Mord am East River - Rhys Bowen - E-Book
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Mord am East River E-Book

Rhys Bowen

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Beschreibung

Eine geerbte Detektei, eine namenlose Leiche und ein betrügerischer Liebhaber – Molly Murphys dritter Fall
Der neue historische Cosy Krimi für mörderisch gute Stunden

Nachdem Molly Murphy die Fälle ihres verstorbenen Mentors Paddy Reilly geerbt hat, sieht ihr Alltag plötzlich ganz anders aus. Als Privatdetektivin folgt sie betrügerischen Ehemännern, spürt entlaufene Debütantinnen auf und arbeitet sogar verdeckt in einem Geschäft, um herauszufinden, wer die Kleider entwendet. Keiner dieser Jobs scheint gefährlich zu sein … Als jedoch der Körper einer Frau aus dem East River gefischt wird, fürchtet Molly, dass das die vermisste Debütantin ist, von der alle sprechen. Eine weitere Leiche macht Mollys Chaos perfekt und plötzlich befindet sich die Privatdetektivin in einem Geflecht aus Leidenschaft und Gier, das sie sogar in die Unterwelt der New Yorker Banden führt. Schnell begreift Molly, dass sie dieses Mal mehr als ihren Charme braucht, um den Fall zu lösen – und lebend aus der Sache herauszukommen.

Erste Leserstimmen
„Ich habe Molly Murphy gerne durch das historische New York begleitet, das die Autorin sehr atmosphärisch beschreibt.“
„es gibt einige total spannende Szenen und überraschende Wendungen“
„die sympathische und mutige Heldin macht den Charme der Reihe aus“
„Die Geschichte punktet mit spannenden Figuren, mit der Atmosphäre in den USA der damaligen Zeit und vor allem mit dem leichten, lockeren Schreibstil.“
„ich habe beim Lesen auch eigene Theorien aufgestellt, sah diese kurz bestätigt, um dann wieder vollkommen überrascht zu werden“

Weitere Titel dieser Reihe
Mord auf Ellis Island (ISBN: 9783960878018)
Mord in feiner Gesellschaft (ISBN: 9783960878025)

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Seitenzahl: 558

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Über dieses E-Book

Nachdem Molly Murphy die Fälle ihres verstorbenen Mentors Paddy Reilly geerbt hat, sieht ihr Alltag plötzlich ganz anders aus. Als Privatdetektivin folgt sie betrügerischen Ehemännern, spürt entlaufene Debütantinnen auf und arbeitet sogar verdeckt in einem Geschäft, um herauszufinden, wer die Kleider entwendet. Keiner dieser Jobs scheint gefährlich zu sein … Als jedoch der Körper einer Frau aus dem East River gefischt wird, fürchtet Molly, dass das die vermisste Debütantin ist, von der alle sprechen. Eine weitere Leiche macht Mollys Chaos perfekt und plötzlich befindet sich die Privatdetektivin in einem Geflecht aus Leidenschaft und Gier, das sie sogar in die Unterwelt der New Yorker Banden führt. Schnell begreift Molly, dass sie dieses Mal mehr als ihren Charme braucht, um den Fall zu lösen – und lebend aus der Sache herauszukommen.

Impressum

Deutsche Erstausgabe Februar 2020

Copyright © 2023 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96087-803-2 Hörbuch-ISBN: 978-3-98637-271-2

Copyright © 2003 by Rhys Bowen. Alle Rechte vorbehalten. Titel des englischen Originals: For the Love of Mike

Published by Arrangement with Janet Quin-Harkin. c/o JANE ROTROSEN AGENCY LLC, 318 East 51st Street, NEW YORK, NY 10022 USA.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Übersetzt von: Martin Spieß Covergestaltung: Grit Bomhauer unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com: © Mariabo2015, © Agnes Kantaruk, © faestock und © Victor Moussa Korrektorat: Lennart Janson

E-Book-Version 12.04.2023, 12:27:42.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Mord am East River

Jetzt auch als Hörbuch verfügbar!

Mord am East River
Rhys Bowen
ISBN: 978-3-98637-271-2

Eine geerbte Detektei, eine namenlose Leiche und ein betrügerischer Liebhaber – Molly Murphys dritter Fall Der neue historische Cosy Krimi für mörderisch gute Stunden

Das Hörbuch wird gesprochen von Henrike Tönnes.
Mehr Infos hier

Dieses Buch ist dem Andenken an meine Großtante Sarah gewidmet, die so mutig war wie Molly und die Arbeit in einem Ausbeuterbetrieb überlebt hat, um schließlich Lehrerin und Literatin zu werden.

Eins

J. P. Riley and Associates, Notizen von M. Murphy: Montag, 14. Oktober 1901

Bin JBT von seinem Büro in der Wall Street 38 aus gefolgt. Habe beobachtet, wie er um etwa 19:40 Uhr in der East 12th Street das Haus mit der Nummer 135 betrat.

Tatsächlich hatte ich die Uhrzeit nur geraten. Ich hatte die Uhr der Grace Church gehört, die ein paar Blocks entfernt an der Ecke 10th und Broadway geschlagen hatte, aber in meinem Beruf war es nicht gut genug, nur zu raten. Ich würde mir eine Uhr besorgen müssen. Ich spürte, wie sich meine Mutter bei solchen Gedanken im Grab umdrehte. Niemand in Ballykillin hatte je eine Uhr besessen, abgesehen von der Familie im Herrenhaus, und die zählte nicht, weil es Engländer waren. Es war ein Jammer, dass ich Paddy Rileys Taschenuhr nicht in die Finger bekommen hatte, ehe die Polizei seine Leiche fortgeschafft hatte. Jetzt hing sie vermutlich an der Uhrenkette irgendeines Sergeants und würde von dort auch nicht mehr weichen. Und ich selbst verdiente nicht genug Geld, um mir Luxusartikel leisten zu können. Wenn Sie ein echtes Geständnis wollen: Ich verdiente gar kein Geld.

Als ich mich nach einem recht ereignisreichen Sommer ohne Arbeitgeber wiederfand, hatte ich entschieden, J. P. Riley and Associates (wobei ich die einzige Partnerin war) ohne J. P. Riley weiterzuführen, und einige Scheidungsfälle übernommen, die noch auf seiner Liste standen. Der erste war von den fraglichen Parteien beigelegt worden, die sich während eines romantischen, sommerlichen Zusammentreffens in Newport, Rhode Island, versöhnt hatten. Das erfuhr ich von der Ehefrau, die mir zehn Dollar schickte, „für meine Zeit und Mühen“. Da ich durch die ganze Stadt gelaufen war und die verschiedenen Schauspielerinnen und Bordelle ausfindig gemacht hatte, die der umherstreifende Mr. Pfitzer besucht hatte, deckten die zehn Dollar kaum meine Zeit und Mühen ab, aber es gab nicht viel, was ich hätte tun können. Die Leute aus der feinen Gesellschaft kannten einander, und ich würde wohl kaum weitere Klienten finden, wenn ich die wenigen, die ich hatte, verärgerte. Aber ihre Frechheit machte mir dennoch zu schaffen. Ich fragte mich, ob sie ihrem Arzt zehn Dollar für seine Zeit und Mühen schickte, wenn der Patient sich nach seiner Behandlung erholte!

Aber ich lernte dieser Tage, meinen Mund zu halten, wenn es nötig war, und schickte der guten Frau eine Quittung für ihre Spende. Die andere Ermittlung dauerte noch an, was der Grund dafür war, dass ich einen langen, eintönigen Abend auf dem Bürgersteig der East Twelfth verbrachte, zwischen University Place und Broadway, und das Stadthaus auf der anderen Straßenseite beobachtete. Ich hatte noch nicht herausgefunden, wer dort lebte, aber ich wusste, dass es eine Frau war. Ich hatte gehört, dass der Mann, dem ich folgte – Mr. John Baker Tomlinson III. –, das Dienstmädchen gefragt hatte, ob seine Herrin zu Hause sei. Seine Herrin, wohlgemerkt, ohne Erwähnung eines Herrn. Vielleicht war ich diesmal auf eine Goldgrube gestoßen. Ein Mann von Rang konnte nach Einbruch der Dunkelheit keine Frau besuchen, die allein zu Hause war, ohne ihren Ruf aufs Spiel zu setzen.

Gegen 23 Uhr war mein Verdächtiger noch nicht wiederaufgetaucht und ich begann mich zu fragen, ob er vorhatte, über Nacht zu bleiben. Kein schöner Gedanke für ihn, wenn er am nächsten Morgen einem wütenden Ehemann gegenübertreten musste, und auch für mich nicht. Gegen neun hatte es zu regnen angefangen und ich hatte meinen Regenschirm vergessen. Ich konnte spüren, wie meine Haube von Minute zu Minute mehr durchweichte. Mein Mantel begann nach nassem Schaf zu riechen.

Ich stampfte mit den Füßen auf und ging ein wenig auf und ab, ehe ich mich daran erinnerte, dass ich unsichtbar zu sein hatte. Mein verschiedener Arbeitgeber, Paddy Riley, hatte stundenlang regungslos verharren können, eins mit dem Schatten. Ich würde nie lernen, so geduldig zu sein wie er es gewesen war; tatsächlich begann ich zu bezweifeln, ob ich überhaupt für diese Branche gemacht war. Ich mochte die Aufregung, und es war besser, als achtzehn Stunden am Tag in einem Ausbeuterbetrieb zu arbeiten oder auf dem Fulton Street Fischmarkt Fische auszunehmen, was für ein irisches Mädchen, das gerade vom Schiff herunter war, die einzigen anderen Optionen zu sein schienen. Ich hatte eine Stelle als Gesellschaftsdame angetreten, aber wir werden nicht auf meine Gründe dafür eingehen, sie wieder aufzugeben. Es war immer noch zu schmerzlich, darüber nachzudenken. Selbst nach drei Monaten wollte der Schmerz nicht vergehen. Sagen wir einfach, die Hauptantriebsfeder für mein Verharren auf einem nassen, windigen Bürgersteig, während die meisten achtbaren Leute bereits in ihren Betten lagen, war der Wille zu beweisen, dass ich es auch ohne Daniel Sullivan schaffen konnte.

Im Schlafzimmer im Obergeschoss brannte Licht – ein schwaches Glimmen, das auf eine heruntergedrehte Gaslampe hindeutete, und nicht die harte Helligkeit einer neumodischen elektrischen Glühbirne, die in dieser Stadt der letzte Schrei zu sein schienen –, aber die Vorhänge waren zugezogen. War es zu viel verlangt, dass das sündhafte Paar ans Fenster trat und sich ihre Silhouetten in leidenschaftlicher Umarmung abzeichneten? Tatsächlich hatte ich es bisher nicht vermocht, Mr. Tomlinson bei irgendeiner Tat zu erwischen, die einen Grund für eine Scheidung bieten könnte. Ich hatte mich vor seinem Büro in der Wall Street herumgetrieben. Ich war ihm zum Mittagessen in seinem Club (nur Männer) und zu mehreren Abendessen in Restaurants gefolgt (mit achtbarer Begleitung), aber es gab bisher nicht einen Hinweis, der den Verdacht seiner Frau bestätigte, dass der glanzvolle Mr. Tomlinson eine verbotene Liebschaft unterhielt.

Und wenn ich jetzt beweisen könnte, dass Mr. T. fremdgegangen war? Was dann? Ich würde einen dicken, fetten Scheck verdienen und seine Frau würde Mr. Tomlinson vor die Tür setzen – was ein Jammer wäre, weil ich ihn irgendwie mochte. Die Beobachtung aus der Ferne hatte einen höflichen, zuvorkommenden und humorvollen Mann gezeigt. Wieder fragte ich mich, ob das Leben einer Privatdetektivin wirklich für mich gemacht war. Ich wollte keine Scheidungsfälle übernehmen, auch wenn Paddy behauptet hatte, sie seien sein Broterwerb. Und Brot hatte ich im Moment gewiss nötig.

Der Regen kam jetzt vom East River herüber und zwang mich, den kaum nennenswerten Schutz einer Treppe aufzusuchen, die zu einer Eingangstür hinaufführte. Den Rücken gegen das Mauerwerk des Hauses gepresst, versuchte ich, die Vorteile zu sehen. Wenigstens verhungerte ich nicht. Ich hatte eine herrliche Bleibe und die Möglichkeit, mir selbst einen richtigen Beruf zu erarbeiten, wenn ich nur den Elementen trotzen könnte!

Ich sah auf, als das Licht im Obergeschoss gelöscht wurde. Die Vorhänge blieben geschlossen. Ich beobachtete und wartete. Nichts rührte sich, keine Tür öffnete sich, kein umherstreifender Ehemann schlich aus Nummer 135 heraus. Ich war nicht sicher, was ich als Nächstes tun sollte. Musste ich wirklich bis zum Morgen hierbleiben? Angesichts der Tatsache, dass das Wetter von Minute zu Minute schlechter wurde, keine angenehme Aussicht. Glücklicherweise hatte sich Mr. Tomlinson für seine Tändelei meine Ecke der Stadt ausgesucht. Mein eigenes Zimmer war zu Fuß nur zehn Minuten entfernt, die 5th Avenue hinunter. Ich könnte nach Hause eilen, mich umziehen, ein Bad nehmen und schlafen, und wäre wieder in Position, ehe der Morgen anbrach, diesmal mit einem Regenschirm ausgestattet. Natürlich konnte Mr. Tomlinson das Haus in der Nacht zu jeder beliebigen Zeit verlassen und ich würde meine Gelegenheit verpassen. Wenn ich meinen Posten verließ, würde er ohne Zweifel herausschlüpfen während ich schlief, und dann würde ich eine weitere Nachtwache einlegen müssen. Abgesehen davon hätte Paddy nie seinen Posten verlassen, und ich versuchte, seinem Beispiel zu folgen.

Ich beschloss, es noch eine Weile auszuhalten. Wenn irgendjemand Wind und Regen erdulden konnte, dann gewiss ich – immerhin war ich an der wilden Westküste Irlands groß geworden, wo der Regen für gewöhnlich horizontal fiel und so hart peitschte, dass er stach wie ein Schwarm Bienen. Und damals hatte ich nicht mehr als ein Schultertuch, um es mir umzulegen! Nicht diesen langen, warmen Umhang, den ich von Paddy geerbt hatte. Ich zog ihn enger um mich und steckte die Hände in die Taschen, damit sie warm blieben.

Am anderen Ende des Blocks, am Broadway, war die Stadt noch wach. Ich hörte ein Hansom-Taxi vorbeitrappeln, das Klingeln eines Straßenbahnwagens, raues Gelächter, Rufe, rennende Schritte. In dieser Stadt war es nie lange still, aber wenigstens war sie lebendig, was ich von der Grafschaft Mayo nicht gerade behaupten kann.

Ich versteifte mich, als ich eine Polizei-Pfeife hörte, aber der Wind frischte auf und die Geräusche drangen nur noch gedämpft zu mir. Dann sah ich zwei Gestalten, die auf der 12th Street auf mich zukamen. Ich erstarrte, trat hinter die Treppe und hoffte, sie würden vorübergehen, ohne mich zu bemerken. Es waren Momente wie dieser, in denen ich erkannte, dass es ein entschiedener Nachteil war, eine Frau und allein zu sein. Obwohl ich mich immer noch in einem sehr achtbaren Viertel befand, nur einen Block von den Patriziern der 5th Avenue entfernt, ging es in der anderen Richtung schnell abwärts, und der Broadway war keine Straße, auf der ich nachts gern unterwegs war. Die Schritte kamen näher – schwere, verhaltene Schritte von Stiefeln. Ich hielt den Atem an und presste mich gegen das Geländer. Sie waren beinahe an mir vorbei, als sich einer von ihnen umdrehte. Ehe ich wusste, was geschah, streckten sich mir große Hände entgegen und packten mich.

„Na, schau an, was wir hier haben, Brendan!“, dröhnte eine tiefe, irische Stimme. „Eine von ihnen ist entkommen. Und sie ist eine Wildkatze, die Kleine!“ Die letzte Bemerkung machte er, als ich mich aus seinem Griff zu winden versuchte und in Richtung seiner Schienbeine trat.

„Lassen Sie mich augenblicklich los!“ Ich klang weniger verunsichert, als ich mich fühlte. „Ich rufe die Polizei. Ich habe eine Polizei-Pfeife gehört, nur den Block runter. Sie sind sofort hier.“

„Die Polizei rufen – der war gut, was, Brendan?“ Der große Mann, der meine Handgelenke festhielt, kicherte. Sein größerer, schlankerer Begleiter lachte auch – ein höheres Kichern, dem ein Schnauben durch die Nase folgte, das ich sehr lästig fand.

„Sie glauben nicht, dass die New Yorker Polizei mit Ihresgleichen fertig wird?“ Ich versuchte immer noch ruhig und hochmütig zu bleiben. „Jetzt lassen Sie mich auf der Stelle los.“

„Eine ziemliche Unruhestifterin, und außerdem Irin“, sagte der große Mann, als er versuchte, mir die Hände auf den Rücken zu drehen, während ich darauf aus war, ihm auf die Zehen zu treten. „Wir sind die Polizei, wie du sehr genau weißt.“

Erleichterung durchflutete mich, als ich unter ihren Regenmänteln die vertrauten Uniformen erblickte. „Dann machen Sie einen schrecklichen Fehler, Officers. Ich bin keine Kriminelle. Ich bin eine achtbare Bürgerin.“

Das verursachte weitere Heiterkeit. „Eine achtbare Bürgerin – und mein Vater ist der Papst in Rom! Du bist aus dem Hinterfenster getürmt, als mein Partner und ich vor ein paar Minuten eine Razzia in Tom Sharkeys Bar durchgeführt haben. Also, wo ist dein Liebhaber hin? Hat er dich zurückgelassen, damit du die Suppe allein auslöffelst, ja?“

Mir wurde gerade erst bewusst, dass sie dachten, ich sei eine Frau mit einem ganz anderen Beruf. „Jesus, Maria und Josef. Ich glaube, Sie zwei brauchen Sehhilfen“, sagte ich wütend. „Schauen Sie mich an. Sehe ich aus wie eine Straßenprostituierte?“

„Sie sieht irgendwie nachlässig aus und sie trägt nicht mal Rouge auf den Wangen“, kommentierte Brendan. „Vielleicht irren wir uns.“

Ich entschied, diese wenig schmeichelhafte Einschätzung meiner Reize zu ignorieren. „Natürlich irren Sie sich. Aber ich nehme Ihre Entschuldigung an, angesichts der Tatsache, dass das Licht hier so schlecht ist“, sagte ich.

„Also war sie vielleicht nicht das junge Mädchen, das aus dem Bordell entwischt ist“, gestand der größere Officer ein. „Aber sie führt trotzdem nichts Gutes im Schilde. Was sollte eine achtbare Frau um diese Zeit allein draußen machen?“

„Wenn Sie es wirklich wissen wollen, ich bin Privatdetektivin und ermittle in einem Fall“, sagte ich. „Ich observiere das Haus gegenüber.“

Wenn sie zuvor heiter gewesen waren, schwappte ihre Belustigung jetzt über. Sie stießen sich gegenseitig in die Seite und stolperten laut lachend herum, während ich Queen Victoria mimte, und nicht amüsiert war.

„Wenn Sie mir nicht glauben, ich habe meine Karte in der Handtasche“, sagte ich. „Ich bin Partnerin bei J. P. Riley and Associates. Sie haben Paddy Riley bestimmt schon mal getroffen.“

„Paddy Riley?“ Der große Constable sah mich mit skeptischem Blick an. „Paddy Riley? Sie erwarten doch nicht, dass ich glaube, er würde je mit einer Frau zusammenarbeiten, oder? Er hat Frauen gehasst. Konnte ihren Anblick nicht ertragen. Und außerdem ist Paddy Riley tot und begraben, für den Fall, dass Sie das nicht wussten.“

„Natürlich weiß ich das. Ich führe das Geschäft ohne ihn weiter, oder würde es tun, wenn Sie zwei Bauerntölpel mich in Frieden lassen würden.“

Er hielt noch immer meinen Arm gepackt und ich versuchte, mich zu befreien.

„Oh nein, Sie kommen mit uns, meine Liebe. Was immer Sie getan haben, ich wette, Sie hatten nichts Gutes im Sinn.“

„Sie sagt, sie hat das Haus gegenüber observiert“, sagte der Schlanke namens Brendan und wirkte selbstgefällig. „Glaubst du, sie arbeitet vielleicht mit den Dusters zusammen und kundschaftet aus, wo es sich einzubrechen lohnt?“

„Heilige Mutter Gottes! Natürlich kundschafte ich nicht aus, wo es sich einzubrechen lohnt. Wenn Sie mich nur losließen, könnte ich unzählige, achtbare Bürger nennen, die für mich bürgen würden. Tatsächlich fürchte ich, dass Sie sehr dumm aussehen werden, wenn Sie mich mit auf die Wache nehmen, denn ich bin zufälligerweise eine gute Freundin von–“ Ich biss mir auf die Zunge und ließ den Rest des Satzes in der Luft hängen. Ich konnte es nicht erwarten, ihre Gesichter zu sehen, wenn ich ihnen sagte, dass Captain Daniel Sullivan für mich bürgen würde, aber ich wollte nicht jedes Mal, wenn ich in der Klemme saß, seinen Namen benutzen. Er wäre nur zu erfreut, mich wieder einmal daran zu erinnern, dass ich mit dem Feuer spielte und dass nichts Gutes bei dem Versuch herauskäme, Teil der Männerwelt zu werden.

„Ein guter Freund von wem, meine Liebe?“, fragte der große Officer. „Dem Bürgermeister, ja? Oder dem Gouverneur? Oder vielleicht unserem neuen Präsidenten Teddy höchst selbst?“ Er grinste den anderen Polizisten erneut an und stieß ihm in die Rippen.

„Sie werden sehen“, sagte ich, entschieden meine Würde nicht zu verlieren. Als sie mich bereits forttrugen, fügte ich hinzu: „Und bitte, lassen Sie mich runter. Ich bin kein Sack Kartoffeln. Ich habe zwei Füße und kann selbst gehen.“

„Nur solange Sie nicht zu türmen versuchen“, sagte der große Officer.

„Benutzen die Dusters jemals Frauen?“, fragte Brendan, als wir weitergingen. „Ich weiß, dass die alten Gophers einige schrecklich wilde Frauen hatten, die für sie arbeiteten, aber ich weiß nicht so viel über die Dusters.“

„Sie werden dieser Tage immer verschlagener. Keiner weiß, was sie als Nächstes versuchen“, sagte der andere Officer.

Der Regen hatte nachgelassen und das Licht der Straßenlaternen spiegelte sich in den Pfützen.

„Wer sind die Dusters?“, fragte ich.

„Die Hudson Dusters? Sie haben nie von ihnen gehört?“ Brendan klang erstaunt. „Dies ist ihr Gebiet, westlich des Broadway bis zum Hudson.“

„Sind sie eine Art Gang?“

„Eine der größten – zusammen mit den Eastmans und den Five Pointers, natürlich.“

„Das ist genug, Brendan. Sie weiß sehr wohl, wer die Dusters sind. Ich wette, einer ihrer Verräter wird sie morgen früh identifizieren.“

Hinter uns die Straße hinunter hörte ich das Geräusch einer zuschlagenden Tür. Ich sah mich um und erkannte eine große Gestalt in langem Mantel und Zylinder, die in Richtung 5th Avenue davoneilte. Sie war Mr. Tomlinson ähnlich, aber jetzt hatte ich die Gelegenheit verpasst, ihn aus dem Haus kommen zu sehen. Da einer meiner Geiselnehmer gerne plauderte, konnte ich nicht widerstehen zu fragen: „Das Haus, das ich beobachtet habe, das mit den zwei eingetopften Lorbeerbäumen neben der Eingangstür – Sie wissen nicht zufällig, wem es gehört?“

Brendan schluckte den Köder sofort. „Das ist das Haus von Mrs. Tomlinson, würdest du nicht auch sagen, Brian?“

„Dein Mundwerk wird noch mal dein Tod sein, Junge“, blaffte der ältere Polizist. „Du solltest es besser wissen. Als Nächstes leihst du ihr deinen Schlagstock, damit sie damit einbrechen kann.“

„Ich hab doch nichts Schlimmes getan ...“

Ich bekam dieses Gespräch kaum mit. Mein Verstand versuchte immer noch zu verdauen, was Brendan gesagt hatte. „Mrs. Tomlinson?“, fragte ich und sah ihn flehend an. „Sie meinen doch nicht die Frau von John Baker Tomlinson, oder? Ich bin bei ihrem Haus gewesen. Es steht auf der Eastside der 52nd Street.“

„Nein, diese hier ist eine ältere Frau – eine Witwe. Vielleicht ist sie die Mutter des Mannes.“

Wunderbar, dachte ich, als wir die 6th Avenue hinunter durch die Nässe gingen, zur Polizeiwache am Jefferson Market. Ich hatte einen gesamten Abend damit verbracht, eine Lungenentzündung zu riskieren und war verhaftet worden, nur um Mr. John Baker Tomlinson III. dabei zuzusehen, wie er seine Mutter besuchte! Wie es schien, hatte ich als Detektivin noch einen weiten Weg vor mir.

Zwei

Die Polizeiwache am Jefferson Market befand sich in einem dreieckigen Komplex, in dem es außerdem eine Feuerwache, ein Gefängnis und den Markt selbst gab. Er war nur einen Steinwurf von meinem Haus am Patchin Place entfernt und ich blickte sehnsüchtig hinüber, als wir die 10th Street überquerten.

„Sehen Sie, Officers, ich lebe auf der anderen Straßenseite“, sagte ich. „Wenn Sie mich nach Hause bringen, können meine Freundinnen für mich bürgen.“

„Sie gehen bis morgen früh nirgendwo hin“, sagte der grobe Constable und drückte warnend meinen Arm. „Wir wurden angewiesen, alle verdächtigen Personen auf die Wache zu bringen. Und eine junge Frau, die nachts alleine draußen ist, ist meiner Meinung nach verdächtig.“

„Aber ich habe Ihnen erklärt, was ich getan habe.“

„Sie können das meinem Sergeant erklären.“ Ich wurde in die Polizeiwache hineingestoßen. „Wenn er morgen früh herkommt“, fügte er hinzu.

„Sie meinen, ich muss die ganze Nacht hierbleiben?“ Zum ersten Mal bekam ich es mit der Angst zu tun. Ich war bereits im Gefängnis gewesen und hatte nicht vor, diese Erfahrung zu wiederholen. „Sie können eine unschuldige Person nicht ohne Grund einsperren.“

„Passen Sie auf, was Sie sagen, sonst kriege ich Sie dran, weil Sie sich gegen die Festnahme gewehrt haben“, sagte der Constable. „Los. Nach unten zu den Arrestzellen mit Ihnen.“

Oh, ich war versucht, den Namen von Captain Sullivan auszurufen. Ihre Gesichter zu sehen, wenn sie ihren Fehler eingestehen, wäre jede Standpauke wert, die Daniel mir halten mochte. Aber wie meine Mutter mir stets gesagt hatte, war ich mit zu viel Stolz geboren worden. Ich presste meine Lippen aufeinander und sagte nichts.

Ich wurde unsanft einen nasskalten, hallenden Flur hinuntergedrängt, der nach Urin und schalem Bier stank. Ich kam an einer Zelle voller dunkler Gestalten vorbei. Die Gestalten rührten sich, als wir vorübergingen, und männliche Stimmen riefen mir unanständige Kommentare hinterher.

„Ihr haltet die Klappe da drinnen.“ Der Constable ließ seinen Schlagstock an den Gitterstäben entlangklappern. Wir hielten vor der nächsten Zelle an. Auch ihre Vorderseite bestand aus Gitterstäben anstelle einer Mauer und sie war voller schemenhafter Gestalten. Mein Herz klopfte vor Furcht, ich könne mit Männern wie denen eingesperrt werden, an denen wir gerade vorbeigekommen waren. Ehe ich Zeit hatte, diese Furcht zum Ausdruck zu bringen, kam ein Schlüssel zum Vorschein, eine Tür mitten in den Gitterstäben schwang auf und ich wurde hineingestoßen. Ich stolperte halb und war dankbar, als ich einen zierlichen Fuß und einen Rock erblickte.

„Hier drüben, Liebchen“, sagte eine kratzige Stimme aus der Dunkelheit. „Beweg deinen Hintern, Flossie. Das arme Ding sieht aus, als würde sie gleich ohnmächtig.“

Ich war nicht wirklich die Sorte Frau, die ohnmächtig wurde, aber dies war nicht der Augenblick, um gegen meine offensichtliche Zerbrechlichkeit zu protestieren. Ich lächelte dankbar und setzte mich auf die paar Zoll einer hölzernen Pritsche, die mir angeboten worden waren. Als meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, sah ich, dass meine Zellengenossinnen tatsächlich dem Beruf nachgingen, der mir unterstellt worden war. Sie waren zu fünft, trugen Rouge und Puder, hatten leuchtend rote Lippen und Haar, das sich zu lächerlichen Schmalzlocken auftürmte. Eine trug ein schwarzes, französisches Korsett, das ihre Brüste wie überreife Melonen anhob. Allerdings kein Kleid über dem Korsett – nur das Korsett und einen glänzenden, schwarzen Rock. Der Rock war hochgeschürzt, weil sie auf dem Boden saß, und entblößte schwarze Netzstrümpfe und hochhakige Stiefel. Flossie auf der Bank trug ein tief ausgeschnittenes Seidenkleid. Die andere Frau auf der Bank hatte ihr Schultertuch um sich gewickelt und versuchte zu schlafen. Im Gegensatz zu den anderen sah sie jung und unschuldig aus, abgesehen von den Rougekreisen auf ihren Wagen und den leuchtenden Lippen. Ich versuchte, nicht zu offensichtlich zu starren.

„Wofür bist du hier, Schätzchen?“, fragte die kratzige Stimme. Sie gehörte der großen Frau, die in der Ecke auf dem Boden saß und die Beine zu einer höchst unweiblichen Pose auseinandergespreizt hatte. Sie trug eine Straußenfeder im Haar und eine Federboa um den Hals.

Ich hielt es für weise, nicht zu sagen, dass ich eine Detektivin war. Das mochte mich zur Feindin machen, und ich musste eine ganze Nacht in ihrer Gegenwart verbringen. In den Monaten, seit ich aus Irland geflohen und nach New York gekommen war, hatte ich gelernt zu lügen, ohne mit der Wimper zu zucken. Als die Polizeibeamten mich aufgegriffen hatten, hatte ich ausnahmsweise einmal versucht die Wahrheit zu sagen, und sehen Sie, was es mir gebracht hat.

„Ich fürchte, die Officers haben einen schrecklichen Fehler gemacht“, sagte ich und versuchte, süß und zu sittsam klingen. „Weil sie mich fanden, als ich auf meinem Heimweg von einem Rendezvous mit einem jungen Mann vor dem Regen Zuflucht suchte, dachten sie, ich wäre – eine von euch.“

Das verursachte große Heiterkeit. „Dachten, du wärst eine von uns – der ist gut.“ Die Brüste der großen, ungepflegten hoben sich, als sie lachte. „So wie du angezogen bist, würdest du nicht viele Kunden kriegen, Liebchen.“

„Sie sollten sich die Augen untersuchen lassen“, stimmte die im Korsett zu. „Schau dich an. Jeder kann sehen, dass du eine anständige, junge Frau bist und kein Gesindel von der Straße.“

„Sie werden größenwahnsinnig, das ist das Problem mit den Polizisten in der Gegend“, warf Flossie im roten Kleid ein. „Ein Mädchen ist nicht in Sicherheit, selbst wenn sie ihr Schutzgeld gezahlt hat. Nur weil ein Tammany-Bürgermeister im Rathaus sitzt, denken die Polizisten, sie können tun, was sie verdammt noch mal wollen und niemand hält sie auf.“

„Sprache, Bessie, hier ist eine junge Dame anwesend“, ermahnte die Ungepflegte sie. Sie lehnte sich herüber und tätschelte mein Knie. „Mach dir keine Sorgen, Liebchen. Du bist morgen früh hier raus und all das wird wirken wie ein böser Traum.“

Ich sah mich in der Zelle um und stellte fest, dass das junge Mädchen wach war und mich anstarrte. Sie hatte große, dunkle Augen und sah mich mit einem so wehmütigen Ausdruck an, dass es mir beinahe das Herz brach. Dir wird es wie ein böser Traum vorkommen, sagte der Ausdruck. Für mich wird es morgen kein Erwachen geben.

Ich schloss die Augen, lehnte mich an die kalten Ziegel und versuchte zu schlafen. Aber der Schlaf wollte nicht kommen. Jetzt, da ich meine ursprüngliche Furcht überwunden hatte, war ich so wütend, dass ich der Ungerechtigkeit der ganzen Sache wegen hätte in die Luft gehen können. Das alles wäre nie passiert, wäre ich ein Mann gewesen. Männer konnten sich in der Stadt bewegen, wann und wo sie wollten. Aber eine einsame Frau, nachts und ohne Begleitung, wurde augenblicklich verdächtigt, nichts Gutes im Schilde zu führen. Ich hatte bereits erkannt, dass es viele Dinge gab, die Paddy Riley tun konnte, ich aber nicht. Er hatte Kontakte zu Gangs und zur Polizei gehabt. Er hatte regelmäßig verschiedene Bars aufgesucht. Er hatte sich frei und unbemerkt durch die schlimmsten Viertel bewegen und sein Erscheinungsbild einfach mit einem Bart oder Schnurrbart ändern können. Ich hatte einmal versucht, mich als Junge zu verkleiden, und war über die Freiheiten erstaunt gewesen, die es mir verschafft hatte. Natürlich hatte Paddy das sofort durchschaut, aber vielleicht sollte ich darüber nachdenken, eine solche Verkleidung erneut zu verwenden, wenn ich weitere peinliche Zusammenstöße mit der Polizei vermeiden wollte.

Andererseits sollte ich vielleicht den Plan aufgeben, Paddys Geschäft weiterzuführen. Scheidungsfälle mochten Paddys Broterwerb gewesen sein, aber meine kurze Bekanntschaft mit ihnen hatte mich entscheiden lassen, dass sie nichts für mich waren. Ich empfand sie als unbedeutend, kleinlich und verkommen. Wenn ich diesen Beruf überhaupt weiter ausüben wollte, sollte ich meinen ursprünglichen Plan verfolgen – Einwanderer finden, die den Kontakt zu ihren Familien in Europa verloren hatten. Wenigstens würde ich dann etwas Positives tun.

Ich hätte diesen Gedankengang nie beginnen sollen. Meine Gedanken wanderten von den Einwanderern nach Ellis Island, zu meinen eigenen unerfreulichen Erfahrungen dort und dann zu der kleinen Familie, die ich mit mir gebracht hatte, weil ihre Mutter nicht mit ihnen reisen konnte. Ich wünschte, ich hätte diese besondere Sorge nicht wiederaufgewärmt. Ich hatte gedacht, meine Arbeit wäre getan, als ich die Kinder ihrem Vater übergeben hatte. Das war sie nicht. Der Vater, Seamus, hatte nicht arbeiten können, seit er bei einem Einsturz des neuen U-Bahn-Tunnels beinahe sein Leben verloren hatte. Sie waren aus der Wohnung geworfen worden, die ich für sie gefunden hatte, und das Letzte, was ich gehört hatte, war, dass sie wieder bei Verwandten in der Lower East Side lebten. Die Tatsache, dass ich nicht einmal meinem schlimmsten Feind diese Verwandten an den Hals gewünscht hätte und dass ich die beiden Kleinen erstaunlich liebgewonnen hatte, nagte an meinem Gewissen. Ich wusste, dass ich etwas hätte tun müssen, um sie zu retten, aber ich wusste auch, dass das bedeutete, diese äußerst herrlichen Umstände zu verlassen, in denen ich gerade lebte. Mein großes Zimmer im Obergeschoss im Haus meiner Freunde am Patchin Place war fast wie der Himmel. Mit Künstlerinnen, Schriftstellerinnen und Denkerinnen in einem Haus zu leben hatte es sogar etwas besser gemacht als den Himmel.

Ich hatte es hinausgeschoben, irgendeine Entscheidung zu treffen, in der Hoffnung, dass Seamus bald gesund genug für die Arbeit sein und eine gute Wohnung für seine Familie finden würde. Jetzt schien es, als würde er nie wieder gesund genug sein, um schwere, körperliche Arbeit zu verrichten. Was bedeutete, dass es an mir war, sie aus dem Drecksloch in der Lower East Side und vor dem Drachen von einer Cousine zu retten. Ich seufzte schwer. Das Leben schien eine andauernde Achterbahnfahrt zu sein – in der einen Minute oben auf dem Hügel, während man in der nächsten eilig abwärts in die Tiefe rauschte.

Ich hätte auch nicht anfangen sollen, über Achterbahnen nachzudenken. Augenblicklich führten meine Gedanken mich zu glücklicheren Tagen, als Daniel Sullivan mit mir nach Coney Island gefahren war. Ich lächelte bei der Erinnerung daran. Daniel hatte erwartet, dass ich schreien, bewusstlos werden oder mich an ihn klammern würde, als wir in die Tiefe gerauscht waren. Stattdessen hatte ich laut gelacht. Als wir das nächste Mal eine Abfahrt begannen, hatte er mich geküsst und wir hatten es kaum mitbekommen, dass der Wagen unten angekommen war. Ich stellte diese Erinnerung eilig ab. Es würde nichts Gutes bringen, wenn ich mich mit diesem Teil meiner Vergangenheit befasste. Außerdem schien es verschwommen und wie in einem Traum, als wäre es etwas, das ich in einem Buch gelesen hatte.

Ich sah mich in der Zelle um. Es war still geworden. Das junge Mädchen neben mir schlief wie ein engelsgleiches Kind. Von der vollbusigen Frau am Boden drang heftiges Schnarchen herüber. Ich schloss die Augen und fiel in unruhigen Schlaf.

Das Klappern eines Schlagstocks weckte mich. Das erste graue Licht fiel durch ein hohes Fenster herein. Es war kalt und zugig in der Zelle. Die Tür wurde kurz geöffnet und ein Tablett voller Zinnkrüge mit dunkler, heißer Flüssigkeit wurde hereingeschoben. Ich nahm den Becher, der mir gereicht wurde. Es war Kaffee, wenigstens glaube ich das. Ich sehnte mich nach einem heißen Getränk, aber mein Blick fiel auf den Eimer in der Ecke, den eine der Frauen gerade geräuschvoll benutzte. Für nichts in der Welt würde ich ihrem Beispiel folgen. Ich stellte den Becher unangetastet ab und fragte mich, wie lange es dauern würde, bis der Sergeant käme und ich entlassen würde. Ich öffnete meine Handtasche, die ich die ganze Nacht umklammert hatte, und nahm meinen Kamm heraus. Wenigstens würde ich versuchen, achtbar auszusehen, wenn sie mich abholten.

Ein wenig später hörte ich tiefe Stimmen und das Geräusch schwerer Stiefel, die den Flur hinunterhallten.

„Das Haus hinter Tom Sharkeys Bar, sagen Sie. Sie arbeiten also für die Dusters, Harry?“, hörte ich eine Stimme sagen.

„Kann ich nicht sagen, Sir. Niemand hat sie bisher befragt. Sie können sie sich selbst ansehen und schauen, ob Sie eine von ihnen erkennen. Hier unten links.“

Die Schritte kamen näher. Ein kahl werdender, uniformierter Sergeant stand vor den Gitterstäben und hinter ihm ein größerer, schlankerer Mann mit widerspenstigen, dunklen Locken, die seiner Melone entkamen. Wenn ich die Zeit gehabt hätte, hätte ich mir meinen Mantel über den Kopf gezogen. Sein Blick fiel auf mich, als ich mich in die Ecke zurückzog und mir wünschte, irgendwo anders zu sein. „Heilige Mutter– Was ist mit der, Harry? Warum ist sie hier?“

„Nicht sicher, Sir. Wurde gefunden, als sie spät nachts auf der Straße herumlungerte, wie ich hörte. Konnte keine anständige Erklärung dafür geben. Meine Jungs dachten, sie stünde vielleicht für die Dusters Schmiere, angesichts ihres Aufenthaltsortes.“

„Dachten sie das? Nun, ist das nicht interessant?“ Die dunklen Augen des Mannes funkelten vor Vergnügen. „Bringen Sie sie raus, Harry. Ich werde sie selbst befragen.“

„Dann raus mit Ihnen.“ Der Sergeant bedeutete mir, zur Tür zu kommen. „Nicht ihr, Mädchen. Bleibt zurück oder ihr kriegt meinen Schlagstock auf die Knöchel.“

„Auf Wiedersehen, Liebchen. Viel Glück. Lass dir von dem Abschaum keine Angst machen.“

Die Wünsche hallten mir nach, als ich neben dem Sergeant den Flur hinunterging. Eine weitere Tür öffnete sich. Ich wurde hineingestoßen.

„Benehmen Sie sich und beantworten Sie die Fragen des Captains, dann wird Ihnen nichts geschehen.“

Die Tür schloss sich hinter uns und ich sah in das Gesicht des Captains hinauf.

„Sie haben es gehört“, sagte er und sein Blick hielt meinen. „Ihnen wird nichts geschehen, wenn Sie mir nur gehorchen.“

„Sehr witzig, Daniel“, sagte ich. „Ich schätze, du hältst es für überaus amüsant, dass ich die Nacht in einem Raum voller leichter Mädchen verbringen musste.“

Ich sah, wie er ein Kichern unterdrückte. „Nein, ich bin sicher, dass es für dich ganz und gar nicht komisch war. Du gerätst wirklich in die unmöglichsten Umstände, Molly. Was war es dieses Mal?“

„Ich habe mich um meine eigenen Angelegenheiten gekümmert und ein Haus in der East 12th Street observiert, als zwei deiner großen Bauerntölpel-Constables mich gepackt haben und andeuteten, ich sei eine geflohene Prostituierte.“

Dieses Mal lächelte Daniel Sullivan.

„Als ob ich aussehe wie ein leichtes Mädchen!“, blaffte ich. „Ich habe ihnen gesagt, dass ich eine Ermittlerin bin und ein Haus observiere, aber sie wollten mir nicht glauben. Sie haben mich ausgelacht. Sie dachten, ich arbeite für irgendeine Gang und kundschafte ein Haus aus, das sich auszurauben lohnt, wenn du das glauben kannst. Ich wurde noch nie zuvor in meinem Leben so beleidigt.“

Daniel legte mir seine Hände auf die Schultern. „Immer mit der Ruhe, Molly. Sie haben ihre Befugnisse nicht überschritten. Sie hatten den Befehl, jede verdächtige Person festzunehmen, und ich bin mir sicher, du bist ihnen verdächtig erschienen.“

„Wäre ich Paddy gewesen, hätten sie weggeschaut und wären vorbeigegangen.“

„Natürlich. Jeder kannte Paddy.“

„Und er war ein Mann.“

„Auch das.“ Seine großen, beruhigenden Hände drückten meine Schultern. „Molly, wann gibst du diese dumme Idee auf? Frauen können einfach keine Ermittler sein. Du hast selbst gesehen, dass es nicht funktioniert. Gestern Nacht war es nur für dich peinlich. Das nächste Mal könnte es schlimmer sein – die Gerüchte über Mädchenhandel sind ganz und gar keine Übertreibung, weißt du. Prostituierte haben kein langes Leben, und Ersatz steht nicht gerade Schlange, um sich freiwillig zu melden. Eine junge Frau, die nachts allein auf der Straße ist, ist genau das, wonach sie suchen.“ Ein Bild von dem jungen Mädchen, das mich voller Traurigkeit und Sehnsucht angesehen hatte, blitzte in meinen Gedanken auf. Ich erschauderte. „Und dann sind da noch die Gangs“, fuhr Daniel fort. Er machte eine Pause, während er noch immer meine Schultern hielt und ernst zu mir herunterblickte. „Im Moment tobt ein Krieg zwischen zwei der schlimmsten Gangs der Stadt. Die Hudson Dusters und die Eastmans kämpfen um das Gebiet und die Kontrolle des Kokainhandels. Und die dritte Gang, die Five Pointers, hofft, ihre Unternehmungen auszuweiten, während die Rivalen sich gegenseitig an die Gurgel gehen. Ein übles Geschäft. Letzte Nacht lagen zwei tote Männer in der Gasse hinter Tom Sharkeys Bar. Keine Gang gibt zu, einen von ihnen zu kennen. Sie hatten keine Ausweise dabei. Wenn kein Familienmitglied sie als vermisst meldet, werden sie auf dem Armenfriedhof begraben und wir erfahren nie ihre Namen. Vielleicht waren es Gangmitglieder, vielleicht auch unschuldige Männer, die zur falschen Zeit am falschen Ort ins Kreuzfeuer gerieten. Verstehst du, was ich dir sagen will?“

„Du meinst, dass ich nachts nicht alleine auf der Straße sein sollte.“

„Präzise. Und warum um Himmels willen hast du mich nicht rufen lassen, als sie dich letzte Nacht festnahmen? Ich hätte dich innerhalb von Sekunden freibekommen, und du hättest die Nacht nicht im Gefängnis verbringen müssen.“

„Weil ich meinen Stolz habe“, sagte ich. „Weil ich wusste, dass du dich genauso verhalten würdest, wie du es jetzt tust.“ Ich holte tief Luft. „Und weil ich dir nichts bedeute.“

„Mir nichts bedeuten – wie kannst du das sagen?“

Ich war die ganze Zeit über so stark gewesen. Jetzt war ich erschöpft, erleichtert, und Daniels Hände auf meinen Schultern verunsicherten mich. Ich hatte das schreckliche Gefühl, ich könnte jeden Augenblick zusammenbrechen und weinen. Ich rang um Beherrschung. „Ich habe noch nicht in der Times gelesen, dass Mrs. Norton ihre Verlobung gelöst hat“, sagte ich steif.

„Noch nicht, nein.“

„Dann kann ich dir nichts bedeuten, Daniel. Wir haben das bereits durchgekaut. Wenn du mich jetzt einfach loslassen würdest, ich möchte nach Hause.“

„Ich will dich nicht loslassen, Molly“, sagte er mit einem Blick, der mich nur noch unsicherer machte. „Das weißt du. Ich will, dass du Geduld hast, bis ich die Dinge geregelt habe.“

„Du wirst deine Verlobung nie lösen“, sagte ich kühl. „Nicht, solange deine Karriere auf dem Spiel steht.“

„Gib mir Zeit, Molly, ich flehe dich an. Ich liebe dich, weißt du.“

Ich hielt seinen Blick. „Nicht genug, Daniel.“

Seine Hände glitten von meinen Schultern. „Du darfst gehen“, sagte er.

Ich verließ das Zimmer ohne zurückzusehen.

Drei

Als ich die Vordertür von Patchin Place Nummer 9 schloss, rief eine Stimme: „Sie ist hier, Gus, sie ist hier!“, und Sid, die einen gletscherblauen Seidenpyjama trug, flog die Treppe hinunter auf mich zu, gefolgt von Gus, die in einen riesigen, chinesischen Morgenrock gehüllt war. Ihre Gesichter waren ein Bild von Erleichterung und Freude.

„Molly, wo bist du gewesen? Wir waren krank vor Sorge“, rief Gus über Sids Schulter hinweg. „Wir waren die halbe Nacht draußen, haben die Gegend durchstreift und nach dir gesucht.“

„Es tut mir leid, dass ich euch so viel Sorge bereitet habe“, sagte ich. „Ich hätte euch benachrichtigen lassen, wenn ich gekonnt hätte. Ich wurde verhaftet und habe die Nacht nur einen Steinwurf von hier verbracht, in der Polizeiwache am Jefferson Market.“

„Du wurdest verhaftet?“, fragte Sid und sah jetzt amüsiert aus, nicht entsetzt, wie es eine achtbarere Frau getan hätte. „Molly, meine Süße, was hast du getan?“

„Nichts. Das war das Ärgerliche daran. Ich ging meinen Geschäften nach, stand auf einer gewöhnlichen Straße und habe ein Wohnhaus observiert. Ich wurde von der Polizei aufgegriffen, weil keine anständige, junge Frau nachts alleine draußen sein sollte.“

„Was für eine Frechheit“, sagte Sid. Sie half mir aus dem Mantel, der immer noch feucht war und nach nassem Schaf roch. „Deine Kleider sind vollkommen durchnässt“, fügte sie hinzu, als sie ihn aufhängte. „Gus lässt dir besser ein Bad ein. Und ich gehe in die Küche und mache uns allen starken Kaffee. Wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht, dass wir noch nicht einmal daran gedacht haben, in die Bäckerei zu gehen und Brötchen zu holen. Aber ich werde dem abhelfen, sobald ich den Kaffee aufgesetzt habe.“

„Komm, Molly, die Treppe rauf mit dir.“ Gus führte mich die Stufen hinauf, und als ich aus meinen nassen Sachen raus war und meinen Bademantel anhatte, stieg bereits Dampf aus der riesigen Badewanne mit Krallenfüßen auf, die der Stolz unseres Badezimmers war. „Ich lasse dich sogar meine Pariser Seife benutzen, damit du dir lieblich und dekadent vorkommst“, sagte Gus mit einem verruchten Grinsen, als sie die Tür schloss.

Ich ließ mich vorsichtig ins Wasser gleiten, lehnte mich zurück und dachte daran, was für ein Glück ich hatte, solche wunderbaren Freundinnen zu haben. Ihre Namen waren selbstverständlich nicht wirklich Sid und Gus. Sie hatten von ihren Eltern die konventionelleren Namen Elena Miriam Goldfarb und Augusta Mary Wolcott bekommen, aber in Greenwich Village, wo wir lebten, waren sie stets Sid und Gus. Sie waren außerdem im Grunde genommen ein Paar – etwas, dem ich in meinem behüteten irischen Leben nicht begegnet war. Zu Hause wären sie gesellschaftlich Ausgestoßene gewesen, über die hinter zugezogenen Vorhängen geflüstert worden wäre. In der Gesellschaft, in der Sid und Gus sich bewegten, gab es keine Regeln. Ich fand das höchst erfreulich und hatte sie beide sehr liebgewonnen. Sie wiederum behandelten mich wie ein vergöttertes Kind, das nichts falsch machen konnte.

Als das Wasser sich langsam abkühlte, fühlte ich mich entspannt, energiegeladen und wieder zu allem bereit. Ich kam die Treppe herunter, fand frische Brötchen von der französischen Bäckerei um die Ecke auf dem Küchentisch und roch das wundervolle Aroma von Sids türkischem Kaffee. Ich kann nicht sagen, dass ich türkischen Kaffee je so zu lieben gelernt hatte wie sie, aber in diesem Augenblick war er eindeutig ein Symbol dafür, zu Hause zu sein, wo alles wieder in Ordnung war.

„Also, erzähl, Molly. Wir sind recht gespannt“, sagte Sid, zog neben mir einen Stuhl heran und brach ein Brötchen auf. Sie hatte den Seidenpyjama abgelegt und trug eine dunkelgraue Hose und ein smaragdgrünes Smoking-Jackett für Männer, das ihr kurzes, schwarzes Haar wundervoll auffing.

„Nicht, ehe sie etwas gegessen hat, Sid. Das arme Ding hat eine Tortur hinter sich“, sagte Gus, nahm Sid den Brötchenkorb ab und reichte ihn mir. „Sie sind noch warm. Himmlisch.“ Sie trug immer noch ihren Morgenrock, ihre hellbraunen Locken fielen noch immer wild und ungezähmt um ihr elfengleiches Gesicht.

Ich trank einen Schluck von der sirupartigen Flüssigkeit und aß dann einen Bissen warmes Brötchen mit schmelzender Butter und Aprikosenmarmelade. Es fühlte sich gut an, wieder am Leben zu sein.

„Ihr erratet nie, warum sie mich überhaupt aufgegriffen haben“, sagte ich und blickte mit einem Grinsen von meinem Brötchen auf. „Sie dachten, ich sei eine Straßenprostituierte.“

„Du? Waren es besonders kurzsichtige Polizisten?“, fragte Sid.

„Es war dunkel und offenbar hatten sie in einem nahegelegenen Bordell gerade eine Razzia durchgeführt.“

„Warum haben sie dich dann nicht in dem Moment freigelassen, als klar war, dass du nicht diese Art Frau bist?“, fragte Gus.

„Sie entschieden, dass ich nichts Gutes im Schilde führen konnte, wenn ich allein mitten in der Nacht dort herumlungerte. Sie dachten, ich stünde vielleicht für eine Gang Schmiere.“

„Molly die Gangsterbraut! Das wird ja immer besser“, prustete Sid mit einem Mund voller Krümel.

„Ich bin sicher, für die arme Molly war es nicht sehr amüsant.“ Gus tätschelte meine Hand. „Eine Nacht in einer schrecklichen Gefängniszelle. Wie entsetzlich für dich, meine Süße.“

„Es war nicht allzu schlimm. Die Zelle war voller Prostituierter, aber sie hätten nicht freundlicher zu mir sein können. Sie wussten so gut wie ich, dass ich fälschlicherweise verhaftet worden war.“

„Also trat heute Morgen vermutlich jemand mit Verstand seinen Dienst an, hat einen Blick auf dich geworfen und erkannt, dass ein schrecklicher Fehler gemacht worden war.“ Sid streckte eine Hand aus und schenkte mir Kaffee nach, ohne dass ich sie danach gefragt hatte.

Ich schnitt eine Grimasse. „Der Mensch, der seinen Dienst antrat, war kein anderer als Daniel Sullivan – der letzte Mensch auf der Welt, den ich unter solchen Umständen hätte sehen wollen.“

„Sullivan der Schwindler, meinst du?“, fragte Gus. Sie waren sich meiner Geschichte nur allzu bewusst und hielten angesichts seiner Taten nicht viel von ihm. „Wieso hast du seinen Namen nicht benutzt, um letzte Nacht freigelassen zu werden? Das ist das Mindeste, was er für dich tun kann, nachdem er so leichtfertig mit deiner Zuneigung umgegangen ist.“

„Ich weigere mich, Daniel Sullivan um Hilfe zu bitten. Mein Stolz lässt das nicht zu. Und außerdem wusste ich, dass er nur sagen würde, dass er es mir ja gleich gesagt hätte – und genau das hat er getan.“

„Ich nehme also an, dass er seine Verlobung noch nicht gelöst hat?“

„Lasst uns nicht darüber reden“, sagte ich. Ich nahm mir ein weiteres Brötchen. „Und wollt ihr das absolute Ärgernis des Abends hören? Als die Polizei mich wegführte, fand ich heraus, dass ich meinem sündigen Ehemann zum Haus seiner Mutter gefolgt war, nicht zu dem seines Flittchens.“

Sie brachen beide in Gelächter aus.

„Du hast den Abend damit verbracht, ihm nachzuspionieren, während er seine Mutter besucht hat? Oh, das ist absurd.“

Ich musste auch lachen. „Woher sollte ich das wissen? Alles, was ich wusste, war, dass er eine Frau besucht. Es kam mir nie in den Sinn, dass die Frau seine Mutter sein könnte.“

„Arme, süße Molly“, sagte Gus immer noch lächelnd. „Ich wünschte, du würdest dieses hochgefährliche Leben aufgeben und etwas Vernünftiges werden, wie Schriftstellerin oder Malerin.“

„Ich habe mich gestern Nacht entschieden aufzuhören“, sagte ich. „Zumindest mit Scheidungsfällen. Ich stelle fest, dass sie einen schlechten Nachgeschmack hinterlassen. Ich weiß, sie waren Paddys Broterwerb, aber ...“

„Aber sie sind nicht dein Fall“, beendete Sid für mich und war über ihren eigenen Scharfsinn erfreut.

„Genau. Ich werde mich meiner ursprünglichen Absicht zuwenden und versuchen, Familien wiederzuvereinigen. Ich habe entschieden, eine Anzeige in den irischen Zeitungen zu schalten und zu schauen, ob mir das irgendwelche Kundschaft bringt. Wenn nicht, denke ich darüber nach, den Beruf zu wechseln.“

Sid sprang auf, als sie das Geräusch der Morgenpost hörte, die auf unserer Fußmatte landete. Sie kam mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht zurück. „Schaut euch das an. Eine Postkarte von Ryan.“

Das war selbstverständlich unser Freund, der reizende, extravagante und verdrießliche irische Stückeschreiber Ryan O’Hare.

„Wo ist er?“ Gus sprang auf und spähte über Sids Schulter, um die Postkarte zu betrachten. „Der Poststempel ist aus Pittsburgh.“

„Das sagt er auch. Hört zu: ‚Grüße aus dem Land von Rauch und Dunst. Heute haben wir in Pittsburgh Premiere, aber der Gedanke daran, was diese Vulkanbewohner von einer boshaften, kultivierten Satire halten werden, lässt mich erschaudern. Nach Cleveland bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass ich recht hatte. Außerhalb von New York endet die Zivilisation. Die Luft hier kann man kaum atmen. Mein nächtlicher Husten kommt dem der Kameliendame gleich, vielleicht komme ich sogar schwindsüchtig zurück ... Euer schwer leidender und trübseliger Ryan O’Hare, Stückeschreiber der Extraklasse.‘“

Sid und Gus sahen sich an und lachten. „Typisch Ryan. Alles muss dramatisch sein“, sagte Gus. „Jetzt stirbt er schon an der Schwindsucht.“

„Natürlich fühle ich mit ihm“, sagte Sid. „Es war überaus bedauerlich, dass Präsident McKinley starb, kurz bevor sein Stück aufgeführt werden sollte. Es war nicht seine Schuld, dass alle Theater wegen Staatstrauer einen Monat lang geschlossen blieben. Es ergibt also Sinn, mit dem Stück auf Tour zu gehen, ehe man New York angeht, auch wenn diese Tour Pittsburgh einschließt.“

„Hoffen wir, dass er voller Triumph ins Daley Theater zurückkehrt, so wie er es geplant hat“, sagte Gus. „Was meinst du, Liebste, ist in der Kanne noch ein wenig Kaffee?“

Ich hörte zu, wie sie fröhlich plauderten, aber meine Gedanken bewegten sich anderswo hin. Etwas an Ryans Postkarte hatte mich mit einem unbehaglichen Gefühl zurückgelassen. Wir waren freilich zusammen gewesen, als der Präsident erschossen worden war. Das würde jeden Unbehagen verspüren lassen, aber es war vorbei. Der arme Präsident war tot und begraben und das Leben wieder zur Normalität zurückkehrt. Dann erkannte ich, was es war – Ryans Erwähnung der Schwindsucht. Mein nagendes Gewissen kam zu mir zurück. Die arme Kathleen O’Connor starb zu Hause in Irland an der Schwindsucht, während ich ihre Kinder mehr im Stich gelassen hatte, als ich sollte. Ich beschloss, sie an eben diesem Morgen zu besuchen. Wenn ihre Umstände nicht zufriedenstellend waren, würde ich etwas dagegen unternehmen, egal wie sehr ich es hassen würde, dieses wundervolle Leben voller unbürgerlicher Leichtigkeit zu verlassen.

Ich stand auf. „Ich sollte ausgehen“, sagte ich.

Sie waren augenblicklich an meiner Seite, die Postkarte von Ryan war vergessen. „Du wirst nichts dergleichen tun“, sagte Gus. Trotz ihres zierlichen Erscheinungsbilds konnte sie ziemlich kräftig sein. „Du hast gerade eine Nacht in feuchter Kleidung im Gefängnis verbracht. Du musst dich gut und lange ausruhen.“

Ich versuchte zu protestieren, aber Sid nahm meinen Arm. „Keine Widerrede. Nun hoch mit dir, wir werden dich zum Mittagessen wecken.“

Ich hielt es für das Beste, nicht weiter zu protestieren. Ich ging die beiden Treppen zu meinem Zimmer hinauf, öffnete die Fenster und legte mich aufs Bett. Herrlicher, herbstlicher Sonnenschein fiel durch das Fenster herein, zusammen mit dem Zirpen emsiger Spatzen draußen in den Büschen. Ich hätte mich Meilen von der Stadt entfernt wähnen können. Wie könnte ich das hier nur aufgeben? Ich versuchte zu schlafen, aber mein Verstand war aufgedrehter als eine aufgezogene Uhrfeder. Am Ende gab ich es auf, zog meinen Geschäftsanzug an – da mein dunkler Rock am Saum immer noch durchweicht war – und schlich wie ein ungezogenes Kind die Treppe hinunter. Ich verließ den Patchin Place und ging schräg über den Washington Square, bis ich die Bowery erreichte. Dann ging ich Richtung Süden in die Lower East Side, wo Seamus und seine Familie jetzt wieder lebten.

Ich hielt bei einem Schlachter an und kaufte ein Huhn und bei einem Gemüsehändler holte ich Weintrauben, weil ich mich daran erinnerte, dass Seamus sie gemocht hatte. Dann fügte ich an einem Straßenstand zwei Lutscher hinzu. Wenn Sie sich fragen, wo das Geld herkam, da ich ja noch keines verdiente: Ich zahlte mir einen bescheidenen Lohn von dem Geld, das Paddy im Geschäft gelassen hatte – oder zutreffender, das Geld, das ich versteckt unten in der Schublade eines Aktenschranks gefunden hatte. Ich war nicht so naiv gewesen, es der Polizei auszuhändigen, sondern hatte ein Bankkonto eröffnet, bis ein Angehöriger es beanspruchen würde. Bisher hatte kein Angehöriger es beansprucht.

Als ich weiterging, wurden die Straßen lauter, dreckiger und stinkender, die Gebäude wurden höher, standen dichtgedrängt, schlossen das Sonnenlicht aus und gaben mir das Gefühl eingeengt zu sein. Erinnerungen an meine Ankunft in New York und die ersten unangenehmen Tage auf diesen Straßen überfluteten mich. Wie lange das her zu sein schien. War es wirklich weniger als ein Jahr her, dass ich auf diesen Straßen unterwegs war, mittellos, ängstlich und ohne Bleibe? Ich zog Bilanz darüber, wie weit ich es gebracht hatte und fühlte mich sofort viel fröhlicher.

Als ich durchs jüdische Viertel kam, die Hester Street, dann Rivington und Delancey überquerte, waren die Straßen von Menschen verstopft – überall Handkarren, beladen mit allen Arten von Handelsgütern. Verkäufer priesen ihre Waren in Sprachen an, die ich nicht verstand. Hühner und Gänse hingen aufgereiht an ihren Hälsen. Seltsames Essen brutzelte auf provisorischen Kochstellen und verbreitete exotische, würzige Düfte. Voller Interesse sah ich zu einem Händler hinüber, der fette, grüne Essiggurken aus einem Fass hervorholte, wie ein Zauberkünstler Kaninchen aus einem Hut zaubern würde. Ich fragte mich, wie sie wohl schmeckten und war versucht, stehen zu bleiben und eine zu kaufen. Es gab so viele Dinge in der Welt, die mir noch fremd waren. Eines Tages sollte ich mir die Zeit nehmen, sie alle zu probieren. Aber die mir zugeworfenen, argwöhnischen Blicke von bärtigen Männer mit hohen, schwarzen Hüten und Frauen, die mit Körben in den Armen an mir vorbeikamen und ernste, dunkeläugige Kinder hinter sich herzogen, ließen mich deutlich wissen, dass ich eine Außenseiterin war, die in ihrem Territorium nichts verloren hatte. Mein leuchtend rotes Haar und irisches Aussehen waren für eine angehende Detektivin definitiv von Nachteil. Paddy konnte sich überall gut unters Volk mischen. Mir fiel es schwer, irgendwie nicht-irisch auszusehen.

Es war dasselbe, als ich den italienischen Teil im Süden betrat. Die Straßen hallten wider von den Stimmen der Männer, die sich angeregt unterhielten, über unseren Köpfen flatterte Wäsche, alte schwarzgekleidete Frauen saßen im morgendlichen Sonnenschein auf den Treppen vor Hauseingängen, Säuglinge schrien, Kinder spielten, ich sah weitere Handkarren mit verschiedenen Waren – Gläser mit Oliven, Gefäße mit Olivenöl, Krüge mit etwas, das aussah wie dünne Stangen, von denen ich annahm, dass es ungekochte Spaghetti waren – dazwischen ich, mit dem entschiedenen Gefühl, eine Außenseiterin zu sein.

Eine Gruppe Straßenkinder mit dunklen, kurzgeschnittenen Haaren kam an mir vorbeigerannt, die Stahlkappen ihrer Stiefel schlugen auf den Pflastersteinen Funken. Sie sprangen an mir hoch und zogen an meinem langen, roten Haar. „Hey, wo brennt’s denn, Lady?“, rief einer auf Englisch mit Akzent. Er packte nach meiner Haarschleife. Ich war mit Brüdern aufgewachsen. Ich reagierte unmittelbar, überrumpelte ihn und ließ ihn der Länge nach hinfallen. Sie belästigten mich nicht noch einmal.

Die Fulton Street erkannte ich sofort, als ich sie erreichte. Der Fischmarkt kündigte seine Anwesenheit an, lange bevor ich in seiner Nähe war. Der Geruch von Fisch hing schwer in der Luft und ließ mich mein Taschentuch hervorholen, um es mir vor die Nase zu halten. In der Gosse schwammen Fischschuppen und Männer eilten mit Handkarren vorüber, in denen sich Kisten voller Fisch stapelten. Ich ging am Markt vorbei und war froh, in die South Street einzubiegen, in der eine gute, starke Brise vom East River das Atmen wieder möglich machte. Von ganz New York City, wieso um alles in der Welt hatten sie entschieden, genau hier zu leben?

Natürlich, die Aussicht musste ich ihnen lassen. Über unseren Köpfen erhob sich majestätisch die Brooklyn Bridge und streckte sich an scheinbar schwächlichen Strängen hängend bis zum anderen Ufer aus. Der East River war übersät von Segeln, die von Schiffen mit hohen Masten von der anderen Seite des Ozeans bis zu gedrungenen Bargen mit viereckigen Segeln reichten, die den Fluss hinauffuhren. All das ergab ein entzückendes, lebhaftes Bild und ich wäre länger dortgeblieben, um es zu bewundern, wenn mich der Dufthauch des Fischmarkts nicht eingeholt hätte. Ich überquerte die South Street und kam an offenen Ladenfronten vorbei, in denen Segelmacher und Holzarbeiter ihr Handwerk ausübten, ehe ich in eine schmale Seitengasse einbog und das Gebäude fand, das ich suchte.

Es war ein weiteres, trostloses Mietshaus, womöglich noch schlimmer als mein erstes Zuhause in der Cherry Street. Das dunkle, schmale Treppenhaus stank nach Urin, gekochtem Kohl und Fisch. Ich ging nach oben, an Treppenabsätzen vorbei, die übersät waren von Kinderwagen und alten Kisten, hörte Säuglinge schreien, Stimmen, die sich wütend erhoben, und eine singende Frau. Ich erschrak, als etwas vor mir über den Boden huschte. Zu groß für eine Maus. Es musste eine Ratte gewesen sein.

Als ich das fünfte Stockwerk erreichte, war ich außer Atem und betete, dass Seamus zu Hause wäre. Wie schaffte er es mit seiner lädierten Lunge, so viele Stufen zu erklimmen? Ich klopfte an der Tür und betete, dass Nuala nicht zuhause wäre. Ich hatte keine Absicht, sie je wiederzusehen. Mein Gebet wurde nicht erhört. Nuala selbst öffnete die Tür, ihre aufgedunsene Gestalt verdunkelte alles Licht, das von hinter ihr hätte kommen können.

„Gott bewahre“, sagte sie. „Guck an, was die Katze vor unserer Türschwelle abgelegt hat.“

„Es ist auch schön, Sie wiederzusehen, Nuala.“ Ich versuchte, an ihr vorbei und in die Wohnung zu kommen, aber sie blockierte weiterhin die Türöffnung.

„Ich hätte nicht gedacht, dass Sie noch mal auftauchen wie ein falscher Fuffziger. Also hat Ihr Liebhaber Sie endlich rausgeworfen, ja? Ich wusste, dass das am Ende passieren würde – habe ich es dir nicht gesagt, Seamus? Habe ich nicht gesagt, dass sie baden gehen würde, wegen all ihrer Allüren? Nun, Sie brauchen nicht zu glauben, dass Sie hier unterkommen – wir sind hier gepackt wie die Sardinen.“

„Ich habe absolut keinen Wunsch, bei Ihnen einzuziehen, Nuala“, sagte ich. „Ich habe ein sehr komfortables Apartment, das ich mir mit zwei Freundinnen teile, ein Liebhaber ist nicht in Sicht. Ich bin gekommen, um zu schauen, wie es Seamus geht.“

Widerwillig trat sie beiseite und ließ mich eintreten. Das Zimmer war ein Drecksloch ohne Fenster, lediglich von einer kraftlosen Lampe erhellt. Seamus saß im einzigen Sessel und das Licht der Lampe ließ ihn wie einen blassen Schatten seiner selbst aussehen.

„Molly, meine Liebe“, sagte er und erhob sich unbeholfen. „Es ist so gut, Sie zu sehen. Wie gütig von Ihnen, uns besuchen zu kommen.“

„Ich habe mir Sorgen um Sie gemacht, Seamus. Ich habe gehört, dass Sie eine neue Wohnung gefunden haben, also dachte ich, ich komme vorbei und statte Ihnen einen Besuch ab.“

„Ja, nun, es ist nicht ganz das, was man gemütlich nennt, nicht wahr, aber für den Moment muss es reichen, bis ich wieder auf die Beine komme.“

„Wieso um alles in der Welt haben Sie entschieden, hier zu leben?“, platzte ich heraus, ehe ich erkannte, dass das nicht gerade eine taktvolle Bemerkung war.

„Bettler können nicht wählerisch sein, oder?“, antwortete Nuala für ihn. „Und da ich die einzige Brotverdienerin der Familie bin und hier auf dem Fischmarkt arbeite, riskiere ich nicht, mitten in der Nacht vorbei an all den betrunkenen Männern nach Hause zu gehen. Die Stadt ist für eine Frau nicht sicher.“

Im Stillen dachte ich, dass die Männer besonders betrunken sein müssten, wenn sie Nuala betreffend Absichten hegten, aber ich nickte zustimmend. „Also arbeitet Finbar nicht?“, fragte ich.

„Dieser faule, nichtsnutzige Knochensack? Wer würde ihn anstellen? Als er für die Bar gearbeitet hat, hat er mehr getrunken, als er verdiente. Ich habe versucht, ihm auf dem Markt eine Stelle als Gepäckträger zu besorgen, aber er konnte die Ladungen nicht anheben.“ Sie schnaufte voller Abscheu. „Er schläft im Nebenzimmer.“

„Das habe ich gehört“, ertönte Finbars Stimme. Der Mann erschien in der Tür und sah aus wie Marleys Geist in weißem Nachthemd und Schlafmütze, sein Gesicht war blass und grau wie der Stoff, den er trug. „Und ich habe es dir nicht nur einmal, sondern hundertmal gesagt, Frau, dass ich bei der Wahl eine Stelle in Aussicht habe.“ Er lächelte mich an und entblößte einen Mund, in dem Zähne fehlten.

„Die Wahl.“ Nuala schnaubte. „Das glauben wir, wenn wir es sehen.“

„Frag die Tammany-Jungs doch selbst“, beharrte Finbar. „Sie haben mir gesagt, sie bezahlen mich für jeden Mann, den ich ins Wahllokal führe, stoße oder zerre – wenn er sein Kreuz bei Shepherd macht, natürlich.“

„Sie bezahlen dich in Schnaps“, sagte Nuala. „Du trinkst dich dumm und dämlich und verlierst deine Arbeit wieder.“

Ich fühlte mich ob dieses aufkommenden Streits unbehaglich. „Und wo sind die Kinder – in der Schule?“ Ich wandte mich an Seamus.

„Wir haben sie noch nicht in der Schule angemeldet“, sagte Seamus. „Bridie ist draußen und macht Botengänge und die Jungs – nun, ich weiß nicht recht, wo sie sind.“

„Wo wir von Botengängen sprechen, ich habe auf dem Weg hierher angehalten und Ihnen ein Huhn und ein paar Weintrauben besorgt.“ Ich fand Platz auf dem Tisch, zwischen dreckigem Geschirr, dem New York Herald von gestern und einigen Socken, die Nuala gerade stopfte. „Ich dachte, Sie können etwas Nahrung gut gebrauchen.“

„Sehr gütig von Ihnen“, sagte Seamus. „Sie sind eine gute Frau, Molly Murphy.“

Ich beobachtete Nuala, die herbeischlängelte und meine Gaben rasch entfernte.

„Irgendwelche Neuigkeiten von Kathleen?“, fragte ich, kam Nuala bei den Weintrauben zuvor und reichte sie Seamus.

„Ja, aber keine guten. Sie wird schwächer, Molly. Sie macht gute Miene zum bösen Spiel, aber ich weiß, dass sie schwächer wird. Wenn ich nur bei ihr sein könnte. Es bricht mir das Herz. Ich sage Ihnen, Molly, es gibt Momente, in denen ich bereit bin, das Risiko einzugehen und mir das Geld für die Passage nach Hause zu borgen.“

„Es muss sehr schwer für Sie sein“, sagte ich, „aber Sie wissen, dass man Sie ins Gefängnis wirft oder hängt, wenn Sie nach Hause gehen. Denken Sie an die Kinder. Was würde es Ihnen bringen einen Vater zu haben, der im Gefängnis sitzt, und eine Mutter, die sterbenskrank ist?“

„Was bringe ich ihnen hier?“, fragte er. „Noch ein nutzloser Knochensack wie Finbar. Im Augenblick nicht in der Lage, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen.“

Während er sprach, hörte ich das Geräusch leichter Schritte, die die Treppe heraufeilten. Die Tür schwang auf und Bridie stand da. Als sie mich sah, erhellte sich ihr Gesicht. „Molly. Sie sind zu uns zurückgekehrt. Am Sonntag habe ich in der Kirche dafür gebetet.“

Ich legte meine Arme um ihren kleinen, dünnen Körper. „Wie geht es dir? Und wie geht es deinem Bruder?“

Sie sah mit einem breiten Lächeln zu mir auf. „Er ist ein Junior-Eastman geworden.“

„Ein was?“

„Er und seine Cousins. Sie haben sich einer Gang angeschlossen. Sie werden Junior-Eastmans genannt, und sie ziehen herum und machen Dinge kaputt. Und manchmal besorgen sie Sachen für die richtigen, großen Gangmitglieder und die großen Kerle geben jedem von ihnen einen Quarter.“

„Seamus, haben Sie davon gewusst?“, fragte ich.

Er zuckte mit den Schultern. „Das schadet nichts. Jungen bewegen sich immer in Gruppen, wie Ponys, oder nicht?“

Aber ich konnte diese Nachricht nicht so unbeschwert aufnehmen. Ich hatte vergangene Nacht genug über Gewalt und Schutzgelderpressung gehört, dass es mich glauben machte, dass es in der Tat schadete, wenn sich der junge Shamey mit einer Gang herumtrieb. Und ich wusste, dass es an mir war, ihn da herauszubekommen. Ich musste eine eigene Bleibe finden und sie bei mir wohnen lassen, zumindest bis Seamus wieder auf den Beinen war. Ich spürte, wie sich beim Gedanken daran, den kleinen Himmel am Patchin Place zu verlassen, tiefe Traurigkeit über mich ausbreitete, aber es musste getan werden. Ich war nur am Leben, weil die Mutter der Kinder mir eine Chance zur Flucht ermöglicht hatte. Ein paar Monate meines Lebens zu opfern, war das Mindeste, was ich im Gegenzug tun konnte.

Vier