Mönch und Landsknecht (Historischer Krimi) - Max Eyth - E-Book

Mönch und Landsknecht (Historischer Krimi) E-Book

Max Eyth

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  • Herausgeber: e-artnow
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Dieses eBook: "Mönch und Landsknecht (Historischer Krimi)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Max von Eyth (1836-1906) war ein deutscher Ingenieur und Schriftsteller. Aus dem Buch: "Gut' Nacht!" sagte Robert und stand auf. Er lauschte lange auf die verhallenden Tritte des Alten, der seiner Zelle zuschritt. Dann trat er ans Fenster und öffnete den Riegel. Der Wind riß es vollends auf und fuhr sausend herein, daß das Licht verlöschte. Der Mönch sah einige Augenblicke in das tolle Wüten hinaus; die schwarzen Locken, die ihm die Tonsur gelassen, flatterten um sein Gesicht. "Der Herr hat's zum guten gewendet!" sprach er höhnisch; "kannst du es sehen, wie deine Kinder gemartert werden, Vater im Himmel? Hörst du nicht ihr Heulen und Winseln! Rache euch, ihr armen verstoßnen Pilger! Rache auch mir, mir armem, verstoßnem Gefangnen! Du stolzes Kloster, ihr stolzen Burgen, wie lange wollt ihr noch eure frommen blutigen Geißeln schwingen? Will denn nie eure Stunde kommen?"...

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Max Eyth

Mönch und Landsknecht (Historischer Krimi)

e-artnow, 2016
ISBN 978-80-268-5341-1

Inhaltsverzeichnis

I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.

I.

Inhaltsverzeichnis

Es dämmerte. Durch die runden Fensterscheiben drang der fahle, kupferfarbene Schein des bedeckten Herbsthimmels in eine düstre Klosterzelle und erleuchtete kaum noch den Vordergrund des engen, hochgewölbten Gemachs.

Dort saß, über das schwarze Pult gelehnt, ein Mönch. Er hatte seine weiße Kutte nachlässig zurückgeschlagen und las, ohne aufzublicken, in einem alten, vergilbten Folianten. Um ihn her lagen Zirkel und Karten – diese mit wunderlichen Zeichen bemalt. Eine Sanduhr lehnte halbumgeworfen an einem unvollendeten Sternglobus. Überall herrschte eine gewisse Unordnung, um die sich jedoch der Mönch, in sein Manuskript vertieft, gar wenig zu bekümmern schien. Es schien wirklich, als wäre ihm die ganze Welt entleidet und als hätte er selbst alles im Unwillen so greulich durcheinandergeworfen.

Im dunkeln Hintergrunde der Zelle stand, kaum noch erkennbar, ein kunstloser Herd, von dem zuweilen eine bläuliche Flamme emporschlug. Ehe sie dann wieder hinabsank, ließ sie einen großen schwarzgebrannten Kessel sichtbar werden, der an einer eisernen Kette darüberhing. Nichts unterbrach die lautlose Stille als das Zischeln des kochenden Gebräus oder ein leiser, knisternder Ton, wenn der Mönch ein Blatt seines Buches umwandte. Nur manchmal heulte auch ein Windstoß das Tal herauf und schnellte die prasselnden Regentropfen gegen die Scheiben.

Plötzlich fuhr der Mönch empor. Seine schwarzen, stechenden Augen richteten sich flüchtig auf die lodernde Flamme. Dann schlug er heftig das Buch zu, stand auf und trat an den Herd. Er lüpfte den Deckel des Kessels. Ein grauer, widrig riechender Dunst qualmte in dicken Wolken hervor und erfüllte das Gemach.

»Unsinn!« rief er aus und ließ den Deckel wieder fallen; »ja, Unsinn und Narrheit«, murmelte er weiter, indem ein bittres Lächeln um den feinen Mund spielte, »wie lange will ich mich selbst noch an der Nase herumführen? Gold und immer Gold! Ist denn nichts mehr auf dem weiten Erdboden, was mich groß und reich und glücklich machen könnte, als dieses Gold? Da steht es haarklein auf den alten Pergamenten, wie man es schaffen könne mit geheimer Kunst; Erd' und Himmel, den Mond und alle sieben Planeten rufen sie zu Hilfe und vergessen, daß dort droben einer lacht, – ja lacht, wie sich die Menschen hier unten plagen um ihr blinkendes Glück, das er so weislich in den tiefsten Abgrund der Erde verborgen hat. O ihr Narren! Narren? War ich nicht selbst auch ein solcher Narr? Ja, ich war's und weh' mir, daß ich es war, und dreimal wehe dem, der mich dazu gemacht hat!«

Der Mönch schritt mit großen Schritten in der Zelle auf und ab. Endlich blieb er am Fenster stehn und drückte die glühende Stirne gegen die nassen Scheiben. Von der Kirche herüber tönte der Gesang der wenigen, welche dort die Vesper abhielten.

»Groß werden, groß werden«, fuhr er fort, »das möcht' ich, das muß ich! Ja, singt nur dort drüben, ihr feisten Bäuche! Fresset euch voll und singt dann euerm Gott zu Ehren! Bin ich denn ewig verdammt, ein solcher gottgeweihter Müßiggänger zu bleiben? Was kann ich dafür, daß mich meine Mutter ein Jahr später geboren hat als einen andern? Der sitzt nun lustig in den Hallen meines Vaters und zecht mit seinen Gesellen und freut sich des prächtigen Turniers, das er gegeben hat. Und ich? Hier sitz' ich, sein leibhaftiger Bruder, bet' und singe und – suche Gold! Gerechter Himmel, wo bleibt da deine Gerechtigkeit?«

Der junge Mönch lachte wild auf; dann setzte er mit tiefem, finsterm Ernst hinzu: »Nun, denn, ihr habt mich verlassen und verstoßen; wundert euch nicht, wenn ich einmal das Vergeltungsrecht übe!«

Die Vesper hatte geendet. Durch die langen Gänge hörte man die abgemessenen Tritte der Mönche. Etliche Türen gingen auf und zu, und alles war dann wieder still wie zuvor. Der Alchimist zündete ein Lämpchen an und lehnte sich gedankenvoll in seinen Stuhl zurück.

Nach einiger Zeit öffnete sich leise die Türe. Der Dasitzende fuhr erschreckt empor, als die weiße Gestalt eines andern Mönches eintrat, dessen Züge man der Dunkelheit wegen nicht sogleich zu erkennen vermochte.

»Immer noch kein Gold, Bruder Robert?« fragte er und trat zum Herd, wo er kopfschüttelnd den Kessel aufdeckte. Als keine Antwort erfolgte, fuhr er fort: »Nur nicht so trübselig, Bruder! Geht's so nicht, geht's anders. Ich bin doch schon zwanzig Jahr Bursarius in unserm lieben Kloster Schöntal, und es sollte mich wahrlich mehr kümmern als dich, wie man den Säckel füllt. Aber ich tu', was recht ist, und das andre laß ich seinen Gang gehn und denk': der heilig' Joseph wird's schon recht machen! Ei, wann kulminiert denn heut' der Merkurius?«

»Weiß nicht«, antwortete Robert, »laßt mich gehn! Ich hab' es satt, das Glück von den Sternen herunterzugucken. Das ist doch am Ende gleichgültig, ob der Merkurius heut' kulminiert oder nicht?«

»Ei, was schwatzt Ihr doch?« antwortete jener; »so muß ich eben selbst danach sehen.«

Mit diesen Worten trat er an das Fenster und schaute hinaus. Doch überzeugte er sich bald, daß heute wenig von den Sternen zu hoffen sei. Der ganze Himmel war mit Wolken überzogen, die der Sturm zerriß und weiterjagte. Dichte Nebel wälzten sich das Tal herauf und bedeckten den angeschwollnen Fluß, dessen Rauschen sich mit dem Heulen des Windes verband. Die schlanken Pappeln beugten sich tief herab und manchmal stürzte ein krachender Ast zur Erde. Es war eine wilde Novembernacht.

»Ein Reiter kommt das Tal herauf!« sprach nach einer langen Pause Elias, der Bursarius, »dem mag's auch nicht fein zumute sein! Wohin der noch will? Aber – was ich dir sagen wollte: heute früh fand ich was in der Bücherei, sieh her!«

Mit diesen Worten zog er aus seiner Kutte eine Pergamentrolle und fing an, sie aufzuschlagen. »Arcanus alchymiae«, las er mit triumphierendem Lächeln. »Da haben wir, was wir brauchen! Wirf den Kessel um; wir wollen neu anfangen! Nun, warum freust du dich nicht auch? Du bist ja mäuschenstill!«

»'s wird gehen wie immer!« war die kurze, finstre Antwort.

»Ei was!« rief Elias mit gutmütigem Eifer, »wer wird denn auch so trostlos sein? Lieber gleich ans Werk!«

Er rückte einen Stuhl an das Pult, zog den Docht der Lampe weiter hervor, setzte sich und begann zu lesen. Robert saß neben ihm; doch merkte man's ihm wohl an: er achtete nicht auf die Worte des Alten; es schien, als horchte er nur auf das Brausen des Windes, der immer wütender in den Dachziegeln klapperte, oder auf den Holzwurm, der leise im Innern des schwarzen Pultes pickte.

Kurze Zeit war vergangen; da wurde es abermals unruhig in den Gängen. Das Geräusch der auf- und zugehenden Türen kam immer näher. Elias schwieg; denn bereits war die braune Kutte eines Laienbruders auf der Schwelle sichtbar.

»Was willst du, Bruder Pförtner?« rief Elias dem Eintretenden ziemlich unmutig entgegen, indem der Ton seiner Stimme deutlich genug verriet, daß er in der wichtigsten Abhandlung über den Stein der Weisen gestört wurde. »Ach, da komm' ich wieder an den Falschen!« entgegnete jener; »draußen vor dem Tor steht ein Reiter vom Götz von Berlichingen und will einen Mönch, aber sogleich! Ich lauf' schon das ganze Kloster aus und keiner will in dieser Nacht und in diesem Wetter fort. Da dacht' ich –«

»Ist der Götz selber krank?« fragte Elias.

»Nein, der nicht«, antwortete der Pförtner; »ein armer Gefangner bloß; zu dem will freilich niemand!«

»Ich ging' schon«, sagte der Alte, »aber ich werd' eben alle Tag' älter. Eine solche Nacht könnt' mich unter den Boden bringen. Hu, ich glaub', es schneit gar!«

»Weiß schon, weiß schon,« unterbrach ihn der Pförtner; »aber sagt mir nur, zu wem ich noch gehn soll?«

»Ist der Bruder Bernhard da und bist du schon bei ihm gewesen?« fragte Elias.

»Nein!« antwortete jener.

»Nun, dann kannst du bei dem anfragen«, meinte der Bursarius, »und wenn der nicht geht, dann geht keiner.«

Unmutig murmelnd verließ der Pförtner das Gemach. Als alles wieder still war, sagte Elias: »'s ist doch ein lieber Mensch, der Bernhard! Er geht ganz gewiß und wenn's noch dreimal so grausig stürmt!«

»Er tut's nur aus Eitelkeit und Hochmut!« sprach Robert nachlässig, ohne aus seinen Gedanken aufzuwachen.

»Das weißt du nicht recht, Bruder,« entgegnete Elias, »ich sag' dir, wir beide zusammen sind nicht so fromm wie er allein. 's ist mir oft, wenn ich mit ihm rede, als hätt' ich noch das kleine fünfjährige Büblein vor mir, wie's vor sechzehn Jahren war. Und immer treibt er sich draußen herum, und der Abt läßt ihn auch gern hinaus; denn wenn man die Leute fragt, wo er sei, so heißt's immer: in Roßbach beim kranken Martin, oder in Keßach, wo Abels kleiner Bub' den Fuß gebrochen hat, oder so was. Aber deshalb mögen ihn auch alle Bauern in der Umgegend mehr als das ganze Kloster mitsamt dem Abt und Konvent. Er ist ein rechter Bauernfreund!«

»Was sagst du?« fuhr plötzlich Robert auf, »die Bauern – –«

»Ja, die Bauern haben ihn recht gern,« ergänzte der Alte, »und wenn er zu Haus ist in seiner Zelle, hört man ihn oft beten und man merkt dann wohl, daß er's nicht aus einem Gebetbuch liest. Ich glaub', 's ist ihm ein rechter Ernst; er hat mir das schon selber gesagt; denn ich hab' ihn von Jugend auf gepflegt und gelehrt und deswegen hat er mich auch lieber als die andern und heißt mich immer noch Vater, wenn er gleich schon seit zwei Jahren selber ein Mönch ist. Da hat er mir auch gesagt, wie er so viel Angst hab' um seiner Sünden willen, von denen noch niemand ein Tüpfelchen weiß, und wie ihm der Teufel oft so viel zu schaffen mache. Er hab' gemeint, wenn er vollends ganz ins Kloster trete, werde das aufhören und darum sei er so gern ein Mönch geworden. Aber schon nach den ersten paar Tagen sei der Teufel wieder dagewesen und seine Angst auch. Er meinte, ich soll' und könn' ihm helfen, aber mein Mitleid hat wenig genützt. Ich hab' ihn gar nicht trösten können und das kann ich doch sonst immer am besten. Da sagt' ich ihm endlich, weil ich nichts Beßres wußte: er soll' eben sehen, wie er sich ein bißchen zerstreuen könne, und es sei nicht gut, wenn er sich also abhärme; er solle zu mir kommen, ich wollt' ihn die Alchymia lehren, das werd' ihm gewiß gefallen; denn – sagt' ich ihm – wenn man den Teufel an die Wand malt, so kommt er, und wenn man zuviel an seine Sünden denkt, so kommen sie auch wieder; denn die Gedanken kann man nicht aufhalten. Aber da hat er den Kopf geschüttelt und ist in seine Zelle gegangen. Seitdem ist er immer mehr auf die Dörfer hinaus und der Bruder Speisemeister sagte mir letzthin: im ganzen Kloster faste keiner so viel wie der Bernhard!«

»'s hat in ganz Palästina niemand so viel gefastet als die Pharisäer,« warf Robert bissig darein, »und die haben den Heiland gekreuzigt. Aber sag' einmal, Bruder, – wie kam denn eigentlich Bernhard ins Kloster herein? Als ich vor einem Jahr eintrat, muß er schon lange hier gewesen sein.«

»Das war er auch,« erwiderte Elias, »und 's ist eine traurige Geschichte, die der arme Junge von sich erzählen könnte, wenn er sie wüßte. Mit der Alchymia will's heute doch nicht recht vorwärts gehn; ich will dir also lieber erzählen, was ich selbst davon miterlebt.«

»'s war noch um die Zeit, da der Abt Simon lebte. Das war ein frommer Herr, aber auch streng und hart und oft gar zornig, daß alle, die er strafen mußte, noch ihr Lebtag daran dachten. Ich war damals gerad' ins Kloster eingetreten und im heiligen römischen Reich ging's oft toll und wild durcheinander. Da war nun einmal schon geraume Zeit vorher, wohl über hundert Jahr', auf der Konstanzer Versammlung ein verfluchter Ketzer zur Hölle geschickt worden, der Huß. Aber die Rotte, die er um sich gesammelt, nahm sich kein Beispiel an seinem Tode, sondern machte einen gewaltigen Aufstand, bis es dem Eifer aller frommen katholischen Fürsten gelang, sie in alle vier Windgegenden zu zersprengen. Da wanderten nun von dort an viele in kleinen und großen Haufen aus Böhmerland fort und suchten anderswo ihr Unterkommen. Und – man sollt' es kaum denken – auch in unser einsames Tal kam ein solcher Zug und wollte sich niederlassen. Als das der hochselige Abt Simon hörte, da entbrannte er in Zorn und schickte einen Brief an den Bischof von Würzburg. Da kam, wie er gebeten, ein Fähnlein von 25 Reitern ins Kloster und in einer Nacht wurde der ganze Haufen der Ketzer hierhergebracht, je zwei und zwei aneinandergebunden, während die Kinder weinend um die Eltern herumliefen; 's hat einen recht erbarmt! Jetzt hieß es: ›Bekehrt euch!‹ und alle wurden in die kleine Kilianskirche eingesperrt. Die Reiter standen ringsherum und auch innen. Ein Mönch stieg dann auf die Kanzel und fing an zu predigen. Nach zwei Stunden löste ihn ein andrer ab, und so ging's fort drei Tage und drei Nächte lang. Niemand durfte heraus noch hinein außer den Mönchen. Keinen Bissen Brot, keinen Tropfen Wasser ließen die Soldaten durch. Sooft jemand einschlafen wollte, weckten ihn die Hellebarden der Reiter. Man sagt' ihnen nun: ›wer sich bekehrt hat, darf frei ausgehn, nachdem er zuvor seine Ketzerei abgeschworen!‹ Am andern Tag gegen Abend kamen die ersten. In der großen Kirche mußten sie abschwören. Dann gab man ihnen zu essen und stieß sie zum Kloster hinaus. Am Abend des dritten Tages lagen nur noch wenige todesmatt auf dem Kirchenpflaster. Sie hörten kaum noch, was der Priester von der Kanzel ihnen zurief. Auch die wurden hinausgetragen während der Nacht. Ihre ausgetrocknete Zunge konnte kaum mehr die Eidesformel stammeln, und als am vierten Tag die Sonne durch die Kirchenfenster schien, lag nur noch ein einziger – ein junger schöner Mann, freilich jetzt ein Gerippe, – am Fuß des Altars. Und der, welcher vor ihm hinausgegangen, hatte zwei halbtote Kindlein mit herausgebracht, und als man ihn fragte, wer denn dort drinnen der Letzte sei, gestand er, daß es der Prediger ihres Haufens gewesen und endlich auch, daß die Kinder, die er herausgetragen, dem Prediger angehörten; ihre Mutter aber sei schon vor einem Vierteljahr gestorben. Und jetzt erst ließ man ihn in Freiheit; die Kinder aber wurden dabehalten. Darauf ging Simon selbst in die Kirche hinein und forderte den Ketzer auf, sich zu bekehren. Aber der sagte: ›nein!‹ Da sprach Simon zu ihm: er könne jetzt das Kloster verlassen. Als der Abt hier seine Rede innegehalten, habe ein freudenvolles, triumphierendes Lächeln um die ausgedörrten Lippen Puschkas – so hieß der Prediger – gespielt. Als aber der Abt fortgefahren: ›Deine Kinder hat der Himmel der alleinseligmachenden Kirche bestimmt; sie bleiben hier. Geh du hin und danke Gott für seine Langmut und Barmherzigkeit!‹ da hab' er sich vor die Brust geschlagen und gesagt: ›jetzt bricht's! Gebt mir meine Kinder wieder; ich will schwören!‹ Darauf führte man ihn in die Kirche, und wie er dort die drei Finger zum Himmel erhob, fing er laut an zu heulen. Man mußte ihn stützen und den Arm ihm in die Höhe halten, sonst wär' er umgesunken. Da verlangte er seine Kinder, aber – – weil man wohl gesehen, wie wenig es ihm ein Ernst gewesen, gab man ihm nur das eine, das jüngere. Er preßte es an die Brust und rief: ›O Gott, deine Strafe ist schnell!‹ Dann eilte er zur Kirche hinaus. Das alles sah ich aber nicht. Ich war in den Wald gegangen; das Mitleid hätte mich umgebracht. Seit der Zeit sah man in der Gegend keine Hussiten mehr. Das einzige, was sie zurückgelassen, ist Bernhard, der Sohn Puschkas, den ich aufziehen durfte, so gut ich's eben vermochte. Er ahnt noch nicht, daß er eines Ketzers Sohn ist. Er darf's auch nie erfahren; es würd' ihn allzu tief betrüben. Simon aber, der Abt selig, ward nach Würzburg beschieden und der Bischof – erzählt man – hab' ihn in der Kirche geküßt vor allen Leuten, weil er all die halsstarrigen Ketzer durch seine feurigen Predigten bekehrt.«

»Das wär' eines Teufels würdig!« sagte nach einer langen Pause Robert leise.

»Still, still!« warnte Elias, »'s war eine Sünde, das glaub' ich auch, wenn's gleich lauter Ketzer gewesen sind. Aber der Herr hat's zum guten gewendet und eine fromme Christenseele aus den Krallen der Hölle gerettet, den Bernhard. Doch – 's ist spät geworden! Hu, wie's noch immer draußen stürmt und heult! Da schläft man so behaglich im warmen Bett! Gut' Nacht, Bruder!«

»Gut' Nacht!« sagte Robert und stand auf. Er lauschte lange auf die verhallenden Tritte des Alten, der seiner Zelle zuschritt. Dann trat er ans Fenster und öffnete den Riegel. Der Wind riß es vollends auf und fuhr sausend herein, daß das Licht verlöschte. Der Mönch sah einige Augenblicke in das tolle Wüten hinaus; die schwarzen Locken, die ihm die Tonsur gelassen, flatterten um sein Gesicht. »Der Herr hat's zum guten gewendet!« sprach er höhnisch; »kannst du es sehen, wie deine Kinder gemartert werden, Vater im Himmel? Hörst du nicht ihr Heulen und Winseln! Rache euch, ihr armen verstoßnen Pilger! Rache auch mir, mir armem, verstoßnem Gefangnen! Du stolzes Kloster, ihr stolzen Burgen, wie lange wollt ihr noch eure frommen blutigen Geißeln schwingen? Will denn nie eure Stunde kommen?«

Er versank in tiefe Gedanken. Nach langer Zeit erst richtete er sein auf die Brust gesunknes Angesicht wieder auf, schloß den widerstrebenden klirrenden Fensterflügel und trat in die finstre Zelle zurück.

II.

Inhaltsverzeichnis

Indessen ritt Bernhard, der wirklich, ohne ein Wort zu verlieren, die Pflicht des Geistlichen auf sich genommen hatte, an der Seite des Landsknechts talabwärts. Der Sturm hatte etwas nachgelassen und die müden Pferde zogen langsam ihre kotigen Beine nach sich. Ein feiner, durchdringender Regen rieselte herab und trieb, vom Winde gejagt, in dichten, nebligen Gestalten quer über die schmale Fläche. Endlich unterbrach der Reiter das lange, unbehagliche Schweigen.

»'s ist mir recht lieb,« sagte er, »daß Ihr mitgeht, Pater Bernhard! Mit Euch kann man doch auch ein ordentlich Wörtlein reden; die andern, nehmt's nicht für ungut, – die wissen fast nichts zu fragen, als ob man auch fleißig opfere und sich für jede Sünde gewiß seinen Ablaßzettel im Kloster hole. Und wenn sie merken, daß man nicht grad' allzuoft in den Säckel greift, um dem lieben Herrgott sein Gebet besser ans Herz zu legen, so ist gleich Feuer im Dach!«

Bernhard antwortete nicht und der Landsknecht fuhr fort: »Da starb vergangnen Herbst in Jagsthausen ein armes, altes Weib und hat ihrem einzigen Mädle nichts hinterlassen als ein Stück Rind im Stall und ein gotziges Fleckle Wiesen beim Pfizhof draußen. Und wie sie gestorben ist, hat der gnädig' Herr die Kuh genommen für den Sterbfall, und wie man's untersucht hat, ist's rausgekommen, daß die Alte ihr Stückle Feld, das doch dem Mädle gehört hat, an das Kloster geschenkt, und das arme Ding hat nichts gehabt als ihre Kleider auf dem Leib. Ich bin des Götz sein Reiter und wer nein! sagt, dem schlag' ich eins auf den Schnabel, daß er g'nug hat, aber selbigsmal hat mich's doch verzürnt – rechtschaffen, daß er die Kuh genommen hat! – Und das weiß man auch – Euch darf man's schon sagen, Ihr seid keiner von denen –, wie's die Pfaffen machen, wenn sie was erben wollen.«

»Es sind manche nicht, wie sie sein sollen,« entgegnete Bernhard mit trauriger, leiser Stimme, »das ist wohl wahr, aber man darf deshalb nicht meinen: die Sache sei nichts, der sie dienen!«

»Ei beileib'!« rief der Landsknecht eifrig, »aber verzeih mir's der Himmel und all seine Heiligen, so wahr ich Jörg Haas heiße – Blitz, Hagel! – verzeiht, Herr Pater! –, damals fuhr mir's in die Faust; ich hätt' das ganze Kloster zusammenschmeißen mögen!«

Er schwieg; nach einigen Augenblicken sagte Bernhard: »Erzählt mir jetzt lieber, wenn Ihr's wißt, wer denn der Mann ist, dem ich den letzten Dienst erweisen soll. Wie kam er denn nach Jagsthausen? Sprecht!«

»Recht gern, Herr Pater!« sagte Jörg und ließ die Zügel seines Pferdes fallen. »Das ging so zu. Letzten Donnerstag, nein, 's war erst vorgestern, da kam der Herr von Sickingen auf unser Schloß. Der hat, Ihr wißt es ja, voriges Jahr das gnädig' Fräulein, meines Herrn Schwester, heimgeholt und seitdem ist er ein seltner Gast. Wir haben uns alle geputzt und die Gäule gestriegelt, daß es eine Pracht war, und reiten ihm entgegen. Aber er hat uns nicht drum angesehen und ist gleich zum Götz hingeritten und hat so heimlich getan wie eine Katz' vor dem Mausloch, und den ganzen lieben langen Tag sind die zwei beieinandergesteckt und 's durste niemand in ihre Stub' als die gnädig' Frau, wenn sie wieder einen neuen Weinkrug hereinbracht'. Das hat mich einmal geärgert! Wir haben gar nicht gewußt, woran wir sind, und laufen vom Hof in den Stall und vom Stall in den Hof, bis es Abend wird. Da schreit auf einmal der Götz zum Fenster heraus: ›Aufgesessen! Schnell!‹ Wie der Blitz sitzen unsrer zwanzig im Sattel und schon ist der Herr mit dem Sickinger vornen draus und jagt zum Tor hinaus. Ha, das ist gegangen! Wir haben gar nicht gewußt, wohin, und ließen eben laufen. Wie wir in Widdern über die Brück' jagen, ist's schon stockfinstre Nacht. Endlich mitten im Harthäuser Wald wird Halt gemacht. Wir steigen ab und legen uns am Weg hinter die dicken Büsche, die ganze Nacht durch. Kaum wird der Himmel ein wenig rot am Morgen, da hört man in der Ferne ein Getrappel. Ich lag ganz am Rand und konnte gut auf die Straße sehen. Neben mir stand der Götz und sagt: wenn er pfeife, sollen wir alle auf sie los! Jetzt biegen sie um die nächste Ecke und ich seh' fünf Reiter mit den Heilbronner Farben, die ihre langen Hälse in die Höh' strecken und sich in die Brust werfen und ihre Hüte mit den langen Federn aufsetzen, grad als ob ihnen die ganze Welt gehörte; die hochmütigen Städter! Das hat mich nicht wenig geärgert, aber nicht faul, – nehm' ich meine Büchs' und schmeiß' einem, dem allerlängsten, seinen hohlen Schädel ein. Aber just, wie ich losdrück' und wie's knallt, da schlägt mir der Götz eins hinter die Ohren – Blitz, Hagel, verzeiht, Herr Pater! – ich konnt' gar nichts anders mehr denken als Höllsapperlot! Und wie ich das eine Weil' gedacht hab', ist der Mordspektakel um mich her schon losgegangen und 's ist alles hintereinander. Jetzt denk' ich: Esel, du mußt deine Dummheit wieder gutmachen! und fahr' in den Haufen hinein und schrei' und hau' und stech und mach' die Augen zu, daß mich nichts draus bringt, bis ich merk', daß wieder alles in Ordnung ist. Wie ich nun ausschau', kommt der Götz auf mich zu, legt seine eiserne Hand auf die meine und sagt: ›Vorhin hast du sie hinter den Ohren gespürt; warum bist du auch ein solcher Dummkopf und hättest uns schier den ganzen Fang verscheucht? Jetzt nimm sie so; du bist doch mein bravster Reitersknecht!‹ Hei, Pater Bernhard, wie ich mich da gefreut hab'!«

»Und der Sterbende?« fragte Bernhard, als Jörg schwieg.

»Ja so, hätt's fast vergessen!« sagte der Reiter, »da lagen so ein paar auf der Straß' herum; von denen ist der Alte einer, zu dem Ihr kommen sollt! Er wird wohl sterben; 's ist schad' um so einen braven alten Mann. Er hat auch einen Kameraden gehabt, einen jungen, flinken Gesellen, mit dem hab' ich mich tüchtig herumgebissen, aber zuletzt wurd' er doch gefangen und der Sickingen hat ihn mitgenommen, um ihn heimzuschicken!«

Nun schwiegen beide. Der Landsknecht fing an, ein lustiges Liedlein zu pfeifen, und so ritten sie an dem nächsten Dörflein Berlichingen vorbei, von dem etliche Lichter über die rauschende Jagst herüberglänzten. Vor ihnen gingen, dicht in ihre schwarzen Mäntel gehüllt, zwei Bauern. die den leisen Tritt der im Kot watenden Pferde nicht zu hören schienen und eifrig ihr Gespräch fortsetzten. Bernhard lauschte unwillkürlich auf ihre Worte.

»Der erst' ist recht und der zweit' ist auch recht, das wollt' ich vor unserm Herrgott beschwören, wenn er die Straß' daherkäm'!« sagte der eine, nach der Stimme zu schließen, der ältere.

»Fürs dritt', – aber, Schäfer, du sahst doch nichts weiter? Ich bitt' dich, nur bis zum Christtag behalt's bei dir! Dann – – –«

»Nur zu, nur zu! Ich hab' noch keinen verraten und kann schon schweigen; fürs dritt' also –?«

– »Wollen wir keine Hunde mehr sein; denn die Menschen sollen alle frei sein und man braucht keine Leibeigenen mehr. So steht's in der Schrift!«

»'s ist, als ob's ein Heiliger gemacht hätt', die Artikel! Wenn nur der Herr seinen Segen dazu gibt! Viertens?«

»Zum vierten soll nimmer, was uns unziemlich und unbrüderlich dünkt, dem armen Mann das Wild und die Vögel und die Fische verboten sein zu fangen; denn die Tiere gehören allen Menschen zu und nicht bloß den Adligen und Geistlichen. Und zum fünften soll jeglicher sein Holz umsonst in den Wäldern holen dürfen, die nicht verkauft sind. Was sagst du dazu?«

Jörg hatte unterdessen lustig weitergepfiffen und schien an etwas andres zu denken. Plötzlich hörte er auf, lauschte einen Augenblick, warf einen scharfen, verstohlnen Blick auf Bernhard und rief dann mit unbefangnem Ton: »Wir müssen eilen, Herr Pater!« und schlug, während er seinem eignen Tiere die Sporen eindrückte, mit einem kräftigen Gertenhieb das Pferd Bernhards, daß es laut wiehernd einen Seitensprung machte. Wie der Wind stoben die beiden Reiter nun an den Bauern vorüber, die erschrocken auf die Seite gesprungen waren.

Bald standen sie vor dem Tore der Burg. Jörg rief, die Zugbrücke rasselte herab und sie ritten durch die düstere Wölbung in den Hof. Dort sprangen sie von den Pferden, die sodann mit tiefgehängten Köpfen dem Stalle zugingen. Jörg sah ihnen einen Augenblick nach und sagte dann: »'s schläft schon alles; kommt, ich will Euch in das Stüblein führen, wo der Kranke liegt. Ihr bleibt doch die Nacht bei ihm, und wenn morgen das Wetter noch nicht besser ist, bring' ich Euch selber wieder ins Kloster nach Schöntal!«

Sie traten in das düstre Haus; Jörg schritt voran. In den winkligen Gängen war es todstill und finster. Sie brauchten lang; bald ging's hinauf, bald herab; endlich sagte der Landsknecht: »So, hier ist die Türenschnalle! Noch ein wenig weiter zu mir her; Habt Ihr sie? 's ist schon ein Lämplein drinnen. So! Gut' Nacht derweilst!«

Nach diesen Worten stolperte er den Gang zurück, während Bernhard geduldig mit den Händen an der Wand hin und her fuhr, um die verborgne Klinke zu finden.

Leises Murmeln und Stöhnen führte ihn endlich zu seinem Ziel. Er öffnete still und trat ein. Die kleine Kammer war von einem Lämplein, das an der Wand über der halbzerbrochnen Bettstatt hing, matt erleuchtet; an der Decke schwebten die grauen, staubigen Netze der Spinnen und eine schwarze Maus haschte raschelnd in einen Bund faulen Strohs, der in der Ecke lag. Auf dem harten Lager ruhte ein Alter, die Stirne mit einem weißen Tuche verbunden. Er schlief. Ein zarter, weißer Bart floß um seinen Mund und erhöhte noch die freundliche Würde seiner Züge, die nur, wenn sich ein tiefer Seufzer seiner Brust entrang, durch ein schmerzliches Zucken entstellt wurden. Seine Hand ruhte auf einem aufgeschlagnen Buche, das auf der Bettdecke lag. Bernhard blieb stehn, er wollte den Schlummernden in seiner Ruhe nicht stören; aber ein sonderbares Gefühl ergriff ihn beim Anblick dieses stillen Greises. »O, 's ist hart,« sagte er leise, »so allein zu sein!«

Plötzlich regte sich der Kranke. Seine Lippen murmelten, wie im Schlafe, unverständliche Töne. Immer unruhiger warf er sich hin und her, ohne zu erwachen; immer lauter und deutlicher wurden seine Worte. Der Mönch stand von tiefem Mitleid ergriffen am Lager des Fiebernden und lauschte.

»Nein, niemals! Gib mir Kraft, o Gott im Himmel!« rief jener mit dumpfer, heftiger Stimme. »O, meine Kinder! – Gebt sie her; ich flehe euch auf den Knien an! – Wollt ihr mir das Herz aus dem Leibe reißen? – O Gott, ich schwöre, ich schwöre!« – Und der Kranke hob dabei drei Finger in die Höhe und rief mit wimmerndem Tone, der bald in ein lautes Geheul ausbrach: »Bei Gott dem Allmächtigen, Allgegenwärtigen und Heiligen, der in das Verborgne sieht, schwör' ich, – –w helft mir, ich schwöre, – daß mein Glaube Lüge ist und eine Ausgeburt der Hölle, – – o, meine Kinder! – und wer ihn erfunden hat, war ein Teufel, hu! – – Weiter schwör' ich bei dem allwissenden und gerechten Gott, wenn ich je wieder umkehre zu dieser Ketzerei der Hölle, dann – dann soll mein Leib und meine Seele schmachten durch alle Ewigkeit – im Pfuhl der Hölle – zertreten von den Teufeln – zerrissen von den Krallen des Satans – hu, wie heiß, wie heiß! – Bernhard, komm, Bernhard! – haut sie ab, um Gottes willen haut sie ab, die Finger! – Wasser! Nur einen Tropfen! Zertreten von den Teufeln! – Dort, dort kommt einer! O Gott! – Weiche von mir! Fort, weißer Satan! Weiche von mir! Was willst du von mir? – Wie die Finger brennen! – Weg, weg von mir! – O Gott, fort mit dir!«

Der Alte hatte sich rasch aufgerafft, faßte das Buch und schleuderte es wütend gegen Bernhard. Es flog an die Wand; der Mönch stürzte erschrocken herbei und der taumelnde Greis sank mit einem wimmernden Schluchzen an seine Brust. Lange hielt er ihn so und seine Tränen flossen auf die blutige Stirnbinde herab. Man hörte nichts mehr als das tiefe Atmen des Alten.

Endlich kam der Kranke wieder zu sich und schlug ruhig und freundlich die Augen auf. Dieser Blick drang Bernhard durch Mark und Bein. Er wußte selbst nicht, wie und warum: – aber eine Ahnung, die ihn schon beim ersten Anblick ergriffen hatte, durchzuckte ihn immer heller und bestimmter. Er wußte ja, wer sein Vater gewesen war, wie er selbst heiße, wie er in das Kloster gekommen war; dies alles hatte ihm der alte Schäfer der Abtei einmal insgeheim erzählt.