Mord im Olivenhain - Ranka Nikolić - E-Book

Mord im Olivenhain E-Book

Ranka Nikolić

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Beschreibung

Falsche Versprechen, unbändiger Hass und die Gier nach dem großen Geld – der zweite Fall für die sympathische Ermittlerin Sandra Horvat.

Der bekannte Wunderheiler Damjan wird auf seinem Anwesen, in der Nähe von Rijeka, ermordet aufgefunden. Ein heikler Fall für Sandra Horvat, die so gar nichts fürs Handauflegen oder ähnliche Heilmethoden übrig hat - im Gegenteil zu vielen anderen, die fest an Damjan geglaubt haben. Die Liste der Verdächtigen ist lang, denn auf Damjans falsche Versprechen sind einige hereingefallen, bei einem Patienten haben sie sogar zum Tod geführt. Die Journalistin Mirta Car stürzt sich auf den Fall, Sandra gerät immer mehr unter Druck und stellt fest, dass Glaubensfragen komplizierter sind, als sie je vermutet hätte. Doch nicht nur die ungewöhnlichen Ermittlungen, auch ihr attraktiver Kollege Danijel Sedlar sorgt bei ihr für Verwirrung ...

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Seitenzahl: 337

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Buch

Der bekannte Wunderheiler Damjan wird auf seinem Anwesen, in der Nähe von Rijeka, von seiner Nachbarin Nada Kinkela ermordet aufgefunden. Jeder in der Region Kvarner hat schon von Damjan und seinen wundersamen Heilmethoden gehört. Er war sehr erfolgreich und hatte viele Patienten, die fest an ihn und seine Fähigkeiten geglaubt haben. Seine beiden Mitarbeiter Gordan und Miki haben ihn bewundert, für sie war Damjan ein Halbgott. Ein heikler Fall für Sandra Horvat, die dagegen so gar nichts fürs Handauflegen und ähnliche Heilmethoden übrig hat. Die Liste der Verdächtigen ist lang, denn Damjans falsche Versprechen und Experimente haben auch Enttäuschung und Verzweiflung gesät. Ein Patient ist sogar gestorben, weil er der Schulmedizin den Rücken kehrte. Die Presse, allen voran die Journalistin Mirta Car, stürzt sich auf den Fall, und Sandra gerät immer mehr unter Druck. Doch nicht nur die schwierigen Ermittlungen beschäftigen sie, auch die Gefühle ihrem Kollegen Danijel Sedlar gegenüber verwirren sie mehr, als ihr lieb ist …

Autorin

Ranka Nikolić wurde 1966 in Rijeka geboren, kam im Alter von drei Jahren nach Deutschland und lebt heute mit ihrer Familie in München – allerdings nicht, ohne ihrer Heimat Kroatien, der sie sich nach wie vor sehr verbunden fühlt, mindestens drei Besuche im Jahr abzustatten. Sie begann bereits als Jugendliche mit dem Schreiben von Gedichten und Kurzgeschichten und gibt ihre Erfahrung heute als Leiterin von Schreibseminaren weiter. Nach Mord mit Meerblick erscheint mit Mord im Olivenhain der zweite Band ihrer Kroatien-Krimireihe im Blanvalet Verlag.

Von Ranka Nikolić bereits erschienen

Mord mit Meerblick

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www.facebook.com/blanvalet.

Ranka Nikolić

MORD

IM

OLIVENHAIN

Ein Kroatien-Krimi

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2018 by Ranka Nikolić

Dieses Werk wurde vermittelt durch die

Literaturagentur Kai Gathemann.

© 2018 by Blanvalet

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Ulrike Gallwitz

Covergestaltung: www.buerosued.de

Covermotiv: mauritius images/Stefan Sassenrath

Karte: © Jürgen Speh

JaB · Herstellung: sam

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-22105-8V003

www.blanvalet.de

Lakše se žrtvovati za ljude nego ih voljeti.

Es ist leichter, sich für die Menschen zu opfern,

als sie zu lieben.

Janko Polić Kamov, Schriftsteller, geb. 1886 in Rijeka

Sämtliche Orte, Geschäfte und Lokale im Buch sind real. Nur das Dorf Malnari ist fiktiv. Sollte es in Kroatien tatsächlich ein Dorf dieses Namens geben, so hat dies nichts mit der Geschichte in diesem Buch zu tun und ist rein zufällig.

Personenregister

DIE HAUPTFIGUREN:

Sandra Horvat, die ermittelnde Inspektorin der Mordkommission in Rijeka. Sie liebt ihren Job und ihre Stadt, erledigt ihre Arbeit rational, trotzdem nicht ohne Empathie.

Danijel Sedlar, der Neue im Revier. Er ist attraktiv, intelligent und verhält sich manchmal noch ungelenk. Da er das Kino liebt, vergleicht er Menschen gerne mit Schauspielern oder Filmfiguren.

Mihajlo Zelenika, Sandras exzentrischer Kollege serbischer Abstammung. Sein derber Humor lockert so manche Situation auf.

Jakov Milić,ein weiterer Kollege von Sandra, der seinem Kollegen Zelenika nie einen bissigen Kommentar schuldig bleibt. Er ist ein Muttersöhnchen und wohnt im Hotel Mama – und er steht dazu.

Vladimir Mandić, Sandras eigenwilliger, aber fairer Vorgesetzter.

Ika, die Polizeirevier-Putzfrau: eine gute Seele, die ihre eigene Art hat, mit dem Leben fertig zu werden.

Nataša Horvat, Sandras Schwester, die sich ihre eigene Realität schafft.

Irma Horvat, Sandras Mutter, die es nicht lassen kann, an ihren Kindern herumzunörgeln und sie weiterhin zu erziehen.

Pavle Horvat, Sandras Vater, ein Mann weniger Worte, der zu seinen Kindern nie eine Verbindung aufbauen konnte.

WEITERE PERSONEN:

Jelena Jurić, Freundin und Nachbarin von Sandra, ist in München aufgewachsen, arbeitet als Kellnerin und hat für Sandra stets ein offenes Ohr.

Tamara Ibrahimović, Schreibkraft bei der Mordkommission, spricht ausschließlich im Telegrammstil.

Ilija Perica, Gerichtsmediziner, lässt sich gerne um seine Meinung bitten.

Sikirica arbeitet bei der Spurensicherung, mit seinen gerade mal einssechzig kann man ihn schnell übersehen.

SOWIE:

Damjan Martinović, Mordopfer

Gordan Dedić, Mitbewohner und ehemaliger Buchhalter Damjans, dessen Hauptbeschäftigung darin liegt, die Welt und die Menschen zu studieren.

Daria Dedić, Gordans hübsche und unterkühlte Ehefrau.

Andrija Martinović, Damjans Bruder und Mitbewohner, der in Selbstmitleid versinkt.

Benedikta Saršon, die alte Frau, die in Damjans Haus wohnt, war in der Mittelschule seine Lehrerin – und seine treue Stammpatientin.

Rafael Mohorović, Mitbewohner Damjans, der kocht und das Haus sauber hält. Wie es aussieht, lebt er damit einen Traum.

Mladen Višković, Mitbewohner Damjans und ehemaliger Strafgefangener, dessen IQ unter dem Durchschnitt liegen dürfte.

Tilda Medica, 18 Jahre alt und wegen Streitigkeiten von zu Hause ausgezogen, hat große Pläne für die Zukunft und lebt in Damjans Haus.

Danica Petrinac, deren Mann starb, weil er an Damjan und seine Wunderheilung glaubte und der Schulmedizin den Rücken kehrte.

Kata Vrdoljak, Patientin Damjans, die damit drohte, ihn wegen Stalkings anzuzeigen.

Miki Stanić, Damjans Angestellter in der »Praxis« und sein Bewunderer.

Kristijan Kopljar, Damjans Hausarzt.

Mirta Car, ehrgeizige und hartnäckige Journalistin.

Marko De Santis, Dorfpfarrer, für den Damjan ein krimineller, aber sympathischer Verführer war.

Nada Kinkela, Nachbarin Damjans und Entdeckerin der Leiche.

1

Die Menschen glauben, alle Mörder seien Monster. Ich bin kein Monster, sondern setze meine Ziele nur etwas drastischer um als andere. Im Grunde ist es der Weg des geringeren Widerstands, weil es die schnellste Art ist, Probleme zu lösen. Gleichzeitig erlöse ich die Menschen von ihren Qualen und schicke sie in die bessere Welt, in der sie sich von ihrem Elend befreien können.

Sicher, es ist ein bisschen primitiv. Aber nur, weil ich eine unbedeutende Ameise unter sieben Milliarden Ameisen bin. Würde ich einen Staat führen und ein anderes Land erobern oder ausbeuten, würde man mir trotz tausendfacher Morde später Denkmäler errichten. Ich halte die Menschen zum Großteil für Idioten, die Egomanen bewundern und ihnen gehorchen, sich Regeln unterwerfen, die vermeintlich kluge Menschen aufgestellt haben. Wenn etwas einen Millimeter vom Pfad der Normalität abweicht, werden sie nervös und verurteilend und zeigen mit dem Finger auf andere. Die Normalität, eine konstante Massenbewegung. Aber eine andere Welt steht mir leider nicht zur Verfügung. Es ist mein Schicksal, mit all diesen Idioten hier zurechtkommen zu müssen. Ich hasse die Menschen nicht, empfinde sie nur als lächerlich, weil sie so unerträglich angepasst sind, sich gleichzeitig aber als Individualisten sehen. Es gibt ein paar Rebellen auf dieser Welt, nur hört man ihnen nicht zu. Man beschimpft und verhöhnt sie. Aber nach ihrem Tod benennt man Straßen nach ihnen und sagt, sie wären ihrer Zeit voraus gewesen.

Der erste Mord ist der schwerste. Jedenfalls war es bei mir so. Es hat mich Überwindung gekostet und mich lange Zeit verfolgt. Das Bild ging mir wochenlang nicht aus dem Kopf. Trotzdem mischten sich auch Gefühle der Erleichterung darunter, und ich empfand tiefe Zufriedenheit. Die guten und schlechten Gefühle kamen in Intervallen, Traurigkeit und Glück. Danach lief es besser. Ich hatte jedes Mal gute Gründe dafür, aber das sagen wahrscheinlich alle Mörder. Es klingt nach einer Ausrede, aber ich habe meinen Opfern einen Gefallen getan, habe sie erlöst. Sie litten, jeder auf seine Weise, unter ihren Angewohnheiten, ihren Schwächen und ihrem unterentwickelten Charakter. Keinen meiner Morde habe ich aus einem einzigen Grund begangen, vielmehr war es eine Anhäufung von Gründen, bis der Auslöser zur Vollstreckung geschah. Wenn der Damm bricht, kommt die Flut. Danach gibt es kein Zurück mehr.

Es ist ein heißer Sommer, trotzdem fröstelt es mich. Mit zitternden Fingern ziehe ich das Laken bis zum Hals. Es ist jedes Mal dasselbe. Das Frösteln hält etwa zwei Stunden an, dann breitet sich dieses vertraute Gefühl aus: die Mischung aus Zufriedenheit und Traurigkeit. Das zufriedene Gefühl, den Plan umgesetzt und das Ziel erreicht zu haben. Nach jedem Mord habe ich aber auch ein schlechtes Gewissen, mal mehr, mal weniger. Das Gewissen ist eine lästige Empfindung und genau genommen unnütz, weil sie eintritt, nachdem das Ereignis stattgefunden hat. Zumindest ist es bei mir so.

Der Plan ist nur dann gelungen umgesetzt, wenn das Mordmotiv nicht erkennbar ist. Alles andere wäre schwachsinnig, sonst käme man über kurz oder lang auf mich. Allerdings hatte jeder Mord auch einen gewissen Kick, weil ich jedes Mal hätte entdeckt werden können. Ich meine, wenn ich viel Pech gehabt hätte – aber das hatte ich nicht.

Das Frösteln lässt allmählich nach. Wer Damjan wohl finden wird? Bald wird die Polizei in Malnari sein. Wenn ich Glück habe, wird man es für einen Unfall oder für Selbstmord halten. Natürlich fiel es mir nicht leicht, ihn zu töten. Aber es ist für alle am besten so. Und ihm selbst habe ich ebenfalls einen großen Gefallen getan. Armer Damjan, hat er doch sein Bestes getan und war trotzdem unglücklich. So viele Menschen werden ihn vermissen. Auch ich.

2

Für Nada Kinkela war es die schönste Zeit des Tages. Gleich würde die Sonne aufgehen. Wie jeden Morgen um diese Zeit nahm sie eine Tasse frisch gebrühten Kaffees und ging damit auf ihre kleine Terrasse, um sich den Sonnenaufgang anzusehen. Noch immer standen die zwei Stühle neben dem runden Bistrotisch, dessen Platte mit kleinen Mosaiksteinchen verziert war. Nada nahm auf einem der beiden schwarzen Metallstühle Platz und warf einen Blick auf den anderen Stuhl, wie jeden Morgen. Er war leer und würde es bleiben. Ante und sie waren vor zehn Jahren zur gleichen Zeit pensioniert worden. Nada war früher immer um fünf Uhr aufgestanden, was die Arbeit in der Bäckerei mit sich brachte. Wie sehr hatte sie sich auf die Pensionierung gefreut, um endlich ausschlafen zu können. Aber ihr Körper war schon so darauf eingestellt, dass das Ausschlafen sich nur auf eine halbe Stunde mehr beschränkte. So waren Ante und sie immer gegen halb sechs aufgestanden, und in den Frühlings- und Sommermonaten hatten sie sich gemeinsam den Sonnenaufgang angesehen. Seit anderthalb Jahren war Ante tot. Während des Mittagessens war er einfach vornübergekippt. Seine linke Gesichtshälfte lag auf dem Teller mit seinem Lieblingsessen, Kutteln mit Kartoffeln und Gemüse. Der Parmesan war überall verstreut, auf Antes Gesicht und auf dem Tisch.

Nada wandte den Blick vom Stuhl ab und sah zum Horizont. Fünfundsiebzig würde sie nächste Woche werden. Was, wenn sie neunzig Jahre alt würde? Das bedeutete noch fünfzehn Jahre Einsamkeit. Kinder hatten sie keine bekommen, warum auch immer. Ihre Eltern waren längst tot, und Geschwister hatte sie keine. Ihre Mutter hatte drei Fehlgeburten vor ihr gehabt, deshalb nannte die Mutter sie Nada, die Hoffnung. Und mit den Nachbarn … na ja, der Tratsch langweilte sie, aber so war eben das Dorfleben. Hin und wieder konnte sie mit den Frauen aus dem Dorf aber auch eine normale Unterhaltung führen, ohne dass es dabei um einen anderen Dorfbewohner ging. Eine richtige Freundschaft mit einer der Frauen hatte sie nie geschlossen, denn Ante und sie blieben am liebsten unter sich. Antes Bruder Alojz hatte einmal scherzhaft gemeint, wie perfekt Nada und Ante zusammenpassen würden, weil sich »zwei Exzentriker gefunden haben«. Ja, die Leute sind immer schnell bereit, anderen Etiketten anzuheften. Wahrscheinlich treibt sie das Bedürfnis, jeden in eine Schublade stecken zu müssen. Exzentrisch? So würde sie sich selbst nicht bezeichnen. Sie trug gerne farbenfrohe Kleider, und sie sprach aus, was sie dachte. Wie es aussah, genügte das, um als Exzentriker zu gelten.

Nun, sie ging jeden Sonntag in die Kirche, und auf ihre alten Tage ließ sie sich manchmal sogar auf ein Klatsch-und-Tratsch-Pläuschchen ein, was sie früher immer als stumpfsinnig erachtet hatte. Man wurde eben älter. Das bedeutete nicht, dass man sich nun plötzlich für Dorfklatsch interessierte, sondern dass das Leben im Alter ruhig genug war, um jedes Ereignis als kleinen Aufreger zu empfinden.

Im Winter strickte sie Pullover und häkelte bunte Decken oder Spitzendeckchen. Vor ein paar Jahren hatte sie ein Seminar in Rijeka besucht: Internet für Senioren. Nada wollte lernen, wie sie ihre Handarbeiten im Internet verkaufen konnte. Sie konnte tatsächlich alles verkaufen, weil die Teile geschmackvoll und professionell gearbeitet waren. Wirklich lukrativ war das Ganze nicht, wenn man die Materialien und die investierte Zeit mitrechnete, aber es machte ihr Freude, und darauf kam es an.

Im Sommer nahm sie manchmal den Bus nach Crikvenica, verbrachte ein paar Stunden am Strand, bis die Touristen aus ihren Hotels und Appartementhäusern kamen, danach schlenderte sie durch Crikvenica, kaufte sich ein Eis, und manchmal gönnte sie sich ein Mittagessen. Nachdem Ante gestorben war, hatte sie überlegt, ob sie einen Teil des Hauses an Touristen vermieten sollte. Schließlich hatte sie aus zwei Gründen davon abgesehen. Sie wollte sich weder mit dem elenden Papierkram herumschlagen, noch war sie es gewohnt, fremde Menschen um sich zu haben. Nada schüttelte sich bei dem Gedanken. Nein, Alleinsein war nicht das Schlimmste, was sie sich vorstellen konnte. Ihr graute davor, ständig Menschen um sich herum zu haben, wie das bei ihrem Nachbarn Damjan und seinen merkwürdigen Mitbewohnern der Fall war.

Da war sie! Im Aufbruch. Ein kleines Wunder, jeden Tag. Niemals hätte Nada jemandem erzählt, wie sehr sie dieses Schauspiel berührte, dass es ihr vor Glückseligkeit manchmal die Tränen in die Augen trieb. Auch wenn Nada wusste, dass es sich im Grunde nur um einen riesengroßen Feuerball handelte, war die Sonne für sie eine liebe, treue Freundin geworden, auf die sie tagtäglich wartete. Der Himmel färbte sich orangerot, die Wolken wurden in ein warmes Licht getaucht, alles schien schon auf die Sonne zu warten. Als ob es in diesem Moment nichts Wichtigeres gäbe. Majestätisch und prachtvoll kam sie innerhalb weniger Minuten hervor, und als sie sich in ihrer ganzen Größe zeigte, war es beinahe wie eine rettende, schützende Hand, die einen aufatmen ließ.

Nada lehnte sich zufrieden zurück, nahm die Kaffeetasse vom Tisch und wollte sie zum Mund führen, als sie innehielt.

Jeden Morgen, nachdem der Tag hereingebrochen war, wandte sie den Kopf nach rechts und erblickte Damjan Martinović, der mit gekreuzten Beinen auf dem Felsen am Rande seines Olivenhains saß und in Richtung Meer meditierte. Damjans Haus war etwa zweihundert Meter von dem ihren entfernt.

Wo war er? Es war das erste Mal, dass Damjan nicht an der vertrauten Stelle saß und meditierte. Das tat er grundsätzlich jeden Tag, auch am Wochenende und bei Bura1 und Nieselregen. Sollte sie hinübergehen und nachsehen? Aber was, wenn er einfach nur verschlafen hatte? Dann würde sie dastehen wie eine neugierige Nachbarin, die ständig das Haus und das Leben der anderen im Blick hatte. Vielleicht sollte sie einfach warten, bis Rafael nach draußen kam. Normalerweise rief er Damjan zum Frühstück, meistens gegen halb sieben, wenn Damjan mit seiner Meditation fertig war und seine lächerliche Gymnastik machte. Ganz altmodisch mit Kniebeugen und Armwedeln. Manchmal ging er auch vom Felsen an seinem Grundstück aus die Steintreppen nach unten und lief am Strand entlang. Nada kannte im Wesentlichen den Tagesablauf der Hausbewohner. Sie war nicht übermäßig neugierig, eher brachte es die Tatsache mit sich, dass sie den ganzen Tag zu Hause war.

Möglicherweise war Damjan heute noch früher aufgestanden als sonst und ging bereits am Strand spazieren. Das Ganze ließ ihr keine Ruhe. Nada stellte die Kaffeetasse auf den Tisch und ging zum Nachbarhaus, um nach Damjan zu sehen. Seltsamerweise wusste sie es. Einfach aus einem Gefühl heraus. Sie wusste, dass mit Damjan etwas nicht stimmte. Seltsam, dass das Gefühl so stark war. Vielleicht hatte ihn sogar jemand getötet. Was sie dabei erschreckte, war die Erkenntnis, dass sie darüber nicht sonderlich überrascht gewesen wäre.

1 Kroatisch für den Fallwind Bora

4

Im Wohnzimmer befand sich eine riesengroße dunkelbraune Couch in Hufeisenform. Sandra und ihre Kollegen blickten auf die Hausbewohner, die dort saßen und entweder traurig auf den Boden starrten oder sich die Tränen aus dem Gesicht wischten. Nachdem Sandra sich und ihr Team vorgestellt hatte, hob eine Frau den Arm nach oben und sah Sandra erwartungsvoll an.

»Ja?«

»Ich habe eine Frage«, sagte die Frau. Sie hatte ein hübsches Gesicht, langes brünettes Haar und Sandra schätzte sie auf Anfang dreißig.

»Sie können uns alles fragen«, erläuterte Zelenika, »aber es ist wirklich nicht nötig, dass Sie sich dafür melden wie in der Schule.«

»Ach so, Entschuldigung.« Es schien ihr nicht peinlich zu sein. Sie wirkte selbstbewusst und hatte einen offenen Blick.

»Was möchten Sie wissen?«, kam es von Sandra.

»Dürfte ich fragen, wie lange das hier dauern wird?«

Diejenigen, die zuvor geschluchzt hatten, hielten inne und starrten sie an. Genau genommen starrten alle die junge Frau an, aber keiner sagte etwas. Also ergriff sie selbst das Wort: »Ich möchte wirklich nicht herzlos erscheinen. Mein Herz ist gebrochen, weil Damjan tot ist, aber ich habe meinen Arbeitsplatz erst seit zwei Wochen …« Stolz fügte sie hinzu: »Bei dm, wissen Sie. Ich möchte nicht nach zwei Wochen dort anrufen und sagen, dass ich nicht zur Arbeit komme.«

Zelenika atmete hörbar aus. »Also, man muss ja als Chef wirklich ein Arschloch sein, wenn ein Angestellter sagt, dass es in seinem Umfeld einen Todesfall gab – und man ihn trotzdem auffordert, sofort zur Arbeit zu erscheinen.«