Mord im Felsenmeer - Ranka Nikolić - E-Book

Mord im Felsenmeer E-Book

Ranka Nikolić

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Beschreibung

Verletzte Gefühle, ein tragischer Schicksalsschlag und ein mysteriöser Mord am Strand – Band 3 der spannenden Krimireihe um Ermittlerin Sandra Horvat.

Traumhafte Buchten, kristallklares Wasser und duftende Pinien. Die kroatische Urlaubsinsel Krk ist ein wahres Paradies, nicht nur für Touristen. Doch dann erschüttert ein mysteriöser Todesfall die Idylle: Eine Frau wird ermordet am Strand aufgefunden. Nika Vukelić ging dort jeden Morgen schwimmen, doch diesmal sollte sie nicht mehr zurückkommen. Besonders beliebt war sie nicht. Doch wer könnte sie genug gehasst haben, um sie zu töten? Während Inspektorin Sandra Horvat versucht, Licht ins Dunkel zu bringen, muss sie sich auch noch ihren Gefühlen Kollege Sedlar gegenüber stellen, denn der hat gerade die Scheidung eingereicht …

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Buch

Traumhafte Buchten, kristallklares Wasser und duftende Pinien. Die kroatische Urlaubsinsel Krk ist ein wahres Paradies, nicht nur für Touristen. Doch dann erschüttert ein mysteriöser Todesfall die Idylle: Eine Frau wird ermordet am Strand aufgefunden. Nika Vukelić ging dort jeden Morgen schwimmen, doch diesmal sollte sie nicht mehr zurückkommen. Besonders beliebt war sie nicht. Doch wer könnte sie genug gehasst haben, um sie zu töten? Während Inspektorin Sandra Horvat versucht, Licht ins Dunkel zu bringen, muss sie sich auch noch ihren Gefühlen Kollege Sedlar gegenüber stellen, denn der hat gerade die Scheidung eingereicht …

Autorin

Ranka Nikolić wurde 1966 in Rijeka geboren, kam im Alter von drei Jahren nach Deutschland und lebt heute mit ihrer Familie in München – allerdings nicht, ohne ihrer Heimat Kroatien, der sie sich nach wie vor sehr verbunden fühlt, mindestens drei Besuche im Jahr abzustatten. Sie begann bereits als Jugendliche mit dem Schreiben von Gedichten und Kurzgeschichten und gibt ihre Erfahrung heute als Leiterin von Schreibseminaren weiter. In ihrer Krimireihe um Ermittlerin Sandra Horvat spürt man in jeder Zeile die Liebe zu ihrer kroatischen Heimat.

Von Ranka Nikolić bereits erschienen

Mord mit Meerblick • Mord im Olivenhain

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Ranka Nikolić

MORD

IM

FELSENMEER

Ein Kroatien-Krimi

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1. Auflage

Copyright © 2018 by Ranka Nikolić

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literaturagentur Kai Gathemann.

© 2019 by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Ulrike Gallwitz

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de

Umschlagmotiv: mauritius images/imageBROKER/Val Thoermer

Karte: © Jürgen Speh

JaB · Herstellung: sam

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-23892-6V002

www.blanvalet.de

Ljudi praštaju sve osim iskrenosti.

Die Menschen verzeihen alles, außer Ehrlichkeit.

Antun Gustav Matoš (1873–1914),

kroatischer Schriftsteller

Alle Orte im Buch sind real, auch der Ort Šilo auf Krk. Allerdings habe ich mir die Freiheit genommen, das eine oder andere schmückend hinzuzufügen oder abzuändern, so gibt es dort kein Café namens Sklonište.

Die Handlung und sämtliche Personen im Buch entspringen meiner Fantasie. Sollte es Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen geben, so ist dies rein zufällig und hat nichts mit der Geschichte im Buch zu tun.

Personenregister

DIE HAUPTFIGUREN:

Sandra Horvat, die ermittelnde Inspektorin der Mordkommission in Rijeka. Sie liebt ihren Job und ihre Stadt, erledigt ihre Arbeit rational, trotzdem nicht ohne Empathie.

Danijel Sedlar, im vorigen Jahr aus Pula nach Rijeka gezogen. Er ist attraktiv, intelligent und sehr an seiner Vorgesetzten interessiert. Da er das Kino liebt, vergleicht er Menschen gerne mit Schauspielern oder Filmfiguren.

Mihajlo Zelenika, Sandras exzentrischer Kollege serbischer Abstammung. Sein derber Humor lockert so manche Situation auf.

Jakov Milić, ein weiterer Kollege von Sandra, der seinem Kollegen Zelenika nie einen bissigen Kommentar schuldig bleibt. Er ist ein Muttersöhnchen, weshalb er keine Beziehung lange aufrechterhalten kann.

Vladimir Mandić, Sandras eigenwilliger, aber fairer Vorgesetzter.

Ika, die Putzfrau im Präsidium: eine gute Seele, die ihre eigene Art hat, mit dem Leben fertigzuwerden.

Dragović, ein junger Kollege bei der Kriminalpolizei. Es ist schwer, mit ihm konkurrieren zu wollen, in jeder Hinsicht.

Nataša Horvat, Sandras Schwester, die mit ihr nicht viel gemeinsam hat, außer die komplizierte Mutter.

Irma Horvat, Sandras Mutter, die es nicht lassen kann, an ihren Kindern herumzunörgeln und sie weiterhin zu erziehen.

Pavle Horvat, Sandras Vater, ein Mann weniger Worte, der zu seinen Kindern nie eine Verbindung aufbauen konnte.

WEITERE PERSONEN:

Jelena Jurić, Freundin und Nachbarin von Sandra, ist in München aufgewachsen, arbeitet als Kellnerin und hat für Sandra stets ein offenes Ohr.

Tamara Ibrahimović, Schreibkraft bei der Mordkommission, spricht überwiegend im Telegrammstil.

Ilija Perica, Gerichtsmediziner, lässt sich gerne um seine Meinung bitten und weiß um seine Kompetenzen.

Sikirica arbeitet bei der Spurensicherung, mit seinen gerade mal einssechzig kann man ihn schnell übersehen.

Mirta Car, ehrgeizige und hartnäckige Journalistin, und seit ein paar Monaten Milićs neue Freundin. Ist Mirta endlich die Richtige?

SOWIE:

Nika Vukelić, Mordopfer

Tin Vukelić, Ehemann der Toten, wird für faul und arrogant gehalten. Er erfüllte seiner Frau jeden Wunsch, sagen alle.

Lana Škalamera, Nikas Schwester, die sich nach deren Tod um ihren Schwager kümmert.

Petra Škalamera, Nikas Mutter, eine pensionierte Zahnärztin, die keine Schwäche duldet. Das hat auch bei ihren Kindern Spuren hinterlassen.

Tomislav Škalamera, Nikas Vater, ein pensionierter Ingenieur, der für seine Kinder immer das Beste wollte und sie damit überforderte.

Matej und Valeria Kosić, Nachbarn der Vukelićs. Die beiden Paare liegen wegen eines Stücks Land schon lange miteinander im Clinch. Valeria ist eine temperamentvolle Venezolanerin. Ihr Mann ist der ruhende Pol in der Beziehung.

Feliks Vidas, ein Musiker und Songwriter, mit dem Nika eine Affäre hatte.

Branimir Toić, der Postbote, lebt bescheiden und zurückgezogen in seinem Häuschen.

Ivanka und Dragutin Prendivoj, ein altes Pärchen, das gerne das Geschehen in der Nachbarschaft beobachtet.

Domagoj Buneta, besitzt ein Café in der Nähe des Tatorts.

Lovro Šprem, Nikas Psychotherapeut, ein heiterer, alter Mann, mit langjähriger Erfahrung. Er scheint der Einzige zu sein, der Nika wirklich verstanden hat.

Sanja Fućak, Nikas Chefin und Filialleiterin bei der Bank. Eine Frau, die weder lächelt noch viel von Floskeln hält.

1

Sie schlug die Bettdecke um, direkt auf seinen Oberkörper und sein Gesicht. Davon wachte er auf, wurde darüber ein wenig wütend, aber nur ganz kurz. Tin konnte seiner Frau nicht lange böse sein. Sie wusste das, und er hasste die Tatsache, dass sie es wusste. Es war Nika egal, ob er davon aufwachte. Es war Nika egal, was er fühlte. Tin würde immer für sie da sein, egal, was sie tat. Und Nika hatte schon vieles getan, das ihn verletzte.

Er hörte, wie sie ins Bad ging, auf der Toilette saß und sich danach die Zähne putzte. Dann kam sie zurück ins Zimmer, um sich den Bikini anzuziehen, wie sie es jeden Tag zwischen April und Oktober tat. Wenn er wach war, sah er ihr gerne dabei zu. Nach neun Jahren Ehe hatte er sich an ihr immer noch nicht sattgesehen. Er liebte ihren Körper, alles an ihr war so fein und hatte Klasse. Das lange, dunkelbraune Haar und diese graugrünen Augen brachten ihn immer noch dazu, ihr jeden Wunsch zu erfüllen und ihr alles zu verzeihen.

Tin hob den Kopf und sah sie an.

Nika wandte ihm kurz das Gesicht zu, während sie sich das Bikinioberteil überzog. Dieses typische Nika-Lächeln umspielte ihren sinnlichen Mund. Es war kein echtes Lächeln, wie meistens. Genau genommen, hatte er selten ein ehrliches Lächeln bei ihr gesehen, noch seltener ein herzliches Lachen.

»Was ist?«, fragte sie, fast etwas gelangweilt. »Willst du mitkommen?«

»Ha, ha«, machte er, noch schlaftrunken. »Dieser Tag wird wahrscheinlich niemals kommen.«

»Ja, wahrscheinlich nicht.« Manchmal hatte sie einen sarkastischen Unterton, den man kaum wahrnahm, wenn man sie nicht kannte. Aber Tin kannte sie gut, und deshalb wusste er, wie es gemeint war. Mittlerweile musste sie doch begriffen haben, dass er kein Frühaufsteher war und niemals einer werden würde. Tagtäglich, sogar am Wochenende, stand sie um halb sechs auf, ging hinunter zur Bucht und schwamm eine halbe Stunde. Immer, außer im Spätherbst und Winter. Gegen halb sieben kam sie zurück, frühstückte und fuhr zur Arbeit nach Rijeka. Wenn sie jetzt zur Tür hinausging, würde er sich wieder schlafen legen, wie jeden Morgen.

»Bis später«, murmelte Nika, ohne ihn anzusehen. Sie nahm ein Badetuch aus dem Schrank und ließ die Tür hinter sich zuschnappen. Nie machte sie sich die Mühe, die Tür leise zu schließen, auch nicht, wenn er noch schlief.

Tin ließ den Kopf wieder aufs Kissen sinken. Ja, er liebte seine Frau. Aber manchmal, wenn sie so war … so kalt …, wenn sie keine Rücksicht auf ihn nahm, auf seinen Schlaf oder seine Gefühle, dann hasste er sie. Er spürte diesen Hass körperlich, wie er sich in rasender Geschwindigkeit ausbreitete, seine Lippen aufeinanderpressen und die Muskeln anspannen ließ. Und dann, in seiner Fantasie, nahm er ihren Kopf zwischen die Hände und knallte ihn gegen die Wand, immer fester und immer schneller. Wenn er dann endlich von ihr abließ, weil sie sich entschuldigte, knallte er ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. Danach fühlte er sich besser, erleichtert und befreit. Manchmal atmete er nach dieser Fantasie sogar hörbar aus.

Es war nur eine Fantasie, die er auslebte. Er würde es nicht in der Realität tun, und er hatte noch nie jemandem Gewalt angetan. Was wohl andere Menschen so fantasierten, von dem niemand etwas ahnte? Wäre es nicht faszinierend zu erfahren, was in den Köpfen der anderen so alles vor sich ging? Wovon fantasierte Nika, von einem anderen Mann etwa?

Er spürte wieder die Wut und den Hass. Das Bedürfnis, ihren Kopf gegen die Wand zu knallen. So lange, bis sie beteuerte, wie leid ihr alles tat. Er würde ihr verzeihen. Natürlich. Wie er es immer getan hatte.

2

»Guten Morgen«, rief Sandra Tamara Ibrahimović im Vorbeigehen zu. Wie es aussah, war die Sekretärin des Chefs gerade angekommen, denn sie trug noch ihre Jacke. Für Anfang Mai war es morgens noch ungewöhnlich kühl. Tamara war Muslima und kam aus Bosnien-Herzegowina, was sich auch in ihren Accessoires niederschlug, wie der Handyhülle mit Fahne und der Aufschrift BiH (Bosna i Hercegovina), die sie gerade auf ihrem Schreibtisch ablegte.

Sandra war heute etwas später dran als sonst, sie baute gerade ihre Überstunden ab, da es keinen allzu dringlichen Fall zu bearbeiten gab. Momentan war sie in eine Brandermittlung involviert, außerdem ermittelte sie in einer Vermisstensache, die bedauerlicherweise schon zu lange andauerte, als dass noch Hoffnung bestand, die Person lebend zu finden.

»Guten Morgen, Inspektor Horvat«, grüßte Tamara zurück. »Hab’s vor zwei Minuten erfahren.«

Sandra blieb stehen und drehte sich um. »Was denn?«

»Ein Anruf von der Polizei auf Krk kam rein. Auf der Insel ist eine tote Frau gefunden worden.« Tamara nahm einen großen Schluck Kaffee aus dem Pappbecher, den sie sich mitgebracht hatte. »Rein zum Chef, bitte«, fügte sie dann noch hinzu.

Heute war Montag, und an einem solchen war der Chef normalerweise schlecht gelaunt. Tamara waren seine Launen allerdings egal. Sie informierte die Kollegen jeweils in ihrem abgehackten Telegrammstil über Mandićs Befinden, weil sie wusste, dass es die anderen interessierte. Sie selbst hatte sich in den Jahren so etwas wie ein Pokerface zugelegt.

»Sind die anderen schon da?«, fragte Sandra.

Tamara gähnte und hielt sich die Hand vor den Mund. »Milić und Zelenika sind schon beim Chef. Sedlar ist bei Dragović im Büro. Er wollte mit ihm über seinen letzten Fall sprechen, das hat Sedlar wohl interessiert.« Tamara zog sich die Jacke aus, und plötzlich hatte sie die Spur eines dreckigen Grinsens im Gesicht. »Wenn ich nicht verheiratet wäre, würde ich sagen, da sind die zwei Sahneschnitten in einem Raum.«

»Tamara! Also bitte!« Als es schon raus war, wurde Sandra bewusst, dass sie sich anhörte wie eine Lehrerin. Möglicherweise hatte der Beruf ihrer Eltern doch Spuren bei ihr hinterlassen. Sandra lächelte, um die Belehrung abzumildern. »Ich weiß gar nicht, was alle an Dragović so toll finden.« Sicher, er war attraktiv, aber weil er nie lächelte und für sein noch junges Alter generell zu ernst war, fehlte irgendwie das Charisma. »Ich geh dann mal zum Chef«, sagte sie und setzte sich in Bewegung.

»Ist ja interessant.« Tamara tat so, als habe sie ein kurzes Selbstgespräch geführt, aber es war offensichtlich, dass sie gefragt werden wollte.

Sandra tat ihr den Gefallen, ein bisschen neugierig war sie jedoch auch – eine Eigenschaft, die sie gerne auf ihren Beruf schob. »Was ist denn so interessant?«

Mit einer geschickten Handbewegung zog Tamara zwei Mappen von der Ablage und ließ sie vor sich auf den Schreibtisch fallen. Sie hob den Kopf und sah Sandra grinsend an. »Dragović haben Sie genannt, Sedlar nicht.«

Sandra hob die Augenbrauen. »Ich habe Sie selten so redselig erlebt.«

»Das muss der Kaffee sein, der aus mir spricht. Normalerweise beobachte ich und schweige. Über meine Beobachtungen könnte ich eine Fernsehserie schreiben.«

Sandra sah Sedlar durch den Flur auf sich zukommen, energiegeladen und mit zufriedenem Gesichtsausdruck. »Guten Morgen, Inspektor Horvat. Ich habe gerade gehört, dass es eine Tote auf Krk gibt?« Sedlar klang ein wenig aufgekratzt, fiel Sandra auf. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie seit ein paar Wochen nichts Spektakuläres mehr zu bearbeiten hatten.

Sie bemerkte, wie Tamara ihren Kollegen musterte. »Sedlar, Sie erinnern mich an meinen kleinen Neffen, wenn er sich auf seine Comicserie freut.«

»Was?« Sedlar schüttelte den Kopf und blickte irritiert zu Tamara herüber. »Nein, ich … Ich will einfach nur meinen Job machen.«

Tamara verzog den Mund. »Sagte der Henker, bevor er das Fallbeil hinuntersausen ließ.«

»Seit wann reden Sie so viel?«, fragte Sedlar.

Sandra lachte kurz auf. »Es ist der extragroße Kaffee, der aus ihr spricht. Das ist jedenfalls ihre Ausrede. Kommen Sie, Sedlar, wir müssen in Mandićs Büro.«

Als sie die Tür aufmachte, saß Mandić mit wehleidigem Gesichtsausdruck hinter seinem Schreibtisch. Es war immer schwer zu sagen, ob dieser Gesichtsausdruck von seiner Arbeit oder den Diätvorgaben seiner Frau und seines Arztes herrührten. Zelenika und Milić standen nebeneinander vor dem Schreibtisch, anscheinend bereits in Aufbruchstimmung.

»Na endlich«, grummelte Sandras Chef. »Wird ja auch Zeit.«

Sandra wollte ihn an ihren Überstundenabbau erinnern, ließ es dann aber bleiben. Sie konnte schließlich nicht ahnen, dass dieser Anruf kommen würde. Mandić brauchte dieses Genörgel von Zeit zu Zeit. Vielleicht war das ein Ventil. Es gab schlimmere Chefs als ihn.

»Guten Morgen«, kam es von Sedlar, der im Begriff war, noch etwas zu sagen, als Mandić ihnen auch schon mitteilte: »Ihr müsst nach Krk. Eine Frau wurde an der Küste von Šilo tot aufgefunden. Vielleicht ist sie vom Felsen gestürzt, abgerutscht, wer weiß. Vielleicht aber auch nicht. Ein Nachbar hat sie in der Bucht liegen sehen. Sie hat am Kopf geblutet, und ihre Augen waren geöffnet, weshalb er gleich erkannte, dass sie tot war. Dann wurden die Kollegen in Krk verständigt, sie haben auch einen Krankenwagen bestellt. Nachdem sie sich die Leiche angesehen hatten, verständigten sie uns. Es sei wohl besser, meinten sie, wenn jemand von der Mordkommission und ein Gerichtsmediziner sich das mal anschauen würde.«

»Gibt es einen bestimmten Grund, weshalb die Kollegen auf Krk skeptisch sind?«, fragte Sandra.

»Darüber bin ich nicht informiert.«

»Also nach Šilo?«, wollte Sedlar wissen. »Das ist im nordöstlichen Teil der Insel, oder?«

Mandić warf ihm einen kurzen, genervten Blick zu. »Bin ich Geograf? Gebt es in euer Navi ein.« Pause. »Ja, das ist im Nordosten. Wenn ihr in Šilo auf Stara cesta reinfahrt, dann müsst ihr links zu der felsigen Küste. So hat man es mir am Telefon beschrieben.«

»Hat derjenige, der die Polizei in Krk verständigt hat, auch die Tote gefunden?«, fragte Sandra.

»Ja.« Mandić hob einen Zettel vom Schreibtisch auf und warf einen Blick darauf. »Sein Name ist Branimir Toić. Er ist Briefträger und wollte gerade auf sein Mofa steigen, als er die Frau entdeckte. Es soll sich um eine Anwohnerin aus Šilo handeln. Ihr Name ist Nika Vukelić. Perica und Sikirica wurden bereits verständigt und sind auf dem Weg nach Krk.« Sandra fragte sich manchmal, in welcher Geschwindigkeit der Gerichtsmediziner Perica zum Tatort fuhr, da er in geradezu atemberaubendem Tempo eintraf. Der arme Sikirica von der Spurensicherung hatte es weiß Gott nicht leicht, mit Perica am Tatort zusammenzuarbeiten, so selbstverliebt wie Perica war. »Von hier aus«, fuhr Mandić fort, »braucht ihr nach Šilo dreißig bis vierzig Minuten, von Krk aus waren die örtliche Polizei und der Krankenwagen etwas schneller vor Ort.«

»Was?« Zelenika sah Mandić verständnislos an und hob in einer Geste der Verwirrung die Hände. »Die Polizei kommt aus Krk nach Krk? Habe ich irgendetwas nicht verstanden?«

Mandić schloss für eine Sekunde die Augen. »Dass man diesen Zugereisten immer alles erklären muss. Zelenika, ich weiß ja, dass ihr in Serbien keine Inseln habt, aber …«

»Seine geografischen Kenntnisse sind normalerweise sehr gut«, kam Milić seinem Kollegen sofort zu Hilfe. »Aber nicht jeder kann alles wissen, Chef.«

Zelenika blickte vom einen zum anderen. »Was? Ich bin in Kroatien aufgewachsen. Ich kenne das Land in- und auswendig. Außerdem weiß ich, dass Krk die Hauptstadt der Insel ist, wie bei manch anderen Inseln eben auch. Sie können einfach nicht gut erklären, Chef. Das hat mich verwirrt.«

Mandić sah ihn mit offenem Mund an. »Was ist los mit Ihnen?«, bellte er. »Haben Sie Fieber? Haben Sie ein Problem mit meiner Rhetorik?«

Zelenika stand einen Augenblick regungslos da, dann deutete er ein einsichtiges Nicken an. Traurig presste er hervor: »Entschuldigen Sie, Chef, aber ich bin ein bisschen neben der Spur. Bobo … das ist mein Kater, wurde gestern Abend überfahren. Wir hatten ihn acht Jahre.«

Mandić schien ein paar Sekunden nachzudenken. »Sie haben nie einen Kater erwähnt.«

»Warum sollte ich mit Ihnen über meinen Kater sprechen, Chef?«

»Das wäre ja noch schöner.« Mandićs Gesichtsausdruck veränderte sich und wurde milder. »Tut mir leid, Zelenika. Ich weiß, wie das ist. Ich hatte zwar einen Goldfisch …«

»Sie wollen Ihren Goldfisch mit Bobo vergleichen?«

»Wir sollten los«, sagte Sandra und hoffte, dass es vor Mandić nicht gefühllos klang. Auf Zelenika brauchte sie in Sachen Bobo keine Rücksicht zu nehmen. »Reize es nicht aus«, flüsterte sie ihm zu, als Mandić gerade nicht in ihre Richtung blickte.

Als sie auf der Küstenstraße Richtung Krk-Brücke fuhren, zündete Zelenika, der neben Sandra auf dem Beifahrersitz saß, sich eine Zigarette an und öffnete einen Spaltbreit das Fenster.

»Hey, Zelenika«, kam es vom Rücksitz von Sedlar, »das mit Bobo tut mir echt leid.«

Zelenika drehte den Kopf nach hinten. »Wem?«

»Dein Kater? Hieß er nicht so?«

»Ach ja, schlimme Sache. Er wird mir fehlen.« Zelenika blickte wieder nach vorne und zog an seiner Zigarette.

Damit Sedlar nicht blöd dastand, verspürte Sandra die Pflicht, Sedlar in Kenntnis zu setzen. »Es gibt keinen Bobo, Sedlar. Er hat sich dem Chef gegenüber etwas verrannt, deshalb hat er diese Affengeschichte erfunden.«

»Katergeschichte«, verbesserte Zelenika.

Sandra hörte Sedlar sein leises Schnauflachen ausstoßen, das sie so sympathisch fand. »Hmm, clever gelöst«, bemerkte er.

»Danke«, sagte Zelenika.

»Und ich dachte, dass du Zelenika mittlerweile besser kennst«, schaltete Milić sich ein. »Du solltest ihm keine Komplimente für seine Lügereien machen.«

Sandra sah im Rückspiegel, wie Sedlar sein Gesicht Milić zuwandte. »Und ich fand es süß, wie du ihn verteidigt hast. Wirklich, ganz lieb.«

»Er hat mir nur leidgetan, wie er sich selbst ans Messer geliefert hat. Dieser Tölpel.«

Zelenika verdrehte die Augen.

Sandra schüttelte den Kopf, sagte aber lieber nichts mehr dazu. Ungeduldig klopfte sie mit den Fingern aufs Lenkrad. Ihre Eltern hatten heute Hochzeitstag, und sie hörte schon jetzt die Vorwürfe, weil sie zu spät kommen und das Essen kalt werden würde. Wenn ein Mordfall reinkam, dann hieß es zwölf Stunden am Tag arbeiten, manchmal auch länger. Ihre Mutter verstand bis heute nicht, warum sie nicht vorher Bescheid sagte. Sandra hatte es aufgegeben, ihr das immer wieder aufs Neue zu erklären. Vielleicht würde dies kein Mordfall werden, sondern sich als Unfall oder Selbstmord herausstellen.

Zelenika musterte sie von der Seite. »Du wirkst heute so nervös, und ein bisschen … gereizt? Aber nur ein kleines, winziges bisschen.« Weil die beiden schon lange zusammenarbeiteten und Zelenika Sandra seit ihren Anfängen bei der Polizei kannte, durfte er sie duzen und so mit ihr sprechen. Er hatte sie schließlich auch mental durch ein privates Tief gebracht, als ihr Freund Marin tödlich verunglückt war, während sie am Fenster gestanden und alles mit angesehen hatte. Mit seiner rauen Art bot Zelenika ihr damals eine Schulter zum Ausweinen.

»Ich hasse es einfach, der Sonne entgegenzufahren. Sie blendet mich.« Das war die bequemste Ausrede. Sie mochte nicht erzählen, dass sie heute Abend das Genörgel ihrer Mutter erwartete.

»Ja, die Sonne verdirbt mir auch jeden Tag die Laune«, murmelte Zelenika ironisch.

Als sie später die Brücke hinter sich gelassen hatten und auf die Insel fuhren, waren es noch etwa zwanzig Minuten bis Šilo. Die Brücke gab es erst seit 1980, bis dahin hatte man die Fähre benutzen müssen, und für die Inselbewohner war ein Pendeln zum Arbeitsplatz nach Rijeka eine mühselige Angelegenheit gewesen. Die knapp anderthalb Kilometer lange Brücke erleichterte seitdem Einheimischen und Touristen den Zugang zur Insel.

Zu beiden Seiten erstreckte sich das üppige Grün vonKrk, die Insel strahlte einen ganz besonderen und herben Charme aus. Seit der Antike trug Krk den Beinamen »Goldene Insel«. Jetzt im Mai fing langsam die Saison an, aber noch war die Touristenzahl überschaubar.

Krk hatte viele Gesichter. Während sich die Besuchermassen durch die Gassen der Stadt Krk schlängelten, konnte man in den Tiefen der Wälder die Stille hören, nur von Zeit zu Zeit das Rascheln der Blätter oder ein Tier, das sich bewegte. Es gab den dichten Wald, der wild und verwachsen war und wo nur selten ein Mensch hineinkam. So wie das ehemalige Dorf Dolovo, entstanden im 18. Jahrhundert, dessen Einwohnerzahl aufgrund von Auswanderung immer mehr geschrumpft war. Heute standen dort nur noch Ruinen, mitten im Nirgendwo.

Auf Krk gab es Feigenbäume und Brombeersträucher, wo man sie nicht vermutete, auf Parkplätzen und am Straßenrand.

Es war lange her, dass Sandra die Insel besucht hatte, obwohl es von Rijeka aus nur ein Katzensprung war. »Als Teenager habe ich viel Zeit hier verbracht«, erzählte sie ihren Kollegen. »In Stara Baška, im südlichen Teil der Insel. Meine Schulfreundin Suzana und ich waren für viele Jahre unzertrennlich. Suzanas Eltern kamen aus diesem Teil der Insel und hatten dort ein altes Steinhaus, in dem noch Suzanas Urgroßeltern gewohnt hatten. Ihre Nona hat mir erzählt, dass Krk magisch mit der Zahl Sieben verbunden ist. Im 7. Jahrhundert wurde Krk von den Kroaten besiedelt, siebenmal verteidigte sich die Insel gegen Seeräuber, der siebte Fürst Frankopan war gleichzeitig auch der letzte, und Krk besteht aus sieben Gemeinden. Eine Legende besagt, dass jede von ihnen ihre eigene Todsünde hatte.«

»Vielleicht ist es ja keine Legende«, scherzte Zelenika. »Krk ist also ein Teil deiner Kindheit? Wusste ich gar nicht. Du sagst doch immer, dass der Sommer und seine Hitze dich nerven.«

»Ach Gott, ja. Weil ich dann meistens arbeiten muss. Jedenfalls waren es damals schöne Sommer. Wir haben in versteckten Buchten gebadet, in den ehemaligen Fischerdörfern, und manchmal sind wir von Stara Baška rüber nach Baška.«

»Also mich hat dieses Baška und Stara Baška immer verwirrt«, gestand Zelenika.

»Wirklich? Beides ist im Süden, aber mehrere Kilometer voneinander entfernt.«

»Dich verwirrt ja heute so einiges«, kommentierte Milić, wie zu sich selbst.

Zelenika ignorierte ihn. »Ich habe nur einmal auf Krk gebadet. In Baška. Der Strand dort ist fast zwei Kilometer lang. Das war wundervoll. Montagmorgen, kein Mensch weit und breit.« Dann fragte er Sandra: »So, so, du hast also viel von Krk gesehen damals?«

»Das kann man so sagen. Dank Suzana und ihrer Familie. In der Marina von Punat hatten Suzanas Eltern ein Boot, mit dem wir rausgefahren sind, rund um die Insel. Ein paarmal sind wir auch mit dem Boot in die Bucht von Soline gefahren. Dort ist das Wasser wegen der Einbuchtung etwas wärmer, und deshalb kann man auch im Frühling und Herbst dort schwimmen. Suzanas Eltern sind dann immer nach Klimno gelaufen, weil man sich dort mit Heilschlamm einreiben kann. Ihr Vater tat das wegen seiner Gelenkschmerzen und ihre Mutter wegen der schöneren Haut.« Sie lächelte bei der Erinnerung. »Abends sind wir meistens nach Njivice zum Essen. Dort hatte ihr Onkel ein Fischrestaurant, wo wir Brudet und Škampi gegessen haben, und manchmal gab es eine kleine Bühne mit einer Band, die Tanzmusik gespielt hat.«

»Aber Šilo kennst du nicht?«, fragte Zelenika.

»In Šilo waren wir nur einmal. Es ist schön dort, hauptsächlich felsig und wild, das weiß ich noch. Aber es gibt einen kleinen Sandstrand, soweit ich mich erinnere.« Sandra sah in den Rückspiegel. »Sedlar, Sie müssen mal die Höhle Biserujka besuchen, ist hier in der Nähe, auf dem Weg nach Šilo. Suzanas Vater hat erzählt, dass sie wegen der biser1 so heißt. In fernen Zeiten sollen Piraten hier ihre Beute versteckt haben.«

»Das mache ich vielleicht«, erwiderte Sedlar. Im Rückspiegel sah Sandra ihn lächeln. Schnell wandte sie den Blick ab.

Zelenika sah sie von der Seite an und fragte: »Was macht Suzana heute?«

»Ich habe keine Ahnung. Später hat es uns in verschiedene Richtungen verschlagen.« Außer ihrer Nachbarin Jelena hatte Sandra keine engen Freunde, was an ihrem Beruf und der dadurch beanspruchten Zeit lag. Und womöglich würde sie bald auch Jelena verlieren. Jelena war in München aufgewachsen und vor ein paar Jahren in ihre Geburtsstadt Rijeka übergesiedelt, weil sie sich im Sommerurlaub hier verliebt hatte. Sie hatte diesen Mann nach kurzer Zeit geheiratet, und nach zehn Monaten war die Ehe geschieden worden. Weil sie mit ihrer Ausbildung als Visagistin hier keinen Job fand – denn diese Stellen waren rar gesät und liefen nicht selten über Beziehungen –, arbeitete Jelena als Kellnerin. Nun hatte Jelenas Freundin Manuela in München über mehrere Umwege erfahren, dass bald eine Stelle am Theater frei wurde. Also musste Jelena sich entscheiden. Sandra fühlte sich mies, wenn sie sich dabei ertappte, wie sie sich wünschte, dass Jelena blieb. Natürlich würde sie sich für Jelena freuen, wenn sie die Stelle in München bekäme, aber die Freundin würde Sandra furchtbar fehlen.

»Krk ist die größte Insel, Sedlar«, informierte Milić seinen Kollegen, der ursprünglich aus Pula stammte und erst seit einem Jahr in Rijeka war.

»Eigentlich sind Krk und Cres gleich groß«, verbesserte Zelenika. Er hatte eine Zeit lang gemeinsam mit Sedlar in Pula gearbeitet, als dieser noch in der Ausbildung gewesen war. Zelenika kannte Istrien und die Kvarner-Bucht besser als manch Alteingesessener.

»Ich glaube, Krk ist ein paar Quadratzentimeter größer«, beharrte Milić.

»Ich glaube nicht«, trotzte Zelenika.

Milić war bekanntermaßen Lokalpatriot und setzte Sedlar gerne über die historischen Fakten in Kenntnis. »Die Illyrer besiedelten Krk vierhundert Jahre vor Christus.«

»Christus war auch da?«, witzelte Zelenika.

»Vierhundert Jahre später«, fuhr Milić unbeirrt fort, »eroberten die Römer die Insel und nannten sie Curicum. Wir haben beschlossen, daraus Krk zu machen.«

»Wer ist wir?« Zelenika grinste. »Warst du dabei, als das beschlossen wurde?«

Kurz darauf erreichten sie Šilo. Als sie in den Ort hineinfuhren, sahen sie einige Autos mit ausländischen Kennzeichen, die am Straßenrand geparkt waren. Vor einem Haus stand ein Zitronenbaum, an dem ein kleines Schild befestigt war: Don’t touch! Wie es aussah, gab es Touristen, die Obstbäume in fremden Gärten als frei zugänglich betrachteten.

Sandra fuhr auf der Stara cesta Richtung Ufer und parkte dort den Wagen direkt neben dem hiesigen Streifenwagen. Nachdem sie ausgestiegen waren, gingen sie die kleine Straße oberhalb der Felsen entlang. Unweit von ihnen war ein Krankenwagen geparkt. Sie beobachteten zwei Uniformierte dabei, wie sie den Tatort absperrten. In der Nähe der beiden Polizisten standen zwei Männer. Sandra grüßte in ihre Richtung, aber niemand grüßte zurück. Der Schock stand den beiden Männern ins Gesicht geschrieben. »Wir sind von der Kriminalpolizei in Rijeka«, rief sie den uniformierten Polizisten zu. »Ich bin Inspektor Horvat, und das sind meine Kollegen.«

»Ja, sofort«, reagierte nun der ältere der beiden. »Warten Sie kurz, wir sind sowieso gerade hier fertig.«

Sandra machte ein paar Schritte und blickte über die Mauer nach unten, wo am Fuß des Felsens ein regloser Körper lag. Ihre Kollegen taten es ihr nach. Die beiden Sanitäter standen bei Perica und Sikirica. Offenbar hatten sie bereits den Tod der Frau festgestellt. Perica von der Gerichtsmedizin und Sikirica von der Spurensicherung waren anscheinend erst kürzlich eingetroffen, da sie sich gerade die Schutzanzüge samt Kapuze überzogen, dann die Überzüge für die Schuhe und die Handschuhe. Seinen Ausrüstungskoffer hatte Sikirica am Fuß der Treppe abgestellt, die zu der kleinen Bucht führte und die der Fotograf und die Kriminaltechnikerin gerade hinunterliefen. Die Tote lag auf dem Rücken, Beine und Arme in normaler Position, nahe am Körper. Wäre ihr Haar nicht von Blut durchtränkt gewesen, hätte man meinen können, sie würde sich sonnen. Ihr Mund und die Augen standen offen. In einem Meter Entfernung lag ein Badetuch, schneeweiß und frei von Blut.

»Die war noch ziemlich jung«, kommentierte Zelenika. »Attraktiv, wenn man das von hier aus und in Anbetracht des blutigen Kopfes beurteilen kann.«

»Ja, tolle Figur«, meinte Milić und zückte seinen Notizblock. Während eines Mordfalls schrieb Milić alles auf. Er musste einen enormen Notizblockverschleiß haben, überlegte Sandra.

»Schreibst du das jetzt da rein? Tolle Figur?«

»Nein, Zelenika. Ich finde es nur seltsam, dass das Handtuch so schön ordentlich ausgebreitet ist, es wurde sogar mit kleinen Steinen an den Ecken fixiert. Entweder war die Frau im Wasser, hat sich mit diesem Handtuch abgetrocknet und dann wollte sie sich noch ein wenig in die Morgensonne legen – oder sie kam gerade an, breitete das Handtuch aus und wollte ins Wasser.«

Zelenika kniff die Augen zusammen. »Und? Was sagt uns das?«

»Nichts. Ich beobachte nur.«

»Und warum musst du immer alles aufschreiben? Kannst du dir das nicht merken?«

»Ich bin froh, dass er jede Kleinigkeit aufschreibt«, sagte Sandra. Sie hasste Notizen schreiben und war froh gewesen, als Milić das irgendwann übernommen hatte. Sedlar war dafür ein eifriger Berichteschreiber, was Sandra ihm gerne überließ.

Milić kritzelte, mit der Zungenspitze zwischen den Lippen, und blieb Zelenika eine Antwort schuldig.

Perica hob den Kopf und nickte Sandra zur Begrüßung kurz zu. Ihre Kollegen beachtete er nicht weiter. Sikirica lächelte schüchtern. Alle glaubten, dass der kleine Sikirica ein wenig für Sandra schwärmte. Na ja, mittlerweile glaubte sie das auch, weil er jedes Mal rot wurde, wenn er sie sah. Sie fand ihn sehr sympathisch, aber er bekam den Mund nicht auf und war einen halben Kopf kleiner als sie.

Sandra nickte grüßend zurück, dann sah sie sich um. Sollte die Frau gestürzt sein? Das hielt sie aufgrund der Mauer, die hier oben verlief, für unwahrscheinlich. Auch hätte sich die Frau hier gar nicht aufgehalten, weil sie außen rum gehen musste, um zur Bucht zu gelangen. Da die Felsen groß, scharf und kantig waren, hatte man eine Treppe mit Geländer angebracht. Selbstmord war in Sandras Augen ebenfalls auszuschließen, da der Felsen gewölbt war und man nicht gerade hinunterfiel. Außerdem waren es nicht mehr als sieben Meter von der kleinen Straße bis hinunter in die Bucht. Wäre die Frau ausgerutscht, dann läge sie nicht in der Bucht, denn wo sollte sie ausgerutscht sein, um dort zu landen? Der winzige Kiesstrand, auf dem die Tote lag, war etwa fünf Meter lang und an seiner breitesten Stelle maß er höchstens zwei Meter. Um dorthin zu gelangen, musste man die Treppe nach unten gehen und ein paar Meter durch seichtes Wasser waten. Deshalb hatten diejenigen, die unten standen, aufgekrempelte Hosen gehabt, die sie dann wieder nach unten krempelten. Wenn es sich nicht um Mord handelte, dann musste die Frau tatsächlich ausgerutscht und umgeknickt sein und sich dabei den Kopf heftig am Felsen gestoßen haben. Das war unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich, überlegte Sandra.

»Perica?«, rief sie dem Gerichtsmediziner von oben zu.

Er hatte sich schon an die Untersuchung der Leiche gemacht und verabscheute es, unterbrochen zu werden. Sandra konnte das verstehen, aber es mangelte Perica manchmal am Verständnis ihr gegenüber. Schweigend blickte er zu ihr hoch. Er sah dabei nicht freundlich aus.

»Ein Sturz?«, fragte sie knapp.

»Unwahrscheinlich.«

»Warum?«

»Kein Genickbruch, keine Knochenbrüche. Der Schädel.«

»Was ist mit dem Schädel?«

»Mehrere Frakturen, würde ich sagen. Und jetzt lassen Sie mich in Ruhe.« Der letzte Satz kam scharf und deutlich.

Kurz darauf kamen die Uniformierten auf Sandra und ihre Kollegen zu, die beiden Männer trabten wie unsichere Schuljungen hinter ihnen her. »Hier, an dieser Stelle, wo Sie jetzt stehen, haben wir die beiden Herren vorgefunden, als wir auf den Anruf hin hergekommen sind«, erklärten die Polizisten.

»Ist einer von Ihnen Branimir Toić?«, fragte Sandra an die Männer gewandt.

Einer der beiden nickte. Er war ein korpulenter Mann mittlerer Größe und mittleren Alters. Leicht nervös schob er seine Brille zurecht. Sein brünetter Militärschnitt stand in Kontrast zu seinen eher weichen Gesichtszügen. »Ja, das bin ich«, sagte er.

»Wissen Sie, mein Kollege und ich«, erklärte der ältere Uniformierte, »fanden das Ganze merkwürdig. Deshalb wollten wir, dass sich jemand von der Mordkommission das ansieht. Uns will nämlich nicht einleuchten, wie ein Unfall zustande gekommen sein soll. Und ein Selbstmord aus dieser Höhe?«

»Verstehe«, sagte Sandra. »Sie haben recht. Mir gingen gerade ähnliche Gedanken durch den Kopf.«

Der Polizist lächelte zufrieden.

Sandra wandte sich an Branimir Toić. »Sie haben also die Tote entdeckt?«

»Ja, genau.« Zur Bekräftigung nickte er heftig. »Ich habe sie gar nicht erst angefasst, wissen Sie. Ich hab sofort gesehen, dass sie tot ist. Das sehen Sie ja selbst.«

»In Ordnung, Herr Toić. Schildern Sie uns das Ganze in Ruhe und detailliert.«

Er nickte wieder heftig. »Ich bin Postbote.«

Sie sahen ihn an und warteten darauf, dass er weitersprach.

»Also, ich wohne da oben.« Mit zittriger Hand zeigte er auf ein kleines Haus, das nur etwa zwanzig Meter von ihnen entfernt stand. Es hatte eine hellblaue Fassade und weiße Fensterläden. Neben dem Haus war ein aus Holz gefertigter Schuppen. Der hintere Teil des Hauses wurde von einem Halbkreis aus Oliven- und Feigenbäumen geschützt. Vom Gartentor führte ein kleiner Steinweg zum Haus, links davon lag ein Blumenbeet und auf der rechten Seite ein Gemüsegarten. Sehr idyllisch, fand Sandra.

Branimir Toić erklärte: »Im Schuppen steht mein Mofa. Das brauche ich für die Arbeit. Ich hole mein Mofa, das muss so gegen halb sieben gewesen sein, gehe damit raus, lasse es aber noch nicht an, weil ich ja zuerst das Gartentor schließen muss. Und in dem Moment, als ich das Gartentor abgeschlossen habe, mich auf mein Mofa setze und losfahren will … hab ich sie gesehen. Also, nur die Füße. Dann bin ich vom Mofa gestiegen, und da hab ich sie ganz gesehen.« Er schluckte, und es war nicht zu übersehen, dass er schwitzte. Sein Atem ging unregelmäßig, und er schaffte es nicht, ihren Blicken standzuhalten. Toićs Augen flatterten herum, als würde er hektisch nach etwas suchen. »Jedenfalls wollte ich dann gleich die Polizei anrufen, aber der Akku von meinem Handy war leer. Also bin ich zu Domagoj rüber ins Café …«, mit dem Daumen zeigte er auf den Mann neben sich, »… und hab gesagt, wir müssen die Polizei anrufen, weil Nika Vukelić tot in der Bucht liegt.«

»Und weshalb waren Sie so sicher, dass sie tot ist und nicht nur verletzt?«, fragte Sandra.

»Ihre Augen. Sie waren aufgerissen. Und das ganze Blut an ihrem Kopf …«

»Sie wussten sofort, dass es Nika Vukelić ist?«, fragte Sedlar.

»Ja. Ich kenne sie ja seit mehreren Jahren, wir sind Nachbarn.«

»Sie sind sehr aufgebracht«, bemerkte Zelenika. »Kannten Sie die Tote näher? Waren Sie befreundet?«

Branimir Toić runzelte die Stirn. »Natürlich bin ich aufgebracht, ich habe vor einer Stunde meine tote Nachbarin entdeckt.«

»Kannten Sie die Tote näher?«, wiederholte Zelenika seine Frage.

Toić wich Zelenikas Blick aus und zuckte die Schultern. »Wie man sich als Nachbarn eben so kennt. Näher kannten wir uns nicht, und befreundet waren wir schon gar nicht.«

»Und Sie besitzen ein Café in der Nähe?«, wandte Sandra sich an den großen, schlanken Mann, der neben Toić stand. Seine dunkelbraunen Locken fielen ihm ins Gesicht. »Haben Sie denn so früh am Morgen bereits geöffnet?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich öffne das Café um acht Uhr. Ich war gerade aufgestanden und runter ins Lokal gegangen, um alles für den Tag vorzubereiten, danach gehe ich immer raus und mache die Terrasse fertig. Plötzlich hat Branimir aufgebracht an die Tür geklopft, ich hab schnell aufgesperrt, und er hat vom Festnetz die Polizei gerufen.«

»Und wie ist Ihr Name?«, fragte Milić.

»Mein Name ist Domagoj Buneta«, gab der Cafébesitzer freundlich Auskunft.

In der Zwischenzeit hatten die Sanitäter die Bucht über die Treppe verlassen. Sie stiegen in den Krankenwagen und legten den Rückwärtsgang ein. In diesem Moment kam ein Mann angelaufen und sah verschreckt zu den Beamten herüber. Er war groß und schlank, etwa Ende dreißig. Es sah aus, als habe er sich auf die Schnelle etwas angezogen. Zu einer Jeans trug er ein zerknittertes, graues T-Shirt und Sommerschlappen, wie man sie am Strand oder zu Hause trägt.

»Was ist denn hier los?«, rief er aufgebracht in ihre Richtung. Seine Stimme war zittrig. Als ihm niemand antwortete, lief er zum Rand des Felsens, legte die Hände auf die Mauer und blickte hinunter. Zuerst erstarrte er, dann schrie er aus tiefer Kehle: »Nikaaa!«

Für den Bruchteil einer Sekunde sah es aus, als würde er das Gleichgewicht verlieren und über die Mauer fallen.

1 Perle

3

Eine Stunde später saßen Sandra und ihr Kollege Sedlar im Wohnzimmer der Vukelićs. Der Ehemann des Opfers, Tin Vukelić, hatte eine gute halbe Stunde unter Schock gestanden. Sie hatten ihn mehrfach davon abhalten müssen, in die Bucht zu seiner toten Frau zu laufen. Die Beamten hatten ihm erklärt, dass der Tatort auf Spuren untersucht wurde und ihn deshalb niemand betreten dürfe. Angehörige verhielten sich häufig irrational, manche aus purer Verzweiflung, andere aufgrund guter Schauspielerei. Der Ehemann war bei einem Verbrechen – wovon Sandra allmählich ausging – ohnehin ein Fall für sich. »Können wir den Ehemann ausschließen?«, war häufig Mandićs erste Frage, wenn das Opfer weiblich und verheiratet gewesen war. Sandra erschreckte immer noch die Tatsache, dass meistens der Ehemann, Freund oder ein guter Bekannter der Täter war. Umgekehrt verhielt es sich genauso, allerdings waren Frauen seltener Täterinnen.

Sandra blickte auf Tin Vukelić, der ihr und Sedlar gegenüber auf der pastellgelben Couch saß, die mit pastellblauen Kissen aufgepeppt war. Inzwischen hatte der Mann sich etwas gefasst. Zelenika und Milić hatten die Befragung der Nachbarn übernommen, was in kleinen Gemeinden das Mühseligste überhaupt war. Denn meistens hatten die Nachbarn weder etwas gesehen noch gehört, noch war ihnen irgendetwas aufgefallen. Bloß keinen Ärger, schließlich musste man weiterhin Tür an Tür mit den anderen leben. Und hin und wieder gab es diejenigen, die einen wundersamen schwarz gekleideten Mann gesehen hatten, der im Schritttempo durch den Ort gefahren war und gefährlich ausgesehen hatte. Diese sogenannten Zeugen waren die schlimmsten. Am liebsten, weil hilfreichsten, waren Sandra die »Ich will ja nichts sagen aber«-Leute, die dann doch sehr viel sagten und nicht selten wertvolle Hinweise gaben.

Tin Vukelić hatte den Kopf in den Händen vergraben. Er schaukelte bereits minutenlang seinen Oberkörper vor und zurück.

»Herr Vukelić«, begann Sandra, »wir können immer noch einen Psychologen kommen lassen, wenn Sie möchten. Oder wir lassen Sie abholen und behandeln, dann …«

Tin Vukelić lachte bitter auf, dann hob er den Kopf und sah sie an. Sein Blick verriet Zorn. »Psychologe«, zischte er abfällig. »Ausgerechnet. Das Letzte, was ich brauche, ist ein Scheißpsychologe.«

»Gut, wie Sie möchten.« Sandra rückte auf dem Stuhl ein Stück weiter nach vorne. »Es tut mir leid, dass wir Sie inmitten dieses Schocks mit Fragen konfrontieren müssen. Glauben Sie mir, ich würde Ihnen die Zeit zum Trauern geben, wenn ich könnte. Aber wir möchten natürlich so schnell wie möglich herausfinden, ob es tatsächlich Mord war und, falls der Gerichtsmediziner dies bestätigt, wer Ihrer Frau das angetan hat.«

»Ja«, stieß Vukelić hervor und nickte noch eine Weile entrückt vor sich hin. »Fragen Sie, was Sie wollen. Wenn ich kann, helfe ich Ihnen.«

Sedlar kam Sandra zuvor. »Fällt Ihnen jemand ein, der Ihrer Frau etwas hätte antun können?«

»Das waren die Kosićs, da bin ich sicher. Sie haben Nika gehasst, besonders Valeria.«

»Von wem sprechen Sie?«

»Die verdammten Nachbarn.«

»Ihre Nachbarn?«

»Ja.«

»Wie heißen die beiden? Sedlar, schreiben Sie auf.«

Er tat wie befohlen und holte Block und einen kleinen Stift aus seiner hinteren Hosentasche. Milićs Utensilien wirkten professioneller, fand Sandra.

»Die beiden heißen Valeria und Matej Kosić, die Arschlöcher.« Vukelić hatte mit dem Vor- und Zurückwippen aufgehört. Die feuchten Augen und der verzweifelte Gesichtsausdruck wunderten Sandra nicht, aber sie interessierte sich für die Wut, mit der er von seinen Nachbarn sprach.

»Was ist mit den beiden, Herr Vukelić?«

»Wollen Sie auch ein Glas Wasser? Oder etwas anderes?«

»Ein Glas Wasser wäre sehr nett, danke. Sie können die Frage auch später beantworten.«

Er stand auf und ging durch den bogenförmigen Durchgang in die Küche.

Sandra sah sich um. Es war ein heller Raum, ziemlich minimalistisch eingerichtet. Einer von beiden musste für Pastell schwärmen, ein Farbton, der hier auffällig dominierte. An der Wand hing ein kleineres Bücherregal, in dem circa fünfzig Bücher aufgereiht waren, hauptsächlich über Schönheitspflege und gesunde Ernährung. Es gab auch ein paar Bücher über Geschichte und Philosophie.

Als Tin die drei Gläser auf dem niedrigen Glastisch abstellte, lief ihm eine Träne übers Gesicht. Falls es eine Träne war. Schließlich war Tin in der Küche eben hinter einem Vorhang verschwunden. Tin setzte sich wieder auf die Couch und trank ein paar Schluck Wasser.

»Sie interessieren sich für Geschichte und Philosophie?«, fragte Sandra. »Oder war es Ihre Frau, die diese Bücher las?«

»War – was für ein schreckliches Wort. Nika war – und ist nicht mehr.« Plötzlich, als wäre er aus einem Traum erwacht, sagte er: »Nein, das haben uns ihre blöden, arroganten Eltern geschenkt.«

»Oh.«

»Sie wollten aus Nika und ihrer Schwester unbedingt Intellektuelle machen, Akademikerinnen. Was sie aber nicht sind, weil sie keinen Bock darauf hatten. Und – Sie werden es sowieso erfahren – Nikas Eltern hassen mich, weil sie finden, dass ich nicht gut genug für Nika bin. War. Nicht gut genug für sie war.«

»Was ist nun mit diesen Nachbarn, die Sie erwähnt haben?«, insistierte Sandra, weil das Thema von Tin so abrupt beendet worden war.

»Ach ja, die Arschlöcher, wie konnte ich nur Ihre Frage vergessen. Wir liegen schon ein paar Jahre mit ihnen im Streit. Eigentlich mit Valeria. Matej steht nur daneben und nickt. Ich glaube nicht, dass er ein Pantoffelheld ist. Er überlässt das alles seiner Frau, weil er keine Lust zum Schreien hat. Er ist eher ein ruhiger Typ. Aber davon abhalten tut er seine blöde Frau auch nicht. Also ist er genauso schlimm wie sie.«

»Worum geht es bei Ihrem Konflikt?«

»Die Kosićs fahren mit ihren verdammten Autos – sie haben nämlich drei davon – über unser verdammtes Grundstück. Also das Grundstück von Nika halt. Na ja, unseres eben, nicht das der Kosićs. Diese Miststücke haben uns angezeigt. Ich bin sicher, dass es Valeria war. Wir haben ein Einschreiben vom Anwalt bekommen. Aber die Gerichte haben wahrscheinlich Besseres zu tun. Das wird noch dauern, bis das geklärt ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie vor Gericht recht bekommen.«

»Fahren Ihre Nachbarn jetzt immer noch mit ihren Autos über Ihr Grundstück?«

»Ja, klar. Das juckt die einen Dreck, dass das unser Grundstück ist. Außerdem haben sie drei Autos, nicht nur eines. Und dann nehmen sie sich einen Anwalt. Sie glauben auch noch, dass sie im Recht sind!«

Sedlar schüttelte den Kopf. »Und was wäre das Mordmotiv?«

»Falls es sich als Mord herausstellt«, ergänzte Sandra.

Tin hob in hilfloser Geste die Handflächen nach oben. »So genau weiß ich das auch nicht, aber Valeria hat Nika gehasst. Weil sie noch schöner war als sie. Valeria wird älter, und das macht sie verrückt.« Er fuhr sich mit den Händen durch die Haare. »Ach keine Ahnung, ich kann mich nicht konzentrieren. Jetzt, wenn ich es ausspreche, hört es sich idiotisch an.«

Sedlar kommentierte das nicht, sondern stellte die nächste Frage. »Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrer Frau gesprochen? Gestern Abend?«

»Nein, heute Morgen. Ich bin wach geworden, als sie sich zum Schwimmen fertig gemacht hat. Von April bis Oktober geht sie jeden Morgen schwimmen. Wir haben ein paar Worte gewechselt, mehr nicht.«

»Was für Worte?«, wollte Sandra wissen.

»Ob ich nicht mitkomme, und dann haben wir Scherze gemacht, weil ich kein Frühaufsteher bin und sicher nie morgens zum Schwimmen gehen werde.«

»Und dann?«

»Dann habe ich mich wieder schlafen gelegt, und als ich aufgewacht bin, habe ich bemerkt, dass Nika nicht zurückgekommen ist. Sie hat nicht gefrühstückt und ist auch nicht mit dem Auto zur Arbeit gefahren. Also bin ich zur Bucht gelaufen, dort, wo sie immer schwimmt.« Er warf Sandra einen verärgerten Blick zu, als trage sie eine Mitschuld. »Sie haben ja gesehen, wie ich angerannt gekommen bin.«

»Ja.«

»Mehr gibt es nicht zu erzählen.«

»Was macht Ihre Frau beruflich?«, wollte Sandra wissen.

»Sie arbeitet bei einer Bank, in der Innenstadt von Rijeka.«

»In welcher Position?«

»In der Kreditabteilung.«

»Und was machen Sie beruflich?«

»Ich betreibe hier auf Krk eine Strandbar, in Njivice, das ist mit dem Auto zwanzig Minuten von hier.«

»Ich weiß, wo Njivice ist. Eine Bar, sagten Sie?«

Er zog ein Papiertaschentuch aus seiner Jeans und schnäuzte sich. »Eine Cocktailbar, das mache ich von Ende April bis Mitte September.«

»Und den Rest des Jahres?«

»Da mache ich den Haushalt und Reparaturarbeiten am Haus. Was eben so anfällt, und an einem Haus fällt immer irgendwas an.«

»Sind Sie und Ihre Frau wohlhabend, Herr Vukelić?«, fragte Sandra ihn direkt.

»Wohlhabend? Wie kommen Sie darauf?« Auf Sandra wirkte es, als täte er nur überrascht, obwohl er es gar nicht war.

Sandra sah sich demonstrativ um. »Sie haben ein schönes Haus, arbeiten aber nur die Hälfte des Jahres. Als Bankangestellte verdient Ihre Frau sicher nicht schlecht, aber Sie können sich so einiges leisten, fällt mir auf.«