Mit Flugzeug, Faltboot und Filmkamera in den Eisfjorden Grönlands - Ernst Sorge - E-Book

Mit Flugzeug, Faltboot und Filmkamera in den Eisfjorden Grönlands E-Book

Ernst Sorge

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Beschreibung

Der Freiburger Arnold Fanck hatte Ende der 1920er Jahre als Regisseur von Filmen wie »Die weiße Hölle vom Piz Palü« und »Stürme über dem Montblanc« Weltruhm erlangt. Hollywood engagierte ihn deshalb 1932 für den auf Grönland gedrehten Film »S.O.S. Eisberg«. Es sollte das bis dato teuerste und aufwändigste Projekt der Filmgeschichte werden. Weil Grönland damals von den dänischen Behörden für Touristen bzw. Ausländer gesperrt war, wurden die Dreharbeiten mit Hilfe des Ethnologen und Polarforschers Knud Rasmussen, der die Schirmherrschaft für den Film übernahm, als wissenschaftliche Expedition deklariert. Auch wurden die Wissenschaftler Fritz Loewe und Ernst Sorge engagiert, zwei Teilnehmer von Alfred Wegeners bedeutenden Grönlandexpeditionen. Neben dem berühmten Flieger Ernst Udet trat Leni Riefenstahl als Schauspielerin in »S.O.S. Eisberg« auf. Als Filmregisseurin übernahm sie später die von Fancks Freiburger Schule entwickelten Techniken bzw. Kameraeinstellungen. Ernst Sorges Buch erzählt von den Filmarbeiten in Grönlands überwältigender Landschaft, den wissenschaftlichen Erkundungen, von Gletscherkalbungen und liefert en passant ein interessantes Detail zu Leni Riefenstahls früher Hitler-Verehrung.

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Meinen Expeditionskameraden

So sah Udet mich am Rinkgletscher, nicht sehr schön, aber wahr. – Links unten einige Worte von Knud Rasmussen auf Dänisch und Grönländisch. (Übersetzung am Anfang von Seite →)

Inhaltsverzeichnis

VORWORT

MITGLIEDER DER EXPEDITION

NACH UMANAK

FILMEN IM EIS

UMIAMAKO

KALTE BÄDER

KAJAKSZENEN UND FLÜGE

DIE KOMÖDIE

FALTBOOTFAHRTEN IM EISFJORD

RINKGLETSCHER

KAMERADEN

EISBÄRSZENEN

NUGATSAK

TONFILM AM RINKGLETSCHER

FILMARBEIT AUF EISBERGEN

NOCHMALS ZU DEN GROSSEN GLETSCHERN

ARBEIT IM FLUGE

ENDE GUT, ALLES GUT

VORWORT

Im Sommer 1932 ging die Deutsche Universal-Dr.-Fanck-Expedition nach Grönland. Sie hatte ein doppeltes Ziel:

Filmaufnahmen der grönländischen Eisfjorde, dabei die Herstellung des Films »SOS-Eisberg« und einer Komödie.

Wissenschaftliche Untersuchungen grönländischer Fjorde und Gletscher.

Dr. Fanck, der Schöpfer so vieler herrlicher Hochgebirgs- und Sportfilme, hatte in den Alpen das Thema »Schnee und Eis« mit so überragender Kunst und Echtheit gestaltet, dass es im Hochgebirge wohl nicht mehr zu steigern ist. Einzig in den Polargebieten, wo das Eis zur beherrschenden Naturkraft wird, taten sich neue Möglichkeiten auf. So stellte sich Dr. Fanck die Aufgabe, das Leben der Eisberge im Film darzustellen. Die Größe der dabei entfesselten Naturgewalten kann von den Menschen auf zweierlei Weise erfasst werden: entweder dadurch, dass wir sehen, wie Menschen mit diesen Naturgewalten ringen, oder durch wissenschaftliche Messungen. Beides ergab die natürliche Arbeitsteilung der Expedition. Der Film behandelt das Schicksal einer Polarexpedition in den Eisfjorden Grönlands. Die wissenschaftlichen Untersuchungen ergaben neue Erkenntnisse über die Bildung der Eisberge und die Erd- und Meereskunde der Fjorde. Der Bericht über die Filmarbeiten unterdrückt viele Einzelheiten; aber nicht aus dem Grunde, weil sie weniger wichtig als die wissenschaftlichen sind, sondern weil ein inneres Gefühl mich hindert, in Feinheiten künstlerischer Gestaltung einzudringen, deren Darstellung allein den Künstlern unserer Expedition überlassen bleiben muss. Soviel darf aber auch der Wissenschaftler sagen: Dr. Fanck hat zusammen mit seinen Begleitern die grönländische Natur und den grönländischen Menschen im Film gleichsam lebend mit heimgebracht, und zwar in einer Schönheit und Echtheit, die allen Menschen mit unverbildetem Naturgefühl Staunen abnötigt. Dieser Film kann nicht mit der Dutzendware der Atelierfilme verglichen werden, die ebenso schnell verschwinden wie sie gedreht worden sind. Er ist das Tagebuch einer ernsten Expedition, das Bekenntnis eines Künstlers. Er ist uns Expeditionsteilnehmern heilig!

Unlösbar verbunden mit dem künstlerischen Gehalt ist der wissenschaftliche. Der Expeditionsfilm stellt Bewegungsvorgänge der Arktis dar, die bisher kaum bekannt waren, geschweige denn mit den bisherigen unzureichenden Hilfsmitteln festgehalten werden konnten. Die Bilder dieses Buches können freilich die Bewegungen nicht wiedergeben. Sie zeigen aber wenigstens Ausschnitte aus dem Expeditionsleben und die Wesenszüge der grönländischen Fjordlandschaft und ihrer Bewohner.

Gern danke ich allen, die zum Gelingen der Expedition beigetragen haben: der dänischen Regierung, die uns die Einreise nach Grönland erlaubte und durch ihre Beamten der Expedition wertvollste Hilfe leistete; dem Präsidenten Universal Pictures Corporation, New York, Carl Laemmle, der auf Dr. Fancks Idee vertrauensvoll einging, in Grönland einen großen Film drehen zu lassen, und die Kosten des Unternehmens trug. Ferner den Angestellten der Deutschen Universal-Film-Aktiengesellschaft, die mit unermüdlichem Eifer die Expedition vorbereiteten. Schließlich meinen Expeditionskameraden, die mehr als alle anderen für die Expedition taten, denn sie haben ihr Leben eingesetzt. Wenn alle wieder gesund zurückgekehrt sind, wird das nur zu leicht wieder vergessen. Besonders alle jungen Menschen, die dies lesen, sollen wissen, wem der gewaltige Expeditionsfilm in erster Linie zu verdanken ist; eben denen, die ihn draußen gedreht haben.

Dem Verlag gebührt mein Dank, weil er durch die schöne Ausgabe dieses Buches nach Kräften dazu beigetragen hat, die Arbeit einer deutschen Expedition und die Schönheit eines Landes bekannt zu machen, das schon vor tausend Jahren das Ziel germanischer Seefahrten war.

Ernst Sorge

MITGLIEDER DER EXPEDITION

Dr. Arnold Fanck, Leiter der Expedition

Dr. h. c. Knud Rasmussen, Protektor

Leni Riefenstahl, Darstellerin

Ernst Udet, Darsteller

Sepp Rist, Darsteller

Dr. Max Holsboer, Darsteller

Gibson Gowland, Darsteller

Walter Riml, Darsteller

Gustav Lantschner, Darsteller

Jarmila Marton, Darstellerin

Dr. Fritz Loewe, wissenschaftlicher Beirat

Dr. Ernst Sorge, wissenschaftlicher Beirat

Manfred Kraus, Motorbootführer und Funker

Franz Kelbl, Motorbootführer und Funker

Werner Klingler, Regieassistent

Emma Langberg, Sekretärin

Elisabeth Kind, Sekretärin

Karl Buchholz, Aufnahmeleiter

Franz Schriek, Flieger

Erich Baier, Flugmonteur

Hans Schneeberger, Operateur

Richard Angst, Operateur

Walter Traut, Hilfsoperateur

Luggi Foeger, Hilfsoperateur

Ferdinand Vogel, Standphotograph

Zoltan Kegl, Tonmeister

Charles Metain, Tonmeister

Guiseppe Marinucci, Koch

David Zogg, Alpinist

Fritz Steuri, Alpinist

Hans Ertl, Alpinist

Dr. Karl Georg Fuhrmann, Arzt

Karl Herbig, Tierwärter

Andrew Marton, Leiter der Komödie

Louis Adlon jr., Regieassistent

Elloya Illing

Gisela Lindeck-Schneeberger

Else Loewe

Gerda Sorge

»Die wahre Weisheit findet sich fern von den Menschen, draußen in der großen Einsamkeit, und sie kann nur erlangt werden durch Leiden. Entbehrungen und Leiden sind die einzigen Wege, den Sinn eines Menschen für das zu öffnen, was anderen verborgen ist.«

Diese Worte müssen am Anfang der Expeditionsgeschichte stehen. Ein kanadischer Eskimo sprach sie einst zu Knud Rasmussen. Der schrieb sie mir mit bedeutsamer Absicht in mein Liederbuch, als meine Kameraden mich von dem Hungerplatz am Rinkgletscher erlöst hatten. Ich schreibe sie nun für meine Kameraden und für alle Menschen auf, die in das Leben und die Seele einer Grönlandexpedition hineinschauen wollen.

Leiden bedeutet nicht, dass wir in Grönland mit hängenden Köpfen dasaßen. Wo Kameradschaft ist, herrscht Frohsinn. Das galt bei uns ebenso gut wie bei den Eskimos. Doch im Hintergrunde des fröhlichen Lebens lauert das Eismeer mit seinen Gefahren; und wo Menschenleben eingesetzt werden, herrscht Ernst! Schnell und schroff wechseln Ernst und Frohsinn miteinander ab. Daher die Spannung des arktischen Lebens. Leiden im Sinne des Eskimowortes bedeutet auch nicht Waffenstrecken vor der Härte des Daseins; es hat mit dem Buddhismus nichts zu tun. Der Mensch der Arktis muss kämpfen oder sterben. Jeder Ruderschlag im Kajak, jeder Peitschenschlag auf den Hundeschlitten ist ein Ringen ums Leben. Einsamkeit macht den Menschen nachdenklich, Leiden schärft seine Einsicht, Leiden stählt seinen Willen zum Sieg, Leiden erzieht ihn zum Mannestum. Und wenn eine Expedition nicht untergehen will, muss sie daran glauben, dass jedes Leiden zum Besten dient, und muss – fröhlich sein! –

NACH UMANAK

Man sollte in einem Buch nicht zu viel die Vorbereitungen einer Polarexpedition schildern. Erstens steht alles schon in Büchern drin, und zweitens kann jeder, der etwas Ähnliches plant, in den Bestelllisten nachsehen oder nachfragen, wieviel Lebensmittel, Kleidung, Werkzeug, Instrumente, Ausrüstung usw. wir mithatten und wie sich alles bewährt hat. Was uns Firmen umsonst zur Verfügung stellten, war natürlich erstklassig.

Auch die Geschichte der Expedition, bevor sie losgeht, ist schon vielmals beschrieben worden. Es dreht sich dabei immer um zahllose unerquickliche Arbeiten, für deren Erledigung man den davon Betroffenen nur danken kann: Kabeltelegramme, Briefe, Ferngespräche, Reisen, Bestellungen, Verabredungen, Missverständnisse, Abänderungen, Verträge, Geldsendungen, Zollformalitäten, Geschäfte usw. Und es soll auch Leute geben, für die eine Expedition nicht ein Ringen um das Ziel einer großen Sehnsucht, sondern eine wahrhafte Melkkuh bedeutet.

Wer aber nach Grönland mitfuhr, war von dem Gefühl beseelt, dass dort nicht das Geld regiert – so notwendig es auch für die Expedition ist –, sondern die Leistungsfähigkeit des Menschen. Turmhoch steht dort die anfeuernde Kraft einer sittlichen, künstlerischen oder wissenschaftlichen Idee über der Macht des Mammons; es würde für manchen Menschen eine gesunde Kur sein, im Norden seinen verbogenen Lebensmaßstab wieder gerade zu richten. Mancher würde zerknicken, mancher glücklicher werden!

Es erwies sich bald als sehr vorteilhaft, dass auf der Expedition keine eigentlichen Schauspieler, am wenigsten Filmstars dabei waren, die mit ihren ungeheuren Ansprüchen an Behandlung und Geld so eine Expedition glatt zum Scheitern gebracht hätten. Im Gegenteil: Alle Menschen, die mitgingen, waren in erster Linie von dem Gefühl beseelt, dass hier eine Gruppe von kameradschaftlich eingestellten Menschen einzig und allein um einer großen Sache wegen, und nicht um der Einzelperson, wegen zusammenarbeiten sollte.

Es gibt wohl keine Expedition, bei der nicht am Schluss der Vorbereitungen ein großes Gehaste und Getobe ausbricht, so dass alle wie erlöst aufatmen, wenn der Dampfer endlich seine Trossen los wirft und den heimatlichen Hafen, in diesem Falle Hamburg, verlässt. Es ist ganz merkwürdig, wie ähnlich sich alle Expeditionsberichte in diesem Punkte sind. Unser Schiff – ein 2000t Frachtdampfer – hieß »Borodino« und war für unser »Filmpack« reichlich groß, so groß, dass Ernst Udet bequem nach der Scheibe schießen, dass man Tischtennis spielen konnte, und dass unsere Ladung in den riesigen Lasträumen ganz hübsch durcheinander kullerte. Nur an Kabinen war Mangel, so dass manche von uns in den Mannschaftsräumen schlafen mussten.

Eine der ersten Fragen der »Neuen« war natürlich: »Wie fährt man nach Grönland?« – »Sehr einfach, von Schottland immer nach Westen und dann zweite Querstraße rechts.« Das stimmt nämlich wirklich, die erste ist die Dänemarkstraße und die zweite ist die Davisstraße, und da mussten wir hinein. Die Westküste Grönlands ist nämlich nicht so stark durch Eis blockiert wie die Ostküste, und darum ist es sicherer und bequemer, an der Westküste zu arbeiten und zu filmen. Das Eis reicht auch da für jeden Bedarf.

Hinter Schottland probierten bereits einige von uns die Mittel gegen Seekrankheit aus, die uns unser dänischer Arzt Dr. Fuhrmann angelegentlich empfahl. Es machte keinen großen Unterschied, ob man die Mittel vor oder nach der Seekrankheit einnahm.

Ich gestehe, dass ich einer Seereise nicht viele Reize abgewinnen kann. Es ist zwar immer wieder ein großartiges und eindrucksvolles Bild, wenn man auf der Brücke steht und die gewaltigen Wogen des Atlantik um das Schiff herum rollen und schäumen sieht, aber die Stimmung, die das ewige Einerlei des Zitterns und Brummens der Schiffsmaschinen hervorbringt, und die dösige Stimmung, in die man allmählich hinein geschaukelt wird, erzeugen bei mir bald einen Landhunger. Diesmal war es nun nicht so schlimm, denn wir hatten einen unerschöpflichen Gesprächsstoff, das Filmmanuskript. Schon in der Nordsee lagen wir uns deshalb in den Haaren; dem einen schien dies, dem anderen das unmöglich. Der einzige, dem alles möglich schien, war natürlich Dr. Fanck, der sich hierbei mit vollem Recht auf die anfeuernden Worte des Präsidenten der Universal Pictures Corporation, Carl Laemmle, berufen konnte: »It can be done.« Dieser Spruch hat noch manchmal Wunder gewirkt, wenn irgendetwas schief zu gehen drohte.

Allgemeiner Teilnahme erfreute sich unser kleiner zoologischer Garten, der auf dem Verdeck eingerichtet und jederzeit ohne Eintrittskarte zugänglich war. Es war ein sehr glücklicher und filmisch gesehen überaus kluger Gedanke von Dr. Fanck gewesen, drei Eisbären und zwei Seehunde von Hagenbeck mitzunehmen. Es klingt zunächst etwas lächerlich, Polartiere wieder in ihre Heimat mitzunehmen, um sie dort zu photographieren. Der Verlauf der Expedition hat Dr. Fanck jedoch völlig Recht gegeben. Wir wären mit den Aufnahmen wilder Eisbären niemals in einem Sommer fertig geworden. Und schließlich waren es ja richtige Eisbären, warum sollte man also nicht Zeit und Kosten sparen? Die zehn Tage Seefahrt genügten jedenfalls längst nicht, um über die zukünftige Statistenrolle der Tiere ins Klare zu kommen. Da meinte einer: »Wir kriegen unsere Eisbären ja niemals aus dem Käfig«, der Zweite: »Wir kriegen sie niemals wieder in den Käfig«, der Dritte: »Mit den Eisbären ist überhaupt nichts zu machen, die haben längst das Schwimmen verlernt«, der Vierte: »Wir kriegen die Eisbären nie vor die Kamera, die schwimmen gleich auf und davon«, der Fünfte: »Die Eisbären denken nicht daran, auf die Eisberge zu klettern«, der Sechste: »Wenn sie erst oben sind, werden sie nie von selbst wieder herunterkommen«, der Siebente: »Das wird ein schöner Betrieb werden, wenn die auf uns losgehen«, schließlich der Achte: »Die Eisbären werden sich vor Angst überhaupt nicht rühren.« (Nebenbei war Richard Angst unser zweiter Operateur!) Gefährlich konnten sie uns im Ernst jedenfalls nicht werden. Denn unsere Sportsleute und Alpinisten hatten ein ganzes Waffenarsenal mitgebracht zum Schutz gegen die Eisbären, aber mehr noch vielleicht, um auf die Jagd zu gehen. Tommy, Jimmy und Charlie – so hießen die Eisbären – waren die Lieblinge der Frauen, vergalten diese Liebe aber nicht so, wie es sich Damen gegenüber eigentlich schickt. Leni Riefenstahl pflegte die Bären mit Zucker zu füttern und einmal, als sie dabei nicht genügend aufpasste, hatte der Bär mit seiner Tatze schon ihren Fuß erwischt und riss ein tüchtiges Stück aus ihrem Stumpf heraus. Oder sollte das nur eine besondere Freundschaftsbezeugung sein?.

Der Dompteur Carl Herbig, unser Ältester, dem wohl manch ernste Lebenserfahrung eine tüchtige Dosis Skepsis verabfolgt hatte, meinte dann: »Ach Jotte doch, Frollein Riefenstahl, dat is doch nischt. Mit die Tiere hier nochmal nach Grönland ruff, in die kleine Käfige, ohne richtige Bewegung, da muss so’n Tier ja tück’sch werden.« Und in der Tat, was den Eisbären an Bewegung fehlte, suchten sie zu ersetzten durch Pendeln mit dem Kopf und stundenlanges Kratzen mit der Tatze auf dem blechernen Boden des Käfigs. Wohnungsnot ist nie sehr schön, aber schließlich sollte es ja nur zehn Tage dauern, und dann hat ein Eisbär wirklich ein dickes Fell und seine Nerven werden auch nicht von Pappe sein.

Viel empfindlicher waren die Seehunde. Der eine starb aus unerklärlichen Gründen unterwegs, der andere allerdings, unser guter August, wurde so fett, dass er nachher, in Grönland angekommen, kaum mehr tauchen konnte.

Jeden Mittag wurde auf der Seekarte der Ort unseres Schiffes eingetragen, und es war ein beglückendes Gefühl für uns, wie schnell wir vorankamen. Die meisten, die nicht in Grönland gewesen sind, stellen sich unter diesem Lande gewöhnlich Eis und Schnee vor, und je länger unsere Fahrt dauerte, desto eifriger wurde der Horizont nach den sehnlichst erwarteten Eisbergen abgesucht. Man konnte kaum noch ruhig bei Tisch sitzen und essen, gar zu leicht stürzte einer mit dem alarmierenden Ruf herein: »Endlich der erste Eisberg«, und dann war es doch wieder nichts. Und das ging immer so weiter, bis es doch einer war, und dann kamen gleich Dutzende. Das war ein Fressen für die Photographen. Man konnte wirklich denken, dass etwas nie Wiederkehrendes der Nachwelt aufbewahrt werden sollte. Das ist aber die einzig richtige Einstellung auf Expeditionen. Von da ab hatten wir das Gefühl: jetzt sind wir in Grönland, jetzt sind wir »Polarfahrer«. Die Bärte schossen schon ganz hübsch in die Länge, so dass die Einfahrt ins Polargebiet durchaus »zünftig« verlief. Einen Tag später waren die Eisberge wieder außer Sicht, da wir uns immer weitab von der Küste hielten.

Ein Sturm hatte eingesetzt, und ein großer Fischdampfer, »Arctic Prince«, von mindestens 4000 Tonnen hat uns radiotelegraphisch um ärztliche Hilfe gebeten, da der eigene Arzt krank geworden war. Bald kam der Dampfer in Sicht, wir stoppten, ein Motorbeiboot kam längsseits, und Dr. Fuhrmann kletterte die Strickleiter hinunter und fuhr hinüber, begleitet von allen, die den hohen Wellengang nicht fürchteten. Es war nämlich wirklich nicht ganz ohne, da das kleine Boot vollkommen offen war und die Wellen so hoch gingen, dass es zwischen ihnen jeden Augenblick verschwand.

Auf dem »Arctic Prince« gewannen wir dann ein eindrucksvolles Bild davon, mit welch modernen Hilfsmitteln die Fischerei heute betrieben wird. Mit Netzen wurden Heilbutte von über 1 m Länge zu Tausenden gefangen und in Fässern eingesalzen. Das Leben auf den Fischdampfern, die monatelang draußen auf hoher See bleiben, ist aber trotz aller technischen Fortschritte hart und entbehrungsreich. Und gerade ein Zwischenfall wie dieser, bei dem es sich herausstellte, dass der Arzt schwere Lungenentzündung bekommen hatte und schleunigst an Land hätte gebracht werden müssen, zeigt Berufsgefahren, an die man zunächst gar nicht denkt.

Zum Dank für die Hilfe erhielten wir ein paar Zentner Heilbutt geschenkt, und die frischen Fische bildeten von nun an unser tägliches Frühstück. Schon jetzt merkte jeder, dass frische Lebensmittel in der Arktis unvergleichlich besser schmecken als die allerfeinsten Konserven.

Wir näherten uns nun Godhavn, der Hauptstadt von Nordgrönland. Die Küste der Insel Disko erhob sich mauergleich aus dem Meer. An den schwarzen, über 1000 m hohen Basaltfelsen sieht man von oben bis unten lauter waagrechte Linien. Sie geben die einzelnen Lavaströme an, die sich hier vor langer Zeit über die ganze Landschaft ergossen haben. Heute sind die Lavadecken nur noch in kleinen Resten erhalten, und die übrig gebliebenen Gebirgsklötze sind durch die Verwitterung stark zerschluchtet und in Spitzen und Türme aufgelöst, so dass einzelne Massive wie zinnengekrönte Burgen aussahen. Außer den schwarzen Felsen sieht man aus größerem Abstand nur noch weiße Schneeflecken und Schneebänder, wodurch die waagrechte Schichtung noch betont wird. Erst wenn man ziemlich dicht an die Küste herankommt, erkennt man den feinen grünen Hauch, mit dem die unteren Hänge überkleidet sind. Es gibt ja hier keine Wälder mehr. Niedriges Gebüsch, Moospolster, Gräser und Heidekraut bilden die Pflanzenwelt. Beim ersten Landausflug ist man aber doch erstaunt über den Reichtum an Blumen, und gerade als wir zum ersten Mal landeten, standen die Zwergweiden in voller Blüte; jeder Zweig war mit den reizenden Weidenkätzchen geschmückt.

Godhavn war nicht das Ziel unserer Expedition. Aber es ist der Sitz der Regierung von Nordgrönland. So stellten wir uns selbstverständlich dem Gouverneur, Landsvogt Rosendahl, vor und verabredeten mit der Radiostation für später Funkzeiten. Wenige Stunden danach schon fuhren wir weiter nach Norden und erreichten am nächsten Tage unser Hauptziel, Umanak.

Umanak ist ein kleine Insel. Die Landschaft sieht hier ganz anders aus als bei Godhavn. Alle Felsen bestehen aus Gneis und sind rundgebuckelt durch die frühere Schleifarbeit des Eises. Als weithin sichtbares Wahrzeichen steigt der gewaltige Umanakfelsen 1250 m hoch, schroff aus dem Meer, und nach ihm sind auch die Insel und die Kolonie benannt worden, denn Umanak bedeutet in der grönländischen Sprache »herzförmig«. In der Tat ähnelt der Berg einem Herzen mit der Spitze nach oben.

Noch nie war so ein großer Dampfer in den winzigen Hafen eingefahren. Es war wirklich ein Kunststück für den Kapitän, sich zwischen den vielen vor dem Hafen sitzenden Eisbergen hindurchzuzwängen und das Schiff in den Hafen vor Anker und Trosse zu legen. Der Hafen passte wie nach Maß gemacht. Im Nu waren die Grönländer an Bord, und zu unserer großen Freude konnten wir auch viele Bekannte von Alfred Wegeners Expedition wieder begrüßen. Ich war nicht wenig stolz, dass ich den Grönländern nunmehr meine Frau vorstellen konnte, von der ich ihnen im vorigen Jahr schon viel erzählt hatte. Sie bewunderten sie sehr. Das sah man ihren Augen an und ihren Ausrufen, die immer wieder in dem Worte »pingnerpok, pingnerpatlakra« (hübsch, sehr hübsch) gipfelten. Das bezog sich wohl hauptsächlich auf die langen blonden Haare, die den Grönländern ungewohnt sind. Die Grönländerin Sarah Elisabeth, die 1930/31 auf der Wegener-Expedition die Weststation bewirtschaftet hatte und meinen Expeditionskameraden in vieler Beziehung wie eine Mutter gewesen ist, war vor Rührung völlig überwältigt. Wir hatten damals 1931 eine Grammophonplatte mit dem Schlager: »Wenn die Elisabeth …« mitgehabt, und Sarah Elisabeth betrachtete dieses Lied als besonders ihr gewidmet, da sie von dem Text nur ihren Namen verstand. Als nun meine Frau dies Lied sang, kullerten Sarah wahrhaftig die Tränen über die Backen.

Die Dänen in der Kolonie überhäuften uns mit Einladungen, und es war ziemlich schwierig, neben dem Löschen der Ladung noch die gesellschaftlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Da trafen wir wieder die so liebenswürdigen Ärztinnen, Fräulein Dr. Gudrun Christiansen, Fräulein Kappel und Fräulein Österby. Ihr Haus wurde bald der Treffpunkt der ganzen Expedition bei Tag und bei Nacht, d. h. Nacht gab es ja eigentlich nicht, es war während des Sommers immer hell.

Umanak ist mit 250 Einwohnern schon eine der größten Siedlungen in Grönland. Die Häuser stehen dicht am Meer im Hintergrund einer kleinen Bucht. Die dänischen auf der einen Seite sind aus Holz gebaut und sehr farbenfreudig rot und gelb gestrichen, sie leuchten weithin übers Meer. Der Landungsbrücke zunächst stehen die Packhäuser. Hier werden die Handelswaren aufgestapelt: Tonnen mit Walfleisch und eingesalzenen Fischen für die Ausfuhr, Butter, europäische Lebensmittel und Kleidung, Bootsbedarf für den Verbrauch in Grönland. Das größte Haus ist die Trankocherei. Etwas weiter hinten wohnen der Kolonieverwalter und sein Assistent in kleinen sehr schmucken Häusern. Auf der Südseite haben sie sich winzige Gärten angelegt, in denen im Sommer noch einige Küchenpflanzen gedeihen, Radieschen, Salat, Petersilie. Höher oben auf den Felsen stehen weithin sichtbar das Krankenhaus und ein Säuglingsheim nebst den Wohnhäusern der Ärztinnen. In der Mitte des Ortes weht auf hoher Flaggenstange der Danebrog. Davor stehen drei Böller, alte Vorderladerkanonen, die bei Festlichkeiten abgefeuert werden; an dem Holzkreuz erkennt man die Kirche, gleich daneben ist auch eine Schule. Die grönländischen Kinder müssen nämlich auch zur Schule gehen, und zwar vom 6. bis zum 14. Lebensjahr. Auf der anderen Seite der Bucht entdeckt man erst bei genauerem Hinsehen die Häuser der Grönländer. Sie sind aus unbehauenen Steinen und Torfstücken gebaut und unterscheiden sich kaum von der Farbe der Felsen. Die Decke besteht gewöhnlich aus Balken und Brettern. Holz ist teuer, da es in Grönland keine Wälder gibt und jedes Stück eingeführt werden muss. Das Geld hierfür verdienen sich die Grönländer durch Fischfang oder durch Tagelohnarbeiten in der Kolonie. Am liebsten würden sich die Grönländer auch solche schmucken Holzhäuser bauen wie die Europäer, aber in den meisten Fällen wird es nur ein Mittelding zwischen Stein- und Holzhaus. Auf den freien Plätzen zwischen den Häusern haben wir beim Umhergehen die Kajaks und Hundeschlitten. Sie waren auf hohen Gestellen aufgebaut, zum Schutz vor den Hunden, die so ziemlich alles fressen, was nicht aus Metall oder Stein ist. Dann besahen wir uns das Innere der Grönlandhäuser. Fast jedes hat nur einen einzigen Raum. Der Fußboden besteht aus Holz, bei Ärmeren nur aus festgestampftem Lehm. In den besseren Häusern steht ein eiserner Ofen für Kohlenfeuerung; vereinzelt wird noch in Specksteinschalen Tran gebrannt. Als Abzug ist ein Ofenrohr durch das Dach hindurch gesteckt. Einige Holzschemel, ein Holztisch mit einer Tranlampe aus Messing und eine erhöhte Schlafpritsche aus Brettern für die ganze Familie bilden die Inneneinrichtung. Rentierfelle, Heu, oft auch wollene Decken machen das Lager warm und gemütlich. Die Fenster bestehen heute überall aus Glas, an den Wänden hängen religiöse Bilder, Familienphotographien, Zeitungsausschnitte und Plakate. Ich bin nie dahinter gekommen, ob die Grönländer diesen für unseren Begriff stillosen Mischmasch wirklich schätzen, oder ob sie es bloß aufhängen, weil es europäisch ist.

Gesund ist die Wohnweise der Grönländer gewiss nicht. Die Luft in den Häusern ist meist so feuchtheiß und stickig, dass wir Atembeschwerden bekamen. Die Temperaturwechsel zwischen drin und draußen sind sehr groß. Es ist schrecklich zu sehen, wie viel die Grönländer husten und spucken. Erkältungen sind weit verbreitet, und jeder dritte Grönländer stirbt an Brustkrankheiten. Die dänische Regierung bekämpft durch Errichtung von Krankenhäusern und durch Erziehung zu hygienischer Lebensweise diese traurigen Zustände, aber der Erfolg ist bis jetzt gering.

Unter solchen Umständen war es besser, nicht in Umanak zu bleiben. Wir suchten einen passenden Platz für unser Zeltlager aus und fanden eine schöne ebene Grasfläche, etwa 1 km nördlich der Kolonie, dicht am Ufer. Nun wurden zuerst die beiden Motorboote zu Wasser gebracht. Kraus und Kelbl, die beiden bewährten Propellerschlittenführer der Wegener-Expedition, waren die Kapitäne. Sie hatten den Verkehr zwischen dem Schiff und dem Lager zu besorgen und vor allem unsere ganze Ausrüstung dorthin zu schaffen. Dann wurden die Flugzeuge vorsichtig aus dem Laderaum herausgehoben und aufs Wasser gesetzt. Die beiden Wassermaschinen (eine B. F. W. und eine Klemm) waren sehr schnell flugbereit. Das Landflugzeug blieb zunächst noch in den Kisten verpackt. Es sollte erst am Schluss der Expedition gebraucht werden.

Die Fliegergruppe wohnte in der Kolonie, und zwar hatten sich Baier und Schriek ein sehr praktisches Haus aus den leeren Flugzeugkisten aufgebaut. Udet wohnte bei dem Kolonieverwalter Nielsen.

Gerade besprach ich im Speisesaal der »Borodino« mit Dr. Fanck den Bau eines Eisbärenzwingers, als auf dem Vorderdeck ein lautes Geschrei und Gebrüll anhub. Alle stürzten hinauf, und da sahen wir schon, dass die Photographen ein prachtvolles Objekt erwischt hatten. Ein kleines Boot, von dem Regieassistenten Klingler gerudert, war nämlich nahe am Versacken. Am Heck saß Frau Illing schon mehr im Wasser als darüber. Der Bug ragte hoch gen Himmel. Sie hatte den Ernst der Lage noch nicht erkannt, denn sie lachte wie eine Besessene. Und tatsächlich war der Anblick so drollig, dass jeder eher ans Photographieren als ans Retten dachte. Wenige Sekunden später war das Boot schon verschwunden. Klingler und Frau Illing pantschten im Wasser herum wie zwei Seehunde; sie wurden von einem anderen Boot schnell gerettet. Triefend kamen sie an Bord der »Borodino«, und die abgehärtete Frau Illing war von diesem ersten Bade in Grönland bei + 3° Celsius so begeistert, dass sie immer wieder ausrief: »Kinder, war das herrlich!« Das ging so einen ganzen Nachmittag lang. Trotzdem war dieser Zwischenfall nicht gerade eine gute Einleitung der Expedition, denn das Vertrauen der Grönländer in unsere seemännischen Fähigkeiten wurde dadurch natürlich nicht gesteigert. Und auf das Vertrauen kommt es bei der Mitarbeit der Grönländer in allererster Linie an. Als aber Ernst Udet mit seinem Wasserflugzeug loslegte, war unsere Überlegenheit wieder hergestellt. Die Grönländer betrachteten das Fliegen eines Menschen als Wunder, sahen aber in dem ganzen Vorgang nichts Übernatürliches, da viele von ihnen Flugmotore auf Alfred Wegeners Expedition kennengelernt hatten.

Unser Lagerplatz ähnelte jetzt schon einem großen Jahrmarkt. Da wurden Gerüste gezimmert, Zelte aufgebaut, Holz buden errichtet, ein Sägen und Hämmern fing an, dass es weithin übers Meer klang. Walter Riml und Hans Ertl bauten eine großartige Küche auf. Die Holzwände wurden bis unters Dach mit Konservenbüchsen bepackt, so dass sie wie ein großes Lebensmittelgeschäft aussahen. Hier waltete unser italienischer Koch Giuseppe Marinucci, dessen Hauptsorge in Europa gewesen war, eine Eismaschine, Spaghetti und Parmesankäse und Tomatensauce und echt italienische Salamiwurst mitzunehmen. Sein Ruhm war sogleich begründet, als er ein paar Kisten voll selbstgebackener Kekse auspackte, über die wir uns mit derselben Gier stürzten, wie wir es später bei den Grönländerhunden noch so oft sehen sollten. Nicht weit von der Küche hatte Karl Buchholz, der waschechte Berliner aus Frankfurt a. O. ein reizendes Wochenendhaus mit Kantine gezimmert. Da konnte sich jeder, der glaubte, besonders viel gearbeitet zu haben, Zigaretten, Schokolade, Konfekt oder Schnaps abholen. Da gabs Seife, Zahnpasta, Nähzeug, Streichhölzer, Toilettenspiegel und allerlei andere Gegenstände. Die meisten von uns machten sehr schnell die Erfahrung, dass man durchaus nicht immer alle diese Sachen zum Leben braucht.

Ringsherum baute sich jeder irgendwo in der Gegend ein grünes Schlafzelt auf. Das Ganze zusammen sah fast so aus wie eine Gruppe von Heustadeln auf einer Alm in den Alpen. Am stattlichsten machten sich die drei großen runden weißen Spitzzelte, in denen das gemeinsame Essen eingenommen wurde. In jedem Zelt hatten etwa 20 Mann Platz.

Nun merkten alle, dass Grönland nicht nur aus Eis und Schnee bestand. In den Zelten herrschte eine Bruthitze, und es war vor Mücken kaum auszuhalten. Vor jeder Mahlzeit gab es daher erst eine große Jagd mit Flit-Spritzen, solange bis die letzten Mücken sich in die oberste Spitze des Zeltes geflüchtet hatten.