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Maximilian Maurer

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Beschreibung

Lady Olivia Glenmoore verschwindet eines Tages spurlos von ihrem Anwesen Glenmoore House und wird kurz darauf tot aufgefunden. Ihr Mörder scheint schnell gefunden, doch offensichtlich hat die Metropolitan Police Fehler gemacht. Chief Inspector Hippolyt Gibbs von Scotland Yard muss auf seinen wohlverdienten Urlaub verzichten, mit seiner Assistentin Melanie Poulsen den Fall übernehmen und die Ehre der Polizei retten. Welche Rolle spielt die Nachricht, die Lady Glenmoore kurz vor ihrem Verschwinden erhalten hat? Hat möglicherweise ihre engste Freundin Mary Hunter etwas zu verbergen? Falsche Aussagen, Manipulationen und weitere Morde machen die Sache nicht einfacher … »Mord macht einsam« ist der zweite Fall für Chief Inspector Hippolyt Gibbs.

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Maximilian Maurer

Mord macht einsam

Ein neuer Fall für Chief Inspector Hippolyt Gibbs

Kriminalroman

Die wichtigsten Personen dieser Geschichte

Lady Olivia Glenmoore: eine reiche Engländerin

Mary Hunter: ihre Freundin

Charles Madigan: Neffe von Lady Glenmoore

Francine Collins: seine Freundin

Dr. Charles Montgomery Forrester: Anwalt der Familie

Dr. John Peters: Arzt

Gwen Peters: seine Frau

Susan Lockhart: Sprechstundenhilfe

Robert Brown: Gutsverwalter

Iwan Karpow: Stallbursche

Fiona Cunnings: Sekretärin

Jeff Miller: Gelegenheitsarbeiter

George Baxter: ein Landstreicher

Pauline Bloom, Dorothy Hubbard: Freundinnen von Lady Glenmoore

Simon Holmes: Butler

Elizabeth: Köchin und Haushälterin auf Glenmoore House

Susan, Patricia: Hausmädchen

George Mariman: Gärtner und Chauffeur

DI Walter Curruthers: Detective Inspector bei der Metropolitan Police, Gloucester

DCI Peter Buchannon: Detective Chief Inspector bei der Metropolitan Police, Gloucester

DCI Hippolyt Gibbs: Detective Chief Inspector von Scotland Yard

DS Melanie Poulsen: Detective Sergeant, seine Assistentin

Die Handlung spielt Anfang der 1990er Jahre in der Gegend von Bourton-on-the-Water in der englischen Grafschaft Gloucestershire.

1. Kapitel: Eine Botschaft für Lady Glenmoore

Jeff Miller war wieder einmal bedenklich knapp bei Kasse. Dieser Zustand trat bei ihm ungefähr so häufig und so regelmäßig auf wie der Nebel in der Londoner City. Aber Jeff Miller war ein ehrlicher Mann. Und er wusste, dass in einer solchen Situation nur eines wirklich half: Arbeiten! So kam es, dass Jeff über den Parkplatz des Tesco-Supermarkts schlurfte und für zwei Pfund achtzig die Stunde leere Einkaufskarren einsammelte. Viel lieber wäre er jetzt vor einem vollen Glas Guinness in seinem Lieblingspub, dem Red Lion, in Little Rissington gesessen und hätte ab und an eine Partie Darts mit seinen Freunden gespielt.

Die Arbeit im Supermarkt war ein harter Job, wenn es aufs Wochenende zuging und der Parkplatz fast bis auf den letzten Platz besetzt war. Aber an diesem Donnerstagvormittag hatte er kaum zu tun. Keine einzige Wolke war am tiefblauen Julihimmel zu sehen. Eine leichte Brise, noch voller Morgenkühle, aber mit dem Versprechen, dass es ein heißer Sommertag werden würde, wirbelte ein paar Papierfetzen über den Asphalt. Schon gestern war die Temperatur auf über dreißig Grad geklettert und die Meteorologen sahen noch kein Ende der Hitzewelle. Bestenfalls könnte vielleicht das eine oder andere lokale Gewitter für etwas Abkühlung sorgen.

Der riesige Parkplatz mit seinen fünf Stellplatzreihen zog sich über die gesamte Gebäudefront des Supermarkts hin. Er war um diese Zeit nur spärlich besetzt, und Jeff musste sich nicht gerade ein Bein ausreißen, um die wenigen Karren einzusammeln, die verstreut über den ganzen Platz herumstanden. Gerade war er dabei, drei ineinandergeschobene Wagen zum Haupteingang zu bugsieren, als Iwan Karpow mit seinem alten klapprigen Moped in halsbrecherischer Fahrt um die Ecke bog. Jeff kannte Iwan vom Pub und winkte ihm zu. Doch Iwan nahm keine Notiz von ihm, lehnte sein Moped an die Hauswand und lief schnell in den Markt hinein. Unhöflicher Mensch, schimpfte Jeff insgeheim, schubste mit einem gekonnten Stoß die Karren in die Sammelaufnahme und begab sich auf die Suche nach weiteren herrenlosen Marktkarren. Hinter einer Hausecke legte er eine Pause ein, um sich in Ruhe eine Zigarette zu drehen. Der Filialleiter sah es nicht gern, wenn er mit der Kippe im Mund auf dem Parkplatz herumlief. Jeff genoss die kurze Auszeit und blies kleine graue Ringe in die Morgenluft. Als er die halb gerauchte Kippe mit zwei Fingern in hohem Bogen auf die Straße schnippte, donnerte Iwan ein zweites Mal grußlos an ihm vorbei.

»Was soll’s, kann mich mal der Typ«, murmelte Jeff und ging wieder an seine Arbeit.

So bemerkte er die zwei Frauen, die mit einem übervollen Einkaufswagen auf einen dunkelgrünen Jaguar zusteuerten, der weitab in der hintersten Reihe des Parkplatzes stand. Wie kann man nur so blöd sein, dachte Jeff bei sich; parken am Arsch der Welt und vorne am Eingang ist alles frei. Typisch Weiber. Und ich kann hernach den Wagen wieder weiß der Teufel wo abholen.

Dass die beiden Damen zur sogenannten besseren Gesellschaft gehörten, sah Jeff sofort. Nicht nur an der überaus gepflegten Luxuslimousine und an der teuren Kleidung. Wer sich Mitte des Monats den Einkaufswagen noch so füllen konnte, musste Kohle ohne Ende haben.

Jeff gefiel vor allem die kleinere der beiden Frauen, die den Einkaufswagen schob. Sie war einer dieser mädchenhaften Typen. Ihr blondes Haar fiel locker auf ihre Schultern. Ein bunt bedrucktes, leichtes Sommerkleid brachte ihre weiblichen Reize durchaus zur Geltung. Vielleicht dass sie eine Spur zu dick war, überlegte Jeff. Von hinten hätte man sie fast für ein junges Ding halten können, das mit ihrer Mutter zum Einkaufen fuhr. Die andere Frau fand Jeff bei Weitem weniger attraktiv. Sie war einen Kopf größer als die Blonde und hatte dunkle Dauerwellen. Jeff hasste Dauerwellen. Sie erinnerten ihn an seine Mutter. Wenn er an sie dachte, sah er sie fast immer nur mit Lockenwicklern im Haar, die etwas schmuddelige Kittelschürze fest um die Taille geschnürt und die obligatorische Kippe im Mundwinkel. Als die beiden Ladys den Jaguar erreichten, öffnete die Große den Kofferraum und die Blondine begann ihn sorgfältig zu beladen. Dabei schienen sie ununterbrochen miteinander zu reden und zu scherzen, wie Jeff an ihren Gesten zu erkennen glaubte. Die größere der beiden Frauen, die mit einem lindgrünen Kostüm bekleidet war, ging um das Fahrzeug herum und sperrte die Fahrertür auf. Sie wollte schon einsteigen, da fiel ihr Blick offensichtlich auf etwas, das unter ihrem Scheibenwischer klemmte. Obwohl die Entfernung zum Jaguar an die fünfzig Meter betrug, konnte Jeff erkennen, dass es sich um einen kleinen gelben Zettel handelte. Die Brünette las ihn, schüttelte den Kopf und wollte das Stück Papier schon in ihre Handtasche stecken. Doch dann besann sie sich anders, zerknüllte es und warf es achtlos zu Boden.

Mittlerweile war ihre Begleiterin mit dem Einladen der Einkäufe fertig. Sie klappte den Kofferraumdeckel zu, schob den Einkaufswagen beiseite und die beiden Frauen stiegen ins Fahrzeug. Jeff machte sich auf den Weg, den leeren Wagen abzuholen. Auf halber Strecke glitt der Jaguar fast lautlos an ihm vorbei, und Jeff konnte einen Blick in den Innenraum der Limousine werfen. Er sah die lachenden Gesichter der Insassinnen. Sie waren beide älter, als er gedacht hatte. Mindestens fünfzig schätzte er. Jeff, selbst gerade erst dreißig geworden, empfand plötzlich so etwas wie Abneigung gegen die beiden Frauen, denen der Reichtum deutlich anzusehen war und die sich für einen wie ihn niemals interessieren würden. Er war froh, dass er keine feste Freundin hatte. Ja, ab und an, wenn er etwas Geld übrig hatte, leistete er sich mal eine fürs Bett. Aber für immer? Nein, da hatte er es alleine schon viel besser. Niemand, der ihm sagte, er solle seine Sachen aufräumen und den Müll runterbringen.

Als er den leeren Einkaufswagen erreichte, fiel sein Blick auf das gelbe Stück Papier, das die Fahrerin weggeworfen hatte. Neugierig hob er es auf und strich es mit seinen derben Fingern glatt. Es war so ein Merkzettel, wie man ihn bei Ärzten bekommt, auf dem der nächste Termin eingetragen wird, damit man ihn nicht vergisst. Die Vorderseite, auf der die Termine eingetragen werden sollten, war leer, bis auf den Adresseindruck eines am Ort ansässigen Arztes. Jeff drehte den Zettel um. Die Rückseite war eng mit Kugelschreiber beschriftet. Mehrere Reihen kleiner gut lesbarer Druckbuchstaben. Jeff las die Nachricht, konnte sich aber keinen Reim darauf machen. Er wollte das Papier schon wegwerfen, als er es, einer plötzlichen Eingebung folgend, wieder zusammenfaltete und in seinen Geldbeutel steckte.

Kaum hatte er den Wagen im Eingangsbereich des Supermarkts in einen der dafür vorgesehenen Sammelständer geschoben, als der Praktikant um die Ecke bog, um die auf Paletten feilgebotenen Blumen zu wässern. Jeff ging zu ihm und bot ihm eine Zigarette an.

»Ich rauche nicht«, lehnte der junge Mann dankend ab, stellte die Spitze seines Wasserschlauchs auf Brausen und begann die bunte Blumenpracht zu benetzen.

»Sag mal«, fragte Jeff, »weißt du, wer die beiden Ladys in dem grünen Jaguar waren, die eben wegfuhren?«

Der Praktikant sah ihn misstrauisch von der Seite an.

»Warum willst du das wissen?«

»Ach nur so«, meinte Jeff. »Die Weiber parken ganz hinten in der letzten Reihe, obwohl sie direkt vor der Tür stehen könnten. Ist das nicht verrückt?«

»Nicht für Lady Glenmoore!«, antwortete der Praktikant. »Sie und ihre Begleiterin kommen jeden Donnerstagmorgen und parken absichtlich da hinten. Die Alte hat panische Angst, dass jemand ihren Luxusschlitten beschädigen könnte.«

»So, so, Lady Glenmoore«, murmelte Jeff und zog Leine. Er hatte bemerkt, wie sich der Filialleiter der Eingangstür näherte. Und der würde ihn nur wieder anschnauzen, wenn er sah, dass er die Angestellten von der Arbeit abhielt.

2. Kapitel: Kein Trinkgeld für Jeff

Der dunkelgrüne Jaguar bog langsam aus dem Parkplatz des Supermarkts in die Rissington Road ein, die wenig später zur High Street wird und ins Zentrum von Bourton-on-the-Water führt. Der 3000-Seelen-Ort lag in einem weiten flachen Tal in den Cotswolds. Den Beinamen »Venedig der Cotswolds« bekam der Ort wegen seines malerischen Ortskerns; großzügige Grünflächen, durch die das kaum knietiefe Wasser des Flüsschens Windrush strömt. Über das Gewässer führen mehrere sehr schmale steinerne Bogenbrücken, deren Besonderheit es ist, dass sie kein Geländer haben. Das warme Hellbraun der aus behauenem Sandstein hochgezogenen Häuser schimmerte durch Bäume und Büsche und ließ den Ort an manchen Stellen wie die kitschige Kulisse eines Miss-Marple-Films erscheinen. Olivia Glenmoore wirkte etwas unkonzentriert und hätte beinahe einen Radfahrer übersehen. Ihre Gedanken waren noch immer bei der seltsamen Nachricht, die sie unter dem Scheibenwischer gefunden hatte. Sie fragte sich, ob sie ihrer Begleiterin davon erzählen sollte, entschied sich dann aber dafür, es zunächst für sich zu behalten.

»Ist was mit dir? Du bist so schweigsam«, meldete sich ihre Freundin.

Mary Hunter war ungefähr im gleichen Alter wie Olivia, und beide waren seit vielen Jahren befreundet. Das heißt, eigentlich waren ihre Ehemänner befreundet. Doch die starben vor etlichen Jahren, kurz nacheinander. Der eine an einem schwachen Herzen, der andere fiel vom Pferd. Die beiden, nicht übermäßig trauernden Witwen beschlossen den Rest ihrer Tage unter einem gemeinsamen Dach zu verbringen. Da Glenmoore House etwas größer war als das Anwesen der Hunters und es sich wegen der beiden Seitenflügel für eine Art Edel-WG geradezu anbot, bezog Mary Hunter die erste Etage des jetzt leer stehenden Ostflügels. Damit alles seine Ordnung haben sollte, verkaufte sie das Anwesen, in dem sie zuvor mit ihrem Mann gelebt hatte. Mit dem Erlös sicherte sie sich in Glenmoore House eine Art Wohnrecht auf Lebenszeit. In einem notariellen Vertrag wurden die Rechte und Pflichten der beiden Frauen festgelegt. Doch bisher war es nicht nötig, auf diese Regeln zu verweisen. Die beiden Damen harmonierten recht gut.

»Was hältst du davon, Mary, wenn wir unseren Lunch heute ausfallen lassen und stattdessen ins Riverside Café gehen. Da kann man unter den Bäumen gut im Freien sitzen. Bei dieser Hitze habe ich eigentlich wenig Appetit«, meinte die Fahrerin beiläufig.

Mary Hunter schien erfreut.

»Oh, das wäre schön. Die haben dort hervorragenden Kuchen und ein Eiskaffee käme mir bei dieser Hitze jetzt gerade recht. Außerdem könnte ich noch beim Post Office nebenan vorbeischauen und die neuen 55-Pence-Marken zweiter Klasse abholen.«

Mary Hunter betrieb das für Frauen eher seltene Hobby des Briefmarkensammelns. Ihr Mann hatte ihr eine ziemlich umfangreiche und wertvolle Kollektion hinterlassen. Als Mary eines Tages die kostbaren und weniger kostbaren Schätze der Sammlung sichtete, fiel ihr auf, dass die Beschäftigung mit den Marken nicht nur sehr beruhigend, sondern auch ausgesprochen lehrreich sein konnte. Da sie etwas unsportlich war, erschien ihr das Sammeln ein guter Ausgleich zu den sportlichen Aktivitäten, die ihre Freundin Olivia pflegte. Golf, Tennis und Reiten waren für sie reine Zeitverschwendung und überdies schweißtreibend. Die Zeit wollte sie lieber nutzen, um sich mit Lupe, Farbmuster und Zahnungsschlüssel ihren kleinen Kostbarkeiten zu widmen. Inzwischen war sie eine echte Expertin in Sachen Philatelie geworden. Ihr Spezialgebiet waren die Marken aus den indischen Kolonialgebieten.

Die beiden Frauen verbrachten nur eine knappe Stunde in dem Café. Die Hitze lag jetzt in der Mittagszeit bleiern über der Stadt und auch das nahe Flüsschen brachte keine Erleichterung. Kein Windhauch regte sich. Olivia fächelte sich mit der Speisekarte etwas Luft zu. Ein interessantes Gespräch wollte nicht aufkommen. Das mochte an der Temperatur liegen, vielleicht aber auch daran, dass Olivia in Gedanken immer wieder auf die seltsame Nachricht zurückkam, die sie an ihrem Auto gefunden hatte. Inzwischen bereute sie es, dass sie den Zettel weggeworfen hatte, und sie überlegte, ob sie nicht noch einmal zum Supermarkt zurückfahren sollte.

»Ich denke, wir sollten nach Hause aufbrechen«, unterbrach Mary ihren Gedankengang. »Den Lebensmitteln im Kofferraum tut die Hitze bestimmt nicht gut. Die empfindlichen Sachen sind zwar in der Kühlbox, aber wer weiß, wie lange die noch durchhält?«

»Du hast recht!«, stimmte Olivia zu. »Lass uns aufbrechen.«

An dieser Stelle sei gesagt, dass im Tagesablauf von Olivia Glenmoore und Mary Hunter so gut wie nichts dem Zufall überlassen blieb. So war etwa der Donnerstagvormittag dem Einkaufen vorbehalten. Gleich nach dem Frühstück besprachen Olivia und Mary den Einkaufszettel für die ganze Woche mit Holmes, dem Butler, und mit Elizabeth, der Köchin. Dann ging es in den Tesco-Supermarkt. Um die Getränke kümmerte sich der Butler, und was Elizabeth an Fleisch und Gemüse für ihre Küche brauchte, bekam sie vom Gutshof, der zum Glenmoore House gehörte. Manchmal stand auch ein Fasan oder ein Kaninchen auf dem Speiseplan, wenn George, einem weiteren Angestellten, etwas Derartiges vor die Flinte kam. Nach dem Einkauf nahm man zusammen den Lunch in einem der vielen Pubs der Umgebung ein. Der Nachmittag stand zur freien Verfügung, und gegen Abend traf man sich im Salon zum Tee und anschließend zum gemeinsamen Kartenspiel. Dazu wurden abwechselnd Damen aus der Bourtoner Gesellschaft eingeladen. Zum Kartenspiel gehörte auch ein exquisites Dinner und manchmal wurde es danach noch ein langer Abend.

Der Freitag, Olivia nannte ihn ihren public day, stand ganz im Zeichen der vielen gesellschaftlichen Verpflichtungen, die Lady Glenmoore im Laufe der Jahre übernommen hatte. Da kamen die Damen des Verschönerungsvereins, Mitarbeiter von Sportvereinen, die von Lady Glenmoore gesponsert wurden, aber auch die Mieter der vielen Immobilien, die zu Glenmoore House gehörten und die vorsprachen, weil sie mit der Miete im Rückstand waren oder weil sie gerne eine Katze halten würden und der Verwalter es ihnen verboten hatte. Am Nachmittag fand meistens eine Sitzung mit Robert Brown statt, der das dem Glenmoore House angegliederte Gestüt leitete.

Am Freitagabend traf dann Charles Madigan ein, der das Wochenende regelmäßig im Haus seiner Tante verbrachte. Charles war nicht nur der Neffe von Olivia, er war auch ihr einziger noch lebender Verwandter. Eines Tages würde er den Besitz und alles, was dazu gehörte, erben. Dass er die Wochenenden ausschließlich in Glenmoore House verbrachte, lag weniger an seinem ausgeprägten Familiensinn, sondern eher daran, dass er schon sehnsüchtig auf sein Erbe wartete. Er träumte davon, Glenmoore House zu einem Luxushotel umzubauen, mit Golfplatz und Swimmingpool und exklusiver Gastronomie. Doch seine Tante war von solchen Plänen überhaupt nicht begeistert, im Gegenteil, sie war nicht einmal bereit, mit ihrem Neffen über dieses Thema zu diskutieren.

Meist brachte Charles ein mehr oder weniger attraktives Mädchen mit, von dem er fest überzeugt war, dass es schon bald seine Frau werden würde. Doch in der Regel hielt diese Schwärmerei nicht länger als ein Wochenende, und Olivia hatte es aufgegeben, die Affären ihres Neffen ernst zu nehmen. Manchmal schaffte es eine der Auserwählten, über mehrere Wochen in Glenmoore House zu erscheinen, aber das war eher die Ausnahme.

Das Wochenende verlief ganz in festlicher Tradition, mit Kirchenbesuch, Ausritt und, je nach Witterung, einem Krocketspiel mit anschließendem Tee im Pavillon des Parks. Dann wurde auch die Verwandtschaft von Mary eingeladen und viele kleine und größere Kinder brachten etwas Leben in die sonst so geruhsame Beschaulichkeit von Glenmoore House.

Der Montag gehörte dem Hausputz. Nicht dass Lady Olivia oder Mary je selbst Hand anlegen würden. Gott bewahre! Aber es wurden dem Personal die Anregungen gegeben, die tunlichst in der folgenden Woche abzuarbeiten waren. Simon Holmes, seit Jahrzehnten Butler in Glenmoore House und dort in Ehren ergraut, war nicht gerade sehr angetan von diesen Montagsterminen. Er war, vermutlich zu Recht, davon überzeugt, dass man ihm nicht zu sagen brauchte, wie er den Haushalt der beiden Ladys zu führen hatte.

Für den Dienstag hatten sich die beiden Damen eine Art selbst gewählter Eigenständigkeit verordnet. An diesem Tag ging Olivia ihren sportlichen Aktivitäten nach und Mary zog sich in ihre Räume zurück, um ihrem Briefmarkenhobby zu frönen. Manchmal machte sie auch Besuche bei ihren Verwandten, die alle in der näheren Umgebung wohnten. Dafür hatte sie sich sogar ein kleines Auto angeschafft, das ihr die nötige Unabhängigkeit garantierte.

Der Mittwoch dagegen war eher der Tag der gemeinsamen Unternehmungen. Die Damen machten Ausflüge zu kulturell bedeutenden Zielen, besuchten Museen oder veranstalteten einfach ein lustiges Picknick an einem der vielen lauschigen Plätzchen, die es in den Cotswolds gab.

Die Abende verbrachten die Damen meist zusammen. Da wurde zuerst einmal gemeinsam gespeist. Danach schaute man zusammen eine Sendung im Fernsehen an, spielte Gesellschaftsspiele oder machte Handarbeiten. Lady Olivia nannte diesen »Stundenplan« ihre Methode gegen das Senil-Werden, und es hatte den Anschein, dass es sehr gut funktionierte.

Um nach Glenmoore House zu gelangen, mussten sie die Straße nehmen, die sie noch einmal am Tesco-Supermarkt vorbeiführte. Olivia setzte den Blinker und bog in den Parkplatz ein. Er war kaum stärker besetzt als am Vormittag. Sie fuhr den Platz an, auf dem sie bereits vor einigen Stunden geparkt hatte. Mary schaute fragend zu ihr herüber.

»Haben wir etwas vergessen?«

»Nein, nicht eigentlich«, meinte Olivia, »aber mir ist gerade eingefallen, dass uns Elizabeth heute Abend für das Kartenspiel vielleicht eine erfrischende Sangria zubereiten könnte.«

Mary strahlte über das ganze Gesicht. Sangria liebte sie über alles.

»Dann bräuchten wir wohl noch ein paar Orangen und Pfirsiche«, meinte sie, »und ein Fläschchen Orangenlikör könnte auch nicht schaden. Weißt du was, ich lauf mal schnell.«

Bevor Olivia protestieren konnte, war Mary schon aus dem Wagen gesprungen und in Richtung Eingang unterwegs. Olivia stieg aus und inspizierte den Asphalt rund um das Auto. Sie wusste genau, dass sie heute Morgen exakt an diesem Platz geparkt hatte. Doch von dem kleinen zerknüllten Zettel war keine Spur zu sehen. Vielleicht hatte ihn ein Windstoß fortgeweht, oder ein ordentlicher Mensch hatte ihn in einen Papierkorb geworfen. Sie ging in immer größer werdenden Kreisen mehrmals um das Auto herum und blickte sogar in einen der in der Nähe aufgestellten Abfallbehälter. Doch der gelbe Zettel blieb verschwunden.

Nicht allzu weit entfernt saß Jeff Miller auf einer leeren Obstkiste und betrachtete aufmerksam die Szene. Natürlich hatte er den Jaguar sofort wiedererkannt. Offensichtlich schien die Lady nach dem Papier zu suchen, das sie heute Morgen so achtlos weggeworfen hatte. Er wollte gerade zu ihr hingehen und ihr den Zettel geben, doch schon kam ihre Begleiterin mit einer großen braunen Tüte zurück und die beiden fuhren ihm vor der Nase davon. So ein Pech aber auch, dachte Jeff, da wäre vielleicht ein kleines Trinkgeld drin gewesen.

Vom Supermarkt, der ungefähr zwei Meilen von Glenmoore House entfernt lag, ging die Fahrt zunächst nach Osten in Richtung Little Rissington. Kurz vor dem Ort bog man nach Süden in die Leasow Lane ab. Glenmoore House lag linker Hand. Alter Baumbestand und eine schier endlos lange mannshohe Mauer schirmten das Haus zur Straße hin vor den Blicken vorbeifahrender Touristen ab. Das schwere schmiedeeiserne Doppeltor wurde schon lange nicht mehr geschlossen. Deshalb kam es zum Leidwesen von Lady Glenmoore immer wieder vor, dass sich bildungshungrige Menschen auf das Anwesen verirrten und es besichtigen oder im angrenzenden Park spazieren gehen wollten. Als Lady Olivia in den kiesbedeckten Vorplatz vor dem Haupteingang einbog, fiel ihr ein nagelneuer silbergrauer Porsche auf, der genau vor der Treppe parkte. Auf der Tür prangte der Schriftzug von Charles’ Warenhauskette, Madigan-Zambroni, ein scharlachrotes »MZ« in einem hellblauen Kreis.

»Sieh mal Mary«, meinte sie zögernd, »sieht so aus, als ob Charles da wäre. Aber heute ist doch erst Donnerstag. Und das Auto muss neu sein.«

Sie steuerte den Jaguar am Hauptportal vorbei, zum seitlichen Eingang, der direkt in die Küche führte. Der Kies knirschte leise unter den Reifen. Olivia liebte dieses Geräusch. Es erschien ihr so edel und zutiefst britisch.

»Das ist aber seltsam«, meinte Mary. »Hoffentlich nichts Ernstes.«

Elizabeth, die Köchin, hatte das heranfahrende Fahrzeug gehört und kam mit einem der Dienstmädchen aus der Tür zur Küche. Die beiden Ladys waren noch nicht ausgestiegen, da leerten die Angestellten bereits den Kofferraum.

»Bitte sorgen Sie dafür, dass die empfindlichen Lebensmittel in der Kühlbox gleich in den Kühlschrank kommen«, wies Olivia die Köchin an. »Und hier ist noch eine Tüte mit Zutaten für eine Sangria. Könnten Sie die bitte heute Abend für unsere Kartenrunde zubereiten? Das wäre schön. Danke!«

Elizabeth nickte und nahm ihr die Tüte ab. Olivia und Mary gingen durch die Küche in die Halle, wo sie auf Holmes, den Butler trafen. Holmes, der unter der Tatsache litt, dass ihm das Schicksal den Namen eines berühmten Detektivs verpasst hatte, stand seit mehr als 40 Jahren im Dienste von Glenmoore House. Seine Arbeit als Butler füllte ihn vollständig aus, und sie erfüllte ihn auch mit einem gewissen Stolz. Schon sein Vater war Butler gewesen und wenn er einen Sohn gehabt hätte, so hätte er alles daran gesetzt, dass auch der in seine Fußstapfen treten würde. In jungen Jahren schon heiratete er Elizabeth, die Köchin und Haushälterin, und seit dieser Zeit kümmerten sich die beiden darum, dass es den Bewohnern von Glenmoore House an nichts fehlte. Zu ihrem Team gehörte noch ein gewisser George Mariman, ein sehr patenter Mann, gelernter Automechaniker, der sich um alles kümmerte, was es außerhalb des Hauses zu tun gab, und der mit seiner Schrotflinte nicht selten zur Bereicherung der Glenmoore’schen Küche beitrug. Dann waren da noch zwei Hausmädchen, die Elizabeth zur Hand gingen und im Haus für Ordnung und Sauberkeit sorgten.

»Ach bitte, Holmes, George soll den Jaguar wegfahren. Er steht vor dem Kücheneingang und betankt werden müsste er auch. Danke, Holmes.«

»Sehr wohl, Mylady. Ich wollte Ihnen noch mitteilen, dass Ihr Neffe eingetroffen ist.«

Während er dies sagte, kam der Neffe leichtfüßig die Treppe herunter. Charles Madigan, gerade achtundzwanzig geworden, war der typische Dandy. Immer korrekt gekleidet, immer ein charmantes Bonmot auf der Zunge, etwas blasiert, aber im Grunde ein freundlicher Zeitgenosse. Die Niederungen anstrengender Erwerbstätigkeit hatte er in seinem jungen Leben nie kennengelernt, und er verspürte auch keine große Sehnsucht danach. Musste er auch nicht, denn sein Vater, der Bruder von Lady Olivia, hatte ihm ein stattliches Vermögen in Form einer florierenden Warenhauskette hinterlassen. Holmes deutete eine leichte Verbeugung an und verschwand in Richtung Dienstbotenzimmer.

»Hallo Tantchen, hallo Mary.«

Mit einem charmanten Lächeln und ausgebreiteten Armen eilte er auf die beiden Frauen zu und begrüßte jede herzlich mit einem dicken Kuss auf die Wange.

»Hast du dich im Kalender geirrt oder gibt es etwas Besonderes?«, meinte Olivia etwas spitz.

»Oh ja!«, antwortete Charles und schlug mit der rechten Faust in die linke Handfläche, dass es nur so knallte. »Und ob es etwas Besonderes gibt, Tante Olivia, etwas ganz Besonderes sogar. Ich konnte unmöglich bis morgen warten, ich musste sie euch heute schon präsentieren. Ich sage dir, ich habe sie endlich gefunden, die Frau meiner Träume. Francine! Sie ist noch oben. Wir sind eben erst angekommen. Sie macht sich noch ein wenig frisch. Ihr werdet sie mögen. Und ein neues Auto habe ich übrigens auch. Zweihundertachtzig PS! Geht ab wie eine Rakete, sag ich euch.«

Charles blickte verzückt zur Decke und rieb sich die Hände.

»Ach Charles, diese Nummer kenn ich doch schon. Wie oft hast du mir gesagt, dass es diesmal die Richtige ist«, unterbrach ihn Olivia und winkte ab.

»Nein Tantchen, diesmal ist es wirklich ganz anders«, meinte Charles und verdrehte die Augen. »Sie ist einfach himmlisch.«

»Da bin ich aber mal gespannt«, mischte sich Mary ein. »Trotzdem werde ich jetzt erst einmal nach oben gehen und mich etwas erholen. Mir klebt jeder Fetzen am Leib. Also bis später.«

Mary drehte sich um und stieg die breite marmorne Haupttreppe hinauf.

»Jetzt mal ehrlich Charles. Warum bist du heute schon gekommen? Gibt es ein Problem? Du hättest wenigstens anrufen können«, bemerkte Lady Glenmoore.

Nicht dass sie ihren Neffen nicht von Herzen gern hatte, aber Lady Olivia war eine Frau mit Prinzipien. Sie liebte die Ordnung. Und es war nicht in Ordnung, wenn jemand ihren Wochenrhythmus derartig durcheinanderbrachte.

»Du hast recht, Tante Olivia. Ich hätte anrufen sollen. Aber es war so ein spontaner Entschluss, weißt du. Und Francine brannte förmlich darauf, euch kennenzulernen. Ich hoffe, du kannst uns verzeihen.«

Charles, der genau wusste, wie er seine Tante um den kleinen Finger wickeln konnte, setzte seinen treuherzigen Dackelblick auf. Lady Glenmoore konnte nicht anders, sie musste lächeln.

»Schau mich bloß nicht so an«, scherzte sie. »Ist ja alles gut. Aber jetzt musst du mich entschuldigen, ich will auch unter die Dusche.«

3. Kapitel: Eine Lady verschwindet

Olivia Glenmoore hatte ausgiebig geduscht und sich anschließend halb angezogen auf ihr Bett gelegt. Zuvor hatte sie allerdings aus dem Gedächtnis heraus auf einem Blatt Papier die Botschaft notiert, die sie an ihrem Wagen gefunden hatte. Sie las sie noch einmal durch und schüttelte ungläubig den Kopf.

Die Fenster, die zur Rückseite des Gebäudes mit Blick auf den Park hinausgingen, standen weit offen. Kein Lufthauch regte sich und kein Laut war zu hören. Es war, als würde sich die Natur unter der drückenden Sommerglut so still wie möglich verhalten, um nur ja nicht ins Schwitzen zu geraten. Selbst die Geräusche, die sonst vom nahen Gestüt herüberdrangen, das Wiehern der Pferde, das bellende Stakkato der Traktoren, heute waren sie verstummt. Irgendwo kläffte müde ein Hund. Olivia dachte an ihre Kindheit und wie sie an solchen Tagen nicht weit von hier mit ihren Freundinnen im Schatten der Bäume am Ufer des Windrushs spielte. Wie einfach und unbeschwert war doch das Leben damals gewesen. Man brauchte sich um nichts anderes zu kümmern, als pünktlich zum Abendessen zu Hause zu sein. Während sie so ihren Erinnerungen nachhing, nickte sie ein.

Als sie erwachte, war es bereits kurz vor halb fünf Uhr. Schnell stand sie auf und machte sich für den Abend fertig. Dann griff sie zum Telefon und drückte eine Taste, die mit einer bereits eingespeicherten Nummer verbunden war. Es dauerte nicht lange, bis sich eine freundliche weibliche Stimme meldete.

»Hier Praxis Dr. Peters. Was kann ich für Sie tun?«

»Guten Tag«, meldete sich Lady Glenmoore, »hier spricht Olivia Glenmoore. Ist vielleicht Dr. Peters kurz zu sprechen?«

»Bedauere sehr, Mrs Glenmoore«, antwortete die Stimme am anderen Ende der Leitung, »die Praxis ist heute geschlossen. Dr. Peters ist in einem dringenden Fall nach Oxford unterwegs. Aber ich kann Ihnen gern die Nummer seiner Vertretung geben.«

»Nein danke! Bemühen Sie sich nicht. Ich melde mich in den nächsten Tagen wieder.«

Olivia Glenmoore unterbrach die Verbindung. Nachdenklich stand sie noch ein wenig mit dem Hörer in der Hand da. Dann legte sie auf, schloss das Fenster und ging nach unten.

Im Salon traf sie auf ihren Neffen Charles und seine neue Flamme Francine. Die beiden saßen eng nebeneinander auf der bequemen Ledercouch und blickten durch die offene Verandatür in den sommerlichen Garten hinaus. Francine war wirklich ein sehr apartes Mädchen. Sie hatte so gar nichts Britisches an sich. Viel eher hätte man sie mit ihren schwarzen Haaren und dem dunklen Teint für eine Französin oder Italienerin halten können. Sie war sehr schlank, fast schon ein wenig mager, aber die Beine, die sie übereinandergeschlagen hatte, hätten manchem Model zur Ehre gereicht. Sie hatte eine Hand locker auf Charles’ Arm gelegt und schien eindringlich auf ihn einzureden. Auf dem niedrigen Tischchen vor ihnen stand frisch gebrühter Tee und ein Teller mit Ingwerplätzchen. Als Charles bemerkte, dass seine Tante den Raum betreten hatte, standen beide auf und kamen ihr entgegen.

»Das ist aber schön, dass du dich zu uns gesellst, Tantchen«, rief ihr der Neffe entgegen. Mit einer charmanten Handbewegung deutete er auf Francine, die neben ihm stand.

»Darf ich vorstellen, Francine Collins. Das bezauberndste Mädchen im ganzen Königreich.«

Francine lächelte herablassend, als hielte sie diese Auszeichnung für das Mindeste, was sie von Charles erwarten durfte, und reichte Olivia die Hand.

»Ich möchte mich sehr herzlich für Ihre Gastfreundschaft bedanken. Ich hoffe, wir bringen Ihren Tagesablauf nicht zu sehr durcheinander, weil wir schon heute eingetroffen sind. Eigentlich wollte Charles erst morgen fahren, aber ich war so neugierig auf Glenmoore House, da sind wir heute einfach losgebraust.«

Als hätte sie bemerkt, wie wenig charmant ihre Aussage war, fügte sie schnell noch hinzu: »Und natürlich wollte ich auch Sie kennenlernen, Lady Olivia. Charles hat mir ja schon so viel von Ihnen erzählt.«

Du lügst ganz schön, du kleines Biest, dachte Lady Glenmoore im Stillen. Dennoch schenkte sie Francine ein hinreißendes Lächeln.

»Nehmt doch wieder Platz, meine Lieben«, flötete sie und ließ sich selbst in einem der Ledersessel nieder.

»Darf ich dir eine Tasse Tee einschenken, Tante?«

Charles wartete die Antwort gar nicht erst ab und füllte eine frische Tasse mit dem goldgelben Gebräu, gab ein Stück Zucker dazu und goss das Ganze mit etwas Milch auf.

»Ein Stück Zucker und ein Fingerhut voll Milch, bitte schön, so wie du ihn magst.«

Voller Stolz, als hätte er gerade ein köstliches Vier-Gänge-Menü herbeigezaubert, stellte er die Tasse vor Olivia ab.

»Sehr aufmerksam von dir, Charles«, bedankte sich Olivia und nippte an ihrem Tee.

Dann wandte sie sich Francine zu.

»Ich hoffe, Sie werden sich in Glenmoore House wohlfühlen. Mary und ich laden am Donnerstag immer ein paar Gäste ein. Nach dem Dinner spielen wir Rommé. Kennen Sie das Spiel?«

Francine nickte.

»Wenn Sie wollen, dürfen Sie gern mitspielen. Wir spielen allerdings um Geld. Natürlich keine großen Einsätze. Charles zeigt uns immer die kalte Schulter. Ihm sind die Einsätze wohl nicht hoch genug.«

Charles lachte.

»Aber nein, Tante, an den Einsätzen liegt es nicht. Aber du weißt doch: Ich bin kein Liebhaber von Gesellschaftsspielen.«

Dabei schaute er Francine an, und es war deutlich zu sehen, welche Art von Spielen er wirklich liebte. Olivia Glenmoore wusste das. Die einzigen Leidenschaften ihres Neffen waren schöne Frauen und schnelle Autos. Dabei schien Francine so gar nicht in das Schema der Mädchen zu passen, die Charles sonst mitbrachte. Sie war weder blond noch vollbusig, und sie hatte vermutlich sogar etwas im Hirn. Lady Glenmoore musterte Francine heimlich, während sie in kleinen Schlucken ihren immer noch sehr heißen Tee trank. Das Mädchen hatte Geschmack. Für den Abend hatte sie ein schlichtes schwarzes Kleid gewählt, dessen Rock etwas ausgestellt war und ihre Beine hervorragend zur Geltung brachte. Das Oberteil, das nur von einem um den Nacken laufenden Band gehalten wurde, zeigte die makellose Haut ihrer tadellos geformten Schultern. Kein Zweifel, Francine war eine Schönheit, und sie wusste das.

Kurze Zeit später kam auch Mary herunter. Auch ihr wurde Francine vorgestellt. Mary sagte irgendetwas in der Art wie »Nett, Sie kennenzulernen«, nahm sich ebenfalls frischen Tee und setzte sich dann in einen der freien Ledersessel. Dabei musterte sie Olivia mit einem seltsamen Blick. Schließlich griff sie nach einem der herumliegenden Magazine, das sie lustlos durchblätterte.

»Einen schönen Besitz haben Sie da, Lady Glenmoore«, nahm Francine die Konversation wieder auf. »Ich stelle mir gerade vor, welch ein exquisites Hotel man daraus machen könnte. Diesen herrlichen Salon hier, zum Beispiel. Hier würde ich mir das Restaurant vorstellen, natürlich mit Sterneküche und draußen auf der Veranda …«

Mary Hunter sah überrascht von ihrem Magazin auf und bemerkte die leichte Zornesfalte auf der Stirn ihrer Freundin.

»Ich denke nicht, dass ich mich an diesen Gedanken gewöhnen könnte«, unterbrach Olivia Francines Ausführungen. Ihre Stimme klang etwas schrill. »Glenmoore House als Hotel? Jedenfalls nicht zu meinen Lebzeiten. Die Glenmoores leben hier seit Jahrhunderten. Wenn ich mir vorstelle, die Bälger neureicher Gäste würden den Rasen im Park zertrampeln. Und überall das Geplärre. Nein danke, nur über meine Leiche.« Lady Glenmoore machte ein Gesicht, als hätte sie in einen sauren Apfel gebissen.

»Ich glaube, Francine«, mischte sich Charles ein, »du solltest Tante Olivia nicht mit solchen Horrorvisionen quälen. Für sie ist Glenmoore House schlicht und ergreifend unantastbar. Und ehrlich gesagt, ich bin zwar kein Glenmoore, aber ich hänge auch sehr an dem alten Kasten. Andererseits ist es jedoch eine Tatsache, dass das Anwesen Unsummen an Unterhalt verschlingt, nicht wahr, Tante?«

»Willst du damit sagen, wir können uns Glenmoore Hause nicht länger leisten?«, begehrte Olivia auf. »Da täuschst du dich aber. Und wenn ich einmal die Augen zumache, dann wird genug für dich da sein, um das Haus zu erhalten. Und im Übrigen, mein lieber Charles, möchte ich dich bitten, das Thema Hotel in meinem Beisein künftig nicht weiter zu vertiefen. Damit wirst du schon warten müssen, bis du Herr in Glenmoore House bist.«

Aus der Halle drangen Geräusche herein, die darauf schließen ließen, dass die beiden Abendgäste eingetroffen waren. Olivia Glenmoore stand auf und ging zur Tür, um die Neuankömmlinge zu begrüßen. Charles warf Francine einen bitterbösen Blick zu.

Leise sagte er: »Es war wirklich nicht nötig, jetzt von unseren Zukunftsplänen anzufangen.«

Francine zuckte nur die Schultern.

Das Dinner wurde im Speisesaal serviert. Es war vorzüglich an die sommerliche Witterung angepasst. Olivia Glenmoore und Mary Hunter saßen jeweils an den Stirnseiten der Tafel. An der einen Längsseite hatten Charles und Francine Platz genommen, gegenüber die beiden Damen, die zum abendlichen Kartenspiel eingeladen waren. Pauline Bloom, die eine der beiden, eine stramme Rothaarige in den Vierzigern, war die Vorsitzende des Ortsverschönerungsvereins von Bourton-on-the-Water. Während des gesamten Dinners ließ sie sich darüber aus, dass die Stadtverwaltung unfähig sei, weil sie bei der anhaltenden Trockenheit die prachtvollen Grünanlagen und Blumenarrangements nicht ausreichend bewässern würde. Um die Bedeutung ihrer Worte zu unterstreichen, gestikulierte sie wild mit erhobenen Händen. Charles, der ihr gegenüber saß, konnte nicht umhin, ständig auf den unter der etwas zu engen Bluse wogenden Busen zu starren. Vermutlich befürchtete er, dass der entscheidende Knopf alsbald abgesprengt werden und in seinem Teller landen könnte. Ihre flachbrüstige, ebenfalls mit einer weißen, aber hochgeschlossenen Bluse bekleidete Tischnachbarin ließ sich durch die schwungvollen Ausführungen ihrer Nebenfrau nicht aus der Ruhe bringen. Ohne auch nur einmal aufzuschauen oder innezuhalten, den Blick stoisch auf ihr Essen gerichtet, leerte sie ihren Teller. Sie hieß Dorothy Hubbard und war die Leiterin der örtlichen Primary School. Offensichtlich war sie es gewohnt, in lautstarker Umgebung die Ruhe zu bewahren. Als die Stadtverwaltung gebührend beschimpft worden war und alle gesättigt waren, schlug Olivia vor, sich zum Kartenspiel in den Salon zu begeben. Charles ließ wissen, dass er lieber noch einen kleinen Abendspaziergang machen würde. Schließlich sei es noch fast zwei Stunden hell. Francine warf ihm zum Abschied ein Kusshändchen zu, dann ging sie mit den anderen quer durch die Halle in den Salon hinüber. Sie ließen sich an einem mit grünem Leder bezogenen Kartentisch nieder. Holmes hatte fünf Stühle und einige Beistelltischchen mit Gläsern und Knabbereien bereitgestellt. Ein Krug mit frisch gebrauter Sangria stand auf der Anrichte. Es versprach ein gemütlicher Abend zu werden.

Zu Anfang legte jede Mitspielerin eine Pfundmünze in die Mitte des Tisches. Wer eine Spielrunde gewann, durfte sich eine Münze davon wegnehmen. Wer ein Handspiel zustande brachte, dem gehörte der ganze Topf, und war der leer, mussten alle wieder nachlegen. Große Gewinne konnten mit dieser Methode nicht erzielt werden. Aber es war ein gewisser Anreiz. Doch die sonst übliche gute Laune wollte sich an diesem Abend nicht einstellen. Mary Hunter konzentrierte sich ganz auf ihre Karten und sprach wenig, Olivia schien irgendwie nervös zu sein. Sie machte Fehler, vergaß Joker zu tauschen und verlor alle ihre Spiele. Exakt um Punkt neun Uhr, es war gerade wieder eine Runde zu Ende gegangen, stand Olivia auf und sagte:

»Spielt mal einen Durchgang ohne mich. Ich muss kurz was erledigen. In spätestens zehn Minuten bin ich wieder bei euch.«

Ohne weitere Erklärungen verließ sie den Salon. Sekunden später hörte man die schwere eichene Eingangstür ins Schloss fallen. Mary Hunter wollte erneut die Karten verteilen, aber Francine meinte, eine kleine Pause könne nichts schaden, außerdem würde sie auf der Veranda gerne eine Zigarette rauchen. Pauline Bloom schloss sich ihr an, und die beiden verschwanden durch die offen stehende Verandatür.

»Welch ein entzückender Abend!«, rief Francine etwas überlaut in den Abendhimmel und klatschte wie ein kleines Mädchen ihren eigenen Worten Beifall. Dann nahm sie einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette.

Holmes zog inzwischen im Salon die schweren Vorhänge mit der Bemerkung zu, das künstliche Licht würde nur die Motten anlocken. Mary Hunter und Dorothy Hubbard saßen sich schweigend gegenüber, als würden sie im Wartezimmer eines Arztes darauf hoffen, endlich an die Reihe zu kommen. Nach einer Weile kehrten die beiden Raucherinnen zurück und nahmen wieder Platz. Sie waren noch immer in ihre Unterhaltung vertieft, die bereits auf der Veranda begonnen hatte und bei der es darum ging, dass Pauline der ortsfremden Francine die Schönheiten von Bourton-on-the-Water in den berauschendsten Farben schilderte.

»Wussten Sie eigentlich, dass wir die einzige Gemeinde in Großbritannien sind, wo es gleich mehrere Brücken ohne Geländer gibt? Wir haben dafür sogar eine Ausnahmegenehmigung vom Verkehrsministerium.«

»Ach was«, mischte sich Dorothy Hubbard mit ihrer tiefen männlichen Stimme ein, »und wenn mal jemand runterfällt und sich das Genick bricht? Dann werden die Zeitungen wieder fragen, wie das wohl sein konnte.«

»Na und«, konterte Pauline, »wer da runterfällt, ist höchstens betrunken, und dann geschieht es ihm recht.«

Die beiden Damen diskutierten noch eine Weile über die Vor- und Nachteile von Brückengeländern, bis sich schließlich Mary Hunter mit der Bemerkung einschaltete:

»Bleibt aber lange aus, unsere Olivia!«

Das Gespräch verstummte urplötzlich, und alle blickten betroffen auf Mary.

»Ja, stimmt«, meinte Francine und schaute auf ihre Armbanduhr. »Es sind jetzt schon über zwanzig Minuten. Ich habe mir auch schon Gedanken gemacht. Sie wollte doch spätestens in zehn Minuten zurück sein.«

In diesem Augenblick kam Holmes in den Salon, um zu sehen, ob noch alle Damen ausreichend mit Getränken und Knabbereien versorgt wären. Pauline bat um etwas Wasser, da sie ja noch fahren müsse, und Mary fragte Holmes, ob er wüsste, wo Lady Glenmoore hingegangen sei. Holmes überraschte die Frage, weil er dachte, die Damen wüssten mehr darüber als er.

»Ich kann es Ihnen nicht sagen, Mrs Hunter, aber ich habe gesehen, wie sie Punkt neun Uhr das Haus verlassen hat. Zurückkommen sehen habe ich sie bislang allerdings noch nicht. Jedenfalls ist sie nicht durch den Haupteingang hereingekommen. Aber sie kann nicht weit sein, denn mit dem Auto ist sie nicht weggefahren, das hätte ich gehört.«

»Danke, Holmes, dann werden wir uns wohl noch ein wenig gedulden müssen.«

Die vier Damen saßen etwas unschlüssig um den Tisch herum. Francine schlug vor, schon mal mit dem Spielen weiterzumachen, aber so recht Lust hatte dazu niemand. Alle waren von einer undefinierbaren Sorge um Olivia erfüllt, weil sie sich absolut keinen Reim darauf machen konnten, warum sie so lange fortblieb, ja dass sie überhaupt die Runde verlassen hatte. Weitere fünf Minuten vergingen, in denen die Damen die verschiedensten Mutmaßungen über den Verbleib von Lady Glenmoore anstellten. Dann hielt es Mary Hunter nicht mehr länger auf ihrem Stuhl. Sie sprang auf, ging zum Fenster und schaute durch einen Spalt zwischen den Vorhängen in den Park hinaus.

»Draußen ist es schon fast dunkel. Das gefällt mir gar nicht. Ich werde sie suchen gehen. Vielleicht hat sie einen Schwächeanfall gehabt und braucht Hilfe.«

»Nein, Mary, lassen Sie uns das machen und schauen Sie, ob sie irgendwo im Haus ist. Vielleicht ist sie unbemerkt zurückgekommen und auf ihr Zimmer gegangen«, schlug Francine vor.

Es war genau neun Uhr achtundzwanzig, als sich die vier Damen auf die Suche nach Olivia machten. Sie vereinbarten, sich in zehn Minuten wieder im Salon zu treffen, egal ob mit oder ohne Olivia. Als sie wieder zusammentrafen, waren knapp zehn Minuten vergangen. Ihren Gesichtern war anzumerken, dass keine von ihnen Olivia gefunden hatte.

»Mir reicht es jetzt«, ließ sich Mary Hunter vernehmen. »Ich rufe die Polizei an.«

Sie ging in die Halle hinaus, in der eines der kabellosen Telefone stand, und wählte die Notrufnummer der Polizei in Cheltenham. Als sich am anderen Ende der Leitung ein junger Mann meldete, der sich als PC Blair vorstellte, schilderte ihm Mary Hunter die Situation. Der Polizist hörte geduldig zu, fragte aber anschließend, ob die Personen, die sich in Glenmoore House aufhielten, wirklich das ganze Haus durchsucht hätten.

»Das ganze Haus vom Keller bis zum Dach und den halben Park. Wir haben gerufen und in jeden Winkel geleuchtet, keine Spur von Lady Glenmoore«, wiederholte Mary Hunter ihre Geschichte noch einmal mit eindringlichen Worten.

»Einen Moment bitte«, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung und nach einer Weile: »Sind Sie noch da, Mrs Hunter? Ich habe über Funk mit DI Curruthers gesprochen. Er fährt zurzeit Streife in Ihrem Abschnitt. Er wird in wenigen Minuten bei Ihnen sein.«

Mary bedankte sich. Sie fühlte sich erleichtert. Irgendwie war sie beruhigt, dass sich jetzt die Polizei um die Angelegenheit kümmern würde. Als sie wieder in den Salon kam, sahen sie die drei anderen Damen erwartungsvoll an. Sie schilderte den Verlauf des Gesprächs und erklärte, dass in Kürze ein Detective Inspector vorbeischauen wolle.

Zu Pauline und Dorothy gewandt, sagte sie: »Ich denke, der Kartenabend ist vorbei. Wenn ihr beide heimfahren wollt, kann ich es euch nicht verdenken.«

Doch die beiden schüttelten den Kopf.

»Nein, wir stehen das jetzt gemeinsam durch«, meinte die sonst so schweigsame Dorothy nur und fügte hinzu: »Irgendwann muss sie ja mal wieder auftauchen.«

Es dauerte nicht lange, bis Holmes einen Polizeibeamten hereinführte. Er war groß, schlank und sehr jung und schien gerade erst die Polizeischule hinter sich zu haben. Sein sympathisches, ehrliches Gesicht mit den blauen intelligent blickenden Augen erweckte sofort Vertrauen. Er begrüßte die vier Damen, die inzwischen auf der Ledercouch Platz genommen hatten, mit einem freundlichen Hallo und stellte sich als DI Curruthers vor.

»Darf ich fragen, wer von Ihnen Mrs Hunter ist.«

Mary hob die Hand.

»Sie haben beim Revier angerufen und das Verschwinden von Lady Glenmoore gemeldet?«

Wieder nickte Mary.

»Lady Olivia Glenmoore, um genau zu sein.«

Curruthers ließ seinen Blick durch den Salon schweifen.

»Waren Sie gerade am Kartenspielen?«

»Stimmt«, sagte Mary Hunter, »wie jeden Donnerstag. Um neun Uhr stand Lady Glenmoore plötzlich auf und sagte uns, sie käme gleich wieder, sie müsste nur kurz was erledigen. Sie sprach von zehn Minuten. Hab ich recht?«