Mondscheinsonate und Eisenhut - Anja Stephan - E-Book
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Mondscheinsonate und Eisenhut E-Book

Anja Stephan

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Beschreibung

Kurz vor ihrem Urlaub ist Lotte plötzlich wieder Single und weint sich die Augen aus. Zum Glück ist ihr bester Freund Vincent da, der sie auffängt und auch gleich eine Lösung parat hat. Um sich abzulenken, soll Lotte als Betreuung mit zu dem Feriencamp kommen, dass er jährlich veranstaltet. Die kleine Insel im See und die wilden Kinder bieten die perfekte Zerstreuung. Einziger Haken: mit von der Partie ist Fritz, der Sohn eines stadtbekannten konservativen Politikers. Und in drei Tagen ist Vollmond.

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Mondscheinsonate und Eisenhut
Impressum
Kapitel 1 – Waterfalls
Kapitel 2 – Should I Stay Or Should I Go
Kapitel 3 – Piece of Me
Kapitel 4 – The Conversation
Kapitel 5 – Put A Little Love In Your Heart
Kapitel 6 – The Hunter
Kapitel 7 – Entre dos Tierras
Kapitel 8 – Black Eyed Boy
Kapitel 9 – Easy Way Out
Kapitel 10 – It´s Alright
Kapitel 11 – Dreams
Kapitel 12 – Heavy Cross
Kapitel 13 – Crazy
Kapitel 14 – I Love It
Kapitel 15 – Losing My Mind
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Anja Stephan

Mondscheinsonate und Eisenhut

Impressum

Alle Rechte an den abgedruckten Geschichten liegen beim

Art Skript Phantastik Verlag und den Autor*innen.

Copyright © 2024 Art Skript Phantastik Verlag

1. Auflage 2024

Art Skript Phantastik Verlag | Salach

Lektorat » Melanie Vogltanz | www.lektoratvogltanz.wordpress.com

Komplette Gestaltung » Grit Richter | Art Skript Phantastik Verlag

ISBN » 978-3-949880-08-7

Der Verlag im Internet » www.artskriptphantastik.de

Alle Privatpersonen und Handlungen sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit realen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Kapitel 1 – Waterfalls

Die Braut in dem verschlissenen Kleid und dem knochigen Körper schritt aus der Kirche hinaus. Der Mond schien groß und blass. Mit einem Lächeln auf den Lippen löste sie sich in unzählige Schmetterlinge auf und flog in den Nachthimmel.

Lotte schluchzte laut und schnaubte geräuschvoll in ein Taschentuch. Sie liebte Die Leichenbraut. Der Film machte ihr Mut, auf die Liebe zu hoffen. Sie knüllte das Taschentuch zusammen und warf es achtlos weg. Fest drückte sie das große Kissen an sich und ließ sich zur Seite fallen. Verschwommen sah sie den Abspann des Films über den Bildschirm flimmern. Sie schloss die Augen und die Tränen flossen erneut. Sie wanderten über ihre Nasenwurzel, über die Wange und dann tropften sie auf das Sofakissen. Ungeschickt tastete sie nach ihrer Kuscheldecke und zog sie sich über den Kopf. Lotte machte sich klein, schlang die Arme um die Knie.

Sie hätte nie gedacht, dass es so wehtun würde. Sie hatte schon einige Beziehungen gehabt, war verlassen worden, hatte selbst verlassen. Aber mit Frederike war es besonders gewesen. Ihre längste Beziehung überhaupt. Ganze fünf Jahre! Ein Rekord für Lotte. Mit ihr hätte sie alt werden können. Der Schmerz zog sich durch ihren ganzen Körper. Sie heulte auf. Nie wieder würde sie sich verlieben! Nie wieder! Was zum Henker war passiert, dass sie Fred nicht mehr glücklich machen konnte? War es das, was man heutzutage auseinanderleben nannte? Dieser Graben, der sich zwischen den zweien auftat und sie weiter und weiter auseinandertrieb, bis sie sich nichts mehr sagen konnten, nichts mehr teilen konnten, weder Glück noch Unglück, weil die andere schon zu weit weg war?

Es klingelte.

Lotte schniefte, zog sich die Decke noch enger um den Körper und vergrub ihr Gesicht im Kissen. Sie hörte einfach nicht hin. Die Person, die da vor der Tür stand, würde schon irgendwann wieder gehen.

Es klingelte noch einmal.

Schrill und viel zu laut. War die Klingel schon immer so laut gewesen? Lotte hielt sich die Ohren zu. Manchmal verfluchte sie ihr ausgeprägtes Gehör. Noch einmal und sie würde die Klingel abstellen.

Doch dann steckte jemand den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn herum. Der Schlüsselbund klapperte dabei so laut, dass sie es bis unter die Decke hörte. Lotte horchte auf. Sie kannte nur eine Person mit einem derartigen Schlüsselbund: Vincent. Hastig warf sie die Kuscheldecke zurück und strampelte sie von sich. Hätte sie sich ja denken können! Bestimmt hatte ihre Ma ihn angerufen.

Sie sprang vom Sofa und klaubte die benutzten Taschentücher vom Teppich, die überall verstreut lagen, und stopfte sie in die Ritze des Sofas zwischen Sitzfläche und Lehne. Zur Sicherheit warf sie eines der Kissen darüber. Er sollte ihrer Ma nicht erzählen, dass es ihr wirklich so schlecht ging, wie sie vermutete. Die machte sich ohnehin immer zu viele Sorgen.

Lotte hechtete zur Küchenzeile im Wohnzimmer. Dort drehte sie den Wasserhahn auf und schüttete sich eine Handvoll eiskaltes Wasser ins Gesicht.

»Ernsthaft, Lotte?« Vincent hinter ihr lachte.

Sie griff nach einem nicht mehr ganz astreinen Handtuch und trocknete sich das Gesicht ab.

»Dass du immer noch denkst, du müsstest dich vor mir verstecken.« Ihr bester Freund stemmte die Hände in die Hüfte. »Ich könnte beleidigt sein.«

Lotte faltete das Handtuch und hängte es über den Griff am Ofen. Mit vor der Brust verschränkten Armen lehnte sie sich an die Arbeitsplatte. Sie und Vincent kannten sich schon seit dem Kindergarten, waren zusammen zur Schule gegangen und hatten sogar mal gemeinsam in einer WG gewohnt. Vor ihm brauchte ihr gar nichts unangenehm zu sein.

Vincent sah sich um und entdeckte das DVD-Menü auf dem Fernseher. »Oh mein Gott. Du hast dir Die Leichenbraut angesehen?« Mit großen Augen starrte er sie an.

Lotte presste die Lippen aufeinander und senkte den Blick. Da rollten schon wieder die Tränen ihre Wangen hinunter. Ihre Augen brannten. Lautlos tropften sie auf den Boden. Vincent kam auf Lotte zu und legte die Arme um sie.

»So schlimm?«

Sie schniefte laut, legte ihren Kopf auf seine Schulter und umarmte ihn ganz fest. Sanft streichelte er ihr über den Rücken. Es war so gut, dass er da war.

»Hat meine Ma dich angerufen?« Sie schluchzte.

»Jap.« Er klopfte ihr sanft auf die Schulter, dann führte er sie zum Sofa. »Komm, mein Schatz. Setz dich.«

Lotte ließ sich auf das Sofa plumpsen und sah zu Vincent hoch.

Er kniete sich vor sie hin und nahm ihre Hände. »Ehrlich gesagt habe ich schon längst damit gerechnet, dass Fred die Beziehung beendet.«

Lotte kniff die Augen zusammen und ein neuer Schwall Tränen trat hervor. »Ich weiß.« Aber sie hatte es nicht sehen wollen. Sie hatte gehofft, es würde doch wieder gut werden. Irgendwie. »Aber es tut trotzdem weh.«

Vincent reichte ihr die Taschentuchbox. Sie zog eines heraus und schniefte geräuschvoll hinein.

»So, ich mach jetzt Pfannkuchen.«

Lotte strahlte und schniefte zugleich.

»Du hast doch alles da, oder?«

»Immer.«

Vincent kramte in der Küchenzeile die paar Zutaten zusammen, die er brauchte und stellte sie sorgfältig in einer Reihe nebeneinander auf. Lotte beobachtete ihn vom Sofa aus, wie er Mehl, Milch und Zucker in eine Schüssel gab.

»Es lief schon das letzte halbe Jahr nicht mehr gut«, gab Lotte zu. »Ich weiß nicht mal, wie das passieren konnte. Egal, was ich tat, ich schien ihr auf die Nerven zu gehen.« Mit ihrer bloßen Anwesenheit.

Vincent schlug die Eier auf. »Auf Lenis Geburtstag hat sie dich so doof stehen lassen, da hätte ich ihr am liebsten eine gescheuert.«

Lotte runzelte die Stirn. »Lenis Geburtstag?«

»Weißt du das gar nicht mehr? Da hatten wir uns über die eine Serie unterhalten, wo die das Ding mit den Zeitreisen so versaut haben.«

»Ah, ja, ich erinnere mich.«

Vincent schüttelte den Kopf. »Du hattest da ein paar Ideen, aber Fred ist dir ständig dazwischen gefahren, hat dich gar nicht ausreden lassen. Und dann hat sie dich da stehenlassen, als wärst du zu blöde, um das Problem zu verstehen.«

Lotte seufzte tief und schniefte noch einmal in ihr Taschentuch. Ja, jetzt kamen die Bilder wieder hoch, wie Fred die Augen verdreht hatte, sobald sie den Mund aufgemacht hatte. Oder das abschätzige Schnalzen mit der Zunge, wenn sie eine Frage gestellt hatte. Wie demütigend, wenn sie heute darüber nachdachte. Aber damals hatte sie es hingenommen und vermutet, Fred hätte einen schlechten Tag gehabt.

»Da hat mir Leni schon gesagt, dass das nicht mehr lange hält bei euch.« Offenbar hatte es jeder kommen sehen. Nur sie selbst hatte irgendwie gehofft, es würde sich noch einrenken.

Sie schwiegen, während Vincent mit dem elektrischen Handrührgerät die Zutaten zu einem flüssigen Teig rührte.

Vincent hatte schon recht, die letzten Monate waren wirklich nicht mehr schön gewesen. Räumte sie ihre kleine Wohnung auf, regte sich Fred auf, sie wäre zu pingelig und würde ihr mit der ständigen Aufräumerei auf die Nerven gehen. Räumte sie nicht auf, wurde ihr vorgehalten, bei der Anke würde es ja viel ordentlicher aussehen. Als Lotte bei einem Film geweint hatte, war Fred aufgestanden und hatte erklärt, sie könne das ganze Geheule nicht mehr ertragen, dann war sie gegangen. Es störte sie plötzlich alles: wie sie die Haare trug, wie sie ihr Kebap aß, wie sie lief, wie sie dasaß, wie sie roch, wie sie lachte.

»Sie hat mir vorgeworfen, ich wäre die Königin der Fertiggerichte.«

Vincent lachte laut. »Hat sie echt?«

»Dabei nehm‘ ich doch nur für Köttbullar das Pulver aus der Tüte.«

»Und die Erbsensuppe aus der Dose mit dem Kasslerfleisch drin.« Vincent gab eine Kelle des flüssigen Teigs in die heiße Pfanne. Das Öl spritzte ein bisschen und er bewegte die Pfanne auf der Herdplatte hin und her. Es roch lecker. Nach Liebe.

»Die Dosensuppe ist die beste!«, empörte sich Lotte. »Nicht mal mein Opa kann die so gut kochen.« Und das wollte was heißen, immerhin war ihr Opa Meisterkoch.

Vincent wendete den Pfannkuchen gekonnt. Ohne zu kleckern, ohne zu spritzen. »Weißt du, ich glaube, jetzt, wo sie so steil Karriere gemacht hat, hat sie sich einen anderen Lebensstil vorgestellt.«

Lotte schnaubte abfällig. »Ja, und die arme Hauptschullehrerin passt da nicht mehr rein.« Dabei hatte sie Fred schon gekannt, als sie noch eine unbedeutende Sekretärin gewesen war. Erst durch Lottes Unterstützung und Ermutigung hatte sie die Weiterbildung gemacht, die ihr letztendlich eine Führungsposition eingebracht hatte.

»Blöde Kuh«, flüsterte Lotte. Sie stand auf, nahm das Kissen beiseite und fischte die Taschentücher heraus, die sie dahinter versteckt hatte.

»Ich fühl mich so ausgenutzt«, gestand sie. »Als sie mich brauchte, war ich da, hab sie voll unterstützt.« Sie brachte die Taschentücher zur Mülltonne, die neben der Küchenzeile stand. »Jeden Abend nach Feierabend habe ich mit ihr gelernt, ihr Dinge erklärt, ihr geholfen. Bei den Prüfungen hab ich sie abgefragt, hab ihr Lernkarten geschrieben und sogar ein Poster erstellt, das sie sich in ihr Schlafzimmer gehängt hat.« Sie warf die Taschentücher in den Eimer und drückte sie mit den Händen nach unten. »Und jetzt?!«

Vincent hob die Pfanne und gab den ersten fertigen Pfannkuchen auf einen Teller. »Es ist angerichtet, Mademoiselle.« Er hielt ihr den Teller unter die Nase und Lotte nahm ihn entgegen. Vincent war der Beste. Der beste Freund, der beste Pfannkuchenbäcker, der Beste überhaupt.

Lotte sah ihn liebevoll an. »Ich hab dich echt lieb.«

Vincent strahlte, beugte sich zu ihr rüber und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Ich dich auch, mein kleines Reißzähnchen.«

»Ey!«, rief sie.

Vincent hielt ihr die Kelle vor. »Geh und iss brav deinen Pfannkuchen, Kind.«

Erst schmollte sie noch, dann nahm sie sich eine Gabel aus der Schublade und setzte sich im Schneidersitz auf das Sofa. Einen Esstisch hatte sie nicht. Dafür war die Wohnung zu klein.

Vincent gab einen weiteren Klecks ins heiße Öl. »Ich glaube nicht, dass sie dich ausgenutzt hat.« Er hielt inne und hantierte mit dem Wender in der Pfanne herum. »Ihr seid noch jung und entwickelt euch. Da kann es passieren, dass sich Karrieren in verschiedene Richtungen bewegen. Und ganz häufig ist das ein Grund für eine Trennung.«

Lotte teilte mit der Gabel den Pfannkuchen in kleinere Stücke und schob sich eines davon in den Mund. Lecker! Sofort breitete sich wohlige Wärme in ihr aus.

»Schau dir doch Emmie und Markus an: zehn Jahre!« Er schüttelte den Kopf. »Zehn Jahre lang waren sie zusammen. Haben sich schon beim Abi kennengelernt, dann gemeinsam studiert, danach in der gleichen Firma angefangen. Und dann stellt sich heraus, dass Emmie ehrgeiziger ist als Markus und schwupps, klettert sie die Karriereleiter hoch, während er mit seinem Sachbearbeiterjob glücklich ist. Nach zehn Jahren das Aus.«

Lotte erhob Einspruch. »Emmie hat mir gesagt, dass sie enttäuscht von ihm war, dass er so gar keine Ambitionen hatte. Er dümpelte so vor sich hin, obwohl er die Möglichkeit hatte, sich zu entwickeln.« Sie schob sich ein weiteres Stück Pfannkuchen in den Mund. »Bei mir ist das was anderes«, nuschelte sie, während sie kaute. »Ich bin Lehrerin, wohin soll ich mich da entwickeln? Direktorin kann ich nur werden, wenn ich verbeamtet bin und das verweigern sie mir doch.« Aber wahrscheinlich war es einfach die Tatsache, dass es prestigeträchtiger war, Lehrkraft an einem schicken Gymnasium zu sein, als an einer Hauptschule.

Vincent hob die Pfanne hoch. »Bereit für den nächsten?«

Lotte hielt den leeren Teller hin. Den zweiten Pfannkuchen bestreute sie mit Zucker, bevor sie ihn in Stücke teilte.

»Mal abgesehen davon, dass ich gar keine Lust auf einen Direktorinnenposten hätte. Da kann dich niemand mehr leiden.«

Vincent warf einen grinsenden Blick über die Schulter. »Du könntest dich doch noch mal beim Rathsgymnasium bewerben.«

Beinahe hätte sich Lotte verschluckt. »Ja, sicher!«, rief sie und lachte. »Da wollen die so Leute wie mich nicht haben. Und außerdem will ich da gar nicht hin. Ich bin glücklich an meiner Schule.«

Vincent drehte sich um. »Jetzt sind eh Ferien.«

Lotte schielte an ihm vorbei in die Pfanne. »Hast du noch einen?«, fragte sie kleinlaut.

Er wies auf die Schüssel mit Teig. »Wenn du willst, mach ich dir zehn Stück.«

»Wird gerade so reichen. In zwei Tagen ist Vollmond.« Da brauchte sie mehr Energiezufuhr.

Er schmunzelte sie an und wandte sich wieder seinem Teig und der Pfanne zu. »Hast du nächste Woche eigentlich schon ein Konzert?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, die fangen erst in zwei Wochen an. Aber dann bin ich gleich vierzehn Tage am Stück weg, komme kurz wieder und dann bin ich wieder zwei Wochen unterwegs.«

Vincent grinste breit. »Ich wünschte, ich hätte deine Energiereserven. Ich meine, du hechtest von einem Festival zum nächsten. Bühnentechnik kann ein Knochenjob sein und dann kommst du gerade so zum Beginn des neuen Schuljahres wieder und musst das dann auch noch vorbereiten.« Er sah sie verständnislos an. »Und das kriegst du auch noch einwandfrei hin. Das macht mich neidisch.«

Sie hielt ihm ihren leeren Teller hin. »Du willst nicht wirklich ein Werwolf sein, Hase.«

Er gab ihr den dritten Pfannkuchen auf den Teller und sofort den nächsten Klecks in die Pfanne. »Sag mal …«

Lotte horchte auf. Sie hörte seine Bitte bereits in seiner Stimmlage, bevor er sie aussprechen konnte. »Sag einfach, was du willst.«

Er schien kurz nachzudenken. »Also, wenn es dir nicht zu viel wird … Mir ist gestern für das Feriencamp eine Betreuungsperson abgesprungen und so kurzfristig krieg ich keine qualifizierte Kraft mehr. Also jedenfalls keine, die das als Ehrenamt macht …«

»Soll ich einspringen?«, fragte sie und steckte sich ein etwas zu großes Stück Pfannkuchen in den Mund.

»Aber nur, wenn es passt.«

Sie nickte. Sprechen konnte sie nicht mehr.

»Die Rosie ist wieder dabei. Und dann zwei Neue, die ich selbst noch nicht kenne. Der Karl von der Grünen Musikschule, und dann … jaaaa, stell dir vor: der Sohn von dem Leuterer.«

Lotte hörte auf, zu kauen und starrte Vincent mit aufgerissenen Augen an. Sie schluckte schnell hinunter. »Nicht dein Ernst. Der?«

Vincent nickte eifrig. »Hat sich bei mir vorgestellt, meinte, er wolle sich mehr sozial engagieren. Ist ein bisschen so der Wohltäter-Typ, weißt du. Der denkt, der tut mit seiner Anwesenheit den armen Kindern aus unterprivilegiertem Hause was Gutes. Wenn sich noch andere beworben hätten, hätt’ ich den gar nicht genommen, aber du weißt ja, wie schwer es jedes Jahr ist, die Betreuungspersonen zusammenzukriegen. Und heuer haben sie auch noch die Auflagen beim Betreuungsschlüssel erhöht.« Er sah sie mitleidsheischend an. »Ich bin auf den angewiesen.«

»Ach du Kacke!« Aber was sollte man erwarten, von einem Sohn, dessen Vater in der Regionalgruppe der Traditionellen kandidierte und sich selbst als extrem konservativ einstufte. Der hatte die Privilegien schon mit der Muttermilch aufgesogen … oder eher mit der goldenen Trinkflasche.

»Ha, du hättest mal sehen sollen, wie der angezogen war. Schickes Sakko, feines Hemdchen und die güldenen Haare akkurat frisiert.« Vincent zeigte auf seine Füße, die in zertretenen Chucks steckten, die mindestens zehn Jahre alt waren. »Seine Chucks waren nigelnagelneu. Das musst du dir mal vorstellen!« Ungläubig schüttelte er den Kopf. »Wie kann man denn nigelnagelneue Chucks tragen? So was kauft man auf dem Flohmarkt oder erbt sie von Geschwistern und Freunden.«

»Sicher, dass ich unter diesen Umständen mitkommen soll?«, fragte Lotte.

»Wieso nicht?« Vincent nickte zu ihrem Teller und legte ihr den nächsten Pfannkuchen auf.

»Der Alte hetzt gegen Werwölfe«, sagte Lotte unsicher. »Und wir haben bald Vollmond.«

Vincent reichte ihr das Apfelmusglas und sie tat einen ordentlichen Klecks auf ihren Pfannkuchen.

»Mach dir darum mal keine Sorgen. Du glaubst doch nicht, dass der sich irgendwas zu sagen traut, wenn die Rosie dabei ist?«

»Oh, die Rosi! Da traut sich keiner was!«

Vincent hob die Schöpfkelle und tropfte dabei etwas flüssigen Teig auf die Arbeitsplatte. »Da fällt mir noch ein, dass … ich muss dir heute Abend noch die Unterlagen mailen. Also wir haben diesmal drei Werwolfkinder dabei, es wäre toll, wenn sie in dir eine Ansprechpartnerin hätten.«

Sie lächelte. »Das soll das geringste Problem sein.«

Kapitel 2 – Should I Stay Or Should I Go

Fritz traf überpünktlich am Bootsanleger ein. Natürlich war noch niemand da. Noch nicht mal der Organisator. Dabei hatte er doch gesagt, dass sich die Betreuer eine Stunde vor Ankunft der Kinder an der Anlegestelle treffen sollten. Er sah sich um. Das war doch die richtige Anlegestelle? Auf seinem iPhone glich er die Daten in seinem Kalender noch einmal ab. Ja, alles richtig. Und es war schon fünf vor neun. Fritz sah sich nach allen Seiten um, aber nirgends war jemand zu sehen, weder dieser Vincent noch jemand anderes, der aussah, als würde er zu einem Feriencamp aufbrechen. Er setzte sich auf seinen Koffer. Das war doch so typisch für diese alternativen Leute! Sie nahmen es mit nichts genau. Nun blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten. Er öffnete seine Packliste auf dem iPhone und überlegte, ob er wirklich alles eingepackt hatte. Er hatte für alle Wetterlagen und Gelegenheiten vorgesorgt, sogar ein zweites Bettwäsche-Set mitgenommen, falls irgendwas schiefging, eine umfangreiche Reiseapotheke, Regenbekleidung, Wanderschuhe, verschiedene Aufladekabel für verschiedene Mobiltelefone, falls jemand seines vergessen hatte.

Er hörte Schritte und sah auf.

»Hi«, sagte Vincent. »Hast du schon lange gewartet?«