Montana Mavericks - Babyboom in Rust Creek Falls (6-teilige Serie) - Karen Rose Smith - E-Book

Montana Mavericks - Babyboom in Rust Creek Falls (6-teilige Serie) E-Book

Karen Rose Smith

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Beschreibung

Es gibt einen Babyboom in Rust Creek Falls, Montana!

DER MILLIONÄR UND DAS COUNTRYGIRL

Herzschmerz-Garantie - oder unverhofftes Happy End? Tessa liebt das Landleben und will eine Familie, Millionär Carson Drake ist in Los Angeles zu Hause und noch nicht bereit für Kinder. Doch er ist so verführerisch, dass sie ihm einfach nicht widerstehen kann … mit Folgen!

DEINE BLAUEN AUGEN ?

Warum verhält sich die schöne Dawn so abweisend? Dr. Jonathan Clifton versucht alles, um seiner neuen Kollegin näherzukommen. Natürlich nur, um das Arbeitsklima zu verbessern. Nicht weil Dawn mit ihren kornblumenblauen Augen die süßeste Versuchung ist. Denn Liebe im Job ist tabu!

IST UNSER GLÜCK NUR GELIEHEN?

"Sag Ja, sonst verlierst du deinen Sohn!" Anderson Dalton hat keine Wahl: Er muss eine Zweckehe mit Marina eingehen. Deswegen nimmt er ihre Hilfe an - von Liebe war nie die Rede. Bis Anderson merkt, dass er plötzlich viel mehr von ihr möchte als nur einen Freundschaftsdienst …

PLÄDOYER FÜR UNSERE LIEBE

Warum hat sie niemand gewarnt, was für ein Traummann dieser Walker Jones ist? Die junge Rechtsanwältin Lindsay hatte eine klare Strategie, um den Fall gegen ihn zu gewinnen. Aber als Walker sie nach dem ersten Prozesstag küsst, wird daraus ein sinnliches Plädoyer für die Liebe …

BELLAS DUNKLES GEHEIMNIS

Die hübsche Erzieherin Bella Stockton kann kaum glauben, was gerade passiert: Ihr gutaussehender Boss Hudson Jones flirtet mit ihr! Wie gern würde sie darauf eingehen. Aber was, wenn der umschwärmte Millionär ihr dunkelstes, schmerzlichstes Geheimnis herausfindet?

SÜßE SEHNSUCHT IM KERZENGLANZ

Plätzchenduft, Glitzerkugeln und glänzende Augen: Jamie Stockton und seine Kinder sollen ein wunderschönes Weihnachtsfest erleben - das hat sich Fallon fest vorgenommen. Doch der attraktive Witwer weist sie zurück: Ihm ist nicht nach fröhlichen Stunden. Aber vielleicht nach Liebe?

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Seitenzahl: 1040

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Christine Rimmer, Teresa Southwick, Marie Ferrarella, Shirley Jump, Karen Rose Smith, Brenda Harlen

Montana Mavericks - Babyboom in Rust Creek Falls (6-teilige Serie)

IMPRESSUM

Der Millionär und das Countrygirl erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2016 by Harlequin Books S.A. Originaltitel: „Marriage, Maverick Style!“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA EXTRABand 43 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Anna-Pia Kerber

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 04/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733739812

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Carson Drake sehnte sich zurück nach L. A.

Als Vorsitzender und Geschäftsführer sowohl von Drake Destillerien als auch von Drake Hospitality verbrachte er ein Leben voll luxuriöser Autos, leidenschaftlicher Frauen und sehr altem Scotch – wenn auch nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.

Kleinstädte interessierten ihn nicht im Geringsten, weil dort jeder jeden kannte und die Feiertage grundsätzlich mit Paraden und wehenden Flaggen begangen wurden.

Im Gegenteil.

Was um alles in der Welt hielt ihn noch in Rust Creek Falls, einem winzigen Fleckchen Erde im Alpenraum von Montana? Darüber dachte Carson nach, während er wenig interessiert den Festumzug beobachtete.

Der Umzug trug den klangvollen Namen Rust Creek Falls Baby Bonanza Memorial Day Parade – und ebenso klangvoll benahmen sich auch die Hauptdarsteller. Im übrigen Land wurde der Memorial Day zu Ehren der gefallenen Helden gefeiert – hier in Rust Creek Falls hatte man den Tag kurzerhand auf das Feiern des Nachwuchses umgemünzt.

Auf jedem Festwagen wurden also Babys vorgeführt. EineMenge Babys. Dementsprechend hoch war auch der Geräuschpegel, und Carson begann sich zu fragen, wie so kleine Wesen ein solches Stimmvolumen entwickeln können.

Im Grunde genommen hatte er nichts gegen Babys, solange sie zu anderen gehörten. Ihnen eine gesamte Parade zu widmen, hielt er für reichlich übertrieben.

Neben ihm hob sein langjähriger Freund Ryan Roarke unauffällig die Hand, um ihm jemanden zu zeigen. Ryan war Anwalt und hatte sich – aus für Carson unerfindlichen Gründen – in das kleine Städtchen Rust Creek Falls verliebt. „Das ist Emmet DePaulo!“, erklärte er und deutete auf einen großen hageren Mann im Arztkittel, der ihnen im Vorbeifahren vom Umzugswagen aus zuwinkte. „Emmet leitet das örtliche Krankenhaus mithilfe von Callie Crawford. Sie ist …“

„… Nate Crawfords Ehefrau“, beendete Carson den Satz. „Ich erinnere mich.“ Die Crawfords waren eine alteingesessene, einflussreiche Familie in Rust Creek Falls, daher hatte Carson bereits mit Nate Kontakt aufgenommen.

Für sein Vorhaben hatte er in den vergangenen zwei Wochen beinahe alle vor Ort wichtigen Persönlichkeiten abgeklappert – und doch drohte das Projekt letztendlich zu scheitern.

Carson straffte sich. Es war ohnehin ein verrückter Einfall gewesen, der ihn hierhergeführt hatte. Vielleicht sollte er sich eingestehen, dass sein Plan an dieser Stelle fehlgeschlagen war. Immerhin konnte auch ein Mann wie er nicht jedes Projekt in eine Goldgrube verwandeln.

Carson war niemand, der rasch das Handtuch hinwarf, aber hier kam er wirklich nicht weiter. Er musste –

Seine Gedanken wurden abrupt unterbrochen. Carson lehnte sich nach vorn.

Wer ist das? lag ihm zu fragen auf der Zunge.

Doch dann schluckte er die Frage hinunter und beschränkte sich darauf, mit weit aufgerissenen Augen weiter zu beobachten.

Verdammt. Diese Frau war ein Anblick, der unwillkürlich jeden klaren Gedanken aus seinem Gehirn löschte. All seine Sinne waren jetzt auf sie gerichtet.

Sie befand sich auf einem der Paradewagen und war als … Storch verkleidet.

Tatsächlich. Wenn Carson jemals gefragt worden wäre, ob eine Frau in einem Storchenkostüm heiß aussehen könnte, hätte er gelacht. Und verneint.

Aber sie war heiß.

Ihr volles braunes Haar quoll in dichten Locken unter dem orangefarbenen Storchenschnabel hervor und legte sich um ihre geröteten Wangen. Sie hockte auf einer Box, die mit weißer Watte beklebt worden war. Carson vermutete, dass diese aberwitzige Sitzgelegenheit eine Wolke darstellen sollte.

Das Storchenkostüm war ebenfalls weiß und flauschig, und die Arme der Frau waren in große weiße Schwingen gehüllt. In diesen Flügeln barg sie ein Baby, das in eine hellblaue Decke gewickelt war. Ihre langen schlanken Beine waren in orangefarbene Strumpfhosen gekleidet, die an den Füßen in breiten, flachen Schwimmflossen endeten. Es hätte ziemlich lächerlich wirken können – und das tat es schon auch.

Lächerlich und zugleich hinreißend.

Und sexy.

Über ihrem Kopf prangte ein Banner, das in blauen und pinkfarbenen Glitzerbuchstaben verkündete: Die Rust-Creek-Falls-Gazette.

„Das ist Kayla, Kristens Zwillingsschwester.“ Ryans Stimme drang wie aus weiter Ferne an Carsons Ohr. Seine Worte schienen keinen Sinn zu ergeben.

Carson rief sich zur Ordnung. Mit Mühe riss er den Blick von dem wunderschönen Storch und richtete ihn auf die Frau an dessen Seite. Diese Frau war als Freiheitsstatue zurechtgemacht, thronte auf einem kleinen Podest und hielt eine Fackel in die Höhe. Sie trug eine breite Schärpe um die Brust und winkte mit der freien Hand würdevoll dem Publikum zu.

Sie hatte Ryan gemeint, denn ihre Gesichtszüge erinnerten unverkennbar an Ryans Frau Kristen.

Carsons Interesse jedoch wurde unverzüglich wieder von der Lady im Storchenkostüm gefesselt. Das Baby auf ihrem Arm nörgelte hörbar.

Plötzlich war es, als würde sie seinen durchdringenden Blick auf ihrem Gesicht spüren. Ihr schlanker Körper verharrte in der Bewegung. Dann wandte sie langsam den Kopf in seine Richtung.

Peng! Es war wie in einem dieser kitschigen, romantischen Filme, wenn sich die Blicke treffen und ineinander verhaken. Carson hatte das Gefühl, in ihren Augen zu versinken. Haltlos und mit Haut und Haaren – auf der ganzen Welt gab es nichts, was ihn retten konnte.

Es war, als hätte die Frau die Hand ausgestreckt und ihn berührt. Es war, als hätten sie soeben einen kleinen magischen Augenblick miteinander geteilt, der nur ihnen gehörte.

Die Welt um sie herum schien stillzustehen.

Er sah sie an, und sie blickte zurück, die schönen Lippen leicht geöffnet, als sei er der einzige Mensch auf der Straße – und das, obwohl die Band viel zu laut spielte, ein Teenager einige Knallfrösche auf die Straße warf und selbst das lauteste Babygeschrei von dem allgemeinen Getöse verschluckt wurde.

Was hatte diese Frau an sich, das ihn auf Anhieb so verzauberte?

Carson hätte es nicht in Worte fassen können.

Vielleicht lag es an ihren großen glänzenden Augen. Oder an dem gespannten, beinah fieberhaften Ausdruck in ihrem ebenmäßigen Gesicht. Dieses Gesicht vereinte die perfekten Eigenschaften des Mädchens von nebenan mit den Zügen einer schönen Wilden.

Oder es lag an dem Kostüm. Die Frauen, mit denen Carson für gewöhnlich verkehrte, hätten sich nicht einmal im Sarg in einem Storchenkostüm erwischen lassen.

Ganz egal, was ihn dazu brachte, einer Unbekannten wie ein verliebter Trottel nachzustarren – er musste sie treffen.

Ihr Festwagen zog vorbei.

Als Nächstes erschien ein Paradewagen mit Kriegsveteranen, vollgepackt mit Menschen in Tarnfarben. Auch sie trugen Babys auf den Armen, vollständig in Camouflage gehüllt.

Carson schüttelte langsam den Kopf. Es fiel ihm schwer, in die Gegenwart zurückzufinden. Eine Gegenwart, in der es ja nicht nur diese Frau gegeben hatte, sondern auch das plärrende Baby in ihren plüschigen weißen Storchenschwingen.

Sie hatte ein Kind, um Himmels willen. Carson wünschte sich Frauen, die frei und ungebunden waren. Davon abgesehen gab es nicht nur dieses Baby, sondern womöglich auch einen Ehemann dazu.

Hatte er den Verstand verloren? Er hatte noch nie einer Mutter Avancen gemacht. Und um vergebene Frauen machte er ebenfalls einen weiten Bogen.

Wenn Carson sich Kinder gewünscht hätte, dann hätte er sich damals nicht scheiden lassen müssen.

Man hätte meinen können, Carson hätte bereits von dem MagicMoonshine gekostet, weswegen er ursprünglich nach Montana geflogen war. Dabei handelte es sich um eine ganz bestimmte Schnapssorte, schwarz gebrannt, deren Rezept Carson für Drake Destillerien aufkaufen wollte.

Angeblich braute ein exzentrischer Kerl namens Homer Gilmore den unvergleichlichen Branntwein an einem geheimen Ort in Rust Creek Falls. Bisher hatte Carson allerdings weder Homer zu Gesicht bekommen noch dessen Getränk kosten können.

Aus diesem Grund war er nahe daran, seinen hübschen Plan aufzugeben und unverrichteter Dinge nach L. A. zurückzukehren.

Aber der Anblick dieser Frau veränderte alles. Mit einem Mal dachte Carson nicht mehr daran aufzugeben. Er sehnte sich nach einem Erfolgserlebnis – und er würde es bekommen.

Er wollte zumindest einmal mit ihr reden. Sollte sich herausstellen, dass sie verheiratet war, konnte er sich immer noch zurückziehen.

Allerdings ließ sich eine solche Information leicht herausfinden. Immerhin befanden sie sich in einer Kleinstadt. „Hast du das Mädchen im Storchenkostüm gesehen?“, fragte er Ryan beiläufig.

„Tessa Strickland“, erwiderte dieser bereitwillig. „Lebt in Bozeman. Zurzeit besucht sie ihre Großeltern in deren Gästehaus in Rust Creek Falls.“

Tessa. Der Name passte zu ihr. „Verheiratet mit …?“

Ryan bedachte Carson mit dem schnellen, scharfen Blick Ich bin Anwalt, du kannst mir nichts vormachen. „Du bist an Tessa interessiert? Warum?“

„Ryan, ist sie verheiratet oder nicht?“

Sein Freund strich sich das pechschwarze Haar aus der Stirn. „Tessa ist Single.“

„Aber sie hat ein Baby.“

„Du bist interessiert.“

„Gäbe es damit ein Problem?“

Ryan grinste. „Überhaupt nicht. Und Tessa hat kein Baby.“

Sie ist Single. Kein Baby. Schon sah der Tag freundlicher aus.

„Das Baby gehört Kayla“, fuhr Ryan im Plauderton fort. „Sie ist mit Trey Strickland verheiratet. Die beiden wohnen mittlerweile unten im Thunder Canyon.“

„Respekt“, bemerkte Carson. „Du wohnst erst seit sechs Monaten hier und scheinst schon alles über jeden zu wissen.“

Ryan breitete die Arme aus, als wolle er die gesamte Straße mit einer Geste umschließen. „Willkommen in meiner neuen Heimat!“, erklärte er. Ryan und seine Frau Kristen waren allerdings ins nahe gelegene Kalispell gezogen – doch was spielte das auf dem Land schon für eine Rolle?

„Der kleine Gilmore ist übrigens gerade einmal zwei Monate alt“, fügte Ryan hinzu. Ein wissendes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Gilmore. Kannst du mir folgen?“

Carsons Augen weiteten sich. „Das ist doch nicht dein Ernst.“

„Mein voller Ernst.“

„Trey und Kayla haben ihr Kind nach Homer Gilmore benannt? Einem vagabundierenden Schwarzbrenner?“

„Exakt.“

„Wer um alles in der Welt würde sein Baby nach einem alten Obdachlosen benennen?“

Ryan lehnte sich zu Carson hinüber und senkte vertraulich die Stimme. „Kayla und Trey sind am Nationalfeiertag im vergangenen Jahr zusammengekommen …“ Er hob die Braue und ließ den Satz unvollendet, als wäre somit alles geklärt.

Carson verstand die Andeutung. „Du willst mir weismachen, dass sie wegen Homers Moonshine zusammengekommen sind?“

„Das hast du gesagt, nicht ich.“ Um Ryans Mund lag ein zufriedenes Grinsen.

Am Vierten Juli im vergangenen Jahr hatten einige Frauen in Rust Creek Falls von dem Magic Moonshine gekostet. In der Kleinstadt waren an diesem Tag sämtliche Hemmungen gefallen – und danach waren ungewöhnlich viele Frauen schwanger gewesen. Daher rührte der Begriff Baby Bonanza – Babysegen.

„Ich nehme an, Kayla brauchte eine Pause vom Fackel- und Babytragen. Sie hat den kleinen Gil deshalb Tessa in die Hand gedrückt“, vermutete Ryan. „Und du bist interessiert. Gib es zu.“

„Ich habe noch eine Frage.“

„Carson. Gib es einfach zu.“

„Warte und hör zu. Kaylas Ehemann heißt Strickland. Genau wie Tessa. Ist er ihr Bruder?“

„Nein. Er ist ihr Cousin.“ Ryans Augen verengten sich. „Wir kennen uns nun schon sehr lange. Was hast du vor? Ich möchte es wirklich gerne wissen. Diese Stadt bedeutet mir etwas. Die Menschen bedeuten mir etwas.“

Carson hielt seinem Blick stand. „Ich finde sie einfach umwerfend!“, gab er schließlich zu. „Und ich würde sie gerne kennenlernen. Findest du etwas falsch daran?“

Ryan entfuhr ein kleiner selbstzufriedener Laut. „Ich wusste es. Und schon wirkt der Zauber von Rust Creek Falls auch auf dich.“

„Nein, tut er nicht.“

„Sicher. Du kannst dich ebenso wenig entziehen wie wir.“

„Unsinn.“

„Oh doch. Du wirst dich in Tessa verlieben und nie mehr gehen wollen.“

Carson verkniff sich die spöttische Bemerkung, die ihm auf der Zunge lag. „Ich würde einfach gerne diese Frau kennenlernen. Kannst du das arrangieren?“

„Dein Wunsch ist mir Befehl.“

Tessa wiegte das schreiende Baby im Arm und befahl gleichzeitig ihrem rasenden Herzschlag, sich zu beruhigen.

Aber der kleine Gil schrie nur noch lauter, und ihr Puls begann sich beinah zu überschlagen. Du liebe Zeit, wie brachte man so ein winziges Bündel bloß zum Schweigen? Und wie um alles in der Welt konnte ein so kleines Wesen so einen Lärm machen?

Tessa widerstand dem Impuls, das Baby einfach der Mutter zurückzugeben. Na schön, sie war heillos überfordert mit Babys, aber sie musste zumindest durchhalten, bis Kayla die schwere Fackel ablegen durfte.

„Schhh, Kleiner, es ist alles gut“, versuchte sie den weinenden Jungen zu trösten.

Am liebsten hätte sie alles stehen und liegen lassen, wäre vom Wagen des Festumzugs gesprungen und losgerannt, so schnell es ihre albernen Watschelschuhe zuließen.

Bloß weit weg, bevor er sie in der Menge wiederfinden würde.

Und nein, sie kannte ihn nicht. Hatte ihn nie zuvor gesehen.

Aber nach einem Blick in seine Augen wusste sie, dass er nach ihr suchen würde. Und damit würde der ganze Ärger von vorn anfangen.

Männer wie er waren ihr Verderben.

Männer wie er bekamen alles, was sie sich in den Kopf setzten, diese großen, breitschultrigen, selbstbewussten Typen, die allein mit einem einzigen Blick den Raum beherrschen konnten.

Der Mann hatte aufmerksame dunkle Augen, dichtes dunkelbraunes Haar und Wangenknochen, die wie gemeißelt aussahen. Und obendrein dieser schöne, fein geschwungene Mund, der fast schon gefährlich sexy wirkte.

So, wie er dort oben auf den Stufen vor der Stadthalle Position bezogen hatte, sah es so aus, als gehöre ihm der gesamte Platz, die Halle, die Stadt, das Tal und die Berge im Hintergrund.

Er hatte Geld, allein von seinem perfekt geschnittenen Jackett und der Art, wie er die Schultern straffte, konnte Tessa es ablesen. Genug Geld, um darin zu baden.

Wie er sie angesehen hatte …

Oh, sie kannte diesen Blick. Sie kannte die Sorte Männer, die ihr solche Blicke zuwarfen, diese Männer waren umwerfend schön und gefährlich zugleich.

Für einen solchen Blick hatte sie schon einmal alles aufgegeben: ihren Job, ihre Zukunft, ihr Leben – nur, um einem Mann zu folgen und zwei Jahre später nach Bozeman zurückzukehren und die Scherben wieder zusammenzukehren.

Ein weiteres Desaster dieser Art konnte sie sich nicht leisten.

Kayla blickte zu ihrem Wolkenpodest hinab. „Alles in Ordnung, Tessa?“

„Sicher“, schwindelte sie und wiegte das Baby ein wenig schneller.

„Wir haben es gleich geschafft“, sagte Kayla beschwichtigend.

Zu Tessas Erleichterung kam in diesem Augenblick die Grundschule von Rust Creek Falls in Sicht. Hier hatte der Festumzug begonnen, und hier fand er auch wieder sein Ende, nachdem sie in quälend langsamem Tempo die Hauptstraße auf und ab prozessiert waren.

Konnten sie nicht schneller fahren? Bei dieser Geschwindigkeit würde der Mann sie einholen, wenn er es darauf anlegte. Und dessen war sich Tessa beinah zu hundert Prozent sicher.

Er würde dort auf dem Parkplatz stehen und warten. Die Sonne würde helle Reflexe in sein schönes dunkles Haar zaubern, und er würde aussehen wie der fleischgewordene Traum – der sich nach einiger Zeit bestimmt in Tessas schlimmsten Albtraum verwandeln würde.

Tessa konnte es nicht leugnen: Die gegenseitige Anziehungskraft hatte urplötzlich in der Luft gelegen und war fast übermächtig gewesen.

Aber sie wusste ja, wohin Anziehungskraft und Leidenschaft führten. Sie führten dazu, dass man alles aufgab, wofür man ein Leben lang hart gearbeitet hatte. Diesen Fehler würde sie nicht noch einmal begehen.

Aus diesem Grund sprang Tessa panisch auf, noch bevor der Wagen völlig zum Stillstand gekommen war. Kayla, die den Grund für Tessas Unruhe missdeutete, legte die Fackel beiseite und nahm Tessa mitleidig das Baby ab. Sofort hörte es auf zu weinen.

„Danke“, sagte sie mit diesem warmen, wohlwollenden Lächeln, das frischgebackene Mütter stets im Gesicht tragen.

Tessa war jedoch bereits vom Paradewagen gesprungen und hechtete zu ihrem Auto. „Gern geschehen“, schrie sie über die Schulter zurück.

„Wir sehen uns beim Picknick!“, hörte sie Kayla rufen, doch sie blieb ihrer Freundin eine Antwort schuldig.

Mit einem erleichterten Seufzen sank sie auf den Fahrersitz. Auf keinen Fall würde sie zu dem Picknick im Park gehen. Die Gefahr, dem Fremden dort zu begegnen, war viel zu groß.

Während sie den Motor anließ, versuchte sie sich zu beruhigen. Natürlich war es albern anzunehmen, dass er dort auf sie warten würde. Und vermessen. Aber tief in ihrem Inneren spürte sie, dass er es tun würde.

Zunächst einmal musste sie ihr Kostüm loswerden.

Der Weg zur Pension ihrer Großeltern war nicht weit, doch sie war froh, dass sie den Wagen genommen und mit den übergroßen Storchenschuhen nicht zu Fuß gehen musste.

Ein kleiner Umweg über die Cedar Street konnte ebenfalls nicht schaden, um dem Tumult auf der Hauptstraße zu entgehen. Durch das geöffnete Wagenfenster drang der Geruch nach Feuerwerkskörpern und Grillkohle. Zu dieser Zeit würden sich die ersten Familien im Park treffen und das Picknick vorbereiten, und die Grillfeuer würden bis spät in die Nacht brennen.

Erleichtert und ohne weitere Zwischenfälle parkte Tessa wenige Minuten später vor der Pension ihrer Großeltern. Dabei handelte es sich um ein altes vierstöckiges Haus im viktorianischen Stil. Die Fassade hatte einst in einem kräftigen Violett geleuchtet, doch inzwischen war sie zu einer blassen Lavendelfarbe verblasst.

Tessa sprang aus dem Auto, rannte zur hinteren Veranda und eilte die schmale Treppe im rückwärtigen Teil des Hauses hinauf.

Drinnen war es still. Tessa war froh, dass ihr auf dem Weg zu ihrem Zimmer niemand begegnete. Da sie sich das Badezimmer mit einem weiteren Gast teilen musste, prüfte sie zunächst, ob das Bad besetzt war. Als dies nicht der Fall war, schälte sie sich aus dem Storchenkostüm und gönnte sich eine ausgiebige Dusche.

Danach trug sie großzügig ihre duftende Körperlotion auf und verbrachte länger als sonst damit, ihre wilden Locken zu sanften Wellen zu bändigen. Schließlich legte sie sogar Make-up auf – etwas, worauf sie für gewöhnlich keine Zeit verschwendete.

Es war ohnehin albern, da sie sich ja fest vorgenommen hatte, das Haus am heutigen Tag nicht mehr zu verlassen.

Allerdings war inzwischen einige Zeit vergangen, und ihre Panik war einer nervösen Unruhe gewichen, die sich schließlich in freudige Erwartung verwandelte.

Wem willst du etwas vormachen? dachte sie, als sie ihr Gesicht im Spiegel betrachtete. Er ist nur irgendein Kerl, der zufällig ziemlich heiß aussieht. Das ist noch lange kein Verbrechen.

Vielleicht sollte sie sich eingestehen, dass sie überreagiert hatte. Überhaupt war es lächerlich, sich den Feiertag von einem Fremden ruinieren zu lassen, mit dem sie nur einen Blick ausgetauscht hatte.

Sie würde sich nicht in ihrem Zimmer verkriechen.

Im Gegenteil, sie würde ausgehen und Spaß haben. Womöglich war diese Reaktion auch ein Zeichen dafür, dass sie endlich über die Katastrophe mit Miles hinweg war.

Tessa durchforstete den Kleiderschrank und entschied sich für ein weißes Trägerhemdchen, das knapp über dem Bauchnabel endete. Dazu schlüpfte sie in eine enge Jeans und streifte ihre roten Lieblingscowboystiefel über. Zufrieden warf sie einen letzten Blick in den Spiegel. Im Vergleich zu vorhin wirkte sie jetzt selbstsicher. Und entspannt.

Als Ergänzung zu ihrem Look schnappte sie sich auf dem Weg nach draußen noch den Cowboyhut mit den Nieten, Glitzersteinchen und dem Leopardenprint an der Krempe.

Bis zum Park war es nicht weit, sodass sie das Auto stehen ließ und sich zu Fuß auf den Weg machte. Unterwegs nahm sie sich fest vor, den Tag zu genießen. Sie würde nicht zulassen, dass ihre Vergangenheit ihr immer wieder im Weg stehen würde.

Davon abgesehen hatte der Fremde sie inzwischen vermutlich vergessen. Wahrscheinlich würde sie ihn nie wiedersehen.

2. KAPITEL

Mit selbstsicheren Schritten verließ Tessa den asphaltierten Bürgersteig und ging über die Rasenfläche. Der gesamte Park war mit einem geschäftigen Summen erfüllt. Sie passierte Familien auf Picknickdecken, Eiscremeautomaten und riesige Kühlboxen voller Softdrinks und anderer Erfrischungen.

Plötzlich trat jemand aus der Menge auf sie zu und hielt sie am Arm fest. Es war Ryan Roarke. „Tessa. Möchtest du dich nicht zu uns gesellen? Ich würde dir gerne jemanden vorstellen.“

Sie wandte sich um – und erkannte ihn im Schatten eines riesigen Pappelbaums. Er war keine zehn Meter entfernt, umgeben von Kristen, Kayla und Trey, und sah sie aufmerksam an. Seine Augen glitzerten gefährlich, und um seine Mundwinkel spielte der Anflug eines bedrohlich schönen Lächelns.

Beinahe wäre sie bei seinem Anblick gestolpert, doch Ryan packte geistesgegenwärtig ihren Oberarm. „Vorsicht! Alles in Ordnung?“

Oh ja. Das war es. Sie würde sich zusammenreißen und sich dem gut aussehenden Fremden stellen. Er war schließlich nicht Miles – und heute war nicht damals. „Sicher. Wen möchtest du mir vorstellen?“

Ryan, der zugleich unheimlich glatt, witzig und ausgelassen sein konnte, deutete in den Schatten der Pappeln. „Einen Freund von mir. Lass uns rübergehen.“ Ein wissendes Lächeln lag um seinen Mund, das Tessa für einen Sekundenbruchteil durcheinanderbrachte.

Doch dann richtete sich ihre gesamte Aufmerksamkeit auf den Fremden. Er wartete ab, bis Tessa die anderen begrüßt und Kristen umarmt hatte, dann sagte er: „Hallo, Tessa.“

Mit einer fast trotzigen Geste hob sie das Kinn und sah ihm direkt in die Augen. Warum musste er auch so verflixt groß sein? Mit Sicherheit an die ein Meter neunzig. Zu groß, zu heiß, zu … alles. Atemlos betrachtete sie sein Gesicht. Ein angenehmer Schauer rann über ihren Rücken.

Ryans Stimme holte sie zurück in die Gegenwart. „Tessa, das ist Carson Drake. Er kommt aus L. A. und ist hier geschäftlich unterwegs. Ich kenne ihn seit einigen Jahren, habe hin und wieder für ihn gearbeitet.“

Tessa versuchte ihre Nervosität herunterzuschlucken. „Willst du mir damit sagen, dass er harmlos ist und dass ich ihm vertrauen kann?“

Ryan zögerte. „Harmlos. Hmm, ich weiß nicht, ob ich so weit gehen würde.“

„Hör nicht auf ihn“, mischte sich der Mann nun selbst ein. Er hob die Braue und wandte sich an Ryan. „Solltest du nicht auf meiner Seite sein?“

„Oh, das bin ich“, erwiderte der Anwalt fröhlich. „Ich bin mir bloß nicht sicher, ob harmlos das richtige Wort für dich ist.“

In diesem Augenblick näherte sich Kristen ihrem Mann und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Liebling, Tessa ist ein großes Mädchen. Ich bin sicher, dass sie mit Carson fertigwird.“

Tessa wandte übertrieben den Blick zum Himmel. „Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass ich in eine Falle gelockt werde?“

„Weil ich darum gebeten habe, dir vorgestellt zu werden.“ Carsons tiefe samtige Stimme sandte erneut einen warmen Schauer über ihren Körper und ließ ihre Nervenenden zittern.

Und noch etwas begann in ihrem Kopf zu klingeln: Es waren die Alarmglocken, die sie vor seinem gefährlichen Lächeln warnen sollten. Doch Tessa beschloss, sie einfach zu ignorieren. An einem so schönen Tag gab es nichts, wovor man sich fürchten brauchte.

„Also, Carson, welche Art von Geschäft hat dich nach Rust Creek Falls geführt?“, fragte sie direkt.

Ryan kam ihm zuvor. „Er ist hier, um einen Deal mit Homer Gilmore abzuschließen.“

Tessa behielt Carsons Miene im Auge. Dieser hielt ihrem Blick stand. „Was könnte Homer Gilmore besitzen, das du haben willst?“

„Ich möchte mit ihm über seinen berühmten Moonshine sprechen.“

„Berüchtigt trifft es wohl besser!“, warf Ryan belustigt ein.

Tessa war erstaunt. „Du möchtest seinen Moonshine kaufen?“

„Ich will die Formel kaufen.“

„Und? Hast du schon Glück gehabt?“

„Nicht wirklich. Ich bin seit zwei Wochen hier, um ein Meeting mit ihm zu arrangieren, aber bisher hat es nicht geklappt. Dabei hat er mich schon viermal angerufen.“ Carson zog die Stirn in unkleidsame Fältchen. „Zumindest gehe ich davon aus, dass er es war. Soviel ich weiß hat er gar kein richtiges Zuhause. Und woher sollte er meine Mobilnummer haben? Vielleicht erlaubt sich bloß jemand einen Scherz mit mir.“ Mit diesen Worten warf er Ryan einen argwöhnischen Blick zu.

Ryan hob mit einer abwehrenden Geste die Hände. „Hey, sieh mich nicht so an. Wenn sich wirklich jemand einen Scherz mit dir erlaubt, bin ich es jedenfalls nicht.“

Kayla schüttelte den Kopf. „Homer weiß mehr, als man ihm zutrauen würde“, gab sie zu bedenken. „Er ist ein kluger Mann. Und er hat ein großes Herz. Er ist bloß ein bisschen kauzig.“

Tessas Neugier war geweckt. „Was hat er denn am Telefon gesagt?“, wollte sie wissen.

Er sah sie an. Sein Blick war so aufmerksam und wohlwollend, dass sich ein leises Prickeln auf ihrer Haut ausbreitete. „Homer hat gesagt, er wüsste, dass ich nach ihm suche, und dass er daran arbeite“.

„Woran arbeite?“

Carson hob die Schultern. „Das weiß ich auch nicht. Er sagte, er würde sich vielleicht auf ein Geschäft einlassen, und dass er sich bald wieder melden würde.“

„Das ist alles?“, fragte Trey.

„Das ist alles.“

„Er hat dich viermal angerufen und nicht mehr gesagt als das?“, hakte Kristen nach.

„So ziemlich. Es war entmutigend. Man sollte annehmen, dass ein Obdachloser daran interessiert sein müsste, reich zu werden. Aber offensichtlich nicht Homer Gilmore.“

„Im Ernst?“ Tessa hob die Brauen. „Du willst Homer die Moonshine – Formel abkaufen und einen reichen Mann aus ihm machen?“

„Richtig.“ Carson streckte den Arm aus und ergriff ihre Hand. Seine Berührung sandte Hitzewellen durch ihren Körper. Er zog ihre Hand an sich, und Tessa ließ es geschehen. „Komm, lass uns etwas trinken gehen.“ Mit diesen Worten legte er ihre Finger um seinen Arm.

Der Stoff seines teuren Sportsakkos fühlte sich glatt und kühl an. Darunter konnte Tessa die stahlharten Muskeln spüren, und für einen Augenblick wusste sie nicht, ob sie das beängstigend oder erregend finden sollte.

Aus der Nähe betrachtet war Carson Drake sogar noch anziehender. Und sein Duft war atemberaubend. Vermutlich ließ er ihn eigens für sich allein kreieren, von irgendeinem angesagten Parfümeur aus London oder Paris, für den er ein kleines Vermögen springen ließ.

Allerdings war das Parfüm wirklich jeden Penny wert.

Er wandte den Kopf und schenkte ihr ein Lächeln.

Peng! Es war, als wäre sie von einem Blitz aus puren Glückshormonen getroffen worden. Wenn Carson sie ansah, gab er Tessa das Gefühl, die einzige Frau auf der Welt zu sein, der einzige Mensch, der zählte.

Und dieses Gefühl war es, nach dem man so schnell süchtig wurde. Ein Gefühl wie eine Droge, und genau wie eine Droge war es auch so gefährlich, sich darauf einzulassen.

Das hatte sie schon einmal getan. Und dabei alles verloren.

Sie hätte ihren Verstand gebrauchen und weit weg laufen sollen. Doch sie tat es nicht. Stattdessen hörte sie sich sagen: „Ich werde mit dir etwas trinken gehen, aber nur, wenn du verrätst, wie du an Homers Magic Moonshine herankommen willst.“

„Abgemacht.“

Sie ließen die anderen zurück und begaben sich zum Getränkestand. Carson holte sich ein Budweiser, während sich Tessa für ein Ginger Ale entschied. Dann schlenderten sie Arm in Arm durch den Park und wurden alle paar Meter von Bekannten begrüßt, mit denen sie einige Worte wechselten.

Tessa war beeindruckt. Während der zwei Wochen hatte Carson wirklich keine Zeit verschwendet: Er schien bereits die Hälfte von Rust Creeks Einwohnern beim Namen zu kennen.

Schließlich fanden sie ein ruhiges Plätzchen auf einer hölzernen Bank jenseits eines mächtigen Tannenbaums. Carson erzählte ihr von seinen Clubs und Restaurants in Südkalifornien – und alles über die Drake Destillerien.

„Ich kenne deine Marken“, fiel Tessa ein. „All diese teuren Luxuswhiskeys, Scotch, Wodka … Macht ihr nicht auch Gin? Und jetzt willst du mir erzählen, du willst Homer Gilmores Rezept in Flaschen abfüllen und im ganzen Land verkaufen?“

„Auf der ganzen Welt, um genau zu sein.“

„Wow.“

„Meine Familie stellt seit beinah hundert Jahren hochwertige Spirituosen her. Als ich übers Internet von dem Magic Moonshine hörte, war ich sofort Feuer und Flamme. Ich musste unbedingt dahinterkommen, was es damit auf sich hat.“

„Du weißt schon, dass Homer ein Schwarzbrenner ist.“

„Sicher. Aber wenn seine Produkte wirklich so gut sind, werde ich sie verkaufen. Legal. Und zwar unter der Drake-Marke.“

„Ehrlich gesagt hört sich die Idee ein bisschen verrückt an.“

„Die besten Einfälle sind oftmals verrückt. Ich rief sofort Ryan an, um mehr Details zu erfahren. Wenn man den Gerüchten glauben darf, ist Homers Moonshine exzellent. Wenn das stimmt, werde ich die Rezeptur kaufen.“

„Sei vorsichtig!“, warnte sie. „Am vergangenen Vierten Juli haben die Leute seinen Moonshine getrunken und Dinge getan, an die sie sich später nicht einmal mehr erinnern konnten.“

„Ich nehme solche Dinge sehr ernst“, erklärte er ruhig. „Bei der Herstellung von Spirituosen gibt es strenge Auflagen, und daran halte ich mich auch. Sollte ich Homers Moonshine jemals zu Gesicht bekommen, wird er zunächst im Labor zahllosen Tests unterzogen. Erst wenn er all die Tests bestanden hat, kommt er auf den Markt.“

Tessas Blick verharrte für einen Augenblick auf seinen teuren Stiefeln. Sie seufzte. „Ich war letztes Jahr nicht hier, aber es soll unglaublich gewesen sein. Wie verzaubert. Offenbar hatten einige Leute die beste Zeit ihres Lebens. Und es haben sich viele Paare gefunden.“

„Daher der Babysegen.“

„Genau. Für eine kleine Stadt wie Rust Creek Falls haben sich die Menschen sehr ungewöhnlich benommen. Hemmungsloser. Homer hat den Moonshine unbemerkt in die Schüssel mit der Bowle gegeben, für die ursprünglich nur ein bisschen Sekt vorgesehen war. Niemand wusste, was er da trank.“

„Davon habe ich gehört. Der alte Narr kann von Glück reden, dass ihn niemand dafür verklagt hat.“

„Zunächst wusste niemand, wer die Bowle manipuliert hatte. Anfangs gab es viel Gerede, und man wollte den Täter unbedingt fassen und vor Gericht bringen. Aber die Monate vergingen, ohne dass man ihn fassen konnte. Zu dem Zeitpunkt, als Homer sich offenbarte, war der Zorn längst verebbt.“

„Er wurde nicht verhaftet? Nicht einmal angeklagt?“

„Nein. Homers Tat wurde zu einer Art Legende, die Art von Geschichte, die man noch seinen Kindern erzählt, und die erzählen sie wiederum ihren Kindern und so weiter. Angeblich bringt Homers Moonshine die Leute dazu, Dinge zu tun, die sie sich für gewöhnlich nicht trauen würden. Du musst bedenken, dass dies eine Kleinstadt ist. Normalerweise gehen die Menschen nicht zu einer Feier im Park und erwachen am nächsten Morgen neben einem Fremden im Bett.“

Er lehnte sich zu ihr, sodass seine Stirn die Krempe ihres Huts berührte. Der Wind wehte einen Hauch seines Parfüms in ihre Richtung. „Ein echtes Aphrodisiakum, hm? Das könnte interessant werden.“ Ein feines Lächeln spielte um seinen Mund. „Zumindest unter dem Marketinggesichtspunkt.“

„Marketing. Sicher.“ Sie gab sich Mühe, ihrer Stimme einen spöttischen Ton zu geben – auch wenn sie ein wenig atemlos war. „Sex sells oder wie war das?“

„Das hast du gesagt – nicht ich.“ Plötzlich war sein Mund ihrem Mund sehr nahe.

Der Gedanke, ihn zu küssen, war reizvoll. Fast unwiderstehlich. Und genau deswegen musste sie ein bisschen Abstand gewinnen. Sie legte die Handflächen an seine Brust und schob ihn sanft zurück. „Hier ist mein Platz.“

Sein Lächeln wurde eine Spur gefährlicher. „Es gefällt mir an deinem Platz.“

Ihre Hände ruhten noch immer auf seiner Brust. Sie konnte die harten Muskeln unter dem Hemd spüren, und jenseits davon den starken, gleichmäßigen Herzschlag. Dann schüttelte sie langsam den Kopf.

Zumindest verstand er den Hinweis. Er lehnte sich zurück, legte den Arm über die Lehne der Bank und nahm einen Schluck Bier. „Ryan hat gesagt, du kommst aus Bozeman“, wechselte er zu einem leichteren Thema.

Dankbar nahm sie den Faden auf. „Stimmt. Ich bin dort geboren und aufgewachsen.“

„Arbeitest du auch dort, Tessa?“

„Ich bin Grafikdesignerin. Zurzeit arbeite ich freiberuflich für eine kleine Firma in Bozeman. Und damit meine ich wirklich klein – so klein, dass sie über die Sommermonate hinweg schließen.“

„Und so hast du die wunderbare Gelegenheit, jedes Jahr das malerische Rust Creek Falls zu besuchen.“

„Genau. Aber natürlich nehme ich auch andere Aufträge an. Meine Webseite heißt übrigens StricklandGraphix.com. Nur für den Fall, dass du mir deine nächste Marketingkampagne überlassen und mich reich machen willst.“

„Bist du gut?“

„Wie soll ich wohl darauf antworten?“

„Erzähl mir, wie großartig du bist. Ich mag selbstbewusste Frauen.“

Sie nahm ihren Hut ab und legte ihn auf die freie Fläche zwischen ihnen. „Gut. Wenn es um Grafikdesign geht, kann mir niemand etwas vormachen.“ Auch wenn ich meinen letzten Job vermasselt habe und vermutlich nie wieder für eine große Firma arbeiten werde.

„Wo hast du studiert?“

„An der School of Visual Arts.“

„In New York?“

Sie stieß ihm sanft den Ellenbogen in die Rippen. „Dieser erstaunte Gesichtsausdruck ist nicht besonders schmeichelhaft.“

„Es ist eine ziemlich angesehene Schule.“ In seiner Stimme lag aufrichtige Bewunderung, und es fiel ihr schwer, sich nicht darin zu sonnen.

„Eine der besten. Nach dem Abschluss habe ich eine Weile in New York gearbeitet.“

„Und was hat dich zurück nach Bozeman geführt?“

„Das ist eine ziemlich lange Geschichte. Und jetzt ist nicht der Zeitpunkt dafür, sie zu erzählen.“

„Aber ich würde sie gerne hören.“ Er lehnte sich zu ihr. Sie spürte seinen Arm hinter ihrem Rücken, spürte seine überdeutliche männliche Präsenz. „Erzähl sie mir. Jetzt.“

Wie machte er das? Am Ende brachte er sie noch dazu, ihre gesamte Lebensgeschichte auszuplaudern – inklusive eines jeden dummen Fehlers, den sie in den vergangenen Jahren gemacht hatte.

Auf keinen Fall. Also reiß dich zusammen. „Nein. Lass es gut sein.“

„Na schön. Vielleicht ein andermal.“ Er klang beinahe wehmütig, so, als er ob er sich ein andermal wünschen würde.

Das wiederum machte ihn sehr sympathisch. Es machte ihn menschlicher nach all dieser glatten, schwerreichen Supermannmasche.

„Wir werden sehen“, lenkte sie ein und hoffte insgeheim, dass er das Thema nun endlich fallen lassen würde.

Zum Glück lehnte er sich erneut zurück. Dann sagte er: „Du sahst hinreißend aus in deinem Storchenkostüm.“

„Oh, bitte.“

„Im Ernst. Es sah idiotisch und süß und hinreißend zugleich aus.“

„Idiotisch, hm?“

„Ja, idiotisch. Und perfekt. Fast so perfekt wie der Moment jetzt. Ich konnte es nicht abwarten, dich zu treffen. Ab jetzt werde ich dir nicht mehr von der Seite weichen.“

„Mit Sicherheit.“

Er hob die Hand, als wolle er einen heiligen Schwur leisten. „Es ist die Wahrheit.“

Sie seufzte übertrieben. „Tja, das arme Baby war da anderer Meinung. Es gehört meinem Cousin Trey und seiner Frau Kayla. Hast du ihn schreien hören? Ich glaube, er wäre am liebsten von meinem Arm gesprungen.“

„Ich kann auch nicht mit Babys umgehen“, gab Carson zu. Tessa glaubte, ein leises Bedauern herauszuhören.

„Na, da haben wir ja etwas gemeinsam“, neckte sie.

„Wir haben mit Sicherheit eine Menge gemeinsam.“ Jetzt klang er so ernst, dass ihr Herz schwer wurde. Um ihre Hände zu beschäftigen, nahm sie den Hut auf und drehte ihn im Sonnenlicht, sodass die Glitzersteinchen funkelten.

„Warum warst du eigentlich auf dem Paradewagen der Zeitung von Rust Creek Falls?“, schlug er einen leichteren Ton an.

„Ich habe darüber nachgedacht, für immer hierherzuziehen. Deswegen kann es nicht schaden, sich mit den Zeitungsredakteuren zu verbinden. Ich möchte Anzeigen schalten und zusehen, dass ich mehr Aufträge an Land ziehe.“

„Und jetzt wohnst du bei deiner Großmutter in der Pension?“

„Richtig.“ Dann erzählte sie ihm von ihrer Familie. Ihre Eltern und ihre Schwester wohnten noch immer in Bozeman, während die andere Schwester Claire mit ihrer Familie hier bei den Großeltern lebte. „Claire arbeitet als Köchin in der Pension, und ihr Mann Levi führt das Möbelhaus in Kalispell. Sie haben eine süße kleine Tochter, Bekka, mit der sogar ich auskomme. Sie ist jetzt achtzehn Monate alt – und wahrscheinlich das einzige Baby auf der Welt, das bei meinem Anblick nicht in Tränen ausbricht …“

Sie unterbrach sich. Carson hatte ihr aufmerksam zugehört, aber plötzlich begann sie sich zu fragen, warum sie ihm das alles erzählte.

Weil er danach gefragt hat, meldete eine innere Stimme. Es ist doch nichts dabei. Du hast einen attraktiven, aufmerksamen Mann kennengelernt und genießt den Tag. Es ist alles in Ordnung.

Schließlich verließen sie die Bank unter der mächtigen Tanne, um sich jeweils ein weiteres Getränk zu holen. Danach gesellten sie sich zu Tessas Freunden an einen Picknicktisch und bedienten sich von dem köstlichen Barbecue.

Die Stunden verflogen, und Tessa musste feststellen, dass sie sich schon lange nicht mehr so gut amüsiert hatte.

Als die Dunkelheit sich über den Abend legte, holte Carson eine Decke aus seinem Wagen und breitete sie etwas abseits auf dem Rasen aus. Tessa setzte sich zu ihm. Sie setzten ihre Unterhaltung fort, und Tessa gestand ihm ihre Bedenken hinsichtlich ihres Lebens als Freiberuflerin. „Wenn ich wüsste, dass ich mit der Webseite ausreichend Aufträge akquirieren könnte, dann würde ich den Job in Bozeman aufgeben“, gab sie zu.

Carson streckte die langen Beine aus und kreuzte die Knöchel. „Warum denkst du nicht größer?“

„Was genau verstehst du unter größer?“

„Wenn du interessante Aufträge abgreifen willst, solltest du in die Stadt ziehen. Zum Beispiel nach L. A.“

Erneut legte sie den Cowboyhut wie eine Sicherheitsbarriere zwischen sich und Carson auf die Decke und streckte sich auf dem Rücken aus. Ihr Blick streifte über den sich verdunkelnden Himmel. „Du hast mir nicht zugehört. Ich mag Rust Creek Falls.“

Er beugte sich vor und berührte ihr Kinn mit dem Fingerknöchel. Es war eine sehr sanfte Berührung, und trotzdem begann ihr Magen ungewollte Pirouetten zu schlagen. „Ich wäre da. Ich würde dir helfen, dich einzugewöhnen.“

„Natürlich.“

Er fing ihren Blick und hielt ihn fest. „Ich meine es ernst.“

„Carson, du kennst mich kaum.“

„Ganz genau. Aber ich würde dich gerne kennenlernen.“

Es entstand ein kurzer süßer Augenblick der Stille, in der er sich über sie beugte und sie zu ihm aufsah. Die Welt erschien mit einem Mal völlig neu, funkelnd und voller Möglichkeiten – voller Hoffnung auf eine strahlende Zukunft.

„Es ist nur eine Idee“, flüsterte er.

„Bring mich nicht in Versuchung.“ Es war als Scherz gemeint, doch irgendwie kam es zu zaghaft heraus. Zu sehnsüchtig.

Glücklicherweise setzte in diesem Moment die Band zu spielen an. Zwischen den Bäumen, unter einer schaukelnden Girlande sanft leuchtender Lampions, hatte man eine hölzerne Bühne für die Musiker aufgebaut.

„Komm“, Carson ergriff ihre Hand und half ihr auf, „lass uns tanzen.“

Und das taten sie. Über eine Stunde lang überließen sie sich der Musik. Wie sich herausstellte, beherrschte Carson sowohl den Two-Step als auch den Line-Dance – einen Paartanz sowie einen Reigentanz –, was Tessa mit amüsierter Verwunderung zur Kenntnis nahm. Und obwohl er ein gutes Stück größer war als sie, fühlte sich seine Umarmung unglaublich gut und richtig an.

Nach dem Tanzen fühlte sie sich erhitzt und beschwingt. Sie holten Wasserflaschen aus den Kühlboxen und zogen sich auf die Picknickdecke zurück. Von hier aus konnte man weiterhin das Geschehen überblicken, ohne selbst daran teilnehmen zu müssen.

Die Sterne leuchteten klar und sauber am Himmel, und der abnehmende Mond warf ein blasses Licht auf den Rasen.

Sie flüsterten miteinander, als wären sie unartige Kinder, die den wachsamen Augen der Erwachsenen entkommen waren.

Carson erzählte, dass er mit seiner Jugendliebe Marianne verheiratet gewesen war. „Marianne wollte sofort eine Familie gründen“, bemerkte er.

„Aber du wolltest keine Kinder, richtig?“

„Richtig. Mir wurde klar, dass wir viel zu jung geheiratet hatten. Wir ließen uns scheiden. Einige Jahre später hat sie wieder geheiratet. Ihr Mann Greg ist ein netter Typ. Sie haben vier Kinder.“

Sie streckte sich auf der Decke aus und betrachtete den Sternenhimmel. „Du glaubst also, dass sie glücklich ist.“

„Oh ja, sehr. Ich sehe sie zwar nicht mehr oft, aber wir verstehen uns gut. Wir sind über die Streitereien hinweggekommen. Und jetzt hat sie alles, was sie sich je gewünscht hat.“

„Und du?“

„Ich bin ebenfalls glücklich. Mir gefällt mein Leben. Es ist alles so, wie es sein sollte.“ Er beugte sich über sie.

Es kam ihr so richtig vor, so absolut natürlich, dass sie die Lippen leicht öffnete und seinen Kuss entgegennahm.

Mit zarter Sorgfalt näherte er sich und legte seinen Mund auf ihren Mund. Seine Berührung war leicht, seine Lippen waren weich und voll, und ein angenehmes Prickeln rann über ihre Arme.

Mit einem Mal kamen ihr die Ängste vom Vormittag vollkommen lächerlich vor. Sie war unendlich froh, dass sie trotz ihrer Befürchtungen in den Park gekommen war.

Als er sich von ihr löste, schienen seine Augen dunkler als zuvor. „Wie machst du das bloß, Tessa? Ich kann nicht aufhören, dich anzusehen. Ich habe das Gefühl, als würde ich dich schon ewig kennen. Und wieso musst du so verdammt gut schmecken?“

Sie lachte. „Süßholz raspeln kannst du jedenfalls gut.“ Ihn zu küssen hatte sich allerdings viel zu gut angefühlt, um jetzt damit aufzuhören. Sie dachte gerade darüber nach, selbst den Anfang zu machen, als sich nur wenige Schritte von ihnen entfernt jemand in der Dunkelheit räusperte.

Sie setzte sich abrupt auf. „Was war das?“

„Wer ist da?“, fragte Carson mit fordernder Stimme.

Es raschelte im nahe gelegenen Gebüsch. Zweige knackten, dann trat ein alter Mann mitten aus dem Blattwerk. Er trug eine ausgebeulte schwarze Jeans, die über den dürren Hüften von einer zerfransten Kordel zusammengehalten wurde. Darüber trug er das abgeschnittene zerknitterte Oberteil einer altmodischen Hemdhose und dazu derbe geschnürte Arbeiterstiefel.

Ein struppiger grauer Backenbart zierte seine eingefallenen Wangen, und das dünne Haar stand in alle Richtungen von seinem Schädel ab.

Tessa erkannte ihn sofort. „Homer Gilmore, hast du uns etwa belauscht?“

3. KAPITEL

Homer Gilmore blinzelte, als würde er gerade erst aufwachen. Dann grinste er breit und entblößte dabei schiefe, gelblich weiße Zähne. „Wenn das nicht die kleine Tessa Strickland ist! Wohnst du den Sommer über bei deiner Großmutter?“

„Ja, das tue ich. Und du hast meine Frage nicht beantwortet.“

Homer kratzte sich an der stoppligen Wange. „Ich? Lauschen?“ Er setzte eine verletzte Miene auf. „Tessa, du kennst mich doch besser.“

Jetzt erhob sich Carson, reichte Tessa die Hand und half ihr auf die Beine. Für einen Sekundenbruchteil wirkte Carson verwirrt, doch dann hatte er sich rasch wieder gefasst. „Homer Gilmore. Endlich treffe ich Sie persönlich!“

Homer trat näher und fasste den groß gewachsenen Mann ins Auge. „Carson Drake.“ Er schüttelte die ihm gebotene Hand. „Ich habe Ihnen doch gesagt, dass wir in Verbindung bleiben.“

„Dann waren das wirklich Sie am Telefon?“

„Sicher.“ Homer brachte ein Einweckglas mit einem Metallschraubdeckel zum Vorschein. Im fahlen Mondlicht ließ sich darin eine klare Flüssigkeit erkennen. „Hier.“ Er streckte es Carson entgegen.

Dieser betrachtete das Glas misstrauisch. „Was ist das?“

„Das ist der Grund, warum Sie hergekommen sind.“ Der Alte ergriff rasch Carsons Hand und drückte das Glas hinein.

„Im Ernst?“ Carson hielt das Glas hoch, sodass er es im Licht der Partyscheinwerfer betrachten konnte. „Homer Gilmores Magic Moonshine?“

„Der einzig wahre“, erwiderte Homer würdevoll und reckte stolz die dürre Brust. „Um ehrlich zu sein, mag ich deinen Stil, Jungchen“, verkündete der Alte selbstbewusst. „Ich sag dir was: Nimm einen Schluck. Oder zwei. Lass es auf dich wirken. Dann können wir reden.“

„Tut mir leid.“ Zu ihrem Erstaunen musste Tessa feststellen, dass in Carsons Tonfall aufrichtiges Bedauern lag. Dann fuhr er fort: „Aber so läuft das nicht.“ Er versuchte, dem Alten das Glas zurückzugeben.

Dieser wehrte ab. „Ich bestimme, wie das läuft. Probieren Sie ihn.“

„Schauen Sie, ich muss mich an die Regeln halten. Und in dieser Welt gibt es eine Menge Regeln. Wir müssen ein Meeting organisieren – ein richtiges Meeting, meine ich. Mit offiziellem Testen und Chemielabor und allem Drum und Dran. Aber wenn Sie möchten, können wir uns vorher zum Abendessen treffen und die Sache besprechen …“

„Moment mal!“, unterbrach Homer und hob die Hand. Abwehrend wackelte er mit dem schmalen Kopf. „Das verdammte Chemielabordings können wir später immer noch machen. Zuerst einmal möchte ich, dass Sie selbst davon kosten. Sonst können Sie den Deal vergessen.“

„Ich sagte bereits, dass ich nicht einfach …“

„Stopp. Schluss damit. Probieren Sie einfach. Dann reden wir.“

„Und wann genau werden wir reden?“

„Nur nichts überstürzen, Jungchen. Ich melde mich wieder.“

Carson wollte widersprechen, doch dann schien er es sich anders zu überlegen. Tessa konnte das gut nachvollziehen. Es hatte ohnehin keinen Zweck, denn Homer hörte schon gar nicht mehr zu. Stattdessen zwinkerte er in ihre Richtung, schenkte Carson ein knappes Nicken und verschwand wieder in der Dunkelheit der Büsche, woher er gekommen war.

Fassungslos sahen sie ihm nach.

Dann blickte Carson entgeistert auf das Einweckglas in seiner Hand. „Ich kann’s nicht glauben“, murmelte er.

Tessa hatte sich schneller wieder im Griff. Sie setzte sich auf die Picknickdecke. „Das ist Homer Gilmore. Was hast du denn erwartet?“

„Glaubst du, er ist verrückt?“

„Natürlich nicht. Er ist bloß ein wenig sonderbar, das ist alles. Ein Exzentriker ist ja nicht notwendigerweise verrückt. Ich glaube vielmehr, dass Kayla recht hatte: Homer ist ein komischer alter Kauz, aber mit einem guten Herz.“

„Wenn du das sagst.“ Carson schien nicht besonders überzeugt.

Mit der flachen Hand klopfte Tessa auf die Decke, bis Carson sich schließlich neben ihr niederließ. Das Glas stellte er neben sich ab. Einige Sekunden sahen sie es beide erwartungsvoll an, als ob es sogleich zum Leben erweckt werden würde.

Die Band spielte erneut auf.

Tessa lachte. „Das ist ja Alcohol von Brad Paisley. Passt perfekt, nicht?“

Carson bedachte sie mit einem vielsagenden, gefährlich dunklen Blick. „Möchtest du probieren?“

Ja. Sie wollte probieren. Und sie war sehr, sehr neugierig, ob auch nur eines der Dinge, die man sich über den Magic Moonshine erzählte, der Wahrheit entsprach.

„Tessa?“, hakte er nach, als sich ihr Schweigen in die Länge zog.

Sie versuchte sich ins Gedächtnis zu rufen, wie viele Argumente gegen den vermeintlich magischenMoonshine sprachen. „Es könnte gefährlich sein …“

„Glaubst du wirklich, dass die Wirkung so schlimm ist?“

„Schlimm habe ich nicht gesagt. Aber du kennst ja die Geschichten …“

Er vollführte eine Geste, als würde er mit den Flügeln schlagen, und machte dazu ein gackerndes Geräusch.

Seine Parodie brachte Tessa zum Lachen. Sie knuffte Carson in die Schulter. „Ich bin kein ängstliches Huhn“, stellte sie richtig. „Ich bin nur verantwortungsbewusst.“

Er rückte näher. „Und wo bleibt da der Spaß?“

Oh, sie mochte ihn. Sie mochte ihn mit jeder Minute, die verstrich, ein bisschen mehr. Er war nicht nur heiß, sondern auch witzig, scharfsinnig und einfühlsam.

Und er konnte toll küssen.

Ob er ihr ansah, dass sie ans Küssen dachte? Offensichtlich, denn in diesem Augenblick neigte er den Kopf und hauchte einen zweiten Kuss auf ihre Lippen.

Umwerfend.

Seine Berührung wurde intensiver. Ihr entfuhr ein glückliches leises Seufzen. Nur mit Mühe widerstand sie dem Impuls, die Hand in seinen Nacken zu legen und ihn noch fester an sich zu ziehen.

Eine entfernte Stimme in ihrem Inneren meldete ängstlich, dass sie bereits knietief in Schwierigkeiten steckte.

Trotzdem waren ihre Bedenken vom Vormittag verflogen. Mit jeder Stunde, die sie mit ihm verbracht hatte, fühlte sie sich wohler. Es fühlte sich einfach … richtig an. Und sie wollte, dass dieser Moment niemals endete.

Die Musik und das Sternenlicht woben ein heimeliges Netz um ihren lauschigen Platz auf dem Rasen. Vielleicht würden sie noch einmal tanzen gehen. Vielleicht würden sie sich später noch einmal küssen.

Und noch einmal.

Er streckte die Hand aus und schraubte den Deckel von dem Glas.

Sie neigte den Kopf und flüsterte in sein Ohr: „Das hättest du nicht tun dürfen. Jetzt ist es vorbei – unser Leben wird nie mehr so sein wie zuvor.“

Er hob die Braue. „Die Versuchung ist einfach zu groß. Ich kann nicht widerstehen.“ Er schnupperte an der Flüssigkeit. „Riecht nach Pfirsich.“ Sein Blick glitt in die Ferne. „Ich habe Pfirsiche schon immer gemocht.“

„Pfirsiche? Im Ernst?“

„Ja, ernsthaft.“ Er bot ihr das Glas.

Sie nahm es entgegen und hielt es unter die Nase. „Hmm. Riecht nach Sommer.“

„Was hab ich dir gesagt?“

„Aber nicht nach Pfirsich. Nach Brombeere. Nur ein Hauch davon.“ Jetzt wollte sie es wirklich probieren. „Ich liebe Brombeeren. Es sind meine Lieblingsfrüchte.“

„Pfirsich.“

„Brombeere. Siehst du?“ Sie hielt das Glas gegen das Licht der Scheinwerfer. „Es hat sogar eine leicht violette Farbe.“

Carson nahm ihr das Glas wieder ab, um sich selbst ein Bild zu machen. „Für mich sieht das vielmehr golden aus.“ Mit einem übertrieben ernsthaften Gesichtsausdruck fügte er hinzu: „Und es wäre wirklich unverantwortlich, davon zu trinken.“

„Richtig. Es könnte … Carson!“ Sie machte ein kleines erschrecktes Geräusch, als Carson das Glas an die Lippen setzte. Er nahm einen vorsichtigen Schluck.

Atemlos lehnte sie sich näher. „Und?“

Er schluckte genussvoll. „Das ist gut. Wirklich gut.“

„Ja?“

„Hm. Oh ja.“

„Brombeere, richtig?“ Sie wartete auf seine Zustimmung, doch er schüttelte langsam den Kopf. „Pfirsich. Definitiv. Und ein Hauch Moonshine Brand im Abgang. Interessant. Ganz ausgezeichnet.“

„Du willst mich auf den Arm nehmen!“

„Niemals“, entgegnete er, entschieden und ein winziges bisschen verletzt.

Tja, es gibt nur einen Weg, es herauszufinden. „Gib her.“

Er brachte das Glas außerhalb ihrer Reichweite. „Besser nicht. Man weiß ja nie, was passieren kann.“

„Das kannst du dir sparen, Carson. Gib mir das Glas.“

„Wow. Und da haben wir plötzlich ein taffes Mädchen.“

„Ganz genau. Du solltest dich nicht mit mir anlegen.“

„Nie im Leben würde ich mich mit dir anlegen.“ Seine Stimme war zugleich glatt und rau, männlich und voll, und der Gedanke, ihn erneut zu küssen, wurde beinah übermächtig.

Lieber nicht.

Stattdessen griff sie nach dem Moonshine, und dieses Mal ließ er sie gewähren. Sie nahm ein winziges Schlückchen.

Eine Kaskade von Aromen ergoss sich über ihre Zunge und legte sich um ihren Gaumen. Es war, als würde sich ein voller sommerlicher Wasserfall über ihre Sinne schmiegen. Ein Hauch Süße, ein Hauch Früchte, und dann eine brennende Hitze in der Kehle. „Oh. Ja, es ist gut.“

„Hab ich doch gesagt.“

Sie ballte die Hand zur Siegerfaust. „Brombeere! Wusste ich’s doch!“ Sie nahm noch einen Schluck, ließ den Geschmack auf der Zunge entfalten. Dann reichte sie das Glas an Carson zurück.

Er lachte. Es war ein unerwartetes, herrlich gelöstes Lachen, und aus seinem Mund klang es sexy und verheißungsvoll. Sie konnte nicht anders, als in sein Lachen einzustimmen.

Sein Blick ruhte so schwer und intensiv auf ihrem Gesicht, dass die Hitze in ihre Wangen stieg. Doch sie hielt dem Blick stand, ließ sich hineinfallen, als ob nichts anderes auf der Welt mehr von Bedeutung war.

Es war ein vollkommener Augenblick.

Und sie ließ sich vollkommen fallen.

Tessa erwachte mit einem leisen Lächeln. Sie lag zusammengerollt auf der Seite, eingekuschelt in eine glatte, weiche Bettdecke und den Kopf auf ein luftiges Kissen gebettet.

Doch sobald sich die Sicht ihrer verschlafenen Augen klärte, verblasste das Lächeln.

Was war das für ein Raum?

Sie befand sich in einem weitläufigen, hellen Zimmer, das im ländlichen Stil eingerichtet war. Gleich neben dem Bett befand sich ein hübsches, fein geschnitztes Nachtschränkchen aus dunklem Holz, auf dem eine antike Lampe mit einem Bronzefuß stand.

Irritiert ließ sie den Blick durch das Zimmer gleiten. In die gegenüberliegende Wand war eine große Glastür eingelassen, die den Blick auf eine breite Veranda freigab. Dort standen zwei schwere Sessel mit dunkelgrünem Plüsch, einige Topfpflanzen, und ein dicker weicher Teppich lag auf den glatten Holzdielen.

Allerdings waren es weder die Sessel noch die Topfpflanzen, die Tessa für einen Augenblick den Atem verschlugen, sondern die großartige Aussicht, die sich jenseits des hölzernen Geländers bot. Von hier aus blickte man auf die majestätischen schneebedeckten Gipfel der Berge, und die zerklüfteten Silhouetten zeichneten scharfe Linien gegen den strahlend blauen Himmel.

Moment mal.

Hatten nicht eben noch die Sterne am Himmel gestanden? Und hatte sie nicht eben noch ein Picknick im Park von Rust Creek Falls gemacht?

Sie schloss die Augen und zählte unwillkürlich bis zehn.

Doch als sie die Augen wieder aufschlug, hatte sich nichts verändert. Sie zog die Bettdecke bis zum Kinn. „Wo bin ich?“, flüsterte sie in die Stille.

Und dann wurde alles noch viel schlimmer.

Hinter ihr regte sich etwas. Eine verschlafen klingende Männerstimme fragte: „Tessa?“

Oh. Diese Stimme kam ihr bekannt vor. Mit banger Erwartung wandte sie den Kopf – und riss die Augen auf. Neben ihr auf der breiten, eindeutig hochwertigen Hotelmatratze lag Carson Drake.

Sein Haar war zerwühlt, seine unwiderstehlich hageren Wangen von einem leichten Schatten umgeben, und sein Mund war genauso anziehend, wie sie ihn in Erinnerung hatte.

Die Hitze stieg in winzigen Wölkchen in ihre Wangen, als sie einen raschen Kontrollblick unter die Bettdecke warf.

Yep. Unter den Laken war sie splitterfasernackt.

Sie presste die Decke an ihre Brust. „Das kann nicht wahr sein.“

Carson wirkte in etwa so fassungslos, wie sie sich fühlte. „Tessa, ich habe keine …“ Er verstummte. Im nächsten Augenblick legte er die Stirn in unkleidsame Falten und zog die Brauen zusammen. „Hör mal, bist du in Ordnung?“

Sie richtete den Blick starr an die Decke. Atme, sagte sie sich, als sie spürte, wie die Panik leise und kalt ihr Rückgrat hinaufkroch. „Nein“, flüsterte sie schließlich. „Nein, ich bin nicht in Ordnung. Ich kann mich an überhaupt nichts erinnern. Ich weiß nicht einmal, wie ich hierhergekommen bin.“

Sie schüttelte den Kopf. Mit erstickter Stimme brachte sie schließlich die furchtbare Erkenntnis hervor: „Es ist genau so, wie die Leute gesagt haben. Das, was am vergangenen Nationalfeiertag passiert ist: totaler Blackout. Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist, dass wir von dem Magic Moonshine probiert haben.“ Sie schluckte hart. „Weißt du zufällig, äh, wo wir uns befinden?“

„Hey. Sieh mich an.“ Seine Stimme war leise und sanft. Ganz so, als wären ihre Ohren sensibel – so verletzlich wie ihr Herz in diesem Augenblick. Sensibel und angekratzt, genauso wie ihr Selbstbewusstsein. Und ihre Seele.

„Kannst du mir bitte einfach die Frage beantworten?“, wisperte sie. „Wo sind wir?“

„In meiner Suite im Maverick Manor Hotel. Aber, Tessa, ich schwöre dir, ich hatte keine Ahnung, was ein Glas Moonshine anrichten kann …“

„Ist schon okay.“

„Nein, das ist es nicht. Und ich weiß auch nicht, wie wir hierhergekommen sind. Alles, woran ich mich erinnern kann, sind Bruchstücke. Der Moonshine. Dein Lachen. Wir haben uns geküsst. Dann haben wir getanzt …“

„Das war vorher.“

„Später haben wir noch einmal getanzt.“

„Schön, aber …“ Tessa nahm all ihren Mut zusammen. „Haben wir …“ Sie ließ die Frage unvollendet. Es war sowieso albern, sie zu stellen. Sie waren beide nackt. Die Antwort lag auf der Hand.

Er streckte den Arm aus und berührte etwas Silbernes auf dem Nachtschränkchen. Bei näherem Hinsehen musste Tessa feststellen, dass es sich um die Verpackungen von Kondomen handelte. „Oh mein Gott.“

Das Zellophan knisterte in seiner Hand. Insgesamt waren es drei Verpackungen.

Tessa kniff die Augen zu. Die Situation war einfach zu beschämend. Was hatte sie sich dabei gedacht? Sie kannte diesen Mann doch überhaupt nicht.

Nur ein einziges Mal war sie einem Mann schon in der ersten Nacht verfallen – aber damals war sie immerhin bei vollem Bewusstsein gewesen.

Zumindest war es ihre eigene freie Wahl gewesen, sich Miles sofort hinzugeben. Und sie hatte jede Minute davon genossen.

Aber das hier …

Nein. Einfach … nein.

Es fühlte sich alles falsch an. Sie konnte sich nicht einmal daran erinnern, ob sie eine Wahl gehabt hatte.

Allerdings hatte sie sich von Anfang an zu dem attraktiven Mann hingezogen gefühlt. Sehr sogar. Nur …

„Du liebe Zeit, Tessa, du bist weiß wie die Wand. Bist du sicher, dass es dir gut geht?“

Sie nickte langsam. Auf gar keinen Fall würde sie jetzt die Fassung verlieren. „Ich kann nur nicht glauben, dass das wirklich passiert ist“, schwächte sie ihre wahren Gefühle ab.

„Wenigstens haben wir aufgepasst.“ Er klang verlegen.

„Ja, wenigstens das.“

Beinahe gleichzeitig rutschten sie ans Kopfende des Bettes und lehnten sich mit dem Rücken gegen die schwere hölzerne Stirnwand – stets darauf bedacht, ihre Blöße bedeckt zu halten.

Eine peinliche Stille trat ein.

„Ich will nach Hause“, sagte Tessa schließlich leise.

„Hör mal, es tut mir wirklich …“

Sie unterbrach ihn mit einer Geste. „Sag nichts. Du trägst nicht mehr Schuld daran als ich. Ich wollte ja unbedingt den Moon­shine probieren.“

Und er hatte köstlich geschmeckt, so viel wusste sie noch − köstlich, verheißungsvoll, intensiv.

Sie spürte, wie etwas Farbe in ihr Gesicht zurückkam. „Ich werde diesen Homer Gilmore umbringen“, murmelte sie finster.

Aus dem Augenwinkel sah sie Carson nicken. „So viel zu meinem brillanten Plan, den Moonshine für Drake Destillerien zu kaufen. Das Zeug ist gefährlich. Ich komme mir vor, als hätte mir jemand etwas in den Drink gemixt.“

Tessa legte die Hand auf ihren Bauch. „Ich werde nie wieder Alkohol trinken“, bemerkte sie in spöttischem Tonfall.

„Ich könnte es dir nicht verdenken“, pflichtete Carson bei.

Sie sah zur Seite. „Ich würde jetzt wirklich gerne nach Hause gehen.“

Die Laken raschelten, als er die Beine aus dem Bett schwang. „Ich gehe nur rasch ins Badezimmer.“

Tessa sah nicht hin, als er aus dem Bett stieg. Stattdessen wartete sie, bis sich die Badezimmertür im Nebenraum geschlossen hatte, und sprang dann eilig aus dem Bett. Sie schlüpfte in ihre zerknitterte Kleidung, die auf einem Stuhl gelegen hatte, und stieg hastig in die Stiefel.

Den Hut fand sie auf einem niedrigen Tischchen im Wohnzimmer – gleich neben einem benutzten Skizzenbuch. Tessa hielt inne.

Bei dem Skizzenbuch fanden sich ebenfalls Wachskreiden und Aquarellstifte. „Was zur …“ Sie ergriff das Skizzenbuch und begann zu blättern.

Die Zeichnungen stammten eindeutig aus ihrer Hand, auch wenn sie nicht die geringste Erinnerung daran hatte, sie angefertigt zu haben. Und woher hatte sie überhaupt die Stifte genommen?

Ganz offensichtlich hatten sie in der vergangenen Nacht nicht nur drei Kondome benutzt, sondern auch wilde Ideen ausgebrütet. Und wie nebenbei hatte Tessa in aller Eile eine Werbekampagne für Homers Magic Moonshine auf die Beine gestellt.

Zum ersten Mal seit dem Schockmoment fand sie ihr Lächeln wieder.

Nicht schlecht. Wirklich nicht schlecht. Originell, klar, raffiniert und gradlinig ausgeführt – wenn sie ihre eigene Arbeit beurteilen sollte. Selbst ihre ehemalige Chefin, die legendäre, furchteinflößende Della Storm von Innovation Media in New York, hätte die Zeichnungen anerkannt.

Die Gefäße ähnelten altmodischen Einmachgläsern. Besonders gut gefiel Tessa ihre Ausführung einer frostig blauen Flasche, auf der die Sichel eines Mondes abgebildet war. Der Schriftzug, der in einer üppigen Retroschriftart in das Glas eingeprägt war, besagte Blue Muse.

Auch die Skizze einer goldfarbenen Flasche zählte zu ihren Favoriten. Diese war mit einem gezackten Blitz versehen, und in gestochen scharfer Schrift stand Peach Lightning darüber.

Und wie es ihr gelungen war, das Logo von Drake Destillerien einzufügen – ein sich aufbäumender Drache, der die Flaschen mit den Krallen umspannte … Verdammtgut.

Sie erinnerte sich daran, wie viel Spaß es ihr gemacht hatte, mit Carson darüber zu ringen, ob der Magic Moonshine nun nach Pfirsich oder Brombeere schmeckte.

In diesem Augenblick hörte sie die Badezimmertür. Sie schlug das Skizzenbuch zu und richtete sich auf.

Carson war bereits vollständig angezogen. Er trug Jeans, ein schlichtes Shirt und ein neues Paar Stiefel. Lieber Himmel, warum musste er so ein gut aussehender Mann sein?

Der Gedanke, nicht mehr Zeit mit ihm verbringen zu können, versetzte ihr einen schmerzhaften Stich in die Brust.

Aber nein. Das hier war viel zu schnell viel zu kompliziert geworden. Und noch mehr Komplikationen konnte sie in ihrem Leben weiß Gott nicht gebrauchen. „Ich möchte auch nur rasch ins Bad, dann können wir gehen“, verkündete sie, noch bevor er etwas sagen konnte.

Er sollte sie nach Hause bringen. Und dann wollte sie sein schönes Gesicht nie mehr wiedersehen.

Doch noch war die Peinlichkeit der Situation nicht überwunden. Als sie aus dem Badezimmer trat, erwartete Carson sie mit einem seltsamen Gesichtsausdruck im Hauptraum der Suite. „Ich muss dich noch etwas fragen.“ Es klang wie eine Entschuldigung. „Nimmst du die Pille?“

Tessa war froh, dass sie sich die wilden langen Locken ins Gesicht gebürstet hatte – so würde ihm vielleicht nicht auffallen, dass sie erneut errötete.

„Es ist doch so … Bloß weil ein paar Kondomverpackungen neben dem Bett liegen, heißt das nicht, dass wir sie auch benutzt haben“, erklärte er schnell.

„Schon gut. Du hast recht.“ Sie räusperte sich. „Nein, ich nehme nicht die Pille. Ich hatte früher ein Diaphragma, aber das …“ Sie unterbrach sich. „Sorry. Zu viel Information.“ Sie holte tief Luft. „Ich werde mir die Pille danach besorgen. So können wir ganz sicher sein.“

Er musterte sie aufmerksam. „Soll ich dich begleiten?“

„Oh. Nein. Ich weiß das zu schätzen, aber ich möchte heute nicht noch einmal vor Scham im Erdboden versinken.“

„Ich hätte dich begleitet“, wiederholte er.

„Ich weiß. Danke.“

„Es gibt nichts zu danken.“