Moonlight - Smaragdgrün - K.R. Cat - E-Book

Moonlight - Smaragdgrün E-Book

K.R. Cat

5,0

Beschreibung

Catyn ist kein normaler Mensch. Das stellt auch der Vampir Nikolajew sehr bald fest, als er ihn kennenlernt. Doch bis er herausfindet, was hinter Catyns leuchtend grünen Smaragdaugen steckt, ist der Vampir ihm längst verfallen. Catyn ist ein Wandler, aber kein gewöhnlicher, sondern ein Hybride. Deshalb kann er sich nicht wandeln und ist für die Wandlergemeinschaft und die Vampire Freiwild. Doch die Gefühle, die Catyn und Nikolajew füreinander empfinden, lassen sich bald nicht mehr verleugnen, auch wenn das für beide lebensgefährlich ist.

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K.R. Cat

Moonlight

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2016

http://www.deadsoft.de

© the author

Lektorat: Jennifer Trapp

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com/

Bildrechte

© Oka Ekaterincheva – dreamstime.com

© Lynn Bystrom – dreamstime.com

1. Auflage

ISBN 978-3-945934-95-1

ISBN 978-3-945934-96-8 (epub)

~ Prolog ~

Seine Schreie hallten von den Zimmerwänden wider, unbeachtet von dem einen, genossen von dem anderen Mann im Raum. Mit jedem Stich der Tätowiernadel, die sich unbarmherzig in seine Haut fraß, wurde Catyn sich der Ausweglosigkeit seiner Situation bewusster. Mit letzter Kraft zerrte er an seinen Fesseln, die ihn auf dem Tisch gebannt hielten. Seine Arme schmerzten, protestierten mit einem höllischen Ziehen gegen jede weitere Bewegung und keuchend brach er den kaum bemerkten Widerstand ab. Sein ganzer Körper schien nur noch aus Schmerzen zu bestehen, er hatte keine Energie mehr, um sich weiter zu wehren.

Mit einem nachsichtigen Lächeln hockte sich der hagere Mann vor ihn, streichelte fast liebevoll mit einem seiner dürren und eiskalten Finger über seine Wange. Ein schwerer, süßlicher Geruch nach Alter und Tod streifte Catyns Nase. Inzwischen wusste er, was dieser Mann war. Er hatte die Gespräche hinter vorgehaltener Hand mitbekommen und doch zu spät erkannt, was der Fremde in ihrem Clan wollte: dass er nur seinetwegen hier war. Panisch wollte er zurückweichen, vor der Berührung fliehen, doch er hatte keine Kraft mehr. Die schmalen Fesseln schnitten unnachgiebig in sein Fleisch, verströmten, neben dem Geruch von Angst, nun auch den metallischen Geruch von Blut.

„Wehre dich so viel du willst, mein kleiner Liebling. Es wird dir nichts nützen. Ab heute gehörst du mir“, säuselte die samtige Stimme, ehe sich die kalte Hand in seine Haare krallte und seinen Kopf nach oben zerrte.

„Gleich bist du mein Eigentum.“ Eisige Lippen tasteten über seine, zwangen sie, sich der fremden Zunge zu öffnen. Catyn wollte es nicht, verabscheute sich dafür, doch ein Teil in ihm streckte sich, lehnte sich neugierig dem Gefühl entgegen. Immer öfter konnte er das Erbe seiner Mutter durch seine Adern brennen fühlen, diesen erwachenden Hunger, besonders bei Vollmond. Die Lippen lösten sich nur gemächlich von ihm und der kleine Teil, der lechzend nach mehr bettelte, war darüber enttäuscht.

„So ist es gut, mein kleiner Liebling, erkenne, was du bist und nimm es an“, raunte die Stimme lockend vor ihm und ein schwaches Glühen seiner Augen antwortete ihr.

„Ja, das ist es, so ist es gut.“ Erwartungsvolle Erregung schwang nun in der Stimme mit, die ihm direkt in die Lenden fuhr. Sein Körper vibrierte förmlich vor unbekannter Sehnsucht, wollte reagieren, doch fehlte ihm die Kraft.

„Hör auf ihn heiß zu machen. Ich will mit meiner Arbeit fertig werden!“, knurrte der Tätowierer ungehalten.

Widerwillig zog sich der Vampir zurück, streichelte ein letztes Mal mit der Genugtuung eines Besitzers sein neustes Haustier und ließ den Wildkatzenwandler seine Arbeit beenden. Gierig ließ er stattdessen den Blick hinauf zum Dach gleiten, wo durch eine Luke das kühle Licht des Mondes endlich den Tisch erreicht hatte. Nur noch wenige Minuten, dann war es vollbracht.

Es war purer Zufall, dass er auf seiner Reise quer durch Europa hier im kaukasischen Grenzgebiet Georgiens gelandet und in dieser Einöde auf dieses seltene Exemplar gestoßen war. Und bald würde dieser schlanke Körper nur ihm gehören und gehorchen. Der Alpha des Wildkatzenrudels war ein zäher Verhandlungspartner gewesen, doch er hatte am Ende überzeugendere Argumente in Form von harter Währung gehabt.

Was da noch in seinem neuen Spielzeug, außer einer Wildkatze, steckte, war ihm im Gegensatz zum Alpha reichlich egal, seine Mutter war ein Omega und er dazu ein Vollmondkind. Schon jetzt brach das Erbe seiner Mutter immer wieder an die Oberfläche des jungen Körpers, spiegelte sich in den eindrucksvollen Augen wider. Pure Erregung schlängelte sich durch den Körper des Vampirs, während er sich gedanklich ausmalte, was er alles mit seinem neuen Haustier anstellen würde. Hybriden waren leider so selten, denn die verschiedenen Wandler blieben in der Regel unter ihresgleichen. Auf die Vermischung zweiter Arten stand zumeist der Tod des Nachwuchses. Zu schade, denn als willenlose Spielzeuge waren sie eine wahre Abwechslung in den mitunter langweiligen Jahrhunderten seiner Existenz.

Sobald sich die eiskalten Finger von Catyns Haut gelöst hatten, legte sich die Erregung und der durch die Nadel verursachte Schmerz fraß sich heftiger als zuvor in sein Bewusstsein und seinen Körper. Seine Kehle brannte von seinen Schreien und inzwischen entkam ihm nur noch ein klägliches Wimmern.

„Schrei nur, es wird dir nichts bringen“, brummte der Mann, der seit einer gefühlten Ewigkeit die Farbe unbarmherzig in seinen Rücken trieb.

„Kannst dich bei der Hure bedanken, die dich zur Welt gebracht hat.“

Angewidert spuckte der Wandler neben sich auf den Boden.

Die Worte ätzten sich wie Säure in Catyns Seele. Er hatte schon immer gewusst, dass er anders war, dass er im Clan nie einen Platz haben würde, doch seine Mutter liebte ihn. Sie hatte ihn immer beschützt, hatte alles in ihrer Macht Stehende getan, um ihn vor Übergriffen der anderen Wandler zu schützen. Doch gegen den Rat und Berdan, ihren Alpha, kam sie nicht an, nicht als Omegaweibchen. Dieses Mal hatten ihre Kräfte versagt. Er war für etliche Tausend Dollar an den Vampir verkauft worden, wie ein Gegenstand ... wie ein Haustier.

Endlich senkte sich erbarmungsvolle Finsternis um seinen Geist, hüllte ihn ein, während durch die Luke im Dach der Vollmond auf seinen nackten Körper schien und das vollendete Tattoo auf seinem Rücken blutrot zum Leuchten brachte. Der erste Schritt des Blutbundes war getan.

„Catyn, komm schon, wach auf“, eindringlich flüsterte die bekannte Stimme auf ihn ein. Hektisches Rütteln tat seinen Teil, um ihn aus der tiefen Schwärze wieder an die Oberfläche zu holen.

„Komm, Catyn, bitte, wir haben nicht viel Zeit.“

Benommen blinzelte er gegen die Sonne, versuchte die tonnenschweren Gewichte an seinen Augenlidern wegzublinzeln.

„Ma?“

„Los, du musst aufstehen, wir müssen hier weg“, drängte die zierliche Frau vor ihm abermals. Zitternd stemmte er sich von der Pritsche auf und sah sich um. Man hatte ihn in eine der Zellen gebracht, die für Bestrafungen oder Unterbringung ihrer Feinde vorgesehen waren.

„Hier.“ Seine Mutter reichte ihm mit zitternden Händen ein Bündel Sachen und so schnell, wie es ihm möglich war, schlüpfte er hinein.

„Beeil dich bitte, ich weiß nicht, wie viel Zeit wir haben“, drängte sie ihn erneut und endlich war er so weit.

Rasch überprüfte Sieren Acaru den Gang vor den Zellen und winkte ihren Sohn dann mit sich. Was sie hier tat, würde mit Sicherheit ihr Todesurteil im Clan sein. Doch ihr Junge konnte nichts für ihre Schwäche, der sie vor einigen Jahren für nur einen Augenblick nachgegeben hatte. Weder für ihre emotionale noch für jene, die auch in seinem Blut mitschwang.

Es waren nur diese antiquierten Ansichten der ältesten Wandler, egal welcher Rasse, die Hybriden wie ihrem Sohn das Leben zur Hölle machten. Aber immerhin lebte Catyn noch. Andere Hybriden erlebten nicht einmal ihren ersten Tag auf Erden. Der Preis dafür war hoch gewesen, doch würde sich Sieren immer wieder für diesen Weg entscheiden. Als vor zwei Tagen jedoch der Vampir in ihrem Clan aufgetaucht war, war das Schicksal ihres Jungen besiegelt und alles Betteln und Flehen hatte ihr kein Gehör bei Berdan oder gar dem Rat verschafft.

Hastig drängte sie Catyn weiter. Sie würde nicht zulassen, dass er das Lustobjekt dieses Abschaumes wurde! Das hatte ihr kleiner Schatz nicht verdient, egal wessen Blut in seinen Adern floss.

Bisher hatte Catyn allein das Erbe seines Vaters und ihre Bereitschaft alles über sich ergehen zu lassen am Leben erhalten. Berdan hatte spezielle Vorlieben im Bett. Sie als Omega war stets ein willkommenes Spielzeug für diese, erst recht, nachdem sie von einem artfremden Wandler schwanger geworden war. Mit ihrem Körper hatte sie für das Leben ihres Jungen bezahlt, doch nun hatte Berdan ein verlockenderes Angebot angenommen. All die Jahre hatte sie das Geheimnis um seinen Vater vor Catyn und dem Clan bewahrt, nur Berdan wusste davon. Er hatte es all die Jahre immer wieder gegen sie verwendet und sie hatte gehorcht. Doch am Ende hatte es nichts genutzt, ihrem Jungen wurde allein ihr Erbe zum Verhängnis. Das würde sie zu verhindern wissen!

Mit rasselndem Atem ließ sich Catyn immer weitertreiben, jeden Schatten ausnutzend, hinaus aus der Siedlung, hinein in den Wald, um der Straße zu entgehen. Sie waren Stunden unterwegs und er am Ende seiner Kräfte, als sie den Schutz des Waldes verließen und auf eine Schotterstraße hinaustraten. Das tiefe Brummen eines Motors erwartete sie. Er wollte sich wegdrehen, fliehen, doch seine Mutter zerrte ihn weiter, hin zu dem alten Pick-up.

„Er wird dich wegbringen. Bleib bei ihm“, raunte sie ihm eindringlich zu und schubste ihn auf den Rücksitz des alten Jeeps. Sie wechselte einige Worte mit dem Fahrer und reichte ihm einen Umschlag.

~ Neues Leben ~

Vancouver konnte es locker mit jeder anderen größeren Stadt des amerikanischen Nordkontinentes aufnehmen. Gerade mal einen Katzensprung von den gelobten USA entfernt, hatte sich die kanadische Stadt in den letzten Jahren zunehmend zu einem Touristenmagneten gemausert, was wohl auch ihrem direkten Einfluss auf die glamouröse Welt des Filmgeschäftes geschuldet war. Doch Einheimische wussten, der wahre Charme ihrer Stadt ergab sich erst durch ihre Lage, gebettet zwischen der Seestraße von Georgia und im Rücken die majestätischen Berghänge der Coast Mountains. Die weiten Wälder waren mitunter mehrere Jahrhunderte alt, verbargen in sich Geheimnisse, die selbst die ältesten der hier ansässigen Familien noch nicht ergründet hatten. Und in so manchen Nächten konnte man sogar an der Stadtgrenze den Liedern ihrer Bewohner lauschen.

Allerdings hatte auch Vancouver seine Schattenseiten, die sich vor allem nachts zeigten, wenn sich allerlei Gestalten aus den hintersten Gassen und Winkeln der Stadt ins Licht der Laternen wagten. Es gab, wie in jeder Großstadt, Viertel, in denen es ratsam war, sich nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr allein auf die Straße zu begeben. Es galt das Gesetz des Stärkeren oder jenem, der die effektivere Waffe bei sich trug. Im Schutz der Nacht regierten Gewalt und Verbrechen die Straßen und die hiesige Polizei tat sich schwer, an dieser Situation etwas zu ändern. Sperrstunden hatten nur bedingt Wirkung gezeigt, denn das Leben, die zahlreichen Clubs und Diskotheken der Stadt lockten vor allem junge Menschen heraus.

Zu ihnen zählte auch Mellissa Morin. Sie war in einem dieser Viertel aufgewachsen und kannte mit ihren fast 21 Jahren die Regeln der Straße. Trotzdem warf sie an diesem Abend alle Vorsicht über Bord. Ein neuer Club hatte seine Pforten geöffnet und nichts würde sie davon abhalten sich dort beim Tanzen zu verausgaben und sich den einen oder anderen Kerl zu angeln, auch nicht die Absage ihrer besten Freundin Jessy. Zur „Jagd“ entsprechend aufgestylt stöckelte sie weit nach 23 Uhr durch die kaum belebten Straßen ihres Viertels. Das Geld fürs Taxi hatte sie sich gespart. Der Club lag im nächsten Bezirk, also keine Weltreise entfernt. Aber desto länger sie unterwegs war, umso mehr machte sich Unbehagen in ihr breit. Schon länger war ihr niemand mehr begegnet. Ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein, beschleunigte sie ihre Schritte. Das hallende Klappern ihrer Absätze schürte ihre aufsteigende Beklommenheit und dann war es da: das Gefühl, beobachtet zu werden. Hektisch sah sich Mellissa um, doch da war niemand hinter ihr. Nur die leere Straße, die alle 20 Meter von Laternen beleuchtet wurde. Dampf stieg aus der Kanalisation und den unterirdischen Tunneln der U-Bahn auf, quoll in grauen Schwaden über den Asphalt.

Sie kannte das alles, hatte es unzählige Male schon gesehen, heute jedoch löste der Anblick in Mellissa ein unangenehmes Gefühl aus und hastig lief sie weiter. Nun bereute sie ihren unvorsichtigen Entschluss, ihre eigenwillige Spontanität, die sie erst in diese Lage gebracht hatte. Immerhin hätte sie jemand anderen aus ihrer Clique anrufen können, aber nein. Mellissa Morin bekam das ganz allein hin! Von wegen, jetzt hatte sie den Salat. Das Gefühl, verfolgt zu werden, nahm mit jedem Meter, den sie zurücklegte, zu. Eilig bog sie in die nächste Straße ab, hielt kurz inne und lauschte, während sie nervös mit der rechten Hand gegen ihre kleine Lederhandtasche trommelte. Nur die Geräusche der Stadt drangen an ihr Ohr, keine schnellen Schritte, die ihr nachsetzten. Mellissa rang sich ein wackliges Lächeln ab und ging weiter. Ihre Fantasie ging eindeutig mit ihr durch. Dennoch konnte sie nach knapp zehn Metern dem Drang, sich umzusehen, nicht Einhalt gebieten, nur um sicherzugehen, dass sie wirklich allein war.

„Nur noch vier Straßen“, murmelte sie leise vor sich hin, dann hatte sie eine der breiten Hauptstraßen erreicht. Eine der Lebensadern, wie ihre Freundin Jessy die mehrspurigen Straßen nannte. Dieser Versuch sich selbst zu beruhigen, hatte bisher nur bedingt funktioniert. Warum nur hatte sie nicht zumindest den Bus genommen? Der wäre immerhin billiger als das Taxi gewesen und sie müsste sich jetzt nicht mit ihrer übereifrigen Fantasie herumschlagen. Selbst schuld, grummelte ihr Unterbewusstsein und widerwillig stimmte Mellissa ihm zu.

Kalt kroch der feuchte Nachtnebel ihre nackten Beine entlang, kitzelte sie im Nacken und zitternd schlang Mellissa die Jacke enger um ihre Schultern. Plötzlich fühlte sie sich in dem knappen Kleidchen, in dem sie heute um Aufmerksamkeit buhlen wollte, alles andere als wohl. „Warum musstest du Pute auch allein gehen?“, schalt sie sich nervös, da das Straßenzählen nichts brachte, und dachte dabei unweigerlich an den Kerl, der ihr seit ein paar Wochen in den Clubs nachstellte. Soweit ein ganz netter Kerl, praktisch, um sich über den Abend hin aushalten zu lassen, aber nicht für mehr. Auch wenn seine Einladung zum Essen ihr geschmeichelt hatte oder seine tollen tiefbraunen Augen sie immer wieder kurzfristig in ihren Bann zogen. Vielleicht war er auch in dem neuen Club, würde sie mit seinen Avancen schnell diese bedrückenden Minuten, hier so allein in den Straßen, vergessen lassen. Und vielleicht würde sie ihm heute doch endlich gestatten sie nach Hause zu begleiten. Sie hatte nicht wirklich Lust darauf, auf dem Rückweg erneut diese Angst im Nacken zu spüren.

Die Argumente, dem Werben wirklich nachzugeben, hatten gerade gewonnen, als sich eine kräftige Hand auf ihren Mund legte und sie brutal mit sich zerrte. Die große Hand erstickte ihren Hilfeschrei, noch ehe ein Ton ihre Lippen verlassen konnte. Steif vor Angst fühlte Mellissa, wie sich der Fremde dicht an sie herandrängte, roch seinen fauligen Atem, der ihre Kehle streifte. Zitternd wog sie ihre Chancen ab und kam zu einer niederschmetternden Einsicht: Mit ihren gerade mal 1,67 und kaum 55 Kilo war sie bei Weitem nicht in der Lage, ihrem Angreifer die Stirn zu bieten. Angewidert spürte sie dicke aufdringliche Finger, die ihren Körper abtasteten, bei ihren Brüsten mehrmals hielten und sie auf schmerzhafte Weise kneteten. Ihre Gedanken rasten und plötzlich erinnerte sich Mellissa, wie oft sie mit ihren Freunden über genau solche Situationen geurteilt hatte: über die Unfähigkeit dieser dummen Weiber sich aus eigener Kraft aus den Fängen ihrer Angreifer zu befreien. Nun lachte sie nicht mehr darüber, denn ihre eigene Dummheit hatte sie ebenso in jene Situation gebracht.

Hilfe … Ist hier denn niemand? … Ich brauche Hilfe, dachte sie panisch, als sie grob in eine Seitengasse geschleift wurde.

„Keinen Mucks, Kleine oder ich drehʼ dir gleich deinen schönen Hals um.“ Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, ließ der Mann von Mellissas Mund ab, strich fast schon zärtlich über ihren Kiefer zum Kinn und sacht die Kehle hinab, die er mit seiner Pranke leicht umfassen konnte und drückte bedeutsam zu. Angsterfüllt röchelte die junge Frau nach Luft. Zufrieden grinste der Mann in die Nacht und befühlte abermals den schlanken Körper seiner Beute.

Angeekelt versuchte sich Mellissa den fremden Händen zu entwinden, die sie gegen die Häuserwand drängten. Doch ihre Gegenwehr schien auf ihren Peiniger nur noch erregender zu wirken, denn sein zustimmendes Grunzen wurde immer lauter. Schon konnte sie seine Finger unter dem Saum ihres Kleides spüren, sich begierig ihre Schenkel entlangtastend, als helles Licht die Gasse flutete. Verwirrt ließ der Mann von ihr ab und versuchte mit abgeschirmten Augen etwas zu erkennen.

„Was zum Teufel soll das?“, knurrte er ungehalten, als sekundenlang nur das tiefe Brummen eines Automotors zu hören war. Mellissa wandte den Blick zur anderen Seite der Gasse, doch ihr Fluchtgedanke wurde im Keim erstickt, als sich erneut eine der großen Hände um ihre Kehle schraubte. „Du bleibst schön hier, Püppchen, wir beide sind noch nicht fer...“ Die Autoscheinwerfer erloschen und lenkten den Mann mitten in seiner Drohung ab. Das Licht der einzigen Straßenlaterne in der Gasse drang nicht bis zu dem Neuankömmling, doch man konnte schemenhaft erkennen, wie sich die Fahrertür öffnete und jemand ausstieg. Die schlanke Silhouette offenbarte jedoch nicht, ob es sich dabei um einen Mann oder eine Frau handelte.

„Komm nur her“, knurrte ihr Angreifer und ließ endlich von Mellissa ab, die keuchend zusammenbrach, während ihre vor Panik weit aufgerissenen Augen jede Bewegung der dunklen Gestalt vom Auto her verfolgten. War das ihr Retter oder nur noch ein Verrückter, der es auf sie abgesehen hatte?

„Was willst du? Die Kleine gehört mir, such dir ʼne andere“, kläffte der Mann neben ihr, doch der Neuankömmling ging nicht auf seine Provokation ein.

„Mäuschen, Mäuschen kommʼ nicht raus, sonst kratz ich dir die Augen aus.“

Bei der weichen, eindeutig männlichen Stimme, zuckte Mellissa unwillkürlich zusammen. Deutlich hatte man die Drohung herausgehört, während der Fremde auf sie zukam. Geschmeidige Schritte, ruhig, geradezu elegant, wie ein Panther in der Nacht. Verwirrt ruckte Mellissas Kopf herum, als sie meinte das sanfte Schellen eines Glöckchens zu vernehmen. Was ging hier nur vor sich? Bewegungslos beobachtete sie, wie der Fremde in den Lichtkegel der Laterne trat, und hielt unbewusst den Atem an. Für einen Herzschlag war die Gefahr vergessen, in der sie schwebte, und fasziniert starrte sie den Mann an, der ihnen gegenüberstand: schlank, dunkel gekleidet, dunkel lockige Haare, die ihm ins Gesicht fielen, dadurch seinen ausdrucksstarken Augen wahrlich etwas Bedrohliches verliehen. Der Mann war an und für sich nicht groß oder wirkte besonders muskulös, um sie ohne Weiteres aus ihrer misslichen Lage zu befreien – aber diese Aura!

Auch der Mann neben ihr musterte den Fremden beeindruckt, bevor ein anzügliches Lächeln über seine Lippen huschte.

„Na sieh einer an, da meintʼs aber jemand gut mit mir. Was ist, Süßer? Willst du dich nicht mit zu uns gesellen? Ich kann euch auch locker beide zufriedenstellen.“

Entsetzt hastete Mellissas Blick zurück zu ihrem Angreifer. Doch als sie wieder zu dem Fremden blickte, bemerkte sie das bedrohliche Funkeln in seinen dunklen Augen und atmete flach durch. Dieser Mann war nicht an ihr interessiert. Kühl musterte er ihren Angreifer.

„Ein Kater ist in der Wahl seines Partners sehr wählerisch – und DU …“, angewidert spuckte der Dunkelhaarige das Wort aus, „… bist bestimmt nicht mein Typ“, knurrte er weiter, wobei er Mellissa einen knappen Blick zuwarf, der zwar nicht freundlich war, ihr dennoch etwas Mut zurückgab. Dieser Mann würde ihr helfen. Abermals glaubte die junge Frau ein Glöckchen zu hören und bemerkte bei dem Fremden einen dunklen Schatten zu dessen Füßen, ehe die Stimme des Mannes an ihrer Seite sie zusammenzucken ließ.

„Soso, du bist also ein wählerisches Kätzchen, meinst, ich bin nicht gut genug für dich, hm?“, antwortete er wütend und zog bei seinen Worten ein Messer hervor, das bedrohlich im Schein der Laterne aufblitzte, als er auf den Fremden zutrat.

Catyn Odell lächelte matt vor sich hin. Es war Zufall gewesen, dass er noch im letzten Augenblick bemerkt hatte, wie der Affe vor ihm die junge Frau in die Gasse gezerrt hatte. Dieser Zwischenfall hier war zwar für diese Nacht nicht eingeplant, doch wo er nun schon mal hier war. Nachsichtig musterte er seinen Gegner. Gut einen Kopf größer als er, mit Muskeln bepackt, die schon von Weitem vermittelten, hier gab es zwar Kraft, aber keinen Grips. Immer diese Proleten, die nicht einsahen, wann sie verloren hatten.

Er gab einen leisen, kaum wahrnehmbaren Ton von sich und der dunkle Schatten zu seinen Füßen ging seitlich in Deckung. Seinem kleinen Liebling sollte immerhin nichts passieren. Dann wartete er ruhig auf sein Opfer, bis dieses ihm mit einem siegessicheren Lächeln gegenüberstand.

„Und nun, Kleiner, willst du dir mein Angebot nicht noch mal überlegen?“

Catyns Blick ruhte kurz auf der jungen Frau einige Meter hinter ihnen. Es war immer das Gleiche, einem Fluch gleich fühlten sich die meisten Menschen von seinem Aussehen unwiderstehlich angezogen. Alle vergaßen sie ihre eigentliche Beute oder den Instinkt für die Gefahr, in der sie schwebten. Auch die junge Frau war inzwischen zu fasziniert, um den günstigen Augenblick zur Flucht zu nutzen. Gleichmütig wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Kraftprotz vor sich zu, der sich mit seinem Messer sichtlich unbesiegbar fühlte. Es ging wohl nicht anders.

Ein Lächeln huschte über Catyns Lippen, einladend, lockend und durchaus gefährlich und natürlich missverstanden. Deutlich flackerte Begierde in den hellen Augen auf und entlockte Catyn ein verächtliches Schnauben. Immer dasselbe – dabei waren es noch einige Tage bis Vollmond – dass Männer so leicht zu lenken waren, wenn es um pure sexuelle Anziehung ging! Dann vergaßen die meisten nur allzu schnell und bereitwillig, dass sie bisher nur Frauen flachgelegt hatten.

Ohne auf die Frage seines Gegenübers einzugehen, strich Catyns Hand fast schon zärtlich den dunkelgrünen Pullover hinauf zu der zarten Haut zwischen Schlüsselbein und Halsansatz. Genüsslich senkte der Kraftprotz die Augen und zuckte erschrocken zusammen, als sich plötzlich scharfe Krallen in seine Haut bohrten. Noch nicht tödlich, aber unmissverständlich drohend. Eine falsche Bewegung, ein zu tief geholter Atemzug und er würde diese Nacht nicht überleben. Jetzt leuchtete Panik statt Begierde in seinen Augen auf, als sie wieder Catyns Augen begegneten, in denen ein unheimliches Glühen flackerte. Vergessen war seine überlegene Kraft, das Messer in seiner Hand, das Sekunden später klappernd zu Boden fiel.

„Lass dich nie wieder hier blicken, sonst ...“

Das kratzende Geräusch und vor allem das Gefühl der spitzen Krallen, die sich leicht in seine Haut drückten, waren dem Muskelprotz Warnung genug und vorsichtig nickte er. Schweißperlen standen auf seiner Stirn, lösten sich einzeln, um sich einen Weg über das unattraktive Gesicht zu suchen.

„Dann lauf und sieh dich nicht um“, zischte Catyn und trat einen Schritt zurück. Verwirrt starrte der Andere ihn an, versuchte sichtlich zu verstehen, was hier gerade passierte. Und für den Bruchteil einer Sekunde schien er wirklich abzuwägen Catyn anzugreifen, die Gefahr, die keine Minute zuvor noch greifbar spürbar gewesen war, nicht ernst zu nehmen. Sein Blick wanderte zu den Händen des Dunkelhaarigen, an denen nichts Ungewöhnliches zu sehen war. Also was hatte er da gerade an seinem Hals gespürt? Als Catyn in einer schnellen Handbewegung jedoch ein an der Wand stehendes Holzbrett ohne ersichtliche Mühe durchtrennte, als wäre es Papier, ging ein Ruck durch den Proleten und hektisch suchte er das Weite.

Catyn sah ihm einen Augenblick nach, ehe er auf seine Hand blickte: auch eines der Dinge, die vermutlich seine Mutter ihm vererbt hatte. Wandeln konnte er sich nicht, doch wenn er es wollte, wurden aus seinen Fingernägeln messerscharfe Krallen, denen man sich am besten nicht in den Weg stellte. Er bemerkte, wie ihn die junge Frau noch immer fasziniert anstarrte und seufzend legte Catyn seine anziehende Aura wieder an die Kette. Dass der Effekt leider nicht so schnell nachließ, wie er einsetzte, war reichlich lästig. Doch immerhin konnte er es inzwischen steuern.

„Besser du verschwindest endlich von hier. Und achte das nächste Mal besser auf deine Umgebung“, bemerkte er reserviert und ging die wenigen Schritte zu seinem Wagen zurück.

Zitternd beobachtete Mellissa, wie der Mann einstieg und kurz darauf wieder das gleißende Licht der Scheinwerfer die Gasse flutete. Die Tür war noch geöffnet und für die Dauer eines Herzschlages hatte sie den brennenden Wunsch, der Fremde würde sie rufen, sie mit sich nehmen, als ein lockender Laut aus dem Inneren des Wagens zu hören war. Benommen bemerkte die junge Frau, wie sich aus dem Schatten der Gasse eine Silhouette löste und eine zartgliedrige Katze ins Autoinnere sprang. Um ihren Hals lag ein Band, an dem ein leises klingendes Glöckchen hing. Sie hatte sich also wirklich nicht verhört. Sekunden später war sie wieder allein in der Dunkelheit der Gasse. Ihr Verstand brauchte noch einige Minuten, um zu begreifen, ob das eben Passierte eine Wahnvorstellung aus ihrer Angst heraus oder verwirrende Realität gewesen war, ehe sie sich endlich aufrappelte und den Weg nach Hause einschlug. Die Lust auf Disco oder überfüllte Clubs war ihr definitiv vergangen.

***

Zur gleichen Zeit, in einem anderen Stadtteil trommelte Nikolajew Krylow nervös auf dem Lenkrad seines Wagens herum. Seit geschlagenen fünf Minuten führte er eine nervenaufreibende Diskussion mit der rothaarigen Nutte, deren leichte Ledersachen, passend für ihre Arbeit, mehr zeigten als versteckten. Man sollte doch meinen, 200 Dollar waren ein ausreichendes Angebot um ihn zu begleiten. Aber nein! Offensichtlich war es nicht mehr üblich seine Freier zu begleiten, sondern sie einfach in irgendeiner Hintergasse abzufertigen. Unschlüssig stand die Dame also vor seinem Auto und dachte sich einen angemessenen Preis aus, der eine Mitfahrt für sie lohnenswert machte.

„Was nun? Kommst du?“

Sichtlich genervt stöhnte die Nutte auf und stieg ein.

„Na endlich“, knurrte Nikolajew ungehalten und startete den Motor.

„Das macht fünfzig Mäuse mehr“, gab die Nutte unbeeindruckt zurück, holte aus ihrer kleinen Tasche einen Lippenstift, klappte ungefragt den Beifahrerspiegel herunter und trug in übertriebener Weise, die vielleicht anziehend oder erregend wirken sollte, neue Farbe auf. Stattdessen wirkte es nur billig, wie die ganze Frau. Nikolajew achtete nicht darauf und fuhr mit quietschenden Reifen an. Er hatte nicht viel Zeit und für solchen Kram schon gar keine. Selbst für seinesgleichen war er unnatürlich blass, konnte inzwischen kaum noch das Zittern seiner Hände unterdrücken. Das schien mittlerweile auch seiner Begleiterin aufzufallen, denn sie hielt inne und musterte ihn argwöhnisch.

„Was isʼn mit dir los?“, fragte sie mit einem angeekelten Unterton in der Stimme, der Nikolajews Nerven zusätzlich strapazierte.

„Nichts“, gab er unwirsch zurück, konnte das schwache Zittern dabei aber auch aus seiner Stimme nicht heraushalten. Er brauchte Blut! Und das so schnell wie möglich. Sein Blick glitt in fast fiebrigem Wahn zu der Frau neben ihm. Allein das sprach schon für seinen Blutrausch. Davon abgesehen, dass es bei Weitem nicht sein Stil war, einfach wahllos seine Opfer auf der Straße zu suchen. Gott, er hatte eine Frau im Auto! Doch selbst diese erneute Darstellung seiner Situation änderte nichts an der Tatsache, dass es ihm im Augenblick herzlich egal war.

Üblicherweise ließ er sich Zeit bei seiner Auswahl, setzte auf seinen Charme, den er normalerweise hatte und sein gutes Aussehen. Im Moment war von beidem jedoch nicht mehr viel übrig und ihn beherrschten allein seine Instinkte. Wenn er Vlatimir in nächster Zeit in die Hände bekam, konnte der getrost sein Testament machen und dieses Mal endgültig. Erneut sah er zu der Frau an seiner Seite, die ihm ein unwilliges Knurren entlockte. Zumindest sah sie annehmbar aus. Er schüttelte den Kopf und konzentrierte sich wieder darauf, aus dem Rotlichtviertel herauszukommen. Hier konnte er es nicht riskieren seinem Blutdurst nachzugeben, nicht in seinem jetzigen Zustand. Ein falscher Ton der Nutte und ihre halbe Sippe rückte ihm auf die Pelle. Es hatte direkt etwas Kurioses an sich, dass gerade hier in diesem Viertel, wo die Kriminalität am höchsten war, das Gesocks am besten aufeinander aufpasste. Misstrauisch wurde er beäugt und hatte mit seinem Verhalten wohl nun doch genug Argwohn geweckt, um mit einem Fluchtgedanken zu spielen.

„Mann, du siehst echt nicht gut aus. Am besten du lässt mich wieder raus und gehst erst mal zu ʼnem Arzt. Kannst ja danach wieder vorbeischauen.“

Ohne Vorwarnung gab Nikolajew Gas, worauf die Frau erschrocken nach dem Sicherheitsgurt greifen wollte, den es aus genau diesem Grund nicht gab. Entschlossen trat er auf die Bremse, hielt mit unmenschlicher Kraft das Steuer auf Position, sodass der Wagen keine Chance hatte zur Seite auszubrechen. Seine Begleiterin flog mit einem hässlichen Geräusch gegen die Frontscheibe und sackte bewusstlos in den Sitz zurück. Bleich japste Nikolajew nach Luft und sah sich rasch um. Doch er schien keine unliebsame Aufmerksamkeit erregt zu haben, er hatte sicheres Gebiet erreicht.

„Sorry, Püppchen, ich steh nicht so auf Sicherheit“, brummte er mit einem wackligen Grinsen zur Seite. Er betrachtete sein Opfer, bevor er sich zu ihr hinüberbeugte. Sacht streifte er das, trotz seines Glanzes, überraschend raue Haar zur Seite und entblößte die Halsschlagader, beobachtete paralysiert für einige Sekunde das sichtbare Pulsieren des Blutes, nur wenige Millimeter unter der Haut verborgen. Die Frau blutete aus einer Kopfwunde und hungrig sog Nikolajew den süßen verführerischen Duft ein, ehe er seine Eckzähne in das weiche Fleisch ihres Halses vergrub und endlich trank. Berauschend stürzte der warme Lebenssaft seine Kehle hinunter, wurde von jeder Faser seines Körpers willkommen geheißen, während seine Lippen immer mehr Nachschub aufsaugten. Mit einem unterdrückten Stöhnen ließ er von seinem Opfer ab und sank zitternd zurück in seinen eigenen Sitz. Mit geschlossenen Augen genoss er das Feuer in seinen Adern, die wiederkehrende Kraft, konnte spüren, wie er wieder etwas Farbe bekam. Träge öffnete Nikolajew die Augen und als sein Blick den Beifahrersitz erreichte, stieß er unwillkürlich ein bitteres Lachen aus. Er hatte es eindeutig übertrieben: Tote Augen starrten ihn leer an.

„Teufel, Mann, bist du gefallen“, gestand er sich selbst ein. Es wurde wirklich Zeit, dass er Koren und seinen Speichelleckern ein für alle Mal klar machte, dass er nicht vorhatte Hundefutter aus sich machen zu lassen.

Mit einer herrischen Bewegung riss er den Kopf der Frau zu sich, hörte emotionslos das Knacken ihres Genickes und ließ sie zurück in den Beifahrersitz sinken. Es verschaffte ihm etwas Zeit, verhinderte aber nicht das Unvermeidbare, nicht auf diese Weise. Ein feines Rinnsal aus Blut floss ihre Kehle hinab, doch er achtete nicht darauf. Das Blut war verbraucht gewesen, hatte ihm zwar über den schlimmsten Durst hinweggeholfen, reichte jedoch bei Weitem nicht, um seine gänzliche Kraft wiederherzustellen. Noch konnte er die lauernde Trägheit deutlich in seinen Muskeln spüren. Mit einem raubtierhaften Glitzern in den dunklen Augen startete Nikolajew den Motor und lenkte seinen Wagen mit wieder ruhiger Hand und geschmeidigen Bewegungen Richtung Innenstadt. Jetzt konnte er auf die wirkliche Jagd gehen, so wie es ihm gebührte und seine Natur war. Fast fünf Jahre war er nicht mehr in Vancouver gewesen, es gab einiges nachzuholen. Doch zuvor musste er nur noch etwas Ballast loswerden.

***

Die Sonne durchdrang unaufhaltsam den Morgennebel, eroberte sich Stück für Stück die Welt für einige Stunden zurück. Grelle Strahlen trafen auf den schlafenden Körper, der in einem Zwinger, weit außerhalb der Stadtgrenzen, gefangen war.

Ein unangenehmes Brennen weckte sie und erschrocken schlug die rothaarige Frau die Augen auf. Vage nur erinnerte sie sich an die letzte Nacht und was sie aus ihr gemacht hatte. Ihr neuer Verstand war noch dabei, alles zu verarbeiten, doch ihre Instinkte waren schon vollkommen und schlugen panisch Alarm: Sie war jetzt ein Geschöpf der Nacht, Sonne war tödlich! Doch unaufhaltsam stieg der Feuerball höher und höher am Horizont auf. Entsetzt wich sie zurück und lief unruhig den wenig vorhandenen Raum auf und ab. Und dann fing sie an zu rufen. Als niemand reagierte, wurden aus ihren Hilferufen Schreie, die ungehört in den sonnigen Morgenstunden verhallten.

„Lasst mich hier raus! … Bitte … Das könnt ihr doch nicht machen! Ich bin eine von euch!“ Hysterisch klammerte sie sich an die Eisenstäbe, wich dabei immer weiter in die hintersten verbliebenen Schattenecken des Zwingers zurück. Doch nur allzu schnell wurde auch der letzte dunkle Schutz gnadenlos von der Sonne verdrängt. Die ersten warmen Strahlen streiften sie. Und ihre Haut begann wahrlich zu brennen. Blasen bildeten sich in Sekundenschnelle, platzten unter neuen Blasen blutig auf. Immer mehr bedeckten ihren Körper. Verzweifelt kratzte sie die Blasen auf, was das blutige Szenarium nur noch schlimmer aussehen ließ. Dann war der Schatten ganz verschwunden und der Zwinger wurde in gleißendes Sonnenlicht getaucht.

Gelassen beobachtete Nikolajew das Geschehen, wie schon etliche Male zuvor in den letzten Jahrhunderten. So viele. Immer dasselbe Schauspiel und inzwischen war er regelrecht abgestumpft gegen diese brutale Art der Beseitigung von seinesgleichen. Gemächlich gönnte er sich einen weiteren Schluck Rotwein, selbst nach all der Zeit gönnte er sich hin und wieder einen guten Tropfen, während er selbst hinter getönten Scheiben sicher den Sonnenaufgang bewundern konnte. Das Zeitalter der Technik und der nie gestillte Hunger der Menschen nach neuen Entdeckungen hatte ihnen im Laufe der Zeit sehr viel vom Leben zurückgegeben, was ihnen ihr Schattendasein einst genommen hatte. Schon längst waren die Zeiten vorbei, wo sich seine Art nur nachts auf die Straßen trauen konnte, sich verstecken musste, um zu verbergen, was sie waren.

Die letzten gequälten Aufschreie der sterbenden Seele erregten für einen Augenblick wieder Nikolajews Aufmerksamkeit.

„Schrei so laut du kannst, hier wird dich niemand hören“, murmelte er träge. Denn genau deswegen hatte er sich für ein Haus weitab der Stadt entschieden. Es war ohnehin gleich vorbei. Eine Verbrennung war, je nach Alter des Vampirs, eine Sache von wenigen Minuten, auch wenn der Gestank sich für einige Tage hielt. Die verbleibenden Überreste würde er kommende Nacht entsorgen. Einen Moment schalt sich Nikolajew im Stillen. Selbst wenn der Fortschritt vieles für sie verändert und einfacher gemacht hatte, so waren doch einige Gefahren für sie heutzutage ebenso allgegenwärtig wie noch vor gut hundert Jahren und das heute war ein dummer Fehler von ihm gewesen. Auch wenn er an seiner Situation selbst nicht wirklich schuld gewesen war, er allein hatte die Konsequenzen gezogen und es waren die falschen gewesen. Sie waren über die letzten Jahrhunderte stärker geworden, hatten gelernt mit den Menschen zu leben und sich ihrer ständig weiterentwickelnden Welt zu bedienen, sich ihr anzupassen, um zu überleben. Das Gleiche galt jedoch auch für ihre Jäger, die seit Anbeginn ihrer Existenz hinter ihnen her waren.

Vor ungefähr 200 Jahren hatte der Oberste Rat aller Vampirkasten daher ein Gesetz beschlossen, dass ihnen das unnötige Töten von Menschen untersagte, um so ihre Sicherheit zu gewährleisten. Die Menschen hinterfragten den Tod plötzlich und sie suchten Antworten auf die Fragen nach dem Warum und Wie. Doch schon lange davor wussten die Ältesten unter ihnen, dass man die Menschen nicht töten musste, um selbst zu überleben. Dass sie mit ihrer Aura, die sie mit der Zeit erhielten, leicht genug ahnungslose Opfer bezirzen konnten, um genügend freiwillige Spender zu finden. Ein Schlückchen Blut von dieser und jener Kehle. Ihr Hunger wurde auf diese Weise gestillt, ihre Opfer kamen mit dem Leben davon und beide Seiten zogen mitunter ihren Vorteil daraus. Die Jagd entsprach jedoch ihrer Natur und es hatte einige Jahrzehnte und Sanktionen gebraucht, ehe das Gesetz in ihren Reihen gefestigt war.

Selbst Nikolajew konnte ihm inzwischen seine Vorteile abgewinnen. Weit weniger Stress mit Verfolgern und dem Beseitigen der Leichen, von instinktgesteuerten Neulingen ganz zu schweigen. Und mit Sicherheit konnte sich keiner seiner Spender, jene, die noch lebten, über die Treffen mit ihm beschweren. Er hatte sehr überzeugende Argumente, um mit ihm zu gehen, um einige Stunden mit ihm zu verbringen. Jungvampiren hingegen fehlte zuweilen jegliche Einsicht für dieses Gesetz, sie wurden überwiegend von ihren Trieben beherrscht. Doch er war inzwischen über 450 Jahre alt, weit davon entfernt, noch als Jungvampir durchzugehen. Blieb nur zu hoffen, dass das Verschwinden der Nutte nicht weiter auffiel. In Vancouver wurde nach dem neuen Gesetz gelebt und Herois, Vampirfürst über den nordamerikanischen Kontinent, duldete keine Fehltritte in seinem Herrschaftsgebiet. Vermutlich hatte Koren genau darauf spekuliert.

Nikolajew fokussierte den Blick wieder, bemerkte, dass er seinen Gedanken wohl eine ganze Weile nachgehangen hatte, denn er hatte das Ende des Schauspieles verpasst. Draußen war endlich wieder friedliche Stille. Müde stellte er sein Glas auf dem hellgrau marmorierten Steintischchen neben sich ab und begab sich zu Bett. Nicht alles hatte die Zeit verändert und seine Schlafgewohnheiten gehörten definitiv dazu. Er war und blieb ein Kind der Nacht – auf die eine oder andere Weise.

Die Sonne hatte inzwischen ihre durchaus auch für ihn tödliche Kraft verloren und zeigte sich nur noch durch ihre letzten Ausläufer in einem leuchtenden Abendrot am Himmel, als Nikolajew an den Zwinger herantrat. Nur ein feines Brennen auf seiner Haut erinnerte ihn daran, dass seine Existenz, entgegen der menschlichen Fantasie, weit davon entfernt war, unsterblich zu sein. Unbeeindruckt musterte er die verkohlte Leiche. Nichts erinnerte mehr an die lebendige Frau, die sie noch gestern gewesen war oder an den jungen Vampir, der vor wenigen Stunden erst erwacht war. Gelassen öffnete Nikolajew den Zwinger und verstaute die Überreste in einem schwarzen Plastiksack. Akribisch achtete er darauf, keine Spuren zurückzulassen, die seine Schuld in irgendeiner Form beweisen konnten. Später würde er den Boden des Zwingers großzügig mit Wasser reinigen, um so auch die letzten Spuren des Feuers zu entfernen.

Mit einem leisen Seufzen warf er den Plastiksack in den Kofferraum seines alten Cadillacs und warf seinem schwarzen Ferrari einen entschuldigenden Blick zu. Für Futtertransporte war ihm der Traum auf vier Rädern zu schade und der Caddy dafür wiederrum passend unauffällig. Bedächtig lenkte er den Wagen Richtung Westen, entschied sich nach einigen Sekunden gegen die aufgerüstete CD-Anlage und schaltete das Radio an, um sich auf dem neusten Musik- und Nachrichtenstand zu halten und genoss bei geöffneten Fenstern die milde Abendluft.

Für die kommenden Tage würde er kein Blut brauchen. Seine Jagd war gestern noch äußerst erfolgreich und befriedigend gewesen. Als zu seiner Linken der Halbmond gemächlich seine Runde am Firmament begann, streifte sich Nikolajew mit einem selbstzufriedenen Grinsen auf den Lippen eine Sonnenbrille auf die Nase. Die Nacht gehörte allein ihm!

~ Begegnung ~

Geschäftiges Treiben herrschte in der Agentur des Modern Vancouvers, einem kleinen beliebten Society Magazin der Stadt.

„Miss Sanders! … Wo steckt dieses Weib schon wieder?!“

Hektisch wedelte Henry Keeper mit einem Stapel Akten in der Luft herum. Einige Angestellte schüttelten hinter ihren kleinen Schreibtischen kurz den Kopf, um ihm zu signalisieren, dass keiner von ihnen Miss Sanders in den letzten paar Minuten gesehen hatte. Wütend knurrte der dritte Chefredakteur des Modern Vancouvers vor sich hin: „Was dachte sich dieses Weibsbild eigentlich, wo sie hier war?!“

„Nur ruhig Blut, Chef, ich bin doch schon da“, ertönte eine kräftige Stimme hinter ihm. Empört wandte sich Keeper um.

„Sie!“ Er holte Luft, um postwendend seine Wut loszuwerden. „Sie sind hier angestellt, um zu arbeiten und nicht um irgendwo ihr privates Kaffeepläuschchen zu halten!“

„Also abkopieren?“, erkundigte sich die füllige Frau mit einem verschmitzten Lächeln in den dunkelblauen Augen. Sofort hielt Keeper in seiner Schimpftirade inne.

„Was? … Ach ja, die hier kopieren und dann sofort wieder auf meinen Schreibtisch!“, bellte er mürrisch. „Und damit meine ich in spätestens zehn Minuten und nicht erst in einer Stunde!“

Mucksmäuschenstill beobachteten die anderen Angestellten neugierig den Schlagabtausch zwischen den beiden. Man konnte fast die Uhr danach stellen und auf den Gewinner wetten. Auch wenn sich das nur noch bei den Frischlingen und Praktikanten lohnte. Kärie Sanders nahm den Stapel an sich und lächelte ihren Chef nun offen an. „Das schaffe ich auch in fünf Minuten.“

„Treiben Sie es bloß nicht zu weit!“, fauchte Keeper und verschwand mit einem lauten Türknall in seinem Büro. Er wusste, dass er Käries Wettvorschlag ohnehin verloren hätte, immerhin hatte diese genau deswegen noch ihren Job. Sie war eine der Besten hier. Zufrieden erwiderte Kärie das mitunter süffisante Grinsen ihrer Arbeitskollegen, immerhin bot niemand ihrem Chef so dreist und erfolgreich die Stirn wie sie. Sie wusste immerhin, dass sie es sich auch leisten konnte. Rasch ging sie mit dem Stapel Akten zum Kopierraum und lächelte dem jüngeren Mann aufmunternd zu, der dort an die Tür gelehnt auf sie wartete.

„Wenn du so weitermachst, stirbt der Alte mal noch an einem Herzinfarkt statt an Altersschwäche.“

„Catyn, Schätzchen …“ Nur sie durfte sich die Freiheit herausnehmen ihn so zu nennen und Catyn quittierte es mit einem milden Blick.

„… der Mann weiß ganz genau, was er an mir hat. Und wenn er an einem Herzinfarkt stirbt, dann hat das sicher nichts mit meiner Arbeitsmoral zu tun, denn die ist völlig in Ordnung“, bedeutsam zwinkerte Kärie dem jungen Mann zu und verteilte dabei routiniert sämtliche Akten auf die sechs Leistungsdrucker im Raum. Kopfschüttelnd beobachtete Catyn sie dabei. Er mochte Käries quirlige Art. Es war ein bisschen so, als kümmere sie sich um ihn wie eine große Schwester. Den Vergleich mit einer Mutter zog Catyn bewusst nicht, denn seit Jahren verdrängte er sämtliche Erinnerungen an sie und seine Kindheit.