Morbus vitalis - Willi van Hengel - E-Book

Morbus vitalis E-Book

Willi van Hengel

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Beschreibung

Über das Buch: Die Sprache eines verletzten Menschen ist zynisch, übermütig, zweideutig und ungerecht, sie ist ironisch, witzig, frech, stilvoll, grausam, weich und dämonisch. Es gibt Situationen im Leben, die stehen nicht für sich, sondern nur für die eigene Seelenverfassung. Was man gibt, empfängt man. Schwingung für Schwingung. Und zuletzt bleibt alles doch ein Geheimnis. Wie am meisten die Liebe. "Nenne mir einen Grund, einen einzigen nur, um dich nicht sterben zu lassen. Dann werde ich dir diese Zeilen, die dich das Leben gekostet haben, widmen können. Ich fürchte, wir werden uns wiedersehen." Leonard, Student der Philosophie mit einem gut bezahlten Job als Korrektor im Bundestag, hat sich in eine schwierige Lage gebracht. Nun, wo seine Freundin Ines beginnt, sich von ihm zu entfernen, versucht er herauszubekommen, warum es dazu kam. Zugleich nähert er sich seiner Kollegin Eva an, zu der er sich schon lange hingezogen fühlt. Hin und her gerissen beginnt Leonard die Geschichte dieser Menage à trois aufzuzeichnen …

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Seitenzahl: 358

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Willi van Hengel

Morbus vitalis

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

26.

27.

28.

29.

30.

31.

32.

33.

34.

35.

36.

37.

38.

39.

40.

41.

42.

43.

44.

45.

46.

47.

48.

Impressum neobooks

Kapitel 1

Widmung

meiner mam

meiner marizz

meiner karla

»… die tage um einen fußbreit kürzer

unter zerbrechlichem stern bruchstückhafte gespräche

noch glauben wir’s einander

nicht dass aus dem nahen dickicht

der herbst tritt …

und wunderschön das überflüssigsein der klage«

Jan Skácel

»der tod einer leidenschaft lässt entweder tote zurück

oder gänzlich veränderte.«

Bernd Mattheus

1.

Vielleicht sollte ich es mir gleich eingestehen und sagen, was ich von mir und meinem Leben und dem Rest halte, was für wahr und was für falsch, wie sonst könnte ich damit beginnen, mich zu besinnen und sagen, dass ich ein Mensch wie jeder andere bin und mein Leben dennoch eine merkwürdige Geschichte ist – ich spiele zwar eine große Rolle darin, mit Sicherheit aber nicht die Hauptrolle; die spielen meine Ohren, Augen und Hände, mein Glied, mein Sternzeichen, all die Gedanken und Gefühle und Empfindungen, all die Mutmaßungen, Triebe und Vorlieben, Obsessionen, Bedürfnisse, Enttäuschungen und Missverständnisse, all die ganzen Bewandtnisse und Verletzungen, für die ich bislang keine Worte hatte und nicht weiß, ob ich sie je haben werde.

Aber wann anfangen, habe ich mich gefragt, wann, wenn nicht jetzt, nach Hause gehn, ’nen Kaffee machen und Bruckners Fünfte auflegen, auf den alten Plattenspieler mit Radio und doppeltem Cassettendeck, aus der Zeit mit Barbara noch, mensch, 15 Jahre ist das schon her. Wann, wenn nicht jetzt, mit so was wie der Wahrheit anfangen, mitten in den Sud hinein, in dem ich gerade stecke, diese scheiß Damenwelt, mitten hinein in diese res eroticis. Ausgerechnet dort bei den Frauen soll ich eine Wahrheit finden?, habe ich mich gefragt und mein Vorhaben allein schon durch diese Frage in Gefahr gesehen. Affig, dachte ich, die Wahrheit ist weiblich und lässt sich gerade dort nicht finden oder, sagen wir mal, nur sehr schwer, mit einem langen Atem, oder mit einer langen Lüge. Trotzdem muss ich’s versuchen, egal was dabei rauskommt.

Um nicht die ganze Zeit so verdammt allein zu sein, am Schreibtisch und sonst wo mit dem Kuli oder so, werde ich dir, Ulle, das alles schreiben oder, besser noch, aufs Diktaphon sprechen, das geht schneller. Weil du mich nun schon ein Leben lang kennst, muss ich dir wenigstens nicht alles erklären und dir die Angelegenheit noch weniger beschreiben, damit du dir ein Bild davon machen kannst: von meiner jetzigen Umgebung, meinen heimlichen Träumen und etwas verwirrten Vorstellungen; ebenso wenig von Eva und Ines und von meiner ungebändigten Vorliebe für Philosophen, verhüllte Brüste und andere tragische Gestalten.

Hoffentlich wirst du nicht selber eine tragische Gestalt. Du weißt ja, Ulle, dass du viel gefährdeter bist als ich, vielleicht sogar mit jeder Zeile mehr. Auf jeden Fall darf ich nicht anfangen mit Lieber Ulle, dann wirst du sofort die Augen verdrehen und keine Lust mehr haben, mir weiter zuzuhören.

2.

Mensch Ulle, was bringt einem eine klare Antwort, wenn man sein Leben eh als einen einzigen und fortwährenden Auflösungsprozess begreift. Schlimm, findest du nicht? Aber pass auf: Das Schlimmste – es kommt nicht erst noch, es ist da, schon lange unter uns, in mir, immerzu, wie Fleischhaken hinter Karnevalsmasken. Xaver sagte es gleich am Anfang unseres Gesprächs. Wir standen nebeneinander, bis zum Bauchnabel von einem Holzzaun getrennt. Fünf Sätze, mehr nicht, und Xaver vermochte mir zu sagen, dass ich die Sache begraben solle, sie (als Sache?) abhaken wie einen erledigten Amtsgang, oder wie die Milch, den Joghurt, das Brot und den Käse, vom Einkaufszettel in den Wagen, abhaken und weiterleben, einfach so. Er machte es sich verdammt einfach, findest du nicht?

Aber, seufzte ich, und mir wurde dabei heiß und kalt, noch heißer, fast zitternder Schweiß, egal, wo ich hinfühlte mit den Fingern meiner Sehnsucht. Die Julisonne brannte auf uns nieder, Gelb auf Rot. Meine Wangen glühten. Einige Grade mehr und ich wäre verdampft. Wer erlebt schon seinen eigenen Tod bei hundert Grad Celsius, durch Aufkochen, an irgendeinem Gartenzaun, nur weil sie, Ines, nicht zu mir zurückkommen will!

Xaver lächelte und überging so meinen tiefen Seufzer. Er schien gar kein Mitleid mit mir zu haben. – Du wirst noch viele Frauen kennenlernen, sagte er nur. Es ist zwecklos, sie zurückholen zu wollen, glaub es mir.

– Was?

– Abhaken.

– Wie? Abhaken.

– Ich weiß, dass du dich dagegen sträubst, sagte er mit gelassener Stimme, sie beruhigte mich, machte mich aber auch verdammt wütend, du wirst sehen, dass es so kommen wird, wie ich es dir jetzt sage! Dieses Mal ist es kein Spiel mit faulen Zitronen wie bei der letzten Schrappnell (oh wie poetisch, du Ironiker, dachte ich), ihr habt euch geliebt, und vielleicht liebt ihr euch immer noch, aber Liebe ohne körperliches Verlangen ist Freundschaft, Punkt, finde dich ab damit, hör auf damit, nur an deinen Schwanz zu denken, du weißt, wie ich es meine, sie als die Schönste und Einzige in deinem Leben zu sehen, mit dem einen Auge, das ihr kein neues Verliebtsein, schon gar keine neue Liebe, aber auch keine neue Umarmung gönnt. Sie wird dich ihr Leben lang nicht mehr vergessen, glaub es mir, sie war nun mal für dich die erste Frau, die dir auf eine weibische und hinterhältige Art – vielleicht ist es sogar dasselbe – gezeigt hat, was eine Harke ist. Steck aber jetzt den Kopf nicht zu tief in den Sand. Sieh nach vorn. Da hinten wartet die nächste. Vielleicht eine viel schönere. Eine Liebe, die scheitert, sagte er dann, so leise, dass ich ihn kaum verstand, ist eine so reiche Erfahrung, dass sie aus einem Friseur einen Konkurrenten des Sokrates macht.

Ich stand wie angewurzelt da, musste mich mit einer Hand am Zaun festhalten und mit meinen Tränen kämpfen. Ich hasste es, so verzweifelt und traurig zu sein. Eine einzige Träne hätte mich in diesem Augenblick ertränkt. So stand ich da, neben Xaver am Zaun, bedrückt von seinen Worten, und spürte, dass er nichts anderes als die Wahrheit sagte. Irgendwann würde ich alles einsehen können. Irgendwann. Nur jetzt nicht. Dafür war es viel zu früh, viel zu verwundet. Ich konnte mir nicht vorstellen, jemals noch einmal lachen zu können.

Xaver legte seine Hand auf die meine und bedeutete mir, mich nicht mehr weiter quälen zu sollen: kein anderer Mensch ist dein Leben. Ich verstand es, brachte aber keinen Ton heraus. Zu sehr war ich damit beschäftigt, meine Tränen zu unterdrücken. Ich presste dabei Luft in meinen Bauch und spannte gleichzeitig sämtliche Muskeln an. Ich hatte große Lust, in diesem Moment mit ihm mein Schweigen zu genießen. Doch ich konnte nicht. Ich wollte ihm noch so vieles sagen, über sie, über mich, uns, der tiefe Fall in das dunkle Loch, in dem ich steckte, aber es ging nicht, ich konnte nicht.

Du weißt ja, sagte er dann – ich hatte ihm schon etliche Löcher in sein dezent buntes Sommerhemdchen gestarrt –, wer zu lange leidet, der bemitleidet sich zuletzt nur selbst. Die Zeit ist dazu da, damit das, was du jetzt durchmachst, irgendwann zur Erinnerung wird. Abgehakt. Und weißt du, wozu Erinnerungen da sind?

Ich schüttelte den Kopf.

Um irgendwann nicht mehr damit umgehen zu können; sie lassen dich nie in Ruhe.

Ich legte meine Hand in seinen Nacken, zog ihn leicht an mich heran und gab ihm einen Kuss auf seine etwas glänzende und nach zu viel Rasierwasser riechende Wange. Du bist der beste Friseur, den ich kenne, sagte ich. Wir lachten beide und verabredeten uns für den nächsten Abend, zu einer Flasche Hennessy, bei ihm zu Hause. Da beobachten uns nicht so viele Nachbarn, sagte er und stahl sich davon.

3.

Allein mit mir hielt ich es nicht aus. Die mir Mut zusprechenden Worte ließen immer noch nicht von mir ab; sie demütigten mich in ihrer Heuchelei. Doch in jedem Moment, auch dem schrecklichsten, dem Tode am nahsten, gärt sein Widerspruch. Als ich meine Hose anzog, hörte ich das Klacken der Briefkastenklappe im Flur, es war der Postbote. Ich erkannte sein gelbes Fahrrad durch das milchige Glas der Haustüre. Ein Brief für mich. Ich spürte es. Nein, nicht von ihr. Schön wär’ es gewesen. Aber enttäuschend. Auch das wusste ich. Aus dem Briefkastenschlitz ragte, wie aus meiner offenen Hose, ein weißer Lappen heraus, von … von … von … hob ihn vom Boden auf und las meinen Namen, den ich immer zuerst lese, erst dann den des Absenders auf der Rückseite des Couverts. Gruß Heiner. Ich bohrte meinen Finger in die vom Speichel unbeleckt gebliebene obere Ecke und riss ihn auf.

Liebe Co-Singularität!

(mensch Heiner, dachte ich, wann wirst du endlich normal –

lass mir bitte meine Unausstehlichkeiten – ja gut, du hast sie verdient.)

Ich sitze hier im Erfrischungsraum (keine einzige Schecke weit und breit, dafür nur krakeelende Afrikaner aus dem gelben Süden, sie scheinen mich umzingelt zu haben). Habe mir gerade mal wieder in der Bibliothek Literatur verschafft (Kimmerle: Das Andere und das Denken der Verschiedenheit) – er will nicht vergehen, der einsame intellektuelle Kampf mit dem Papier, mein Überlebenskampf, der einzig mögliche Sinn: weiterzuatmen.

Ich fühle mich zurzeit ganz gut. Mit anderen Worten: Meine Tiefen sind licht. Ich wünschte, du wärst hier, und wir könnten reden, vielleicht über Baubo, die Amme der Demeter, die über den Verlust der Wahrheit mit der Zuwendung ihrer Möse hinwegtröstet. Sie hält sie dir einfach ins Gesicht. Ich hoffe, du kommst bald wieder hierher, oder willst du nach der Fabrikarbeit noch eine Woche bei deiner Mutter dranhängen? Doch wohl nicht, oder? Was willst du denn noch in deinem Kaff??

(Heiners Worte taten mir gut. Mir war, als umarmten sie mich.)

Meine Beziehung zu Frauen ist eine Mischung aus unendlicher Bewunderung und höllischer Verachtung. Ich glaube, so geht es vielen. Mich aber unterscheidet von den meisten, ganz sicher, dass es bei mir nie in der Waage ist, eines überwiegt immer, und genau das ist der Grund, warum ich nie an eine rankomme, verstehst du? Und alles nur aus Angst? Bin ich wirklich solch ein Hosenscheißer? – Verkneif dir dein Grinsen, du Tittengigolo. Wie sieht es eigentlich bei dir aus? Hast du Dich in Bezug auf dein Weib entschieden? Hast du überhaupt noch die Möglichkeit, dich für oder gegen sie zu entscheiden? Ich habe sie in der Altstadt gesehen, Händchen haltend mit dem Kleinen, den du mir mal gezeigt hast.

(Heiners Worte taten mir überhaupt nicht gut. Sie waren wie ein Schlag ins Gesicht;

ebenso in die Magengrube, und tiefer noch.)

Ich weiß, dass du viel darüber nachdenkst, aber manchmal ist ein Anstoß von außen notwendig, um weiterzukommen. Willst du sie überhaupt noch? Oder nur ihren Körper, ihre fetten Brüste, ihre Schreie im Bett? Sei mir nicht böse, aber als dein Freund muss ich dir schreiben, was ich davon halte – und hoffe, dass du bald wieder hierher kommst und wir darüber reden können.

Allmählich wird es hier voll. Erstaunlich, wie vielen Leuten man den Vollidioten ansieht. Aber vielleicht sieht man uns ja auch so einiges an, oder? Warst du noch mal beim Arzt? Du hast in deinem letzten Brief, der vor mir auf dem Tisch liegt, von erneuten Schwindelgefühlen geschrieben. Vielleicht ist es ja nur der Schwindel, den der ewige Walzer der Welt in uns hervorruft. (Verzeih mir bitte mein pathetisches Gehabe, aber manchmal tut es einfach gut, hebt ab.)

Ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt hier verschwinde; zu viele schöne Frauen sind in der Zwischenzeit aufgetaucht (sicherlich riechen sie, dass du der Adressat bist). Um die Seite noch vollzubekommen, mache ich mich mal wieder größer als ich bin. Alles Liebe, Wahre und Gute

Heiner

(der Lärm hier wird unerträglich – auf bald)

4.

Womit beginnt eigentlich die Tragödie, die sich in jedem Augenblick, ganz in unserer Nähe, verbirgt und uns jederzeit unerwartet und hinterrücks würgt? Mit Bildern, dachte ich. Klarer noch: mit Fotos, sagte ich mir, und war überrascht über meine eindeutige Antwort. Ich habe von ihr einen ganzen Film gemacht, vierundzwanzig Bilder, wie sie aus der Badewanne steigt, in Unterwäsche auf dem Bett sitzt und sich schminkt, wie sie ihren blauen Pullover aus- und ihr grünes Sweatshirt anzieht (habe dabei ihre nackten Brüste halb erwischt), beim Kämmen vor dem Wohnzimmerspiegel, beim Bücken vor dem Kühlschrank, ihr schönes rundes Gesicht auf der ganzen Fotoseite, es lacht und zeigt ihre weißen Zähne, überstrahlt von ihren Augen, die sogar durch den Mattlack des Bildes hindurchglänzen.

Als ich sie beim Anziehen fotografieren wollte, während sie in eine dunkelbraune Strumpfhose schlüpft und sie mit beiden Händen nach oben hin glatt zieht, dann in ihren langen, aber engen Rock klettert, Foto beim ersten Bein, Foto beim zweiten Bein, Foto auf Kniehöhe, Foto beim Reißverschließen, Foto beim linken Schuh, Foto beim rechten Schuh, während sie schließlich wieder auf dem Bett sitzt und die Beine übereinander schlägt und der Rock ungeknöpft auseinanderfällt und ihre Schenkel, zwei dunkelbraune, pralle runde Schlangen, bloßlegt, bis obenhin, wurde sie sehr böse, sie sei doch keine billige Nutte – eine teure etwa, habe ich sie gefragt und sah meine Fotosession dahinschwinden, denn ziemlich heftig hat sie die Schlafzimmertür hinter sich zugeknallt, alles Weitere solle ich mir abschminken, es reicht: also keine Nacktbilder, wie sie sich auf dem Bett räkelt und ihren strammen Körper hin und her dreht, die Beine in die Luft streckt und wieder fallen lässt, auf die Knie rutscht, und zuletzt das große Gesicht ihrer Hüften mich anlacht, und ich …

… muss damit aufhören, es mir vorzustellen, darf nicht weiter darüber nachdenken, über all das, was mir entgangen ist, für jetzt und für später, für immer vielleicht?

5.

Eva

Wir saßen in der Küche, am Reste-Buffet vom gestrigen Abend. Die Glasschüssel mit dem Krabbensalat war leer, aufgeschleckt die letzte Sauce, Finger spuren Streifen, entlarvte Leidenschaft. In der Campari-Flasche war noch ein Rest; der reichte für eine Stunde noch, vielleicht, mit Wasser oder Orangensaft verdünnt etwas länger – genug Wein liegt noch im Kühlschrank, sagte sie dann, sie glaube, dass es fünf Flaschen seien, wenn nicht irgendeiner letzte Nacht eine heimlich mit nach Hause genommen hat.

Ich atmete tief durch, langsam und leise durch die Nase ein und noch langsamer wieder aus (sie sollte nichts merken), während ich, während sie sprach, mein Auge auf ihre Lippen legte und mich mit jedem ihrer Worte mitbewegte, auf und ab, beinahe interesselos schön. Als sie mich ansah und bemerkte, dass ich mich insgeheim ganz an ihren Mund geheftet hatte, hörte sie auf zu sprechen und lächelte mich an. Mein Herz begann zu puckern, wie lange schon nicht mehr. Ich schmolz beinahe vom Stuhl, mochte mich auf sie werfen, sie umarmen, küssen, an mich pressen, doch ich nahm mich zurück, drückte mich durch mich selbst in den Stuhl und hielt mich an meinem Glas Campari fest, weil ich wollte, dass sie aufsteht und zu mir kommt und mich umarmt und küsst und streichelt.

Der Geruch von Kartoffelsalat und Hähnchenschenkel drang in meine Nase, während ich das Gefühl hatte, als grabe ich mich in uns hinein, wusste für kurze Zeit nicht, warum ich es nicht machte, einfach aufstehen und sie berühren, fühlte aber dann, ganz stark, dass ich nicht mehr losgelassen werden wollte von ihren Augen, ihren Blicken und ihrem Lächeln, ihren weichen Lippen und all dem, für das ich keine Worte fand. Tausend Glassplitter ritzten mich auf. Mein Blut rann an mir herab und tropfte auf den Fußboden. Es bahnte sich einen Weg zu ihr, ein kleines rotes Rinnsal, und umsäumte ihre Füße, sie verschwanden darin, bis zu den Knöcheln eingetaucht, allein Gefühl, denke ich, eine Liebe, die lange sogar vor mir selbst geheim gehalten wurde, von der niemand etwas wusste, nicht einmal ich – außer Ines.

Immer schon traf ein, was sie über mich sagte, über mich dachte. Ines kannte mich immer schon besser als ich mich selber. Sie akzeptiert nicht, dass ich nicht viel, zu viel, von mir wissen will, dass die Tage, die Augenblicke, die Gedanken und Gefühle für mich nur Worte sind, die gelebt sein wollen, nicht gesagt, nicht erhofft, nie erwartet. Ines sagte von Anfang an – als ich Eva zum ersten Mal auf Karlas Geburtstag sah –, dass Eva und ich bestimmt mal was miteinander haben würden, vielleicht sogar über beide Ohren verliebt seien. – Gib acht, hat sie gesagt. – Du spinnst, habe ich damals geantwortet, natürlich halbherzig, was sie auch gemerkt hat. Man weiß doch, dass jeder, der du spinnst sagt, es halbherzig meint und sich eigentlich doch geschmeichelt fühlt.

Eva lachte. – Du bist doch betrunken, oder? meinte sie. Irgendwie fühlte ich mich tief getroffen, obwohl gar nichts Böses geschehen war. Sie hatte mich mit ihren Worten verschluckt. Und irgendwie war es gut so. Sonst wäre ich wirklich bis auf einen letzten Tropfen Blut (eine Träne für die Hinterbliebenen) weggeschmolzen und hätte nie mehr etwas von ihr gehabt, kein beseeltes warmes Lächeln, keinen manischen Blick, kein verschlucktes Wort.

Gegen Mittag, um eins, kam sie von der Küche aus in das hintere Zimmer, in dem wir übernachtet hatten, auf einer Matratze, eng aneinandergeschmiegt, und fragte mich, ob ich einen Kaffee wolle, ich solle mir aber eine Hose anziehen und den obersten Knopf zumachen, ihre Freundin Betta aus Frankfurt sei noch da. – Na klar, sagte ich und bin aufgestanden und mit geschlossener Hose in die Küche gegangen. Betta und sie saßen am Tisch und tranken heißen Kaffee. Eine leere weiße Tasse stand neben der Kaffeekanne, für mich. Lieb von ihr, dachte ich und schenkte mir ein. Schon nach dem ersten Schluck wurde mir schlecht. Diese verkaterte Schmierschicht klebte wie ein schimmelndes Spinnennetz in meinem Mund, zwischen den Zähnen, auf der Zunge, am Gaumen, überall. – Nein, sagte ich laut (mein drittes Wort an diesem Tag, in Bettas Gegenwart); beide sahen in mein verzerrtes Gesicht.

– Den Tag mit Kaffee beginnen ist würdelos (mein erster Satz), und entdeckte, während ich mich nach etwas anderem umsah, über Bettas Schulter hinweg eine Flasche Sekt auf dem Kühlschrank: Rotkäppchen. (Es gibt Tage, da lächelt dich alles an, da ist alles eine Art Rettung.) Betta drehte ihren Oberkörper dorthin, umschloss den Flaschenhals fest mit ihrer Hand und schwang sie sicher über einige leere Dosen Bier hinweg, flügelleicht, zwischen ihre Oberschenkel, die sie aneinanderpresste. Die Neugeburt des Tages, prickelnd wie eine schöne Geste des Untergangs. Heute mal keinen Alkohol, habe sie gedacht, ja, es sich fest vorgenommen, fügte sie ungläubig hinzu. Eva schmunzelte nur, und wir stießen auf ihren Dreißigsten zum vielleicht vierzigsten Male an.

– Man sollte sich dabei in die Augen sehen, sagte ich etwas schroff zu Betta, die überrascht aufblickte. Ich nahm einen kräftigen Schluck, ohne die beiden dabei anzusehen.

Sie wolle gegen halb zwei fahren, sagte sie, nach Koblenz, zu ihren Eltern – und fuhr, wie sollte es anders sein, gegen halb fünf, nachdem Eva auf die Uhr geblickt und sechzehn-uhr-achtunddreißig (oder sechszehn-hundert-acht-und-dreißig?) gesagt hatte. Ein letzter verschrobener Blick auf drei leere Sektflaschen, die auf dem Küchentisch standen, und sie bewegte sich, wie Frauen sich halt bewegen, wenn sie unwillig sind, zur Tür hinaus.

Und nun ist nur noch eine Pfütze Campari da, dachte ich, während die beiden ihren Abschied mit Gesprächsfetzen und wiederholten Bekundungen in die Länge zogen: ich ruf dich an, bestimmt, ich ruf dich an … Ein schüchterner Sonnenstrahl hatte sich auf meine Schulter gelegt; er leistete mir Gesellschaft, bis Eva zurück war.

Es war schön mit ihr. Wir saßen uns gegenüber und mochten uns alles sagen, was uns auf der Zunge lag. Kein Wort wurde müde, kein Satz zu lang, kein Blick zu begierig. Ob ich mir meine noch ungeschickt tapsende Liebe, na ja, wenn man’s so nennen will, eingestehen sollte, fragte ich mich, und fühlte, dass ich nach gar keiner Antwort verlangte. Ich mochte sie immerzu nur ansehen, ihre glatten Wangen, ihre Lippen, ihr langes Haar, das, von Eros heimlich gekämmt, ihr Gesicht noch offener erscheinen ließ, als es ohnehin schon war.

Wie lange geht das eigentlich schon so, mit unseren versteckten Gefühlen?

Ich erinnerte mich an einen Abend im Bundestag beim Korrekturlesen einer Plenarsitzung. Wir arbeiteten wie immer zu dritt, einer las laut vor und die anderen beiden suchten nach möglichen Fehlern. Eva las aus dem Manuskript vor, und Fabien, der Dichter, und ich versuchten uns zu konzentrieren. Es fiel mir schwer, denn ich musste sie, so wie jetzt in der Küche beim letzten Rest Campari, dauernd ansehen. Sie hatte den Stuhl, auf dem sie saß, zurückgeschoben, und stützte den vorgebeugten Oberkörper mit den Armen ab, die Ellenbogen dabei leicht in ihre Oberschenkel gebohrt. Vor ihr auf dem Tisch lagen die Manuskriptblätter eines Abgeordneten, der am Nachmittag seine Rede gehalten hatte. Das Haar hatte sie hinter ihre Ohren gesteckt; so konnte ich, von der Seite, ihr Gesicht sehen, die Lippen, die sich ganz leicht bewegten und leise die Wörter verrieten, an denen sie Zeile für Zeile vorüberfuhr. Auch ihre Nase bewegte sich hin und her, und von Zeit zu Zeit rieb sie daran, wenn sie juckte. Irgendwann sagte ich dann einmal, dass es bald also Geld gebe, worauf sie mich etwas verstört ansah und nur mmh machte. Ich hatte sie aus dem Lesefluss gebracht und entschuldigte mich dafür, ist so’n Sprichwort, sagte ich, wenn die Nase juckt, dann gibt’s Geld. Aber sie reagierte nicht. Ich bemerkte, dass es mir nicht gefiel, wenn sie mich so ansah, weder lächelnd noch liebevoll, und wusste in diesem Augenblick, dass sie mir mehr bedeutete als nur eine Vorleserin zu sein im Bundestag während der Arbeit. Ich begann außerdem, was mir auch erst jetzt auffiel, darauf zu achten, wie sie sich anzog. Denn mir gefiel, wenn sie eine enge Jeans trug mit einem passenden Shirt oder so was, und war enttäuscht, wenn sie ihre Formen in schwabbeligen Sachen verbarg.

Ich erzählte es ihr, erzählte ihr, an was ich gerade gedacht hatte, meine Gedanken im Bundestag, mein auf sie geworfenes Auge, zumal dann, wenn sie vorlas und nicht bemerkte, dass ich sie beobachtete, während sie gerade eine Flasche Wein aus dem Kühlschrank holte, den Plastiküberzug mit der Spitze des Korkenziehers aufritzte und abzog, um die Spitze des Gewindes in das weiche Holz zu bohren. Wir stießen auf uns an, auf den heutigen Tag und die, die noch folgen würden, zwei Wassergläser bis zum Rand mit Weißwein gefüllt, und sie begann – ahlealoh – mir ihre Liebe … nein, schade, nicht ganz … einzugestehen. Etwas stotternd (oder auch nicht) verriet sie mir, dass sie vor einiger Zeit – genau genommen vor vier Tagen – mit ihrer Freundin Thea über mich geredet habe und ihr dabei herausgerutscht sei, dass sie mich ein Stück weit liebe. Ich liebe dich ein Stück weit hat sie gesagt, dachte ich und wiederholte es im Stillen noch einige Male, einige Hundert Male!?

Ich wusste, dass ich diesen Satz nicht wieder vergessen würde, nie wieder, sagte ich mir, und fühlte mich in all den Bedeutungen dieses Wortes aufgehoben, einen halben Meter über dem Küchenboden schwebend. Immerhin hat sie das Wort liebe gebraucht, liebe gesagt, sie hätte ja auch sagen können mag dich sehr, oder etwas Ähnliches, aber sie hat liebe gesagt, liebe dich, mich also, ein Stück weit.

– Schön, sagte ich nur, und wir sahen uns an. In diesem Moment hatte ich das Gefühl, dass sie froh war, etwas von mir zu hören, schön, ja, das genügte wohl schon, um sie an Land zu ziehen. Vielleicht fühlte sie in diesem Augenblick, dass sie zu viel gesagt haben könnte, mit dem Wörtchen liebe vielleicht zu weit hinausgeschwommen sei, in der immer größeren Gefahr, ertrinken zu können. Ein Stück weit, hat sie dann noch vor einer großen Verlegenheit, vielleicht sogar vor einer großen Dummheit gerettet, dachte ich, die Scham in dem Gedanken verborgen, wie man sich nur so hingeben könne, gleich am ersten Abend, egal wie viel man getrunken habe, eine Liebe (und wenn sie nur ein Stück weit ist) mache jeden Menschen zu einer Zielscheibe.

– Glattes Eis, welch Paradeis für den, der gut zu tanzen weiß, sagte ich klar und deutlich, vor allem aber langsam, denn ich hatte schon viel getrunken. Vor einiger Zeit noch hatte sie gesagt, dass sie sich nicht verlieben wolle, zumindest jetzt nicht. Ein bisschen – das sei doch verständlich, nach einer zehnjährigen Beziehung mit einem Mann, den sie nie wirklich geliebt habe – fürchtete sie sich vor der Tretmühle ihrer Gefühle. Sie habe keine Lust mehr, eifersüchtig zu sein, sich in Reibereien aufzuzehren und immer nur beobachtet zu werden.

Ich stand auf, machte einen Schritt nach vorne, nahm ihren Kopf in meine Hände und gab ihr einen weichen Kuss auf den Mund. Sie erwiderte es, umfasste meine Handgelenke mit ihren Händen und lachte mich an, während sie sagte, dass sie nie gedacht habe, mir einmal so nah zu sein. Die Zeit, jetzt, zerfloss in mir mit der Schönheit des Gedankens, dass sie mich schon seit längerem in ihrem Herzen herumgetragen habe, vielleicht schon sehr lange, mitsamt dem Wunsch, mich einmal umarmen oder küssen oder lieben zu wollen. Ich spürte eine Art von Glück, beseelt von ihrer bloßen Anwesenheit, dem Rhythmus ihrer Wörter, ihres Klangs und ihres Körpers, der lang ausgestreckt auf dem Stuhl lag, den Nacken auf der Rückenlehne, den Kopf zur Decke gerichtet, zu mir hinaufschauend und meine ungefährliche Nähe genießend.

Doch ein wenig, ja, ein wenig – das fühlte ich sofort – war unsere Gemeinsamkeit überschattet von einer ungewissen List, einem Hinterhalt, der so vieles in sich hineinzog. Auf ihren Lippen spürte ich eine Ferne, eine gehemmte Leidenschaft, die mich ständig entführte, mich ständig in einen dunklen Raum zwischen uns warf, das Kellergewölbe eines Gedankens, der nicht anwesend und doch auch nicht abwesend war, weder Verfälschung noch bloße Einbildung. Evas Welt sollte mich nicht bergen. Vielleicht noch nicht. Ich war mir nicht sicher, und das quälte mich. Mein Leben war Fragezeichen genug, als dass ich in Gegenwart einer schönen Frau weiter so gekrümmt herumlaufen sollte. Und das nur, weil Ines in meinem Hinterkopf herumschwirrte. Wie eine geifernde Hexe, mit Krallenzähnen und lüsternem Blick, die Trübe, eine Leere, ausgezehrt und verheizt, nur noch darauf aus, mir eine Titte zu zeigen, ein Stück Schenkel durch den Schlitz ihrer Jeans, oder die Erinnerung an eine wilde Liebesnacht, schwer wie ein Klumpen Dreck, der dir im Hals stecken bleibt und den Atem nimmt.

Es gab Tage, da hätte ich zu ihr sagen können: Ich liebe dich. Doch es ist nicht schwer gewesen, es nicht zu sagen. Manchmal hatte ich es auf der Zunge liegen, und wenn ich spürte, dass es dort lag, dieses Ichliebedich, dann musste ich lachen, also nicht richtig lachen, eher schmunzeln, in mich hineinschmunzeln, ohne dass jemand anderes es bemerken konnte, wie auch, wenn es doch nur auf der Zunge liegt und man den Mund nicht aufmacht und ich selber nicht weiß, ob da wirklich was ist.

Es war, als wohnte ich meiner eigenen Entzweiung bei, ein Auseinandergehen von mir zu mir. Aber wie sollte ich einen anderen Menschen überhaupt lieben können, wenn ich nur mich liebte, und das vielleicht nicht mal richtig … fast so, als wäre ich einer philosophischen Wahrheit auf der Spur … wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd … also halte ich lieber meinen Mund, allein auf weiter Flur, heimatlos mit zusammengekniffenem Unterleib – und am Tresen sitzend lasse ich den Kopf hängen und schaue an mir herab.

– Was ist los, fragt sie mich, und ich sage, mit einer Stimme wie aus dem Untergrund, dass ich nur mal nachsehen wollte, ob ich noch einen Unterleib habe, zwei Beine und eine kleine Beule dazwischen, die manchmal etwas größer und dann wieder etwas kleiner wird bei dem ein oder anderen Gedanken an das eine oder andere Stück Fleisch, so, als habe man ins Weibliche selbst getroffen, mitten hinein, mit einem bloßen Gedanken, komisch, als gäbe es nichts Schlimmeres, nichts Schöneres, sprachloseres Hin und Her, die Einladung zur Gärungszeit deines Saftes, die nun wirklich untrüglichste Absonderung unserer Abgründe, tief unten, als wär’s ein Stück von mir selbst – und mir fällt zum Teufel noch mal ihre Telefonnummer nicht mehr ein, obwohl sie gar nicht so hässlich war, schon gar nicht nach vier oder fünf Bieren, einem Schnaps, Baileys mit Sahne, und wieder vier oder fünf Bieren.

Warum soll ich nur auf mich selbst hereinfallen, frage ich mich, und gestehe mir – zum wievielten Male schon – meine Liebe zu mir selbst ein.

Also … damals – und Eva lachte, und ich lachte, schmunzelte eher, und sie streckte mir ihren Mund entgegen, und ich … küsste sie, schaffte es aber nicht, meine Zunge in sie hineinzubekommen, in ihren Mund, zwischen ihre Lippen, die es mir nach innen gerollt verboten. Vielleicht ist es gut so, dachte ich, ließ ihren Kopf los und setzte mich wieder hin, auf den Stuhl neben den Tisch, neben das Campariglas, ach eigentlich neben mich selbst. Ich wusste: sie wusste: Ines: das Spukgespenst und zumindest Halb-Ideal meiner Erinnerungen in mir. Doch sie wusste nicht, dass es mir nur noch, oder vielleicht immer schon, von Anfang an, vom ersten Blick damals bei Iwan um ihren Körper ging, den ich bis zum Bersten begehrt habe und immer noch begehre, ihre Hüften, ihre Taille, ihre schönen Brüste – und bin in Gedanken wie eine Katze, die man mit der Schnauze in ihren eigenen Auswurf drückt, sofort bei ihr, bei Ines, wie ich mit ihr auf dem Sofa sitze und mich über Dinge unterhalte, die sich selbst gleichgültig sind. Sie wird müde. Sie zieht sich die Hose aus und legt dann ihren Kopf auf mein Bein. Ich sitze da wie an einer Bushaltestelle in einem verlassenen Dorf am Sonntagabend, les figures les plus profondes, bekomme nicht einen einzigen Gedanken in die Spur, und höre sie plötzlich schwerer atmen, ganz leise schnarchen. Sie schläft. Ich öffne mit einer Hand vorsichtig meine Hose und lege die andere auf ihre weite Hüfte, streichle sie, sanft, damit sie nicht aufwacht, und lasse mein immer größer werdendes Glied aus der Hose kriechen (indem ich die Hose mit dem Handrücken anhebe und es darunter hervorgleiten lasse) und beginne mit mir zu spielen, hin und her, her und hin, hin und her. Meine andere Hand kriecht unter ihr schwarzes Höschen und massiert ihre Haut, ihr weiches Fleisch. Ich reibe mich schneller und begieriger und beginne sie leicht zu kneifen. Sie räkelt sich, murmelt etwas. Meine Hände erschrecken und halten still. Dann atmet sie wieder, im gewohnten Rhythmus, Schlaf ein und Schlaf aus, und ich beginne von neuem mich zu enthäuten und zuzufassen, immer schneller und rastloser, bis ich davonfliege und mir alles egal ist, soll sie doch wach werden und entsetzt aufspringen und mich rauswerfen, die Hose baumelt an den Fußgelenken, als fessele sie mich wie einen Gefangenen.

Ihr Haar ist voller Sperma, ein Rest tropft von meiner Hand, klebt auf der Schwimmhaut zwischen Daumen und Zeigefinger. Ich trockne mich an ihrem Pullover ab und lehne mich zurück, vergrabe mein Ding, schlaff, wieder in der Hose und denke für einen kurzen Moment an nichts. Bald darauf wacht sie auf und sieht mich an. Ich bin ja eingeschlafen, sagt sie und reibt sich die Augen, während ich nicke und nichts sage. Ich will alleine sein. Sie steht auf, um – wie sie sagt – einen Kaffee zu machen, ob ich auch einen wolle. Ich nicke nur und sehe mein Sperma – wie fast mich selbst – an ihrem Hinterhaar kleben, und fühle mich unheimlich verlassen und verloren, als hätte ich mich tief in meinem Inneren verraten. Doch irgendwie tat es auch gut, es wird ein ewiger Moment unserer zerrissenen Geschichte sein. Und bleiben.

Introibo ad altari diaboli. Meine Faust, die mir oft, gerade jetzt, aus der Klemme hilft; umschließe dich und lass ihn wachsen, bis zum Hals und über die ganze Welt hinaus. Schon damals – wir waren gerade erst einmal zwei Monate zusammen – habe ich zu Ines gesagt, dass sie mich unbedingt zu ihrer Hochzeit einladen müsse, später, dann, wenn sie sich entschieden habe für ein Leben zu zweit, während ich mich an eine hoch aufgeschossene stolze Schöne mit unheimlich langen Beinen heranmachte. Bei einer schönen Frau mit langen Beinen muss ich gleich an Heiner denken, der an langen strammen Schenkeln, wie er immer sagt, kaputtgeht, die Vorstellung allein würde ihn zerreißen, wie er nackt auf dem Boden liegt, während sie mit ihren langen Beinen gespreizt über ihm steht und sich wie eine Göttin gebärdet und ihren warmen Saft auf ihn niederprasseln lässt, überall hin. Natürlich sagt Heiner nicht Urin, sondern Pisse, die Pisse einer abgöttischen Hure, die zum Himmel stinkt. Und ich stelle mir sein Gesicht vor, am Boden zwischen ihren Beinen, mit zusammengekniffenen Augen und einem weit geöffneten Mund, während ich seinen Brief neben meinen noch unbeschriebenen Blättern, an dich, Ulle, auf dem Schreibtisch sehe, liegen sehe, wie ein Stück Wahrheit, die auch etwas stinkt.

6.

Vielleicht habe ich Ines ganz einfach überfordert! Unsere Gemeinsamkeit überfrachtet mit dem übermäßigen Interesse an mir selbst. So wie es bisher immer gewesen ist, dieses skurrile Selbstinteresse, diese ausgeprägte Autoerotik, der Onanist pur. Die halbe Doktorarbeit – eine Kritik des reinen Ekels auf zehn Jahre Studium, mehr oder weniger – weht als Asche, wie man es halt macht als sich maßlos selbstüberschätzender, verkannter Wissenschaftler, über den gelangweilten Wellen des Mittelmeeres. An einem Strand in Mallorca bei errötetem Sonnenuntergang, wie man’s halt so kennt, habe ich sie verbrannt und als Aschebündel zuletzt ins Meer geworfen.

Ich werde nie vergessen, wie böse Ines damals gewesen ist. In einem Strandcafé sitzend sah sie plötzlich eine immer größer werdende Flamme in meinen Händen. Sie kam angelaufen und schrie mich an, ob ich noch bei Trost sei, noch dicht wäre, was in mich gefahren sei und was das alles überhaupt sollte. In ihrem Zorn gefangen, sprach sie den ganzen Abend nicht mehr mit mir, kein einziges Wort. Ein Stück unserer gemeinsamen Zeit hätte ich verbrannt, einfach so, hat sie am anderen Tag zu mir gesagt, gerade der Anfang unserer Beziehung sei die schwerste Zeit gewesen, die Diss., zur Hälfte erst fertig, als wir uns kennenlernten, habe mich und damit auch sie aufgefressen. Behandelt hätte ich sie wie mich selbst, unerbittlich und rücksichtslos gegen jedes Gefühl, jedes Herzflackern, jede Liebkosung. Warum ich sie damals so behandelt hätte – die anderen in einer lieben und freundlichen Art begrüßt, sie dagegen kaum mit dem Hintern angeguckt, was nur eines von vielen Beispielen sei. Es sei die schrecklichste Zeit in ihrem Leben gewesen, hat sie gesagt, noch nie hätte sie so viel geweint, und nun das.

Ich saß ihr gegenüber und beobachtete sie in ihrer Rage, zum Schweigen verurteilt. Dass ihr so viel an mir und meinem Leben liege, ja, dass ihr Leben zu einem derart großen Interesse an meinem Leben geworden sei, hätte ich nie gedacht, sagte ich ihr – und hörte daraufhin in einem letzten Atem nur noch ein beinahe resignierendes Du Idiot.

Die Weite ihrer Liebe zu mir, mitsamt einer insgeheimen Zukunft, hatte ich im Feuer der verbrennenden Diss. zerstört. Endgültig verstanden habe ich ihre Enttäuschung jedoch erst, als sie sagte, dass ich einen Teil unserer gemeinsamen Geschichte, die immer eine Liebesgeschichte sein wird, verbrannt habe; es sei zwar eine schwere, aber letztlich dennoch sehr schöne, weil intensive Zeit gewesen, die uns erst richtig zueinandergebracht hat, richtig aneinandergeschweißt in der Empfindung unserer gemeinsamen Kraft, das alles durchzustehen und zu spüren, es durchstehen zu wollen; ein fast unerschütterliches Vertrauen, das uns zusammengehalten hat.

Warum diese ganzen Erinnerungen?

Irgendwann damals wurde es ihr zu viel, und sie nahm ihr Herz in beide Hände, hielt es mir vors Gesicht und sagte, dass es so nicht weitergehen könne; entweder sind wir zusammen, oder wir sind es nicht, aber nicht so. Wir standen vor dem Eingang der Stadtbücherei. Die Sonne verschwand gerade hinter der Seitenmauer dieses großen alten Gebäudes, als wolle sie uns alleinlassen mit unserem Problem. Ich nahm Ines in den Arm und entschuldigte mich für mein Verhalten, für meine pubertierenden Anwandlungen, wie ich es nannte, aber es sei nun einmal so, nur eines müsse sie mir unbedingt glauben: dass ich sie auf keinen Fall verlieren wolle – es sei zwar eine unglückliche … ach, ich weiß nicht, schließlich sei sie doch die einzige, die mich verstünde. Sie legte ihren Kopf an meine Brust und hielt mich fest. Sie weinte. Schluchzend sagte sie dann, dass wir vielleicht doch zusammen gehörten.

Ich streichelte Evas Wange, dann ihr seidenes Haar. Sie sah mich an und begann zu lachen, wie den ganzen Tag schon. Auch ich musste lachen, obwohl ich es gar nicht wollte. Ihr Lächeln verzehrte meine Zärtlichkeit. Bis in die Nacht hinein haben wir geredet, gegessen, getrunken und den jeweils anderen nicht ernst genommen. Das liegt doch auf der Hand, sagte ich irgendwann zu ihr, aus einem lauten Gedanken heraus, Prometheus war ein Intellektueller, und er beging den Fehler jedes Intellektuellen. Das liegt doch auf der Hand: Er traute dem Intellekt zu viel zu. Meinem letzten Satz schenkte sie gar keine Aufmerksamkeit mehr. Als ich sagte, dass dies doch auf der Hand liege, hob sie ihre Hände, drehte sie einige Male von einer Seite auf die andere und bedeutete mir mit einem Blick, dass auf ihren Händen nichts liege, zumindest sehe sie nichts, und drehte mit ihren Händen auch den Kopf hin und her, wie ein kleines Mädchen mit einem unbändigen Schalk in den Augen. Bis dahin glaubte ich, sie zu mögen; ab da begann ich sie zu lieben.

7.

Sie wusste irgendwie, das spürte ich von Anfang an – und vielleicht war es genau das, was uns gegenseitig so anzog –, dass ich zum Lachen geboren bin und mit dem Leben nicht mehr anfangen will, als es mit jedem Augenblick selbst aus der Hand zu schütteln und wie ein Jo-Jo auf und ab baumeln zu lassen. Du weißt doch, Ulle: ich rede so viel, weil ich nicht will, dass man bemerkt, wie ich wirklich denke. Unentwegte Lallolalie als Ablenkungsmanöver. Im Grunde meines Herzens interessiert mich kein Wort, nicht ein einziges, weder von mir noch von einem anderen. Man meint, dass alles, was man sagt, darauf aus ist, irgendwie von irgendjemandem verstanden zu werden. Doch ich will gar nicht verstanden werden. Auf jeden Fall nicht mit dem, was ich sage. Ich will geliebt, nur geliebt werden, unverstellt, unverzagt, nee, noch besser, unversagt (tschuldige, Ulle, dass ich jetzt so romantisch werde; vielleicht kannst du dich noch daran erinnern: Ines hat es immer ramontisch genannt).

Also halt doch einfach dein Maul, würde Heiner jetzt sagen, und (was er nicht sagen würde) schreib es auf – was ich hiermit tue, Ulle, an dich. Du sollst mein Nachlassverwalter sein, falls ich dabei draufgehe. Vielleicht bringt eine der beiden mich ja um, Erstickungstod, eine Titte in den Mund gestopft, bis ich keine Luft mehr kriege: vielleicht tun sie sich sogar zusammen und erledigen mich gemeinsam.

Vielleicht verlange ich zu viel: von mir und deshalb auch von den anderen um mich herum. Vielleicht bin ich deshalb oft so ungerecht. Zumindest scheint es so. Eva knabberte an einem Hähnchenschenkel. Ihre Lippen glänzten in dem aufgesogenen Fett. Den Knochen entblößt, rollte sie dann ihre Finger in eine schon gebrauchte, zusammengeknüllte Serviette ein (wie in eine Mullbinde), um sie mit der anderen Hand abzustreifen. Während sie trank, ließ sie ihren Blick langsam in das Glas fallen. Erst nachdem sie es wieder auf den Tisch gestellt hatte, sah sie mich an und sagte, dass wir es doch verdammt gut hätten, findest du nicht … Sie erwartete keine Antwort, während sie eine Zigarette aus der Schachtel zog und anzündete. Das Streichholz schüttelte sie aus und warf es in eine leere Salatschüssel. Eine Frau, die mit sich selbst zurechtkommt, dachte ich in diesem Moment, eine, die keine überzogen falsche Geselligkeit braucht, um sich vor der Gefahr hereinbrechender Einsamkeiten schützen zu müssen, keine vorgestiefelte Spur, um den Stunden ihre überall lauernde Depression zu nehmen. Sie hat die Gnade des Alleinseinkönnens auf der Zunge und in den Augen, als eine der wenigen, seltenen Begnadeten, die es auf dieser Welt gibt. Vielleicht? Wenn wir uns trennen würden, dachte ich plötzlich (ich weiß nicht warum), dann wäre es sicherlich von ihrer Seite aus, nicht wegen eines anderen Mannes, es käme nur aus ihr heraus, ihrer Selbstzweifel und eigenen Geringschätzung wegen, bestimmt.

Zwei Tage ohne ihre Lippen ließen mich verhungern. Ich sagte es ihr aber nicht. Nach einem längeren Kuss streifte ich ihr jedes Mal von neuem mit dem Handrücken meinen Speichel von ihren Mundfalten und ihrem Kinn ab. Ich liebe es, wie sie es geschehen lässt, wie sie ihr Kinn leicht gegen meine Hand drückt und mir mit dieser sanften Bewegung so vieles zeigt.

8.

Zwei Monate später

Irgendwie wundert es mich, Ulle, dass ich mich nicht hin und her gerissen fühle zwischen Ines und Eva. Mir scheint, dass ein Anderer während der letzten beiden Monate wie ein Hund gelitten hat. Irgendwie kann ich immer weniger glauben, dass ich es gewesen sein soll, der vor Eifersucht keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte und von ihr fast zerfressen worden wäre. Wie würde Ines, so habe ich gedacht, je auf den Gedanken kommen können, mich – mich – gegen einen kleinen Nichtssager, diesen kleinen Nichtssager, den sie jetzt hat (Psychologie studiert er, glaube ich; alle studieren Psychologie oder Germanistik oder Soziologie, die nichts anderes können, so wie im Sport alle diejenigen, die nichts (anderes) können, Volleyball spielen), eintauschen zu wollen. Mich gegen überhaupt einen anderen Menschen.

Doch ich habe es ja immer schon an ihren sogenannten guten Freunden vermutet, nein, sogar gesehen, dass in ihr mehr als nur ein verborgener Hang nach leerem Vergnügen, nach Etikette und hohlen Phrasen schlummert. Schließlich ist er ein Diplomatensöhnchen. Und ihr Vater war nichts anderes, passt doch, der Justizminister von Niedersachsen und der deutsche Diplomat von Burundi. Auf dem Treppenaufgang in seinem Haus hing an der Wand in einem billigen Rahmen eine Fotografie, er mitsamt seiner wasserstoffblonden Gattin, Frau Justizminster, neben Boris Becker bei einem Sektempfang auf dem Rothenbaum in Hamburg.

Ich wäre gern dabei gewesen, hatte an diesem Tag aber keine Zeit. Asche, wenigstens Tennisasche auf mein Haupt.

Ich glaube, seitdem mich nur noch Ines’ Körper interessierte, langweilte mich unsere Beziehung bis ins Mark hinein, nur habe ich es nie bemerkt, oder es nicht bemerken wollen, und jetzt befürchte ich, nie wieder von ihren schweren Brüsten, diesen beiden Traumballons im engen T-Shirt, loszukommen, nie wieder eine andere so begehren zu können wie sie.