Mord all' arrabbiata - Beate Boeker - E-Book

Mord all' arrabbiata E-Book

Beate Boeker

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  • Herausgeber: Midnight
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Der bisher persönlichste Fall für Commissario Garini und Carlina Mantoni – Fesselnde Unterhaltung mit Band 3 der Cosy-Crime Reihe der USA Today Bestseller-Autorin Beate Boeker Carlinas unbeliebter Cousin Valentino ist nach langem Auslandsaufenthalt wieder zurück in Florenz und macht nur Ärger. Als er eines Abends erstochen aufgefunden wird, ist niemand überrascht, denn der Banker hatte viele Feinde. Commissario Stefano Garini, inzwischen offiziell Carlinas fester Freund, ist wenig erfreut. Er würde am liebsten die Beine in die Hand nehmen und vor dem neuen Fall im Mantoni-Clan flüchten. Doch sein Chef kann keinen anderen Mitarbeiter entbehren. Während Stefano mit grimmiger Entschlossenheit versucht, die widersprüchlichen Hinweise zum Mord zu ordnen, mischen sich die Mantonis in die Ermittlungen ein und machen alles nur noch schlimmer. Schließlich begreift der Commissario, dass nicht einmal Carlina ihm die ganze Wahrheit erzählt. Ihre Beziehung scheint zum Scheitern verurteilt, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat. Und noch immer läuft ein Mörder frei herum … Von Beate Boeker sind bei Midnight in der Reihe Florentinische Morde erschienen: Hochzeitstorte mit Todesfall (Band 1) Amore Mortale (Band 2) Mord all' arrabbiata (Band 3) Einmal Mord, aber pronto! (Band 4)

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Die AutorinBeate Boeker, geboren 1969, ist neben ihrem Beruf als Autorin Betriebswirtin mit internationalem Schwerpunkt, arbeitet im Marketing und lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Deutschland. Der erste Roman der USA Today Bestseller-Autorin wurde 2008 vom Verlag Avalon Books in New York veröffentlicht. Heute ist eine große Auswahl ihrer romantischen Komödien, Krimis und Kurzgeschichten auf Englisch verfügbar. Ihre Bücher wurden für viele Auszeichnungen nominiert, z.B. den Golden Quill Contest, den National Readers' Choice Award und den Best Indie Books. Obwohl sie Deutsche ist, entschied sie sich, zunächst nur auf Englisch zu schreiben, weil sie in den USA mehr Hilfe bei der Entwicklung ihrer schriftstellerischen Fähigkeiten fand. Jetzt übersetzt sie ihre Bücher auch ins Deutsche.

Das Buch

Der bisher persönlichste Fall für Commissario Garini und Carlina Mantoni – Fesselnde Unterhaltung mit Band 3 der Cosy-Crime Reihe der USA Today Bestseller-Autorin Beate Boeker Carlinas unbeliebter Cousin Valentino ist nach langem Auslandsaufenthalt wieder zurück in Florenz und macht nur Ärger. Als er eines Abends erstochen aufgefunden wird, ist niemand überrascht, denn der Banker hatte viele Feinde. Commissario Stefano Garini, inzwischen offiziell Carlinas fester Freund, ist wenig erfreut. Er würde am liebsten die Beine in die Hand nehmen und vor dem neuen Fall im Mantoni-Clan flüchten. Doch sein Chef kann keinen anderen Mitarbeiter entbehren. Während Stefano mit grimmiger Entschlossenheit versucht, die widersprüchlichen Hinweise zum Mord zu ordnen, mischen sich die Mantonis in die Ermittlungen ein und machen alles nur noch schlimmer. Schließlich begreift der Commissario, dass nicht einmal Carlina ihm die ganze Wahrheit erzählt. Ihre Beziehung scheint zum Scheitern verurteilt, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat. Und noch immer läuft ein Mörder frei herum …Von Beate Boeker sind bei Midnight in der Reihe Florentinische Morde erschienen:Hochzeitstorte mit Todesfall (Band 1)Amore Mortale (Band 2)Mord all' arrabbiata (Band 3)

Beate Boeker

Mord all' arrabbiata

Aus dem Englischen von Beate Boeker

Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de

Deutsche Erstausgabe bei Midnight Midnight ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin April 2018 (1)  © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018 © Beate Boeker 2013 Titel der englischen Originalausgabe: Banker's Death Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © privat  ISBN 978-3-95819-152-5  Hinweis zu Urheberrechten Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben. In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Kapitel 1

»Happy birthday to you! Haaaaaappy birthday toooooo youuuuu.«

Carlina betrachtete die Gesichter ihrer Familie mit einem unguten Gefühl, während sie das Lied für ihren Cousin Ernesto sangen. Es war das erste Mal, dass Stefano Garini sie zu einem Familienfest begleitete, und ihr war klar, dass sie damit eine deutliche Aussage zu ihrer Beziehung gemacht hatte. Sie erinnerte sich gut daran, wie die Augen aller Mantoni-Familienmitglieder bei der Neuigkeit wissensdurstig aufgeleuchtet hatten. Wahrscheinlich war es mittlerweile schon in ganz Florenz bekannt.

Aus dem Augenwinkel beobachtete sie Stefano. Er sang ohne ersichtliche Gefühlsregung mit, die Schulter gegen den Rahmen der Küchentür gelehnt. Sogar wenn man ihn gut kannte, war es schwierig, seine Gedanken aus seinem normalerweise unbeweglichen Gesicht abzulesen. Vielleicht lag es daran, dass er als Kommissar bei der Mordkommission arbeitete und es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, seine Gefühle hinter einer Maske zu verbergen. Nein, eigentlich nicht. Carlina schüttelte den Kopf. Diese Zurückgezogenheit und Unabhängigkeit waren tief in seiner Persönlichkeit verankert, vermutlich durch seinen Job verstärkt, aber nicht von ihm hervorgerufen.

In diesem Augenblick wandte er den Kopf. Ihre Blicke trafen sich.

Carlinas Herz schlug einen Purzelbaum. Wie konnte ich glauben, dass er ein unbewegliches Gesicht hat?

Der Ausdruck in seinen Augen wurde weich. Er legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie an sich.

Carlina fühlte sich, als ob ein plötzlicher Sonnenstrahl die Küche erleuchten würde, obwohl an diesem kühlen Frühlingstag die Wolken draußen tief hingen.

»Happy birthday, dear Ernestoooooooo, haaaappy birthday toooo youuu!« Die Familie schwappte wie eine Welle nach vorne, und einer nach dem anderen umarmte Ernesto, bis man von ihm nichts als seine leuchtend roten Haare sah.

Am anderen Ende des Raumes machte Carlinas Großonkel Teo besänftigende Armbewegungen. »Pscht! Nun seid mal alle leise!« Er sah nicht besonders beeindruckend aus, da er klein und runzelig war und seine weißen Haare in Büscheln vom Kopf abstanden, aber er war exquisit gekleidet und strahlte eine ruhige Autorität aus, die seinen Status als Patriarch der Familie verdeutlichte. In der folgenden Stille hörte man nur Annalisa, Ernestos um ein Jahr ältere Schwester, leise kichern.

Onkel Teos milchige Augen leuchteten. »Heute, zur Ehre von Ernestos achtzehntem Geburtstag, habe ich zwei Überraschungen für euch!«

Aufgeregtes Stimmengewirr brach aus.

»Ruhe, bitte.« Onkel Teo genoss seinen Augenblick im Rampenlicht. »Eine der Überraschungen kommt ein wenig zu spät.« Er schaute auf seine goldene Armbanduhr. »Die andere ist allerdings jetzt schon da!«

Carlina blickte sich um. Sie konnte nichts Außergewöhnliches feststellen, wenn man davon absah, dass Benedettas Wohnung mit Familienmitgliedern überfüllt war.

»Ich präsentiere euch … das magische Duo!« Onkel Teo warf die Arme in die Luft.

Carlina unterdrückte ein Lachen. Ihr Großonkel sah aus wie ein Zirkusdirektor, der seine Starnummer ankündigte.

Ernesto riss die Augen auf und schaute sich voller Interesse im Raum um. »Was ist es?« Sein gegeltes Haar stand vom Kopf ab wie lauter kleine Flammen.

»Das … magische … Duo!«, wiederholte Onkel Teo mit dröhnender Stimme. Er stolzierte zur Balkontür und warf sie weit auf.

Auf dem schmalen Balkon standen zwei Frauen, beide mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Sie hatten die Hände hinter ihren Rücken versteckt und waren beide in schwarze Hosen sowie enge rote Oberteile gekleidet, aber davon abgesehen waren sie so verschieden, wie es zwei Frauen nur sein konnten. Die kleinere hatte einen Mund wie eine Rosenknospe und zerzauste Locken, die sie wie eine Puppe aussehen ließen, während die größere mit ihrer beeindruckenden Oberweite und ihren breit aufgestellten Füßen an eine Wikingerin erinnerte.

»Wer ist das?« Garini beugte seinen Kopf zu Carlina.

»Die Kleinere ist Maria. Sie lebt zwei Häuser weiter unten in der Straße und kommt regelmäßig zum Putzen.«

»Und die Große?«

»Das ist Simonetta, die Freundin von einer Cousine zweiten Grades.« Carlina lächelte Simonetta an. »Sie lebt im Moment bei meiner Mutter, weil sie Opernsängerin ist und hier in Florenz gerade eine Zusatzausbildung macht.«

»Das magische Duo!« Onkel Teo hatte offensichtlich Spaß an seiner Rolle als Zirkusdirektor. Er zog den hellgelben Vorhang vor der Balkontür zur Seite und ein Ghettoblaster erschien. Mit einer weit ausholenden Geste schaltete er ihn ein und ein Zirkusmarsch erklang.

Wie auf Befehl zogen die beiden Frauen ihre Hände mit Jonglierbällen hinter den Rücken hervor und fingen an, wie Profis zu jonglieren.

Innerhalb von zwei Minuten öffneten sich die Fenster in den Nachbarschaft und die Leute lehnten sich heraus, um die Show von der Seite mit anzusehen. Der Abstand zwischen den historischen Häusern auf der Via delle Pinzochere war so schmal, dass sie einen wunderbaren Blick hatten.

Maria und Simonetta warfen sich die Bälle gegenseitig zu und fingen sie in so raschem Tempo, dass sie wie ein bunter Schweif aussahen.

Auf dem Kopfsteinpflaster unten hielt eine Gruppe von Japanern an und dokumentierte jede Sekunde mit hochmodernen Kameras. Ein Mann sprach in schnellem Japanisch in ein Mikro, vermutlich, um den genauen Zeitpunkt und den Ort dieser unvorhergesehenen Show zu dokumentieren.

»Wow.« Ernesto grinste und boxte gegen den Arm seines besten Freundes Rafaele, der direkt neben ihm stand. »Die halbe Stadt ist in Aufruhr, weil ich Geburtstag habe.«

Rafaele nickte. »Ich bin beeindruckt«, sagte er auf seine ruhige Art.

»Rafaele kann man nicht aufregen«, sagte Carlina mit leiser Stimme zu Garini. »Er ist der ruhigste Typ, den ich je gesehen habe, und er ist erst achtzehn. Ich frage mich, wie er sein wird, wenn er mal älter ist. Ein Fels, vermutlich. Ich habe gehört, dass das in der Familie liegt. Die Altoris sind anscheinend alle so.«

Garinis Lippen zuckten.

In diesem Augenblick schlugen die Glocken der Basilica di Santa Croce zur vollen Stunde und schufen ein seltsames Medley mit der fröhlichen Zirkusmusik.

Carlina bekam eine Gänsehaut. Eine seltsame Vorahnung erfüllte sie mit dem Gefühl einer nahenden Gefahr. Sie runzelte die Stirn und versuchte, es abzuschütteln. Seit ihrem dreizehnten Lebensjahr war das Familienhaus in Florenz ihr Zuhause. Die Glocken erinnerten Carlina an ihre Teenagerzeit, geprägt vom Verlust ihres Vaters und dem Umzug aus Amerika. Sie hatte ihren Klängen gelauscht, als sie sich langsam an diese neue Welt gewöhnt hatte. Nach einiger Zeit hatten sie sie beruhigt, weil sie ihr das Gefühl gaben, dass zumindest manche Dinge sich nicht änderten und über die Jahrhunderte gleich blieben. Warum überlief sie dann jetzt ein kalter Schauder? Sie würde noch wie ihre Mutter werden, die an jeder Wegbiegung eine unbestimmte Katastrophe erwartete, selbst in der Mitte einer fröhlichen Geburtstagsfeier.

Die Musik kam zu einem krachenden Finale. Maria und Simonetta fingen die Bälle auf und verbeugten sich vor dem Publikum im und vor dem Haus.

Von allen Seiten kam Applaus.

Carlinas Mutter Fabbiola warf sich auf sie und umarmte beide zur gleichen Zeit, während ihr eine Strähne des hennaroten Haares in die Stirn fiel. »Meine Lieben! Ich hatte ja keine Ahnung, dass ihr so versteckte Fähigkeiten habt! Ihr wart wunderbar!«

Bevor irgendjemand antworten konnte, flog die Küchentür auf.

Onkel Teo fuhr herum und hob beide Hände wie ein Prophet auf dem Berg. Das Lächeln auf seinem runzligen Gesicht wurde noch breiter. »Und hier«, sprach er laut und deutlich, »ist meine zweite Überraschung! Komm herein, Valentino!«

Der Mann, der in der Tür stand, sah wie ein Model aus. Er war nur mittelgroß, aber mit gutentwickelten Muskeln und breiten Schultern. Sein klassischer Anzug, die schwarzen Lackschuhe und das teure weiße Hemd, das er trug, verstärkten noch die Aura von Erfolg und Selbstbewusstsein, die ihn umgab.

»Valentino!« Ernesto lachte. »Also hast du es doch noch geschafft!«

Der verzagte Ausdruck auf Onkel Teos Gesicht war unübersehbar. »Also wusstest du schon, dass er kommen würde?«

»Aber natürlich!« Ernesto bahnte sich einen Weg durch die Familie und umarmte seinen Cousin. »Er hat’s auf Facebook geschrieben! Seitdem er nach Dubai geflogen ist, haben wir über Facebook Kontakt gehalten.«

Onkel Teo runzelte die Stirn. »Was?«

Valentino zwinkerte ihm über Ernestos Schulter hinweg zu. »Ich habe nur versprochen, dass ich es ihm nicht am Telefon sagen würde, oder?«

Onkel Teo presste die Lippen zusammen.

Garini hob eine Augenbraue. »Ein schlüpfriger Geselle?«, fragte er so leise, dass nur Carlina es hören konnte.

»Sehr.« Carlinas Stimme war trocken. »Noch ein Cousin. Er ist der Sohn von Tante Alberta. Ich weiß nicht, ob du dich an sie erinnerst – sie ist die älteste Schwester von mamma und bekannt für ihre böse Zunge.«

Garini nickte. »Natürlich erinnere ich mich an sie. Aber sie ist heute nicht hier, oder?«

»Nein. Sie macht eine Kreuzfahrt rund um die Welt, zusammen mit Angela, ihrer Tochter. Kein Verlust, wenn du mich fragst.«

Onkel Teo hatte sich von seiner Enttäuschung erholt und zog Valentino nach vorne. »Komm und sprich mit uns. Du warst so lange weg.«

Valentino schaute sich im Raum um und winkte. »Hallo miteinander!« Er zwinkerte den Mädchen auf dem Balkon zu, die mit einigen Jonglierbällen zu ihren Füßen immer noch draußen standen. »Ich sehe einige wunderhübsche Damen, mit denen ich auf jeden Fall noch einige Zeit verbringen muss, aber zuerst die allerwichtigste Sache: Ernestos Geschenk.« Er öffnete einen seriös aussehenden schwarzen Lederkoffer und zog einen Umschlag heraus. »Bitte schön.«

Ernestos Gesicht erhellte sich, als er den Umschlag nahm. »Ein Geschenk? Was ist es?«

»Öffne den Umschlag doch einfach.« Valentino lächelte ihn strahlend an, sodass man seine perfekten Zähne und das Grübchen in seiner Wange sah. »Ich weiß, dass es dir gefallen wird.«

Ernesto riss den Umschlag mit so viel Eifer auf, dass er sehr viel jünger als seine achtzehn Jahre aussah.

Carlinas Hals zog sich zusammen. Sie mochte Ernesto, und sie wusste, wie sehr er an seinem älteren Cousin Valentino hing, der ihn schon mehr als einmal auf die schiefe Bahn geführt hatte. Ein Blick auf ihre Tante Benedetta, Ernestos Mutter, zeigte ihr, dass Benedetta über die Rückkehr von Valentino aus Dubai nicht so begeistert war wie Onkel Teo. Der vorsichtige Ausdruck in ihren Augen sprach Bände, und ihr Mund, der wie immer leuchtend rot geschminkt war, war zu einem festen Strich zusammengepresst. Oh, oh. Das wird noch Ärger geben.

Ernesto stieß einen Freudenschrei aus. »Wow! Das ist fantastisch!« Er schwenkte das Stück Papier und umarmte Valentino. Dann drehte er sich um und hielt Rafaele das Papier hin. »Schau es dir an!«

»Was ist es?«, fragte Fabbiola.

»Ja, wir möchten es auch wissen«, stimmte Ernestos älteste Schwester Emma ein. »Sag es uns!«

Valentinos Lächeln hätte selbst das fest eingewickelte Herz einer Mumie zu einem Freudensprung bringen können. »Immer mit der Ruhe, kleine Cousine. In der Zwischenzeit kannst du mir ja sagen, wie es kommt, dass du jedes Mal, wenn ich dich sehe, noch hübscher als zuvor aussiehst?«

Ihr Ehemann Lucio runzelte die Stirn und legte einen schützenden Arm um Emmas Schultern. »Das liegt daran, dass sie mit mir verheiratet ist.«

Emma strahlte. »Ganz richtig. Wir haben letzten September geheiratet.«

»Das weiß ich doch!« Valentino zwinkerte ihr zu. »Ich erinnere mich genau an die Bilder mit dem erstaunlichen Hochzeitskleid.«

Die Falten auf Lucios Stirn vertieften sich.

Carlina hielt die Luft an. Emmas Hochzeitskleid war vor allem erstaunlich kurz gewesen und hatte ihre perfekten Beine in fast ganzer Länge gezeigt. Es hatte auch einen kleinen Skandal hervorgerufen, aber das hatte Emma nicht gestört.

Rafaele schaute von dem Gutschein hoch, den er gelesen hatte. »Ich muss gestehen, dass es nichts für mich wäre«, sagte er mit seiner ruhigen Stimme und zuckte mit den Schultern. »Bungee-Jumping ist nicht mein Ding.«

Benedetta schrie und stürzte sich auf ihn. »Bungee-Jumping?« Sie riss das Papier aus Rafaeles Hand und überflog es mit weit aufgerissenen Augen. »Bungee-Jumping?« Ihre Stimme wurde hoch und schrill. »Willst du mir etwa sagen, dass du meinen einzigen Sohn, mein Lamm, umbringen willst, nachdem ich ihn mühsam achtzehn Jahre lang großgezogen habe?« Sie zerknüllte den Gutschein in ihrer Hand. »Ich verbiete dir, das einzulösen, Ernesto!«

Valentino schaute sie hochmütig an. »Du kannst ihm gar nichts mehr verbieten, Benedetta. Seit heute ist er erwachsen und kann machen, was er will.«

Ernesto schaute besorgt von seinem angebeteten Cousin zu seiner vor Wut kochenden Mutter.

Tränen traten in Benedettas Augen. »Wie kannst du es wagen?« Sie zischte die Worte, beugte sich wie eine griechische Rachegöttin nach vorne und stieß mit dem Zeigefinger gegen Valentinos Brust. »Wie kannst du es wagen zurückzukommen, von wo auch immer du gewesen bist und -«

»Es heißt Dubai, Benedetta.« Sein Ton war eine Beleidigung. »Wo die Welt sich schneller bewegt als hier im verknöcherten Italien, das kann ich dir sagen.«

Benedetta warf die Hände in die Luft. »Es ist mir völlig egal, wo du herkommst, aber ich verbiete dir, meinen Sohn umzubringen!«

Ernesto legte ihr eine Hand auf den Arm. »Mamma, bitte. Ich -«

»Lass mich ausreden!« Benedetta schüttelte ihn ab. »Als dein Vater starb, wusste ich nicht, wie ich dich großziehen sollte! Ich wusste nicht, wie es weitergehen würde, wie ich es schaffen sollte. Aber mit Teos Hilfe haben wir alle Probleme überwunden, und ich konnte dich zu einem verantwortungsvollen Bürger erziehen!« Sie ballte die Fäuste und hob sie, als würde sie jemanden niederboxen wollen. »Ich weigere mich zu akzeptieren, dass mein Sohn jetzt durch eine so unnötige und dumme Sache wie Bungee-Jumping getötet wird!«

Ausnahmsweise einmal stand die Familie wie in Trance da. Sie hatten noch nie einen vergleichbaren Ausbruch von Benedetta erlebt, die sonst zu den ausgeglicheneren Mantonis gehörte.

Carlina schluckte so schwer, dass es wehtat.

»Carlina!« Ihre Tante wandte sich ihr zu. »Du bist immer so vernünftig! Du musst mir helfen. Ich kann mich auf dich verlassen. Du musst ihm sagen, dass er das nicht machen kann. Du musst all deinen Einfluss geltend machen. Wenn du ihn nicht daran hinderst, Bungee springen zu gehen, werde ich …« Sie brach in Tränen aus und wischte sie mit zitternder Hand weg, dann richtete sie sich zu ihrer vollen Höhe auf. »… werde ich dir verbieten, jemals wieder die Schwelle meiner Wohnung zu überqueren!«

Fabbiola zuckte zusammen und eilte ihrer Tochter zur Seite. »Also wirklich, Benedetta, ist das nicht ein wenig übertrieben?«

»Du!« Benedetta wandte sich mit einem Zischen, das Carlinas Haare zu Berge stehen ließ, an ihre Schwester. »Du hast seit Wochen dieses blöde Gesundheitsfutter gegessen, und ich kann dir jetzt auch gleich mitteilen, dass ich das eklige Zeug nicht mehr auf meinem Tisch sehen will! Du kannst ab jetzt in deiner eigenen Wohnung essen!«

Garini beugte den Kopf. »Was war das mit dem Gesundheitsfutter?«

»Später.« Carlina biss sich auf die Lippen.

Valentino fing an, langsam und übertrieben in die Hände zu klatschen. »Bravo, Benedetta. Ich wusste, es war die richtige Entscheidung zurückzukommen. Welche Emotionen! So viel Drama! Viel besser als in den besten arabischen Familien. Und das Ganze noch kostenlos. Ich muss wirklich nicht mehr ins Theater gehen.«

Leopold Morin schob sich durch die Familie hindurch, bis er direkt neben Benedetta stand. Er berührte sie nicht, aber seine freundlichen braunen Augen schauten sie so intensiv an, dass selbst Carlina es spürte, obwohl er nicht sie ansah.

Benedetta warf ihm einen angsterfüllten Blick zu, dann bedeckte sie ihr Gesicht mit den Händen und rannte aus der Küche. Leopold Morin folgte ihr ohne ein Wort und schloss die Tür mit einem sanften Klicken hinter sich, das lauter schien, als wenn er sie zugeknallt hätte.

»Wer um alles in der Welt ist denn das?«, fragte Valentino. »Den habe ich noch nie zuvor gesehen.«

»Er ist Franzose.« Annalisa lächelte Valentino an. »Nun sag nicht, dass du mich vergessen hast, sonst bin ich beleidigt.« Sie schüttelte ihr langes Haar, das die gleiche rote Farbe wie das ihres Bruders hatte, und schaute ihn unter halb gesenkten Wimpern an.

»Wie könnte ich dich vergessen haben? Du bist die schönste Frau in diesem Raum.« Valentino nahm ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf.

Irgendwo hinter Carlina ertönte ein Geräusch, das sie nicht zuordnen konnte, als ob jemand nach Luft schnappte oder schwer schluckte. Oder war es ein unterdrücktes Lachen? Sie schaute über die Schulter, konnte aber nicht sagen, woher es gekommen war.

Valentino schaute Annalisa mit einem verheißungsvollen Lächeln an. »Aber ich verstehe immer noch nicht, warum ein völlig unbekannter Franzose an dieser Familienfeier teilnimmt.«

Annalisa zuckte mit den Schultern. »Er ist Universitätsprofessor in Paris, der sein Sabbatical hier in Florenz verbringt und unten in der Wohnung von Opa lebt. Die Wohnung stand leer, seitdem Opa im September gestorben ist, und Leopold hat sich über Weihnachten mit Onkel Teo angefreundet, also ist er eingezogen. Er ist ganz nett, wenn auch manchmal ein wenig langweilig.«

Carlina fragte sich, wie Annalisa die Hintergründe so ruhig erzählen konnte, als ob die vorhergehende Szene sie gar nicht berührt hätte – obwohl vielleicht genau das der Fall war, wenn sie richtig darüber nachdachte. Annalisa sah zwar aus, als ob sie kein Wässerchen trüben könnte, aber sie dachte oft nur an ihren eigenen Vorteil.

»Wie schade«, sagte Valentino. »Ich hatte fest damit gerechnet, in Opas Wohnung übernachten zu können, während ich hier in Florenz bin.«

»Warum wohnst du nicht bei deiner Mutter in Fiesole?«, fragte Lucio. Zweifellos wollte er den attraktiven Cousin seiner Frau nicht im gleichen Haus haben.

Valentino zuckte mit den Schultern. »Sie ist auf diese dumme Kreuzfahrt gefahren und hat alle Schlüssel mitgenommen. Wenn ich also nicht einbrechen will, komme ich in die Villa nicht rein.«

»Du kannst bei mir wohnen«, sagte Onkel Teo. Sein Gesicht war grau, und er sah aus, als ob er es bedauerte, dass er Valentino zur Party eingeladen hatte, aber Carlina wusste, dass sein Familiensinn ihm niemals erlauben würde, ein Familienmitglied in Not zu lassen.

»Cool.« Ernesto schlug Valentino freundschaftlich auf den Rücken. »Wir haben viel mehr Spaß, wenn du auch hier wohnst.«

Valentino zögerte, dann nickte er. »Lass uns verschwinden«, sagte er. »Zu viel Familie auf einmal ist schlecht für die Verdauung. Ich habe ein tolles Auto, eine echte Schönheit. Hol deine Sonnenbrille, Ernesto, und dann fahren wir ein wenig durch die Stadt.« Er zwinkerte seinem jüngeren Cousin zu. »Vielleicht finden wir ja ein paar nette Mädels.«

Ernesto grinste und zog Rafaele nach vorne. »Klingt gut. Rafaele, kommst du auch?«

»Tut mir leid, Kleiner.« Valentino schüttelte bedauernd den Kopf. »Es ist ein Mercedes-Cabrio, ein Zweisitzer. Leider kein Platz für dich.«

Onkel Teo runzelte die Stirn. »Ich finde es nicht richtig, dass du mitten in deiner eigenen Geburtstagsfeier gehst, Ernesto.«

Ernesto sah aus wie ein trauriger Welpe.

Carlina unterdrückte ein Schmunzeln. Ihr kleiner Cousin konnte auf Knopfdruck so schauen … und wie immer funktionierte es reibungslos.

Onkel Teo hob seine Hand in einer Geste, die deutlich zeigte, dass er aufgab. »Na, meinetwegen. Dann fahrt halt und habt viel Spaß, aber denk noch mal über das Bungee-Jumping nach. Du willst deine Mutter ja nicht unglücklich machen, oder?«

Ernesto grinste ihn etwas schief an, enthielt sich aber weise einer Antwort.

Sobald sich die Tür hinter den zwei Männern geschlossen hatte, ging ein Seufzer der Erleichterung durch den Raum.

»Mannomann.« Simonetta warf ihre Jonglierbälle in einem bunten Haufen auf den Tisch und ließ sich in einen Stuhl fallen. »Was um alles in der Welt wirst du jetzt tun, Carlina?«

»Ich?« Carlina schluckte.

»Na ja, Benedetta hat dir doch aufgetragen, das Problem zu lösen, oder?«

»Ja, das hat sie.« Emma nickte so sehr, dass ihre langen Haare über ihre Schultern nach vorne rutschten. »Und ich muss sagen, dass ich dich nicht darum beneide, Carlina.«

Kapitel 2

I

Ein scharfer Wind fegte die schmale Via delle Pinzochere herunter und zerzauste Carlinas braune Locken.

»Nun, das war ja ein munteres Familientreffen.« Garini zog den Reißverschluss seiner schweren Lederjacke zu und schloss das Motorrad auf. »Aber ich verstehe immer noch nicht diese düsteren Andeutungen in Bezug auf das Gesundheitsfutter.«

Carlina zog ihre Jacke enger um sich. »Das ist eine lange Geschichte.« Sie wollte sie Garini eigentlich nicht erzählen.

Er schaute sie prüfend an. »Irgendetwas sagt mir, dass deine Mutter sich etwas Neues ausgedacht hat. Sagt sie jetzt nicht mehr die Zukunft voraus?«

Carlina seufzte. »Sie hat das Kartenlesen an Neujahr aufgegeben.«

»Oh?« Es hörte sich fast an, als ob er das bedauerte. »Warum?«

»Weil die Karten ihr nicht im Voraus mitgeteilt hatten, dass ich in der Gefahr schwebte, umgebracht zu werden. Also hat sie ihr Vertrauen in sie verloren.«

»Aber das ist doch eigentlich eine gute Neuigkeit, oder nicht?« Garini runzelte die Stirn.

»Ich weiß nicht, ob ihre neueste Masche nicht schlimmer ist.« Carlina zuckte mit den Schultern. Sie konnte es ihm genauso gut sagen. Er würde es sowieso herausfinden. »Sie hat sich in gesundes Essen hineingesteigert, und damit macht sie uns alle wahnsinnig.«

»Besessen von gutem Essen?«, fragte Garini.

Carlina beäugte ihn. Klang er amüsiert oder beunruhigt? Es war schwer zu beurteilen. Sie räusperte sich. »Äh. Ja.« Bitte frag nicht.

»Was ist denn so schlecht an dieser Gesundheitsfutter-Phase?«, fragte Garini.

»Benedetta hat es als persönliche Beleidigung aufgefasst. Du weißt ja, dass sie normalerweise für die ganze Familie kocht, oder?«

Garini nickte.

»Na ja, jetzt besteht mamma darauf, besonderes Essen zu bekommen, und sie kocht es selbst.« Carlina rollte die Augen. »Sie ist die schlechteste Köchin der Welt, und Benedetta behauptet, dass sie ihr eigenes Mahl nicht mehr genießen kann, wenn sie sich ansehen muss, was mamma auf den Tisch stellt. Sie sind beide mit gezogenen Waffen in den Kampfring gestiegen und du kannst mir glauben, dass das nicht lustig ist. Es ist, als ob sie fünfzehn wären und sich die ganze Zeit wie zwei Teenager-Schwestern anzicken.« Sie holte tief Luft. »Zum Frühstück trinkt mamma Essig mit Honig gemischt. Sie behauptet, die alten Römer hätten das schon vor Hunderten von Jahren getan und dass es gut für die Haut oder was weiß ich sei.«

»Das klingt vertraut«, sagte Garini. »Wenn ich mich richtig erinnere, hatte dein Großvater doch genau die gleiche Phase, oder? Glaubst du, dass das erblich ist?«

»Um Himmels willen.« Carlina grinste. »Sie behauptet, es sei etwas ganz anderes, weil sie eine andere Art von Honig verwendet.« Sie holte tief Luft und gab das schlagende Argument ihrer Mutter wieder. »Ihr Honig stammt nur von glücklichen Bienen.«

Garinis Augenbrauen wanderten hoch. »Woher weiß man, ob eine Biene glücklich ist?« Sein Gesicht verriet nichts, aber Carlina konnte tief in seinen Augen ein Lächeln sehen. Ein Glücksschauer lief ihr den Rücken hinunter, wie immer, wenn sie feststellte, dass er den gleichen Sinn für das Lächerliche hatte wie sie. Vielleicht würde er doch nicht davonlaufen, wenn sie ihn den Absonderlichkeiten ihrer Familie aussetzte. »Bitte mamma nicht darum, eine glückliche Biene zu definieren«, sagte sie. »Sonst müssen wir uns einen Vortrag anhören, der mindestens eine Dreiviertelstunde dauert. Unglücklicherweise sind die Bienen im Moment glücklicher als wir. Die Atmosphäre im Haus ist genauso toxisch wie die Gerichte, die mamma kocht.«

»Ist das Essen wirklich so schlimm?«, fragte Garini.

»Schlimmer, als du dir vorstellen kannst.« Carlina schauderte. »Wenn es nur dieser Honig-Essig-Drink wäre, dann könnte ich damit leben, aber sie besteht auch darauf, ihr eigenes Brot zu backen. Sie hat zwei riesige Körnersäcke gekauft und mahlt das Zeug selbst mit einer gigantischen Mühle in ihrer Küche.« Sie machte eine Kopfbewegung in Richtung des dritten Stockwerks, in dem Fabbiola ihre Wohnung hatte.

Garini neigte den Kopf. »Spannend.«

»Diese Mühle macht so viel Krach, dass das ganze Haus wackelt, und sie bedeckt alles mit Mehl«, fuhr Carlina fort. »Und dann schmeckt das Brot auch noch richtig übel, weil mamma sich weigert, Salz oder Gewürze hinzuzufügen. Sie sagt, du kannst die Körner sogar als Kaugummi benutzen, wenn du sie lange genug zwischen den Zähnen zermalmst.« Sie schüttelte sich vor Ekel.

»Verstehe.« Garinis Mundwinkel zitterten.

Carlina breitete ihre Hände aus. »Und jetzt, als ob unsere Nerven nicht schon zum Zerreißen gespannt wären, muss Valentino unbedingt aus Dubai zurückkommen und Ernesto diesen blöden Gutschein geben.« Sie biss sich auf die Lippen. »Es tut mir leid. Damit hatte ich nicht gerechnet, als ich dich fragte, ob du zu Ernestos Geburtstagsfeier kommen möchtest.«

Stefano lächelte ihr ein wenig schief zu. »Ich habe gelernt, das Unerwartete von deiner Familie zu erwarten.«

»Na ja, unerwartet ist eine Sache. Ein totaler Krieg was anderes.« Carlina schlang sich die Arme um den Körper. Der Wind war frisch, als ob es noch lange hin bis zum Frühling wäre. Trotzdem war sie froh, dass sie Stefano nach der Party nach draußen gefolgt war, denn sie wollte sich von ihm verabschieden, ohne dass die gesamte Familie dabei zusah.

»Ich kann dir nur einen Ratschlag geben: Halte dich raus.« Er schaute sie mit seinen hellen Augen prüfend an.

»Das kann ich nicht.« Carlina schüttelte den Kopf. »Benedetta hat mich um Hilfe gebeten.«

»Darüber habe ich mich übrigens gewundert. Warum hat sie nicht Onkel Teo gefragt? Er ist immerhin der Patriarch der Familie.«

Carlina grinste. »Sie weiß, dass er zu lieb ist.«

»Und du bist es nicht?« Er neckte sie mit seinem Lächeln.

Sie nahm die Schultern zurück und erwiderte den Blick. »Es mag vielleicht nicht so offensichtlich sein, aber ich bin ganz hart.«

»Verstehe.« Sein Gesichtsausdruck wurde zärtlich, dann verschwand das Lächeln. »Was wirst du tun? Willst du Ernesto darum bitten, den Gutschein zurückzugeben? Ich glaube, das wird nichts. Wenn du dich einmischst, wird ihn das nur wütend machen, und dann wird er aus lauter Protest von einem noch höheren Dach springen. Er ist ein Teenager.«

Carlina seufzte. »Ich weiß. Ich stecke in einer Sackgasse.«

»Also tu am besten gar nichts.« Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich kann mir die Worte sparen. Weißt du, wenn du deiner Familie gegenüber nicht ganz so loyal wärst, wäre es ein wenig einfacher.«

Sie schaute auf. »Was meinst du?«

Er antwortete nicht. Stattdessen nahm er sie in den Arm und gab ihr einen Kuss.

Carlina spürte, wie sie sich entspannte. Sie fühlte den Kuss mit jeder Faser ihres Seins. Die Welt da draußen konnte untergehen, solange sie nur in seinen Armen lag. Ihre Beziehung war noch nicht sehr alt. Sie hatte eigentlich kurz nach Weihnachten begonnen, aber Stefanos Beruf als ermittelnder Kommissar bei der Mordkommission in Florenz ließ ihnen nicht viel Zeit, ihre Beziehung zu vertiefen. Im Januar war er in ein Projekt berufen worden, das ihn in die Niederlande verschlagen hatte, sodass er ganze drei Wochen nicht in Florenz gewesen war. Der Februar hatte ihnen ein wenig mehr Zeit gegeben, wenn man die zwei Mordfälle auf Garinis Tisch und die Krankheit von Carlinas Assistentin außer Acht ließ. Carlina hatte die Arbeit in ihrem Lingerie-Geschäft Temptation auf der Via de’ Tornabuoni alleine übernehmen müssen.

Aber jetzt war März, der Frühling war da, und Carlina hoffte, dass sie mehr Zeit füreinander haben würden, um ihr Vertrauen und ihre Liebe auszubauen. Sie wusste, sie hatte gezögert, bevor sie ihn zu dem Familiengeburtstag eingeladen hatte, aus Angst, dass ihre überschäumende und exzentrische Familie ihn abschrecken würde. Nicht, dass er sie nicht bereits kannte – zwei seiner Mordfälle in den letzten sechs Monaten hatten ihn in engen Kontakt mit den Mantonis gebracht, aber es war etwas anderes, ob man als Außenseiter oder als »der Mann an ihrer Seite« vorgestellt wurde. Ein potentieller Ehemann wurde sehr viel genauer unter die Lupe genommen. Dennoch war er nicht geflohen, was viel über seine Gefühle für Carlina aussagte.

»Warum lächelst du?« Seine Stimme war weich.

»Ich habe nur gerade daran gedacht, dass du sehr mutig bist, weil du weiterhin mit mir zusammen bist, trotz meiner Familie.«

Bevor er antworten konnte, ertönte ein lautes Hupen hinter ihnen.

Carlina wandte den Kopf.

Valentino fuhr ein mattschwarzes Mercedes-Cabrio mit cremefarbenen Ledersitzen im Schneckentempo durch die enge Straße, eine Hand entspannt aus dem Fenster hängend. Seine dunkle Sonnenbrille versteckte den Großteil seines Gesichts. Sie war verspiegelt, sodass Carlina nur ein verzerrtes Bild von sich selbst sah, als sie versuchte, in seine Augen zu blicken.

»Noch ein Mann, den ich nicht kenne«, rief Valentino. »Du hast uns oben einander gar nicht vorgestellt, Carlina.« Ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr er fort, während er Stefano von oben bis unten musterte: »Bist du sicher, dass du hier mit meiner Cousine herummachen darfst, Kumpel?«

Carlina schnappte nach Luft. »Es gibt nur eine einzige Person, die bestimmt, was mit mir geschieht«, sagte sie. »Und das bin ich selbst. Verschwinde, Valentino!«

Valentino schüttelte den Kopf und lachte. »Hast du das gehört, Ernesto? Sie hat Schneid, deine Cousine. Ich mag Frauen mit Schneid.«

Ernesto grinste und winkte.

Carlina rollte mit den Augen und wandte sich ab.

»Hey, sei wenigstens so höflich, mir deinen Lover vorzustellen!« Valentino stoppte den Wagen direkt neben ihnen.

»Er heißt Stefano Garini«, sagte Ernesto. »Er ist Kommissar bei der Kripo, und er hat die Morde an Opa und dem reichen Amerikaner aufgeklärt.« Seine Stimme war voller Ehrfurcht.

Carlina unterdrückte ein Lächeln. Ernesto war ziemlich beeindruckt von Garini, und dazu hatte er auch allen Grund.

Valentino schüttelte den Kopf. »Er ist nicht gut genug für dich, Carlina. Nimm doch einen Rechtsanwalt oder einen Arzt oder einen Banker.« Er zwinkerte ihr übertrieben zu. »Polizisten sind so …« Er schaute in Stefanos unbewegtes Gesicht und brach ab. »Ach du lieber Himmel, ich höre besser auf. Das Gesetz könnte sich gegen mich stellen.«

»Genau«, erwiderte Carlina mit trockener Stimme. »Ciao, Valentino. Jetzt mach dich endlich vom Acker.« Sie wandte sich wieder Garini zu.

Valentino ließ den Motor aufheulen, bis die historische Straße von ohrenbetäubendem Lärm erfüllt war, dann raste er mit quietschenden Reifen davon.

»Ich bin froh, dass du einen robusten Riegel an deiner Apartmenttür hast, sodass du dich einschließen kannst.« Stefanos Stimme war ruhig. »Das ist eine ziemlich unangenehme Gestalt.«

»Bei den Damen ist er allerdings ausgesprochen beliebt«, sagte Carlina. »Hast du gesehen, wie Annalisa ihn angelächelt hat? Nicht jeder kann Handküsse rechts und links verteilen, ohne lächerlich zu wirken.«

»Richtig.« Er gab ihr noch einen kurzen Kuss, setzte seinen Helm auf und fuhr dann davon. Carlina eilte zurück ins Haus, mit dem unguten Gefühl, dass die nächsten Tage alles andere als lustig werden würden.

II

»Ich sage es dir doch die ganze Zeit, ich kann nicht!«

Valentinos genervte Stimme ließ Carlina erstarren. Ihre Mutter hatte sie gebeten, Onkel Teo ein wenig hausgemachtes Brot hinunterzubringen, bevor er ins Bett ging, sodass er es am nächsten Morgen zum Frühstück haben würde. Weil der Tag schon stressig genug gewesen war, hatte Carlina sich entschieden, ohne weiteren Kommentar zu gehorchen. Onkel Teo konnte das Brot ja immer noch wegwerfen, wenn Fabbiola nicht in der Nähe war. Da die Tür zu seiner Wohnung aufstand, war Carlina ohne lange zu fackeln hineingegangen, doch Valentinos harter Satz stoppte sie mitten in der Bewegung.

»Was meinst du?« Onkel Teos Stimme klang schwach und gebrochen.

»Ich meine, dass es unmöglich ist, und das musst du akzeptieren.« Valentinos Ungeduld war deutlich zu hören.

»Aber ich kann nicht mehr warten. Ich muss es zurückzahlen, sonst sind wir in echten Schwierigkeiten.«

Noch nie hatte Carlina ihren Onkel Teo so sprechen gehört. Er klang panisch, ganz und gar nicht wie der Patriarch, der sich seiner sicher war und wusste, wie er die ganze Familie zu führen hatte.

»Sag ihnen, dass sie warten sollen. Noch einen Monat oder zwei, und es ist alles in Butter. Mach dir keine Sorgen.«

Valentinos glatte Antwort machte sie wütend, obwohl sie keine Ahnung hatte, wovon die beiden eigentlich sprachen.

»Sie werden mir nicht glauben«, sagte Onkel Teo. »Ich habe ihnen das Gleiche schon vor einem Monat gesagt, und damals waren sie bereit, vier Wochen zu warten. Aber nicht mehr. Diese vier Wochen sind jetzt rum.«

»Ach, zur Hölle!« Valentino explodierte. »Geh einfach wieder zu ihnen, sag ihnen, dass es noch ein wenig länger dauert. Erfinde irgendwas! Du bist doch sicher nicht so alt geworden, ohne in der Lage zu sein, eine plausible Geschichte zu erfinden, oder? Denk daran, wenn du’s nicht schaffst, dann haben sie auch nichts. Ich kenne die Art, wie sie arbeiten. Vertrau mir. Sie werden dir mehr Zeit geben.«

»Warum kommst du nicht mit mir, Valentino?« Onkel Teos Stimme gewann ein wenig an Kraft. »Du wärst viel besser in der Lage, ihnen das Konzept zu verkaufen.«

Valentino lachte harsch. »Ich? Nie im Leben. Ich werde gar nicht in Erscheinung treten.«

»Aber ich glaube wirklich, dass -«

»Nein.« Valentinos Stimme war unmissverständlich. »Du gehst morgen früh zu ihnen.« Ein Stuhl kratzte über den Boden. »Das wird schon klappen.«

Carlina drehte sich auf dem Absatz um und rannte aus der Wohnung. Was um Himmels willen geht da vor? Sie lief zum ersten Treppenabsatz, dann drehte sie sich herum, eine Hand auf dem glatten Holzgeländer, als ob sie gerade erst von oben gekommen wäre. Normalerweise liebte sie das seidige Gefühl des Holzes unter ihrer Hand und genoss es, während sie nach unten lief, aber jetzt waren ihre Gedanken zu verwirrt, um es mehr als am Rande wahrzunehmen. Was war hier los? Warum hatte Valentino auf einmal so viel Macht über Onkel Teo?

Valentino kam aus Onkel Teos Wohnung und zog seinen extravaganten Wintermantel mit dem lila Seidenfutter über. Seine gerunzelte Stirn glättete sich schlagartig, als er Carlina auf den Stufen über sich entdeckte. »Carlina! Wie schön, dich zu sehen! Ist dein Lover gegangen?«

Sie entschied sich, seine Frage zu ignorieren, und ging langsam die Treppe hinunter. »Gehst du aus?«

»Natürlich.« Valentino schaute auf seine Platinuhr. »Es ist ja gerade mal halb elf, und der Abend fängt jetzt erst an. Willst du mitkommen? Wir könnten über alte Zeiten plaudern.«

Sie konnte sich an keine alten Zeiten mit ihm erinnern, denn er war auf eine Privatschule gegangen und hatte sich bei Familientreffen abseits seiner Cousins und Cousinen gehalten. »Nein, danke.« Sie verzog die Lippen und hoffte, dass es als Lächeln durchgehen würde. »Ich muss mich noch um meine Buchhaltung kümmern.« Das war nur eine halbe Lüge. Sie fand immer irgendetwas, was sie in der Buchhaltung tun konnte.

Valentino lachte so sehr, dass er sich gegen den Türrahmen lehnen musste. »Buchhaltung? Welche Buchhaltung macht man denn mitten in der Nacht?«

»Zufälligerweise besitze ich einen Laden.« Carlinas Stimme klang kühl. Sie wollte, dass er jetzt endlich verschwand, damit sie nach Onkel Teo schauen konnte. Ihr Großonkel war nicht hinter Valentino erschienen. Das war ungewöhnlich. Normalerweise war Onkel Teo korrekt und begleitete seine Besucher bis zur Tür. Aber vielleicht zählte Valentino nicht als Besuch, weil er bei Onkel Teo wohnte.

»Einen Laden?« Valentino runzelte die Stirn. »Was für ein …?« Er brach ab und schlug sich auf die Schenkel. »Ja, natürlich! Jetzt erinnere ich mich … du hast dieses superteure Unterwäschegeschäft.« Sein Blick wirkte berechnend. »Wie nett.«

Carlina hob das Kinn und wartete auf eine sexistische Bemerkung, aber seine nächsten Worte überraschten sie.

»Du machst bestimmt einen saftigen Gewinn.«

Carlina zuckte zurück. Sie würde ihren Laden ganz bestimmt nicht mit einem Haifisch wie Valentino besprechen.

Valentino nahm ihren Arm und drehte sie zur Haustür. »Hör mal, du und ich, wir müssen reden. Ich habe ein oder zwei Ideen, wie du dein Kapital vergrößern kannst, ohne deinen hübschen Hintern auch nur ein wenig bewegen zu müssen.«

»Nein, danke.« Carlina trat zur Seite, sodass er ihren Arm loslassen musste. »Ich bin ganz zufrieden, so wie es ist.«

Er schenkte ihr eines seiner charmanten Lächeln. »Das glaubst du vermutlich wirklich, aber du kannst mir vertrauen, das weiß ein Amateur nie. Die Welt da draußen ist ganz schön kompliziert, und man muss ein Experte sein, um die Vielschichtigkeit des Finanzmarktes zu verstehen.«

»Na klar.« Carlina versuchte, so gelangweilt wie nur irgend möglich zu klingen. Würde er es merken? Vermutlich nicht. Er hatte eine Haut wie die eines Rhinozeros und das dazu passende Ego. Sie tat so, als ob sie gähnen würde, um ihr mangelndes Interesse überdeutlich zu machen. »Tut mir leid, aber ich muss Onkel Teo jetzt das Brot hier bringen.«

Er stellte sich ihr in den Weg. »Hör mal, Carlina, ganz abgesehen vom Geschäft würde ich dich wirklich gern näher kennenlernen.« Sein Blick fiel auf ihre Brust.

Carlina wünschte, sie hätte nicht ihren Lieblingspullover mit dem schönen Dekolleté angezogen. Wobei es wahrscheinlich gar keinen Unterschied gemacht hätte – manche Männer schafften es, dass man sich dreckig fühlte, egal was man anhatte. Mit einer plötzlichen Sehnsucht erinnerte sie sich an den Tag, als Stefano ihr die Bluse ausgezogen hatte, um eine Messerwunde an ihrer Schulter zu verbinden. Er hatte nicht mal mit der Wimper gezuckt – obwohl er ihr später gesagt hatte, dass es nicht einfach gewesen war. Sie unterdrückte ein Lächeln.

Valentino kam näher. »Ich hatte ganz vergessen, wie charmant du bist.«

Jetzt reicht es aber. »Ich habe deinen … Charakter nicht vergessen, mein lieber Cousin.« Sie verengte die Augen. »Ganz abgesehen davon, hast du vergessen, dass wir Cousin und Cousine ersten Grades sind?«

Valentino grinste. »Du meinst, es wäre Inzest?« Er winkte nonchalant mit der Hand. »Das ist in vielen Ländern gar kein Thema. In Dubai, zum Beispiel ist es eine der besten Verbindungen, die du eingehen kannst. Bleibt alles in der Familie, gewissermaßen.« Er lachte über seinen eigenen Witz.

»Wunderbar.« Carlinas Stimme troff vor Ironie. »Und trotz dieses verlockenden Angebots bleibe ich bei meinem Nein.«

»Carlina.« Seine Stimme wurde leise. »Das ist wirklich ein attraktiver Name, weißt du? Ich mache dir einen Vorschlag: Wir gehen in einem der teuersten Restaurants der Stadt schön essen, und dann nehme ich dich in einen exklusiven Nachtclub mit. Ist das Elitissimo noch so gut wie früher?«

Sie seufzte genervt auf. »Du musst noch eine Menge lernen, wenn du ein Nein nicht als Nein verstehst, Valentino. Jetzt geh mir endlich aus dem Weg, sonst schubse ich dich weg.«

Valentino lachte leise. »Was für ein Feuer.« Er trat zur Seite. »Aber ich werde nicht aufgeben, keine Sorge. Mein Motto ist, dass ich alles bekommen kann, was ich will, auch wenn es eine Weile dauern sollte.« Er winkte ihr zu und zog die schwere Eingangstür auf. »Viele Wege führen nach Rom. Gute Nacht, meine süße Cousine!« Die Tür fiel mit einem Knall hinter ihm zu.

Carlina schüttelte den bitteren Nachgeschmack der Unterhaltung ab und eilte in Onkel Teos Wohnung. »Onkel Teo? Wo bist du?«

»Hier, meine Liebe.« Der alte Mann saß am Küchentisch, den Kopf in beide Hände gestützt.

»Onkel Teo!« Carlina setzte sich neben ihn. »Was ist los mit dir? Bist du krank?«

Er hob seinen Kopf und starrte sie aus leblosen Augen an. »Oh nein. Nur ein wenig … entmutigt.«

»Entmutigt?« Carlina runzelte die Stirn und schob ihren Stuhl näher heran. »Wieso?«

Ein tiefer Seufzer schüttelte seinen schmalen Körper. »Es ist nichts, meine Liebe. Mach dir keine Sorgen. Ich werde eine Lösung finden. Morgen wird alles besser.«

Sie nahm eine seiner Hände. Seine Haut fühlte sich kalt an, und sie begann, seine Finger in ihren Händen zu reiben. »Ich habe ein wenig von deiner Unterhaltung mit Valentino mitbekommen.« Sie erinnerte sich daran, wie oft er ihr heimlich zugehört hatte, wenn sie sich mit Freunden unterhalten hatte, und fand es nicht nötig, sich zu entschuldigen. »Hat er dich in Schwierigkeiten gebracht?«

Onkel Teo schüttelte den Kopf. »Es war mein Fehler. Ganz alleine mein Fehler.« Er straffte die Schultern. »Aber ich werde das Problem lösen.«

Ein beklemmendes Gefühl beschlich Carlina. Sie hatte Onkel Teo noch nie so gesehen. So … ruhig und tödlich entschlossen. Was um Himmels willen muss er bloß morgen zurückgeben? »Kann ich irgendetwas tun, um zu helfen?«

»Oh, nein.« Onkel Teo schüttelte erneut den Kopf. »Du hältst dich da besser raus, meine Liebe.«

Carlina hatte Schwierigkeiten, zu schlucken. Hatte Onkel Teo sich mit der Mafia eingelassen? Es klang, als ob er morgen irgendeinen Showdown erwartete. Oh Madonna.

»Vielleicht kann Stefano helfen? Als Kommissar hat er mehr Möglichkeiten als wir.« Und eine Pistole.

»Nein, damit muss ich alleine fertig werden.« Sein Lächeln war nur noch eine leere Hülle seines sonstigen frechen Grinsens.

Es traf sie mitten ins Herz. »Würdest du es mir bitte sagen? Du kannst mir vertrauen. Ich werde es auch nicht weitererzählen.«

Onkel Teo schloss die Augen. »Nein, meine Liebe. Du bist ein gutes Mädchen – eine gute Frau, sollte ich sagen –, aber in diesem Fall kann niemand helfen.« Er gab sich sichtlich Mühe, sich gerade hinzusetzen. »Warum bist du denn eigentlich nach unten gekommen?«

Carlina zeigte auf das Brot, das sie auf den Tisch gelegt und prompt vergessen hatte. »Mamma bat mich, dir ein wenig von ihrem selbst gemachten Brot zu bringen.«

»Oh weh.« Onkel Teo klang resigniert. »Ich hoffe nur, dass diese Phase bald vorbei ist. Sie ist ein wenig entmutigend.«

Carlina unterdrückte ein Lächeln. »Da hast du recht.« Aber im Moment ist das nicht unser größtes Problem.

Onkel Teo tätschelte ihre Hand. »Geh jetzt zu Bett, Carlina. Es war lieb von dir, mir dieses … Brot zu bringen.«

Zögernd stand sie auf. »Nicht lieb«, sagte sie mit einem Lächeln. »Nur der einfachste Weg, eine Diskussion zu vermeiden.« Sie legte ihre Hände auf die Schultern ihres Großonkels und schaute ihm tief in die Augen. »Versprich mir eines, Onkel Teo.«

»Nun, meine Liebe?« Ein wenig von seinem alten Selbst war zurückgekehrt, sie konnte es tief in seinen Augen sehen.

»Was auch immer das Problem ist, hol dir Hilfe. Stehe das nicht alleine durch, wenn es zu schwer zu ertragen ist.«

Er nickte, aber sie sah, dass er nur bestätigte, ihr zugehört zu haben. Er hatte nicht zugestimmt.

Ein Gefühl der Hilflosigkeit überschwemmte sie. »Gute Nacht, Onkel Teo.«

Mit einer düsteren Vorahnung ging sie die Treppen zu ihrer Wohnung im obersten Stockwerk hoch. Ihre Füße fühlten sich schwerer als sonst an. Was um alles in der Welt wird morgen geschehen?

Kapitel 3

Als Carlina Onkel Teo am nächsten Tag zum Mittagessen traf, hatte sie Schwierigkeiten, ihn wiederzuerkennen. Er schwankte in Benedettas Küche herein und sah nur halb so groß wie sonst aus. Sein Gesicht war blass, die Falten tiefer. Sie rannte zu ihm und nahm seinen Arm. »Onkel Teo! Was ist passiert?«

Der Rest der Familie saß schon am Tisch. Sie hoben die Köpfe wie eine Gazellenherde, die Gefahr witterte.

»Was ist los?« Benedettas roter Mund zuckte. Sie hatte nicht das leiseste Zeichen zu erkennen gegeben, dass sie sich an ihre Drohungen vom Vortag erinnerte, als Carlina zum Mittagessen in die Küche gekommen war, aber das war vielleicht nur, weil sie Carlina noch ein wenig Zeit geben wollte, ihren Sohn zu retten.

Ernesto war wie üblich erschienen, aber er hielt den Kopf gesenkt, und es war deutlich zu sehen, dass er versuchte, so unsichtbar wie möglich zu sein.

Seine Tante Fabbiola kam allerdings wie immer in die Küche gehüpft, mit einem grauen Brotpudding in der Hand, der nicht nur Benedetta, sondern auch alle anderen am Tisch mit Abscheu erfüllte. Wenigstens hatte Fabbiola genug Selbsterhaltungstrieb, um sich nicht auf ihren normalen Platz neben ihre Schwester zu setzen. Stattdessen setzte sie sich ans andere Ende mit dem Rücken zum Fenster.

Onkel Teo sank auf seinen Stuhl und griff mit zitternder Hand nach einem Glas Wasser.

Ein Gefühl von drohendem Unheil senkte sich über Carlina. Sie war die halbe Nacht lang wach gewesen und hatte darüber nachgedacht, wie sie Onkel Teo helfen konnte und was er bloß getan haben könnte, um in solche Schwierigkeiten zu geraten. Als sie endlich eingeschlafen war, hatte sie Albträume von der Mafia gehabt, die ihre ganze Familie jagte, sodass sie völlig gerädert aufgewacht war. Jetzt schien es fast so, als ob der Tag schlimmer als die Nacht werden würde. »Kannst du uns sagen, was passiert ist?«, bat sie. Alles war besser, als im Dunkeln herumzustochern.

Onkel Teo schaute sie unter zusammengezogenen Brauen an. Dann holte er so tief Luft, dass es seinen ganzen Oberkörper erschütterte. Er schaute sich am Tisch um und ließ seinen Blick für eine Minute auf jedem Einzelnen ruhen. Eine unbehagliche Stille erfüllte die Küche, während er von einem zum anderen sah: von Emma und ihrem Mann Lucio hin zu Benedetta, die neben dem Franzosen Leopold Morin saß, zu Carlina und dem ungewöhnlich stillen Ernesto neben ihr, zu dessen Schwester Annalisa und zuletzt zu Carlinas Mutter Fabbiola und der Opernsängerin Simonetta an ihrer Seite. Er räusperte sich. »Es ist gut, dass ihr alle hier seid, so könnt ihr es gleichzeitig erfahren. Ich fürchte, ich habe schlechte Nachrichten.«

Ernestos Kopf fuhr so schnell hoch, dass sein rotes Haar nach hinten flog. Er starrte seinen Großonkel mit weit aufgerissenen Augen an, aber er sagte kein Wort.