Mörderisches Vogtland - Petra Steps - E-Book

Mörderisches Vogtland E-Book

Petra Steps

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Beschreibung

Das Vogtland scheint nur auf den ersten Blick idyllisch. In Wahrheit ist die Region im Vierländereck von Sachsen, Bayern, Thüringen und Böhmen ein Schnittpunkt krimineller Machenschaften. Während im östlichen Vogtland Geocacher ihre Sache zu ernst nehmen, geht es in Hof einem Würstchenverkäufer an den Kragen. In Plauen erhält das Original Vogtlandecho seltsame Briefe. Lernen Sie in den elf spannenden Kurzkrimis mit ihren 125 Freizeittipps das Vogtland neu kennen und fürchten.

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Petra Steps (Hrsg.)

Mörderisches Vogtland

11 Krimis und 125 Freizeittipps

Zum Buch

Kriminelles Vogtland Das Vogtland befindet sich im Grenzgebiet der drei deutschen Freistaaten – im Osten lauert Sachsen, im Süden Bayern und im Westen Thüringen. Dazu kommt die gemeinsame Grenze mit dem Nachbarland Tschechien. So viele Grenzen ziehen bekanntlich Kriminelle an. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass im Vogtland ungeachtet seiner idyllischen Landschaft gestohlen, geraubt, betrogen und gemordet wird. In den elf Kurzkrimis der sechs Autoren geht es im gesamten Gebiet kriminell spannend zu. Sei es in Morgenröthe-Rautenkranz, der Heimat des ersten Deutschen, der ins All geflogen ist – Sigmund Jähn, oder in Plauen, in Hof, in Zeulenroda oder in Netzschkau, wo die größte Ziegelsteinbrücke der Welt thront. Denn auch in diesem Freizeitplaner kommen die regionalen Tipps nicht zu kurz.

Petra Steps, Jahrgang 1959, ist waschechte Vogtländerin, jedoch im Kuckucksnest Zwickau geboren, Diplomphilosophin, Hochschullehrerin, Journalistin, Herausgeberin, Autorin, Ehefrau, Mutter und Oma. Sie ist (Mit-)Herausgeberin von Krimianthologien und Autorin bzw. Mitautorin von Reisebüchern, veröffentlicht Beiträge in Regionalia sowie Krimianthologien und gibt Schreib-Workshops. Für den Förderverein Schloss Netzschkau e.V. veranstaltet sie die KrimiLiteraturTage Vogtland (www.krimi-literatur-tage.de). In der vorliegenden Anthologie wird sie von Roland Spranger, Jahrgang 1963, unterstützt. Er arbeitet neben seiner Autorentätigkeit als Betreuer in Wohnprojekten für geistig Behinderte und ist Glauser-Preisträger in der Sparte Bester Kriminalroman.

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Alle Rechte vorbehalten

1. Neuausgabe 2021

Lektorat: Sven Lang

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Tama66 / Pixabay.com

ISBN 978-3-8392-7030-1

Inhalt

Zum Buch

Impressum

Buddy passt auf

Roland Spranger

Rosa muss weg

Petra Steps

Tod in Klein Sibirien

Maren Schwarz

Snuff-Mobbing

Manfred Köhler

Büchsenfieber

Christoph Krumbiegel

Der Kilometermillionär

Gunnar Schuberth

Schießbefehl

Roland Spranger

Nie mehr dieses Niveau

Petra Steps

Auf des Messers Schneide

Maren Schwarz

Flutopfer

Manfred Köhler

Plauener Spitzel

Christoph Krumbiegel

Danksagung

Die beteiligten Autoren des Krimistammtischs Vogtland

Lesen Sie weiter …

Buddy passt auf

Roland Spranger

Ich heiße Buddy und hasse Katzen.

Liegt vielleicht an meiner feinen Nase.

Katzen hinterlassen einen ekelerregenden Geruch.

Als ich jünger war, bin ich sofort auf dieses stinkende Katzending aus der Nachbarschaft zugeschossen, sobald ich es gewittert habe. Ich musste mir ein paar Mal eine blutige Nase holen, bevor ich kapiert habe, mit welchen hinterfotzigen Methoden der alte Kater kämpft. Mittlerweile ertrage ich seinen Gestank mit Würde. Ich beachte ihn überhaupt nicht mehr. Egal, wie provozierend er sich auch in unseren Garten legt. Einmal hat er meinen Futternapf leer gefressen. Das war schon grenzwertig.

Ich kann nicht verstehen, warum die Menschen diese Fellwanzen verehren. Paul Klee malte sie nicht nur ständig, sondern hatte einen weißen Angorakater. Eine unglaubliche Geschmacksverirrung. Von Leonardo da Vinci ist ein Studienblatt erhalten, auf dem sich eine Vielzahl von Katzenskizzen zu einem Katzenmob vereint. Unfassbar, dass sich ein Universalgenie zu so was herablässt. Heutzutage ist es schlimmer denn je: Überall Katzen, die über ein Klavier laufen. Im Internet sind Hunde deutlich unterrepräsentiert. Am schlimmsten sind die Katzenkrimis, die mein Frauchen hört. Gelesen von einem Schauspieler, den sie mag. Ich kann ihn nicht leiden. Er hat so eine Miezenstimme. Leider verhindert meine Anatomie, dass ich mir die Ohren zuhalten kann. Und natürlich dringt mein Hörvermögen in Regionen vor, in denen die Ohren meiner Besitzer längst Gnade walten lassen. Menschen sind ja irgendwie unterentwickelt. Nur so lässt sich erklären, dass sie außer uns Hunden auch Katzen domestiziert haben. Die Ägypter waren ganz verrückt nach ihnen, aber die haben auch die Pyramiden gebaut. Die Pharaonen waren von Haus aus durchgeknallt. Zu viel Inzest. Gibt es auch bei Hunden. Das Endprodukt heißt dann Möpse. Bemitleidenswerte Geschöpfe, die kaum Luft bekommen. Schlechter Atem bei Hunden ist in Ordnung, aber wenigstens die Atmung sollte funktionieren. Falls es doch mal mit einem durchgeht, und die Nachbarskatze über mehrere Gartenzäune verfolgt werden muss. Wider besseres Wissen. Das nennt man Instinkt. Leben mit Instinkt ist lästig. Vor allem als gebildeter Hund.

Man wird schnell depressiv.

Tatsächlich hatte ich dringend Erholung nötig, als Herrchen und Frauchen mit mir zum Wellness-Urlaub fuhren. Thüringer Vogtland. Bio-Seehotel Zeulenroda  1 . Tierfreundliches Hotel. Wunderschönes Ambiente. Und das Essen war super. Herrchen hat mir manchmal heimlich ein Stück Wild oder Filet unter dem Tisch zugesteckt. Frauchen ist dagegen, deshalb musste es unauffällig geschehen, aber ich weiß mittlerweile, wie ich mich setzen muss, damit Britta es nicht bemerkt. Mein Frauchen heißt nämlich Britta. Mein Herrchen heißt Karsten. Mir hat es auch Spaß gemacht, in den verglasten Fahrstühlen zu fahren und die Hotelgäste vom fünften Stock aus anzubellen, aber am liebsten habe ich mich im Sand des Strands gewälzt, der unterhalb des Hotels extra für mich angelegt worden war. Ein Erlebnis.

Am ersten Tag machten wir noch voll auf Familie und umrundeten die Talsperre auf dem Wanderweg  2 .

Am zweiten Tag teilten wir uns auf und verfolgten unterschiedliche Interessen. Während Herrchen und ich in einer winzigen Jolle über den Stausee segelten, ging Frauchen im Hotel zur Wellness-Behandlung und zum Yoga-Kurs. Sie wird leicht seekrank. Dann riecht sie so sauer. Gewöhnungsbedürftig. Deshalb bin ich froh, wenn sie bei den Segeltörns nicht dabei ist. Ich hingegen liebe es, vorne im Boot zu stehen und die Wellen anzubellen. Die Wellen sind kein leichter Gegner. Sie geben nicht so schnell auf. Mein Herrchen lacht dann. Manchmal sagt er auch »Platz!« – aber meistens lacht er.

Als wir nach dem Segeln Frauchen an der Hotelbar trafen, begrüßte ich sie schwanzwedelnd. Während sie mich hinter den Ohren kraulte, war sie nicht ganz bei der Sache. Sie war verschwitzt. Und ehrlich gesagt – wie soll ich es formulieren? – sie roch ein wenig so, als wäre sie mit einem anderen Herrchen zusammen gewesen. Trotz des Duschbads. Mein Herrchen schien sich an ihrem Geruch nicht zu stören. Wie immer, wenn er nett sein wollte, zeigte er ihr seine Zähne und stieß sein Glas an ihres.

Am nächsten Morgen durfte ich auf den Rücksitz des Autos springen. Ich fahr gerne Auto. Die Vibrationen sorgen bei mir für Tiefenentspannung. Außerdem freute ich mich auf eine kleine Burg-Tour. Ich mag Burgen, Schlösser und Ruinen. Meistens findet sich eine Wendeltreppe, über die man wie blöd im Kreis rauf und runter rennen und dabei bellen kann.

Die Osterburg  3  in Weida hat einen tollen Turm. Wie ihn kleine Kinder mit Bausteinen bauen, zum Beispiel Karstens Neffe: Immer einen schmaleren Klotz auf einen dickeren. Ich reiß die total gerne ein. Wenn man es oft genug macht, weint das Kind und Herrchen geht mit mir Gassi. Den Turm in Weida konnte ich nicht einreißen. Nur anbellen.

In Greiz gibt es gleich drei Schlösser. Das Untere Schloss und das Sommerpalais machen Hunden nicht so viel Spaß, aber mein Frauchen kam wegen der Architektur gar nicht mehr aus dem Schwärmen heraus. Karsten legte einen Arm um Britta. Er mag es, wenn sie begeistert ist. Schon der Weg zum Oberen Schloss machte mehr Spaß  4 . Man kann als Hund Ebene für Ebene vorausrennen und dann wieder zu Herrchen und Frauchen umkehren und dann wieder voraus auf die Aussichtsplattformen. Ich mochte die Aussicht: Von oben bellte ich die Stadt an; einmal hab ich sogar geheult wie ein Wolf.

Das mache ich nur selten, nur wenn alles passt.

Während des Aufstiegs kamen wir an malerischen Metallträgern vorbei, die den Schlossberg abstützen, weil das Gestein schon ein wenig brüchig ist. An den Metallträgern konnte ich schön das Bein heben. Zuerst zögerte ich ein wenig, weil Karsten im Urlaub immer einen Fotoapparat dabeihat. Ich lasse mich beim Pinkeln nicht gerne fotografieren, aber egal: Ich hob trotzdem das Bein. In­stinkt. Da fiel mir das andere Herrchen auf, das sich oben mit einer Stange an der Burgmauer zu schaffen machte. Die Witterung verriet mir, dass der Mensch Jagd machte. Menschen, die Jagd machen, sind selten, seit sie domestiziert sind. Ich bellte mein Herrchen an. Er lachte. Wie immer begriff er nichts. Im Gegensatz zum Frauchen, das unauffällig ein paar Schritte nach hinten zurücklegte. Dann machte ich etwas, das ich wirklich verabscheue: Ich schaltete in den Lassie-Modus. Ich sprang das Herrchen an. Er taumelte zurück. Die paar Meter mussten reichen. Karsten fiel auf den Rücken. Während ich ihm auf der Brust stand, sah ich zu, wie ein Felsbrocken knapp an uns vorbeirollte. Danach: Streicheln. Irgendwas ins Ohr flüstern, das mit Belohnung und Rinderleber zu tun hatte. Menschen, die sich an einen drücken. Das Frauchen auch. Ich hasse Lassie. Ihre Filme sind noch peinlicher als jeder Katzenkrimi.

Immerhin bekam ich an diesem Abend tatsächlich Rinderleber.

Am nächsten Tag hatte Frauchen Migräne und war zu nichts fähig. Deshalb ging Herrchen ins Erlebnisbad Waikiki  5 . Schon im Eingangsbereich Palmen. Bunte Farben. Eine Frau mit einer Blumenkette um den Hals an der Kasse. Hinter einem großen Fenster plantschten Kinder unter einem Wasserfall.

Frauchen nahm mich mit zurück ins Hotel. Wir fuhren mit dem Fahrstuhl. Es machte wieder Spaß, dabei zuzusehen, wie die Leute kleiner wurden, aber dann stoppten wir im falschen Stockwerk. Zuerst wollte ich gar nicht aus dem Fahrstuhl, denn ich hatte den Fehler sofort bemerkt.

Britta zog an der Leine.

»Blödes Vieh«, zischte sie.

Das war nicht sehr nett.

Wir gingen durch den verkehrten Gang zu einem falschen Zimmer. Frauchen klopfte.

Der Mann, der am Vortag Jagd auf Karsten gemacht hatte, öffnete die Tür. Er zeigte seine Zähne.

Im Zimmer ging alles ganz schnell. Ich würde auch keine Kleidung tragen mögen. Sie schleckten sich ab. Bissen sich vorsichtig. Sie wurden wild. Frauchen schrie laut: »Oooliiii!«

Zwischendurch machten sie es auch wie Hunde. Bei Menschen finde ich das unpassend. Dann roch sie wieder nach ihm.

Als wir Herrchen am Erlebnisbad abholten, spielte ihm seine Witterung wieder mal einen Streich. Er zeigte seine Zähne. Der Gestank, den der andere Rüde in Frauchen hinterlassen hatte, blieb unbemerkt.

Gleich danach standen Britta und Karsten Arm in Arm vor dem überdimensionierten Rathaus von Zeulenroda  6 . Es ist zu groß, sogar für die Krone der Schöpfung, aber die Herrchen und Frauchen dieser Welt wollen, dass etwas bleibt. Instinkt. Ich heb ja auch das Bein, wenn alle zuschauen.

Menschen sind so unterbemittelt. Die einfachsten Dinge kriegen sie nicht mit. Ich würde mein Herrchen beschützen müssen. Wirklich: Ich hab keine Lust auf die Lassie-Nummer, aber die Menschen erwarten sie einfach, wenn sie einen Hund haben. Das nervt. Ich trottete zum Karpfenpfeifer-Brunnen  7  auf dem großen Platz vor dem Rathaus. Ich weiß schon, dass die Karpfen nicht echt sind. Sie sind aus Metall. Es kann nicht schaden, dass ich mich dämlicher stelle, als ich bin. Gehört zu den Überlebensregeln eines Undercover-Agenten.

Zurück im Bio-Seehotel wurde mir in der Hotelbar Wasser in einem sehr sauberen Metallnapf vorgesetzt, während für Karsten ein Bier gezapft und für Britta ein Caipirinha gemixt wurde. Ich war mit dem Wasser zufrieden. Ich musste nüchtern bleiben. Mein Herrchen und die Situation im Auge behalten. Auf einer Party hatte ich mal ein Glas mit einem irischen Whiskey leer geschleckt. Sehr lecker. Brennt gar nicht so stark auf der Zunge, aber danach hatte ich Probleme, meine vier Gliedmaßen in die richtige Reihenfolge zu bringen. Whiskey überfordert jeden, der mehr als zwei Beine hat.

Herrchen und Frauchen prosteten sich zu, als hätten sie das schönste Herrchen-und-Frauchen-Verhältnis der Welt. Nach einer Weile verzogen sie sich auf die Sonnenterrasse und rauchten. Mit mir an der Leine. Sie ließen sich die untergehende Sonne ins Gesicht scheinen, aber mich konnte die ganze verlogene Romantik natürlich nicht blenden. Aufmerksam behielt ich die Bar durch die Panoramascheiben im Auge. Tatsächlich kam Oooliiii an den Tresen und bestellte einen Sex on the Beachbeim Barkeeper. Kaum hatte der sich umgedreht, um den Cocktail zu mixen, entleerte Oooliiii eine kleine Ampulle mit einer klaren Flüssigkeit in Karstens Bier.

Ich konnte mich genau erinnern, als jemand das letzte Mal eine klare Flüssigkeit in etwas geschüttet hatte – und zwar Frauchen in meinen Futternapf. Danach hatte ich ein paar Erinnerungslücken, aber irgendwann war ich kastriert beim Tierarzt aufgewacht. Klare Flüssigkeit in einer Ampulle konnte nichts Gutes bedeuten.

Für den Sex on the Beachbedankte sich Oooliiii und zeigte seine Zähne. Dann ging er zu einem Sessel, von dem er einen guten Blick auf die Bar hatte.

Nachdem Karsten und Britta ausgeraucht hatten, gingen beide wieder mit mir zu den Getränken. Als sie sich zuprosteten, sprang ich mit vollem Körpereinsatz hoch. Herrchen fiel das Glas aus der Hand. Überall Scherben. Ich bewegte mich nicht vom Fleck, um mir nicht die Pfoten aufzuschneiden, bis auch der letzte Splitter aufgekehrt war. Das Frauchen sah mich die ganze Zeit wütend an. Karsten schob einen bunten Papierlappen über die Theke und bekam ein neues Bier. Er lachte.

Während das Herrchen in die Sauna ging, machte sich Frauchen mit mir auf den Nacht-Gassi-Gang. Unten am Strand traf sie Oooliiii.

Ich tat unbeteiligt und wälzte mich im Sand.

»Der Hund muss weg«, sagte Oooliiii. »Er beschützt deinen Mann.«

»So ein Blödsinn«, antwortete Britta. »Das ist nur ein Hund. Der kann nicht denken. Außerdem würde Karsten sofort abreisen, wenn ihm etwas passierte. Dann hätten wir gar keine Gelegenheit mehr.«

Danach machten mein Frauchen und der Oooliiii-Rüde Sex on the Beach. Sie saß auf ihm. Ekelhaft. Würden Hunde nie machen. Geht auch gar nicht. Anatomisch gesehen. Zurück im Hotelzimmer roch Herrchen wieder mal nichts. Menschen sind echt zu bedauern.

Am nächsten Morgen brachen wir zu einer Sightseeingtour auf. Mit dem Auto fuhren wir nach Wünschendorf. Im Garten der St.-Veit-Pfarrkirche  8  führte der Küster gerade Reparaturen durch. Deshalb traute ich mich nicht, an einen der bemoosten Grabsteine zu pinkeln. Ich hielt es zurück, bis wir an der alten überdachten Holzbrücke  9  waren. Bei Holz kann ich nicht anders. Ich hob das Bein. Frauchen verdrehte wieder die Augen, während Herrchen lachte.

Danach ging es weiter zum Kloster Mildenfurth  10 . Leider abgesperrt. Ein paar Gerüste waren aufgebaut. Sie sollten den Eindruck vermitteln, dass wirklich Restaurierungsarbeiten stattfanden. Herrchen und Frauchen bekamen Zugang, nachdem sie einen Künstler angesprochen hatten, der in unmittelbarer Nachbarschaft nicht nur sein Atelier, sondern auch den Hauptschlüssel zum Kloster hatte. Er führte uns in ein Gewölbe, in dem die langen Finger seiner Skulpturen aus der Dunkelheit tasteten. Verlorene Kinder. Menschen mit Tierköpfen. Maskierte Gestalten. Gruselig. Ich bellte wie verrückt. Es machte einen Heidenspaß.

Anschließend durften wir den Klostergarten besichtigen. Überall Skulpturen. Immerhin waren auch Hunde dabei. Sehr große Hunde. Der Künstler mochte mich. Seine Dogge war irgendwann gestorben.

»Aber in so ein Umfeld gehört ein Hund«, sagte er und kraulte mich hinter den Ohren. Dabei war ich einen Moment unachtsam. Ein dicker Stein schlug direkt neben meinem Herrchen auf. Kreidebleich drehte er sich um.

»Deshalb lasse ich normalerweise niemanden herein«, sagte der Künstler. »Es kann sich jederzeit ein Stein lösen. Kein Geld für die Restaurierung. Eine Schande. Die Menschen sind nicht mehr an Kultur interessiert, sondern nur noch an glatten Straßen.«

Ich war wütend auf mich selbst, weil ich nicht aufgepasst hatte. Bellend rannte ich zu der geöffneten Tür des Klosters. Die Treppe hoch. Bis zu der Tür, hinter der ich Oooliiii wittern konnte. Das Herrchen nahm mich an die Leine. Ich war ich widerspenstig. Bremste mit den Pfoten. Bis ich begriff, dass Karsten wieder mal das andere Männchen nicht riechen konnte. Dabei stank es nach Oooliiiis Anwesenheit. Nach der Präsenz des Bösen. Natürlich hätte ich noch ewig die Tür ankläffen können, aber auf diese erniedrigende Lassie-Nummer hatte ich wirklich keine Lust.

Während ich die Treppe nach unten sprang, wurde mir klar, dass ich langsam begann, das Spiel zu bestimmen. Oooliiii fiel nichts mehr Neues ein. Vermutlich war Plan A der Felsen in Greiz. Und Plan B das Gift im Bier. Jetzt griff er auf alte Ideen zurück. Er improvisierte. Wurde leichtsinnig.

Wir fuhren zur Burgruine Reichenfels  11 . Idyllisch gelegen mit einem Baum-Lehrpfad. Hundeparadies mit der Möglichkeit, an verschiedene Baumarten zu pinkeln. Unterhalb der Burg gab es einen Steinbruch. Ich konnte mir zusammenreimen, was das bedeutete: Diesmal würde kein Stein von oben kommen, sondern Karsten sollte in die Tiefe stürzen.

Aber diesmal würde ich so aufmerksam sein, wie man es vom besten Freund des Menschen erwartete. Und Herrchen half mir dabei: Er nahm mich von der Leine. Während er mit Frauchen Hand in Hand den steilen Zugang zur Ruine hochging, büchste ich aus. Unbemerkt. Britta und Karsten waren mit der Idylle beschäftigt. Den Bäumen. Dem Licht. Der Ruhe. Wir Hunde sind nicht so romantisch veranlagt. Ich folgte dem Geruch. Oooliiiis Geruch. Ich kam zu einem Holzzaun, an dem ein Warnschild befestigt war:

›Betreten verboten! Lebensgefahr!‹

Mit einem Satz sprang ich über den Zaun.

Oooliiii versteckte sich hinter einem Baum.

»Mistvieh«, zischte er. »Was willst du hier?«

Leider kann ich nicht reden. Sonst hätte ich was Cooles gesagt. »Yippie-ya-yeah, Schweinebacke!« beispielsweise.

Ich sprang Oooliiii an. Einen wunderbaren Moment lang war er sehr erstaunt, taumelte, machte einen Schritt zurück und stürzte in die Tiefe – während ich sicher auf allen vieren vor dem Abgrund aufkam. Ihm hinterher sah. Er schrie nicht einmal wirklich. Nur ein Geräusch, als hatte er sich verschluckt.

Ich lief zurück zu Herrchen und Frauchen.

Beide begrüßten mich freudig, als ich ihnen auf der Brücke zur Ruine entgegenkam.

»Wo bist du denn gewesen?«, fragte Herrchen lachend.

Während wir an dem Holzzaun vorbeigingen, blieb Frauchen etwas zurück und warf ihr Smartphone über die Latten. Deutlich sichtbar lag es auf dem kurzen Weg, der zum Steinbruch führte.

Übertrieben laut stöhnte sie auf: »Mein Gott!«

Karsten drehte sich um. »Was ist denn?«

»Mein Smartphone ist weg.«

Sie begannen es zu suchen. Karsten entdeckte es hinter dem Holzzaun.

»Steig nicht drüber«, sagte Britta. »Da steht Lebensgefahr.«

Karsten kletterte über den Zaun und brachte ihr das Smartphone zurück. Unbeschadet. Beides: Gerät und Herrchen. Ich war stolz auf mich.

Frauchen starrte ungläubig. Mit offenem Mund. Sie checkte ihr Telefon. Keine Nachricht.

Auf dem Weg zum Parkplatz kamen wir an einem Rasenlabyrinth vorbei. Labyrinthe sind ein weit verbreitetes, uraltes magisches Symbol für einen langen, verschlungenen Weg zu einem bestimmten, schwer zu erreichenden Ziel. Der Weg symbolisiert den Lebensweg eines Menschen. Oder eines Hundes.

Das Reichenfelser Labyrinth hat einen Durchmesser von zehn Metern, aber beim Begehen legt man einen Weg von zweihundert Metern zurück. Das Herrchen und ich sind einfach quer drüber getollt. Gesprungen. Gerannt. Waren nicht achtsam. Hatten Spaß. Waren am Leben. Mit einer Katze kann man so was nicht machen.

Am Abend bekam ich einen Knochen. Ich hatte ihn mir verdient.

Ich heiße Buddy und passe auf.

Freizeittipps:

1  Bio-Seehotel Zeulenroda: Vier-Sterne-Hotel mit Seeblick und eigenem Strand, das sich umweltbewusstes und klimaneutrales Handeln auf die Fahnen geschrieben hat. Trotzdem kommt der Wohlfühlfaktor nicht zu kurz: Das Haus bietet spannende Arrangements sowohl für Tagungen als auch für den Familienurlaub. Passend zum ganzheitlichen Ansatz steht Wellness gleichberechtigt neben kulinarischen Angeboten. Direkt am See gibt es einen Biergarten. Und natürlich (ganz wichtig): Hunde sind willkommen!

 

2  Talsperren-Weg Zeulenroda: Leichte, aber relativ lange Wanderung (25 Kilometer) rund um das Zeulenrodaer Meer. Die Talsperre gehörte zu einem System von vier Talsperren, das die Trinkwasserversorgung für Ostthüringen sicherte. Am 1. September 2012 wurde der Trinkwasserstatus aufgehoben. Seitdem entsteht dort ein Naherholungsgebiet mit verschiedenen Angeboten. Der Rundwanderweg verläuft gemütlich und eben durch dichten Wald, über Felder und direkt am Seeufer entlang. Für Abwechslung und schöne Ausblicke ist gesorgt.

 

3  Osterburg Weida: Mit 54 Metern ist der sehr eigentümliche Turm der Osterburg der dritthöchste erhaltene Bergfried Deutschlands (lässt sich gut anbellen). Eine Gedenktafel in der Burganlage erinnert daran, dass hier die Südgrenze des skandinavischen Inlandseises während des Quartärs verlief. Weida gilt als die Wiege des Vogtlandes. Der jährliche Weidsche Kuchenmarkt ist ein Marktfest mit hoher Anziehungskraft.

 

4  Schlösser in Greiz: Mehr darüber im Beitrag Snuff-Mobbing von Manfred Köhler.

 

5  Badewelt Waikiki Zeulenroda: Wasserfreizeitparadies mit Südseeflair, Strand-Cocktails und vielen Attraktionen in tropischer Umgebung.

 

6  Rathaus Zeulenroda: Der klassizistische Bau ist für eine Stadt von der Größe Zeulenrodas … nun, sagen wir mal: Sehr imposant! Angeblich fand sogar Goethe das Gebäude beeindruckend. Auf dem Turm des Rathauses befindet sich eine Themis-Statue (die griechische Göttin der Gerechtigkeit), die von den Einheimischen ›Gette‹ genannt wird.

 

7  Karpfenpfeifer-Brunnen Zeulenroda: Auf dem Marktplatz vor dem Rathaus zeugt der Karpfenpfeifer-Brunnen von der bekanntesten Sage der Stadt, nach der die Zeulenrodaer Bürger auf die wenig schmackhaften Karpfen der Herren von Greiz gepfiffen haben.Die Fische des Karpfenpfeifer-Brunnens lassen sich übrigens wunderbar anbellen.

 

8  Pfarrkirche St. Veit Wünschendorf: Die über 1000-jährige Pfarrkirche St. Veit gehört zu den ältesten Kirchen Thüringens. In der Grünanlage um die Kirche kann der Besucher zwischen alten Gräbern seiner Melancholie nachgehen oder einen schönen Blick ins Elstertal genießen.

 

9  Wünschendorfer Holzbrücke: Die überdachte, ca. 73 Meter lange Holzbrücke über die Weiße Elster wurde 1786 gebaut. Eine erste Anlage geht bereits bis in das 13. Jahrhundert zurück.

 

10  Kloster Mildenfurth Wünschendorf: Das Kloster Mildenfurth gilt als eines der ältesten Klöster des Vogtlandes und war einst ein beliebter Wallfahrtsort. Leider ist das Kloster in einem renovierungsbedürftigen Zustand. Direkt daneben befindet sich das Atelier des renommierten Künstlers Volkmar Kühn. Mit seinen beseelten Skulpturen im Klostergarten und im Bauch des Klosters hat er ein bizarres Reich geschaffen, das zu Expeditionen einlädt. Mein Herrchen war begeistert. Leider finden sich auch Katzen als Skulpturen und leibhaftig (!) auf dem Gelände.

 

11  Burgruine Reichenfels (Hohenleuben, Ortsteil Reichenfels): Romantische Ruine mit schöner Aussicht in die vogtländische Landschaft. Ein Museum auf dem Gelände beheimatet unter anderem die älteste und mit rund 35.000 Bänden umfassendste wissenschaftliche Bibliothek heimatgeschichtlicher Literatur des gesamten deutschsprachigen Raumes. Außerdem wartet auf die Besucher das Rasenlabyrinth (besonders gut geeignet zur Paar-Therapie).

Rosa muss weg

Petra Steps

Für Alex war gerade eine Welt zusammengebrochen. Er musste untertauchen, weil er seinen Auftrag nicht erfüllt hatte. Dabei hatte er ein halbes Jahr nichts anderes getan, als sich mit Kartoffeln und der Vogtländischen Kartoffelprinzessin Rosa I. zu beschäftigen, um sie rechtzeitig verschwinden zu lassen. »Schaff mir diese Rosa weg«, hatte ihm der Boss damals am Telefon gesagt. Spätestens beim Treffen der Majestäten im Mai in Rehau sollte sie verschwunden sein. Von ›für immer‹ war keine Rede gewesen. Dafür hätte das Honorarangebot auch gar zu lausig ausgesehen. Überhaupt hatte sich sein Auftraggeber sehr bedeckt gehalten und sich nur auf einen Befehl von höchster Stelle berufen. Jetzt war Alex diese »höchste Stelle« auf den Pelz gerückt. Und sie sprach ein verdächtiges Deutsch mit russischem Akzent. Ihm schwante ganz langsam, worauf er sich eingelassen hatte. Zwar stammte er selbst aus Russland, hatte jedoch das Land als Kind verlassen und war in Deutschland heimisch geworden. Oder das, was man hier heimisch nannte. Die Schule hatte er mit Ach und Krach geschafft, nach einer Lehrstelle vergeblich gesucht. Seit Jahren schlug er sich mit Gelegenheitsarbeiten durch. Mitunter waren das auch schmutzige Jobs wie der Auftrag um diese verdammte Kartoffel-Show. Nach einem halben Jahr Arbeit hatte er gedacht, dass endlich der dicke Umschlag mit der Erfolgsprämie eintreffen würde. So lange hatten ihm die Auftraggeber Zeit gelassen. Statt der Kohle hatte er gestern eine Morddrohung im Briefkasten gefunden. Der Anrufbeantworter hatte die Nachhaltigkeit dieser beunruhigenden Gebärde dokumentiert. Und Rosa war tot.

Alex dachte nach. Irgendetwas musste er bei dem Auftrag falsch verstanden haben, nur was?

Ende November hatte er angefangen, sich mit der Kartoffel, ihren Hoheiten und dem Vogtland zu beschäftigen. Dabei war ihm schnell klar geworden, welchen Stellenwert die tolle Knolle bei den als zänkisches Bergvolk verschrienen Vogtländern hatte. Die Vogtländer – ein Völkchen im Vierländereck Sachsen/Thüringen/Bayern und Böhmen, das nur zögerlich seine Gemeinsamkeiten begriff. Die Kartoffel war ein verbindendes Element, denn als der Alte Fritz den Kartoffelanbau per Dekret verordnet hatte, futterten die Vogtländer längst Kartoffelsuppe und grüne Klöße. Sie waren eine ganz besondere Symbiose eingegangen, die Vogtländer und ihre Erdäpfel. Das hatte Alex bei seinen Recherchen erfahren, denn ohne gründliche Vorbereitung ging er niemals an einen Auftrag.

Er hatte das Internet nach Informationen zu Rosa durchforstet. In schillernden Farben war ihre Wahl zur ersten Kartoffelprinzessin des Vogtlandes beschrieben worden. Die junge Frau war nach dem Studium in ihre Heimat zurückgekehrt und hatte in einer Agrargenossenschaft mit Kartoffelanbau zu arbeiten begonnen. Ihr Wirkungskreis lag in der Nähe des Vogtländischen Knollensteiges  12 , den die Mitglieder des Vogtländischen Knollenrings als lehrreichen Wanderweg zwischen Hundsgrün und Tirschendorf angelegt hatten.

Um die Kartoffelprinzessin kennenzulernen, hatte sich Alex für die über acht Kilometer lange Wanderung angemeldet und war an einem Samstagmorgen extra mit der Vogtlandbahn nach Hundsgrün gefahren. Er hätte sie auch ohne ihr gold-weißes Kleid mit schwarz-gelber Schärpe erkannt. Dafür hatte ihr rotgoldenes Haar gesorgt, das wie brennendes Kartoffelkraut in der Abendsonne leuchtete. Inzwischen wusste er, dass die anderen Hoheiten mit ihren blonden Fäden oder den braunen Pferdeschwänzen langweilig aussahen im Vergleich zur Herrin der Knolle aus dem Vogtland. Damals hatte er aufpassen müssen, dass er sich nicht in sie verliebte, denn so etwas war bei Jobs wie diesem grundsätzlich tabu.

Eine frühere Schulfreundin hatte er zur Kartoffel- und Weinverkostung der besonderen Art in Gündels Kulturstall  13  eingeladen, weil die Prinzessin dort einen ihrer legendären Auftritte hatte. Das war schwer genug bei einer kabarettistischen Veranstaltung, die mit so viel Begeisterung gestaltet wurde. Sie hatte es trotzdem geschafft, durch ihr brillantes Wissen gepaart mit natürlichem Charme. Wegen seiner weiblichen Begleitung war Alex unter den anwesenden Paaren kaum aufgefallen. Eigentlich waren Kartoffeln mit Quark oder Leberwurst und Wein so gar nicht sein Ding, aber er hatte sich im umgebauten Kuhstall wohlgefühlt und es den anderen Gästen gleichgetan. Drei Stunden hatte das Programm gedauert, bei dem die Hausband Vinotheker Kartoffeln und Wein besang oder besprach. Bei der Führung des Hausherrn durch den Weinkeller war Alex wie zufällig mit der Prinzessin ins Gespräch gekommen. Er war sicher, dass Rosa ihn nicht wiedererkennen würde, wegen der Dunkelheit im Gewölbekeller. Und wenn, dann würde er sich etwas einfallen lassen.

Im zweiten Schritt seiner Vorbereitungen hatte er sich um die anderen Hoheiten gekümmert, zumindest virtuell. Er hatte Kartoffelprinzessinnen in Westfalen und im Odenwald gefunden, in Niedersachsen und im Münsterland, in Rotenburg und im Kartoffeldorf Heichelheim bei Weimar. Es gab die Rheinische Kartoffelkönigin und die Bayrische, die Genthiner Hoheit und die Wolfsburger. Einige Regionen hatten gleich beides – Prinzessin und Königin. Und nun sollte es in Rehau die Jubiläums-Wahl der gesamtdeutschen Hoheiten geben. Die Bestimmung des Austragungsortes kam nicht von ungefähr. Im Rehauer Ortsteil Pilgramsreuth  14  soll Hans Rogler 1647 die ersten Kartoffeln im Vogtland angebaut haben. Ein Denkmal gleich neben der Kirche erinnert daran. Alex hatte im Winter eine Recherchetour unternommen. Dabei hatte er sich die beiden Figuren mit dem Kartoffelkorb gut angeschaut. Die Frau buckelt auf den Knien im Acker und liest die Kartoffeln in den Korb. Der Mann steht hinter ihr, auf einen Stock oder ein Grabegerät gestützt. Der große Interpretationsspielraum hatte ihn noch während der Rückfahrt beschäftigt. Alex hatte gelesen, dass der vogtländische Kartoffelanbau sogar noch älter sein könnte, als es die Jahreszahl auf dem Denkmal vermuten ließ. Es hieß, dass der Pilgramsreuther Bauer sein Saatgut aus Roßbach im Ascher Ländchen mitgebracht haben soll, also aus dem böhmischen Zipfel des Vogtlandes. Alex hatte gestaunt, was die Kartoffel im Vogtland lange vor dem Kartoffelbefehl von Friedrich dem Großen im Jahre 1756 für eine Bedeutung hatte. Tatsächlich hatten die Vogtländer als Erste in Deutschland den feldmäßigen Anbau der Kartoffel betrieben und nicht die Preußen, wie es landläufig hieß! Mehr als 100 Jahre früher. Griegeniffte, also Grüne Klöße, Bambes, eine Art Kartoffelpuffer und Kartoffelkuchen frisch aus der Röhre halfen schon gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges, die Hungersnot zu lindern. Clever waren sie, diese Vogtländer, fand Alex. 2012 hatten die Rehauer dem Alten Fritz posthum ihren Ehrenpreis ›Goldene Kartoffel‹ verliehen und damit für Wirbel in ganz Deutschland gesorgt. Dass der Geehrte nicht persönlich erscheinen konnte, war nebensächlich. Es wurde in allen Gazetten über die Vogtländer als Kartoffelpioniere geschrieben, Fernseh- und Rundfunkreporter hatten über das Ereignis berichtet, nur das zählte.

Sein Wissen sollte Alex helfen, als es im Mai ernst wurde. Die Aufgabe war für ihn klar umrissen. Rosa I. sollte weg und den Titel der Deutschen Hoheit nicht erringen. Zum Glück war der Winter mild gewesen, als Alex sich schon einmal in Rehau und Umgebung umgeschaut hatte. Der Große Kornberg  15  hatte wegen des gut sichtbaren Gipfels mit dem ehemaligen Aufklärungsturm der Bundeswehr sein Interesse geweckt. Als er dorthin gefahren war, hatte Schnee gelegen. Alex hatte einen Weg gesucht, auf dem er möglichst nah an den Berg herankommen konnte. Sein Smartphone hatte ihm Auskunft gegeben und den Zugang über Dörflas bei Kirchenlamitz empfohlen. Dort hatte er vergeblich nach einem Parkplatz Ausschau gehalten und seinen Wagen in einer Seitenstraße abgestellt, ehe er den mit einem roten Viereck und einem N markierten Nordweg des Fichtelgebirgsvereins  16  eingeschlagen hatte. Bei der Beschreibung hatte er etwas von einer Ruine namens Hirschstein gelesen. Er hatte erkunden wollen, ob sich die Ruine als Versteck für Rosa eignete. Bei ziemlich miesem Wetter hatte er den Aufstieg durch den Wald begonnen. Der Karte am Fuße des Berges fehlten die Entfernungsangaben. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte er einen Pfeil gefunden, der die Richtung zu den Zigeunersteinen zeigte. Ehe er sich die Frage nach der politischen Korrektheit des Namens stellen konnte, hatte er den Wackelstein  17