Monds und Wolfis großes Glück - Friederike von Buchner - E-Book

Monds und Wolfis großes Glück E-Book

Friederike von Buchner

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Beschreibung

Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt. Auf sehr spezielle, romantische Weise findet Toni, der Hüttenwirt seine große Liebe in einer bezaubernden Frau, die aus einer völlig anderen Umgebung stammt als der markante Mann der Berge. Sie lernt durch ihn Schönheit und Idylle seiner Heimat kennen und lieben. Gemeinsam eröffnen die beiden allen Besuchern die Werte und Besonderheiten ihres Lebens auf der Alm. Romantik, Beschaulichkeit, dramatische Spannung und feinsinnige Gespräche: Das ist die Welt von Toni, dem Hüttenwirt, der sich niemand entziehen kann. Doktor Martin Engler musste in Kirchwalden den Häuserblock mehrmals umrunden, bis er einen Parkplatz bekam. Er blieb hinter dem Lenkrad sitzen, löste den Sicherheitsgurt und griff zum Handy. Er wählte die Privatnummer, die Ulrike Toni auf die Firmenvisitenkarte geschrieben hatte. »Ulrike Berg«, meldete sie sich. »Grüß Gott, Ulrike! Hier ist Martin Engler. Toni war als Erstes bei mir, als er nach Waldkogel zurückkam. Ich möchte dich sehen. Ich parke am Ende der Straße.« Keine Antwort. »Bist du noch dran, Ulrike?«, fragte Martin mit sanfter Stimme. »Ja, ich musste erst einmal … ach, … ist auch egal«, antwortete Ulrike unsicher. Die Überraschung war ihr deutlich anzuhören. »Es ist freundlich von dir, dass du gleich einen Hausbesuch machst.« »Toni hat mir so einiges erzählt und ich war besorgt. Kannst du es einrichten, dass wir irgendwo ungestört sind und ich dich untersuchen kann?« Er hörte wie Ulrike tief einatmete.

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Seitenzahl: 125

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Toni der Hüttenwirt Extra – 25 –Monds und Wolfis großes Glück

... sie haben einen hilfreichen Engel an ihrer Seite!

Friederike von Buchner

Doktor Martin Engler musste in Kirchwalden den Häuserblock mehrmals umrunden, bis er einen Parkplatz bekam. Er blieb hinter dem Lenkrad sitzen, löste den Sicherheitsgurt und griff zum Handy. Er wählte die Privatnummer, die Ulrike Toni auf die Firmenvisitenkarte geschrieben hatte.

»Ulrike Berg«, meldete sie sich.

»Grüß Gott, Ulrike! Hier ist Martin Engler. Toni war als Erstes bei mir, als er nach Waldkogel zurückkam. Ich möchte dich sehen. Ich parke am Ende der Straße.«

Keine Antwort.

»Bist du noch dran, Ulrike?«, fragte Martin mit sanfter Stimme.

»Ja, ich musste erst einmal … ach, … ist auch egal«, antwortete Ulrike unsicher. Die Überraschung war ihr deutlich anzuhören. »Es ist freundlich von dir, dass du gleich einen Hausbesuch machst.«

»Toni hat mir so einiges erzählt und ich war besorgt. Kannst du es einrichten, dass wir irgendwo ungestört sind und ich dich untersuchen kann?«

Er hörte wie Ulrike tief einatmete.

»Das ist nicht so einfach, Martin«, sagte sie dann. »Das Ladengeschäft ist offen. Wir haben viel zu tun. Ich hatte mir gedacht, dass ich mal am Abend zu dir nach Waldkogel komme. Jetzt bin ich sehr überrascht. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Toni hat wohl übertrieben, sonst wärst du nicht sofort hergefahren.«

Martin ging auf die Bemerkung nicht ein. »Darf ich dir einige Fragen stellen? So kommen wir am schnellsten weiter.«

Nach einigem unsicheren Zögern war Ulrike einverstanden.

Doktor Martin Engler fragte sachlich einige Symptome ab und seine Besorgnis wuchs. ›Wenn Ulrike ehrlich geantwortet hat, ist sie in größerer Gefahr, als sie es selbst für möglich hält‹, schoss es Martin durch den Kopf. »Ulrike, kannst du mit mir nach Waldkogel in die Praxis kommen?«, fragte er behutsam. »Ich fahre dich später auch wieder zurück. Komme einfach zum Auto. Es ist ein großer Geländewagen. Ich parke an der Ecke. Auf der Scheibe der Hecktür ist ein Aufkleber, der das Auto als Arztfahrzeug ausweist. Du kennst doch bestimmt den Äskulapstab?«

»Muss das jetzt sofort sein, Martin?«

»Ulrike, dann muss ich deutlicher werden. Willst du riskieren, im Laden zusammenzubrechen? Es würde sich schnell in Kirchwalden herumsprechen. Du weißt, was Gerüchte bewirken können. Dein Umsatz wird zurückgehen. Wer will schon bei dir kaufen, wenn du als krank giltst? Die Kunden gehen lieber dorthin, wo sie annehmen können, dass sie während der Garantiezeit eine Ansprechpartnerin haben. Sie kaufen sicherlich nicht in einem Geschäft, über das die Gerüchteküche sagt, es schließe. Muss ich mehr sagen?«

Martin hatte damit Ulrike an ihrem wunden Punkt getroffen.

»Okay, du hast mich überzeugt, Martin. Ich bin in wenigen Minuten bei dir.«

»Packe dir etwas Bequemes ein. Ein Jogginganzug ist bei Untersuchungen praktischer als ein Kleid«, sagte Martin.

Ulrike schwieg einen Augenblick, versprach dann sich zu beeilen.

Sie legten auf.

Es dauerte dann doch etwas länger, bis Ulrike kam.

Martin lehnte am Auto und sah die Straße hinunter. Er erschrak über Ulrikes Aussehen, obwohl ihn Toni gewarnt hatte.

Er ging ihr einige Schritte entgegen.

»Grüß Gott, Ulrike! Komm, ich nehme dir die Reisetasche ab.«

»Grüß Gott, Martin!«

Sie gaben sich die Hand. Ulrike Bergs Hand war mager und ihr Händedruck kraftlos. Martin ging nicht darauf ein. Er nahm ihr die elegante Reisetasche einer bekannten Nobelmarke ab und hielt ihr die Autotür auf.

Ulrike hatte etwas Mühe, in den hohen Geländewagen einzusteigen, so kraftlos war sie. Der höhere Einstieg forderte sie auf ungewohnte Weise.

Martin runzelte die Stirn. ›Ulrike bewegt sich so kraftlos beim Einstieg wie eine Achtzigjährige. Da ist Walli fitter‹, dachte er. Er stellte Ulrikes Reisetasche in den Kofferraum. Dann stieg er ein und sie fuhren los.

Martin schwieg. Ulrike schwieg. So erreichten sie die Praxis.

Martin brachte Ulrike sofort auf die Krankenstation.

»Ich bleibe aber nicht hier, Martin. Ich muss nach dem Geschäft sehen.«

»Es ist nur so, dass du es hier bequemer hast als auf der harten Untersuchungsliege im Sprechzimmer«, beruhigte sie Martin erst einmal, obwohl er etwas Anderes dachte. »Mache es dir bequem und lege dich aufs Bett! Ich bin gleich zurück und nehme dir Blut ab.«

Martin wusch sich und zog eine weiße Hose und ein weißes kurzärmeliges Hemd an.

»Du siehst gut aus, Martin«, sagte Ulrike, als er zurückkam. »Du stellst etwas dar.«

Martin lachte laut. »Immer eine flotte Lippe, genau wie früher«, bemerkte er.

Ulrike errötete. »Entschuldige, ich wollte nur etwas sagen.«

»Du musst dich nicht entschuldigen. Du bist aufgeregt und ängstlich. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Patienten ungeschickt daherreden, um ihre Gefühle und Ängste, Unsicherheit und Anspannung zu verbergen. Vergessen wir es. Ich nehme dir jetzt Blut ab und untersuche es im Labor. Ich mache einen Schnelltest. Es dauert nicht lange.«

So geschah es.

Während Martin im Labor war, zog sich Ulrike um und kroch unter die Decke. Sie fror. Das war auch kein Wunder. Sie hatte kaum noch was auf den Knochen.

Der Schnelltest, den Martin im Labor machte, zeigten bedenkliche Werte. Kein Blutwert lag im Normalbereich, alle waren besorgniserregend erhöht. Martins sah seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Er richtete eine Infusion.

Walli Schwanninger und Katja Engler kamen vom Friedhof zurück.

»Martin, wo bist du?«, rief Katja laut.

»Ich bin im Sprechzimmer. Kommt rein!« Martin ließ Katja und Walli nicht zu Wort kommen. »Katja, kannst du eine kräftige Hühnerbrühe oder Fleischbrühe zaubern? Auf der Krankenstation liegt ein Notfall. Ich hänge ihr eine Infusion an. Walli, kannst du dich zu ihr ans Bett setzen, während ich das Blut gründlicher untersuche.«

»Wer ist es?«, fragte Katja. »Was hat sie?«

»Du kennst sie nicht, Katja. Sie ist aus Waldkogel fortgezogen, bevor wir uns kennenlernten. Walli, du erinnerst dich bestimmt an Ulrike Dassler. Sie hat geheiratet und schreibt sich jetzt Berg.«

»Natürlich erinnere ich mich an Ulrike. Berg, das ist das große Haushaltswaren-Geschäft in Kirchwalden. Was ist mit ihr?«

»Einzelheiten später. Es geht ihr sehr schlecht. Absolutes Untergewicht, drohendes Organversagen.«

»Der Himmel stehe ihr bei!«, stieß Walli hervor.

»Ich gehe nur schnell rüber und ziehe mir ein frisches Dirndl an. Es dauert nicht lange. In einem Kleid, mit dem ich auf dem Friedhof das Grab neu bepflanzt habe, kann ich mich nicht in ein Krankenzimmer begeben.«

Sie eilte davon.

Martin schloss die Kochsalzinfusion an. Er hatte Vitamine und Aufbaustoffe hineingegeben, ein Herzmittel und eine geringe Menge eines Beruhigungsmittels. Die Dosis entsprach der Menge, die man einem Kind gab.

»Macht mich das wieder fit?«, fragte Ulrike.

»Fit ist zu viel gesagt, Ulrike. Ein Wunder solltest du nicht erwarten. Es wird länger dauern, bis du dich erholst. Du solltest dem Himmel dankbar sein, dass Toni heute bei dir vorbeikam. Wir bereden alles später. Jetzt ruhst du dich aus, während die Infusion läuft. Sie wird dir guttun.« Martin nahm die Bettdecke vom zweiten Patientenbett und breitete sie zusätzlich über Ulrike aus.

»Walli wird dir eine Wärmflasche bringen«, sagte er.

Ulrike nickte nur. Dann schloss sie die Augen. Das milde Beruhigungsmittel schlug sofort an.

Sie blinzelte kurz, als Walli kam. Später, als Walli ihr die Wärmflasche unter die Decke schob, schlief sie schon fest.

Martin winkte Walli, ihm zu folgen. Sie ließen alle Türen offenstehen.

In der Wohnküche hatte Katja inzwischen Hühnerbrühe aufgetaut. Sie köchelte mit frischem Suppengrün aus dem Garten vor sich hin.

Martin nahm sich einen Obstler. »Gut, dass heute keine Sprechstunde ist«, sagte er. »Ich muss gleich wieder ins Labor. Ulrike wird jetzt einige Stunden schlafen. Wenn sie aufwacht, muss sie etwas essen.«

»Martin, nun rede schon, wie kommt es, dass sie hier ist?«, fragte die alte Walli.

»Der Himmel hat Toni heute zu ihr in den Laden geschickt. Als er aus Kirchwalden zurück war, kam er direkt zu mir und schlug Alarm. Damals, als wir alle zusammen eine Wandergruppe bildeten, war Ulrike ein echtes Biest. Aber jetzt ist sie ein Häufchen Elend. Hätte sie noch eine Woche so weitergemacht …« Martin brach den Satz ab und atmete durch. »Es geht ihr sehr schlecht. Versteht ihr?«

Walli und Katja nickten.

Martin eilte ins Labor, um Ulrikes Blut genauer zu untersuchen.

Walli machte sich eine Tasse starken Kaffee. Dann holte sie ihr Strickzeug und setzte sich zu Ulrike ans Bett. Sie strickte Babysachen für das Kindl, das Erna und Anton erwarteten.

Martin löste Walli um Mitternacht ab und setzte sich selbst zu Ulrike ans Bett. Die Infusion war durchgelaufen. Als er den Zugang zog, wachte Ulrike auf.

Sie lächelte Martin an.

Er lächelte zurück.

»Mei, habe ich geschlafen! Das tat gut. Hast du nachgeholfen?«

»Aber nur mit einer Kinderdosis. Schlaf ist immer noch die beste Medizin«, antwortete Martin.

Ulrike schaute auf die Uhr. »Oh, schon so spät. Ich bestelle mir ein Taxi.«

»Naa, das wirst du fein bleiben lassen. Jetzt reden wir erst einmal miteinander. Komm mit in die Küche! Meine Katja hat für dich eine kräftige Fleischbrühe mit Einlage gekocht. Du musst etwas essen.«

Ulrike folgte ihm in die große Wohnküche.

Bald saßen sie am Tisch und aßen. Martin hatte sich auch einen Teller Suppe genommen.

»Du hattest früher deine Praxis drüben, im nächsten Haus«, bemerkte Ulrike.

Martin erzählte ihr, dass Walli ihm und Katja den Schwanninger Hof überlassen hatte. Sie war ins Altenteil gezogen, verbrachte aber viele Stunden des Tages mit Katja und Martin, ihrer Ersatzfamilie. Das Haupthaus des alten Schwanninger Hofs bot Platz für Praxis, Wartezimmer, die Wohnung der Englers, mit Gästezimmern, und eine kleine Notfallstation. »Die Bettenstation ist nicht offiziell, Ulrike. Man könnte sie als Gästezimmer für kranke Waldkogeler bezeichnen. Ich habe hin und wieder Patienten und Patientinnen, die den ganzen Tag ärztliche Betreuung benötigen. Aber den meisten würde der Aufenthalt im Krankenhaus sehr zusetzen. So sind sie hier unser Gast.«

»Das heißt, du kannst die Belegung der Bettenstation nicht abrechnen«, bemerkte Ulrike Berg, wieder ganz die Geschäftsfrau.

»Nein, das kann ich nicht. Aber darauf kommt es nicht an.«

Ulrike aß einen großen Teller Suppe. Es schmeckte ihr gut.

Danach räumte Martin den Tisch ab und brühte einen Kräutertee auf. »Dabei redet es sich besser, Ulrike«, sagte er »Ich habe noch einmal deine Blutwerte untersucht, nachdem ich vorher einen Schnelltest gemacht hatte. Sie sind nicht gut, genauer gesagt, sie sind schlecht, noch genauer gesagt, sie sind miserabel. Das kann sehr schnell gefährlich werden. Du kannst in ein Organversagen rutschen. Das kommt von deinem großen Untergewicht. Ich bin ernsthaft besorgt. Du solltest dich gründlich untersuchen lassen. Damit meine ich, gründlicher, als ich es hier in der Praxis machen kann. Die Ursache kann vielleicht ein CT abklären, eine Computertomographie.«

Ulrike schüttelte den Kopf. »Martin, das habe ich schon hinter mir. Als mich meine Tochter vor einigen Monaten besuchte, hat sie mich nach München geschleppt, zu allen möglichen Untersuchungen. In Kirchwalden wollte ich sie nicht machen lassen, wegen dem Gerede.«

»Das verstehe ich. Und wie waren die Ergebnisse?«

»Organisch liege nichts vor, sagten die Experten im Klinikum. Sie meinten, ich müsse mein Leben umstellen. Nervliche Belastungen könnten die Ursachen sein. Die hohen Blutwerte kämen von meinem extremen Untergewicht. Ich esse auch, aber es schlägt nicht an, wie es sollte. Und ich schlafe schlecht.«

Dr. Martin Engler räusperte sich. »Ulrike, sprechen wir offen und ehrlich miteinander. Toni hat mir ausführlich das Gespräch geschildert, dass ihr geführt habt. Ich bin kein Seelenklempner. Aber als erfahrener Hausarzt erkenne ich Zusammenhänge. Ich denke, Schuldgefühle lasten auf dir und zehren dich aus. Diese Belastung wirkt sich körperlich aus. Wenn du dich körperlich schlecht fühlst, belasten dich diese Gedanken noch mehr. Es ist die berühmte Katze, die sich in den Schwanz beißt. Verstehst du?«

Ulrike nickte.

Martin rieb sich das Kinn. »Ulrike, ich habe nachgedacht. Du solltest eine Weile hierbleiben. Niemand muss es erfahren. Ich gebe dir Infusionen und du schläfst dich aus.«

Sie schreckte zurück. »Wie soll ich das machen? Ich habe einen Laden. Ich habe Angestellte.«

»Mei, das ist doch ganz einfach. Es ist Sommer. Du schickst deine Angestellten zwei Wochen in Betriebsferien. Viele Läden machen Betriebsferien. Wenn du jetzt nicht etwas für dich tust, wird es irgendwann zu spät sein.«

»Betriebsferien? Der Gedanke ist mir noch gar nicht gekommen«, murmelte Ulrike nachdenklich.

Martin sah sie an und schüttelte den Kopf. »Du bist für mich ein Wunder. Dass du dich überhaupt noch auf den Beinen halten konntest, die letzte Zeit! Wie hast du das gemacht?«

Ulrike sah Martin an und lächelte zaghaft. »Disziplin, Martin! Arbeit, Martin! Arbeit lenkt ab. Und willensstark war ich schon immer. Ich habe gearbeitet und gearbeitet und mich damit betäubt. Wenn ich arbeite, denke ich nur an die Arbeit. Oft bin ich mitten in der Nacht in den Laden gegangen und habe die Vitrinen umdekoriert.«

»Arbeit als Droge, ich verstehe. Viele Menschen versuchen, sich durch Arbeit zu betäuben.«

»Ja, so kann man es sehen, wenn ich es recht bedenke, Martin. Wenn Toni dir alles berichtet hat, dann weißt du, wie mein Leben aussieht. Ich muss büßen.«

Martin Engler schüttelte den Kopf. »Das ist Unsinn, Ulrike. Aber das können wir ein anderes Mal diskutieren. Du hast doch bestimmt jemand unter deinen Verkäuferinnen, der du vertrauen kannst? Schicke ihr eine SMS. Sie soll alle in Urlaub schicken und Zettel in die Schaufenster und an die Tür hängen, dass Betriebsferien sind.«

»Wenn ich nicht da bin, dann vertritt mich die alte Johanna. Sie war schon bei meinen Schwiegereltern angestellt, als ich eingeheiratet habe. Sie ist älter als ich und könnte in Rente gehen. Aber dann würde sie sich langweilen, sagt sie. Sie hat nie geheiratet und ist folglich allein. Johanna hat mir all die Jahre beigestanden. Sie hat auch einen Schlüssel zum Laden. Gestern Abend hat sie abgesperrt, den Kasseninhalt geprüft und zur Bank gebracht.«

»Das ist gut. Beauftrage sie! Sage ihr, du hättest dich entschlossen, dich zu erholen und spontan die Einladung eines alten Freundes angenommen. Sie wird sich nichts dabei denken. Und sollte sie sich ihren Teil denken, dann soll sie’s halt. Sie wird wissen, dass du am Ende deiner Kräfte bist.«

»Ich will aber nicht, dass jemand erfährt, dass du mich behandelst. Damit meine ich meine Eltern und meinen Bruder und seine Familie hier in Waldkogel. Kannst du mich nicht in Kirchwalden behandeln? Du machst doch auch Hausbesuche. Ich bin Privatpatientin, Martin.«

Doktor Martin Engler musste laut lachen. »Damit kannst du mich nicht ködern, Ulrike. Ich behandele dich nur, wenn du hierbleibst. Niemand wird es erfahren, wenn du es nicht willst. Du musst auch nicht auf der Krankenstation bleiben. Katja wird dir eins unserer Gästezimmer richten. Du kannst in den Garten gehen und dich in die Sonne legen. Zweimal am Tag gebe ich dir eine Infusion. In einigen Tagen wirst du dich kräftiger fühlen und dann kannst du auch besser mit den Gedanken umgehen, die dich bedrücken. Wir werden gemeinsam überlegen, was dir bei der Bewältigung helfen könnte. Du bist hier unter Freunden, Ulrike.«

Ihre Augen wurden feucht. »Das habe ich nicht verdient, Martin. Ich habe Schuld auf mich geladen und ich muss dafür büßen. Ich büße schon lange dafür. Ich war nie glücklich in meiner Ehe.«