Mord in feiner Gesellschaft - Rhys Bowen - E-Book
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Mord in feiner Gesellschaft E-Book

Rhys Bowen

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Beschreibung

Ein toter Detektiv, eine neue Welt und mittendrin Molly Murphy in ihrem zweiten Fall
Der neue historische Cosy Krimi für mörderisch gute Unterhaltung

Auch nach ihrer Flucht nach New York scheint Molly Murphy nirgendwo richtig reinzupassen. Also beschließt sie kurzerhand die Assistentin des berüchtigten Privatdetektivs Paddy Riley zu werden. Doch als ihre Welt eines Morgens erneut durch einen Mord erschüttert wird, findet sich Molly plötzlich zwischen Schriftstellern, Schauspielern und Dichtern wieder, von denen jeder ein Mörder sein könnten. Sie ist entschlossen, den Fall aufzuklären und ahnt dabei nicht, in welcher Gefahr sie selbst schwebt …

Erste Leserstimmen
„dieser Cosy Crime fasziniert besonders durch seine gelungene Atmosphäre“
„Ich habe Molly gern bei ihren Ermittlungen begleitet und war auch gespannt, wer hinter dem Mord steckt.“
„mit der Auflösung hätte ich so niemals gerechnet“
„Ich werde auf jeden Fall mehr von Molly Murphy lesen!“
„der Krimi ist auf flotte, amüsante Art geschrieben“

Weitere Titel dieser Reihe
Mord auf Ellis Island (ISBN: 9783960878018)

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Seitenzahl: 471

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Über dieses E-Book

Auch nach ihrer Flucht nach New York scheint Molly Murphy nirgendwo richtig reinzupassen. Also beschließt sie kurzerhand die Assistentin des berüchtigten Privatdetektivs Paddy Riley zu werden. Doch als ihre Welt eines Morgens erneut durch einen Mord erschüttert wird, findet sich Molly plötzlich zwischen Schriftstellern, Schauspielern und Dichtern wieder, von denen jeder ein Mörder sein könnten. Sie ist entschlossen, den Fall aufzuklären und ahnt dabei nicht, in welcher Gefahr sie selbst schwebt …

Impressum

Deutsche Erstausgabe November 2019

Copyright © 2023 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96087-802-5 Hörbuch-ISBN: 978-3-98637-270-5

Copyright © 2002 by Rhys Bowen. Alle Rechte vorbehalten. Titel des englischen Originals: Death of Riley

Published by Arrangement with Janet Quin-Harkin. c/o JANE ROTROSEN AGENCY LLC, 318 East 51st Street, NEW YORK, NY 10022 USA.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Übersetzt von: Martin Spieß Covergestaltung: Grit Bomhauer unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © spyarm, © Witthaya lOvE, © jorisvo, © K_Dreamcatcher, © Agnes Kantaruk und © Mariabo2015 Korrektorat: Lennart Janson

E-Book-Version 23.08.2023, 12:08:15.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Mord in feiner Gesellschaft

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Mord in feiner Gesellschaft
Rhys Bowen
ISBN: 978-3-98637-270-5

Ein toter Detektiv, eine neue Welt und mittendrin Molly Murphy in ihrem zweiten Fall Der historische Cosy Krimi für mörderisch gute Unterhaltung

Das Hörbuch wird gesprochen von Henrike Tönnes.
Mehr Infos hier

Dieses Buch ist meiner guten Fee Meg Ruley und Dorothy Cannell gewidmet, die so freundlich war, uns einander vorzustellen.

Eins

New York, 1901

„Ich soll was?“, fragte ich so laut, dass eine zierliche, junge Frau, die vor uns ging, entsetzt in unsere Richtung sah und ihr Riechsalz hervorholte. Ich brach in Gelächter aus. „Um Himmels willen, Daniel – kannst du dir mich als Gesellschaftsdame vorstellen?“ Dann sah ich in Captain Daniel Sullivans Gesicht hinauf. Er lächelte nicht.

Er sah mich verlegen und mit unsicherem Gesichtsausdruck an und deutete ein Schulterzucken an. „Ich habe lediglich an dich gedacht, Molly. Du brauchst eine Arbeit und deine bisherige Suche war nicht gerade erfolgreich.“

„Dann habe ich die perfekte Stelle eben noch nicht gefunden.“ Ich hob meine Röcke, um die Pfützen zu meiden, die sich um den herrschaftlich aussehenden Springbrunnen herum gebildet hatten. Obenauf stand eine schöne Bronzestatue des Engels über den Gewässern, aber in diesem Augenblick war die Szenerie alles andere als herrschaftlich. Unzählige kleine Jungen, einige von ihnen so nackt wie am Tag ihrer Geburt, kletterten hinein und heraus, standen unter dem Vorhang sprühenden Wassers, bis sie wieder vertrieben wurden, kreischten und schrien, während sie dem Schlagstock eines übereifrigen Polizisten auswichen. Es war Sonntagnachmittag und wir taten, was die meisten New Yorker an heißen Sommersonntagen taten – wir machten einen Spaziergang durch den Central Park. Ausnahmsweise war Daniels freier Tag tatsächlich einmal auf einen Sonntag gefallen und es hatte keine Vorkommnisse gegeben, die ihn dazu veranlasst hätten, nach einem entschuldigenden Küsschen auf die Wange zu verschwinden.

Es schien, als wären Küsschen auf die Wange alles, was ich dieser Tage von Captain Daniel Sullivan bekam. Ja, ich weiß, dass Küsschen auf die Wange – schicklich begleitet – alles sind, was anständige, junge Damen vor der Hochzeit erwarten sollten, aber jeder Anstand flog zum Fenster hinaus, wenn ich mit Daniel zusammen war. Und ich hatte gehofft, dass unsere Romanze mittlerweile zu etwas Gewichtigerem erblüht wäre, aber als jüngster Captain der New Yorker Polizei warf Daniel sich mit ganzem Herzen in die Arbeit. Ich hingegen hatte keine Arbeit, die mich beschäftigt hielt.

Es war nicht so, als hätte ich es nicht versucht. Nach meiner einigermaßen dramatischen Ankunft in New York hatte ich nach etwas Passendem gesucht. Die Heiligen im Himmel werden bezeugen, dass ich mit ganzem Herzen bei der Sache war. Ich hätte nichts gegen eine Stelle als Gouvernante gehabt, tatsächlich hätte ich das gut gemacht. Aber ich brauchte nicht lange um herauszufinden, dass ein irisches Mädchen, das gerade vom Schiff herunter war und keine Referenzen hatte – oder zumindest keine, die sich bestätigen ließen (ich hatte einige sehr überzeugende Fälschungen gemacht) – nicht angestellt werden würde, um die Kinder einer anständigen Familie zu unterrichten. Als Kindermädchen vielleicht, aber ich glaubte nicht, dass ich es auch nur eine Woche als Bedienstete aushalten würde.

Danach hatte ich mich in jeder Arbeit versucht, die ich finden konnte, abgesehen vom Fischausnehmen auf dem Fulton-Street-Fischmarkt. Bis zu den Ellenbogen in Fischinnereien zu stehen kam nicht in Frage.

„Du musst zugeben, dass es einige spektakuläre Katastrophen gegeben hat“, gab Daniel meinen Gedanken eine Stimme und ließ mich darüber nachdenken, ob er meine Gedanken lesen konnte.

„Ich würde nicht von Katastrophen sprechen.“

Vom See, der hinter dem Springbrunnen lag und auf dem einige Boote fuhren, wehte eine Brise herüber, die einen feinen Schleier aus Wassertropfen in unsere Richtung trug. Das kühle Prickeln fühlte sich auf meiner heißen Haut wundervoll an und ich war versucht, einen Moment dort stehen zu bleiben, bis Daniel mich beiseite zog. „Molly – du wirst nass bis auf die Haut.“

„Aber es fühlt sich himmlisch an.“

„Es mag sich himmlisch anfühlen“, sagte er und blickte mit diesen beängstigenden blauen Augen auf mich herab. „Aber das ist ein sehr feiner Nesselstoff, den du trägst, meine Liebe. Wir wollen doch nicht, dass andere Männer dich begaffen, nicht wahr?“ Er führte mich mit Nachdruck von der Springbrunnenterrasse weg und am Ufer des Sees entlang. Ich hielt inne und sah sehnsüchtig zu den Ruderbooten hinüber. Ein Pärchen glitt vorüber, das Gesicht der Frau verdeckt von einem verschwenderisch dekadenten Sonnenschirm – Rüschen, Spitzenborte und Froufrou –, während sie gelangweilt eine Hand ins Wasser hielt. Ihr Liebhaber, der männlich und mit hochgekrempelten Ärmeln ruderte, sah nicht so aus, als habe er viel Spaß. Entwürdigende Rinnsale aus Schweiß strömten unter seinem Strohhut hervor und liefen über sein puterrotes Gesicht.

„Du würdest nicht von Katastrophen sprechen?“, wiederholte Daniel und kicherte, während er mich wegführte. „Die Hemdblusen-Fabrik?“

„Dann habe ich mir halt eine Nadel durch den Daumen gejagt. Das hätte jedem passieren können.“ Ich warf meinen Kopf herum, sodass mein Strohhut beinahe ins Wasser fiel.

„Und wer hat all die Ärmel linksherum angenäht?“ Seine blauen Augen funkelten.

„Deswegen bin ich nicht gefeuert worden, und das weißt du. Es lag daran, dass ich mich gegen diesen Unmenschen eines Vorarbeiters behauptete und mir nichts von ihm bieten ließ. All diese unfairen Regeln – sobald man niest, wird einem der Lohn gekürzt. Ich wusste von Anfang an, dass ich meinen Mund nicht lange würde halten können.“

„Dann war da noch das Café“, rief Daniel mir in Erinnerung.

Ich lächelte ihn verlegen an. „Ja, ich schätze, das geht als spektakuläre Katastrophe durch.“

Wir hatten den wie hingetupften Schatten einiger Kastanien erreicht, die sich entlang des Weges ausbreiteten, der jetzt nicht mehr am Ufer entlangführte. Augenblicklich fühlte es sich an, als würden wir ein Becken mit kühlem Wasser betreten. „Ah, das ist besser“, sagte Daniel. „Sieh mal, unter dem Baum dort steht eine Bank. Lass uns eine Weile sitzen.“

Mir fiel auf, dass Daniel die Hitze mehr zu verspüren schien als ich. Sein Gesicht war so rot wie das des jungen Mannes im Ruderboot und seine wilden, schwarzen Locken klebten ihm unter seinem Strohhut an der Stirn. Selbstverständlich sind Männer an Tagen wie diesen im Nachteil, weil sie Jacken tragen müssen, während Frauen in Nesselstoffen kühl bleiben können. Aber er war ein geborener New Yorker. Ich hatte geglaubt, dass er sich schon in seiner Kindheit an diese Hitze gewöhnt hätte. Ich hingegen kam von der wilden Westküste Irlands, wo ein paar sonnige Tage hintereinander bereits als Hitzewelle galten, und wir hatten den kalten Atlantik zu unseren Füßen, wann immer wir uns abkühlen wollten.

Daniel holte sein Taschentuch hervor und wischte sich über die Stirn. „Das ist besser“, sagte er. „Ich schwöre, jeder Sommer ist heißer als der vorherige. Das sind diese neuen Wolkenkratzer. Sie halten die kühlenden Brisen vom East River und vom Hudson auf.“

„Es ist wirklich ziemlich heiß.“ Ich fächelte mir mit dem Fächer Luft zu, den ich mir in der vergangenen Woche bei einem Straßenhändler gekauft hatte. Es war ein hübsches, kleines Ding aus China, aus Papier gemacht und mit dem Bild einer Pagode und einer wilden Bergszenerie dekoriert. „Hier, du siehst aus, als könntest du ihn mehr gebrauchen als ich.“ Ich wandte mich um und fächelte auch Daniel Luft zu. Er packte lachend mein Handgelenk. „Hör auf damit. Als Nächstes bietest du mir noch dein Riechsalz an.“

„Ich habe noch nie in meinem Leben Riechsalz besessen und habe auch nicht vor, das zu ändern“, sagte ich. „Ohnmacht ist was für Idioten.“

„Das mag ich an dir, Molly Murphy.“ Daniel blickte mich eine lange Zeit an, auf eine Weise, die mein Inneres in Wallung brachte. Seine Finger hielten noch immer mein Handgelenk. „Deinen Geist. Das und natürlich deine schlanke, kleine Taille, diese großen, grünen Augen und deine bezaubernde, kleine Nase.“ Er berührte sie spielerisch. Dann verschwand das Lächeln, der sehnsüchtige Gesichtsausdruck aber blieb. „Ach, Molly. Ich wünschte nur ...“ Er ließ den Rest des Satzes in der feuchten Luft hängen und ich fragte mich, was genau er sich wünschte. Er war jung und gesund, mit großartigen Karriereaussichten – und einer Zukunft, die eine Frau miteinschließen sollte. Aber ich würde ihn diesbezüglich nicht unter Druck setzen. Wer wusste schon, wie der Verstand von Männern funktionierte? Er konnte auf eine Gehaltserhöhung warten oder auf ein Haus sparen, ehe er mir einen Heiratsantrag machte – wenn er tatsächlich vorhatte, mir einen Heiratsantrag zu machen. Einmal in meinem Leben schwieg ich ausnahmsweise.

„Ich bin selbst recht zufrieden“, sagte ich unbekümmert. „Ich habe ein großes Zimmer für mich allein, einen hübschen Mann, der mich von Zeit zu Zeit besuchen kommt und ich lebe in einer großen Stadt, so wie ich es mir immer erträumt habe.“

Daniel ließ den Blick sinken und saß einen Moment schweigend da, die Augen auf die Hände in seinem Schoß gerichtet.

„Es gibt keine Eile, Daniel, für nichts“, sagte ich. „Wenn ich nur eine respektable Arbeit finden würde, bei der ich nicht missbraucht oder überfordert werde ...“

„Habe ich die Stelle als Gesellschaftsdame nicht erwähnt?“

Ich tätschelte seine Hand. „Daniel – kannst du dich mir als Gesellschaftsdame für eine alte Lady vorstellen? Gesellschaftsdamen sind jämmerliche, unterdrückte Kreaturen, die zusammenzucken, wenn man sie anspricht, und die ihre Tage damit verbringen, Strickwolle zu halten und Katzen zu kämmen. Ich habe mich als Bedienstete versucht, erinnerst du dich? Ich bin nicht dazu geboren, demütig zu sein. Und du weißt selbst, dass ich es nie lernen werde, den Mund zu halten.“

„Aber eine Gesellschaftsdame ist keine Bedienstete, Molly. Man würde von dir erwarten, Miss van Woekem vorzulesen, mit ihr im Park spazieren zu gehen – so etwas in der Art. Was könnte leichter sein?“

„Sie ist gewiss schrullig und pedantisch. Das sind alte Jungfern immer. Ich würde meine Geduld mit ihr verlieren und das wäre es dann.“ Ich lachte erheitert, aber Daniel lächelte immer noch nicht.

„Molly, ich bin sicher, dass ich dich nicht daran erinnern muss, dass du bald eine Arbeit finden musst. Ich weiß, dass der Stadtrat dir wegen dem, was dir in seinem Haus zugestoßen ist, ein kleines Geschenk gemacht hat–“

„Es war Bestechungsgeld, Daniel, und das weißt du genau.“

„Aber es wird nicht ewig reichen“, fuhr Daniel fort und ignorierte meine Äußerung. Es war komisch, dass New Yorker Polizisten plötzlich taub zu werden schienen, wenn man das Wort „Bestechungsgeld“ erwähnte. „Und du musst Miete zahlen, auch wenn es eine bescheidene Summe ist.“

„Die O’Hallarans sind sehr freundlich“, stimmte ich zu. „Ich bin sicher, dass sie ihren Dachboden für weitaus mehr vermieten könnten, wenn sie wollten.“ Es war Daniel selbst gewesen, der die angenehme Wohnung für mich gefunden hatte, im obersten Stock eines Hauses, das einem Polizistenkollegen gehörte. „Und vergiss nicht, dass Seamus sich die Miete mit mir teilt und außerdem das meiste Essen bezahlt.“

„Davon gehe ich aus, immerhin kochst du und kümmerst dich um seine Kinder.“

„Das tue ich gern“, sagte ich. „Sie machen keinen Ärger. Und wie sollte er ohne mich zurechtkommen, der arme Kerl, wo seine Frau doch zu Hause in Irland auf den Tod wartet?“

Auf die Bitte ihrer Mutter hin hatte ich Seamus’ Sohn und Tochter nach New York gebracht, als sie herausgefunden hatte, dass sie an der Schwindsucht litt und nicht reisen durfte. Und für den Fall, dass Sie denken, ich wäre irgendeine Art Heilige, lassen Sie mich Ihnen versichern, dass das Arrangement meinen eigenen Absichten sehr gut zupasskam.

„Du hast ein gutes Herz, Molly“, sagte Daniel, „aber dieses Arrangement kann nicht ewig andauern. Ich fühle mich nicht gänzlich wohl damit, dass du da oben mit einem Mann wohnst, dessen Frau in Irland ist.“

Ich lachte. „Nicht wohl, Daniel? Seamus O’Connor ist ein vollkommen harmloser Mensch – du hast ihn selbst gesehen. Schwerlich der beste Fang von New York. Außerdem haben wir eine Küche und einen Flur zwischen uns, damit alles anständig bleibt. Und unten lebt Mrs. O’Hallaran, die die Dinge im Auge behält.“

„Das ist nicht der Punkt“, sagte Daniel. „Die Leute werden reden. Willst du, dass sie sagen, du ließest dich aushalten?“

„Sicher nicht.“

„Darf ich dann vorschlagen, dass du auf mich hörst und dir eine passende Stelle suchst, die nicht in einer Katastrophe enden wird?“

Seine Erinnerungen an meine kläglichen Misserfolge in der Berufswelt begannen mich zu ärgern. Ich mochte es nicht, bei irgendetwas zu versagen. „Wenn du es wirklich wissen willst: ich habe vor, meinem ursprünglichen Einfall zu folgen und mich als Privatdetektivin niederzulassen.“ Ich schlug das hauptsächlich vor, um ihn zu verärgern.

Daniel rollte mit den Augen und kicherte verzweifelt. „Molly, Frauen werden keine Privatdetektive. Ich dachte, das hätten wir alles schon hinter uns.“

„Ich sehe nicht ein, warum nicht. Ich glaube, ich war ziemlich gut darin.“

„Abgesehen von der Tatsache, dass du dich beinahe hast töten lassen.“

„Richtig. Abgesehen davon. Aber ich habe es dir schon gesagt. Ich habe nicht vor, mich mit Kriminalfällen zu befassen. Mit nichts Gefährlichem. Ich denke immer noch an all diese Leute, die ich sah, als ich Liverpool verließ, Daniel. Sie waren verzweifelt, weil sie von ihren Angehörigen hören wollten, die nach Amerika gegangen waren. Ich würde etwas Gutes tun, wenn ich Familien wiedervereine, oder nicht?“

„Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass die Angehörigen nicht gefunden werden wollen?“, fragte er. „Und außerdem, wie würdest du das in Angriff nehmen – diese Detektivarbeit? Du bräuchtest zunächst ein Büro, und du müsstest Werbung machen ...“

„Das weiß ich auch!“

„Und wenn du herausfändest, dass der Angehörige, den du suchst, nach Kalifornien gegangen ist: würdest du den Zug nehmen, um ihn zu finden? Die Familien von Einwanderern werden kein Geld bezahlen können.“

„Also bräuchte ich etwas Startkapital.“ Ich machte eine Pause, um einer eleganten offenen Kutsche hinterherzusehen, die auf der Straße jenseits der Bäume vorüberfuhr. Liebliche, junge Frauen mit weißen Hüten und Männer in Blazern saßen plaudernd und lachend darin, als wären sie völlig sorgenfrei – was sie vermutlich auch waren. „Und ich müsste gutbezahlte Fälle annehmen.“

Daniel wandte sich mir zu und nahm meine Hände in seine. „Molly, bitte, lass diesen närrischen Einfall auf sich beruhen. Du brauchst dich nicht niederzulassen. Du brauchst fürs Erste eine angenehme, würdige Arbeit, die die Miete zahlt, das ist alles.“

„Vielleicht bin ich mit einer angenehmen, kleinen Arbeit nicht zufrieden. Vielleicht will ich etwas aus mir machen.“

Er lachte wieder, dieses Mal unbehaglich. „Es ist nicht so, als wärst du ein Mann und müsstest an eine zukünftige Karriere denken. Nur etwas, um die Zeit rumzukriegen, bis ein Mann dich wegschnappt.“

Sein Blick war wieder neckend, und alle Ernsthaftigkeit anscheinend vergessen.

„Mich wegschnappt? Aber sicher weißt du, dass ich ein hoffnungsloser Fall bin. Bin bereits dreiundzwanzig und dementsprechend eine alte Jungfer.“

„Du? Du wirst nie eine alte Jungfer, Molly. Du wirst auch mit fünfzig noch so faszinierend sein wie heute.“

„Das ist schwerlich ein tröstlicher Gedanke“, sagte ich. „Mit fünfzig immer noch eine Gesellschaftsdame? Sollen wir weitergehen?“ Ich stand auf. Diese Unterhaltung führte eindeutig nicht zum gewünschten Ergebnis. Daniel hatte mehrere Gelegenheiten gehabt, seine Absichten zu erklären, und hatte jedes Mal elendig versagt. Es war nicht so, dass er zögerlich oder schüchtern wäre. Dann sagte er etwas, dass mich erkennen ließ, wie sein Verstand funktionierte.

„Ich wünschte, du würdest der Stelle als Gesellschaftsdame eine Chance geben, Molly. Miss van Woekem ist in der New Yorker Gesellschaft sehr angesehen. Meine Eltern sehen wirklich zu ihr auf. Bei ihr zu sein würde dich in die Gesellschaft hier einführen.“

Dann wurde es mir klar. Deswegen zögerte er – er wollte kein irisches Bauernmädchen heiraten, das gerade die Heimaterde verlassen hatte. Ich hatte Irland, seinen Standesdünkel und die Klassenvorurteile verlassen und den Atlantik überquert, nur um in der Neuen Welt denselben Standesdünkel vorzufinden. Und ihn, dessen Eltern während der Großen Hungersnot mit nichts in den Händen herübergekommen waren. Nun, wenn Daniel Sullivan so dachte – ich öffnete den Mund, um ihm zu sagen, was er mit seiner Gesellschaftsdamenstelle und auch mit Miss van Soundso anstellen konnte. Ich hielt mich im letzten Moment zurück. Er dachte vermutlich, dass er das um meinetwillen tat. Er wünschte sich, dass ich mich einfügte und in der Gesellschaft hier akzeptiert würde. Außerdem war es sicherlich besser als Fisch auszunehmen. Was hatte ich zu verlieren? „Also gut, wenn du glaubst, dass ich sie annehmen sollte, bin ich bereit, es zu versuchen.“

Er blieb stehen und legte mir seine Hände auf die Schultern. „Braves Mädchen“, sagte er und küsste mich auf die Stirn.

„Sollen wir es heute mit dem Ur-Wald versuchen?“ Ich zeigte auf den einladenden Waldweg, der im Unterholz zu meiner Linken verschwand. Der Bereich des Central Parks, der als Ur-Wald bekannt war, bestand aus einer Reihe gewundener, sich überschneidender Wege, die durch ein dichtes Wäldchen führten. Bereits nach wenigen Schritten war es dort schwer zu glauben, dass man sich mitten in einer großen Stadt befand. Es war außerdem einer der wenigen Orte, an dem man ungestört einen Kuss stehlen konnte.

Aber Daniel schüttelte den Kopf. „Es ist heute zu heiß zum Spazieren. Warum gehen wir nicht zur Eisdiele?“

„Eis? Das wäre wundervoll!“ An einem heißen Tag wie heute gewann auch für mich Eis gegen Küsse. Ich hatte gerade erst mein erstes Eis probiert und war immer noch erstaunt über den Ort, an dem solcher Luxus jeden Tag erhältlich war.

Daniel lächelte über meine Begeisterung. „Verändere dich nie, ja?“

„Ich werde vielleicht zu einer bitteren und hochnäsigen alten Jungfer, wenn Miss van Woekem mich beeinflusst“, gab ich zurück.

Er lachte und legte mir den Arm um die Taille. Trotz der Hitze und der Tatsache, dass das an einem Sonntag im Park gewiss kein anständiges Verhalten war, hielt ich ihn nicht davon ab. Wir schlossen uns dem Strom der Spaziergänger auf dem breiten East Drive an. Es schien, als sei halb New York dort unterwegs. Die Oberschicht fuhr in ihren Kutschen vorüber und nahm den Strom der Fußgänger neben sich gar nicht wahr. Auf dem sandigen Fußweg liefen normale Leute wie wir, strenge, ganz in schwarz gekleidete italienische Mütter mit Scharen lärmender Bambinos, jüdische Familien mit bärtigen Patriarchen und ernsten, kleinen Jungen mit Kippot auf den Köpfen, stolze Vätern, die große Kinderwagen schoben – jede Sprache unter der Sonne wurde um uns herum gesprochen. Als wir uns dem Tor näherten, stieg der Geräuschpegel an – Musik eines Karussells wetteiferte mit einem italienischen Leierkastenmann und den Schreien des Eisverkäufers. Ich wusste, dass Daniel nicht im Park Eis kaufen würde. Man wisse nie, woraus es gemacht sei, sagt er, und Typhus war bei dem heißen Wetter eine ständige Sorge.

Plötzlich trat ein eleganter, kleiner Mann in braunem Anzug und Melone vor uns.

„Keine Bewegung!“, rief er.

„Es ist in Ordnung. Er macht nur ein Foto von uns“, flüsterte Daniel, als ich alarmiert zusammenzuckte. „Er ist einer der Parkfotografen.“

Ich sah, wie der Mann eine kleine, schwarze Kiste auf uns richtete, dann hörte ich ein Klicken.

„Na bitte, Sir. Schönes Andenken an den Tag“, sagte er und nickte ernst. Er hatte einen seltsamen Akzent, der eine Mischung aus Londoner Cockney und New Yorker Bowery zu sein schien. Er kam auf Daniel zu. „Hier ist meine Karte, falls Sie bei mir im Atelier vorbeikommen und das Foto Ihrer Freundin erwerben möchten.“

Während er Daniel seine Karte reichte, kam er näher und ich dachte, ich sähe, wie seine Hand sich auf Daniels Tasche zubewegte. Es war im Bruchteil einer Sekunde vorüber, also wusste ich nicht, ob ich meinen Augen trauen konnte. Einen Moment lang war ich zu erschrocken, um etwas zu tun, dann, als ich Daniels Arm packte um ihn zu warnen, sah ich, wie sich die Hand des Mannes von Daniel wegbewegte: sie war leer. Ich wollte keine Szene machen, also schwieg ich, bis wir an dem Fotografen vorbeigegangen waren.

„Ich glaube, der Mann hat versucht, dich zu bestehlen“, flüsterte ich.

„Dann hatte er kein Glück“, sagte Daniel lächelnd. „In der Tasche habe ich nur mein Taschentuch.“

Er ließ eine Hand in die Tasche gleiten und mir fiel auf, wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte. „Ja, der Bursche hatte allerdings Pech“, sagte er und nahm meinen Arm. „Komm, lass uns ein Eis essen gehen.“

Zwei

Ein sehr steifes Dienstmädchen führte mich in das edle Backsteinhaus mit schmiedeeisernen Balkonen am Südende des Gramercy Park.

„Miss Murphy, Ma’am“, sagte sie und machte einen Knicks, ehe sie sich zurückzog. Die alte Frau, die in einem Sessel mit hoher Rückenlehne am Fenster saß, sah aus, als wäre sie aus Marmor gehauen. Ihr Gesicht war zu einem lebendigen Totenschädel zusammengeschrumpft, aber die Augen, die mich fixierten, waren immer noch sehr lebendig.

„Nun, komm herein, Mädchen. Steh da nicht so herum“, sagte sie mit durchdringender, rauer Stimme, die klang, als hätte sie ihre Besitzerin ausgetrocknet. „Wie heißt du?“

„Molly. Molly Murphy.“ Ihr Blick war so erbittert, dass ich erschrak.

Sie schnaubte. „Molly – ein Spitzname, der nur Bäuerinnen und Bediensteten taugt. Du wurdest vermutlich auf einen christlichen Namen getauft.“

„Ich wurde auf den Namen Mary Margaret getauft.“

„Und das ist etwas zu anmaßend für jemanden deines Standes. Niemand unterhalb der Mittelschicht braucht zwei Namen. Ich werde dich einfach nur Mary nennen.“

„Sie können mich nennen, wie Sie wollen, ich werde nicht reagieren.“ Ich hatte mich ausreichend erholt, um ihren starren Blick herauszufordern. „Mein Name ist Molly. Das war er schon immer. Wenn er Ihnen nicht gefällt, können Sie mich Miss Murphy nennen.“

Sie öffnete den Mund, setzte an etwas zu sagen, schloss ihn dann aber wieder mit einem verächtlichen Laut.

„Lass mich dich ansehen.“

Ich konnte spüren, wie sich der Blick ihrer Knopfaugen in mich bohrte. „Trägst du kein Korsett, Mädchen?“

„Ich habe nie eins getragen“, sagte ich. „Da, wo ich herkomme, haben wir uns mit sowas nicht befasst.“

Sie machte ein missbilligendes, sich mokierendes Geräusch. „Daniel erwähnte, dass du gerade erst aus Irland gekommen bist, aber er hat nicht gesagt, dass du direkt aus dem Sumpf kommst. Wenn du heute gehst, werde ich dir Geld geben und du wirst meinen Kostümschneider aufsuchen, um dir ein Korsett anpassen zu lassen. Und was den Rest deiner Garderobe betrifft – ich nehme nicht an, dass ich von dir erwarten kann, in der Sommerhitze schwarz zu tragen. Besitzt du ein schlichtes, graues Kleid?“

„Ich besitze allgemein nicht viel“, sagte ich. „Ich musste die meisten meiner Sachen in Irland lassen.“

Ich erwähnte nicht den Grund dafür, warum ich so übereilt aufbrechen musste. Niemand kannte ihn, abgesehen von mir. Niemand würde davon erfahren.

„Ich lasse meine Haushälterin nachsehen, ob es im Bediensteten-Schrank etwas Passendes gibt“, sagte sie.

„Ich dachte, dass Sie eine Gesellschaftsdame suchen, keine Bedienstete.“ Wieder wetteiferte ich mit ihrem Blick. Mit dieser Hakennase und den kleinen, schwarzen Augen erinnerte sich mich an irgendeine Vogelart. Einen Raubvogel, eindeutig. „Ich gehe nicht mehr viel aus“, sagte sie. „Ich umgebe mich gerne mit Dingen, die den Augen schmeicheln.“ Mein Blick folgte ihrem durch den Raum. Er schmeichelte den Augen in der Tat – nicht überhäuft mit Krimskrams wie andere Zimmer begüterter Menschen, die ich gesehen hatte, vermochte er es, gleichzeitig asketisch und elegant zu wirken. Die Möbel waren aus auf Hochglanz poliertem Mahagoni mit einer Menge Seidenkissen; ein Mahagoni-Bücherregal voller Lederfolianten nahm den Großteil einer Wand ein. Es gab eine Lampe in der Form eines Miniatur-Buntglasfensters und an den Wänden ein paar gute, wenn auch düstere Gemälde. Man würde es nicht als das Zimmer einer Frau bezeichnen, aber es war ein Raum, der eindeutig von gutem Geschmack zeugte.

„Die Lampe ist von Mr. Tiffany“, sagte sie, als sie meinen Blick bemerkte. „Mein einziges Zugeständnis zur neuesten Mode. Und das Gemälde über dem Kamin–“

„Sieht aus wie aus der flämischen Schule“, sagte ich und beobachtete das dunkle und fast zu echt aussehende Stillleben eines toten Fasans und einiger Früchte. „Ist das eine Kopie eines Vermeers?“

Sie schnaubte. Ich konnte nicht sagen, ob das Geräusch erfreut oder verächtlich war. „Es ist ein Vermeer“, sagte sie. „Und woher weißt du etwas über Malerei? Hängen sie heutzutage Vermeers in irische Cottages?“

„Ich bin nicht ungebildet, auch wenn ich nicht modisch gekleidet bin. Unsere Gouvernante war eine große Verehrerin der Kunst. Sie hatte all die feinen Galerien Europas besucht.“

„Du hattest eine Gouvernante?“ Sie sah mich ungläubig an.

„Ich wurde zusammen mit den Töchtern des Gutsbesitzers ausgebildet“, antwortete ich und hoffte, sie würde mich in dieser Angelegenheit nicht weiter befragen.

Sie starrte mich auf eine Weise an, die unter Gleichgestellten als unhöflich gelten würde, und versuchte offensichtlich zu entscheiden, ob ich log oder zu unverschämt war, um mich anzustellen. „Du hast ein einigermaßen hübsches Gesicht“, sagte sie schließlich, „und du benimmst dich gut, aber dieser Aufzug hat gewiss bessere Tage gesehen. Ich lasse meinen Schneider kommen und bei dir Maß nehmen. Vielleicht nicht Grau. Das passt nicht zu deinem Haar, das recht eindrucksvoll sein könnte, wenn man es ordentlich macht.“ Mit Rücksichtnahme auf meine Stelle als Gesellschaftsdame hatte ich es vermocht, meine unbändigen roten Locken zu einem ernsten Dutt zusammenzudrehen. Nicht allzu erfolgreich, wie ich hinzufügen muss. Der Versuch, mein Haar zu bändigen, glich in etwa dem Versuch, die Gezeiten zu kontrollieren.

„Wenn du etwas von Kunst verstehst und von einer Gouvernante unterrichtet wurdest, weißt du vermutlich auch, wie man anspruchsvollere Schriften liest als bloß Groschenromane.“

„Es gibt nichts, was ich lieber tue.“ Ich ließ meinen Blick zum Bücherregal wandern. „Ich lese, wann immer ich kann.“

„In diesem Fall erweist du dich am Ende vielleicht doch als zufriedenstellend, trotz deines Erscheinungsbilds. Du kannst damit anfangen, mir vorzulesen. Was liest du gern?“

„Oh, die Romane von Charles Dickens–“

„Populärer, gefühlsduseliger Quatsch, geschrieben für die Massen“, sagte sie. „Wieso muss man etwas über Elend lesen, wenn es bereits genug davon auf unseren Türschwellen gibt?“

„Dann Jane Austen.“

„Fraulicher Firlefanz. Du wirst in diesem Haus nicht viele Romane finden, Miss Murphy. Ich glaube, dass das Lesen nur zwei Zwecken dient – der Bildung und der Erbauung. Wenn du jetzt so gut wärst, den schmalen Band zu holen, der auf dem Sofa liegt, und mir daraus vorzulesen. Es ist ein gerade veröffentlichter Bericht über die Gräueltaten des letzten Jahres in China, geschrieben von der Schwester eines Missionars, der enthauptet wurde. Ich fürchte, dass es einige Rassen gibt, die wir nie erfolgreich zivilisieren oder christianisieren werden.“

„Die Chinesen haben eine sehr alte Zivilisation und wollten womöglich nicht christianisiert werden“, führte ich an.

„Welch einen Unsinn du redest, Mädchen. Es ist unsere Pflicht, das Evangelium zu verbreiten. Aber ich schätze, du bist eine von diesen heiligen Römern. Du hast nie die Lektionen von Martin Luther oder John Calvin gelernt, Gott sei’s geklagt. Und jetzt denkt meine Patentochter darüber nach, einen von ihnen zu heiraten. ‚Du bringst den Jungen besser vor der Hochzeit auf Linie‘, habe ich zu ihr gesagt, denn ich werde keinem Gottesdienst beiwohnen, bei dem sie Weihrauch herumschwingen und Götzen anbeten.“

Ich entschied, dass dies ein Moment war, um den Mund zu halten, und ging das Buch holen.

„Aber Arabella ist ein eigensinniges Mädchen und schert sich wahrscheinlich keinen Deut um die Meinung anderer, nicht einmal meine, obwohl sie weiß, dass sie alles von mir erben wird“, fügte sie hinzu, während ich den Raum durchquerte.

Ich stellte fest, dass ich mit erzwungenem Lächeln im Gesicht die Zähne zusammenbiss. Ich hoffte, Daniel wusste, was ich für ihn tat, denn ich war mir nicht sicher, wer zuerst nachgeben würde, ich oder Miss van Woekem. Ein weißer Fellteppich lag hinter dem Sofa. Gerade als ich darauftreten wollte, sprang er auf, jaulte und fuhr seine Krallen nach mir aus. Also gab es hier doch Katzen.

„Pass auf, was du tust, du tollpatschiges Mädchen“, blaffte Miss van Woekem. „Du hast Prinzessin Yasmin ganz schön aus der Fassung gebracht.“

Ich unterließ es, zu erwähnen, dass Prinzessin Yasmin mich auch ganz schön aus der Fassung gebracht hatte. Die große, weiße Perserkatze beobachtete mich mit einem Ausdruck vollkommener Verachtung. Ich streckte vorsichtig eine Hand an ihr vorbei und hob das Buch auf. Ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen. Sie wandte mir den Rücken zu und begann, eine Pfote zu lecken, als sei ich vollkommen belanglos.

Nachdem ich eine Stunde lang vorgelesen hatte, erschien das Dienstmädchen und gab bekannt, dass das Mittagessen fertig sei.

„Ich werde meins hier einnehmen, auf einem Tablett“, verkündete Miss van Woekem. „Miss Murphy wird am Esstisch dinieren.“ Sie bedeutete mir mit einem Nicken, das Buch zu schließen. „Du hast für jemanden deines Standes erstaunlich gut gelesen. Deine Aussprache ist selbstverständlich ungeschliffen, aber ich bin freudig überrascht. Vielleicht passt du am Ende doch.“

„Oder vielleicht auch nicht“, dachte ich, als ich dem Dienstmädchen ins Esszimmer folgte. Falls Daniel glaubte, dass das hier leicht war, hatte er es nie versucht.

Ich nahm die Mahlzeit allein an einem gewaltigen, polierten Mahagonitisch ein, während das Dienstmädchen hinter mir in Bereitschaft wartete. Ich werde allerdings nicht behaupten, dass es mir nicht gefiel. Für jemanden, der – laut meiner Mutter – stets Vorstellungen hatte, die über seinen Stand hinausgingen, war dies die Art, wie ich schon immer hätte essen sollen. Und das Essen war köstlich – irgendeine Art kalte Fischmousse und Salat, zum Nachtisch frisches Obst und winzige Baisers und zu trinken gab es frisch zubereitete Limonade. Die Arbeit gefiel mir immer besser, besonders als ich feststellte, dass Miss van Woekem ein nachmittägliches Nickerchen machte und ich ihre Bibliothek durchstöbern durfte.

Nach dem Tee am kleinen Tisch im Wohnzimmer wies sie mich an, ihren Rollstuhl fertigzumachen. Das Dienstmädchen brachte ihn in die Vorhalle – es war ein neumodisches Gerät aus Weide – und half Miss van W. hinein.

„Du kannst mich durch den Park schieben, Mädchen. Es ist zu dieser Tageszeit der angenehmste Ort.“

Der zentrale Platz des Gramercy Park war ein von einem eisernen Zaun eingefasster Garten voller Bäume, Büsche und Blumen. Ich schob sie über die Straße zum Eingang des Parks, einem schmiedeeisernen Tor an der Nordseite. Als ich mich näherte, verließ gerade ein betagtes Pärchen den Park. Der Mann, der einen beeindruckenden, weißen Schnurrbart trug, nahm seinen Strohhut ab, machte eine ausladende Verbeugung und hielt dann für uns das Tor auf, sodass wir hindurchgehen konnten.

„Guten Abend, Miss van Woekem. Wieder entsprechend warm, würden Sie nicht auch sagen?“

Miss van Woekem nickte ihm zu. „Es ist Juli, das versteht sich von selbst. Guten Tag.“

Als wir den Park betraten, flüsterte sie mir zu: „Abscheulicher Mann. Nur weil er McKinley in Ohio begegnet ist, glaubt er, vergessen zu können, dass sein Vater ein Lebensmittelhändler war.“

Ich schob sie durch den Park und genoss den Schatten unter den Bäumen, die süß duftenden Büsche und die Beete voller herrlicher Blumen. Mir fiel ein Mann in braunem Anzug und Melone auf, der unter diesen Bäumen stand und beinahe mit den Schatten verschmolz, während wir vorübergingen. Ich fragte mich, ob er ein Gärtner war, aber er tat nichts und ich sah auch keinerlei Arbeitsgeräte. Er stand nur da, starrte auf ein Haus an der Südseite des Parks und bemerkte uns nicht einmal.

In der Ferne schlug eine Uhr sechs. „Zeit zu gehen“, sagte Miss van Woekem. „Ich muss mich fürs Abendessen umziehen. Meine Patentochter ist vielleicht auch da, es sei denn, sie bekommt ein besseres Angebot. Sie ist für ein paar Tage zum Einkaufen in der Stadt. Du kannst mich nach Hause bringen.“

Ich schob sie zum Tor des Parks und lehnte mich dagegen. Es blieb fest verschlossen.

„Hast du den Schlüssel nicht mitgenommen, Mädchen?“, fragte sie verärgert.

„Schlüssel? Ich wusste nicht, dass es einen Schlüssel gibt.“ Ich spürte, wie ich errötete.

„Welch eine Dummheit! Natürlich gibt es einen Schlüssel. Wir wollen doch kein Gesindel hereinlassen, nicht wahr?“

„Das hätten Sie erwähnen sollen, ehe wir aufbrachen“, sagte ich.

„Du bist schrecklich unverfroren und dir deines Standes nicht bewusst.“

„Ich dachte, Sie bräuchten eine Gesellschaftsdame, die der Definition nach keine Untergebene ist“, sagte ich. „Wenn ich Ihnen nicht passe, dann sollten Sie sich vielleicht anderswo umschauen.“

Wir starrten einander an wie zwei Hunde, deren Reviere sich überschnitten.

„Ich glaube, ich werde es irgendwann schaffen, dich in Form zu bringen“, sagte sie und ihre Augen schienen leicht zu funkeln. „Und du findest besser einen Weg, wie wir vor Einbruch der Nacht aus diesem Park herauskommen.“

Ich ließ den Stuhl im Schatten stehen und ging in der Hoffnung durch den Park, die Aufmerksamkeit von Passanten außerhalb des Zauns zu erregen. Aber der Platz war menschenleer, abgesehen von zwei Dienstmädchen, die auf der anderen Seite entlangeilten, und einer Kutsche, die in zügigem Trab zu schnell zum Anrufen an mir vorüberfuhr. Als ich mich der südöstlichen Ecke näherte, in der die meisten Bäume standen, erinnerte ich mich an den Mann in Braun. Ich hatte ihn den Park nicht verlassen sehen, also musste er einen Schlüssel für uns haben. Aber er stand nicht länger unter den Bäumen. Ich sah mich um. Abgesehen von einem Eichhörnchen, das über den Rasen eilte, bewegte sich nichts.

Doch dann raschelte ein großer Busch, der nah am Zaun stand. Die Bewegung war zu kräftig, als dass ein Eichhörnchen sie verursacht haben könnte. Eine Katze vielleicht. Ich ging näher heran, dann erstarrte ich, als ich den Mann in Braun neben dem Busch knien sah. Er drehte sich um und blickte sich nervös um. Ich schaffte es, gerade rechtzeitig hinter einem Baumstamm zu verschwinden. Offensichtlich zufrieden, dass niemand ihn sah, packte er einen der Eisenstäbe des Zauns, entfernte ihn, glitt durch die Öffnung und setzte den Stab wieder ein. Es war alles in einer Sekunde vorbei. Ich beobachtete, wie er sich abbürstete und dann pfeifend die Straße hinunterging.

Ich war so beeindruckt, dass ich einen Moment brauchte, bis mir einfiel, dass ich ihn schon einmal gesehen hatte. Es war derselbe Mann, der im Central Park ein Foto von uns gemacht hatte.

Drei

Bis zum nächsten Tag dachte ich nicht an den seltsamen Vorfall. Ich nahm an, dass der Mann den Park lediglich ohne Anwohnerschlüssel betreten wollte. Der kühle Schatten war an diesen stickigen Sommertagen, an denen die Hitze von den Pflastersteinen aufstieg und von den Wänden reflektiert wurde, gewiss verlockend.

Ich war seinem Beispiel gefolgt und durch den lockeren Stab nach draußen gelangt, hatte dann vom Dienstmädchen den Schlüssel geholt, aber Miss van Woekem keine Details über meine Flucht erzählt. Ich hatte mir den Stab allerdings zum zukünftigen Gebrauch gemerkt.

Ich kam an diesem Abend nach Hause und fand meine Vermieterin in Aufregung.

„Nun, da sind Sie ja endlich, Miss Murphy, und keine Sekunde zu früh.“ Sie trat auf den Flur hinaus und blockierte mir den Weg. Sie hatte eine unheimliche Angewohnheit das zu tun, egal zu welcher Uhrzeit ich nach Hause kam. Sie war eine dieser Frauen, die meine Mutter „Spitzengardinen-Iren“ genannt hatte – nichts Besseres zu tun, als hinter ihren Spitzengardinen zu sitzen und die Welt zu beobachten.

„Wieso, was ist denn passiert, Mrs. O’Hallaran?“, fragte ich.

„Die Hölle ist ausgebrochen.“ Sie zeigte die Treppe hinauf. „Die Hälfte des Gesindels aus der Lower East Side, wenn Sie mich fragen.“

„Oh, das wird die Familie seines Cousins sein.“ Ich wurde mutlos. Die Menschen, die ich in New York City am wenigsten leiden konnte.

„Eine Schar wilder Kinder, die so viel Lärm machten, dass ich ihn selbst zu ihnen heraufschicken musste. Noch mehr Lärm, und sie fliegen raus.“ Sie wandte sich mir wieder zu. „Mir wurde zu verstehen gegeben, dass Captain Sullivan Sie als ruhige und vernünftige junge Frau empfahl. Jetzt sehen Sie, was Sie uns ins Haus gebracht haben.“

„Es tut mir leid, Mrs. O’Hallaran“, sagte ich, „aber ich habe Ihnen die Situation der O’Connors erklärt. Ich habe mich für diese Kinder verantwortlich gefühlt, wie Sardinen in dieses schreckliche Mietshauszimmer gedrängt, während ihre arme Mutter zu Hause in Irland im Sterben liegt.“

Der grimmige Ausdruck meiner Vermieterin wurde sanfter. „Nun, natürlich haben Sie sich verantwortlich gefühlt, nicht wahr. Jeder anständigen, gottesfürchtigen Frau wäre es so ergangen. Die armen Kleinen in einem fremden Land, während ihre liebe Mutter vielleicht schon bei den Engeln ist.“ Sie hielt inne, um sich zu bekreuzigen. „An diesen beiden ist nichts falsch, was eine starke Hand nicht in Ordnung bringen könnte, aber diese Cousins ...“

„Ich bin ganz Ihrer Meinung“, murmelte ich. „Ich werde mit ihnen sprechen.“

„Ja, tun Sie das, Miss Murphy. Ich wäre Ihnen sehr dankbar.“

Ich seufzte, als ich die Treppe hinaufstieg. Ich hatte nicht geahnt, was ich auf mich nahm, als ich zwei Kinder über den Atlantik begleitet und zu ihrem Vater gebracht hatte. Ich hatte erwartet, sie ihm auszuhändigen und aus ihrem Leben zu verschwinden, aber ich hatte festgestellt, dass das nicht leicht war. Sie waren, wie Mrs. O’Hallaran gesagt hatte, arme Kleine. Ich konnte sie nicht bei Nuala, diesem Drachen von einer Cousine, und ihrer Familie in einer Zweizimmerwohnung lassen. Wir hatten uns von Anfang an gehasst, als ich mit den Kindern von Ellis Island gekommen war. Nuala hätte nicht weniger gastfreundlich sein können, obwohl ich nirgendwo anders hinkonnte. Was der Grund dafür war, dass ich Seamus und seine kleine Familie aus diesem Elend befreien wollte, sobald Daniel dieses wundervolle Dachgeschoss auf der Eastside der 4th Street für mich gefunden hatte. Ich hatte den kleinen Seamus, dem ich den Spitznamen Shameyboy gegeben hatte, und die kleine Bridie sehr liebgewonnen. Mich um sie zu kümmern schien das Mindeste zu sein, das ich für ihre arme Mutter Kathleen tun konnte, die sich zu Hause in Irland schreckliche Sorgen machen musste. Ich hatte Bedenken gehabt, die beiden allein zu lassen und zu Miss van Woekem zu gehen. Sie waren zu klein, um den ganzen Tag lang allein in einer so großen Stadt zu sein, während ihr Vater Achtzehn-Stunden-Schichten arbeitete, um den Tunnel für die neue Untergrundbahn zu graben. Ich musste mich daran gemahnen, dass sie lernen mussten, auf eigenen Füßen zu stehen. New York war die Sorte Ort, an dem nur die Stärksten überlebten. Und schließlich war ich nicht mit ihnen verwandt. Für Miss van Woekem zu arbeiten wäre eine Möglichkeit, ihnen Unabhängigkeit beizubringen, entschied ich, als ich das nächste Stockwerk emporstieg. Es wäre an Seamus, die Verantwortung für seine Kinder zu übernehmen.

Der nächste Vormittag verging schnell und erstaunlich reibungslos. Miss van Woekem erteilte mir die Aufgabe, ihre Strickwolle zu sortieren. Als ich nach erfolgreicher Mission zurückkehrte, stellte ich fest, dass sie aus dem Fenster starrte.

„Da ist ein fremder Mann im Park“, sagte sie ohne aufzusehen. „Er ist schon den ganzen Morgen dort.“

Ich ging zu ihr ans Fenster. Es war der Mann im braunen Anzug.

„Er war auch gestern dort“, sagte ich. „Er stand an der gleichen Stelle.“

„Das hört sich nicht gut an“, sagte Miss van Woekem. „Wahrscheinlich ein Einbrecher, der überlegt, welches Haus er sich vornehmen soll.“

„Er lässt sich mit der Entscheidung schrecklich viel Zeit“, sagte ich. „Wenn er schon den ganzen Morgen dort steht, und gestern auch dort war.“

„Er beobachtet unser Verhalten und schaut, wann ein Haus leer sein könnte. Geh, such einen Constable und bring ihn her.“

Ich tat, worum sie mich gebeten hatte und kehrte mit einem großen, rotgesichtigen Constable zurück, den ich an der Ecke 4th Avenue und 21st Street angetroffen hatte.

„Ein seltsamer Mann im Park, sagen Sie, Miss?“, fragte er und schlug sich seinen Schlagstock in die Handfläche, um zu zeigen, dass er einsatzbereit war. „Wir kümmern uns gleich um ihn. Was genau hat er gemacht? Hat er jemanden belästigt?“

„Nein, er stand nur da und starrte eins der Häuser an.“

Wir erreichten Gramercy Park. „Wo genau haben Sie ihn zuletzt gesehen?“, fragte der Constable mit leiser Stimme. Ich zeigte in Richtung der südwestlichen Ecke. Er nickte. „Wir spazieren auf der anderen Seite entlang, beiläufig, sodass er denkt, wir hätten ihn gar nicht bemerkt. Dann schlüpfe ich in den Park und schnappe ihn mir.“

„Da ist er“, flüsterte ich. „Sehen Sie, unter dem großen Baum.“

Er warf einen raschen Blick dorthin, dann noch einen. „Ach, um den müssen Sie sich keine Sorgen machen, Miss. Das ist der alte Paddy. Ich kenne ihn gut. Würde keiner Fliege was zuleide tun. Ich nehme an, dass er Vögel beobachtet. Das macht er für gewöhnlich.“

Das berichtete ich Miss van Woekem. „Vögel beobachten?“, rief sie. „Mir war nicht bewusst, dass Vögel im zweiten Stock von Häusern nisten. Doch wenn die Polizei ihn für harmlos hält ... sie sind verantwortlich, wenn es einen Einbruch gibt.“

Während sie an diesem Nachmittag ihr Nickerchen machte, sah ich wieder aus dem Fenster. Was genau tat er da? Dann sah ich, dass etwas im Sonnenlicht aufblitzte. Ein Fernglas! Der Mann benutzte ein Fernglas, um die Häuser zu beobachten. Dann traf mich die Erkenntnis. Er war ganz und gar kein Einbrecher. Er war irgendeine Art Ermittler. Und der Constable musste gewusst haben, was er tat. Vielleicht arbeitete er sogar für die Polizei ...

Meine Gedanken wanderten zurück zu unserem Treffen am Sonntagnachmittag. Ich dachte an Daniels entspanntes Lächeln, als ich ihm sagte, dass der Mann versucht hatte, ihn zu bestehlen, und wie sich dann sein Ausdruck veränderte, als er seine Hand in die Tasche gesteckt hatte. Wie hatte ich so blind sein können? Er hatte ihm etwas in die Tasche gesteckt.

Aufregung durchfuhr mich. Ich hatte mit Daniel darüber gesprochen, mich als Ermittlerin niederzulassen, aber ich hatte keine Vorstellung davon, wie ich das anstellen sollte. Als ich versucht hatte, ein richtiges Verbrechen aufzuklären, war ich mit Glück oder Pech über Hinweise gestolpert, nicht meiner Fähigkeiten wegen. Und jetzt arbeitete hier vor meinen Augen ein echter Ermittler. Sobald ich Feierabend hätte, würde ich Daniel im Polizeihauptquartier besuchen. Ich würde ihn dazu bringen, mir alles zu erzählen, was er über den Mann im braunen Anzug wusste. Wenn er tatsächlich mit der Polizei zusammenarbeitete und kein Gangster war, würde ich ihn aufsuchen und bitten, mich als Auszubildende einzustellen.

Ich wartete ungeduldig darauf, dass der Tag zu Ende ging.

„Hör auf, herumzuzappeln, Mädchen. Du benimmst dich ja, als säßest du auf einem Ameisenhügel“, schalt Miss van Woekem. „Was stimmt nicht mit dir?“

„Es ist nichts. Ich schätze, ich bin es nicht gewöhnt, den ganzen Tag in einem Zimmer eingesperrt zu sein. Ich bin an der frischen Luft großgeworden. Möchten Sie, dass ich Sie noch mal für einen Spaziergang in den Park bringe?“

„Nein, danke. Dafür habe ich heute keine Zeit. Ich treffe meine Patentochter im Theater. Sie besteht darauf, dass ich mir mit ihr ein neues Stück ansehe. Ich weiß, dass es furchtbar wird. Es ist von einem langweiligen, jungen Europäer, und europäische Stücke sind stets Mittelschichtmelodramen. Als ob die Mittelschicht irgendetwas anderes als langweilig sein könnte. Aber ich muss das Kind bei Laune halten, wenn sie in die Stadt kommt. Ich sehe sie nicht oft genug.“ Sie blickte aus dem Fenster. „Du kannst heute früher gehen und dir etwas Stoff für ein Kleid aussuchen. Nichts Schrilles, verstehst du? Eine einfache, würdevolle Farbe – beige oder grau wären passend. Hier ist das Geld.“ Sie fischte in ihrer Netztasche herum und gab mir zwei Dollar. „Bring den Stoff morgen mit, dann werde ich veranlassen, dass mein Schneider bei dir Maß nimmt.“

Ich nahm das Geld und dachte, dass ich vielleicht gar keinen Stoff kaufen würde. Falls ich Daniel den Namen und die Adresse des alten Mannes aus der Nase ziehen konnte, würde Miss van Woekem sich eine neue Gesellschaftsdame zum Drangsalieren suchen müssen. Ich machte mich auf den Weg, mein Herz schlug voller Erwartung schneller.

Ich hatte Daniel nicht im Polizeihauptquartier in der Mulberry Street besucht, seit ich als Verdächtige dorthin gebracht worden war, und ich verspürte immer noch ein kaltes Gefühl der Furcht, als ich die Steinstufen hinaufstieg und den hallenden, gekachelten Flur entlangging. Obwohl die Vernunft mir sagte, dass ich auf der anderen Seite des Atlantiks sicher sei und dass mich meine Vergangenheit nie einholen würde, fiel es mir dennoch schwer zu atmen.

Daniels Büro lag auf der anderen Seite des Flurs, Vorderseite und Tür waren aus Glas. Ich konnte die Silhouette einer Gestalt sehen, die an seinem Schreibtisch saß. Also hatte ich Glück. Er war nicht für einen Fall unterwegs und hatte vielleicht sogar Zeit, um zum Abendessen mit mir eine Pause zu machen. Ich klopfte und schob die Tür in einer Bewegung auf.

„Du errätst nie, wen ich gerade im Gramercy Park gesehen habe, Dan“, setzte ich an, dann unterbrach ich mich verwirrt. „Oh, ich bitte um Verzeihung. Ich hatte erwartet, Captain Sullivan hier anzutreffen.“

Die Gestalt an Daniels Schreibtisch war eine exquisite junge Frau in einem rosafarbenen Kleid mit einer riesigen Kamee am Hals. Eine üppige Masse dunklen Haars türmte sich über einem elfengleichen Gesicht auf und wurde von einem dieser neumodischen, kleinen Hüte bedeckt, mit nur einem winzigen, rosaroten Schleier, der sich frech nach vorne schob. Ihre großen, blauen Augen wurden vor Überraschung noch größer, als sie mich ansah.

„Wenn ich es richtig verstanden habe, ist er jeden Moment zurück.“ Sie sprach mit sanfter, mädchenhafter Stimme und hatte einen amerikanischen Akzent. „Obwohl man das bei Polizisten nie weiß, nicht wahr?“ Sie lächelte und offenbarte Grübchen. „Wenn Sie eine dringende Nachricht für ihn haben, Miss, könnten Sie sie aufschreiben. Ich werde dafür sorgen, dass er sie bekommt.“ Sie starrte mich an und versuchte schlau aus mir zu werden. „Sie sind keine Zeugin eines Verbrechens, oder? Ich bin immer ganz verrückt danach, etwas über Verbrechen zu hören. Ich hoffe inniglich, einmal Zeugin zu werden, aber in White Plains scheint nie etwas zu passieren.“

„Nein, ich bin keine Zeugin. Bloß eine Freundin, die vorbeischaut, um Daniel eine Nachricht zu überbringen.“

„Ah, nun, wenn Sie eine Freundin sind, haben Sie bestimmt alles über mich gehört.“

„Ich fürchte nicht. Sie sind?“

„Daniels Verlobte, Arabella Norton. Hat er Ihnen nicht von mir erzählt? Ungezogener Junge.“ Sie lachte albern. „Nun, ich schätze, er plaudert nicht vor jedem, den er in New York trifft, sein Privatleben aus.“

Die Welt stand still. Sie lächelte noch immer. „Ich bin zum Einkaufen und fürs Theater in der Stadt, also dachte ich, ich schaue rein und überrasche ihn.“

„Oh, ich kann mir vorstellen, dass Sie das tun.“ Ich kämpfte um einen gelassenen Gesichtsausdruck. „Wenn Sie mich jetzt also entschuldigen, Miss Norton, ich werde Sie nicht länger belästigen. Was ich zu sagen habe, kann bis zu einem anderen Mal warten.“

„Ach, lassen Sie doch eine Nachricht da. Ich verspreche Ihnen, dass er sie bekommt.“

„Keine Nachricht“, sagte ich und ging ruhigen Schrittes und mit erhobenem Haupt hinaus.

Erst als ich das Gebäude verließ, musste ich mich an einem Geländer festhalten und mich ans Atmen erinnern. Dann begann ich zu gehen, schneller und schneller, schritt aus ohne Plan und ohne Richtung. Alles, was ich wollte, war schnell genug weit weg zu gehen, damit der hohle Schmerz in meinem Herzen verschwand. Die Zeit zum Abendessen näherte sich und die Straßen waren voll von Fabrikmädchen, die von der Arbeit kamen, Hausfrauen die in letzter Minute bei den Karren auf der Straße Einkäufe machten, und Kindern, die am Boden auswichen, während sie wilde Spiele spielten.

All das zog verschwommen an mir vorbei. Mir fiel weder meine Umgebung auf, noch wie heiß mir war, als ich an der Spitze von Manhattan Island den Battery Park erreichte und die kühlende Brise auf meinem Gesicht spürte, die vom Hafen herüberkam. An diesem Abend blies ein recht steifer Wind, begleitet von einer schweren Wolkenbank am östlichen Horizont, die für die Nacht Regen versprach. Ich stand da und ließ mir den Wind ins Gesicht blasen, spürte die Kühle auf meinem schweißgetränkten Mieder.

Ich war so wütend, dass dachte, ich würde explodieren. Wie konnte er nur? Wie konnte er es wagen? Die ganze Zeit über hatte er mir etwas vorgemacht und mich glauben lassen, ich würde ihm etwas bedeuten, dabei war er an eine andere Frau gebunden und wusste, dass es für uns keine Zukunft gab. All die Male, die er mich in seine Arme genommen und voller Liebe in meine Augen gesehen hatte, waren Heuchelei gewesen, bloße Schauspielerei. Ich war nicht sicher, auf wen ich wütender war – auf Daniel oder auf mich selbst. Er war schließlich ein Mann, und Männer waren darauf aus, alles von Frauen zu bekommen, was sie wollten. Ich hingegen war eine einfältige Närrin gewesen. Während ich darüber nachdachte, fiel mir auf, dass er nie irgendwelche Versprechungen gemacht und nie auch nur angedeutet hatte, dass wir eines Tages heiraten würden. Tatsächlich war er, wenn das Gespräch aufs Heiraten gekommen war, ausgewichen oder hatte eilig das Thema gewechselt. Also hatte er mich nicht angelogen – er hatte mir nur nie die Wahrheit gesagt.

Und ich? Ich hatte ausnahmsweise einmal geschwiegen und geduldig darauf gewartet, dass er den richtigen Moment wählen würde, um mir einen Antrag zu machen, so wie es jedes gute Mädchen tun sollte. Wenn ich doch nur mein normales, ungeduldiges Selbst gewesen wäre, hätte ich verlangt, seine Absichten sofort zu erfahren, und gewusst, wo ich stehe.

Wenigstens wusste ich jetzt, wo ich stand. Ich war wieder auf mich allein gestellt. Ich würde mir meine eigene Zukunft aufbauen müssen, ohne die Aussicht auf Heirat oder auch nur den Rückhalt seiner Freundschaft. Was nur ein Grund mehr dafür war, dass ich so bald wie möglich eine Arbeit finden musste. Ich steckte die Hand in die Tasche und fingerte die zwei Dollar heraus. Ich würde mir keine vernünftigen Kleider anpassen lassen, soviel war sicher, denn ich würde nicht zu Miss van Woekem zurückgehen um für sie zu arbeiten. Ich würde lieber verhungern, als noch einmal einen Fuß in dieses Haus zu setzen. Wie praktisch, dass Daniel die Stelle als Gesellschaftsdame für mich eingefallen war. Miss van Woekem war eine Freundin der Familie, wahrlich. Wie praktisch, dass er vergessen hatte zu erwähnen, dass sie außerdem die Patentante seiner Verlobten war. Das Wort nur zu denken schickte einen stechenden Schmerz in meine Herzgegend. Ich hatte bisher nie geglaubt, dass Herzschmerz mehr als eine Metapher sein konnte. Ich presste die Augen zusammen, um zu verhindern, dass mir die Tränen kamen. Ich würde nicht weinen.

In diesem Moment begann es zu regnen, dicke Tropfen fielen zischend auf den Granit des Hafendamms. Ich stand reglos da und ließ mich vom Regen überspülen, als wäre ich eine Marmorstatue. Erst als die Tropfen zu einem regelrechten Wolkenbruch wurden und in der Nähe Donner grollte, wurde mir bewusst, wie unpassend mein gegenwärtiger Aufenthaltsort war. Es hatte keinen Sinn, sich vom Blitz treffen zu lassen. Ich strich mir die nassen Strähnen aus dem Gesicht und lief den Broadway hinauf.

Als ich an einer Bar vorbeikam, ging gerade eine Gruppe junger Männer hinein. Ich bereitete mich auf die üblichen unanständigen Bemerkungen vor. Stattdessen trat einer aus der Gruppe heraus.

„Kathleen?“, rief er.

Es war mein alter Freund Michael Larkin, mein Schiffskamerad von der Majestic, der wie ich Verdächtiger in einem Mordfall gewesen war. Er stand vor mir und grinste entzückt. Ich hätte ihn beinahe nicht erkannt. Ich hatte einen dünnen, blassgesichtigen Jungen verlassen, jetzt stand ein muskulöser, stolzer Mann vor mir. Ich hatte ihm erklärt, warum ich den Namen einer anderen Frau verwendete, als wir uns kennenlernten, aber ich schätze, für ihn war ich immer noch Kathleen. Er korrigierte sich, ehe ich es konnte. „Ich meine natürlich Molly. Wie dumm von mir. Molly, es ist schön, Sie zu sehen. Aber was ist mit Ihnen los? Sie sind nass bis auf die Haut?“

„Der Sturm hat mich erwischt. Ich war im Battery Park.“

„Und haben sich liebevolle Erinnerungen an Ellis Island ins Gedächtnis gerufen?“, fragte er. „Wie geht es Ihnen? Wie geht es den Kleinen? Leben Sie immer noch bei Ihnen?“

„Den Kindern geht es gut, danke“, sagte ich. „Der Rest ist eine lange Geschichte.“

„Könnten wir uns mal treffen und Sie erzählen mir alles?“, fragte er. „Jetzt bin ich drauf und dran mit meinen Kumpels einen Drink zu nehmen, und ich werde Sie nicht einladen, sich uns anzuschließen. Das ist kein Ort für eine Dame.“

„Ich wäre entzückt, Michael.“ Ich schaffte es sogar zu lächeln. „Ich habe an Sie gedacht. Sie sehen aus, als ob es Ihnen gutgeht.“

„Sie haben keine Ahnung, wie gut. Dies ist fürwahr das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Ich bin jetzt Vorarbeiter einer Gruppe und wir haben gerade mit der Arbeit an einem Gebäude begonnen, das das höchste der Welt werden wird. Sie nennen es das Flatiron Building, weil es aussieht wie ein Bügeleisen. Meine Güte, das wird ein Anblick. Ich muss Sie mal mitnehmen und es Ihnen zeigen.“

„Das würde mir gefallen.“

„Sie gehen besser nach Hause, ehe wir beide fortgespült werden.“ Er zog mich weg von einer Traufe. „Haben Sie Geld für die Straßenbahn?“

„Ja, danke.“ Er war so gütig und großzügig wie immer – ein wahrer Freund, wenn ich einen brauchte.

„Wir sehen uns wieder“, sagte er. „Oh, und Molly, Sie werden es nicht glauben, aber ich habe eine Freundin. Maureen, die Tochter meiner Vermieterin. Ich möchte, dass Sie sie kennenlernen. Sie ist das lieblichste Geschöpf auf Gottes weiter Erde. Ich bin wirklich ein glücklicher Mann, und all das verdanke ich Ihnen. Sie haben mir das Leben gerettet. Das werde ich Ihnen nie vergessen.“

Er stand da, während Regen über sein jungenhaftes Gesicht hinablief und strahlte mich an. Plötzlich konnte ich es nicht länger ertragen. „Das freut mich für Sie, Michael“, sagte ich. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen ...“

„Wann kommen Sie, um sie kennenzulernen?“

„Ein andermal, Michael. Da kommt eine Straßenbahn. Ich muss wirklich los.“

Ich hob meine Röcke und eilte durch die Pfützen davon.

Vier

Ich glaube, ich tat die ganze Nacht kein Auge zu. Der Sturm brach bei Einbruch der Nacht los und das anhaltende Donnergrollen hätte mich zusammen mit dem prasselnden Regen auf den Dachziegeln über mir auch ohne das Chaos in meinem Herzen wachgehalten. Ich versuchte, nicht an ihn zu denken, aber ich konnte nicht anders. Nichts ergab mehr einen Sinn. Wenn er lediglich gewöhnlichen männlichen Instinkten gefolgt wäre, hätte er sich mich nur zu Willen machen wollen. Und doch hatte er das nicht getan. Wir waren der Leidenschaft gelegentlich nahegekommen, und doch war er derjenige gewesen, der sich zurückgehalten und nicht erlaubt hatte, dass die Leidenschaft weiter ging. Er hatte mich stets mit dem größten Respekt behandelt, als warte er auf den richtigen Zeitpunkt, die richtige Gelegenheit. Naiv wie ich war, hatte ich stets gedacht, dass es bei dieser Gelegenheit darum gehen würde, um meine Hand anzuhalten.

„Morgen fange ich ein neues Leben an“, sagte ich laut in den Sturm hinein. Ich hatte schlimmere Dinge durchgestanden als das hier. Ich würde mich nicht von einer Enttäuschung, einem Verrat entmutigen lassen.

Früh am Morgen stellte ich mich im Haus am Gramercy Park vor. Es war eine Stunde vor meinem vereinbarten Arbeitsbeginn, aber ich wollte es so schnell wie möglich hinter mich bringen. Ich klingelte und fragte, ob Miss van Woekems Patentochter hier sei, ehe ich eintrat.

„Sie ist hier, ja, aber sie will nicht vor halb neun gestört werden“, flüsterte mir das Dienstmädchen zu. „Und sie wünscht, dass ihr Frühstück auf einem Tablett hochgebracht wird. Vollkommen verzogen, wenn Sie mich fragen.“

Sicher ob des Wissens, dass ich Arabella Norton nicht begegnen würde, holte ich tief Luft und betrat das Esszimmer, in dem, wie ich informiert wurde, Miss van Woekem gerade frühstückte. Sie sah überrascht von ihrem hartgekochten Ei auf.

„Du bist ganz schön übereifrig, Miss Murphy“, sagte sie. „Erscheinen dir die Stunden ohne meine Gesellschaft zu lang?“

„Ich bin so früh gekommen, weil ich Ihnen etwas zu sagen habe, Miss van Woekem“, sagte ich. „Ich fürchte, ich kann nicht länger als Ihre Gesellschaftsdame arbeiten.“