Mörderisches aus Sachsen - Petra Steps - E-Book

Mörderisches aus Sachsen E-Book

Petra Steps

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Beschreibung

Sachsen - idyllisch, abwechslungsreich und vielfältig. Vom Vogtland übers Erzgebirge bis hin zur Sächsischen Schweiz, vom deutschen Kleinparis Leipzig bis zum Elbflorenz Dresden, verträumte Mittelgebirgslandschaften, ausgedehnte Wälder und kulturträchtige Städte. Doch die Idylle trügt: Journalistin Adina Pfefferkorn stößt auf Verbrechen im Park von Pirna-Sonnenstein, stolpert an verschiedenen Orten über Leichen, wie an Krabats Mühle in der Oberlausitz, und begibt sich dabei immer wieder in höchste Gefahr …

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Petra Steps

Mörderisches aus Sachsen

Krimis

Zum Buch

Echt sächsisch Idyllisch, abwechslungsreich und vielfältig. Im südöstlichsten aller Bundesländer findet sich alles auf engstem Raum vereint: Vom Vogtland übers Erzgebirge bis hin zur Sächsischen Schweiz, vom deutschen Kleinparis Leipzig bis zum Elbflorenz Dresden, verträumte Mittelgebirgslandschaften, ausgedehnte Wälder oder kulturträchtige Städte. Alles lädt zum Besuch und Urlaub ein. Doch die Schönheit trügt. Auf ihren Erkundungen im Freistaat Sachsen stößt die Journalistin Adina Pfefferkorn auf Opfer und Täter. Ihr Freund, der Annaberger Kommissar Uhlig, ist zutiefst beunruhigt, da sie sich nicht nur einmal in Gefahr begibt. Sie rettet einen Opa vor Trickbetrügern, gerät bei einem Anschlag im Weinkeller unter Verdacht und gibt der Polizei die entscheidenden Hinweise zur Aufklärung von Straftaten.

Petra Steps, Jahrgang 1959, ist waschechte Vogtländerin, jedoch im Kuckucksnest Zwickau geboren, Diplomphilosophin, Hochschullehrerin, Journalistin, Herausgeberin, Autorin, Ehefrau, Mutter und Oma. Sie ist (Mit-)Herausgeberin von Krimianthologien und Autorin bzw. Mitautorin von Reisebüchern, veröffentlicht Beiträge in Regionalia sowie Krimianthologien und gibt Schreib-Workshops. Für den Förderverein Schloss Netzschkau e.V. veranstaltet sie die KrimiLiteraturTage Vogtland (www.krimi-literatur-tage.de).

In der vorliegenden Anthologie wird sie von Roland Spranger, Jahrgang 1963, unterstützt. Er arbeitet neben seiner Autorentätigkeit als Betreuer in Wohnprojekten für geistig Behinderte und ist Glauser-Preisträger in der Sparte Bester Kriminalroman.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Lars Meinel / stock.adobe.com

ISBN 978-3-8392-6952-7

 

 

 

1 Vergangen ist nicht vorbei

Erzgebirgskreis

Adina Pfefferkorn versuchte, gleichmäßig zu atmen. Als der Rhythmus einigermaßen passte, drückte sie auf ihr Handy. »Wann kommst du heute nach Hause?« Sie fürchtete, dass Oli ihr Herzklopfen am anderen Ende der Leitung hören konnte.

»Pünktlich, warum fragst du?«

»Ich möchte uns Spaghetti Carbonara kochen. Die warten nicht gern in der Schüssel.«

Oli lachte. »Ich kenne da noch jemanden, der nicht gern wartet. Wenn nichts mehr passiert, bin ich halb sechs da. Küsschen!«

»Küsschen zurück!« Adina drückte den roten Button und leckte sich hastig über die Lippen. Puh, das war gut gegangen. Oli hatte nichts von ihrer Aufregung mitbekommen.

Sie bewegte sich in Richtung Küche und schaute auf die Uhr. Zwei Stunden blieben ihr, dann musste sie fertig sein. Sie wollte alles perfekt haben, den gedeckten Tisch, die Kerzen, den Wein und das Essen. Und sich selbst.

Adina legte die Zutaten auf den Küchentisch und stellte den Topf auf den Herd. Dann ging sie ins Bad, nahm eine Dusche und wusch ihre Haare mit dem Limetten-Shampoo, das Oli so gern roch. Die Haare waren noch ein wenig feucht, als sie mit den Vorbereitungen für das Essen begann.

Als Erstes schnitt sie den Schinkenspeck in kleine Würfel. Dann stellte sie einen Topf für die Spaghetti bereit. Die Schüssel für das fertige Essen holte sie aus dem Wohnzimmerschrank. Das Sonnengelb passte zu ihrer Stimmung. Auf dem Tisch legte sie sich Eier, Parmesan, einen Rührbesen und einen großen Löffel zurecht. Dann rückte sie die Salz- und Pfeffermühlen näher an den Ort des Geschehens und nahm die Spaghettipackung aus dem Schrank. Für den Vorspeisensalat schichtete sie Tomatenscheiben, Mozzarella und Basilikum übereinander, würzte mit Salz und Pfeffer und gab Balsamico und ein paar Spritzer Olivenöl dazu. Bevor sie das Wasser aufsetzte, brachte sie ihre Haare in Form, schminkte sich dezent und wählte ein schwarzes Etuikleid aus ihrem nicht ganz so üppigen Kleiderangebot. Schließlich lebte sie erst seit Weihnachten bei Lars-Oliver Uhlig, den sie liebevoll Oli nannte. Die meisten Klamotten waren in ihrer Berliner Wohnung. Und wann brauchte man im Erzgebirge schon einmal das kleine Schwarze!

Das Spaghettiwasser begann zu simmern. Die Eier waren mit Parmesan und Gewürzen verrührt, der Schinkenspeck ausgelassen. Adina wartete ein paar Minuten, ehe sie die Spaghetti in den Topf beförderte. Dann zog sie sich flink um, steckte ihre Mähne hoch und zündete die Kerzen an. Der rote Shiraz funkelte in den Gläsern.

Adina schaltete die Soundanlage ein. Ihre Wahl fiel auf ein Jazz-Album des Yogev Shetrit Trios aus Israel. Sie hatte den ehrgeizigen Drummer bei ihrer letzten Reise live erlebt und sich für den einzigartigen Mix begeistert: nordafrikanische Rhythmen und andalusische Musik seines familiären Erbes, kombiniert mit zeitgenössischem Jazz, jüdischen und mediterranen Klängen sowie Funk und Drum & Bass. Alle seine bisher erschienenen Alben hatte sie gekauft. Außerdem hielt sie ihn für einen coolen Typen, der sie auch persönlich beeindruckte. Sie mochte Leute, die etwas Eigenständiges kreierten und mit Ehrgeiz an der Verwirklichung ihrer Ziele arbeiteten, also ein bisschen wie sie selbst waren.

Adina tanzte mit leichten Bauchtanzschwüngen zurück an den Herd. Sie umrahmte dabei ihren Kopf mit angewinkelten Armen. Ihre Hüften wippten zum Trommelsolo im Instrumentalstück Mama Dialy. Nur jetzt nichts auf das Kleid spritzen, dachte sie, während sie die Spaghetti abgoss und anschließend mit der Eiermasse und den Schinkenwürfeln in der Schüssel vermischte. Da hörte sie schon die Tür ins Schloss fallen.

Oli öffnete die Wohnzimmertür und schaute erst auf Adina und dann auf den festlich gedeckten Tisch. »Schatz, du weißt es also schon. Und ich habe den ganzen Tag überlegt, wie ich es dir beibringe. Für dich ändert sich natürlich nicht viel. Du kannst bei mir wohnen bleiben. Und die Wochenenden … Schöne Musik hast du ausgewählt …«

»Moment«, unterbrach Adina Olis Redefluss. »Was wolltest du mir schonend beibringen? Eigentlich wollte ich dir etwas sagen. Aber geh schnell Händewaschen, damit wir essen können.«

Oli hob erstaunt die Augenbrauen. »Bist du schwanger? Aber dann darfst du keinen Alkohol trinken.«

Adina prustete los. »Nein, ich bin nicht schwanger. Zumindest weiß ich nichts davon. Dann haben wir wohl beide eine Neuigkeit. Zuerst du!«

»Nach dem Essen. Es wäre schade, wenn alles kalt wird. Dann wechseln wir zusammen mit dem Wein auf das Sofa und besprechen alles, ok?«

Oli kehrte vom Händewaschen zurück. Adina legte Spaghetti auf. »Salat nimmst du dir bitte selbst, ja!«

»Die Spaghetti Carbonara sind köstlich. Manche ertränken sie in Sahne und wundern sich über die glitschige Masse. Du machst das richtig wie die Italiener.«

Adina fühlte, wie die Röte über ihren Hals ins Gesicht strömte. Sie erhob ihr Rotweinglas und streckte es Oli hin. »Danke schön. Auf was auch immer, Schatz«, sagte sie. Die Gläser klirrten ganz leicht, als sie aneinanderstießen. Die CD hatte inzwischen wieder von vorn angefangen und war mit I will wait beim passenden Titel angelangt.

Oli goss nach und nahm die Gläser mit zur Couch. Adina bevorzugte den Sessel, damit sie Oli anschauen konnte. Sie tänzelte mit Beckenkreisen dorthin. Die Dielen knarzten unter ihren Füßen. »Schieß los«, forderte sie Oli auf.

Der machte es kurz und scheinbar schmerzlos. »Ich werde für etwa ein Jahr nach Dresden versetzt.«

Adinas Augen begannen zu strahlen. »Aber das ist doch prima. Ich werde demnächst viel in dieser Gegend sein. Wir können uns in Dresden ab und an sehen.« Adina überlegte kurz. »Ach so, ich habe es dir noch gar nicht gesagt. Zuerst wusste ich nur von Mia, dass mein Auftrag erweitert werden soll. Dann hat Markus angerufen. Ich bin jetzt Beauftragte für ganz Sachsen, nicht mehr nur für das Erzgebirge.«

»Mensch, Adina. Herzlichen Glückwunsch. Ich hatte schon Angst, dass ich dich an Berlin oder weiter weg verliere. Hier ist wenig los für dich Großstadtpflanze. Aber dann dachte ich mir, du hast hier ewig zu tun. Du musst schauen, was aktuell ist. Es gibt ständig Veränderungen. Denk nur an die Montanregion. Weltkulturerbe verpflichtet. In den kommenden Jahren wird sich vieles entwickeln.« Oli hielt Adina das Glas hin. »Cheers«, sagte er, und wieder ploppten die Gläser aneinander.

Adina weilte im Auftrag einer Berliner Marketingagentur im Erzgebirge. Deren Inhaber Markus hatte ein kreatives Tourismusportal entwickelt, in dessen Mittelpunkt mehr das Storytelling stand und weniger die bloße Aneinanderreihung von Daten. Bei dieser Arbeit fühlte sich Adina in ihrem Element. Geschichten erzählen, das konnte sie schon in der Schule recht gut. Deshalb war sie Journalistin geworden. Als sie nach der Trennung von ihrem langjährigen Lebenspartner Sascha den Job in der Redaktion verlor oder besser gesagt aufgab, suchte sie nach einer neuen Herausforderung. Ihre Freundin Mia war ihr zu Hilfe gekommen. Sie kannte Markus und hatte von seinen Plänen für das deutschlandweite Projekt gehört.

Adina plauderte munter los. »Klimawandel, Corona-Virus, Spannungen in einigen Ländern – ich glaube, alles spricht gerade für uns. Viele besinnen sich mangels möglicher Auslandsreisen auf Urlaub in Deutschland. Sie werden lieber mehrmals fahren, denn planen kann man nicht mehr so langfristig. Markus hat das recht schnell begriffen. Und Sachsen ist geradezu prädestiniert für kürzere Aufenthalte mit all den verschiedenen Landschaften, seinen Schlössern und Burgen, den Talsperren und sehenswerten Städten. Allein Dresden …«

»Ich sehe, die Begeisterung hat schon Besitz von dir ergriffen. Nun müssen wir nur alles Logistische klären, dann werden wir sicher gut über die Zeit kommen. Nach der Schwangerschaftsvertretung kehre ich nach Annaberg zurück. Alles hat seine Zeit.«

Adina blickte Oli in die Augen. »Ich will nächste Woche nach Berlin fahren. Begleitest du mich? Ich stelle dich Markus als meinen persönlichen Berater in allen Lebenslagen vor. Ihr seid euch doch nie persönlich begegnet, oder?« Adina kicherte, ging zum Sofa und bettete ihren Kopf in Olis Schoß.

»Da waren ein paar Lagen dabei, auf die ich gern verzichtet hätte«, sagte Oli. Sein Blick wechselte von Adinas Gesicht zum Fenster und von dort in die weite Ferne.

»Ich weiß, woran du denkst. Die Schießerei in Annaberg ging glimpflich aus. Die Neonazis in Grillenburg haben mir nichts getan. Ein paarmal habe ich dir sogar bei den Ermittlungen geholfen. Denk an die Prostituierte in der Annaberger Post. Bei der Leiche im Markus-Röhling-Stollen habe ich dir den Täter wie auf dem Tablett serviert. Nur der durchgeknallte Polizeibeamte in Dippoldiswalde hat mir ein paar Tage Krankenhausaufenthalt verschafft …«

»Adina, du weißt, dass du die Verbrechen magisch anziehst, keine Ahnung, warum das so ist. Ich will mir nicht ausmalen, was alles hätte passieren können. Versprich mir etwas: Lass bitte die Polizei ermitteln und kümmere du dich um Touristen.«

»Oli, wie kann ich dir so etwas versprechen! Ich kann nichts dafür, dass mir ständig Leichen vor die Füße purzeln, so wie der Opa auf dem Waldgeisterweg bei den Greifensteinen. Sieh es so: Alles hat einen Sinn, nur manchmal erkennt man ihn nicht sofort. Ohne die Opas hätten wir uns vermutlich nie getroffen. Und jetzt lass uns ein paar Dinge besprechen. Kommst du mit nach Berlin?«

»Ich fürchte, ich muss die ganze Woche arbeiten. Ich will unbedingt einen Fall abschließen, bevor ich nach Dresden gehe.«

»Worum geht es?« Adina setzte ein Sonntagsgesicht auf und versuchte, ihre Neugierde zu verbergen.

»Du weißt, dass ich dir das nicht sagen darf. Und bitte: Das ist nichts für dich. Ich fürchte, ich habe vor zwölf Jahren einen Fehler gemacht. Das war in meiner Anfangszeit im Annaberger Revier.«

»Ein Cold Case?«

»Nein, kein offener Fall. Ich glaube, ich habe damals etwas übersehen und die Sache vorschnell zu den Akten gelegt.«

Adina schaute Oli an. »Du meinst das mit dem Alkoholiker? Dem Manfred aus Mildenau.«

Oli erschrak. »Woher weißt du das schon wieder? Du bist mir nicht geheuer. Oder hast du heimliche Beziehungen in unser Polizeirevier? Ich meine damit nicht mich. Diese Art von Beziehung ist ja nicht mehr heimlich.«

»Das pfeifen die Annaberger Spatzen von den Dächern, selbst bei dem Schneetreiben, das wir heute hatten. Und du weißt doch: Es gibt keine Zufälle!«

»Namen, Adina, Namen! Wie heißen deine Spatzen?«, hakte Oli nach.

»Du hast mich ihnen nicht vorgestellt, also kenne ich keine Namen. Als ich heute den Schinken beim Fleischer kaufte, unterhielt sich die Verkäuferin mit einer Kundin. Es ging um einen Alkoholiker, der vor mehr als zehn Jahren gestorben ist. Die Verkäuferin sagte, dass sie das schon damals gewusst habe, nur habe sie keiner ernst genommen. Und jetzt beschäftige sich die Polizei mit der Witwe. Aber ich war viel zu aufgeregt wegen des Anrufs von Markus, als dass ich nachgehakt hätte. Außerdem wollte ich zurück sein, bevor der Schnee unsere Haustür zugeweht hat.«

»Ach, die Liane. Sie hat mich gestern gesehen, als ich in Mildenau war. Die knöpfe ich mir morgen vor. Sie wohnt da draußen gleich in der Nähe der Witwe. Mal schauen, ob sie dann noch so gut Bescheid weiß wie im Laden.«

»Verrate ihr bloß nicht, dass du das von mir hast. Sonst musst du demnächst ollen Supermarkt-Schinken essen. Was ist denn eigentlich passiert, da in Mildenau?«

»Das ist eine ziemlich verfahrene Kiste. Ein Mann starb unter etwas, sagen wir, mysteriösen Umständen. Die Obduktion schloss zwar ein Fremdverschulden nicht aus, bestätigte jedoch nicht den Verdacht, dass da jemand nachgeholfen haben muss.« Oli nahm einen Schluck Wein aus seinem Glas und goss den Rest aus der Flasche nach.

»Jetzt lass dir mal nicht jeden Brocken aus der Nase ziehen. Habt ihr gar nicht ermittelt?«

»Nun ja, der Mann war ein stadtbekannter Alkoholiker, auch wenn er draußen in Mildenau wohnte. Oder anders: Er war schon vorher bekannt. Ein karrieregeiler junger Parteifunktionär in der DDR. Er hatte vermutlich nach der Wende nie wieder Fuß gefasst und war dem Alkohol verfallen. Wir hatten ihn mehrmals betrunken am Steuer erwischt und ihm den Führerschein abgenommen. Ich war mir damals sicher, dass der Schwächeanfall verbunden mit der Alkoholmenge von fast drei Promille tödlich gewesen sein musste.«

»Und habt ihr niemanden befragt? Die Witwe, die Nachbarschaft, Kinder?« Adina gab nicht nach.

»Natürlich habe ich mit der Frau gesprochen. Nichts Auffälliges.«

»Und jetzt?«

»Stehen wir quasi wieder am Anfang.«

»Warum das?«

»Es gab eine Anzeige.«

»Von wem?«

»Adina, du weißt, dass ich dir das nicht erzählen darf. Du bringst mich um meinen Job, wenn das herauskommt.«

»Lass uns ein wenig darüber sprechen. Vielleicht wird dir dabei manches klarer und dir kommt eine Idee für das weitere Vorgehen.«

»Es ist ziemlich kurios. Wenn etwas an der Verdächtigung dran ist, dann dreht es sich nicht nur um ein Tötungsverbrechen.«

»Worum sonst?«

»Strafvereitelung im Amt zum Beispiel oder unterlassene Hilfeleistung. Aber das wäre alles verjährt.«

»Puh, starker Tobak, würde der Berliner sagen.«

»Schlimmer. Der Sohn hat seinen Vater angezeigt, weil dieser die Sache mit dem Tod des Mannes gewusst und vertuscht haben soll. Und weißt du, wer dieser Vater ist?«

»Nein, natürlich nicht.«

»Mein damaliger Dienstgruppenleiter Erwin. Er ging kurze Zeit später in den Ruhestand. Und er hat damals festgelegt, dass wir die Ermittlungen einstellen. Ich war jung und ein wenig ungestüm. Vermutlich hätte ich weiter ermittelt, wenn er die Akte nicht geschlossen hätte. Ich habe nachgegeben und mich nicht gewehrt.«

»Und der Sohn? Was hat der für ein Motiv für die Anzeige?«

»Die Witwe behauptet, er sei neidisch, weil Erwin sie als Universalerbin eingesetzt hat und er nur den Pflichtteil bekommen sollte. Bei Erwins Familie ist ordentlich Geld da, ein großes Grundstück mit Ferienwohnungen, ein Vierseithof, Wald, verpachtete Felder und Wiesen. Der Sohn war lange Zeit im Ausland, ich kannte ihn gar nicht. Erwin hatte wohl nicht damit gerechnet, dass er die mallorquinische Sonne wieder gegen den Dauerwinter im Erzgebirge tauschen würde. Nach erfolgloser Glückssuche auf Malle zieht es den Burschen offenbar in die alte Heimat zurück. Und dann das: In seinem früheren Zuhause schwingt inzwischen die lustige Witwe vom Hang gegenüber das Zepter. Das findet er nicht amüsant.«

»Hat sie was mit deinem früheren Kollegen?«

»Das muss ich herausfinden. Und wenn, dann wäre interessant, wie lange das schon geht.«

»Daran dachte ich gerade. Wenn nicht sie, sondern er ein bisschen nachgeholfen hat?«

»Adina, bitte. Nimm mir nicht jede Illusion. Erwin war mein väterlicher Chef. Bei ihm habe ich praktisch die ersten Schritte auf eigenen Füßen gelernt.« Oli seufzte. »Aber du hast recht, ich habe schon daran gedacht. Er war allein mit dem Erbe seiner Eltern. Sie hatte Aussicht auf Haus und Hof in Mildenau. Und ihr Mann muss ein echtes Ekel gewesen sein, vor allem, wenn er blau war.«

»Hat er sie geschlagen?«

»Nicht nur einmal. Sie hat ihn mehrfach angezeigt. Dabei hat sie meinen Kollegen kennengelernt. Sie behauptet das zumindest.«

»Und du kannst die Sache nicht auf sich beruhen lassen? Es macht ihn nicht mehr lebendig, und sie wurde durch seinen Tod vielleicht gerettet.«

»Was hast du nur für seltsame Gedanken, Adina. Man kann nicht wissentlich ein Unrecht ignorieren oder gegen ein anderes aufrechnen. Wenn ich etwas von einer Straftat weiß, bin ich zum Ermitteln gezwungen.«

»Man kann so oder so ermitteln. Denk an deine Kollegen, die auf dem rechten Auge blind sind. Bei denen ist es Usus, nur bestimmte Sachen zu sehen. Ich sage nur Nationalsozialistischer Untergrund NSU. Es ist keinem geholfen, wenn ihr einen angeblichen Mörder oder Helfer findet. Der Mann ist tot und die Frau fühlt sich definitiv besser als vorher.«

»So darfst du nicht denken, Adina. Wenn ich mit dieser Einstellung an meinen Job herangehe, brauche ich gar nicht mehr ermitteln. Irgendjemandem ist stets geholfen. Alles hat zwei Seiten. Aber Verbrechen ist Verbrechen. Und der Sohn lässt bestimmt nicht locker. Der will den ganzen Besitz.«

»Weil der Herr Sohn nichts auf die Reihe gebracht hat, soll sein Vater oder die Witwe in den Knast. Wie alt sind die denn?«, wollte Adina wissen.

»Die Frau, Birgit heißt sie, war damals 45, ihr trinkender Herr Gemahl 13 Jahre älter. Und mein Kollege? Lass mich rechnen. Er ging vor dem 60. Geburtstag in Pension. Also sie Mitte 50, er knapp über 70.«

»Was sagt dein Bauchgefühl?«

»Wenn ich an die Ermittlungen damals denke, kann schon etwas an der Sache dran sein. Ich mache jetzt erst mal weiter mit den Befragungen. In der Rechtsmedizin, bei meinem Kollegen, in Mildenau und nicht zu vergessen die Liane, die ich besuchen werde. Fleischverkäuferinnen sind wie die Verkäuferinnen im früheren Dorfkonsum. Die hörten es läuten, da hatten die Glocken noch gar nicht geschlagen.«

Adina kuschelte sich näher an Oli heran. »Ich wäre gern mit dir nach Berlin gefahren. Wenigstens der Abend gehört uns. Morgen spreche ich mit Mia und Markus. Und um meinen Blog muss ich mich kümmern, jetzt, wo es so viele Neuigkeiten gibt. Nächste Woche in Berlin unterschreibe ich den Verlängerungsvertrag und besuche meine Eltern. Echt schade, dass du nicht mitkommen kannst. Aber das holen wir nach. Meine Eltern sollen dich richtig kennenlernen, ich meine offiziell.«

»Danke, dass du mich verstehst. Beziehungen mit Polizeibeamten sind nicht einfach. Deshalb habe ich auf eine Frau wie dich gewartet.«

Oli nahm Adina zärtlich in den Arm. »Was hast du eigentlich für eine wunderbare Musik ausgewählt? Ich glaube, die muss ich mir einmal in Ruhe reinziehen. Es hört sich an wie zuhause.«

»Du bist hier zuhause, Oli. Oder fühlst du dich nicht wohl? Vermisst du irgendetwas?«

»Um Himmels Willen, so war das nicht gemeint. Ich dachte an mein früheres Zuhause. Der Drummer erinnert mich an meine Eltern. Ich bin mit Jazz-Platten groß geworden. Und meine Mutter liebte vor allem die Schlagzeuger, Günter »Baby« Sommer, Klaus Selmke und so. Sie hatte viele Jazz-Platten. Louis Armstrong natürlich, der war auch in der DDR gern gesehen. Satchmo, wie er genannt wurde, durfte einmal durch den Osten touren, mitten im Kalten Krieg. Vielen anderen Künstlern wurde das bekanntlich verwehrt. Als die Wende kam, gab meine Mutter ihr komplettes Begrüßungsgeld für Jazz-Platten aus, Art Blakey, Gene Krupa, Peter Erskine, später dann Brian Blade und wie die Jazz-Drummer alle heißen. Das Plattenregal füllte sich. Die Plattenläden freuten sich. Viele gibt es heute gar nicht mehr. Ich meine, Plattenläden. Und auch von den legendären Jazz-Musikern weilen etliche nicht mehr unter uns. Die ganze Miles-Davis-Generation, Duke Ellington, Keith Jarrett, Chick Corea, der Deutsche Wolfgang Dauner. Auf BR Klassik mehren sich die musikalischen Nachrufe für Mamas Idole. Mich meldete sie gleich nach der musikalischen Früherziehung beim Schlagzeugunterricht an. Ich konnte kaum über die Snare Drum gucken und bis an die Becken reichen.«

»Du hast Schlagzeug gelernt? Warum hast du mir bisher noch nie davon erzählt?«

»Keine Ahnung. Es hat sich nicht ergeben. Das gute Teil steht noch im Keller. Vielleicht packt es mich irgendwann wieder einmal.«

»Warum hast du aufgehört zu spielen?«

»Kennst du den alten Schlagzeuger-Witz? Kommt ein Sohn zu seiner Mutter und sagt: Wenn ich erwachsen bin, möchte ich Schlagzeuger werden. Die Mutter schüttelt den Kopf und antwortet: Mein Sohn, du musst dich entscheiden, beides zusammen geht nicht.«

Adina prustet los. »Und da hast du dich für das Erwachsenwerden entschieden? Biederes Beamtendasein, immer regelmäßig Kohle auf dem Konto. Und kein verarmter Drummer. Erfährt ein Schlagzeuger beim Arzt, dass er noch drei Monate zu leben hat. Fragt er zurück: und wovon?«

Oli musste lachen. »So ungefähr«, sagte er.

»Aber Drummern sagt man auch ein abwechslungsreiches Leben nach. Kennst du das Bild, auf dem der Schlagzeuger mit drei hübschen Frauen im Bett liegt, während der Gitarrist eine romantische Monogamie pflegt und der Bassist sich seinem Lover zuwendet?«

»Ach, Adina! Wer braucht schon drei Frauen, wenn er eine wie dich haben kann! Eine Journalistin, die gleichzeitig Köchin und Beamtenversteherin ist. Komm, lass uns die Stellung wechseln. Das Bett wartet.«

»Ich räume schnell noch die Küche auf. Du darfst zuerst ins Bad«, schlug Adina vor. Vom Küchenfenster aus sah sie die orangefarbenen Lichter des Winterdienstes, der den am Abend gefallenen Schnee zu den schon vorhandenen Schneebergen am Straßenrand schob. Jetzt funkelten ungezählte Sterne über der Erzgebirgsstadt. Das Thermometer zeigte minus 15 Grad. Adina fror schon vom bloßen Hinsehen. Sie fragte sich, ob die harten Winter im Erzgebirge ihr nicht zusetzen würden, wenn sie sich für ein Leben mit diesem Mann hier entschied. Wenn … Oli verließ das Bad. »Heute Nacht werden es sicher minus 20 Grad. Ich glaube, ich brauche eine Wärmflasche«, sagte Adina. »Mache hin, ich bin schon ganz heiß«, lachte Oli.

Als Oli am Morgen ins Polizeirevier gegangen war, begann Adina, ihren Arbeitstag zu organisieren. Bevor sie sich bei ihrem Arbeitgeber und ihren Eltern in Berlin ankündigte, schrieb sie einen Beitrag in ihren Reiseblog:

Hallo Freunde vom sanften Inlandtourismus, entschuldigt bitte, dass ich mich in jüngster Zeit ein wenig rar gemacht habe. Aber jetzt habe ich Neuigkeiten für Euch: Ich werde meinen Aktionsradius auf ganz Sachsen ausdehnen. Wenn ihr also Orte kennt, die man unbedingt gesehen haben muss, dann her damit. Aber schreibt am besten dazu, was ihr mit Eurem Vorschlag persönlich verbindet. Vielleicht lassen sich interessante Geschichten daraus zaubern. Und denkt bitte an den Datenschutz. Wer seinen Namen hier nicht sehen will, vermerke das bitte. Also los, ran an die Tasten. Ich bin gespannt. Eure Adina

Oli hatte die Ermittlungen wie angekündigt fortgesetzt und war auf dem Weg nach Hause. Er fuhr vorsichtig, denn links und rechts der Straße lagen hohe Schneehaufen, die die Sicht zusätzlich einschränkten. Auf der Geyersdorfer Hauptstraße zwischen Mildenau und Annaberg kam ihm ein Raser in einem weißen BMW entgegen. Aufgrund der völlig unangepassten Geschwindigkeit benötigte der Fahrer deutlich mehr als seine Spur auf der serpentinenartigen Strecke. Hinter der nächsten Kurve sah Oli das Unglück. Ein Pkw hatte sich überschlagen und im angrenzenden Feld tiefe Furchen in die Schneedecke gezogen, bevor er auf dem Dach liegen geblieben war. Aus dem Auto springen und die Notruftaste auf dem Handy bedienen war für den Beamten eins. Oli lief ein paar Meter auf der Straße. Dann benutzte er die Vertiefung im Schnee, die ins Feld führte. Bevor er am Auto ankam, hatte er bereits die Rettungsleitstelle erreicht und einen Notarzt geordert.

»Nein, bitte nicht«, murmelte er, als er ins Wageninnere blickte. Ob das dem Unfall allgemein gegolten hatte oder mit dem jähen Erkennen der Fahrzeuginsassen verbunden war, konnte er im Nachhinein nicht mehr sagen. Aus dem Wageninneren ertönte ein schriller Hilfeschrei. Oli ging zur Beifahrertür. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er sie öffnen könnte, doch mit ein paar Handgriffen war es ihm gelungen. Dann half er der Frau, die er erst gestern im Revier als Zeugin befragt hatte, aus dem Wagen. Sie setzte sich sofort auf den Boden. »Er ist tot.« Ein Blick auf Erwins starre Augen und das aus der Nase gesickerte Blut bestätigten Oli, dass sie recht hatte. Er legte seinen Finger trotzdem auf die Halsschlagader. Da war nichts.

Die Frau starrte Löcher in den Schnee. Oli versuchte, in den Kofferraum des Autos zu gelangen und das Erste-Hilfe-Set herauszufischen. Als er es in der Hand hielt, öffnete er den Reißverschluss und entnahm die Rettungsdecke. Er breitete sie mit der goldenen Seite nach unten aus, zog die Frau auf die silberne Seite und wickelte sie ein. Sie leistete keinen Widerstand. Im Auto fand er eine Abdeckplane, die er zwischen Schneedecke und Frau schob. Ganz langsam kehrte ihre Sprache zurück.

»Er hat ihn umgebracht.«

»Erwin hat Ihren Mann umgebracht, damals?« Es dauerte noch einen Moment, dann brach es aus ihr heraus. »Ja, das auch. Aber das meine ich nicht. Sein Sohn … Er hat uns von der Straße abgedrängt. Erwin hat das Lenkrad verrissen, und wir flogen aus der Kurve. Jetzt ist er tot.«

»Fährt der Sohn zufällig einen weißen BMW?«

»Ja.«

»Wissen Sie das Kennzeichen?«

»Irgendetwas mit DD und einer 13 am Ende. 313, 3013 – ich erinnere mich nicht an mehr. Die eigene Brut. Es ist nicht zu fassen.«

Während die Witwe weiter vor sich hinsprach, hatte Oli seine Kollegen vom Annaberger Revier in der Leitung. »Gebt eine Fahndung raus. Weißer BMW aus Dresden, Kennzeichen DD und irgendetwas mit 13 am Ende. Oder schaut, ob ihr ein auf Erwins Sohn zugelassenes Fahrzeug findet, zu dem die Beschreibung passt. Ich denke, er fährt in Richtung A72/A4.«

»Wird gemacht, Scheffe. Die Kollegen vom Verkehr sind schon unterwegs. Die Rettung hast du informiert?«, fragte Sebastian. Er war Olis Zimmerkollege im Revier.

»Ich höre ein Martinshorn in der Ferne. Wir benötigen einen Bestatter, etwa in einer Stunde, wenn auch der Staatsanwalt durch ist. Vollprogramm. Erwin ist tot. Der Arzt ist gerade eingetroffen. Bis dann.«

Den Beamten war es gelungen, Erwin aus dem Auto zu bergen und auf das Feld zu legen. Sie hatten ihn mit einem Tuch bedeckt. Der Arzt überprüfte die Vitalfunktionen, dann nickte er nur kurz und das Tuch wurde wieder über den Körper gelegt.

»Sie haben Glück gehabt. Dem Fahrer konnten wir nicht mehr helfen. Mein Beileid. Ihr Schleudertrauma muss behandelt werden, damit sich nichts daraus entwickelt. Ich würde Sie gern für ein paar Tage zur Beobachtung mit ins Krankenhaus nehmen«, sagte der Notarzt zu Birgit, nachdem er sie kurz befragt und sie über Rückenschmerzen geklagt hatte. Er instruierte das Team des Rettungswagens, das Birgit ins Erzgebirgsklinikum fahren sollte. Dann füllte er die Papiere für das Unfallopfer aus.

»Wen sollen wir benachrichtigen? Haben Sie jemanden, der Ihnen ein paar Sachen bringen kann?«, fragte Oli, als er von der Krankenhauseinweisung erfuhr.

»Nein, nicht wirklich. Meine Tochter wohnt nicht mehr in der Gegend. Und Manfred … Aber das wissen Sie ja. Würden Sie das übernehmen? Ich gebe Ihnen die Schlüssel.«

Oli war so perplex, dass er gar nicht ablehnen konnte. Er ließ sich erklären, wo die gepackte Krankenhaustasche für alle Fälle stand. Der Rettungswagen war gerade mit Birgit zum Annaberger Krankenhaus gestartet, als sein Handy klingelte. »Am Dreieck Nossen haben die Handschellen klick gemacht. Was sollen wir dem Richter erzählen?«

»Der Knabe hat seinen Vater von der Straße abgedrängt, worauf dieser sich überschlagen hat und an der Unfallstelle verstarb. Zeugin ist Birgit, die Lebensgefährtin von Erwin. Der Notarzt hat sie ins Annaberger Krankenhaus bringen lassen. Mir kam der BMW entgegen. Er ist mir aufgefallen, weil er die Kurve schnitt. Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr mit Todesfolge. Vielleicht Mord. Das Motiv? Er hat seinen Vater angezeigt wegen Beihilfe zum Mord, um an das Erbe zu gelangen. Wir ermitteln in der Sache bereits. Vielleicht ging es ihm nicht schnell genug. Oder er hat kein Vertrauen in die sächsische Polizei.«

»Ok, ich gebe das an die Kollegen durch. Ich hoffe, es reicht für einen Haftbefehl«, sagte Olis Mitstreiter. Oli ging die paar Schritte zur Unfallstelle zurück und vergewisserte sich, ob alles den bei derartigen Unfällen vorgeschriebenen Lauf nahm.

Der Bestatter hatte seinen Transporter an der Straße abgestellt. Er lief über das Feld, um sich einen Überblick zu verschaffen und von den Beamten die Papiere für den Transport des Toten zu übernehmen. »Hier können wir nicht heranfahren. Wir kommen mit der Trage und einer Unfallhülle«, erklärte er. Und nach einem Blick auf das Unfallopfer: »Kann uns jemand beim Tragen helfen?« Einer der Beamten der Verkehrspolizei sagte sofort zu.

»In die Rechtsmedizin nach Chemnitz. Ich informiere den Bereitschaftsdienst«, sagte Oli zum Bestatter, der sich auf den Weg zum Auto begab, um seinen Kollegen und die notwendigen Utensilien zu holen.

Es war Zeit für Oli, zu Hause anzurufen. »Adina, ich komme später. Wir sind bei Mildenau. Ein Unfall.«

»Oh Mist, ich habe Rumpsteak gekauft. Ruf mich an, wenn du auf dem Heimweg bist. Ich will das Fleisch nicht totbraten. Mildenau? Sag nicht, dass dein früherer Kollege beteiligt, nein, das Opfer ist.«

»Adina, woher weißt du das schon wieder?«

»Die Fleischverkäuferin, Liane. Sie hat zu einer Kundin gesagt, dass da bestimmt etwas Schlimmes passiert mit dem Sohn und Erwin. Sie hätte so ein Gefühl.«

»Die Gefühle einer Fleischverkäuferin. Aha. Es ist schlimmer, als du denkst. Ich will dir nicht den Appetit verderben, aber ich glaube, blutiges Rumpsteak ist heute nicht das Richtige für mich. Ich liebe dich. Bis dann.«

Oli fuhr zurück nach Mildenau in Birgits Haus und suchte die Dinge, die sie sich für den Krankenhausaufenthalt gewünscht hatte. Ohne Mühe fand er alles, was sie ihm aufgetragen hatte. Ein Umschlag auf dem Küchentisch erregte seine Aufmerksamkeit. Da er offen war, zog Oli das Schreiben heraus. »Aha«, sagte er zu sich.

Im Annaberger Krankenhaus eingetroffen, fragte sich Oli zu Birgit durch. Sie saß auf einem der beiden Stühle am Tisch ihres Einbettzimmers und tippte auf dem Telefon herum. »Mah-Jongg, zur Entspannung«, sagte sie zu Oli. »Ich will an nichts denken.«

»Schauen Sie, ob ich alles habe. Hier ist der Schlüssel. Ich glaube, Sie sind mir eine Erklärung schuldig.«

Birgit begann vor sich hin zu sprechen, ohne Oli anzuschauen. »Es existiert ein Testament. Sie haben es sicher liegen sehen auf dem Küchentisch. Erwins Erbe geht an mich. Den Pflichtteil dürfte sein Sohn heute verwirkt haben. Dabei hat Erwin gerade letzten Sonntag zu mir gesagt, dass er mit ihm sprechen und ihm ein Angebot machen wolle. Ich weiß eh nicht, was ich mit dem ganzen Grundbesitz soll. Am Ende werde ich es verkaufen müssen. Erwin hatte gestern mit seinem Sohn telefoniert. Es ging um Schulden, die der Auswanderer bei seinem Spanienabenteuer aufgehäuft hatte. Der hätte nur ein wenig Geduld haben müssen …«

»Danke, das habe ich aber nicht gemeint. Mich interessiert die Sache mit Erwin und Ihrem früheren Mann. Sie haben oben auf dem Feld etwas gesagt.«

»Ja. Alles lief so ab, wie es damals in der Akte vermerkt wurde. Nur dass Erwin ein bisschen nachgeholfen hat. Er war zufällig in der Wohnung und wollte mit Manfred sprechen, nachdem ich ihm im Revier von den Misshandlungen berichtet hatte. Manfred war wieder einmal blau. Plötzlich sackte er zusammen. Wir dachten, es sei der Alkohol. Im Affekt nahm Erwin die Flasche vom Tisch und flößte ihm zusätzlich eine ordentliche Portion mit ein paar Schlaftropfen ein. Damit wollte er verhindern, dass es wieder mit Schlägen endet. Ich schleifte Manfred zum Bett, wie so häufig, wenn er besoffen war. Erwin war inzwischen gegangen. Den Rest wissen Sie. In der Nacht röchelte Manfred ziemlich laut, und ich rief den Notarzt. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass es mit einem Mal still um mich herum geworden war. Als der Arzt draußen bei uns eintraf, war der Säufermond für Manfred ein letztes Mal untergegangen, für immer. Eigentlich wollte ich all das vergessen. Auf einmal kehrte Erwins Sohn zurück, und ihm folgte Gerede in der Stadt, die Liane und dann die Vorladung auf das Revier. Wissen Sie, wie das ist, wenn man jahrelang vom eigenen Mann misshandelt, geschlagen, vergewaltigt wird und einem keiner hilft, obwohl die Leute rundherum genau Bescheid wissen? Erwin war der Erste und Einzige, der sich um mich gekümmert hat. Und jetzt lassen Sie mich bitte allein. Ich habe nichts getan.«

Es war schon spät, als Oli die Tür zu seiner Wohnung aufschloss. Er setzte sich in den Sessel. »Birgit muss eine Aussage im Revier machen. Dann kann ich die Akte schließen. Der Rest ist Sache der Staatsanwaltschaft. Wenn du erst am Dienstag nach Berlin fährst, begleite ich dich.«

Adina schaute erstaunt auf. Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. »Ok, dann sage ich meinen Eltern, dass ich nicht allein komme. Du bist ein Schatz!«

2 Das Auto im Schlossteich

Chemnitz

»Da bin ich.« Adina warf ihre Tasche schwungvoll auf den Tisch im Besprechungszimmer der Berliner Marketingagentur. Dann zog sie ihre Jacke aus und hängte sie über den Stuhl.

»Wir sind hocherfreut, dass du uns die Ehre gibst, wo du doch gerade von der Berliner Pflanze zum Erzgebirgsmädel werden willst. Herzlich willkommen«, begrüßte Markus seine Mitarbeiterin. Seit Corona im Land gewütet hatte, verzichtete Adina auf die freundschaftliche Umarmung und winkte Markus stattdessen zu. Sowohl Berlin als auch das Erzgebirge hatten lange Zeit einen vorderen Platz in der Infektionsstatistik eingenommen. Die Vorsicht war zum Alltag geworden.