vor einigen Jahren am Gardasee geheiratet.

Die Hochzeit war eine fantastische Feier gewesen. Wir hatten für ein Wochenende ein Castello am Gardasee gemietet und ein rauschendes Fest erlebt. Unsere Hochzeit hatte alle bisherigen Feierlichkeiten in meinem Leben in den Schatten gestellt. Es war die sprichwörtliche Traumhochzeit, die ich als Prinzessin im Mittelpunkt hatte erleben dürfen.

Gerne dachte ich an dieses Highlight zurück. Damals war es hauptsächlich unsere Liebe gewesen, um die sich alles gedreht hatte.

Bleiern zog ein Gefühl durch meinen Bauch und hinauf zu meiner Brust. Es schien zu flüstern, dass dies heute nicht mehr unser Mittelpunkt war, sondern vielmehr der Erfolg und der gesellschaftliche Status.

Unsere Hochzeit schien mir wie aus einer vergangenen Zeit. Alles war wunderbar leicht und fühlte sich so richtig an. Doch schon damals war ein Schatten über dem Tag gelegen. Und dieser gewaltige Wermutstropfen begleitete mich seitdem immer wieder.

Die Frau, die ich mir mein Leben lang als Trauzeugin gewünscht hatte, meine beste Freundin Tessa, war nicht dabei gewesen. Ich senkte den Blick bei der Erinnerung an sie, atmete tief ein und versuchte wie so oft, das Bild von Tessas Gesicht aus meinem Kopf zu verbannen.

Ludgers Stimme holte mich mit ihrem kräftigen Klang zurück in die Gegenwart und half mir dabei, Tessa zu verdrängen.

Ein weiteres Telefonat war eingegangen. »Phil, nein, du störst nicht. Im Gegenteil! In drei Tagen? Ist notiert. Zwanzig Uhr? Dresscode? Verstehe! Wir sind dabei. See you!« Ich hörte, wie Ludger das Gespräch beendete.

»Das war Phil. Dinner-Empfang zur neuen Kollektion seiner Linie. Kleiner Kreis, ganz exklusiv.« Er nahm einen Schluck aus seinem Weinglas und lehnte sich zurück.

Phil war Designer für Golfkleidung. Da Golfkleidung per se etwas Exklusives an sich hatte, Phil dem aber noch die Krone aufgesetzt hatte, indem er berühmte Künstler ins Boot holte, die die Kleidung durch ihre Handschrift individualisierten, versprach es ein aufsehenerregendes Event zu werden. Nickend stand ich auf. Ich reckte mich und konnte ein ausgiebiges Gähnen nicht verbergen.

»Ich habe morgen einen anstrengenden Tag vor mir, sei mir nicht böse, aber ich gehe schon mal vor …«, sagte ich, beugte mich zu ihm herunter und verabschiedete mich von Ludger mit einem Kuss. Ich schlüpfte in meine Hausschuhe und trat in unsere Wohnung.

Als ich im Badezimmer stand, schaute ich mich im Spiegel an. Ich meinte zwar, kleine Fältchen auf der Stirn zu erkennen, wischte mein Unbehagen darüber dann aber sofort mit einem Wattebausch und Augen-Make-up-Entferner weg.

Was ich sah, gefiel mir. Dennoch ließ mein Gesicht den Stress, den ich im Beruf hatte, erahnen. Für mich war es bisher ein positiver Stress. Ich arbeitete gerne als selbstständige Rechtsanwältin. Unser Alltag war anstrengend, aber es war nach der Entscheidung gegen ein Leben mit Kindern unsere Wahl gewesen. Aber genau dieses Leben geriet gerade ins Wanken. Zumindest in meinem Kopf brodelte eine unaufhaltsame Unzufriedenheit.

In letzter Zeit fühlte sich alles oft nicht mehr richtig an.

Mein Alltag war geprägt von gesellschaftlichen Events. Ein Termin jagte den nächsten. Mit dem Erfolg stiegen auch der Druck und die Erwartungshaltung an uns und die Kanzlei. Nicht zuletzt der, den Ludgers Eltern, insbesondere seine Mutter, erzeugten.

Vor Jahren hatte mir das alles noch sehr viel Spaß gemacht. Ich hatte das Jetset-Leben geliebt, gerne tolle Kleider zu Empfängen und Dinners getragen. Hatte mich über den Schmuck, den Ludger mir schenkte, wirklich gefreut. Aber mit den Jahren war der schöne Schein verblasst. Ich war müde. Und was blieb ohne diese gesellschaftliche Komponente in unserem Leben noch?

Während in meiner Familie der Fokus immer auf dem Familienleben lag und meine Eltern weniger erfolgsorientiert handelten, lernte ich durch Familie Klaasen ein anderes Leben kennen. Hatte es mir anfangs imponiert, zeigte es mir jetzt jedoch mehr und mehr die emotionale Leere auf, die es in einigen Bereichen hervorrief.

Als angesehener und beliebter Landarzt war es meinem Vater und damit uns allen immer finanziell gut gegangen. Meine Mutter war immer für uns da gewesen. Sie war Hausfrau und Mutter aus Leidenschaft und Überzeugung. Damit hatte sie meinem Vater zu jedem Zeitpunkt den Rücken gestärkt und für mich in jeder Lebenssituation ein offenes Ohr gehabt.

Obwohl ich das schätzte, respektierte ich das Leben von Ludgers Eltern gleichermaßen.

Ich bewunderte Maria Klaasen für ihren Ehrgeiz und den Willen, als Karrierefrau und Mutter an der Seite ihres Mannes durchs Leben zu gehen.

Auch ich konnte mir vorstellen, dass dies der richtige Weg für mich sei, als ich Ludger heiratete und in die Fußstapfen seiner Mutter trat. Ich wollte ebenfalls den Weg einer beruflich engagierten Frau beschreiten. Darin fand ich viele Jahre auch Bestätigung, und es fühlte sich immer gut und richtig für mich an.

In der Hoffnung, meine Grübelei sei nur eine Laune meines Gefühlshaushalts und eine Reaktion auf zu viel Stress, schob ich all diese Gedanken schließlich beiseite.

Bald schon stand unser großer Tag bevor, und gemeinsam würden wir die Tradition von Klaasen & Klaasen erfolgreich fortführen.

Ich nahm ein Buch zur Hand, legte mich in unser Bett und las noch ein paar Seiten in einem Roman über das Leben zweier Frauen, deren Träume nicht unterschiedlicher sein könnten.

Den Fernseher an der gegenüberliegenden Wand ließ ich aus. Ich genoss die Ruhe beim Lesen nach dem emotional aufreibenden Tag, der mich viel Kraft gekostet hatte.

Kapitel 3

Am nächsten Morgen klingelte früh mein Wecker. Erste Sonnenstrahlen brachen durch die Jalousien, die mit einem leise surrenden Geräusch elektrisch hochfuhren und mir den Blick auf einen Sommermorgen freigaben. Ich lehnte mich in meinem Kissen zurück, schloss die Augen und lauschte den Geräuschen. Leise hörte ich das Brummen der Autos und Busse, die vor unserem Haus entlangfuhren. Hier oben kamen nur verhaltene Geräusche an, die weniger störend waren. Eher zeugten sie von einem Gefühl des Daheimseins, so vertraut waren sie. Vor dem Fenster sang ein Vogel. Er zwitscherte in fröhlichen, hellen Tönen und löste ein zufriedenes Gefühl in mir aus.

An manchen Tagen übte ich mich in Achtsamkeit. In einer Art innerem Wettlauf mit meiner Grübelei versuchte ich am frühen Morgen, den Moment hinauszuzögern, in dem die Sorge, mit der man abends schlafen gegangen ist, wieder klar vor einem steht samt all den anderen unangenehmen Punkten der To-do-Liste des Tages.

An diesem Morgen gelang mir das außergewöhnlich gut. Ich nahm kaum etwas wahr, außer der sommerlichen Stimmung vor meinem Fenster und dem hingebungsvollen Gesang eines Vogels.

Beschwingt stieg ich aus dem Bett und ging in die Küche, um mir einen Kaffee zu holen. Während ich noch damit beschäftigt war, die Träume der letzten Nacht von mir abzustreifen, fiel mein Blick auf meinen Mann.

Ludger war bereits komplett angezogen. Ich begrüßte ihn mit einem Kuss, den er sanft erwiderte. Er saß vor dem Laptop über seinen E-Mails. Ich ging zu unserer Kaffeemaschine und bereitete auch ihm eine Tasse zu.

Er quittierte dies mit einem kurzen Lächeln, widmete sich aber gleich wieder seiner Arbeit.

Ich beobachtete ihn, wie er konzentriert auf seinen Laptop schaute. Zum Lesen trug er eine hellbraune Hornbrille. Dazu nahm er meistens einen Stift in die Hand. Häufig notierte er sich Dinge aus der Zeitung oder aus dem Netz in seinen Kalender, der Terminplaner und zugleich sein persönlicher Event-Guide war.

Wenn er von einer Vernissage, der Eröffnung eines Restaurants oder einer ähnlichen Veranstaltung erfuhr, notierte er dies in einem Register. Dieses nutzte er gerne, wenn wir überlegten, was wir unternehmen könnten oder welchen Termin wir keinesfalls verpassen dürften.

Er sah attraktiv aus in seinem dunkelblauen Anzug mit weißem Einstecktuch. Blütenweiße Manschetten ragten unter goldenen Manschettenknöpfen hervor, die das Familienwappen zierte.

Es fand sich wieder in meinem Siegelring. Ein einzigartiges Schmuckstück, auf das ich stolz war.

Dazu trug er hellbraune Schuhe mit passendem Gürtel sowie eine Uhr, die ein ebenso braunes Lederarmband besaß.

Die vollen blonden Haare hatte er zurückgegelt, wodurch sie dunkler erschienen, als sie in Wirklichkeit waren. Der weiße Hemdkragen vervollständigte sein rundherum perfektes Erscheinungsbild.

Genauso wie er musste in meinen Augen ein Hanseat aussehen. Ich liebte es, wenn er klassisch und edel gekleidet war, was nahezu immer der Fall war, wenn er zur Arbeit ging.

Sogar beim Golfen achtete er darauf, dass er auf dem Platz eine exzellente Figur abgab, und war immer top gestylt. Sein Outfit unterstrich er noch durch den verführerischen Duft, den ich nach Jahren an seiner Seite immer noch deutlich wahrnahm. Eine Mischung aus Zitrone und herbem Gewürz umgab ihn.

Einen solchen Anspruch an sein Gesamt-Erscheinungsbild erhob er in jeglicher Lebenssituation. Auch diese Eigenschaft hatte er von seiner Mutter geerbt.

Ein profanes Abendessen in einem x-beliebigen Gasthaus gab es nie. Immer waren es kleine Events mit edler, der Lokalität angemessener Kleidung in exklusivem Ambiente.

Auch ich hatte Freude daran, meiner Kleidung eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Ich besaß eine Leidenschaft für hochwertige Accessoires, die in Handtaschen von feinstem Leder und Armreife in knallbunten Farben, passend zu jeder Bluse und jedem Paar Schuhe, gipfelte. In dieser Hinsicht harmonierten wir perfekt.

Als ich vor dem Hintergrund dieser Überlegung an mir herunterschaute und mein Blick auf den Bademantel und die Hausschuhe fiel, stellte ich fest, dass es eigentlich an der Zeit war, auch mein Aussehen gesellschaftsfähig zu machen.

Ich setzte mich zunächst aber an unseren Küchentisch und öffnete auf dem Tablet die Tageszeitung. Ohne Informationen konnte ich nicht in den Tag starten. Das war für mich und auch für meinen Mann Ludger undenkbar.

In unserer Klientel galt es als selbstverständlich, dass man sich mittags zum Lunch traf und über Ereignisse und Themen sprach, die die Welt bewegten. Es war undenkbar, auf eine Frage nicht sofort kenntnisreich reagieren zu können. Das gehörte zum Job, war Pflicht und Anreiz zugleich. In der medialen Welt wurde man ständig mit Informationen überhäuft.

Da war ein kritisch formulierter Satz zur richtigen Zeit Gold wert, um seiner eigenen Meinung die passenden Worte zu verleihen.

Kulturell fand derzeit wenig Erwähnenswertes statt. Die Aussicht auf einen ruhigen Abend mit meinem Mann ließ mich zuversichtlich in den Tag starten.

Stolz registrierte ich in dieser Ausgabe den Artikel über unsere Kanzlei.

Klaasen & Klaasen auf Erfolgskurs – großartiger Erfolg für das Traumpaar der Juristenszene

Bei diesem Titel fuhren meine Gefühle Achterbahn. Es klang so perfekt. Schmeichelte wie prickelnder Champagner in meinem Bauch.

Dennoch verspürte ich beim Lesen der Überschrift auch eine bittere Wehmut. Wurde unsere Beziehung viel zu sehr daran gemessen, dass wir vortrefflich zusammenpassten? Ein Erfolgsduo, das bravourös harmonierte und darüber hinaus nach außen hin das Traumpaar abgab?

Die feierliche Übergabe der Kanzlei der Eltern an uns auf dem Gut als Sahnehäubchen unserer Beziehung? Waren der Erfolg und der Luxus, der daraus resultierte, wirklich alles?

Was gab es sonst, auf das wir stolz sein konnten? Wir hatten kaum Zeit füreinander, lebten zusammen und dennoch wie in einem Dauerlauf nebeneinanderher.

An einigen Stationen machten wir kurz halt, waren selten dabei für uns, sondern flanierten meistens im Rampenlicht, bevor wir weiterliefen bis zur nächsten Station, an der man uns zujubelte. Und was blieb am Ende?

Ein unscheinbarer Artikel am Rande ließ mich aufhorchen, denn als Ortsbezeichnung las ich Sylt. Wenn es um die Insel ging, schlug mein Herz unruhig, und es bildete sich ein schwerer Kloß in meinem Hals. Obwohl ich alles, was diesen Ort betraf, von mir fernhalten wollte, verhielt es sich wie mit etwas Schrecklichem, bei dem man nicht wegsehen konnte. Ich kam an einem Blick in den Artikel nicht vorbei.

Während mein Herz an diesem Ort hing, sträubte sich mein Kopf vehement gegen jeden einzelnen Gedanken an die Insel, die mich schmerzlich an meine Vergangenheit erinnerte. Ich vermisste sie wie einen alten Freund, eine zweite Heimat meines Herzens, und scheute trotzdem die Erinnerung daran.

Am Strand von Sylt hatte man eine weibliche Leiche gefunden. Bisher sei noch ungeklärt, wie sich der Vorfall ereignet habe. Man wisse zum jetzigen Zeitpunkt nur, dass die Frau Mutter zweier Kinder gewesen sei, siebenunddreißig Jahre alt und vor elf Jahren von Hamburg nach Sylt gezogen sei.

Für einen Moment kam es mir vor, als drehte sich der Tisch, an dem ich saß, und mit ihm die ganze Küche.

Ein Rauschen wie nach einem starken Regenfall an einem Fluss bahnte sich in meinem Kopf seinen Weg, und der Strom ließ einzelne Erinnerungsfetzen wie Treibholz an mir vorbeiziehen. Zu schnell, als dass ich sie ergreifen konnte. Zu langsam, um sie zu übersehen.

Einzig der Blick auf die Weite vor dem Küchenfenster ließ das Gefühl, in einem Karussell zu sitzen, verblassen und nahm dem Strom die Geschwindigkeit.

»Es ist absolut unrealistisch. Hamburg hat zig Einwohner, die irgendwann mal abwandern. Schwachsinn. Es ist Blödsinn«, hörte ich mich da mit energischer Stimme flüstern, und es klang wie eine Besänftigung. Mein persönliches Mantra.

»Was sagtest du?« Ludgers interessierter Blick über den Rand seiner Lesebrille riss mich aus meinen Gedanken und ließ mich zusammenzucken.

»Nichts, ich habe nur laut gedacht. Gar nichts … Zeig doch mal, was liest du da?«, versuchte ich, ihn abzuwimmeln, was mir zum Glück auch gelang. Ludger zeigte mir eine Seite auf dem Laptop, um mir einen Artikel nahezulegen. Es war ein Text über eine Reise mit täglich wechselnden Weingütern in Italien, auf denen man an verschiedensten Verkostungen und Events teilnehmen konnte. Zu der Tour gehörte ein Oldtimer, in dem man die Route genießen würde.

»Das ist bestimmt wunderschön! Und es lässt sich mit unserem Ort am Gardasee verbinden«, gab ich mit einem Lächeln zurück.

Wie gut er mich kannte, wurde deutlich, als ich sah, dass er nervös eine Anzeige wegklickte, die aufpoppte, während ich den Text zu der Weinreise las. Es war ein Angebot für Ferienwohnungen auf Sylt. Ich schluckte, schüttelte meinen Kopf, als würde das den Gedanken an die Insel vertreiben, und stand auf, um mich für den Job fertig zu machen.

»Du, heute war die Post nach dem Joggen noch nicht da. Sehr ungewöhnlich«, sagte Ludger. In seinem Blick lag Nervosität.

Es war ein Ritual, dass er jeden Tag gleich nach seiner morgendlichen Joggingrunde die Post mitbrachte.

Es verging kaum ein Tag, an dem das nicht so geschah.

»Wartest du auch auf einen Brief?«, fragte ich.

»Was? Nein, nein. Ich meine nur«, antwortete Ludger und widmete sich wieder dem Lesen.

Weil ich aber heute selbst auf dringende Post wartete, wollte ich gleich noch einmal nachschauen. Der Postbote kam normalerweise recht früh zu uns.

Ich nutzte diesen Vorwand, um kurz an die frische Luft zu treten, ohne Ludger in meiner Nähe zu wissen, und durchzuatmen. Der Zeitungsartikel hatte mich bis ins Mark erschreckt.

Im Bademantel trat ich vor die Tür, öffnete mit fahrigen Bewegungen den Briefkasten. Als ich die verschiedenen Briefe durchblätterte, bekam ich erneut einen Schreck.

Mein Kopf schwirrte, die Hände zitterten, und ich ließ vor Schreck einen Teil der Unterlagen aus dem Briefkasten fallen.

Nervös beugte ich mich zum Boden, um sie aufzusammeln, während mir abwechselnd heiß und kalt wurde.

Mit weichen Knien und einem Herzschlag bis zum Hals ging ich zurück zu unserer Wohnungstür. Ich musste mich dabei auf jeden einzelnen Schritt konzentrieren, so zittrig schienen mir meine Beine. Es war, als wollten sie mich jeden Moment im Stich lassen.

Der Brief, der mich so durcheinanderbrachte, kam von Tessa. Als Absender stand dort unter ihrem Namen allerdings noch ein anderer Name und auch eine mir unbekannte Adresse auf Sylt. Was hatte der Zusatz c/o Claas Thomsen zu bedeuten? Warum kam gerade jetzt dieser Brief und wer war dieser Mann?

Wie ferngesteuert ging ich zurück in unsere Wohnung, legte leise die Post auf den Küchentisch.

»Ludger, hier liegt die Post«, rief ich. Aus dem Schlafzimmer kam ein »Oh, danke!« zurück.

Ich nahm den Brief mit ins Badezimmer. Ohne dabei ein Geräusch zu machen, schloss ich die Badezimmertür ab. Ludger würde sich darüber wundern, wenn ich mich einschloss. Aber ich wollte alleine sein, wenn ich den Brief öffnete.

Ich war innerlich hin- und hergerissen vor Angst. Was erwartete mich und warum ausgerechnet jetzt? Dass heute, wo ich so intensiv an Tessa gedacht hatte aufgrund dieses Zeitungsartikels, ein Brief von ihr ankam, nachdem wir etliche Jahre keinen Kontakt gepflegt hatten, verwirrte mich aufs Äußerste.

Mit schweißnassen, Händen öffnete ich den Brief, was mir vor lauter Zittern fast nicht gelang.

Die vertraute Handschrift ließ mich augenblicklich in Tränen ausbrechen. Wie aus einem Reflex heraus schlug ich die Hand vor den Mund, bebte innerlich. Tessa war mir im Herzen so nah und vom Kopf her mittlerweile so unsagbar fern. Ein befremdliches Gefühl kroch in mir hoch, als ich ihre Worte zu lesen begann.

Es schien, als flösse der Gedanke an sie von meinen weichen Knien hinauf, direkt durch mein Herz bis hin zum Kopf, der die Aufgabe hatte, zu verstehen, was gerade geschah. Eine Herausforderung, an der er kläglich scheiterte.

Wegen der vielen Tränen schaffte ich es kaum, mich auf das Geschriebene zu konzentrieren. Endlich zu erfahren, warum meine Freundin mir gerade jetzt einen Brief geschickt hatte, trieb mich an, ruhig zu atmen, mich zusammenzureißen und die Worte zu lesen:

Liebste Anna,

ich hoffe, du bereust es nicht, den Brief geöffnet zu haben. Viele Jahre habe ich dir Briefe geschrieben. Selten habe ich sie abgesendet.

Ich sehe dich vor mir, wie du dasitzt mit meinen Zeilen in deinen Händen. Vielleicht zitterst du, eventuell weinst du, so wie ich, während ich dir schreibe.

Anna, du fehlst mir und hast mir all die Jahre so gefehlt, dass ich es nicht in Worte fassen kann. Ich habe im Internet einen Artikel über eure Kanzlei gelesen. Gratuliere, meine Liebe. Ich glaube, du hast es geschafft.

Schade, dass es nicht hat sein sollen, schade, dass es keinen weiteren Weg für uns beide gegeben hat.

An dieser Stelle musste ich den Brief kurz beiseitelegen. Meine Arme wogen schwer wie Blei, waren unfähig, das Papier zu halten.

Was war mit all meinen Versuchen, sie zu erreichen? Warum hatte sie, wenn sie doch so empfunden hatte, nie reagiert? Ich las nervös weiter.

Aber das soll kein vorwurfsvoller Brief sein. Du hast deine Gründe gehabt. Unser Streit hat seine Gründe.

Dein Mann, mein Paul. Es hat nicht sein sollen mit uns vieren. Aber dass vieles nicht so war, wie es schien, weiß ich erst jetzt.

Warum ich mich heute melde? Das muss ich dir erklären, wenn wir uns sehen. Anna, ich brauche deine Hilfe. Als Anwältin – aber vor allem als meine beste Freundin. Denn im Herzen bist du das immer für mich geblieben. Meine Handynummer hast du vermutlich nicht? Ich sende sie dir hiermit.

Kannst du sofort nach Sylt kommen?

Ich weiß, was ich damit von dir verlange, aber nur du kannst mir helfen, Liebes. Ich kann hier nicht weg.

Danke!

Deine Tessa.

Ich schluchzte und hielt meine Handfläche noch immer vor Fassungslosigkeit vor den Mund. Eine große Traurigkeit erfasste mich am ganzen Körper. Das Schluchzen ging über in ein Zittern und Weinen. Wie ein Schock übermannten mich die Zeilen meiner Freundin. Ich wusste nicht, was ich mit ihnen anfangen sollte.

Nach all den Jahren hatte ich nicht mehr zu hoffen geglaubt, dass wir noch einmal zueinanderfinden könnten. Und gerade jetzt, da auch ich wieder an sie hatte denken müssen. Vielleicht gab es so etwas wie Schicksal?

Wie in Trance stieg ich unter die Dusche und schloss unter dem prasselnden Wasser die Augen. Das heiße Nass, das plätschernde Geräusch und der beruhigende Duft von Vanille ließen mich für einen Moment alles um mich herum vergessen.

Wie ein klarer, alle Sorgen aufnehmender und in seinem Sog abtransportierender Strom floss das Wasser über meinen Kopf und die Schultern. Ich sog den Geruch des Vanille-Duschschaums tief ein, fühlte für einen Moment so etwas wie Beruhigung.

Eine innere Ruhe, wie ich sie früher im Studium oft gespürt hatte. Die Zuversicht, dass das Leben mich dorthin treiben würde, wo ich sein sollte. Diese Zeit, die ich mit meiner Freundin erlebt hatte, stand für mich für pures, unbeschwertes Leben. Tessa und ich hatten in den Tag hineingeträumt, überzeugt davon, dass uns die Welt offenstand. Dieser Gedanke war Antrieb und Motivation für uns, das Beste aus unserem Leben zu machen.

Wir zogen damals das erste Mal gemeinsam von zu Hause aus.

Atmeten zum ersten Mal den Duft von Freiheit und Unabhängigkeit. Hamburg, die Großstadt, lag vor uns und empfing uns mit offenen Armen. Die Angst, die jeder von uns wahrscheinlich dabei empfunden hätte, wäre man ohne die andere gewesen, lachten wir gemeinsam einfach weg. Wir waren füreinander da, uns konnte nichts erschüttern.

Wir waren beide auf dem Land nahe Hamburg aufgewachsen. Während Tessa das Leben mit Pferden, Hunden und Familie liebte, wurde es mir bald zu eng. Ich strebte nach Unabhängigkeit und den vielen Möglichkeiten des Lebens in einer Großstadt mit all ihren Facetten. Ich wollte nicht länger die Tochter des Landarztes sein, bei der man insgeheim nur darauf wartete, dass sie endlich in die Praxis ihres Vaters einstieg.

Tessa hatte Hamburg ebenfalls als Option anerkannt, da die Stadt in unmittelbarer Nähe des Ortes lag, in dem ihre Mutter lebte.

Vor diesem Hintergrund willigten meine Eltern begeistert ein, uns finanziell zur Seite zu stehen. Sie hatten befürchtet, ich würde für meine erste eigene Wohnung mindestens ans andere Ende von Deutschland ziehen. Mit großzügiger Unterstützung meiner Eltern statteten wir unsere erste Wohnung aus, die kurze Zeit später zum Dreh- und Angelpunkt unserer neuen Freunde wurde. Viele waren gerne bei uns, fast jeden nahmen wir ebenso gerne in Empfang.

Unser Leben bestand aus Partys, coolen Typen und kaum einem Gedanken daran, was der nächste Tag brachte. Wir lebten im Hier und Jetzt, weinten, lachten und schwiegen miteinander. Das geschah niemals mit bösem Hintergedanken, sondern immer in schwesterlicher Fürsorge. Wir begegneten jedem Morgen mit unbändigem Optimismus. An allererster Stelle stand der Wunsch, am Ende des Tages zufrieden ins Bett zu fallen.

So lebten wir bis kurz vor meinem Examen. Tessa tat sich schwer mit dem Studium, haderte oft mit sich und ihrer Zukunft als Juristin. Mehr als einmal erwog sie, alles hinzuwerfen.

Natürlich war ich immer an ihrer Seite und griff ihr unter die Arme, wo ich nur konnte. Ich nahm ihre Sorgen ernst und begleitete sie auch bei dem Schritt, das Studium an den Nagel zu hängen und eine Ausbildung zur Erzieherin zu beginnen. Obwohl ich nicht verstehen konnte, wie sie die viele Mühe der letzten Jahre einfach so über Bord werfen konnte, stand ich hinter ihrer Entscheidung.

Wir traten als eine Einheit auf, unerschütterlich und wie Zwillingsschwestern im Herzen. Auch als ich Ludger kennenlernte und wir ein Paar wurden, konnte nichts unsere Freundschaft schmälern. Tessa suchte weiterhin nach dem Mann fürs Leben und ging unbeschwert und unaufgeregt an das Thema Liebe heran.

Bis zu dem Tag, an dem aus dem Flirt mit Paul ihre Verlobung werden sollte. Sie lernte ihn kennen und schwebte seit diesem Tag wie auf einer Wolke durchs Leben. Hatte sie noch vor wenigen Wochen bezweifelt, jemals den Mann fürs Leben zu finden, verlobten die beiden sich schon nach kurzer Zeit. Nach einigen Wochen wurde ihre Liebe wie vom Schicksal besiegelt. Tessa war schwanger.

Noch heute zog sich mein Magen zusammen, wenn ich an den Moment dachte, als sie mir Paul damals vorstellte. Strahlend stand sie vor mir, ihre Augen, ihr Blick und die Art und Weise, wie sie seine Hand hielt – alles sprach eine eindeutige Sprache: Ich bin verliebt!

Paul sah umwerfend aus in seinem weißen Hemd, der dunkelblauen Jeans und dem Sakko, welches er lässig über einer Schulter trug.

Damals wanderte mein Blick – ich will nicht ausschließen, dass er bewundernd war – erst zu ihm, dann zurück zu meiner Freundin und wieder zum ihm. Bevor ich etwas sagen konnte, hatte Paul mir die Hand entgegengestreckt. Die Art, wie er auftrat, wirkte charmant und cool. Er gab das Bild eines Traummanns ab, so viel stand fest. Zu diesem Zeitpunkt gab es nichts, was ich gegen ihn hätte sagen wollen. Vielleicht, dass er ein kleines bisschen unnahbar war, einen Hauch distanziert, was sonst gar nicht zu seinem Erscheinungsbild passte. Ich schob das auf eine Unsicherheit, die er zu überspielen versuchte.

Ich freute mich mit Tessa über ihr Glück.

Seit einiger Zeit wohnte ich da schon mit Ludger zusammen.

Ich hatte in ihm den Menschen gefunden, dem es als erstem Mann gelungen war, dem Feiern und dem ständigen Partyleben den Reiz für mich zu nehmen. Er faszinierte mich auf solche Weise, dass ich anfing zu überdenken, ob Liebe und Zielstrebigkeit eine Alternative darstellten zu diesem unsteten Leben. Zu Ludger schaute ich auf, er verströmte Erfolg und Selbstbewusstsein. Eine weltmännische Aura umgab ihn. Er war zwei Jahre älter als ich.