Mord in der Hochsaison: Gipfelschatten - Tom Bergsteiger - E-Book

Mord in der Hochsaison: Gipfelschatten E-Book

Tom Bergsteiger

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Beschreibung

Die kultige Allgäuer Pensionswirtin Marlies ermittelt in ihrem zweiten Fall. Als am Aggenstein ein Bergsteiger kaltblütig aus dem Hinterhalt erschossen wird, ist das idyllische Allgäu wieder einmal in seinen Grundfesten erschüttert. Zu allem Überfluss verdächtigt die Polizei auch noch einen Mann des Mordes, der gerade im „Berggasthof Alpenrose“ Urlaub macht. Wieder einmal hat die resolute Pensionswirtin Marlies Guggemos also alle Hände voll zu tun, um den Ruf ihrer Pension zu bewahren. Doch wer ist der seltsame Kurgast, der so verschlossen wirkt und alte, vergilbte Wanderkarten studiert? Neugierig schnüffelt die Wirtin auf eigene Faust herum und ist unvermittelt einem groß angelegten Kunstbetrug auf der Spur, dessen Wurzeln bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs zurückreichen. Doch Marlies muss aufpassen, denn die skrupellosen Hintermänner kennen keine Gnade – und die Blutspur zieht sich bis in die Gegenwart. »A Schmankerl« zwischen Krimi und Komödie.

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Tom Bergsteiger

 

Mord in der Hochsaison

 

- Gipfelschatten -

 

 

 

 

Copyright: © 2014 Tom Bergsteiger

2. Auflage 2016

 

Impressum:

V.i.S.d.P.

Autorencentrum.de

Ein Projekt der BlueCat Publishing GbR

Gneisenaustr. 64

10961 Berlin

E-Mail: [email protected]

Tel. 030 / 61671496

 

 

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.

 

 

In dieser Reihe erschienen:

Mord in der Hochsaison

Mord in der Hochsaison - Gipfelschatten (2)

Mord in der Hochsaison - Tödliches Alpendinner (3)

Mord in der Hochsaison - Mordskick (4)

Mord in der Hochsaison - Mordsgruß aus der Lederhose (5)

Mord in der Hochsaison - Milchexplosiv (6)

Mord in der Hochsaison - Tödlicher Drahtseilakt (7)

Mord in der Hochsaison - Letzte Talfahrt (8)

Mord in der Hochsaison - Hohes Gericht (9)

 

1

12. April 1945

Es ist soweit. Offiziell wird das Thema weiterhin totgeschwiegen, aber die totale militärische Niederlage ist nur noch eine Frage von wenigen Tagen oder Wochen. Die Alliierten rücken von Osten und Westen mit aller Macht vor und wir haben ihnen nichts mehr entgegenzusetzen. Alte Männer, die einen würdevolleren Ruhestand verdient hätten, als ihr Leben im Schützengraben zu beenden, kämpfen Seite an Seite mit ihren unmündigen Enkeln. Was soll bloß aus dieser Generation werden, die in ihrem Leben nichts anderes als Krieg miterlebt hat? Sie wird aufwachsen in einem völlig zerstörten Deutschland, das womöglich vollständig von der Landkarte ausradiert wird, wenn sie uns besiegt haben. Ein Wort macht unter den Kameraden die Runde, das man aber nicht laut sagen darf, wenn einem das eigene Leben lieb ist: Kapitulation.

Nun liegt es also an uns, einen der letzten Dienste für das Vaterland zu vollbringen, die noch zu tun sind, bevor der Feind zu uns vordringt und uns zerquetscht. Zusammen mit zwei Kameraden wurde ich ausgesucht, diesen besonderen Dienst zu verrichten. Weiß Gott ein Spaziergang im Vergleich zu den Gräueltaten, die wir mit unserer Gebirgsjäger-Division in Griechenland gesehen haben und an denen wir uns selbst beteiligen mussten. Was zählt schon ein Menschenleben im Krieg, wenn man die eigene Haut retten muss? Es ist eine schreckliche Zeit der Verrohung, in der einem die Erinnerungen an die Kindertage, die man in Frieden und mit liebevollen Eltern verbracht hat, fast unwirklich vorkommen.

Morgen beginnt in aller Frühe der Aufstieg, die Ware wird in der Nacht geliefert. Wenn wir Glück haben und die Natur und die Feinde es zulassen, wird die Mission gegen Mittag beendet sein. Über den Ort der Aufbewahrung kann man getrennter Meinung sein, doch erscheint er uns sicher – vorerst. Über das, was später kommt, macht man sich ohnehin keine Vorstellung. Wer weiß schon, wer dieses Land in Zukunft einmal regieren wird und ob wir dann noch alle leben. Die Rote Armee soll vor Wien stehen, von Italien aus kommen die Briten, die Amerikaner sollen die Befreiung Münchens planen – unser Land fällt auseinander.

So ist es mir zumindest für den Moment eine befriedigende Vorstellung, dem Krieg ein Stück Kultur zu entreißen und der Natur zu übergeben.

Möge das Glück mit uns sein und unsere Mission begleiten. Es ist ein kleines Stück Sinn inmitten einer sinnlosen Zeit – jedenfalls kommt es mir gerade so vor.

 

2

»Oha, Oooooha!« Der Grillmeister setzte ein besorgtes Gesicht auf, als der Campingwagen mit dem niederländischen Kennzeichnen auf den Parkplatz des Berggasthofs Alpenrose fuhr, und haarscharf an seinem Wagen vorbeimanövrierte.

»Bist ein bisschen blass um die Nasenspitze. Hast wohl Angst, um dein Auto gehabt?«, frotzelte Marlies ihren langjährigen Stammgast aus dem Saarland an, der für sein Leben gern grillte und aus diesem Grund auch den Kosenamen »Grillmeister« verpasst bekommen hatte. »Du solltest erst einmal g’scheit frühstücken, dann wird’s wieder.«

»Da hat keine Handbreit mehr zwischen die Stoßstange und den Wohnwagen gepasst. Das sehe ich sofort«, tönte der kleine Saarländer vollmundig. »Ich fahre immerhin seit über dreißig Jahren unfallfrei. Bei dem Holländer bin ich mir da nicht so sicher.«

»Ach was, der weiß schon, was er tut.«, Marlies machte eine wegwerfende Handbewegung. »Alles halb so wild. Auf unserem Parkplatz hat es noch nie gescheppert. Geh jetzt frühstücken.«

Sie hatte den Satz gerade beendet, als der Wohnwagen abgewürgt wurde und in der Parklücke zum Stehen kam. Kurz darauf wurde die Fahrertür aufgerissen und eine Bierdose fiel scheppernd auf den Boden.

»De Groot aus Holland. Chute Tag!« Der Fahrer, ein unrasierter Mann mit wallendem blonden Haar, der ungefähr Mitte dreißig sein mochte, winkte ihnen fröhlich entgegen.

Noch ehe Marlies und der Grillmeister zu einer Reaktion fähig waren, wurde die Tür zur Wohnkabine aufgerissen. Zeitgleich stürmten zwei Kinder und eine Frau aus der Tür heraus. Der Junge mochte vielleicht sechs Jahre alt sein und hatte ein verschmitztes, räuberisches Grinsen im Gesicht. Das Mädchen, das etwas älter war, machte ebenfalls den Eindruck, als sei es Streichen und Blödsinn gegenüber sehr aufgeschlossen.

»De Groot aus Holland«, wiederholte die Frau freudig lächelnd. »Wir hatten die Ferienwohnung für zwei Wochen gemietet.«

Na das kann ja heiter werden, dachte Marlies. Da hätte ich die Wohnung ja auch gleich an ein Abrissunternehmen vermieten können. Bei einem Blick nach links konnte sie sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ein leichtes Lächeln die Mundwinkel des Grillmeisters umspielte.

»Wunderbar«, stammelte Marlies hervor. »Dann kommen Sie doch gleich mit nach oben, Frau de Groot. Sind Sie denn gut hergekommen? Sie hatten ja eine weite Fahrt.«

Diese Art der Begrüßung war ihr im Laufe der Jahre in Fleisch und Blut übergegangen.

»Super!« Die Antwort aus der Fahrerkabine lenkte Marlies’ Blick zurück auf den Fahrer, der mit einem unterdrückten Rülpsen die leere Bierdose, die auf den Parkplatz gekullert war, aufhob und in die Wohnkabine kroch.

»In der Ferienwohnung werden Sie sich bestimmt wohlfühlen«, setzte Marlies einfach ungerührt fort.

Die Frau lächelte selig.

»Die Kinder und ich werden uns dort bestimmt bestens erholen.«

Marlies sah irritiert zu dem Familienvater hinüber.

»Ich schlafe im Wohnwagen, wenn das in Ordnung ist. Der Parkplatz ist ja groß genug.«

»Es soll Erholung für uns alle werden«, erklärte die Frau weiter.

»Das will ich meinen.« Der Mann kam in diesem Augenblick mit einer Palette Dosenbier aus der Wohnkabine des Wagens zurück und schob sie auf den Beifahrersitz.

»Martijn ist von den Kindern immer sehr beansprucht und braucht Zeit für sich selbst.« Mit Schrecken sah Marlies, dass der Mann eine Gitarre aus dem Fußraum des Beifahrersitzes hervorholte und einige Akkorde anstimmte.

»Hoffentlich hat die Büchse eine Klimaanlage«, grummelte sie vor sich hin.

»Was meinen Sie?«

Der Grillmeister wartete nicht lange und übersetzte Marlies’ Bedenken direkt: »Sie meint, dass er die Tür schließen soll, wenn er Gitarre spielt, damit er den anderen Gästen mit seiner Klampfe nicht auf den Keks geht und weil sie ihm trotzdem nicht wünscht, dass er in der Sommerhitze im Wohnwagen verschmort, hofft sie, dass der Wagen eine Klimaanlage hat.«

Die Holländerin lachte laut los, während die Kinder schon hinter das Haus zu der kleinen Weide mit den Steinschafen gelaufen waren.

»Da brauchen Sie keine Angst zu haben. Martijn hat schon bei einer Casting-Show mitgemacht und ist sogar unter die letzten acht Teilnehmer gekommen. Seine Musik ist sehr gut.«

Marlies setzte ein gezwungenes Grinsen auf.

»Na gut, aber nur wenn es die anderen Gäste nicht stört, gell? Sonst muss er den Wohnwagen irgendwo anders parken.«

Die Frau nickte mit einem strahlenden Zahnpastalächeln und begleitete Marlies und den Grillmeister, der einige Verwünschungen vor sich hinbrummelte, in den Frühstücksraum.

»Wird schon, wird schon...«, tuschelte Marlies, um ihn zu beruhigen. Der Grillmeister schaute grimmig vor sich hin.

»Ja, guten Morgen!«, schmetterte Marlies schwungvoll heraus, als sie den Frühstücksraum der Pension betrat. »Lasst’s euch schmecken.«

Die Gäste sahen kurz auf und erwiderten den Gruß – größtenteils kauend und kaffeetrinkend.

Ehe sich Marlies versah, stürzte das Mädchen der holländischen Familie durch die Terrassentür hinein. Tränen liefen das bockige Gesicht herunter.

»Die geben gar keine Milch, auch wenn man ganz doll dran zieht«, heulte das Mädchen. »Voll gemein. Ich will hier nicht bleiben.«

Entsetzt sah Marlies, dass der Junge sich gerade einen Ringkampf mit einem Schaf lieferte, das er anscheinend melken wollte. Da hatte wohl jemand im Biounterricht nicht richtig aufgepasst.

»Meine Steinschafe!« Marlies raste auf die Terrasse hinaus zum Gatter. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Seitdem sie die kleine Streichelwiese hinter dem Haus eingerichtet hatte, waren die Kinder, die hier Urlaub machten, bisher immer sinnvoll beschäftigt gewesen, wenn sie nicht gerade schaukelten oder Tischtennis spielten. 

»Das kann ja noch spaßig werden mit diesen Kindern...« Ermattet setzte sich der Grillmeister zu seiner Frau an den Tisch und trank einen Schluck Orangensaft, den sie ihm bereits eingegossen hatte.

Die anderen Gäste sahen zum Fenster hinaus, schienen an einem Gespräch aber nicht sonderlich interessiert zu sein. Ein Gast, der schon einige Tage vor dem Grillmeister eingetroffen war, wirkte besonders in sich gekehrt. Der schlanke, schwarzhaarige Mann mit dem Lockenkopf studierte wie jeden Morgen Wanderkarten und Wegbeschreibungen, die auffallend vergilbt waren.

»Na ja. Reden wird überbewertet. Hauptsache, man geht noch mal konzentriert die Tagestour durch. Dann braucht man sich um nichts weiter Gedanken zu machen.« Der Grillmeister hatte nur halblaut gesprochen, konnte sich aber einen abschätzigen Blick zu dem Gast nicht verkneifen.

»Bitte lass das, Joachim. Das hört er doch!«, maßregelte ihn seine Frau flüsternd. Der Grillmeister hätte im Boden versinken können. Er hasste diese Ermahnungen.

»Etwas dagegen?« Der bisher so verschlossene Gast blinzelte angriffslustig zu ihm hinüber.

»Überhaupt nicht.« Unschuldig weitete der Grillmeister die Augen und machte eine abwehrende Handbewegung.

Der Mann nickte zufrieden.

»Aber neues Kartenmaterial wäre vielleicht nicht schlecht. Sonst sind sie irgendwann einmal in einem Felsspalt verschwunden.«

»Joachim, bitte!«, zischte seine Frau hinüber.

»Es geht Sie zwar nichts an, aber das hier sind Karten von meinem Großvater und ich bin hier, weil ich mir einige Orte ansehen möchte, die er zusammen mit meiner Großmutter besucht hat. Dafür sind die Karten ganz ausgezeichnet.«

Verlegen schaufelte der Grillmeister ein Frühstücksei in sich hinein, während seine Frau mit hochrotem Kopf zum Buffet aufbrach.

Genau in diesem Augenblick setzte sich auch eine korpulente Dame ruckhaft in Bewegung. Ein asthmatisches Keuchen durchzog den Raum. Schon in den vergangenen Tagen hatten der Grillmeister und seine Frau beobachtet, dass die ältere Dame immer dann panikartig auf das Buffet zustürzte, wenn jemand die Wurstabteilung ansteuerte. Noch ehe die Frau des Grillmeisters nach der Gabel greifen konnte, hatte sich die gierige Dame schon an ihr vorbeigedrängelt und sich - bis auf eine verbleibende Anstandsscheibe - die komplette Salami und den Großteil des Schinkens auf den Teller geschaufelt. Unter einem noch stärkeren asthmatischen Keuchen machte sie kehrt und setzte sich wieder zu ihrem Mann an den Tisch, um die Beute zu verspeisen.

In diesem Moment öffnete Marlies verschwitzt die Terrassentür. »Ja, ich fülle schon nach, gell? Alles, was aus ist, wird nachgelegt, nur keine Panik. Ich komme gleich. Sonst kommt es hier womöglich noch zu Kannibalismus.«

Interessiert beobachtete der Grillmeister, wie die holländische Familie um das Haus herum zum Haupteingang ging, um die Koffer in die Ferienwohnung zu bringen. Marlies musste ein Machtwort gesprochen haben.

»Das ist ein Stress heute Morgen«, brummelte sie vor sich hin, während sie in die Küche ging. Immerhin waren nun fast alle Gäste mit dem Frühstück durch. Nur der Tscheche, der ins Allgäu gekommen war, um die lokalen Brauereien zu besuchen, damit er Inspirationen für eigene Bierrezepturen sammeln konnte, fehlte noch. Er wollte sich in seiner Heimat als Braumeister eine neue Existenz aufbauen. Außer einer Aspirin und einer Kanne Kaffee nahm er morgens allerdings nichts weiter zu sich, was den Ablauf erheblich vereinfachte. Im Laufe des Nachmittags würde dann noch ein Lehrer ankommen, dessen Zimmer aber schon fertig hergerichtet war. Der Tag würde im weiteren Verlauf also angenehmer und ruhiger. Vielleicht schaffte Marlies es sogar noch, schwimmen zu gehen.

3

April 1945

Es kam zu Komplikationen. Mein Gefühl hat mich nicht getrogen, denn wir waren nicht die einzigen, die an der Ware interessiert waren. Weiß der Henker, ob die vier Kerle vom einem feindlichen Geheimdienst beauftragt wurden oder auf eigene Rechnung handelten. Wir können von Glück sagen, dass wir ihrem Hinterhalt entkommen und ihnen entwischt sind. Wir sind alle drei am Leben geblieben, auch wenn Anton eine schwere Schussverletzung am linken Arm davongetragen hat. Die Bewaffnung dieser Halunken war erstklassig.

Wir haben den Schatz nun den Bergen übergeben, allerdings mussten wir den Ort der Unterbringung eigenmächtig ändern. Ob er dort wirklich sicher ist, kann ich nicht sagen, auf jeden Fall aber sicherer als an irgendeinem anderen Ort. Wer wird schon in den Allgäuer Alpen nach so etwas suchen. Wenn der Krieg vorüber ist, werden sie den Obersalzberg und ganz Berchtesgaden bis unter die letzte Wurzel durchsuchen, aber wer wird schon hier im beschaulichen Allgäu etwas Wertvolles vermuten?

Wir haben uns geschworen, in diesem Leben nicht mehr nach der Beute zu suchen, auch dann nicht, wenn wir alle den Krieg überleben. Ein Privatmann kann damit ohnehin nicht viel anfangen. Exakt zehn Jahre nach Kriegsende wollen wir darüber beraten, ob wir der Öffentlichkeit oder der Regierung unser Wissen preisgeben. Wenn einer von uns gegen die Abmachung verstößt, wird er den Verrat mit dem Leben bezahlen. So ist es vereinbart und mit dem Kameradenehrenwort besiegelt.

 

 

Nachtrag, 15:32 Uhr:

Ich habe gerade gehört, dass Anton seinen Schussverletzungen erlegen ist. Ruhe in Frieden, Kamerad. Die Verantwortung lastet nun auf Ludwig und mir.

 

4

Nachdem der Nachmittag mit seinem wechselhaftem Wetter und heftigen Gewittern den meisten Urlaubern einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte, saß Marlies mit ihren Gästen bei einem fröhlichen Grillabend auf der Terrasse des Berggasthofs Alpenrose zusammen. Die Wolken hatten sich zwischenzeitlich verzogen und waren einem strahlend blauen Himmel gewichen.

Sogar der Vater der holländischen Familie hatte den Wohnwagen kurzzeitig verlassen, um sich auf die Leckereien zu stürzen, die der Grillmeister den Gästen nach und nach anreichte. Doch noch mehr als das gut gegrillte Fleisch, die leckeren Salate, das bayerische Bier und die fantastische Aussicht faszinierte die Gäste ein Rettungseinsatz der Bergwacht. Seit zehn Minuten zog ein Hubschrauber am gegenüberliegenden Aggenstein unaufhörlich seine Kreise. In etwa einer Stunde würde die Dämmerung hereinbrechen und den Einsatz erschweren oder sogar unmöglich machen.

»Wieder einer abgestürzt. Letzte Woche am Breitenberg auch – mit Sandalen.« Der Grillmeister hielt die Hand vor die Stirn, kniff die Augen zusammen und machte ein ernstes Gesicht. Schon kurz nach dem Eintreffen des Hubschraubers hatte er abrupt das Gesprächsthema gewechselt und war von den Vorzügen des saarländischen Schwenkgrills und der besonderen Geschmacksnote des Buchenholzes zu hoch alpinen Betrachtungen übergegangen. Das Publikum war sichtlich beeindruckt.

»Der Aggenstein ist aber auch extrem gefährlich, oder?« Die Holländerin Annike machte ein besorgtes Gesicht und fixierte mit ihren Blicken den Helikopter.

»Eigentlich nicht, wenn man trittsicher ist. Ich war bestimmt schon mehr als zehn Mal oben.« Der Grillmeister schwellte stolz die Brust und reichte der Runde neue Steaks. »Meistens gehören diejenigen zu den Opfern, die ihre Kletterkünste überschätzen und auf eigene Faust vom Weg abweichen.«

»Der Aggenstein ist ein Witz«, lachte der Lockenkopf mit den antiken Wanderkarten vor sich hin, während er noch einmal eine kräftige Portion Nudelsalat auf seinen Teller füllte. Der Grillmeister hatte ihn heimlich »Locke« getauft. »Sogar Kinder klettern auf den Gipfel – manchmal sogar schneller als ihre Eltern. Wer risikoreichere Bergprofile sucht, muss schon nach Tirol fahren.«

Die Brust des Grillmeisters nahm wieder Normalmaße an.

»Das ist richtig. Das stimmt natürlich...«, meinte er gewichtig.

»Ihr geht da trotzdem nicht hinauf, hört ihr?« Annike nahm ihre beiden Kinder schützend in den Arm, stopfte ihnen einen Bissen Weißbrot in den Mund und sah dann zu, wie die beiden weiter um das Haus tobten, um Fangen zu spielen.

»Die Wahrscheinlichkeit abzustürzen, ist wesentlich minimaler als bei einem Flugzeugabsturz ums Leben zu kommen.«

Der Grillmeister rümpfte die Nase. Der Mathelehrer, der heute angekommen war, gehörte überhaupt nicht zu seinen Favoriten. Er erinnerte ihn an seine eigene traumatische Schulkarriere.

Skeptisch schaute er erneut auf den Hubschrauber der Bergwacht, der in diesem Augenblick erneut den Gipfel umflog und das Heck steil nach oben richtete.

»Das wird nichts mehr. Der bleibt im Berg. Jedes Jahr bleiben Leute im Berg.«

»Mal nicht so pessimistisch.« Der Mathelehrer schien angriffslustig zu sein. »Rein statistisch gesehen...«

»Rein statistisch gesehen wird das nichts mehr und damit ist gut jetzt, basta.« Der Grillmeister griff zu einer Bierflasche und leerte sie in einem einzigen Zug.

»Joachim, bitte!« Seiner Frau war die Eskalation mit dem Lehrer sichtlich unangenehm.

»Ist doch wahr«, rechtfertigte sich der Grillmeister. »Möchte noch jemand Fleisch?«

Sein Blick fiel auf den Tschechen, der abwehrend die Hände hob, sich kopfschüttelnd ein Bierglas vollschüttete und sogleich eine Aspirin darin auflöste. Noch ehe der Grillmeister sein Entsetzen darüber verarbeiten konnte, hörte er aus der hinteren Ecke der Terrasse einen asthmatischen Laut, der schnell näher rückte. Auffordernd hielt ihm die beleibte Frau, die auch schon zum Frühstück über einen gesegneten Appetit verfügt hatte, den Teller entgegen.

»Alle werden bedient, keiner muss verhungern. Auf dem Grill liegen noch jede Menge Steaks.«

»Auch welche vom Buchenholz?«

Der asthmatische Laut ertönte aufs Neue, klang aber noch gieriger und hektischer als zuvor. »Gerne auch zwei. Ich habe seit 17 Uhr nichts mehr gegessen und bin etwas unterzuckert.« 

Der Helikopter hatte inzwischen die Scheinwerfer eingeschaltet und die Flughöhe soweit verringert, dass das Flugmanöver für die Besetzung zu einem Risiko wurde.

»Das wird nichts mehr«, bekräftigte der Grillmeister seine Auffassung. »Ich sag ja, ich habe einen Blick dafür. Der arme Teufel – einen Augenblick nicht richtig aufgepasst und schon ist es vorbei.«

Bevor ein Streit über diese Einschätzung entbrennen konnte – der Mathelehrer kaute gerade an einem großen Stück Fleisch – erschienen zwei Männer auf der Terrasse und zogen die gesamte Aufmerksamkeit auf sich.

»Hauptkommissar Dannheimer«, rief Marlies überschwänglich. Erst danach fiel ihr auf, dass auch der dynamische Karrierepolizist Gruber dabei war, den Marlies ebenfalls letzten Sommer kennengelernt hatte, als auf ihrer Terrasse ein Toter gefunden worden war. Ihre Freude trübte sich etwas ein.

»Das ist aber schön, dass Sie mal vorbeischauen. Und den Herrn Gruber haben Sie auch gleich mitgebracht.«

Dannheimer strahlte über das ganze Gesicht. »Wie ich sehe, sind wir gerade zur rechten Zeit gekommen. Es gibt etwas zu essen.«

Der Grillmeister reagierte prompt. »Nehmen Sie sich doch einen Teller. Wir haben noch Steaks auf dem Grill.«

»Leider sind wir aus dienstlichen Gründen hier«, unterbrach Gruber den Smalltalk.

Dannheimer nickte.

---ENDE DER LESEPROBE---