Mit Herz und Schnauze - Albertine Gaul - E-Book

Mit Herz und Schnauze E-Book

Albertine Gaul

0,0

Beschreibung

Kurz nachdem der Musiker Darius von seiner geplatzten Tour erfährt, trifft er auf einem Rastplatz Celeste Zython, deren Auto liegen geblieben ist. Zornig, lässt er seine Aggression an der jungen Frau aus. Was er später jedoch bereut, als er sie beim Joggen im Wald wiedertrift und Celeste, durch Zufall, auf sein wohl gehütetes Geheimnis stößt. Darius, der die Hoffnung auf die große Liebe nie ganz aufgegeben hat, versucht, ihr näher zu kommen. Doch nicht nur Celeste zeigt Interesse an ihm, auch ihr Chef, Professor Albrecht, wittert seine Chance, denn damit seine Forschung das Leben seiner Schwester retten kann, braucht er unbedingt Genmaterial von einem Werwolf ...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 311

Veröffentlichungsjahr: 2019

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

1. Kapitel Eine mittelschwere Katastrophe

2. Kapitel Weitere Katastrophen und kein Ende

3. Kapitel Wolfsnächte

4. Kapitel Das Glück kommt auf leisen Füßen

5. Kapitel Krisen

6. Kapitel Nachhall

7. Kapitel Irrungen und Verwirrungen

8. Kapitel Endlich ein Neuanfang?

9. Kapitel Siegt die Liebe?

10. Kapitel Weitere Hindernisse

11. Kapitel Bitte verzeih mir!

12. Kapitel Ein verpatzter Auftritt

13. Kapitel Ein neuer Anfang für die Liebe?

14. Kapitel Zurückweisung

15. Kapitel Ende gut, Liebe gut?

Epilog

Danksagung

Albertine Gaul
Mit Herz und Schnauze
© Wölfchen Verlag 2019
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar. ISBN: 978-3-943406-39-9 Print ISBN: 978-3-943406-40-5 EPUB Copyright (2019) Wölfchen Verlag 1. Auflage, März 2019 Coverillustration: Joachim »Joghurt« Lindner Lektorat: Cornelia Franke Korrektorat: Antje Haugg Satz: André Piotrowski Hergestellt in Syke, Germany (EU) Wölfchen Verlag Radebergstraße 22 28857 Syke www.woelfchen-verlag.de

1. KapitelEine mittelschwere Katastrophe

Es war gerade sechs Uhr, als Darius Rosen erwachte. Verschlafen und verwundert, was ihn um diese gottverdammte Uhrzeit geweckt hatte, rieb er sich die Augen, da es erneut piepte.

Der dunkelhaarige Musiker drehte sich auf die andere Seite des Bettes und angelte nach seinem Smartphone, das dort auf dem Nachtschrank lag. Drei Nachrichten in seinem Chat hatten ihn in den letzten Minuten erreicht, alle von Lisa, seiner aktuellen Freundin.

Was will sie um diese Uhrzeit? dachte Darius und öffnete die Nachricht. Sie weiß doch, dass ich lange schlafe.

Lieber Darius, was soll ich sagen? Eigentlich ist alles gesagt, oder? Mit uns kann es so nicht weitergehen. Das siehst du hoffentlich genauso? Daher mache ich auf diesem Wege Schluss mit dir! Ruf mich nicht an, ich bin nicht erreichbar.

»Mist«, fluchte Darius leise. »Geahnt habe ich es schon eine ganze Weile. Nur, es so zu lesen, tut verdammt weh!«

Seit Wochen bröckelte ihre Beziehung, und wenn sie zusammen waren, hatte es nur Streit gegeben. Daher schlief auch jeder von ihnen, seit geraumer Zeit, wieder in seiner eigenen Wohnung.

Aber Darius hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass es sich wieder einrenkte. Lisa schien dies jedoch anders zu sehen.

Nun völlig wach las er auch die zweite und dritte Nachricht, die sie ihm geschickt hatte.

Darius, vielleicht hältst du mich für feige, auf diese Weise Schluss zu machen. Aber ich habe Angst vor dir und deiner Reaktion darauf. In letzter Zeit bist du derart unausgeglichen, dass ich nie weiß, ob du mich nicht irgendwann tödlich verletzt.

Lisa

Dann öffnete er auch noch den Rest der Nachricht, die sie wenige Sekunden später geschrieben hatte:

Hey, für den Vorfall damals mache ich dich nicht allein verantwortlich, sondern auch mich. Nein, ich denke, es ist besser so. Meine Sachen werde ich in nächster Zeit abholen. Leb wohl!

Traurigkeit übermannte ihn. Wer wäre es nicht, Lisa war eine klasse Frau. Schön, gebildet und erfolgreich in ihrem Job als Model. Über ein Jahr waren sie zusammen, aber trotzdem reichte ihre Liebe nicht aus, die Kluft zwischen ihnen zu überwinden. Vielleicht lag es auch an mir, schließlich bin viel unterwegs mit der Band, dachte er bitter. Oder wir passten einfach nicht zusammen?

Dass sie Angst hatte, verstand er ja. Schließlich war er ein Werwolf und Musiker. Und das ging nicht gut zusammen, für eine Frau wie Lisa. Nun war es also vorbei mit ihnen! Endgültig!

So ein Scheiß!, dachte er.

Er überlegte, ob er ihr noch einige zornige Worte schreiben sollte, ließ es aber bleiben. Es würde nur eine bittere Anklage werden, und das hatte Lisa nicht verdient. Sie hatte nur den ersten Schritt unternommen, mehr nicht. Auch Darius wusste, dass es zu Ende ging, lange schon. Nur wahrhaben wollte er es bisher nicht. Sie war die Frau, mit der er sich eine Familie hätte vorstellen können, bis er entdeckte, dass sie ihn nur benutzte, um ihre Karriere als Fotomodel voranzutreiben. Wer würde nicht gerne mit dem Frontmann der Band ›Wolfsskin‹ zusammen sein?, dachte er. Ich bin schon ein guter Fang. Aber reicht gutes Aussehen allein aus?

Schon oft hatte er sich vorgestellt, wie es wäre mit einer eigenen Familie, Kindern und einer Frau, die nicht nur den Musiker in ihm liebte, sondern auch mit seiner dunklen Seite zurechtkam. Lisa konnte es definitiv nicht, dazu war sie zu oberflächlich, wie sich nun herausstellte.

Müde warf er das Smartphone auf den Nachtschrank und legte sich wieder hin. An Schlaf war aber erst einmal nicht zu denken, zu viele Gedanken kreisten durch seinen Kopf.

Auch mit der Band lief es nicht rosig. Obwohl der letzte Gig, vorgestern, ein großer Erfolg gewesen war. Die Stadthalle in Beuten war so gut wie ausverkauft gewesen und auch die nächsten Auftritte in Deutschland würden wieder Geld in die Kasse spülen. Nach dem Misserfolg der letzten zwei Jahre auch notwendig. Trotzdem spürte Darius ein Gefühl von Gefahr, irgendetwas lief schief mit ›Wolfsskin‹. Waren die miesen Verkäufe der letzten Platte ›Terror‹ der Grund? Oder die Konzerte, die trotz kleinerer Hallen fast alle nicht ausverkauft waren?

Müde strich sich Darius über die Augen. Wenn ich trinken könnte, ohne die Kontrolle zu verlieren, würde ich es vermutlich tun, überlegte er. Aber ein Werwolf am hellen Tag, in dieser Stadt, würde die Kritiker nur reizen, noch mehr über ihn zu schreiben.

Es wäre das Ende meiner Karriere und auch das Ende der Band. Außerdem würden sie mich dann entdeckten, die Wissenschaftler, die Wesen wie mich untersuchen.

Frauen wie Lisa fanden es jedoch aufregend, mit einem Werwolf wie ihn liiert zu sein, bis sie auch die Gefahr dahinter verstanden. Er hatte sie oft, zu oft gewarnt, sie hatte aber nur gelacht und gemeint, so schlimm sei es nun wieder nicht. Bis zu der Nacht, in der er sich nicht kontrollieren konnte.

Lange hatten sie nach dem Auftritt in dieser Fernsehshow gefeiert, und er sah sich genötigt, auch Alkohol zu trinken, obwohl er ganz genau wusste, was dann passierte. Aber es war ja chic und hip. Selbst Lisa meinte, er solle nicht so spießig sein, ein Glas Bier oder Wein würden schon nicht schaden.

Ich hätte nicht auf sie hören sollen. Aber sie hatte es so gewollt, und stichelte die ganze Zeit weiter.

»Schau mal, die anderen trinken auch«, sagte sie. »Ein Glas Sekt oder Champagner? Was ist denn schon dabei? Lass uns diesen Abend feiern! Ihr habt es geschafft, ›Wolfsskin‹ steht fast am Höhepunkt seiner Karriere. Bald seid ihr Nummer eins in den Charts. Jetzt und in Zukunft kann nichts mehr passieren.«

Ja, er hatte sich breitschlagen lassen, trotz der Warnungen seines Zwillingsbruders David und der anderen Bandmitglieder. An die Zeit danach konnte er sich später nicht mehr erinnern, ein großes, schwarzes Loch verschlang alle Erinnerungen an diese Nacht.

Stunden später wachte er in einer Gefängniszelle auf und die Polizisten berichteten ihm, er habe im Hotelzimmer randaliert und seine Freundin angegriffen. Nur auf Kaution kam er schließlich frei und stellte fest, dass die Beamten recht hatten. Das Zimmer war verwüstet, Lisa geflüchtet und die Boulevardpresse hatte ihre fette Schlagzeile.

Bekannter Musiker greift Modelfreundin nach Feier an! Der Frontman der Band ›Wolfsskin‹, Darius Rosen, randalierte letzte Nacht nach einer Fernsehshow in seinem Hotelzimmer und griff dabei auch seine Freundin Lisa Gernot an. Das bekannte Model, das auch schon für Vivian Westwood und weiteren Designern gelaufen ist, wurde dabei im Gesicht verletzt. Rosen ist auf Kaution frei.

Seitdem war viel passiert und der Höhepunkt schien nun die Trennung von Lisa zu sein.

Darius gähnte. Gedankenkarussell! Vielleicht wäre es besser, eine Runde joggen zu gehen, um den Kopf wieder frei zu pusten. Schon bald schien wieder der Vollmond, und dann würde er sich mit seinem Zwillingsbruder David die Nächte um die Ohren schlagen, in dem anderen Körper, den er nur widerwillig akzeptierte. Außerdem spielten sie morgen das nächste Konzert, für das er nicht mal weit fahren musste, denn es fand in der Nachbarstadt statt.

Darius setzte sich auf und ließ den Blick schweifen. Die Wohnung war definitiv viel zu groß für ihn allein. Selbst das Bett in seinem Schafzimmer war zu groß für ihn. Was fehlte, war eine Frau, eine Familie und Kinder!

Eine Frau wie Elena, die Freundin seines Bruders David. Ja, David kannte sie schon seit der Schulzeit, die blonde Zahnarzthelferin hatte sich mit David und seinem dunklen Geheimnis arrangiert. Es störte sie nicht im Geringsten, dass ihr Liebster sich einmal im Monat in einen Wolf verwandelte. Sie wollte trotzdem mit ihm zusammen sein und auch Kinder haben.

Was ihn wieder zu Lisa und ihrer gescheiterten Beziehung brachte.

Ich hätte mich nie mit ihr treffen sollen, sie war einfach nicht gut für mich. Eigentlich sollte ich froh sein, dass sie den ersten Schritt gemacht hat, aber ich bin es nicht. Lisa hatte auch ihre guten Seiten, und der Sex mit ihr war phänomenal gewesen. Ein toller Körper, klasse Beine und ein Busen, der nichts zu wünschen übrigließ. Nur ihr loses Mundwerk vermisste er nicht und auch nicht die ewigen Streitgespräche, die sie fast von Anfang an führten.

Darius gähnte erneut und streckte sich dann. Schlafen konnte er eh nicht mehr, so quälte er sich aus dem Bett und tapste durch den langen Flur, vorbei an einem weiteren Schlafzimmer, dem großen Wohnzimmer und der geräumigen Küche, bis in das Badezimmer mit Wanne und Dusche. Dabei fiel sein Blick auf ein Bild im Flur. Es zeigte eine junge Mutter, mit einem winzigen Baby auf dem Arm, Darina, Darius’ Schwester.

Ich frage mich, was Vater sich dabei gedacht hat, uns in die Welt zu setzen? Und warum er Mutter allein ließ, mit drei kleinen Kindern. Oder fast drei kleinen Kindern, denn seine jüngere Zwillingsschwester Darina hatte nach der Geburt nur einen Tag überlebt. Darius kannte sie nur von Bildern und den Erzählungen seiner Mutter.

Vater ist ein Mistkerl, dachte Darius zornig. Er schert sich einen Dreck um seine Familie. Nicht mal Unterhalt bezahlte er für uns. Wenn Mutter nicht so tough und selbständig gewesen wäre, und uns mit ihrem Job als Sekretärin großgezogen hätte, lebten wir sicher im Heim. Keine großartige Vorstellung für einen freiheitsliebenden Menschen wie mich. Irgendwann werde ich Vater mal zur Rede stellen müssen, aber nicht heute.

Nach einer heißen Dusche fühlte er sich schon viel besser, der Zorn verflog. Danach ein kleines Frühstück, bestehend aus superstarkem Kaffee und einem Milchbrötchen mit Schokocreme, und so langsam erwachten seine Lebensgeister wieder.

Dreimal ließ Darius es bei seinem Bruder klingeln, bis David endlich ran ging.

»Habe ich euch gestört?«, fragte er, als er die Stimme seines Bruders vernahm.

»Nein, nicht im Geringsten. Was willst du, Darius?«, erkundigte sich David fröhlich.

»Joggen! Mir kreisen so viele Gedanken durch den Kopf, ich brauche wieder eine Runde durch den Wald, David!«

»Um diese Uhrzeit? Willst du nicht warten, bis Vollmond ist?«

»Nein, diesmal nicht. Und, hast du Zeit?«

»Ich muss Elena fragen. Warte mal«, sagte David und Darius hörte ihn kurz mit seiner Freundin im Hintergrund reden. »Ich glaube, Darius will reden«, vernahm er, bevor sich David wieder ihm zuwandte. »Elena hat nichts dagegen. Um wie viel Uhr?«

»Am besten jetzt gleich. Und ja, ich will reden, Bruder«, meinte Darius leicht angesäuert. Schon seit der Kindheit konnte er nichts vor David verheimlichen, er wusste immer, wie es ihm ging. Aber manchmal nervte es ihn, denn alles wollte er nicht mit seinem Zwilling teilen.

»Reg dich ab, Darius. Ich mache mir nur Sorgen um dich. Es ist Lisa, habe ich recht? Ihr hattet wieder mal Streit, oder?« Davids Stimme klang eher sachlich als fragend, schließlich war er im letzten Jahr mehr als einmal Berater und Tröster für seinen Bruder gewesen, wenn Lisa drohte, wieder mal mit ihm Schluss zu machen, und Darius jemanden brauchte, bei dem er sich aussprechen konnte. Wer wäre da besser geeignet gewesen als David?

»Streit? Auch. Lisa hat Schluss gemacht«, platzte es aus Darius heraus. »Endgültig Schluss gemacht. Sie kommt nicht wieder zurück. Was soll ich nun machen? Sie fehlt mir, David!«

»Sei froh, dass sie weg ist, Darius. Such dir lieber eine Frau wie Elena. Leider hat sie keine Schwester, aber du findest sicher noch die Richtige.«

»Treffen wir uns am Wald, David? Oder soll ich dich abholen?«, fragte Darius und wich damit einer Antwort aus. Die Richtige zu finden, daran glaubte er im Augenblick nicht mehr. Sein Bruder hatte da mehr Glück gehabt, das sagte er ihm aber nicht.

»Hol mich ab, Elena braucht den Wagen heute.«

»Okay. Dann in zehn Minuten«, antwortete Darius und legte auf.

Es dauerte wenige Minuten, sich fürs Joggen umzuziehen, denn Darius hatte seine Sachen penibel in dem großen, begehbaren Kleiderschrank geordnet. Nur Lisas Kleidung lag noch kreuz und quer in den Regalen, selbst ihr Duft hing in der Luft und versetzte Darius einen Stich ins Herz. Nicht daran denken, ermahnte er sich selbst. Sonst heulst du wie ein Kleinkind. Sie ist es nicht wert, dass ich mich so demütige, dachte er und wischte sich dann doch eine winzige Träne aus dem Auge.

David wartete schon vor seiner Haustür, als Darius mit seinem schwarzen Geländewagen vorfuhr.

»Du bist spät dran«, begrüßte er ihn. »Sagtest du nicht, zehn Minuten?«

»Ich musste mich noch anziehen, David. Bist du bereit, dich zu schinden?« Darius grinste breit.

»So schlimm?«, fragte David und grinste zurück.

»Viel schlimmer, Bruder. Joggen wir und reden. Ich denke, das wird mir helfen.«

David nickte. »Okay. Dann schinden wir uns. Mir tut eine Runde durch den Wald auch gut, Elena frotzelt immer, ich werde zu dick!«

Darius warf ihm einen kurzen Blick zu, bevor den Wagen aus der Parklücke fuhr. »Recht hat sie schon. Aber du bist gut trainiert, zumindest für einen Gitarristen. Sie sollte froh sein, so einen Kerl zu haben.«

David lachte. »Das ist sie auch. Sie sagt immer, ich sei der bessere Fang von uns beiden.« Dann blickte er Darius ernst an. »Sei nicht traurig, du findest schon noch die richtige Frau für dich. Vielleicht ist sie nur einen Steinwurf weit entfernt?«

Es war ein Tag wie jeder andere für die Biologin Celeste Zython, eine junge Frau mit honigfarbenen Haaren und grünen Augen. Morgens arbeitete sie in einem Forschungsinstitut an der Uni, nachmittags schrieb sie daheim an ihrer Diplomarbeit über Wölfe und ihre Lebensgewohnheiten in Deutschland.

Aber sie kam nicht wirklich weiter, denn einen echten, freilebenden Wolf hatte sie bisher noch nie gesehen, obwohl die Zeitungen und Internetforen behaupteten, in der Nähe der Stadt einen Wolf erblickt zu haben. Manche gingen sogar so weit, von zwei Wölfen zu berichten, die sich zum Verwechseln ähnlich sahen.

Celeste glaubte weder den Zeitungen, noch den Nutzern der Foren. Denn mit eigenen Augen hatte sie diese Wölfe nie gesehen, obwohl sie permanent in der Umgebung und im stadtnahen Wald unterwegs war.

Ich muss meine Bemühungen intensivieren, überlegte sie. In der kommenden Nacht sollte es einfach funktionieren. Zusammen mit meiner Kamera und meinem Zelt, kann ich nächtelang im Wald warten, um endlich den Wolf zu erwischen.

Nachdenklich las sie die letzten Seiten ihrer Arbeit. Der Professor meint ja, es sei nur ein Tier, dass fernab des Rudels ein neues Revier sucht, dachte sie. Manche Wölfe wandern monatelang, um ein Weibchen und einen Platz zum Leben zu finden. Vielleicht dieser auch? Ich muss es endlich herausfinden, denn sonst kann ich die Diplomarbeit vergessen. Sie wusste, dass eine Biologin, die nie einen Wolf in freier Wildbahn gesehen hatte und trotzdem darüber schrieb, von den Kollegen nicht ernst genommen wurde. Selbst der Professor behandelte sie mit mitleidiger Nachsicht, sie spürte es jeden Tag.

Heute war einer jener Tage, an dem Professor Ulrich Albrecht Celeste wieder in seine Forschungsprojekte mit einbezog. Seit Jahren, das wusste die junge Biologin, forschte er speziell über Werwölfe. Aus gutem Grund, wie sie im Laufe der Jahre an seiner Seite herausgefunden hatte, obwohl er nie direkt darüber sprach.

Es war fast zwanzig Jahre her, als er seine ältere Schwester Dorothea eines Nachts blutüberströmt vor seinem Haus gefunden hatte. Sie stammelte, sie sei überfallen worden und das Ding, wie sie es nannte, hätte sie gebissen. Obwohl sie sich wehrte und dem Tier, wie Ulrich später herausfand, auch Verletzungen beibrachte, ließ es erst von ihr ab, als nächtliche Partygäste auf der anderen Straßenseite auftauchten, um mit dem Auto heimzufahren. Dass sie Dorothea nicht sehen konnten, lag an den Büschen vor dem Hauseingang und der Straßenbeleuchtung, die nur unzureichend die Straße ausleuchtete. Dorotheas Peiniger schlich im Schutz der Nacht davon und ließ sein Opfer blutend vor dem Hauseingang zurück.

Die Wunden heilten, aber die junge, lebensfrohe Frau begann sich langsam zu verändern, wurde traurig und depressiv. Vielleicht auch, so mutmaßte ihr Bruder, weil ihr Angreifer nie ermittelt und verurteilt wurde. Den wahren Grund aber für Dorotheas Verhalten erfuhr Ulrich Jahre später, als er seine Schwester in deren Wohnung besuchte.

Es war schon spät und Ulrich eigentlich nur vorbeigekommen, um nach Dorothea zu sehen, denn er machte sich Sorgen, dass sie sich umbringen könnte. Sie wollte ihn an diesem Abend vor verschlossener Tür abwimmeln, aber Ulrich bestand darauf und so ließ sie ihn herein.

Dorothea war blass, fast wie blutleer, und versteckte mittlerweile unter weiten Kleidern ihren Körper, auf dessen Attraktivität sie früher so stolz gewesen war. Plötzlich begann die junge Frau zu zucken, sie wand sich in unkontrollierten Krämpfen auf den Boden und stöhnte vor Schmerzen. Ulrich, zu tiefst erschrocken, musste mitansehen, wie sich der schlanke Körper von Dorothea in eine haarige, unförmige Masse verwandelte. Bevor sie gänzlich die Kontrolle verlor, schrie sie ihn an, er solle sich im Bad einschließen, sonst könne sie nicht für seine Sicherheit garantieren.

Die nächsten Stunden waren die schrecklichsten, die Ulrich je erlebt hatte, denn etwas schnüffelte vor der verschlossenen Badezimmertür, kratzte und versuchte, diese zu öffnen. Dann das unheimliche Heulen und Jaulen, das ihm die Haare zu Berge stehen ließ, bis es schließlich am Morgen abrupt verstummte.

Als er das Bad verließ, fand er Dorothea schluchzend auf dem Boden im Schlafzimmer und sie verriet ihm ihr Geheimnis. Ulrich glaubte ihr zuerst nicht, hielt sie für verrückt, aber der Vorfall wiederholte sich und überzeugte den Professor. Sie bat ihn inständig, ein Gegenmittel zu finden, denn so wollte sie nicht weiterleben. Was er ihr auch versprach und bis heute daran forschte.

»Frau Zython, wie weit sind Sie mit ihrer Diplomarbeit?«, erkundigte sich Professor Albrecht bei Celeste, kaum dass sie das Unigebäude betreten hatte.

»Ich brauche unbedingt einen Wolf in freier Wildbahn, Herr Professor«, antwortete Celeste nachdenklich und stempelte ihre Karte im Eingangsbereich ab. »Nur derjenige, der im nahen Forst herumstromern soll, der zeigt sich mir nicht. Es ist zum verrückt werden, ich komme keinen Millimeter weiter mit der Arbeit!«

»Am Ball bleiben, Frau Kollegin«, tröstete sie der Professor. »Heute sollten wir weiter an der Entschlüsselung der Wolfsgene von Tier XWE124 arbeiten, das letzte Woche in der Nähe tot aufgefunden wurde. Ich habe da so einen Verdacht, aber der kann sich nur bestätigen, wenn wir seinen Pass finden. Vielleicht ist der Wolf kein Wolf?«

»Was soll er sonst sein?«, fragte Celeste, die heute Morgen nicht wusste, worauf der Professor hinauswollte. »Er sieht aus wie ein Wolf, riecht wie ein Wolf und auch seine Organe sind die eines Wolfs!«

»Das ist der erste Blick, Frau Kollegin. Wir brauchen seine Gene, um sicher zu sein. Ich denke, er könnte auch einer jener Werwölfe sein, von denen die Erzählungen berichten.« Verstohlen sah er sich um, aber er war mit Celeste allein vor dem Fahrstuhl und so sprach er hastig weiter. »Ich weiß, ich weiß. Die anderen halten mich für verschroben, für verrückt. Aber es gibt sie wirklich. Wie Sie wissen, hatte ich Kontakt mit ihnen. Dieser Wolf ist die Gelegenheit, endlich den Durchbruch mit meiner Forschung zu schaffen.« Er seufzte tief. »Es wäre schön, schon weiter zu sein. Aber es ist schwierig, so schwierig!«

»Irgendwann entschlüsseln Sie schon die Gene«, meinte Celeste, der der Professor leidtat. So lange versuchte er schon, seiner Schwester zu helfen. Bisher ohne Erfolg.

»Ja, ich hoffe nur …«, flüsterte er.

Celeste nickte, sie wusste, Dorothea ging es nicht gut. Immer wieder musste Professor Albrecht sie davon abhalten, sich selbst zu töten. Eine Therapie, die ihr helfen konnte, verweigerte sie und floh sogar, als ein Krankentransport sie abholen wollte. Eine schwierige Situation, die auch die Arbeit des Professors belastete.

»Wir werden sicher bald einen Durchbruch haben«, sagte sie freundlich. Eigentlich glaubte sie nicht an Werwölfe, versteckte ihre Meinung aber dem Professor zuliebe. Werwölfe waren ein Produkt der Erzählungen, die niemals der Wahrheit entsprechen konnten. Warum sollte sich ein Mensch in einen Wolf verwandeln?, fragte sich die junge Frau immer wieder. Auch Dorothea war vermutlich nur von einer psychischen Krankheit besessen und hielt sich für einen Wolf, ahmte sein Verhalten und sein Geheul nach, um ihren Bruder zu erschrecken.

»Da wäre ich froh«, sagte Professor Albrecht und betrat als erster den Aufzug, der endlich den Weg ins Erdgeschoss gefunden hatte. »Helfen Sie mir heute?«

»Sicher doch«, nickte Celeste. Schließlich war sie die Einzige, die mit dem verschrobenen Professor zurechtkam und ihm daher zugeteilt worden war.

Bis zum Feierabend um sechzehn Uhr sezierten und analysierten sie den Kadaver, fanden aber in dem toten Körper keine Besonderheiten, was den Professor ein wenig wurmte.

»Er ist wohl nicht das, was ich vermutet habe«, meinte er zum Abschluss. »Wenn die Gene untersucht sind, wissen wir mehr.«

»Ja. Er ist halt nur ein Wolf«, überlegte Celeste.

»Oder auch nicht. Was trieb er in der Nähe der Wohngebiete, wo man ihn fand? Wölfe sind eher scheu, der aber verhielt sich auffällig, wie die Anwohner berichteten.«

»Vielleicht war er krank?«

»Kann sein! Oder er war mal ein Mensch, der nicht in seine Gestalt zurückkonnte? – Werwölfe zieht es in die Nähe von Menschen, auch wenn sie in ihren Wolfskörper gefangen sind. Den Legenden nach können sie sich auch nach ihrem Tod nicht zurückverwandeln. Ich wünschte, wir wären einen Schritt weiter!«

Ich auch, dachte Celeste. Dann würde er nicht immer von Werwölfen reden. Das ist ja echt schon peinlich!

Auf dem Weg zurück in ihre Wohnung dachte die junge Frau nicht mehr an Werwölfe und die Arbeit im Institut. Nach dem Essen wollte sie sich wieder an ihren Computer setzen und ihre Arbeit weiterschreiben. Einen Monat noch oder mehr, dann war Abgabefrist und sie hatte bisher nur Wölfe in Zoos gesehen. Heute Nacht wollte die Biologin versuchen, einen Wolf in freier Wildbahn vor die Linse zu kriegen. Zuvor aber musste sie etwas schlafen, um fit zu sein. Morgen dann konnte sie ausschlafen, denn der Professor wusste von ihrer Arbeit und ließ ihr freie Hand, zu kommen und zu gehen, wenn sie sich mal wieder die Nächte im Wald um die Ohren geschlagen hatte.

Kurz vor ihrer Wohnung entdeckte sie das Plakat einer Band namens ›Wolfsskin‹, die in der kommenden Nacht in der Stadthalle spielen würde. Es ist ein gutes Omen, dachte sie zufrieden. Heute Nacht werde ich einen Wolf finden. Es kann nicht anders sein!

Mit einem guten Gefühl duschte sie, bereitete ihr Abendbrot zu und packte anschließend ihre Sachen, die sie für den Trip in den Wald benötigte. Danach ging sie schlafen, es war nicht mal acht Uhr, und eigentlich noch viel zu hell. Aber Wölfe jagten nur in der Dämmerung, so musste sich Celeste anpassen.

Kurz vor Mitternacht klingelte ihr Wecker sie aus dem Bett.

Schon, dachte die junge Frau müde. Ich habe so gut geträumt, von einen Wolf mit irrem Blick. Aber es wird Zeit, meine Arbeit fortzusetzen.

Unausgeschlafen, aber mit dem Elan einer Besessenen, schleppte sie kurz darauf ihr Equipment in ihr Auto. Nur wenige Leute waren um diese Uhrzeit und mitten in der Woche auf der Straße unterwegs, was Celeste nur recht war, hielten sie dann keine blöden Fragen auf.

Im Internet hatte sie gelesen, dass in einem Waldgebiet nahe der Stadt in der letzten Nacht wieder Wölfe gesichtet worden waren. Durch einen Anruf bei der Zeitung, die diesen Artikel gedruckt hatte, wusste die junge Frau, wo sie suchen musste.

Über Nebenstraßen verließ sie die Stadt und fuhr auf der Autobahn Richtung Norden, bis sie fast die nächste Ortschaft erreicht hatte. Auf der vorletzten Ausfahrt bog Celeste ab, hinein in das Waldgebiet, in dem sie heute Nacht ihre Suche starten wollte. Der Waldparkplatz lag um diese Uhrzeit längst verlassen und einsam da. Aber Celeste hatte keine Angst, denn seit ihrer Kindheit trainierte sie Kampfsportarten, was sie heute selbstsicher und auch mutig machte. Sie konnte mit fast jedem Kerl fertig werden, der ihr an die Wäsche gehen wollte. Mühevoll war nur das Schleppen von Zelt, Kamera und restlicher Ausrüstung. Bis zu dem Platz, an dem sie auf den Wolf warten wollte, waren es etliche Meter, die sie nur im Lichtkegel einer Taschenlampe zurücklegte. Wildschweine und Rehe huschten abseits des Weges durch das Gebüsch, sie konnte die leuchtenden Augen sehen. Die Abwesenheit eines Wolfes ärgerte sie mächtig, aber sie versuchte, es positiv zu nehmen.

Ich kann warten, schließlich wittert er mich, dachte sie optimistisch. Heute Nacht habe ich Glück, das spüre ich. Dann kann ich am Wochenende meine Arbeit zumindest weiterschreiben.

2. KapitelWeitere Katastrophen und kein Ende

Darius war nervös, als er an der Stadthalle ankam. Kurz vor dem Auftritt hatte ihn sein Manager angerufen und mitgeteilt, dass er nach dem Konzert mit der gesamten Band sprechen musste. Sosehr Darius auch nachhakte, Boris Hallmann wollte einfach nicht damit herausrücken, was los sei.

»Es ist besser, erst am Ende des Konzertes darüber zu sprechen«, wiegelte er Darius immer wieder ab.

»So schlimm«, versuchte es der Frontmann der Band erneut, aber Boris wollte nichts dazu sagen.

Mit einem unguten Gefühl zog er sich im Backstage-Bereich um.

David trug bereits seine Bühnenkleidung, bis auf das T-Shirt mit dem Wolfsskin-Logo, und ihm fiel Darius’ schweigsames Verhalten vor dem Auftritt auf.

»Alles okay bei dir?«, erkundigte er sich.

»Ich weiß nicht, David. Boris hat gerade angerufen und gesagt, wir müssten reden. Ist er schon da? Und hat er ein Wort darüber verloren, was er uns mitteilen will?«

David schüttelte den Kopf. »Gesehen habe ich ihn noch nicht. Auch nicht gesprochen. Hat er Mist gebaut und den nächsten Auftritt in Augsburg nicht gebucht? Oder aber der freie Tag morgen ist gestrichen? Geht der Verkauf von ›Terror‹ zurück?« Darius’ Bruder zog sich das T-Shirt über den Kopf und grübelte weiter über den Anruf ihres Managers.

Draußen, auf der Bühne, wurde unterdessen ihre Vorband »White light« angekündigt. Mit Michael, dem Sänger, hatte Darius im Vorfeld einige Worte wechseln können, aber auch er wusste nicht, wo, wie und warum der Manager, der auch ihre Band betreute, mit ›Wolfsskin‹ ein Gespräch führen wollte.

»Vielleicht ist es ganz harmlos«, meinte er. »Eine Umbuchung der Termine, auch wenn mir nichts davon bekannt ist, Darius.«

»Ich hoffe es«, seufzte dieser.

Leise setzte der erste Titel ein, »Lovely«, und Michaels markante Stimme begann mit der ersten Strophe, untermalt von den Stimmen des Publikums, die kräftig mitsangen. Weitere Songs folgten und langsam stimmten sich die Fans auf die Hauptgruppe ein.

Eine halbe Stunde später war die Performance zu Ende und ›Wolfsskin‹ wurde angekündigt.

David, Darius und die Bandmitglieder nutzten die kurze Umbaupause, um die Stimmung im Saal, vom Backup-Bereich aus, zu checken. Offenbar waren die Fans nur wegen ihnen gekommen, einzelne Rufe nach der Band wurden laut.

»Es sieht gut aus«, meinte Darius und rieb sich die schweißigen Hände. »Nicht so schlecht, wie Boris immer sagt.«

»Voll ist die Halle nicht«, antwortete David kritisch und ließ seinen Blick schweifen. »Egal, die, die da sind, sind genau richtig. Die Stimmung ist gut! Rocken wir den Saal!«

»Genau!« Gitarrist Rouven, Bassgitarrist David, Schlagzeuger Jamie und Keyboarder Alex stürmten unter tosendem Beifall die Bühne. Darius hielt sich noch zurück und wartete, bis die Melodie des ersten Titels »Flames of death« einsetzte, dann betrat auch er die Bühne.

Mit seiner dunklen Stimme heizte er die Stimmung im Saal noch weiter an. Der zweite Song war »Wolf«, danach kamen noch »Ihre Wolfsaugen«, »Wolfs Lady« und »The Hawk«.

Als »The Hawk« erklang, wurde Feuerwerk entzündet, das dicke Rauchschwaden auf die Bühne wabern ließ und Darius fast einhüllte. Perfekte Kulisse auch für eine ruhige Ballade, »Dea«, ein Liebeslied, das er für seine Schwester geschrieben hatte.

Nach fast zwei Stunden beendete die Band das Konzert mit der zweiten Zugabe von »The green spirit«.

Tosender Applaus erklang und erneut setzten Rufe nach einer Zugabe ein, aber Darius und seine Bandmitglieder hatten ihr Programm ausgereizt und verabschiedeten sich unter den Klängen von »Flames of death« von ihrem Publikum.

Nassgeschwitzt und leicht dehydriert kehrten die fünf Musiker in die Garderobe zurück.

»Das war geil«, meinte Darius, noch immer aufgeheizt durch die Stimmung im Saal. »Wenn es bei den anderen Konzerten auch so läuft, können wir zufrieden sein.« Er nahm einen großen Schluck Wasser aus seiner Flasche.

»Wollte Boris nicht mit uns reden?« Er sah sich um, Boris war noch nicht aufgetaucht.

»Er hat dich angerufen, oder?«, fragte Rouven. »Hat er nicht gesagt, was er wollte?«

Darius schüttelte den Kopf und zog sich das nasse T-Shirt über den Kopf. »Nein, nur dass er reden wollte.«

»Komisch, eigentlich ist er immer pünktlich«, überlegte David und schlüpfte aus seiner Jeans.

»Das wundert mich auch«, antwortete Darius. »Ich rufe ihn mal an!«

Aber Darius’ Versuche, ihren Manager zu erreichen, liefen ins Leere, Boris hob einfach nicht ab.

»Sehr merkwürdig«, sagte er, nach dem dritten Mal. »Irgendetwas ist da faul!«

Kurz darauf klopfte es und ihr Produzent Achim Seidel steckte den Kopf durch die Tür. »Kann ich reinkommen?«

»Ja, sicher. Was gibt es denn?«, fragte David.

»Ich muss mit euch reden, es gibt schlechte Nachrichten«, sagte Achim ernst.

»Okay, dann raus damit! Ist der nächste Gig geplatzt?«, erkundigte sich Darius.

»So ähnlich. Boris hat alle weiteren Termine gecancelt, heute war somit das vorletzte Konzert«, erklärte Achim.

»Was?!«, riefen alle gleichzeitig. »Das kann nicht sein! In drei Tagen sind wir in Augsburg, danach in München, Basel und Wien!«

Achim schüttelte den Kopf. »Nichts davon findet statt. Er hat die Hallen nicht gebucht. So, jetzt ist es raus. Der Mistkerl ist mit den Einnahmen der Tour in die Dom Rep durchgebrannt und macht sich nun ein schönes Leben.«

»Aber ich habe vor dem Konzert noch mit ihm gesprochen«, warf Darius ein. »Er sagte, er müsse mit uns reden!«

»Ein Anflug von Schuldgefühlen, vielleicht«, brummte Achim verärgert. »Tut mir leid, ich habe es auch gerade erst erfahren. In zwei Tagen ist der letzte Gig und danach ist Schluss, wenn ich nichts Neues arrangieren kann.«

»Mist«, fluchte Darius. »Was jetzt?«

»Wir dachten, es ist alles okay«, schimpfte Jamie. »Da lohnt es sich nicht mal aufzustehen. Scheiße!«

»Da sagst du was«, gab ihm David recht. »Wie krass ist das denn?«

»Ich kann nur sagen, es tut mir leid«, merkte Achim an. »Ich schwinge mich gleich an mein Handy und sehe, was ich retten kann. Mehr kann ich nicht versprechen.«

»Schon gut, du kannst nichts dafür«, meinte Darius versöhnlicher. »Packen wir zusammen und fahren heim. Das muss ich erst einmal verdauen!«

»Okay. Ich melde mich bei euch, wenn ich was habe«, sagte Achim.

Darius nickte. »Danke, trotzdem. Es war sicher nicht leicht für dich.«

Nach dem Gespräch fuhr jeder der fünf Musiker heim. Darius hätte gerne jemanden zum Reden gehabt, aber das musste bis morgen warten.

Die Autobahn war nur wenig befahren, als er auf sie abbog. Nach und nach versuchte er, sich zu entspannen, was ihm nicht sonderlich gut gelang. Zornig fluchte er auf Boris, seine Scheinheiligkeit und das Geld, das nun verloren war.

»Ich muss ihn anrufen«, wütete er. »Er muss mir Antworten geben. Aber nicht jetzt. Obwohl, in der Dominikanischen Republik ist es noch hell.«

Beim nächsten Rastplatz mit Toilette und ohne Tankstelle lenkte Darius seinen Geländewagen auf den Platz, machte die Innenbeleuchtung seines Wagens an, und zog dann sein Handy heraus. Schnell fand er die Nummer, aber Boris erreichte er erst beim zweiten Wählen.

»Hey, Boris! Ist es schön in der Dom Rep?«, fauchte er seinen Manager an, sobald der sich meldete.

»Ach, Darius. Dich hätte ich am wenigsten erwartet«, antwortete Boris scheinheilig. »Was willst du?«

»Mein Geld, meine Auftritte! Was hast du dir dabei gedacht, so einfach abzutauchen, verdammt!«

»So, wie es sich darstellt, ist es nicht, Darius«, beeilte sich Boris zu sagen. »Irgendwann wirst du mir dankbar sein. Glaube mir!«

»Dankbar, wofür? Ein Auftritt noch, dann ist Schluss! Sag mal, geht es noch! Was hast du getan!«

»Nichts. Ich wollte es dir sagen, aber dann ging mein Flieger. Wenn ich zurück bin, erkläre ich es dir. Versprochen! Jetzt muss ich aber auflegen, mein Essen kommt. Bye, Darius!«

Es klackte und das Gespräch war beendet. Darius warf das Handy verärgert auf den Beifahrersitz und wollte gerade den Wagen starten, als jemand schüchtern an die Scheibe klopfte.

Darius kurbelte sie herunter und fragte unfreundlich: »Was wollen Sie?«

Die Frau draußen schwieg einen Augenblick, verunsichert bei den Worten, fasste sich dann doch ein Herz und antwortete: »Entschuldigen Sie. Mein Auto ist liegen geblieben. Könnten Sie mir vielleicht helfen?«

Darius schüttelte ungnädig den Kopf. »Nein, oder sehe ich wie ein Automechaniker aus!«

»Ich dachte nur …«, begann die Frau erneut, verstummte aber, als sie Darius’ wütenden Blick bemerkte.

»Nein, ich habe wirklich keine Zeit«, schimpfte er. »Gehen Sie, ich muss weiter!«

Empört zog sich die Frau zurück und schrie ihm dann ein zorniges »Angeber!« hinterher, als Darius den Rastplatz mit quietschenden Reifen verließ.

Er sah sie in der Dunkelheit verschwinden, eine schattenhafte, kleine Gestalt und erste Schuldgefühle kamen auf.

Ich hätte sie nicht so unhöflich behandeln sollen, dachte er zerknirscht. Sie kann nichts für die Pleite mit Boris. Vorbei, auf der Autobahn wenden, geht ja nicht. Ich hoffe, sie findet die Hilfe, die sie braucht. Es ist schon spät...

Je näher er der nächsten Ausfahrt kam, desto unrealistischer wurde die Begegnung auf dem Rastplatz. Und als er endlich seine Wohnung erreicht hatte, dachte er nicht mehr an den Vorfall.

Darius parkte den Wagen in der Tiefgarage und fuhr mit dem Lift nach oben in die dritte Etage.

Still und verlassen lag der Hausflur da, als er die Tür aufschloss. Auch in der Wohnung nichts als Stille, bisher hatte Lisa oft auf ihn gewartet.

Ich muss mich an die Ruhe erst gewöhnen, dachte er müde. Und an die Leere, die ich nicht kompensieren kann.

Wieder einmal hatte er auf der Bühne alles gegeben, hatte sich tragen lassen auf einer Welle der Euphorie, ausgelöst durch den Jubel und den Applaus seiner Fans. Aber hier, in seiner dreieinhalb Zimmerwohnung, war von seinem Promistatus nichts mehr zu spüren, er fühlte sich nur unglaublich einsam.

Im Spiegel sah er sein müdes Gesicht und schüttelte den Kopf. Nein, Alkohol war definitiv nicht das Richtige für diesen Abend. Er wusste, wenn er trank, würde er die Kontrolle verlieren und das hatte grausame Folgen für seine Umgebung. Einmal nicht darauf achten zu müssen, was man tat oder nicht, war sein sehnlichster Wunsch. Das blieb ihm bisher aber verwehrt.

Bald schon überlegte er, war der Mond wieder voll und dann musste er im Wald sein, um sich nicht zu verraten. Zusammen mit David würde er ausgiebig jagen und rennen.

Mein Bruder hat seine Gene besser im Griff, aber er hat ja auch Elena. Und nicht nur das, als Gitarrist stand er nicht so sehr im Fokus der Öffentlichkeit wie Darius. Ich habe es mir so ausgesucht, es ist mein Leben, dachte er.

Müde schlüpfte er aus seinen Sachen und kickte den Wäschehaufen ins Bad. Nach einer heißen Dusche, die seine trüben Gedanken in den Gully spülte, fühlte er sich besser.

Morgen wollte er noch mal versuchen, Boris zu erreichen und ebenso mit Achim reden. Es durfte nicht vorbei sein mit der Tour, zu sehr hatte er sich darauf eingerichtet und sich darauf gefreut, wieder live zu spielen. Das würde dieser miese Manager nicht kaputt machen, schwor sich Darius. ›Wolfsskin‹ ist nicht am Ende, wir bekommen ein Comeback hin, so oder so. Die neue Platte ist super, verkauft sich auch einigermaßen, jetzt brauchen wir nur noch eine Tour. Sie wird die Verkäufe ankurbeln. Schließlich sind wir ja nicht tot oder in Rente!

Müde sank er ins Bett und schlief kurz darauf ein, ohne Gedanken an Boris oder die Frau, die er einfach hatte stehen lassen.

Celeste war frustriert. Fast die ganze Nacht hatte sie in ihrem Zelt verbracht, aber der Wolf zeigte sich einfach nicht. Wildschweine posierten vor ihrer Kamera, auch Füchse trauten sich auf die Lichtung. Nur eben keine Wölfe!

Nun brach bald die Dämmerung an und die junge Frau hatte genug von der unbequemen Haltung im Zelt und ihrem Misserfolg. Ein letztes Mal schaute sie durch den Sucher ihrer Kamera, dann packte sie das Equipment wieder ein und baute das Zelt ab. Im Schein ihrer Taschenlampe, und beobachtet von einigen Rehen, deren glühende Augen sie am Rande des Weges sehen konnte, kehrte sie zum Parkplatz zurück.

Morgen ist auch noch ein Tag, dachte sie. Oder eine Nacht. Ich finde den Wolf, da bin ich mir sicher, er versteckt sich bloß vor mir. Nicht mehr lange und ich habe meine Fotos.

Nachdem sie ihre Ausrüstung im Kofferraum verstaut hatte, verließ sie den Waldparkplatz auf dem gleichen Weg, den sie gekommen war.