Mörderischer Zorn - Willi Schissler - E-Book

Mörderischer Zorn E-Book

Willi Schissler

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Beschreibung

Drogen, Alkohol, Eifersucht, Mord!!! Mysteriöse Dinge geschehen im Otzberger Land und an der Bergstraße. Eine Winzerin findet einen alten Mann vor, der in ihrer Weinberghütte am Herrnberg in Groß-Umstadt leblos an einem Tisch sitzt. Auf einen Rumänen wird vor einem Weingut in Zwingenberg an der Bergstraße mit einem Holzknüppel eingeschlagen. Die Kripo vermutet einen Zusammenhang dieses Überfalls mit dem Tod des alten Mannes in Groß-Umstadt. In Reinheim wird in einem Mehrfamilienhaus eine erdrosselte Frau aufgefunden. Und es passiert noch so einiges ... Undurchsichtige Polizeibeamte, schöne, attraktive Frauen und äußerst skurrile Figuren treten in Erscheinung. Mal wieder schwer zu lösende Fälle für die Ermittler des K10 vom Polizeipräsidium Südhessen in Darmstadt, zumal deren Erster Kriminalhauptkommissar Heiner Dröger sich mit seiner Frau in Bansin auf Usedom im Urlaub befindet. Die Vertretung übernimmt Hauptkommissar Felix Hummel von der Regionalen Kriminalinspektion Erbach im Odenwald. Auch Werner von Rheinfels, genannt Spürli, der findige Journalist, mischt wieder mit.

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DER AUTOR

Willi Schissler wurde 1949 im Otzberger Ortsteil Nieder-Klingen im Odenwald geboren und wohnt seitdem dort.

Nach einer Lehre und einer aktiven Zeit als Bankkaufmann wechselte er 1970 zu einem Institut für Marktforschung in Frankfurt/Main.

Er ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter.

Zum Gedenken an meine Schwester Erika

Gewidmet den großartigen Ärzteteams der Gefäßchirurgie und der Radiologie sowie dem ausgezeichneten Pflegeteam der Station 6 Ost des Krankenhauses Nordwest in Frankfurt am Main.

Ihnen gebührt mein allerhöchster Dank und Respekt.

Für Karin und Yvonne mit Michael

Die Handlung des Romans ist frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen und realen Begebenheiten ist rein zufällig.

Nur wer unterschätzt wird, kann für Überraschungen sorgen.

(Roland Jankowsky in »Wilsberg – Die Bielefeld-Verschwörung«)

Und die einen sind im Dunkeln Und die andern sind im Licht Doch man sieht nur die im Lichte Die im Dunkeln sieht man nicht.

(Aus »Mackie Messer / Dreigroschenoper« von Bertolt Brecht)

Inhaltsverzeichnis

PROLOG

Dienstag, 7. Juli

Mittwoch, 8. Juli

Donnerstag, 9. Juli

Freitag, 10. Juli

Samstag, 11. Juli

Sonntag, 12. Juli

Montag, 13. Juli

Dienstag, 14. Juli

Mittwoch, 15. Juli

Donnerstag, 16. Juli

Freitag, 17. Juli

Samstag, 18. Juli

Sonntag, 19. Juli

Montag, 20. Juli

Dienstag, 21. Juli

Mittwoch, 22. Juli

Donnerstag, 23. Juli

Freitag, 24. Juli

Montag, 27. Juli

Dienstag, 28. Juli

Mittwoch, 29. Juli

Donnerstag, 30. Juli

Freitag 31. Juli

Samstag, 1. August

Montag, 3. August

EPILOG

PROLOG

Am Pfungstädter Moor übergab eine Frau einem Mann ein Päckchen. Nachdem er es geöffnet und das weiße Pulver gekostet hatte, nickte er, schob es in seine Umhängetasche. »Ich gebe dir das Geld später«, versprach er.

»Du weißt, was für eine Summe noch aussteht«, entgegnete sie nachdrücklich. »Ich liefere und liefere, sehe allerdings nie Geld von dir. Das ist jetzt das letzte Mal. Bezahl endlich deine Schulden. Ich brauche die Kohle dringend. Spätestens Ende nächster Woche zahlst du, oder ich muss mir was einfallen lassen, verstanden?«

»Klar. Ich sage dir Bescheid, wenn ich das Geld habe.«

»Warte nicht länger, sonst …«

Er nickte. Was sonst? Was will die machen? Will sie mich anzeigen? Sein Gesicht nahm einen diabolischen Ausdruck an. »Sei lieber vorsichtig, ich könnte einen kurzen Brief an eine bestimmte Stelle schicken«, meinte er, jetzt schmutzig grinsend. »Was das für dich bedeuten würde, kannst du dir ausmalen.«

»Das wagst du nicht!«, fuhr sie ihn laut an.

»Ich würde an deiner Stelle nicht wetten«, konterte er.

»Riesenarschloch, blödes!« Sie drehte sich um, stapfte zornig weg. Der Mann ging ebenfalls weg … in die entgegengesetzte Richtung.

Obwohl sie sich ständig umgeschaut hatten, hatten sie nicht bemerkt, dass sie von jemandem beobachtet wurden. Diese Person trug sportliche Kleidung, in der Hand hielt sie ein Smartphone. Sie hatte sich hinter einer Baumgruppe versteckt und mehrere Fotos von den beiden geschossen. Dann lief sie in Richtung Naturfreundehaus. Sie hatte mehr erreicht, als sie vorher zu glauben gewagt hätte. Sie hatte erreicht, was sie erreichen wollte.

In der Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums Südhessen in Darmstadt klingelte das Telefon. Lore Michelmann, seit gut einem Jahr Kommissarin, nahm das Gespräch entgegen. Eine dumpfe Stimme berichtete, sie habe gehört, es sei etwas Schlimmes passiert.

»Was ist Schlimmes passiert?«, fragte die Kommissarin.

Keine Antwort.

»Wo?«

»In Umstadt, wahrscheinlich Groß-Umstadt«, kam es aus dem Hörer.

»Was heißt das, wahrscheinlich?«

Stille.

Lore versuchte zu erfahren, mit wem sie es zu tun hatte.

»Uninteressant!«, antwortete die tonlose Stimme. Ein Knacken in der Leitung beendete das Gespräch.

»So ein A…« Michelmann rief sofort das K10, Kommissariat für Gewaltverbrechen, an, Hauptkommissar Benedikt Semmelweiß nahm das Gespräch entgegen.

»Ich kann nicht sagen, ob es ein Mann oder eine Frau war. Vermutlich war die Sprechmuschel mit einem Taschentuch oder sonst was abgedeckt.«

»Mehr hat der … oder die nicht gesagt?«

»Nein, Benedikt, sonst hätte ich es dir ja wohl weitergegeben«, antwortete Michelmann pikiert.

»Hm! Schwierig! Stell mal fest, woher der Anruf kam.« Er legte auf, wandte sich an seine Kollegin. »Es soll was Schlimmes passiert sein! Vielleicht in Groß-Umstadt. Vielleicht!«

»Wir müssen da hin, Semmelweiß. Logo, oder?« Die manchmal etwas übereifrige Kommissarin Sina Cohrs erhob sich sogleich. »Auf geht’s. Worauf warten wir?«

»Stopp, Cohrs!« Benedikt runzelte die Stirn.

»Was heißt Stopp?« Sie schaute ihn verständnislos an. »Wir müssen los. Jede Sekunde ist kostbar. Es gibt nichts zu vertrödeln. Los, los, Semmelweiß! Komm in die Hufe!«

»Nicht so hastig«, entgegnete er. »Wo wollen wir hin? Wir wissen doch gar nicht, wo was passiert ist.«

»Ach so!« Sie ruderte zurück. »Da hast du auch wieder recht. Wir müssen erst mal wissen … Ja!«

»Das war wahrscheinlich ein Scherz. Jemand will sich wichtig tun.« Der einsneunzig große Semmelweiß schob die wulstige Unterlippe vor.

»Oder es will uns jemand verarschen. Vielleicht einer, der irgendwann mal von uns verhaftet worden ist«, vermutete Sina.

»Oder eine!«, warf Benedikt ein.

»Oder eine! Richtig! Wir warten mal ab, bevor wir jetzt die Pferde scheu machen«, schlug Sina vor. »Der wird sich wieder melden, wenn er es ernst meint.«

»Oder die!«, betonte Benedikt.

Die pummelige Kommissarin verdrehte die Augen. »Jou! Oder die!« Sie stand auf, ging zur Kaffeemaschine. »Du auch?«

»Ja.« Benedikt nickte. Er fuhr fort: »Gut, wir warten ab. Der Chef geht eh in Urlaub. Den müssen wir jetzt nicht unbedingt damit behelligen.« Dann fiel ihm ein: »Andererseits wohnt er in Groß-Umstadt! Wir sollten ihn doch informieren.« Er nahm die Tasse, die Sina ihm hingestellt hatte, trank einen Schluck, kratzte sich an der großen Nase. Sina lachte leise. Der mit seiner Rübe.

Lore Michelmann hatte inzwischen festgestellt, dass der Anruf aus einer Telefonzelle in Roßdorf gekommen war, und es Benedikt mitgeteilt.

In dem Moment kam Heiner Dröger, der Erste Kriminalhauptkommissar vom K10, zur Tür herein. Der Chef. »Nichts los, wie es scheint. Da kann ich ja beruhigt in den Urlaub fahren.« Er freute sich. »Usedom! Tolle Insel. Werde dort mal einen schönen Segeltörn buchen. Das wird meiner Frau ganz sicher auch gefallen.«

»Das freut mich … aber … na ja, Chef«, druckste Benedikt rum, »es … es gab vorhin so einen mysteriösen Anruf.« Er klärte Dröger auf.

»Ausgerechnet Umstadt«, meinte Dröger, etwas beunruhigt.

»Vielleicht Umstadt. Vielleicht! Vielleicht ist auch nichts. Mir kommt das sehr fadenscheinig vor. Ein blöder Witz.«

»Möglich. Hört euch mal um. Geht was essen oder was trinken in Umstadt. In Wirtshäusern hört man immer mal, wenn was im Busch ist. Ich bin nur heute noch hier. Später wird mich Hauptkommissar Hummel von der Regionalen Kriminalinspektion Odenwald in Erbach vertreten.«

»Ah ja!« Benedikt kannte Felix Hummel. Vor einiger Zeit hatten sie im Odenwaldkreis gemeinsam ermittelt. Damals hatten die Darmstädter den Odenwäldern ausgeholfen, diesmal war es umgekehrt. Er wandte sich an Sina: »Du wirst Hummel kennenlernen. Er ist manchmal ein bisschen schrullig, oder kauzig … oder so.«

»Na, da bin ich mal gespannt«, grinste sie, »auf diesen Herrn Hummel. Hummel wie Biene?«

»Hummel wie Biene, ja«, lachte Semmelweiß.

Noch am gleichen Abend ging Sina mit ihrer Lebensgefährtin Lola in Groß-Umstadt in ein Eiscafé, während Benedikt mit seiner Freundin Melinda in einem Lokal in der Altstadt zum Essen war. Heiner Dröger war mit seiner Frau Karin unterwegs. Sie bummelten durch die Stadt, setzten sich abschließend in einen gemütlichen Biergarten in der Nähe des Marktplatzes, tranken Dunkelbier.

Alle verfolgten das gleiche Ziel. Was war da Schlimmes passiert? Vielleicht! Oder war der Anruf heute im Präsidium wirklich nur ein Scherz?

An diesem Abend konnten sie jedenfalls nicht herausfinden, ob etwas geschehen war oder nicht. Offensichtlich gab es keine besonderen Neuigkeiten in Groß-Umstadt.

Oder etwa doch …?

Dröger fuhr mit seiner Frau Karin nach Bansin auf Usedom in den Urlaub, Hauptkommissar Felix Hummel aus Erbach übernahm, wie geplant, seine Vertretung.

Dienstag, 7. Juli

Pünktlich um acht Uhr erschien Hummel im Präsidium in Darmstadt. Er trug seine ausgebeulte, graue Jacke niemals zugeknöpft. Das hatte seinen Grund: Der Bauch, der in letzter Zeit immer mehr an Umfang zugenommen hatte, war ganz einfach im Weg. Die schiefhängende, blaue Krawatte und die schwarze Hose hatten schon mal bessere Zeiten gesehen. Nur die dunkelbraunen Slipper, die schienen neu zu sein.

Äußerlichkeiten interessierten Hauptkommissar Hummel absolut nicht. Wurde er auf seine Kleidung angesprochen, antwortete er mit einem Lächeln: »Was juckt es die deutsche Eiche, wenn sich die Wildsau an ihr reibt.«

Sina begleitete ihn in Drögers Büro, wo er an dessen Schreibtisch Platz nahm und begann, sich einzurichten.

Am nächsten Tag gab es einen internen Zwischenfall.

Mittwoch, 8. Juli

Benedikt Semmelweiß war nicht zum Dienst erschienen. Hummel bat Sina, sich darum zu kümmern. »Sollte Semmelmann sich am Telefon nicht melden, fahren Sie zu ihm, Frau Korbs. Dann stimmt vermutlich was nicht.«

Korbs? Hä! Sina runzelte die Stirn. Semmelmann?

Seine Vermutung bestätigte sich. Benedikt Semmelweiß ging nicht ans Telefon. Und es stimmte was nicht.

Sina fuhr nach Reinheim in den Tannenweg, wo Benedikt wohnte. Sie klingelte an seiner Haustür. Keine Reaktion. Sie klingelte noch einmal. Es geschah nichts. Die Kommissarin wartete fünf Minuten, dann klingelte sie erneut, klopfte zusätzlich ans Fenster. Jetzt hörte sie, wie jemand den Schlüssel im Schloss umdrehte und die Tür öffnete. Eine Alkoholfahne wehte ihr entgegen. Sina rümpfte die Nase. Was für eine traurige Figur!

Benedikt starrte sie mit großen trüben Augen verwirrt an − sein einziges Kleidungsstück war eine blaue Unterhose − und fragte mit verwaschener Stimme: »Wass machssu ‘ier? Ssiss ‘och Ssonnach!«

»Von wegen Sonntag, du Armleuchter.« Energisch fuhr sie ihn an: »Lass mich rein, Semmelweiß!«

Da er nicht reagierte, sondern nur mit den Augenlidern zuckte, wurde sie lauter: »Hast du gehört, du …?« Arsch sagte sie nicht.

Wortlos ließ er sie an sich vorbei, folgte ihr schlurfend ins Wohnzimmer, ließ sich in einen Sessel sinken. Mit geschlossenen Augen fasste er sich an den Kopf, ihm wurde schlecht, er raffte sich auf, schwankte ins Bad.

Sina, die ihm gefolgt war, sah, wie er ein Kuvert aus dem Spiegelschrank holte. Mit einem Griff nahm sie ihm den Umschlag weg. »Was ist das?«

»Gehdichnixann«, nuschelte er matt. Ihn fröstelte, er bekam Schweißausbrüche, setzte sich zitternd auf den Rand der Badewanne, wischte sich über die kaltschweißige Stirn. Sina nahm seinen Bademantel vom Haken, legte ihn ihm über die Schultern.

Als sie den Umschlag öffnete, kamen zehn kleine Pillen zum Vorschein. Ihre Vermutung schien sich zu bestätigen, sie schaute ihn an. Seine Augen waren so anders, ganz anders als sonst. Ihr fiel auf, dass seine Pupillen unnatürlich erweitert waren. Für Sina war klar: Der schluckt LSD. Diese Mikropillen und seine gesamte Erscheinung deuten darauf hin.

»Schlaf dich erst mal richtig aus, ich melde dich krank«, sagte sie und hakte ihn unter. Völlig fertig ließ Benedikt sich von ihr ins Schlafzimmer bringen, fiel wie ohnmächtig aufs Bett. Sina wartete noch ein paar Minuten, dann fuhr sie zurück ins Präsidium. Die LSD-Pillen nahm sie mit.

Benedikt konnte nicht gleich einschlafen, obwohl er todmüde und völlig daneben war. Angstgefühle, Wahnvorstellungen und Halluzinationen plagten ihn. Er hatte keinen Schimmer, was für ein Tag oder wieviel Uhr es war. Letztendlich fiel er in einen unruhigen, von Alpträumen gequälten Schlaf.

»Was ist los mit Semmelmann«, fragte Felix Hummel sogleich, als Sina zurück im Präsidium war.

»Der ist voll wie eine Kanone«, sagte sie leise. Über die LSD-Pillen sprach sie nicht.

Hummel sagte nur: »Okay! Kommt er noch?«

»Benedikt ist zäh. Er kommt sicher heute noch.«

Es war so. Am Nachmittag erschien Semmelweiß, als wäre nichts geschehen. Prompt begegnete er auf dem Flur Direktorin Ehresmann, die auf dem Weg in ihr Büro war. Zu seinem Glück hatte sie offenbar keine Zeit. »Na, Herr Semmelweiß, bisschen blass heute«, meinte sie kurz. »Jaja, der Stress!« Dann war sie weg. Benedikt atmete befreit durch.

Hummel lud für den Abend Hauptkommissar Benedikt Semmelweiß und Kommissarin Sina Cohrs in die Winzergenossenschaft Vinum Autmundis in Groß-Umstadt ein. Sozusagen als Einstand.

Dort fand einer der zahlreichen, immer gut besuchten Events statt und man konnte herrlich feiern bei Fleischwurst, Käse und verschiedenen Leckereien sowie hervorragendem Wein von der Odenwälder Weininsel.

Lola Bruckner, Sinas Lebensgefährtin, hatte sich auf deren Anfrage gerne bereit erklärt, die drei Kollegen zu chauffieren. »Ruft mich an, ich hol euch wieder ab und bring euch heim.«

Benedikt nahm das Angebot dankbar an, Hummel hingegen sagte: »Ich möchte Ihnen nicht zumuten, dass sie mich nach Hause bringen, Lilo. Nach Erbach ist es ein gutes Stück. Ich nehme ein Taxi.«

Lola zog irritiert eine Augenbraue nach oben. Lilo?

»Okay, Herr Hummel«, meinte sie, »es wäre kein Problem gewesen.«

»Danke, ich weiß das zu schätzen, Lilo«, erwiderte er.

Lola schmunzelte, stieg in ihren BMW und fuhr davon.

Im Vinum Autmundis setzten sie sich an den einzigen noch freien Tisch im Innenbereich, da es draußen empfindlich kühl geworden war, im Gegensatz zu den Tagen zuvor.

Das war verständlicherweise der Grund, weshalb sich nur wenige Gäste im Freien aufhielten.

Hummel bestellte sogleich eine Flasche Riesling. »Was wollen wir essen?« Er nahm die Speisekarte zur Hand. Sie einigten sich auf heiße Fleischwurst mit Senf und Brötchen, was von der Kellnerin wenig später serviert wurde.

»Weck, Worscht un Woi. Passt!«, meinte Benedikt, ignorierte sein Besteck, nahm die Wurst in die Hand, tunkte sie in den Senf, biss herzhaft hinein. Mit einem Zug trank er sein Glas aus. Sina schaute Hummel vielsagend an: »Ja, das passt wirklich.«

Hummel nickte kaum merklich. Auch Sina nahm einen Schluck, ließ Messer und Gabel liegen: »Fleischwurst isst man aus der Hand.«

Felix Hummel trank ebenfalls, aß ein Stück Wurst, auch aus der Hand, nickte mehrmals gönnerhaft. Er war der Chef. Und weil er der Chef war und zudem auch eingeladen hatte, bestellte er eine weitere Flasche Wein, diesmal Weißen Burgunder.

Hauptkommissar Hummel hatte nicht aus Spaß eingeladen. Nein, er wollte wissen, wie sich Semmelweiß verhalten würde. Nach seinem Rausch am vergangenen Tag.

Eigentlich war es egal, es musste niemand von ihnen mit dem Auto nach Hause fahren. Doch Benedikt bereitete ihm große Sorgen.

Nachdem sie gegessen hatten und der Weiße Burgunder auch ausgetrunken war, bestellte Hummel eine weitere Flasche.

Seine Sorge bestätigte sich. Er und Sina tranken je ein Glas, den Rest schaffte Semmelweiß locker allein. Dann stand er auf. »Sorry«, entschuldigte er sich, »muss mal«, und ging zur Toilette. Auf dem Rückweg ging er noch schnell zur Theke, trank zwei doppelte Tresterbrand, bevor er sich wieder auf seinen Platz setzte.

Mittlerweile war es einundzwanzig Uhr. Mit schon etwas undeutlicher Sprache wollte er die nächste Flasche Wein bestellen, Sina legte die Hand auf seinen Arm, meinte leise: »Lass es, Semmelweiß. Es ist genug.«

»Ach Cohrs«, lallte er, »stellichnich so an. ‘n guter Wein, maßvoll getrunken, scha … schadet auch in großen Mengen nich«, laberte er und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen. »Gut, der Spruch, oder?« Er lachte, rief nach der Kellnerin. »Komm her, Määchen, wenn wir schomalier sinn …«

Sina bedeutete der jungen Frau, nicht darauf einzugehen. Sie formte den Mund zu einem ER HAT GENUG, und rieb hinter Benedikts Rücken Daumen und Zeigefinger gegeneinander. Die Kellnerin kam sogleich an den Tisch, Hummel zog seine Geldbörse: »Alles zusammen. Und bestellen Sie mir bitte ein Taxi.«

Benedikt protestierte: »Jetzzschoneim? Sss’noch früh …« Mit gläsernen Augen stierte er der Kellnerin nach.

»Wir gehen, Herr Semmelmeier. Es reicht für heute, okay?«

»Weiß!«

»Was?«

»Weiß! Semmel … upps!«

»Ja! Schon gut!« Hummel ärgerte sich über sich selbst. Namen! Wie blöd bin ich eigentlich? Er nahm sich ernsthaft vor: Das muss sich ändern. Ganz schnell muss sich das ändern! Punkt und aus!

Bevor Sina und Benedikt von Lola abgeholt wurden, nahm Hummel Sina kurz beiseite: »Was machen wir mit ihm?«

»Ich schlage vor, wir warten bis morgen früh«, antwortete Sina. »Vielleicht fällt uns was ein, wie wir ihn wieder auf den richtigen Weg bringen können, denn wenn er so weitermacht, sehe ich schwarz. Wir können das auf Dauer nicht vertuschen, zumal seine Arbeit darunter leidet.«

»Das ist richtig. Wir haben gesehen, dass es so mit ihm nicht weitergehen kann.« Hummel hob die Hand, stieg ins wartende Taxi: »Bis morgen, Gina.«

Die Kommissarin nickte, presste die Lippen zusammen. Gina!!! Mann!!! Sie musterte ihn staunend. Der hat tatsächlich Probleme mit Namen. Semmelmann??? Semmelmeier??? Gina??? Korbs??? Lilo??? Hm!!!

»Himmel, Arsch und Zwirn«, grummelte Hummel, dem aufgefallen war, dass er seine Kollegin schon wieder Gina genannt hatte. »Ich krieg’s einfach nicht gebacken, das mit den Namen«, ärgerte er sich lautstark.

»Du Problem?«, fragte der polnische Taxifahrer und blickte über die Schulter Hummel an, der es sich auf dem Rücksitz bequem gemacht hatte.

»Wahrscheinlich bin ich das Problem«, gab der zur Antwort.

»Aha! Wie du Problem? Problem immer sein Problem! Nix gutt!«

»Ja, das stimmt!«, entgegnete Hummel. »Das mit den Namen macht mir zu schaffen.«

»Aha! Verstanne!«, meinte der Fahrer. Er hatte nichts verstanden. Gar nichts! Wie auch? »Wohin wolle?«, fragte er.

»Nach Erbach.«

»Okay, Erbach. Verstanne!«

Lola ließ den betrunkenen Benedikt vor seiner Wohnung in Reinheim aussteigen, fuhr mit Sina weiter nach Brensbach, wo sie im Eichenweg eine Wohnung gemietet hatten.

Immer auf der Lauer und auf der Suche nach irgendwelchen Sensationen kreuzte Werner von Rheinfels, Spürli genannt, Journalist vom Darmstädter Echo, in Darmstadt im berüchtigten Dornheimer Weg auf. Hier hatte er schon so manchen stadtbekannten Geschäftsmann gesehen, der nicht gesehen werden wollte.

Dunkle Wolken türmten sich am Himmel und verdeckten allmählich den Mond, der den Wald dort in sanftes Licht getaucht hatte. Böiger Wind frischte auf, das Wetter schien sich zu ändern.

Einige der Straßenmädchen auf dem bekannten Straßenstrich kannten Spürli. Die meisten kamen aus Osteuropa und waren froh, wenn er hin und wieder vorbeikam. Er half ihnen beispielsweise bei Behördengängen, zumal die wenigsten der Frauen der deutschen Sprache mächtig waren.

Nicht nur Prostituierte hielten sich dort auf. Auch Drogendealer, männliche wie weibliche, waren immer wieder präsent.

Spürli unterhielt sich mit der schon etwas älteren Rumänin Smaranda, einer drallen Frau mit grüngefärbten kurzen Haaren und einem Riesenbusen, die Schwierigkeiten mit ihrer Aufenthaltsgenehmigung hatte, als ein Wagen neben der blonden Litauerin Gintarè am Straßenrand anhielt. Der Fahrer stieg aus, ging mit ihr einige Schritte in den Wald. Zwanzig Minuten später kamen sie zurück …

In dem Moment drehte Spürli sich um und sah im Scheinwerferlicht eines vorbeifahrenden Fahrzeugs die Silhouette des Mannes, der hastig in seinen Wagen stieg und schnell wegfuhr. Das darf ja wohl nicht wahr sein! Das ist doch …! Ich fass es nicht! Spürli lächelte vor sich hin. Ich werde mal schön die Klappe halten.

Als guter Journalist konnte er großartige Berichte fürs Darmstädter Echo schreiben. Ebenso konnte er einfach still sein, wenn es um etwas ging, das aus seiner Sicht andere nicht wissen mussten.

Er war ganz und gar nicht der Typ, der mit unsauberen Mitteln arbeitete. Raffiniert war er. Das schon. Doch ehrlich war er auch.

Er senkte den Kopf, schaute hoch, grinste schelmisch über die etwas zu groß geratene Hornbrille.

Leichter Regen setzte ein, der nach und nach heftiger wurde. Smaranda spannte einen riesigen gelben Schirm auf, unter dem auch Spürli Unterschlupf fand.

Donnerstag, 9. Juli

Der Wind hatte sich gelegt, es hatte sich ausgeregnet, die Sonne hatte wieder die Macht übernommen, als morgens um acht Felix Hummel das Büro des Ersten Kriminalhauptkommissars Heiner Dröger betrat, das er vorläufig als das seine ansah. Stolz setzte er sich in den bequemen Bürosessel, wippte einige Mal damit, kramte in der Schublade nach einem Kugelschreiber. Er fand keinen. Er schob Drögers Kunststoffigel, in dem Bleistifte steckten (und Kugelschreiber), vor und wieder zurück, trommelte mit den Fingern auf den Tisch und wartete, leise vor sich hin pfeifend, exakt dreißig Minuten, dann griff er zum Telefon, wählte Benedikts Büronummer. Sina Cohrs hob ab. »Er ist noch nicht da, Herr Hummel«, sagte sie mit leiser Stimme.

»Schon halb neun. So spät kommt er doch sonst nicht, oder? Was ist nur mit dem los?«, fragte der Hauptkommissar und schob die auf die Nasenspitze vorgerutschte Nickelbrille zurück.

»Ich ruf ihn an.« Sina hatte ein ungutes Gefühl. Sie rief bei Semmelweiß zuhause an, er meldete sich nicht. »So ein Idiot«, schimpfte sie verärgert. »Fängt der an zu saufen! Was soll ich jetzt tun?« Sie ging zu Hummel, sagte ihm, dass sie zu Benedikt fahren würde. »Zum Glück ist die Ehresmann noch nicht da.«

»Sie irren sich, Gina. Die Direktorin ist schon da. Ich habe sie vorhin kommen sehen.«

»Oha!« Sina atmete durch. »Dann nichts wie weg!«

Einige Minuten später saß sie auf ihrer Kawasaki und brauste nach Reinheim. Auf dem Parkplatz vor dem Reihenhaus, in dem Benedikt wohnte, stand sein alter Opel Caravan. Genauer gesagt stand er neben dem Parkplatz … so schräg … oder quer …

Das Telefon von Hauptkommissar Semmelweiß klingelte. Da Sina den Apparat auf Hummel umgestellte hatte, nahm dieser ab, meldete sich kurz mit »Ja!«

»Benedikt?«

»Nein. Hier ist Hummel. Herr Semmelmeier ist nicht da.«

»Hummel? Semmelmei …?« Lore Michelmann von der Einsatzzentrale war etwas durcheinander. »Ach so, verstehe. Benedikt ist nicht da?«

»Er ist abgängig. Sie müssen schon mit meiner Wenigkeit vorliebnehmen.« Hummel wollte witzig sein.

Michelmann verstand den Witz nicht. Abgängig! Mit meiner Wenigkeit vorliebnehmen! So ein Spinner!

»Ich habe einen Herrn Meissner aus Groß-Umstadt in der Leitung. Der behauptet, in seiner Hütte im Weinberg säße eine Leiche.«

»Okay, stellen Sie durch.«

Eine tiefe, kratzige Stimme sprach aufgeregt von einem unangenehmen Fund. »In meiner Hütte im Wingert am Herrnberg sitzt ein Toter am Tisch. Alter Kerl. Keine Ahnung, wie er heißt und wo er herkommt. Ich … ich war der Meinung, dass ich das melden müsse, weil …«

»Stopp!«, unterbrach Hummel den Redefluss. »Haben Sie den Toten angefasst?«

»Nein! Natürlich nicht«, antwortete die kratzige Stimme.

»Wenn Sie mir jetzt noch sagen, wo ich Sie finde, dann ist alles in Ordnung, Herr Weixler.« Dass ein Toter dort am Tisch sitzen sollte, fand er reichlich ominös.

»Frau! Und nicht Weixler, sondern Meissner! Frau Meissner!«, kam es bestimmend aus dem Hörer.

»Bitte? Ach so. Verzeihung.» Reibeisenstimme wie Ce– lentano, fiel ihm spontan ein. Una festa sui prati. Wunderschöner Oldie. Der Song erinnerte ihn an einen herrlichen Urlaub mit Manuela vor einigen Jahren in Cannobio am Lago Maggiore. Bella Italia! Das waren noch Zeiten.

»Wo finde ich Sie, Frau Meissner?«, holte er sich auf den Boden der Tatsachen zurück.

Henriette Meissner gab an, wo sie sich befand.

Hummel rief in der Einsatzzentrale an: »Frau Michelmann, veranlassen Sie bitte alles Notwendige. Wir fahren gleich zum Tatort.«

»Mach ich.«

Hummel eilte zu Direktorin Ilse Ehresmann, teilte ihr mit, was er soeben von der Einsatzzentrale erfahren hatte. Bevor sie fragen konnte, sagte Hummel rasch: »Vielleicht ist es nur ein Fake. Gab’s letzthin hier schon mal, habe ich gehört.«

»Das war eine andere Sache, Herr Hummel«, wich die Direktorin aus. »Sind die Ermittlungen eingeleitet?«, fragte sie.

»Ja, Frau Michelmann kümmert sich um alles.«

»Und?«

Shit! »Frau Korbs und Semmelmann sind unterwegs«, log er in seiner Not. Ehresmann hob eine Augenbraue an.

Muss erst mal abwarten, was Gina bei Semmelmann ausrichtet, dachte Hummel mit ungutem Gefühl. Er beeilte sich, aus dem Büro der Direktorin herauszukommen.

Als Sina in Reinheim eintraf und bereits drei Mal an der Haustür ihres Kollegen geklingelt hatte, öffnete Semmelweiß nicht. Sie schloss die Tür mit dem Zweitschlüssel auf, den Benedikt ihr irgendwann vertrauensvoll mit den Worten FÜR ALLE FÄLLE gegeben hatte, ging ins Wohnzimmer. Benedikt saß unruhig im Jogginganzug auf der Couch, sein Blick war verschleiert, das Gesicht wieder unrasiert und leichenblass. Den Kopf hatte er in beide Hände gestützt. Seine Nasenflügel bebten.

»Mensch, warum machst du nicht auf?«, fragte Sina ungehalten. Sie betrachtete ihn. »Sag jetzt nichts. LSD! Stimmt’s?«

Er nickte kraftlos, gab keinen Ton von sich.

Der muss noch irgendwo was gebunkert haben, vermutete sie. Ich hatte die Pillen doch mitgenommen.

»Alkohol reicht wohl nicht mehr«, tadelte sie ihn. »Geht das schon länger so?«

Er schüttelte den Kopf: »Nein.«

»Hast du noch mehr von diesen Pillen?«

Mit flatternden Augenlidern schaute er hoch. »Nein, jetzt nicht mehr.«

»Hör mit diesem Scheiß auf, Benedikt«, ermahnte sie ihn. »Du setzt alles aufs Spiel. Deine Gesundheit, das gute Verhältnis zu deiner Tochter, und nicht zuletzt deine Karriere als Kriminalhauptkommissar. Die Pension später mal nicht zu vergessen. Wenn du weg bist, ist auch die weg. Hast du mich verstanden?«

»Ja, Cohrs, habe ich«, antwortete er mit zitternder Stimme, stierte betreten auf den Glastisch vor sich.

»Du bleibst heute zuhause. Morgen früh erscheinst du in alter Frische, okay?«

»Quatsch! Ich bin heute Mittag im Präsidium.«

Seufzend fragte er: »Was hat die Ehresmann gesagt?«

»Die hat bis jetzt noch nichts gemerkt. Ich krieg das mit der schon hin. Mach dir deswegen keinen Kopp. Lass dieses beschissene LSD weg. Jetzt reicht’s noch.«

Sie schaute ihn ernst an, sagte: »Eines will ich noch von dir wissen.«

»Was denn?«, fragte er schwermütig mit geschlossenen Augen.

»Wie und wo bist du an das Zeugs gekommen?«

»Komm, Cohrs, tu nicht so, als wüsstest du nicht, wo man Drogen bekommen kann. Du bist Polizistin.« Seine Stimme klang schwach, er fühlte sich völlig ausgebrannt.

»Woher hast du das LSD?«

»Dornheimer Weg«, antwortete er leise. »Als wir aus Groß-Umstadt kamen, habe ich ein Taxi gerufen und mich zum Präsidium bringen lassen, wo mein Auto stand.«

Er schnaufte durch, sah sie mit verschwommenem Blick an. »Dann bist du in den Dornheimer Weg gefahren und hast dir das LSD besorgt, richtig?« Sie fügte hinzu: »Und das LSD, das du am Mittwoch aus dem Spiegelschrank im Bad genommen hattest, stammt wohl auch von dort.«

»Richtig!«, antwortete er schlapp.

»Noch was?«

»Was?«

»Hast du sonst noch was genommen?«

»Bisschen Hasch geraucht. Nicht viel. Und Marihuana. Auch nicht viel.«

»Du hast Hasch und Marihuana geraucht? Hast du ‘nen Vogel? Du rauchst doch sonst nicht! Sag mal, bist du jetzt völlig durchgeknallt? Das wird ja immer schöner. Wo hast du diesen Kram geraucht, verdammt nochmal?«

»Wo schon? Bei den Mädels im Dornheimer Weg. Eine von denen hat es mir aufgeschwätzt. So ‘ne Blonde.«

»Ja, schon klar. Voll wie du warst. Hat sie dich auch ordentlich abgezockt? Ich würde mich nicht wundern.« Sina war stocksauer. So ein Depp!!!

»Nein, Cohrs, sie hat mich nicht abgezockt. Sie war in Ordnung. Ich war halt voll. Doch sie hat mich nicht ausgenutzt. Alles war korrekt.« Er schaute seine Kollegin mit müden Augen an: »Lass mich einfach in Frieden.«

»Das würde dir so passen. Vergiss es!«, konterte Sina. »Es steht mir nicht zu, dir als Kollegin Befehle zu erteilen. Privat darf ich das.« Sie schaute ihm in die Augen: »So, Semmelweiß, ich sag’s dir jetzt noch einmal. Lass diesen bescheuerten Kram weg, verstanden?« Sina hob warnend den Zeigefinger: »Und hör auf zu trinken!« Sie ging zur Tür: »Alles klar?«

Benedikt nickte erschöpft. Sina drehte sich nochmal um: »Sag mal, was ist eigentlich los mit dir?«

»Krach mit Melinda. Geht dich nichts an, Cohrs«, antwortete er mit schwacher Stimme.

Sina zuckte die Schultern. »Wenn du meinst.«

Im Präsidium wurde Sina von Felix Hummel sehnlichst erwartet. »Frau Korbs, wir …«

»Cohrs, Herr Hummel«, unterbrach ihn Sina. »Cohrs oder Sina, auch nicht Gina.«

»Gut, Frau Kor … Sina. Es gibt einen Toten in Groß-Umstadt. Eine Frau hat vorhin angerufen. Ich dachte erst, es sei ein Mann. Die hat eine Stimme wie …« Er winkte ab.

Schlagartig fiel es Sina ein: »Herrje, der anonyme Anruf zuletzt, es sei was Schlimmes passiert. In Groß-Umstadt! Das war tatsächlich ein Mord!«

Hummel schaute sie fragend an.

»Ja, Herr Hummel, da war so ein seltsamer Anruf. Sie waren zu dem Zeitpunkt noch nicht bei uns in Darmstadt.« Sie klärte ihn auf.

»Aha!«, gab Hummel kurz zur Antwort. »Was ist los mit Semmelmeier?«, wollte er sogleich wissen. »Die Ehresmann hat schon nach ihm gefragt. Ich habe gesagt, Sie seien mit ihm unterwegs.«

»Und? Was hat sie gesagt?«

»Nichts«, erwiderte Hummel. »Sie hat’s nicht geglaubt.« Er zögerte: »Glaube ich.«

»Das ist gar nicht gut. Semmelweiß liegt noch im Bett. Er kommt später. Hat er gesagt.« Sina zwinkerte Hummel zu. »Das können Sie natürlich nicht wissen. Sie dachten ja, wir seien unterwegs.«

»Richtig! Ich dachte … danke, Gina.« Hummel lächelte. »Sagen Sie es der Direktorin, oder soll ich …?«

»Ich mach das schon.« Sina mochte den rundlichen Erbacher Kollegen. Sie ging geradewegs zu Direktorin Ehresmann, erklärte ihr, dass Benedikt mit Magenverstimmung im Bett liege. »Wir konnten leider nicht zusammen ermitteln, deshalb bin ich nochmal zurückgekommen. Außerdem wollte ich sie informieren.«

»Okay, Frau Cohrs.« Ilse Ehresmann überlegte kurz: »Ja, dann ermitteln Sie am besten mit Herrn Hummel.« Nachdenklich meinte sie: »Der Semmelweiß hat letzthin schon nicht gut ausgesehen. Ich meine nicht, er hätte schlecht ausgesehen. So rein vom Äußerlichen … nein, nein, das nicht, nur …« Etwas verwirrt setzte sie ihren Satz fort: »Ähh … ich meine, er hat gestresst ausgesehen. Nicht, dass Sie vielleicht denken, ich würde meinen, er … na ja, ich würde …ach, egal.« Sie ging zum Fenster, schaute hinaus. Sina drehte sich weg, verzog den Mund, runzelte die Stirn. Was ist denn mit der los?

Die Direktorin fragte: »Wird er denn länger krank sein?«

Über die Schulter sagte Sina: »Er kommt später.«

»Geben Sie mir dann Bescheid … auch über Ihre Ermittlungen.«

Na klar doch! »Klar.« Sina ging hinüber zu Hummel. »So, erledigt.«

»Alles gut?«

»Alles gut.«

Die Direktorin rief Hummel an, bestellte ihn zu sich ins Büro. Nach ungefähr einer halben Stunde kam er, die Stirn gerunzelt, zurück.

»Was ist passiert, Herr Hummel?«, erkundigte sich Sina.

»Ich wusste es. Die hat mir vorhin nicht geglaubt. Sie hat mich zusammengefaltet, weil wir noch nicht am Tatort sind. Ich habe versucht, ihr zu erklären, dass wir gerade auf dem Sprung waren, nach Umstadt zu fahren. Und dass wir jetzt noch mehr Zeit verlieren würden. Sie meinte, mittlerweile sei eh die Funkstreife dort und würde den ersten Angriff vorbereiten. Dann wollte sie mit mir darüber diskutieren, wer für eine Sonderkommission infrage käme, die wir sofort zusammenstellen sollten.«

»Ach?«

»Ja. Ich habe ihr gesagt, dass wir erst klären wollen, was wirklich passiert ist. Was sollen wir einer neu gegründeten SoKo denn sagen, wenn wir selbst noch nichts wissen?«

»Da haben Sie recht. Wann fahren wir?«

»Jetzt gleich.« Hummel eilte in Richtung Tür, wäre beinahe mit Semmelweiß zusammengestoßen, der gerade in dem Moment hereinkam. Verwirrt fragte Benedikt: »Was ist passiert? Wo wollen Sie denn so plötzlich hin?«

»Mann, Semmelmeier! Was machen Sie denn für Sachen?« Hummel schüttelte den Kopf. »Kommen Sie! Wir müssen nach Umstadt!«

»Warum? Was sollen wir dort?«

»Es gibt einen Toten. Auf dem Herrnberg. Ein Toter, der an einem Tisch sitzt!«

»Der sitzt an einem …?« Benedikt verstand nicht, schaute Hummel verstört an.