Mit dir für immer – Max Schmeling und Anny Ondra - Jan Steinbach - E-Book
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Mit dir für immer – Max Schmeling und Anny Ondra E-Book

Jan Steinbach

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Beschreibung

Boxweltmeister Max Schmeling riskiert alles für seine Liebe zu Anny Ondra

Max Schmeling mag der »Champion of the World« sein, die erfolgreiche Schauspielerin Anny Ondra von sich zu überzeugen stellt den schüchternen Hünen jedoch vor große Probleme. Als es ihm endlich gelingt, werden die beiden zum Traumpaar der deutschen Öffentlichkeit. Doch der Ruhm birgt seine Schattenseiten: Die NS-Führung will Max für ihre Propaganda inszenieren, und die Versuche, seine jüdischen Freunde zu schützen, bringen Max immer mehr in Gefahr, bis er dann an die Ostfront geschickt wird. Wird Anny ihren Mann je wiedersehen?

Ein so mitreißender wie bewegender Roman über zwei Liebende auf der Suche nach dem Glück in dunklen Zeiten

Mit George Grosz, Bertolt Brecht u. v. a. schillernden Figuren der 1930er Jahre

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Über das Buch

Berlin, 1930: Max Schmeling, spätestens mit seinem Weltmeistertitel im Schwergewicht der berühmteste deutsche Sportler, verliebt sich in Leinwandstar Anny Ondra, die einen kometenhaften Aufstieg erlebt. Der schüchterne Hüne und die selbstbewusste Schauspielerin werden ein Paar.

Sie leben eine heimliche Liebe in der quirligen und lebendigen Berliner Künstler- und Intellektuellenszene, und genießen ihr Glück in einem abgeschiedenen Häuschen in der Künstlerkolonie Bad Saarow. Als ihre Beziehung bekannt wird, avancieren sie zum schillerndsten Paar der deutschen Öffentlichkeit.

Doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten verändert sich die unbeschwerte, aufgeschlossene Stimmung der zwanziger Jahre zusehends. Besonders Max gerät ins Visier der NS-Propaganda, die seine öffentlichen Auftritte zu instrumentalisieren versucht. Der wiederum nutzt seine Kontakte, um jüdischen Freunden zu helfen, und gerät dabei selbst in Gefahr.

Als auch Annys Karriere vor dem Aus steht, müssen Anny und Max sich entscheiden, wo ihre gemeinsame Zukunft liegt. Doch dann wird Max einberufen, und Anny bleibt nichts, als auf seine Rückkehr zu hoffen.

Über Jan Steinbach

Jan Steinbach, geboren 1973, ist das Pseudonym eines erfolgreichen deutschen Schriftstellers, der auf einem Bauernhof nahe der niederländischen Grenze aufgewachsen ist. Bei Rütten & Loening und im Aufbau Taschenbuch liegen von ihm die Romane »Willems letzte Reise«, »Das Café der kleinen Kostbarkeiten«, »Das Strandhaus der kleinen Kostbarkeiten« , »Die Schwestern von Marienfehn« und  »Was wir Glück nennen« vor.

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Jan Steinbach

Mit dir für immer – Max Schmeling und Anny Ondra

Roman

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Teil 1 — 1930-1933

Max: Kapitel 1 — Zwischen New York und Bremerhaven, Juli 1930

Anny: Kapitel 2 — Berlin-Westend, Juli 1930

Max: Kapitel 3

Max: Kapitel 4

Max: Kapitel 5

Anny: Kapitel 6

Max: Kapitel 7

Anny: Kapitel 8

Anny: Kapitel 9

Anny: Kapitel 10

Max: Kapitel 11 — September 1930

Max: Kapitel 12 — Januar 1931

Anny: Kapitel 13 — März 1932

Teil 2 — 1933-1939

Max: Kapitel 14 — März 1933

Anny: Kapitel 15

Max: Kapitel 16 — New York, Mai 1933

Anny: Kapitel 17 — München, Sommer 1933

Max: Kapitel 18 — Berlin, Januar 1935

Anny: Kapitel 19 — Bad Saarow, Juni 1935

Anny: Kapitel 20

Max: Kapitel 21 — New York, Juni 1936

Anny: Kapitel 22 — Bad Saarow, einige Wochen später

Max: Kapitel 23 — Rotterdam, Sommer 1937

Max: Kapitel 24 — Ponickel in Pommern, Februar 1938

Anny: Kapitel 25

Max: Kapitel 26 — Zwei Monate später

Teil 3 — 1940-1945

Anny: Kapitel 27 — Ponickel, Mai 1940

Max: Kapitel 28

Anny: Kapitel 29

Max: Kapitel 30

Anny: Kapitel 31 — Pommern, Januar 1945

Nachbemerkung

Impressum

Teil 1

1930-1933

Max

Kapitel 1

Zwischen New York und Bremerhaven, Juli 1930

Er hätte vor Glück außer sich sein müssen. Es war das höchste Ziel, das sich ein Boxer stecken konnte: der Titel des Weltmeisters im Schwergewicht, des Champion of the World. Sein größter Traum war in Erfüllung gegangen. Nichts hatte in der internationalen Sportwelt mehr Strahlkraft, kein Sportler wurde mehr vergöttert. Doch jetzt, wo er dieses Ziel erreicht hatte, fühlte sich der Sieg wie eine Niederlage an. Auch Wochen nach dem Kampf war ihm noch immer nicht nach Feiern zumute. Stattdessen musste er sich jeden Tag zwingen, aufzustehen, weiterzumachen und nicht dem Trübsinn zu verfallen.

Umso froher war er gewesen, als sein Aufenthalt in New York endete und er endlich das Schiff betreten konnte, das ihn zurück nach Deutschland bringen sollte. Die Bremen, der modernste Ozeandampfer der Welt, die, angetrieben von riesigen Kesselanlagen und Maschinen, hinaus in den wogenden Atlantik pflügte, unbeirrbar dem alten Kontinent entgegen.

An Bord hatte er viel Zeit zum Nachdenken, und so mischte sich in seine Freude, in sein Heimatland zurückzukehren, bald auch Sorge. Denn nach allem, was passiert war, war er nicht sicher, wie er von der deutschen Öffentlichkeit empfangen werden würde.

Die Weltmeisterschaft. Im Vorfeld hatte alles so vielversprechend begonnen. Der Kampf Max Schmeling gegen Jack Sharkey war wochenlang überall das dominierende Gesprächsthema. Auf den Titelseiten der New Yorker Zeitungen gab es keine anderen Schlagzeilen mehr. Sogar die Berichte über die verheerende Weltwirtschaftskrise waren auf die hinteren Seiten gewichen. Das Duell der Giganten im Schwergewicht stellte alles andere in den Schatten.

Das Trainingscamp war jeden Tag von Reportern belagert gewesen, ebenso das von seinem Konkurrenten Jack Sharkey, und jeder Kommentar, den sie abgaben, jedes Stirnrunzeln, das beobachtet wurde, fand sich in den Zeitungen wieder, begleitet von Mutmaßungen, was es jeweils zu bedeuten habe. Welche Strategien für den Kampf ersonnen wurden und wer sich dadurch möglicherweise einen entscheidenden Vorteil verschaffe.

Am Kampftag selbst war dann ganz New York auf den Beinen. Achtzigtausend Zuschauer passten ins Yankee Stadium, und die Karten waren innerhalb von Minuten vergriffen. Ein Hexenkessel erwartete Max, der in den Ring trat und sich von einer johlenden, brüllenden und dampfenden Menge umgeben fand.

Drei Runden lang hagelten die Schläge vom Titelverteidiger Jack Sharkey, der im Kampf aufs Ganze ging, auf ihn ein. Drei Runden lang tat er alles, um die prasselnden Angriffe zu parieren, während ihm selbst nur wenige, wenn auch unvermutet schlagkräftige Konter gelangen. In der vierten Runde glaubte Max dann, eine Chance zu bekommen. Er hätte schwören können, der Choleriker im Ring, wie Sharkey genannt wurde, zeigte erste Anzeichen von Müdigkeit. Je länger er selbst im Ring blieb, so sein Kalkül, umso größer die Möglichkeit, den Kampf am Ende zu dominieren, mit seiner Ausdauer und dem Durchhaltewillen, für den er berühmt war. Er sah eine realistische Chance, wieder Oberwasser zu bekommen.

Doch kurz vor dem Gong am Ende der vierten Runde änderte sich alles. Keine Strategie hätte sie darauf vorbereiten können. Sharkey, der wild um sich schlug, landete wie aus dem Nichts heraus einen Tiefschlag unterhalb seiner Gürtellinie. Max konnte sich kaum erinnern, was danach geschah. Er ging sofort zu Boden. Kämpfte gegen Schwindel und Bewusstlosigkeit, wurde angezählt, versuchte vergeblich, wieder hochzukommen, bis ihn endlich der Gong erlöste.

Alles war wie im Nebel. Er wusste noch, dass er gepackt und in seine Ecke gezogen wurde. Wie die Massen brüllten und tobten. Er sah Joe, seinen Manager, der auftauchte und wie ein Wasserfall auf ihn einredete. Sah die Punktrichter, die zusammengerufen wurden und sich berieten. Dann der Ringsprecher, der übers Mikrophon verkündete: »Jack Sharkey disqualifiziert. Der Sieger und neue Weltmeister: Max Schmeling!«

Er traute seinen Ohren nicht. Im Stadion brach die Hölle los. Der Lärm brandete durch die Arena, es gab Chaos auf den Rängen, Proteste, Gebrüll, ein furioses Durcheinander. Als hätten sich die Zuschauer in einen einzigen Organismus verwandelt, in ein wildes Tier, das mit der Absicht, alle zu verschlingen, jederzeit in den Boxring springen könne. Und Max, kaum bei Bewusstsein, wurde von seinen Helfern in die Garderobe getragen, wo es noch eine Weile dauern sollte, bis er realisierte, was gerade passiert war: Er war der neue Weltmeister im Schwergewicht.

Während er nun auf der Bremen an der Reling stand und tief in Gedanken versunken auf das wogende Meer hinaussah, ertönte laut eine krähende Stimme hinter ihm.

»Na, Max? Bläst du immer noch Trübsal?«

Es war Joe Jacobs, sein Manager, der gut gelaunt an die Reling trat. Er zwinkerte ironisch, seine obligatorische Zigarre wippte im Mundwinkel, und schob sich den Hut schief auf den Kopf, was ihm ein verwegenes Aussehen verlieh. Die getrübte Stimmung seines Schützlings schien ihm keine allzu großen Sorgen zu bereiten.

»Du bist steinreich geworden. Und rechtmäßiger Weltmeister. Es gibt Schlimmeres, würde ich sagen.«

»Du weißt genau, dass die Sache für mich nicht vorbei ist«, sagte Max düster. »Ich hätte den Titel nicht annehmen dürfen. Das wäre die richtige Entscheidung gewesen.«

»Ach, jetzt hör auf damit. Du bist Weltmeister. So sind nun mal die Regeln. Das kann dir keiner nehmen.«

»Ein schöner Weltmeister bin ich. Der erste in der Geschichte, der seinen Sieg durch Disqualifikation errungen hat.« So was hatte es im Boxen zuvor noch nie gegeben. »Dieser Kampf ist nichts wert, egal, was du sagst.«

Joe nahm die Zigarre, die er nie rauchte und auf der er immer nur herumkaute, ohne sie je anzuzünden, mit großer Geste aus dem Mund und deutete mit der Spitze auf Max.

»Du bist Weltmeister«, verkündete er. »Das ist, was bleibt. Denk besser nicht über den Rest nach.«

»Nein. Was bleibt, ist, dass der Kampf nichts wert war. Das weißt du genau.«

Als Max in seiner Garderobe im Yankee Stadium wieder zur Besinnung gekommen war, hatte er beschlossen, den Titel nicht anzunehmen. Das wäre nur anständig, fand er. So sähe wahrer Sportsgeist aus. Doch in der Kabine hatten alle wie wild auf ihn eingeredet, um ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Sein Trainer, sein Manager und sämtliche Helfer. Mach das nicht, hatten sie gesagt. Nimm den Titel an. Du hast ihn rechtmäßig bekommen. Immer noch benommen von dem Tiefschlag, hatte er sich überreden lassen. Obgleich sein Gefühl ihm sagte, dass er die falsche Entscheidung traf.

»Ich könnte den Titel immer noch zurückgeben.«

»Quatsch. Ich sag dir, was du tust: Du zeigst allen, dass du den Titel verdienst. Du erwirbst dir das Recht, Weltmeister genannt zu werden. Und zwar in jedem Kampf, der von nun an kommt. Du zeigst, dass du den Titel nicht umsonst trägst. Der große Max Schmeling, der schwarze Ulan vom Rhein, eher ein Gott als ein Sterblicher. Beweise den Leuten, dass du Weltmeister bist. Dann wird keiner mehr über den Kampf gegen Sharkey reden.«

Max schüttelte den Kopf. Der schwarze Ulan vom Rhein – diesen Spitznamen hatte Joe ihm für das amerikanische Publikum verpasst. Ein Werbegag, der gut funktioniert hatte auf der anderen Seite des Ozeans. Dass Max aus Hamburg stammte und nicht vom Rhein, war Joe dabei nicht so wichtig gewesen.

»Außerdem«, fügte sein Manager hinzu, »bist du jetzt ein reicher Mann, vergiss das nicht. Das ist nicht zu unterschätzen. Die Kampfbörse war astronomisch hoch.«

»Ja, und um ein Haar hätten wir sie nicht bekommen«, konnte sich Max nicht verkneifen zu erwähnen. »Die New Yorker Boxkommission hat den Sieg immer noch nicht anerkannt.«

»Dass die zahlen mussten, habe ich durchgesetzt«, meinte Joe vergnügt. »Legt euch nicht mit Joe Jacobs an, sage ich immer. Umgerechnet ungefähr siebenhundertfünfzigtausend Reichsmark, oder? Für einen einzigen Kampf. Das kann sich sehen lassen.«

Joe legte den Arm um seine Schulter, kaute theatralisch an der kalten Zigarre und deutete in den Himmel, als liefe dort der Film vom Kampf im Yankee Stadium.

»Achtzigtausend Menschen. Karten zu Höchstpreisen auf dem Schwarzmarkt. Die Menge hat getobt. Es war Wahnsinn. Und wer alles da war. Allein deine Landsleute: Marlene Dietrich, Josef von Sternberg, Ernst Lubitsch … Du hättest die Dietrich kennenlernen können, stell dir vor.«

»Die kenn ich längst«, meinte Max abwehrend. Er war ihr vor einem halben Jahr im Romanischen Café an der Gedächtniskirche vorgestellt worden, als sie noch in einem Theater am Ku’damm spielte und sie kaum einer kannte. Bevor sie über Nacht ein Weltstar geworden war.

»Dann hättest du sie mir vorstellen können«, empörte sich Joe. »Ich hätte ihr den Hof gemacht. Mir hätte sie nicht widerstehen können. Nicht, wenn ich meinen Charme spielen lasse. Du kennst Joe Jacobs, der lässt sich keine Chance entgehen.«

Nun konnte sich Max ein Lächeln nicht verkneifen. Und offenbar war das genau, was sein Manager bezwecken wollte, denn mit einem warmen Lächeln zwinkerte er ihm zu.

»Du zeigst es ihnen, Max! Wenn einer es verdient hat, Weltmeister zu sein, dann du.«

»Ich gebe auf«, lachte er. »Du hast gewonnen.«

Eine Stimme ertönte hinter ihnen an Deck.

»Ich denke, das Wort aufgeben gibt es in deinem Sprachschatz nicht. Das sagst du immer.«

Max Machon stand dort, sein Boxtrainer, mit Hemd und Tweetjacke und Knickerbocker, elegant wie immer. Machon hatte ihn auf der ganzen Reise begleitet. Mit keinem anderen Menschen hatte er in den letzten Jahren mehr Zeit verbracht als mit ihm. Tatsächlich betonte Max immer wieder, dass dieses Wort für ihn nicht existiere.

»Es sei denn, Joe taucht auf«, meinte er lachend. »Dann muss ich es wieder aufnehmen.«

»Ja, gegen Joe hat keiner eine Chance«, lachte Machon und schlug spielerisch mit einer zusammengerollten Zeitung nach ihm. Der Manager sprang sofort in Boxerpose, die Zigarre fest zwischen den Zähnen, und hob die Fäuste, als wolle er den Kampf gegen zwei Berufsboxer aufnehmen. Max lachte, bis er sah, dass es eine Ausgabe der Weltbühne war, die Max Machon in der Hand hielt.

»Noch mehr Zeitungen aus Deutschland?«, fragte er.

Sein Trainer wirkte verlegen. Max konnte sich schon denken, was das zu bedeuten hatte. Nicht nur die amerikanischen Zeitungen waren voll Spott und Empörung darüber gewesen, wie er den Titel errungen hatte. In der Heimat galt er neuerdings als Weltmeister im Liegen, weil der Tiefschlag ihn zu Boden gehen lassen hatte.

»Die Weltbühne«, sagte Max und deutete auf die zusammengerollte Zeitung. »Steht was drin über mich?«

»Ach, nichts Wichtiges. Und wen interessiert das schon.«

»Dann zeig mal her.«

Machon sah aus, als wolle er die Zeitung lieber über die Reling werfen, als sie seinem Freund zu geben, reichte sie ihm dann aber widerwillig. Max schlug sie auf und blätterte sich auf der Suche nach dem Artikel über den Kampf im Yankee Stadium durch das Blatt.

»Es ist nicht das erste Mal, dass du mit Spott überzogen wirst«, sagte Machon. »Du weißt doch, wie das ist. Dann kommt ein Sieg, und alle Schreiberlinge jubeln dir wieder zu.«

Da war der Artikel. Endlich ein Sieger, lautete die Überschrift. Er kritisierte die nationale Begeisterung, die Max Schmeling mit diesem Kampf ausgelöst hatte. Bewahren Sie Ihr letztes bisschen Verstand, soweit es Ihnen Adolf Hitler nicht fortgepustet hat, stand dort in der Einleitung. Man solle den Kampf nüchtern betrachten, denn der Sieg sei bei Licht betrachtet alles andere als herrlich, auch wenn es ein deutscher sei. Es ist da die merkwürdige Unstimmigkeit, dass der Besiegte auf seinen eigenen Beinen fortging, während der Sieger, dem es auch in den vier Runden nicht gut gegangen war, halb ohnmächtig auf der Bahre abgeschleppt werden musste. Der Artikel war gezeichnet von Carl von Ossietzky. Es tat weh. Max hatte neulich mit ihm noch ein paar Worte bei einem Empfang gewechselt. Er war ein Autor mit Prinzipien, kein Schreiberling von der B. Z., der seine Fahne nach dem Wind drehte. Seine Sehnsucht, nach Deutschland zurückzukehren, schwand. Was würde ihn dort erwarten, den wenig ruhmreichen Sieger aus dem Yankee Stadium?

Er hätte den Titel doch zurückgeben sollen, sagte er sich.

»Ach, was weiß der schon?«, wiegelte Machon ab. »Ist der etwa Boxer? Na, siehst du.«

»Kommt, Männer«, sagte Joe. »Wir gehen was essen. Es wird höchste Zeit. Außerdem sind eine Menge Leute auf dem Schiff, die dich interessieren könnten.«

Max winkte ab. Auf seinen bisherigen Reisen zwischen Amerika und Deutschland hatte er sich zwar gern auf den Ozeandampfern mit anderen Prominenten zusammengetan, die ebenfalls die Zeit totschlagen mussten. Doch bei dieser Überfahrt hatte er wenig Lust auf Gesellschaft.

»Das ist mein Ernst«, begann Joe. »Du glaubst nicht, wen ich gesehen habe …«

»Es ist mir egal«, ging Max dazwischen. »Ich lass mir was auf die Kajüte bringen. Geht ohne mich essen.«

Seine beiden Freunde versuchten, ihn zu überreden, aber sie wussten, dass man ihn besser in Ruhe ließ, wenn er es unbedingt wollte. Daher zogen sie sich zurück, und er blieb allein an der Reling, wo er mit Blick übers Meer die würzige Seeluft einsog.

Er wollte sich auf das Gute konzentrieren, das ihn in Deutschland erwartete. Zurück in Berlin würde er, wie stets nach längerer Abwesenheit, zuallererst die Roxy-Bar besuchen, danach zur verrauchten Kneipe von Aenne Maenz, der berühmtesten Wirtin der Stadt, um Senfeier und Bouletten zu essen, und vielleicht noch ins Romanische Café. Er würde überall Freunde treffen, zufällig und unabhängig von Uhrzeit und Wochentag. Mitglieder der Gesellschaft, wie sie sich selbst nannten, einer bunten Truppe von Malern, Schriftstellern, Kunstsammlern, Showgirls, Rennfahrern und Schauspielern, die in den Cafés und Bars im Westen der Stadt zusammentrafen. Eine große Familie, verbunden durch den Schein des Rampenlichts, und da spielte es keine Rolle, ob einer nun als Dramatiker oder als Radrennfahrer um die Gunst des Publikums kämpfte. Sie waren Arbeiter des Unterhaltungsbetriebs, und für Max, dessen Bühne der Boxring im Sportpalast war, waren sie wie eine Truppe von Schaustellern, die zusammenhielten wie Pech und Schwefel.

Er wusste, im Roxy, dessen Spitzname Vermisstenstation war, weil dort alle Freunde anzutreffen seien, die man sonst nirgendwo fand, würde man ihm einen warmen Empfang bereiten, egal was in der Presse über ihn stand. Was ihn ein wenig über die Schmach, die ihn in der deutschen Öffentlichkeit erwartete, hinwegtröstete.

Doch er konnte nicht verleugnen, dass man selbst im Roxy die flirrende Unruhe zu spüren bekam, die über dem Land lag. Die Hyperinflation war noch nicht lange her, und wieder brach eine Wirtschaftskrise über sie herein. Heerscharen von Arbeitslosen bevölkerten Straßen und Parks. Die Not wurde überall sichtbar, und das Vertrauen in die Politik war längst verloren gegangen. Im Roxy sprachen nicht wenige von einer Zeitenwende, die bevorstand. Und so sehr er sich auf das Wiedersehen mit der Gesellschaft freute, lösten diese ungewissen Aussichten auf die Zukunft Sorge in ihm aus.

Doch in einem hatte Machon recht: Er war niemand, der aufgab. Egal, was die Zukunft in Deutschland für ihn bereithielt, er würde kämpfen und sich nicht unterkriegen lassen. So wie er es immer gehalten hatte.

Anny

Kapitel 2

Berlin-Westend, Juli 1930

Anny Ondra atmete die duftende Sommerluft ein. Vom Balkon ihrer Wohnung erwartete sie ein prachtvoller Ausblick auf die Grünanlage des neu angelegten Sachsenplatzes, ein Meisterwerk der modernen Stadtgartenplanung. Das Gelände war einer brandenburgischen Naturlandschaft nachempfunden und erstreckte sich mit Waldkiefern, Eichen und einem in einer Senke angelegten See bis hin zu einer Felsformation aus Rüdersdorfer Kalkfelsen und Teppichen von Wildblumen, die der Illusion den letzten Schliff gaben. Sie liebte diesen Anblick und die Ruhe, die der Park ausstrahlte.

Überhaupt war die Wohnung, die sie erst kürzlich bezogen hatte, perfekt für ihre Bedürfnisse: großbürgerlich, neu gebaut, ganz in der Nähe der Stadt und dennoch im idyllischen Grün, scheinbar weit weg vom Trubel der Großstadt. Wobei diese Ruhe genauso Illusion war wie die brandenburgische Wildnis, denn der Kurfürstendamm mit seinen Lichtspielhäusern und die quirlige Lebendigkeit rund um die Gedächtniskirche waren nur einen Steinwurf entfernt. Im Grunde hätte sie es besser nicht treffen können, wenn nur dieses ständige Geschrei nicht wäre, das ihr den letzten Nerv raubte.

»Was ist denn da draußen los?«, beschwerte sich Karel aus der Wohnung, ihr Freund und Geschäftspartner, der mit einem Stapel Drehbücher auf der Chaiselongue hockte. »Hat das Kind denn keine Mutter?«

Anny trat an den Balkon und sah hinunter. In der Etage unter ihr war ein Kinderwagen vor die Balkontür geschoben worden, in dem ein Säugling alles herausschrie, was die kleine Lunge hergab. Und keiner kam, um den Wurm zu trösten.

»Sie könnte das Kind wenigstens im Innern der Wohnung schreien lassen«, meinte Karel gequält, »dann würden wir keine Ohrenschmerzen bekommen.«

Anny trat zurück, schloss die Balkontüren und legte den Messingriegel um. Das Schreien wurde leiser, beinahe war es ausgesperrt. Schade zwar um die laue Sommerluft, die nicht länger hereinzog, aber wenigstens verloren sie nicht die Nerven.

»Ich geh runter und beschwere mich.«

»Lass doch, Karel. Ich will keinen Ärger im Haus.«

»Du machst ja auch keinen Ärger. Den macht sie, weil sie sich nicht um das Kind kümmert.«

»Warte. Noch Kaffee für dich?« Sie trat an den Servierwagen, den das Dienstmädchen hereingeschoben hatte. »Und sieh mal, ich habe Madeleines. Unser Konditor macht die ganz wundervoll. Möchtest du?«

Das Ablenkungsmanöver funktionierte. Sie reichte ihm die hauchdünne Porzellantasse, goss Kaffee ein und legte das Gebäckstück auf den Unterteller. Er verschlang die Madeleine und tauchte danach wieder in das Drehbuch ab, das aufgeschlagen auf seinen Knien lag. Ein neuer Stoff, der ihnen angeboten worden war. Seit sie ihre eigene Filmfirma gegründet hatten – die Ondra-Lamač-Film GmbH, damit sie endlich unabhängig von Geldgebern waren –, konnten sie sich vor angebotenen Drehbüchern kaum retten. Wer hätte je gedacht, dass sie so erfolgreich sein würden.

»Hast du das hier schon gesehen?«, fragte er und deutete auf das Manuskript auf seinem Schoß. »Eine Mischung aus Operette und Komödie. Passt perfekt zu uns.«

»Nein, noch nicht. Ich komme kaum mit dem Lesen hinterher.«

»Dann hör’s dir an.« Er beugte sich vor, den Blick voller Begeisterung. »Es geht um eine junge Frau, sie ist frech und unabhängig, und sie verdreht einem Mann den Kopf. Einem Mann, der in Scheidung lebt …«

»In Scheidung?«

»Ja, herrlich delikat. Dann kommt die Erbtante, die nicht will, dass er sich scheiden lässt und mit Enterbung droht. Ein schönes Durcheinander, das viel Potenzial hat. Wir sollten uns direkt dransetzen.«

Anny musste lächeln. Sie wusste schon, was Karel mit Potenzial meinte. Es ging darum, den Film mit Szenen vollzupacken, in denen alles gezeigt wurde, was in der Gesellschaft als unerhört galt. Was die lustvolle Provokation anging, war er wie ein kleiner Junge, der versessen darauf war, ein Feuerwerk abzufackeln.

»Bist du nicht gerade mit deiner Militärklamotte beschäftigt?«, fragte sie. »Hast du überhaupt Zeit, dich mit neuen Drehbüchern zu beschäftigen?«

Militärfilme waren nichts für sie. Da machte sie lieber nebenher Projekte, die sie selbst entwickelte. Oder sie spielte in Filmen anderer Regisseure mit. Inzwischen gingen sie ab und zu getrennte Wege. Auch wenn es erst nicht leicht für ihn gewesen war, hatte Karel sich daran gewöhnt, dass sie ihren eigenen Kopf hatte und sie nicht mehr wie Pech und Schwefel zusammenklebten, wie es zu Beginn ihrer Karriere in Prag noch der Fall gewesen war.

»Ja, schon«, murmelte er abwesend mit dem Drehbuch in der Hand. »Aber das hier, Anny – der Papagei der Erbtante stirbt, und alle denken, die Tante ist tot. Sie wollen erben! Das ist Gold wert.« Er blätterte wild in den Seiten. »Da gibt es eine Beerdigungsszene … Wie wäre es, wenn da aus Versehen Lachgas im Spiel ist? Das Mädchen könnte mit ihrer Tollpatschigkeit dafür verantwortlich sein, und alle Trauergäste lachen bis zur Besinnungslosigkeit, ob sie wollen oder nicht. Sie lachen Tränen und stolpern um den Sarg herum. Ein riesiges Durcheinander. Was meinst du, Anny?«

Sie lachte schallend. »Finde ich fabelhaft!«

Solche absurden Ideen waren typisch für ihn, ein bisschen Zirkus, ein bisschen Anarchie, und das Ganze gewürzt mit Gesangseinlagen und Artistik. Damit waren sie bei den Tschechen berühmt geworden und – wer hätte das je für möglich gehalten – inzwischen selbst bei den Deutschen, die einen Film nach dem anderen von ihnen wollten und nicht genug bekamen.

»Aber was ich nicht verstehe«, meinte sie kopfschüttelnd, »ist, wie du im Moment überhaupt an neue Filme denken kannst.«

Er sah verwundert auf. »Woran soll ich denn sonst denken?«

»Hast du gar keine Angst vor der Premiere nächste Woche?«

»Du meinst unseren ersten Tonfilm?«

»Natürlich. Das ist keine Kleinigkeit.«

Die Branche wurde kräftig durchgeschüttelt von der technischen Neuerung. Man sprach von einer neuen Ära, und niemand wusste, ob die Stummfilmstars nicht sang- und klanglos untergehen würden. »Wie kannst du dir nur so sicher sein, dass wir damit genauso erfolgreich sein werden wie mit den Stummfilmen?«, gab sie zu bedenken. »Davon hängt alles ab.« Sie deutete auf das Drehbuch auf seinem Schoß. »Auch, ob wir überhaupt neue Projekte machen können.«

»Die vom Rummelplatz«, sagte er wie zu sich selbst den Titel ihres ersten Tonfilms und lächelte versonnen beim Gedanken an die Ideen, die er hier untergebracht hatte: eine kleptomanische Frau, die ihren Ehemann in den Ruin trieb. Ein Mädchen, das auf einem auseinanderfallenden Klavier versuchte, ein Stück zu spielen. Eine Schlägerei unter Frauen, bei der es ziemlich handfest und wenig damenhaft zur Sache ging. Alles ganz nach seinem Geschmack.

Natürlich war die Premiere in seinen Augen keine große Sache. Er war ein Spieler, kein Buchhalter. Und wenn ein Film mal wieder alle Einnahmen auffraß, ließe sich zur Not ein weiteres Mal der Schmuck der Mutter verpfänden. Damit hatten sie über die Jahre reichlich Erfahrungen gesammelt.

Anfangs hatte er damit auf Anny Eindruck gemacht – ein Bonvivant mit großen Zielen, der wenig darüber weiß, wie sich grauer Alltag anfühlt –, obwohl er eigentlich nicht besonders attraktiv war. Ein bisschen zu blass, ein bisschen dicklich und mit etwas zu hoher Stirn. Inzwischen sah sie ihn mit anderen Augen. Aber Karel und sie waren Freunde und Geschäftspartner geblieben, nachdem sich die Liebe davongemacht hatte, und sie schätzte diese Freundschaft sehr.

»Ich hab einfach ein gutes Gefühl, was Die vom Rummelplatz angeht«, sagte er. »Mach dir keine Sorgen wegen der Premiere.«

»Der Film wird immerhin darüber entscheiden, ob wir den Übergang zum Tonfilm schaffen. Oder glaubst du, der Stummfilm läuft als eigenes Genre weiter, wie so viele sagen? Weil nur er die wahre Kunst verkörpert?«

»Nein, das glaube ich nicht«, meinte er entschieden. »Der Stummfilm ist tot. Sobald der Tonfilm technisch Standard ist, wird es ihn nicht mehr geben, da wette ich drauf.«

Doch das machte ihre Sorgen vor der Premiere nur größer.

»Keine Angst, Anny. Du wirst kein Tonfilmopfer werden, davon bin ich überzeugt«, behauptete er genauso bestimmt. »Deine Stimme hält stand. Keine Quietschstimme, kein Dialekt, nichts. Du schaffst den Übergang zum Tonfilm.«

»Ich hoffe nur, du behältst recht, Karel.«

Er stand auf und warf das Drehbuch auf die Chaiselongue.

»Lies dir das durch. Ich möchte gern deine Meinung dazu hören.«

Dann trat er an die Balkontür und zog sie vorsichtig auf. Von dem schreienden Kind war nichts mehr zu hören.

»Ich glaube, die Luft ist rein.«

Er trat auf den Balkon und atmete die Sommerluft ein.

»Wirklich schön hast du es hier, Anny. Auch wenn es mir ein bisschen zu verschlafen wäre.«

»Deine Wohnung am Kurfürstendamm ist auch nicht zu verachten. Und da ist kräftig was los auf der Straße.«

»Stimmt.« Er lachte. »Wer hätte das gedacht, als wir vor zwei Jahren nach Berlin gekommen sind, oder? Ich meine, in Prag waren wir berühmt, ja. Aber hier kannte uns kein Mensch. Und jetzt sind wir reich geworden, Anny.«

»Ich denke oft an die Pension am Zoo zurück, wo ich zuerst gehaust habe. Nachts strahlte die Kinoreklame ins Zimmer. Es war furchtbar laut, man konnte kaum schlafen.«

»Stell dir vor: Jetzt leuchtet dein eigener Name von den Schautafeln.«

Sie hob bescheiden die Schultern. Sie wusste selbst, wie berühmt sie geworden war in Deutschland, und dazu passte die mondäne Umgebung in Westend ganz gut, dem neuen Viertel der Künstler und Intellektuellen. Aber im Grunde war ihr all das nicht wichtig. Was sie schätzte, war, dass sie hier zur Ruhe kam.

Karel schien zu ahnen, was ihr durch den Kopf ging.

»Dass es dir hier nicht zu einsam ist«, kommentierte er. »Hast du schon den Ringelnatz kennengelernt? Den Dichter? Der wohnt doch über dir, oder?«

»Wir sagen uns Guten Tag, wenn du das meinst.«

»Ach, Anny, du kannst dich doch nicht immer so verkriechen. Ich weiß, du magst den Rummel um deine Person nicht. Die Empfänge und die Bälle. Trotzdem. Du musst mal rauskommen, was erleben. Menschen kennenlernen. Du sehnst dich doch nach …«

Er stockte … nach Liebe. Seinem mitfühlenden Blick nach zu urteilen war es das, was er hatte sagen wollen. Er konnte eben doch empathisch sein, ihr Karel. Seit sie kein Paar mehr waren, sondern Freunde und Geschäftspartner, machte er sich viel mehr Sorgen um ihre Gefühle als vorher.

»Ich weiß, du magst es häuslich«, sagte er. »Du magst eine Umgebung, wo du ganz du selbst sein kannst. Aber … wie willst du da jemanden kennenlernen? Jemanden, mit dem du eine Zukunft aufbauen kannst.«

Er sagte es vorsichtig und tastend, als wolle er ihre Grenzen nicht überschreiten. Aber es war ja kein Geheimnis, dass sie oft allein war, während er von einer Liebschaft zur nächsten taumelte. Aktuell war es eine junge Schauspielerin, deren Namen sie vergessen hatte und die sich von der Liaison vermutlich Vorteile für ihre Karriere versprach. Anny hatte den Klatsch darüber gehört.

»Wer sagt denn, dass ich jemanden kennenlernen will?«, fragte sie herausfordernd.

»Meine Liebe, das will jeder. Du lebst nur für deinen Beruf oder ziehst dich zurück. Du musst dich mal wieder verlieben.«

»Verlieben? Darauf kann ich verzichten.«

»Warum? Wer verzichtet denn auf so was?«

»Was soll dann aus meiner Karriere werden? Die Leute wollen nicht, dass eine Filmdiva Mann und Kinder hat.«

»Ach, so eine Liebelei, die muss ja nicht öffentlich sein. Das kriegen die Klatschblätter gar nicht mit, was du privat machst. Du kannst einfach …«

Weiter kam er nicht. In diesem Moment fing das Kind unter ihnen zu schreien an. Na also, dachte Anny erleichtert, Thema beendet. Sie trat zur Balkontür, um sie wieder zu verschließen. Dabei bemerkte sie, dass vorm Nachbarhaus Umzugswagen standen. Karel, der ihrem Blick folgte, sah sie ebenfalls. Arbeiter tauchten auf und schleppten ein Klavier über den Gehsteig.

»Wohnt da nicht diese ältere Dame?«, fragte er. »Wie’s aussieht, zieht sie aus. Wusstest du das?«

»Nein.« Sie schob ihn beiseite und schloss die Tür, um das Gekreische auszuschließen. »Mal sehen, wer nebenan einzieht. Hoffentlich keiner, der Lärm macht.«

Das bedauernswerte Kind unter ihnen steigerte sich so in Rage, dass die verschlossene Tür auch nicht mehr half.

»Wer auch immer da einzieht«, meinte Karel und verzog das Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen. »Schlimmer kann’s kaum werden, oder?«

Anny sah dem Klavier nach, das auf der Ladefläche des Lastwagens verschwand. Es kann immer noch schlimmer werden, dachte sie in einem Anflug von Schwermut, verkniff sich den Kommentar jedoch, weil sie wusste, dass Karel sie nur auslachen würde. Wer auch immer dort einzog, es würde nicht der Mensch sein, der ihre Einsamkeit verscheuchte. Den musste sie woanders finden.

Seufzend wandte sie sich ab und sagte: »Gut, gib das Drehbuch schon her. Ich werde es mir ansehen.«

Max

Kapitel 3

Bei seinem ersten Besuch im Roxy, frisch in Berlin-Tempelhof gelandet, nachdem ihn ein Kleinflugzeug aus Bremerhaven hergebracht hatte, trat Max mit Hut und Mantel durch die Schleuse der Bar und sah sich gespannt um, welche bekannten Gesichter ihm ins Auge fielen.

Zuerst bemerkte er jedoch einen fremden jungen Mann, der sich neben dem Eingang in einem scherzhaften Disput mit einem anderen Mann befand und drohend die Faust hob.

»Pass ma uff, watte sagst«, rief der Jüngling, »sonst hau ick dir unter de Gürtellinie, dette Weltmeister wirst!«

Schallendes Gelächter folgte, und als sich der Scherzbold umdrehte, um zu sehen, wer alles seinen fabelhaften Witz gehört hatte – schaute er Max direkt ins Gesicht.

Der Junge erkannte natürlich sofort, wer vor ihm stand, und hatte den Anstand, rot anzulaufen und verschämt zu Boden zu sehen. Doch wer wusste schon, dachte Max, ob es wirklich Anstand war und nicht vielmehr Angst vor seiner Erscheinung. Nicht umsonst hatte ihm Joe Jacobs den Spitznamen schwarzer Ulan vom Rhein verpasst. Mit seinen knapp eins neunzig, dem breiten Kreuz und den schwarzen Haaren konnte er schon beeindruckend aussehen, merkwürdigerweise in besonderem Maße, wenn er einen auf den Leib geschneiderten Anzug trug und die Noblesse des teuren Zwirns den Kontrast zu den Muskeln unterstrich.

Der Junge verkroch sich zwischen seine Freunde, woraufhin Max beschloss, ihn nicht weiter zu beachten. Trotzdem war ihm die Bar nun verleidet. Ausgerechnet im Roxy hätte er sich einen anderen Empfang gewünscht. Zudem wurde die Bar ihrem Spitznamen Vermisstenstation an diesem Abend nicht gerecht. Es waren kaum bekannte Gesichter anwesend, von guten Freunden ganz zu schweigen. Und als er den Zeitungsständer inspizierte, um es sich zuerst mal mit einem Abendblatt bequem zu machen, da wurde ihm mit Blick auf die Schlagzeilen bewusst, dass sich die Presse in Deutschland weiterhin nicht auf seine Seite geschlagen hatte.

Der Tonfall, den von Ossietzky in der Weltbühne gesetzt hatte, führte sich in allen Blättern fort. Max Schmeling, der Weltmeister im Liegen. Ein großer Witz. Die meisten Zeitungen waren voller Karikaturen und Satiren, als hätten sich alle für die Jagd auf ihn verabredet. Es gab nur wenig Stimmen, die ihn in Schutz nahmen.

Er verlor die Lust daran, im Roxy herumzusitzen, und spazierte weiter. Im Romanischen Café sah er Bertolt Brecht am Tresen stehen, einer der größten Boxfans unter den Intellektuellen in Berlin. Lustigerweise zusammen mit dessen engen Freund Paul Samson-Körner, ehemaliger Deutscher Meister und ein frühes Vorbild für Max. Zwar glaubte er nicht, dass die beiden in den Chor der Spötter einstimmen würden, wenn sie ihn sähen. Schon gar nicht Samson-Körner, der wusste, wie flüchtig die Gunst des Publikums war. Im Gegenteil, sie würden ihm sicher freudig gratulieren und ihm gut zusprechen. Trotzdem hatte Max keine Lust auf dieses Gespräch.

Lieber sah er bei Schwanneckes Weinstuben vorbei, einem exklusiven Lokal in der Rankestraße mit Biedermeiermöbeln, Stofftapeten und schweren Vorhängen, in dem sich die Berliner Theater-Prominenz traf. Hier wurde er zwar mit Glückwünschen überschüttet, kaum dass er in das verrauchte, laute und weinselige Lokal trat, denn auch diese Leute kannten die Höhen und Tiefen im Scheinwerferlicht. Er schüttelte zahllose Hände und ließ sich auf die Schulter klopfen, als wäre er ein strahlender Sieger. Trotzdem wusste jeder der Anwesenden, was im Yankee Stadium passiert war. Und je länger er inmitten von Showgirls und Theaterleuten hockte, die das Thema bei den fröhlichen Plaudereien bemüht umschifften, desto sicherer wurde er sich, dass er sich für eine Weile aus der Öffentlichkeit zurückziehen wollte.

Er brauchte ohnehin eine neue Wohnung, sein Zuhause platzte aus allen Nähten. Da konnte er die Zeit nutzen, sich darum zu kümmern.

Schon nach ein paar Tagen wurde er in Neu-Westend fündig, dem großzügigen, baumreichen Vorort, der an den Ausfallstraßen jenseits des Reichskanzlerplatzes entstand. Er hörte von einer älteren Dame, die ihre Wohnung am Sachsenplatz aufgab, und schlug sofort zu. Während also rund um die Gedächtniskirche der Trubel und die Partys unverändert weitergingen, organisierte er seinen Umzug.

Einer der ersten, der am Sachsenplatz hereinschneite, um das neue Quartier zu begutachten, war sein Freund und Trainer Machon. In Knickerbocker und mit Schirmmütze schritt er über das Fischgrätparkett durch die hallenden Räume, sah sich in den leeren Zimmern um, nickte anerkennend und trat schließlich ans Fenster, von wo aus er einen prachtvollen Blick auf den Sachsenplatz mit der gewaltigen Grünanlage hatte.

»Sag mal, Max, wohnt nicht nebenan die berühmte Anny Ondra?«, fragte er und lugte zum Platz.

Seine Stimme verriet, dass er diesen Umstand äußerst interessant fand. Es lebte eine Menge Prominenter am Platz. Doch die Ondra war die Erste, nach der er sich erkundigte. Noch so einer, dachte Max, und kommentierte leicht genervt: »Ach, die!«

»Was denn? Kennst du sie etwa persönlich?«

»Sie nicht, aber ihr Kind. Und das geht mir gehörig auf die Nerven, kann ich dir sagen.«

Max öffnete seine Balkontür und lauschte. Er wollte das übliche Geschreie vorführen, doch heute herrschte ausnahmsweise Ruhe.

»Was denn für ein Kind?«, fragte Machon überrascht.

»Es schreit nervtötend. Die meiste Zeit jedenfalls. Ständig steht da ein Kinderwagen auf ihrem Balkon. Glaub mir, das wird selbst der ausgeglichenste Mann zum Berserker.«

Machon sah stirnrunzelnd zum Nebenhaus, wo weder die Ondra noch der Kinderwagen zu sehen waren. Als bedauere er, das Kind der Ondra nicht mit eigenen Augen sehen zu können.

Unten auf dem Pflaster stand der leuchtend-blaue Cadillac seiner Nachbarin. Mit dem livrierten Chauffeur, der mit Hingabe die Kotflügel polierte, hatte er schon Bekanntschaft gemacht. Als Max mit seinem schlammbespritzten Lancia vorgefahren war, hatte der ihm Blicke zugeworfen, die er, als Junge aus dem Armenviertel, mit seiner schäbigen Kleidung von reichen Hamburgern geerntet hatte. Nicht das Fahrzeug und schon gar nicht dessen Pflege konnten mit dem Cadillac der Ondra mithalten.

Kurz erwägte er, Machon mitzuteilen, dass die Diva zu Hause sei, wenn ihr Automobil vor der Tür stand. Dann überlegte er es sich anders.

»Du bist aber nicht hier, um über die Ondra zu reden, oder?«, fragte er.

»Nein. Vor allem möchte ich wissen, was deine Leiste macht. Du warst doch im Krankenhaus in Moabit.« Machon hockte sich auf das nackte Sofa, das als einziges Möbelstück im Salon stand, zückte eine Zigarre aus der Jacketttasche und bearbeitete die Spitze mit dem Schneider. »Was sagt Professor Baetzner?«, fragte er, während er sich Feuer gab und paffend den Qualm in die Luft stieß. »Er hat sich die Sache doch angesehen?«

»Das hat er«, bestätigte Max. »Der Tiefschlag hat meiner Leiste ziemlich zugesetzt.«

»Und was heißt das?«

»Ich muss mich schonen und mein Training abstimmen.«

»Du hast also ein offizielles Attest.«

Max nickte bedächtig. Er wusste selbst, was das bedeutete. Zunächst einmal bewies es den Tiefschlag. Die Disqualifizierung von Sharkey wurde dadurch rechtmäßig.

»Es zeigt, dass ich Weltmeister bin.«

»Soweit ein Attest als Beweis herhalten kann«, wägte Machon ab. »Du weißt ja, da wird einem oft Kungelei mit den Ärzten unterstellt.«

»Meinetwegen kann das jeder Arzt der Welt überprüfen«, blaffte Max. »Ich hab mir das ja nicht eingebildet.«

»Das weiß ich doch!«, winkte er ab.

Wichtiger war dieses Attest ohnehin aus einem anderen Grund. Denn der Vertrag, den Max in Amerika unterschrieben hatte, sah vor, dass er den Titel noch in diesem Jahr verteidigte. Einen weiteren großen Kampf würde er mit der Verletzung nicht durchstehen. Es war unmöglich.

»Mit dem Attest können wir den Kampf vielleicht verschieben«, sagte Machon. »Sonst musst du in wenigen Monaten erneut um den Titel kämpfen.«

Max brauchte Erholung. Wenn er nicht genesen wäre, hätte er keine Chance, egal gegen wen.

»Das wird denen in New York gar nicht gefallen«, sagte er. »Ich mache mir damit eine Menge Feinde.«

»Ich weiß. Die in Amerika haben ohnehin keine Lust auf einen Weltmeister im Ausland. Du bist zu weit weg, und man hat zu wenig Kontrolle über dich.«

»Und wenn ich nun mithilfe eines Attests die Titelverteidigung aufs nächste Jahr verschiebe, dann werde ich diese Befürchtung nur bestätigen.«

»Joe Jacobs ist vor Ort«, sagte Machon. »Der kümmert sich schon darum. Und er wird deinen Titel ordentlich ausschlachten, du kennst ihn ja. Nächstes Jahr kennt dich jeder. Dann jubeln sie dir zu und nicht mehr deinem Gegner, egal gegen wen du antrittst. Du solltest warten. Wenn du jetzt kämpfst, dann ist die Gefahr, dass du verlierst, zu groß.«

Und die ganze Weltmeister-Nummer würde erst recht ein Witz werden. Er wäre auf ewig blamiert. Es war eine verfahrene Situation.

»Darüber müssen wir nachdenken«, sagte er. »Und uns mit Joe besprechen. Denn wie soll ich wissen, ob in den nächsten Monaten in New York …«

Weiter kam er nicht. Draußen fing in ohrenbetäubender Lautstärke ein Kind an zu schreien. Machon zuckte regelrecht zusammen. Er wandte sich verwundert zum Balkon.

»Siehst du, was ich meine?«, kommentierte Max, der aufstand, um die Balkontür zu verschließen. »Schöne Grüße von der Ondra.«

Er sah auf die Uhr und seufzte.

»Ich habe eh nicht länger Zeit«, meinte er. »Wir müssen ein andermal weitermachen. Ich bin verabredet.«

»Verabredet? Etwa mit einer Dame?«

»Nicht mit irgendeiner. Mit Olga.«

»Die Tschechowa«, schwärmte Machon. »Ich muss schon sagen, Max. Du lässt nichts anbrennen.«

»Unsinn. Wir sind nur gute Freunde.«

»Nur Freunde?« Das schien für ihn schwer vorstellbar, dass ein Mann mit der verruchten Filmdiva nur befreundet sein wollte. »Deine Freunde möchte ich haben.«

»Hast du doch«, lachte Max. »Du kannst jederzeit mitkommen, wenn du Lust hast. Aber ich muss mich jetzt beeilen, komm schon.«

Machon drückte die Zigarre an der Fensterbank aus. Er sah betont distinguiert zum Balkon, doch Max erkannte seine Enttäuschung über die Entzauberung der Ondra angesichts des Geplärres.

»Diesen Rauswurf nehme ich mal nicht persönlich«, sagte er. »Wenn du willst, nehm ich dich mit dem Automobil mit in die Stadt. Was hast du denn vor mit der Tschechowa?«

»Wir gehen in ein Lichtspielhaus.«

Seit seiner Arbeit als Schauspieler, bei der er Olga Tschechowa als Filmpartnerin kennengelernt hatte, war es ihnen zur Gewohnheit geworden, gemeinsam Filme zu sehen und anschließend im Café darüber zu diskutieren.

»Was wollt ihr euch ansehen?«, fragte Machon.

»Olga hat sich einen Film ausgesucht. Ich weiß gar nicht, worum es da geht.«

Bei einem Blick durchs Fenster sah er, dass ein Dienstmädchen auf den Balkon trat und sich um das schreiende Kind kümmerte. Na, endlich.

»Dann will ich dich nicht länger aufhalten«, sagte Machon. »Eine Diva lässt man nicht warten.«

Max nahm seine enge Jacke, die er modisch zur weiten Hose trug, setzte sich einen Filzhut auf und prüfte den Aufzug rasch im Spiegel.

»Einen guten Kumpel genauso wenig«, lachte er, und damit traten sie aus der Wohnung.

Max

Kapitel 4

Er ließ sich von Machon an der Ecke Kurfürstendamm absetzen. Es war ein herrlicher Sommertag, deshalb beschloss er, die letzten Meter zu Fuß zu gehen. Sonnenflecken tanzten auf dem Pflaster unterhalb der Baumkronen, bimmelnd zog eine Straßenbahn vorbei, und an den stuckverzierten Häusern flatterten im Sommerwind schmale Markisen.

Vorm Café Schilling entdeckte er Olga unter den Sonnenschirmen an einem Bistrotischchen sitzen. Mit ihrem taillierten Sommerkleid mit eng anliegendem Gürtel, dem auffälligen Hut mit Schleier und Feder und der Zigarettenspitze in der Hand sah sie aus wie die perfekte Diva. Niemand hielte es für möglich, dass sie zudem ein Pfundskerl war, mit dem sich Pferde stehlen ließen.

Der Film, bei dem sie sich kennengelernt hatten, hieß Liebe im Ring. Es war sein Debüt als Schauspieler und ein ziemliches Abenteuer gewesen. Er spielte die Rolle eines Boxers, der zu Ruhm gelangt – und hatte sich ganz gut geschlagen, glaubte man den Leuten aus der Branche. Auch wenn die Zeitungen lieber darüber spotteten, dass ein Sportler vor die Kamera trat, interessierte ihn das nicht. Er hatte die Arbeit geliebt und würde es jederzeit wieder tun.

Als er sich zu Olga an den Tisch setzte, sahen sich die Leute verstohlen um, sicher hauptsächlich wegen ihr, der großen Tschechowa, die natürlich alle kannten. Jedoch waren sie hier am Kurfürstendamm, wo alle viel zu kultiviert waren, um einzuräumen, die Anwesenheit der Diva wahrgenommen zu haben. Lieber gaben sie sich unbeeindruckt und schielten heimlich aus den Augenwinkeln.

»Sie denken, du bist mein Liebhaber«, sagte sie schelmisch. »Wir könnten das berühmteste Paar des Landes sein, das weißt du hoffentlich.«

Er lachte. »Ich glaube eher, sie fragen sich: Wer ist dieser unbekannte Schauspieler, den die große Tschechowa da aushält?«

»Als wenn du so unbekannt wärst«, protestierte sie. »Wenn du eine Zeitung verkaufen willst, setzt du am besten den Namen Max Schmeling groß auf die Titelseite.«

»Ob sich die Leute hier für Boulevardzeitungen interessieren?« Er sah sich auf der sommerlichen Terrasse um. »In der feinen Gesellschaft gilt Boxen immer noch als Sportart für die Unterschicht.«

»Na, egal. Dann kennen sie dich eben aus Liebe im Ring«, sagte sie kokett. »Und sie erkennen dich vor allem an deiner tiefen und dunklen Stimme.«

Darüber musste Max laut lachen, denn der Regisseur, der ihn unbedingt dabeihaben wollte, hatte versprochen, es sei nur ein Stummfilm und deshalb nicht so schwer zu spielen. Nach Beginn der Dreharbeiten entschied man sich jedoch dazu, doch einen Tonfilm zu drehen, was ihm einiges abforderte, und als wäre das nicht genug, sollte am Ende sogar ein Schlager von ihm eingesungen werden: Das Herz eines Boxers.

»Du meinst wegen meiner Gesangsleistung?«, feixte er. »Dann würden sie eher mit faulen Eiern werfen, wenn sie mich daher kennen.«

»Hör schon auf. So schlimm war es doch gar nicht.«

»Wenn eine Katastrophe nicht schlimm ist, dann gebe ich dir recht.«

»Kurt hat ein ordentliches Lied daraus gemacht.«

In der Tat. Der berühmte Sänger und Komiker Kurt Gerron, der ebenfalls bei den Dreharbeiten dabei gewesen war, hatte die Chose mit seinem Einsatz gerettet. Er hatte Max empfohlen, es mit Sprechgesang zu versuchen und mit dem Rhythmus zu arbeiten statt mit der Melodie, wodurch das Ergebnis einigermaßen vorzeigbar wurde, auch wenn Max eingestehen musste, dass er als Sänger niemals Karriere machen würde.

»Man mag das Lied durchaus, das höre ich überall«, insistierte sie. »Mir selbst gefällt es ebenso.«

»Die Stellen, an denen Kurt singt«, räumte er ein, »die sind ordentlich, das stimmt.«

Sie schlug spielerisch mit einer Servierte nach ihm. »Lass das. Es gibt keinen Grund, sich zu schämen.«

Eine junge Kellnerin mit Haube und weißer Schürze trat diskret an den Tisch, und Max bestellte einen Kaffee. Sie machten es sich gemütlich und sprachen über Olgas Filmprojekte und seine Misslichkeiten nach dem Boxkampf gegen Sharkey, dann zahlten sie und bummelten zum Zoo. Sie erreichten die quirligen und belebten Straßenzüge rund um die Gedächtniskirche, wo seit Neustem alle hundert Meter ein Lichtspielhaus zu finden war. Der Ufa Palast am Zoo, das Capitol Theater und mittendrin, gleich gegenüber der Gedächtniskirche, das wuchtige Schlachtschiff der Unterhaltung, das Gloria-Theater. Das Haus war einer Burg nachempfunden, mit düsteren Zinnen und mittelalterlichen Fassadenfiguren, und auf dem Dach dieser Trutzburg der Unterhaltung strahlten weithin Leuchtbuchstaben: Gloria-Theater.

Olga lief auf das Eingangsportal zu und deutete auf eines der Filmplakate. »Da möchte ich rein«, rief sie begeistert. »Die vom Rummelplatz!«

»Wenn es das ist, was du willst …«

Er trat näher und betrachtete ebenfalls das Plakat. Da bemerkte er, wer die weibliche Hauptrolle spielte.

»Anny Ondra«, stellte er irritiert fest.

»Sie ist jetzt deine Nachbarin, oder? Die soll darin eine Bombenrolle haben. Komm, Max, kannst sie dir mal im Kino angucken.«

Auf die Ondra hatte er wenig Lust.

»Ich weiß nicht. Lass uns lieber in was anderes gehen.«

»Aber ich will mir unbedingt ihren neuen Film ansehen. Es ist ihr erster Tonfilm! Ich will wissen, wie sie sich schlägt.«

»Kennst du sie denn persönlich?«

»Natürlich. Wir haben in Prag zusammen gedreht.«

Max warf einen Blick zum Capitol Theater, an dem eine Tram vorbeiratterte, um zu sehen, was dort gegeben wurde.

Ende der Leseprobe