Mörderisches Thüringen - Petra Steps - E-Book

Mörderisches Thüringen E-Book

Petra Steps

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Beschreibung

Urwald und urige Dörfer, Städte mit unverwechselbarem Flair, Kultur und kulinarische Genüsse locken zahlreiche Besucher nach Thüringen. Als ihre Freundin Mia mit einer Gruppe nach Saalfeld reist, ist auch die Journalistin Adina Pfefferkorn sofort dabei. In Erfurt, Eisenach, Jena, Weimar, beim Rudolstädter Vogelschießen, auf dem Baumwipfelpfad im Hainich und an vielen anderen Orten stolpert sie über Kriminalfälle und in gefährliche Situationen. Einer davon ist ein Cold Case. Wird sie ihn lösen?

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Petra Steps

Mörderisches Thüringen

Krimis

Zum Buch

Echt thüringisch Egal ob Thüringer Wald, Naturpark Hainich, die verträumte Saalfelder Unterwelt, geschichtsträchtige Orte wie Weimar und Eisenach in all ihren Facetten, kulturelle Ereignisse wie das Folkfestival in Rudolstadt oder der Yiddish Summer, gepflegte Gastlichkeit und Traditionen, der Rennsteig und andere Wanderwege – für jeden Geschmack und jedes Alter findet sich etwas im Grünen Herzen Deutschlands. Die Thüringer Gastfreundschaft ist fast schon legendär und ohne Thüringer Klöße oder die Original Thüringer Bratwurst kommt kaum einer davon. Bei ihrer Suche nach den schönsten Plätzen, den leckersten Gerichten und den interessantesten kulturellen Angeboten purzeln der Journalistin Adina Pfefferkorn immer wieder geplante oder vollendete Kriminalfälle vor die Füße. Dabei kann sie Kommissar Lars-Oliver Uhlig, mit dem sie zusammenlebt, nicht immer beschützen.

Petra Steps, Jahrgang 1959, ist waschechte Vogtländerin, jedoch im Kuckucksnest Zwickau geboren, Diplomphilosophin, Hochschullehrerin, Journalistin, Herausgeberin, Autorin, Ehefrau, Mutter und Oma. Sie ist (Mit-)Herausgeberin von Krimianthologien und Autorin bzw. Mitautorin von Reisebüchern, veröffentlicht Beiträge in Regionalia sowie Krimisammlungen und gibt Schreib-Workshops. Für den Förderverein Schloss Netzschkau war sie Intendantin der KrimiLiteraturTage Vogtland.

Roland Spranger ist Autor und lebt in Hof. Er schreibt Romane, Theaterstücke und alles, was nötig ist. Beide sind Mitglied im Syndikat.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

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[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Votimedia / shutterstock.com

ISBN 978-3-8392-7544-3

Inhalt

Impressum

1 Jähe Wendungen

2 Selbstverteidigung

3 Hinter den Kulissen

4 Nicht nur ein Geständnis

5 Zwischenspiel mit Hindernissen

6 In der Drachenschlucht

7 Reizende Idee

8 Aus Spiel wird Ernst

9 Bratwursttod

10 Am Puls von Weimar

11 Nur Engel fliegen

12 Let there be rock

Danksagung

Lesen Sie weiter …

1 Jähe Wendungen

Saalfeld

»Ich freue mich. Mach’s gut.« Adina drückte den roten Button ihres Mobiltelefons und schob es in die Hosentasche.

»Worauf freust du dich?«, fragte Oli. Er stand plötzlich neben ihr. Adina war so ins Gespräch vertieft gewesen, dass sie seine Ankunft in der Wohnung nicht bemerkt hatte.

»Ich werde ein langes Wochenende mit Mia unterwegs sein. Sie kommt mit ihren Kollegen und ein paar Geschäftspartnern nach Saalfeld. Das scheint nicht weit von uns zu sein. Einige ihrer Begleiter waren ja auch meine Kollegen.«

Oli schnappte nach Luft. »Was um Himmels willen willst du in Saalfeld? Nicht einmal eine richtige Straße führt dorthin. Es ist ein furchtbares Gegurke durch winzige Orte. Und ein paar Kleinstädte. Für weniger als 200 Kilometer brauchst du mindestens zweieinhalb Stunden – wenn kein Stau ist. In Saalfeld ist außerdem der Hund begraben.« Und manches andere vermutlich auch, setzte er in Gedanken hinzu.

»Ach komm. Hier im Erzgebirge ist es an vielen Stellen nicht anders. Die Autobahn ist genauso weit weg. Mia hat von den Feengrotten geschwärmt. Und ich war da noch nie. Vielleicht lässt sich sogar mehr daraus machen, für die Zeitung oder das Radio. Ich will ja nicht an die Nordsee entsandt werden.« Adina blickte Oli an.

Sie hatte vor knapp zwei Jahren von ihrer Berliner Agentur den Auftrag erhalten, die Region Erzgebirge für ein touristisches Internetportal aufzubereiten. Mehrere Wochen war sie zwischen Vogtland und Sächsischer Schweiz unterwegs gewesen, um die Gegend für sich und künftige Besucher zu erkunden. Auf dem Waldgeisterweg bei Ehrenfriedersdorf purzelten ihr zuerst zwei sich wegen ihrer missglückten Pilzsuche bekriegende Opas vor die Füße und dann Kriminalhauptkommissar Lars-Oliver Uhlig aus Annaberg, von ihr liebevoll Oli genannt. Schnell wurde aus den beiden ein Paar und Adina zog in Olis Wohnung nahe dem Annaberger Marktplatz. Mit ihren Recherchen und dem daraus entstandenen Werbematerial für das Erzgebirge war sie nicht zuletzt wegen ihrer persönlichen Verbindung zu dem Kommissar sehr erfolgreich. Außerdem hatte sie familiäre Wurzeln in Chemnitz, die sie nach und nach wiederentdeckte. Ihre Texte und Bilder hatten das gewisse Etwas, das dem Kollegen, der in den alten Bundesländern nach verlockenden Plätzen und interessanten Aktivitäten suchte, vollkommen abging. Sowohl was die Klicks auf ihre Berichte als auch die Buchungen von Übernachtungen und Tickets betraf, hatte sie die Nase weit vorn. Das hatte ihr den Auftrag für ganz Sachsen eingebracht. Inzwischen ergänzte sie die Daten, hielt alles auf dem neuesten Stand und beantwortete Anfragen aus aller Welt. Durch den Aufstieg des Erzgebirges ins UNESCO-Weltkulturerbe kamen ständig neue Angebote hinzu. Erst kürzlich wurden die über 80 Lehrpfade auf rund 700 Kilometer Länge auf deutscher und tschechischer Seite geprüft. An vielen Stellen wurden Veränderungen angeregt. Adina musste ihre Internetplattform regelmäßig anpassen. Dafür studierte sie verschiedene Webseiten oder das Magazin der Montanregion.

»Warum soll ich nicht Thüringen zusätzlich zum Erzgebirge und Sachsen … Was ist mit dir? Du siehst so blass aus. Fehlt dir etwas? Willst du vielleicht mit mir kommen? Ich kann Mia frag…«

»Lass mal«, fiel ihr Oli ins Wort. »Ich vertraue dir. Du bekommst das ebenso in Thüringen hin. Es ist nur … ach, nichts.«

Oli drehte sich um und ging in Richtung Küche. Adina hörte, wie er sich einen Kaffee aus der Maschine ließ. Sie machte den Flachbildfernseher an, klickte auf Spotify und suchte nach ihrem israelischen Lieblingsmusiker Yogev Shetrit. »I Will Wait« erklang als erster Titel. Vielleicht muss ich einfach mehr Geduld mit Oli haben, dachte sie. Dann lehnte sie sich auf dem Sofa zurück, schloss die Augen und träumte sich an den Strand von Tel Aviv.

»Ich mach uns ein paar Toasts«, hörte sie Oli nach einer Weile sagen. Sie musste kurz eingenickt sein. Der Blick auf die Uhr bestätigte ihr das. »Ja, gern«, antwortete sie. »Ich schneide fix ein paar Tomaten und Mozzarella. Basilikum haben wir noch genug«, fügte sie hinzu. Sie schwang sich auf, nahm Messer und Schneidbrett und machte den Salat. Als sie die Balsamico-Creme gitterförmig über die Tomatenscheiben tropfen ließ, ertönte das »Pling« des Toasters. Alles war gleichzeitig fertig.

Oli aß wortkarg seinen Käse-Schinken-Toast mit dem Caprese-Salat und trank ein Fiedler-Bier, das so gar nicht zum Essen passen wollte. Adina hatte sich eine Rhabarberschorle aus dem Kühlschrank genommen. Oli erzählte, dass er seine Eltern lange nicht besucht hatte und dass es morgen wieder heiß werden würde. Das Thema Thüringen schaffte es nicht an den Abendbrottisch, nicht heute und nicht an den folgenden Tagen. Dann versuchte es Adina erneut. »Willst du wirklich nicht mitkommen? Mia hat ein Doppelzimmer frei, in einem Schloss. Wir könnten zusammen …«

»Die Mutter von Harald ist gestorben und er kommt in den nächsten Tagen nicht zur Arbeit. Ich bin allein und habe gerade einen Fall kurz vor dem Abschluss. Da kann ich nicht weg«, antwortete Oli. Dass noch etwas anderes auf Abschluss drängte, entnahm Adina seinem finsteren Gesichtsausdruck.

Die Nacht vor ihrer Abreise verlief ruhig, nach Adinas Geschmack viel zu ruhig. Oli hatte sich ins Bett begeben und demonstrativ umgedreht. Sie lag noch lange wach und lauschte seinem Atem. »Ich weiß, dass du nicht schläfst. Was ist nur mit dir?«, hörte sie sich fragen, doch das war das einzige Geräusch über der Bettdecke. Oli antwortete nicht.

Am Morgen begann Adina, ihre Tasche zu packen. In seiner Mittagspause rief Oli an und wünschte ihr eine gute Reise. »Meinst du das wirklich so, wie du es sagst?«, fragte Adina.

»Sicher. Ich muss weiter. Tschüss«, antwortete Oli. Zum ersten Mal in ihrer Beziehung fühlte sich Adina nicht wohl an diesem Platz in Annaberg. Einen Moment überlegte sie, die Tour mit Mia abzusagen. Doch dann gab sie sich einen Ruck, legte ihre Jacke über die Schulter, zog den Griff aus ihrer Reisetasche und bugsierte sie in Richtung Ausgang. Die Tür knallte ins Schloss. Adina drehte den Schlüssel zweimal um und lief zu ihrem Auto.

Die Fahrt von Annaberg nach Saalfeld gestaltete sich genau so, wie Oli vorausgesagt hatte. Bei Stollberg kam sie auf der Autobahn an einer Baustelle vorbei. Kilometerweit zähfließender Verkehr. Adinas Gedanken waren noch bei Oli und in Annaberg. Sein Verhalten nach ihrer Saalfeld-Idee kam ihr ziemlich merkwürdig vor. Irgendwie schien er sich gegen alles, was sie in diesem Zusammenhang vorbrachte, zu sträuben. Adina grübelte, ob das etwas mit dem Ort oder mit ihr zu tun hatte. Beinahe hätte sie verpasst, sich am Kreuz Chemnitz in die Spur zur A 4 einzufädeln. Ein Porschefahrer war auf den letzten Metern rechts an ihr vorbeigezogen, sodass sie gerade noch rechtzeitig die Fahrbahn wechseln konnte. Auf der A 9 fuhr Adina bis Triptis, dann ging es im Schneckentempo weiter. Ortschaft an Ortschaft, immer wieder der Wechsel von 50, 30, dazwischen kurzzeitig 70 Kilometer pro Stunde. In der Trostlosigkeit um Pößneck tauchte eine Burg in ihrem Blickfeld auf. Sie nahm sich vor, auf dem Rückweg einen Abstecher dahin zu machen. In Unterwellenborn erinnerte sie sich, dass sie den Namen des Ortes schon einmal gehört hatte. Ihre Großmutter hatte von einer FDJ-Aktion erzählt. Wie war das doch gleich, überlegte Adina. Es dauerte nicht lange, und sie hatte den Slogan »Max braucht Wasser« parat. Die Maxhütte war der Ostzone als einziges Stahlwerk nach den Reparationen an die damalige Sowjetunion geblieben, doch der Hochofen funktionierte nicht ohne Kühlwasser. Mit freiwilligen Helfern des Jugendverbandes wurde in 90 Tagen eine Wasserleitung von der fünf Kilometer entfernten Saale gebaut. Adina wusste nicht genau, ob ihre Großmutter dabei gewesen war oder alles nur aus Erzählungen kannte. Heute ketten sich Jugendliche an Bäumen fest oder kleben sich auf die Autobahn und an Kunstwerke. Solche Projekte wie damals gibt es nicht mehr. Allein die Genehmigung für den Bau würde Jahre dauern, dachte Adina, als sie das Stahlwerk passierte.

Kurze Zeit später erblickte Adina das Ortseingangsschild von Saalfeld. Auf dem Weg zum Schloss-Hotel, das Mia für das lange Wochenende gebucht hatte, kam Adina an einer großen Schokoladenfabrik vorbei. Spontan entschied sie sich für einen Abstecher. Während sie überlegte, ob Oli vielleicht die Puffreis-Schokolade oder doch lieber die Nougat-Tütchen mochte, ertönte ein fröhliches Hallo hinter ihr. »Hab ich mir doch gedacht, dass du hier hängen bleibst«, rief ihr Mia zu und umarmte sie.

»Bist du auch erst angekommen?«, fragte Adina.

»Nein, ich bin seit gestern da. Ich habe mich umgeschaut und mir ein paar klitzekleine Gemeinheiten für euch ausgedacht. Wir wollen doch etwas zusammen erleben, wovon wir als alte Leute noch berichten können. One day, baby … Du weißt schon«, spielte Mia auf den »Reckoning Song« von Asaf Avidan an.

Adina lachte. Sie bezahlte die Puffreis-Schokolade und die Katzenzungen. Zusammen mit Mia verließ sie den Laden. »Fahr mir einfach hinterher«, forderte die Freundin sie auf.

Am Hotel angekommen stellten beide ihr Auto auf dem Parkplatz ab. »Du schläfst bei mir in der Suite. Gib mir deine Tasche. Und vergiss das Tütchen nicht, sonst hast du heiße Trinkschokolade, bei den Temperaturen heute«, sagte Mia. Gemeinsam passierten sie den Eingang und stiegen die Stufen zur Suite empor.

»Wie sieht der Plan für die nächsten Tage aus? Ich muss das wissen, damit ich deine kleinen Gemeinheiten auslassen kann. Stattdessen produziere ich ein Stück Exposé für Markus. Mir ist, als sollte ich mich als Nächstes um Thüringen kümmern«, erklärte Adina. Markus war der Chef der Berliner Agentur, für die Adina freiberuflich arbeitete, seit sie Saschas Reise- und Lifestyle-Magazin den Rücken gekehrt hatte, gefolgt war die private Trennung von ihm. Sie hatte damals einen neuen Job gesucht und wusste bis heute nicht, welchen Anteil Mia an ihrer aktuellen Tätigkeit hatte. Schließlich hatte sie ihr den Kontakt zu Markus vermittelt. Doch seit Adina in Annaberg lebte, trafen sich die Freundinnen immer seltener.

»Ah, du kneifst. Ich dachte, du hilfst mir. Zum Beispiel beim Picknick während der Wanderung. Du bekommst dafür einen wunderbaren Blick von der Bohlenwand auf Saalfeld und die Saale, die sich blaugrau durch die hügelige Landschaft schlängelt«, nahm Mia das Gespräch wieder auf.

»Ist das alles? Klingt nicht sehr aufregend. Wie lange soll die Wanderung sein?«, hakte Adina nach.

»Na, so 15 Kilometer. Ich verspreche dir, du wirst einiges sehen, was du für dein Exposé verwenden kannst. Den Gleitsch, einen Aussichtspunkt auf der Höhe, eine Höhle, die von Steinzeitmenschen bewohnt wurde, Wälle, bei denen später die Kelten gesiedelt haben, einen Bienen- und Naturlehrpfad, die Teufelsbrücke …«

»Teufelsbrücke, das klingt interessant«, meinte Adina.

»Ja, aber vorher gehen wir einen schmalen Pfad auf der Oberkante der Bohlenwand. Und bitte nicht auf dumme Gedanken kommen. Dir purzeln doch immer die Kriminalfälle vor die Füße.«

Adina schaute Mia belustigt an. »Sascha ist nicht etwa in deiner Gruppe? Erzähl: Wen kenne ich?«

Mia lachte. »Keine Angst, du musst deinen Ex nicht von der Kante schubsen, er hat am Wochenende etwas Besseres vor. Außerdem solltest du doch darüber hinweg sein, jetzt, wo du wieder in festen Händen bist.«

»Komm, verrate es mir: Wen außer dir kenne ich?« Mia dachte nach. »Evchen natürlich. Alexander kam, als du schon vor Sascha geflohen warst. Lisa könntest du kennen. Und Jan, der bringt seine neue Flamme mit. Bei den anderen weiß ich es nicht. Sind ja nicht alle aus Saschas Stall.«

»Jan, der Aufreißer. Nun ja, der war mir als Mann noch nie geheuer, aber als Kollege stellte er sich ganz passabel an. Und wenn die Flamme neu ist, muss sie ja nicht weg. Lisa? Lisa Markowitz? Die hat doch selbst Jan verschmäht. Dass sie immer noch da ist!« Adina lachte. »Aber sag mal, wollten wir nicht in die Feengrotten? Ich habe Oli davon erzählt. Er schien nicht begeistert von meinem Ausflug dorthin zu sein.«

»Wirklich? Wieso das denn? Die Feengrotten sind ja die Sehenswürdigkeit in Saalfeld und Umgebung. Ohne sie hätte keiner den Namen ›Saalfeld‹ je gehört. Aber vielleicht hat er als Erzgebirger ein Problem damit. Er ist ja mit dem Bergbau aufgewachsen«, antwortete Mia.

»Dann sollte er gerade begeistert sein. Ich glaube, es ist etwas anderes. Ich werde es herausfinden.«

»Aber nicht heute. Wir machen uns frisch. Wenn die anderen eingetroffen sind, essen wir gemeinsam. Ich habe eine lustige Vorstellungsrunde vorbereitet, da sich ja nicht alle kennen. Die Feengrotten besuchen wir am Samstag.«

Die Berliner waren mit zwei Fahrzeugen gekommen. Die Begrüßung fiel herzlich aus. Adina fühlte sich sofort wieder mittendrin, als Teil der Gruppe und nicht als Gast. Nach dem Abendessen auf der Terrasse setzten sie sich im Kreis zusammen. Mia verteilte Begrüßungssekt und Zettel für die Vorstellungsrunde. Jeder musste jemanden aus der Gruppe mit drei Sätzen beschreiben. Die anderen durften raten, wer gemeint war. Adina hatte das platinblonde Evchen erwischt, Saschas langjährige Sekretärin, auch Abfangjäger genannt. Sie hatte manchmal sogar versucht, Adina abzuwimmeln, als die noch mit Sascha liiert war. Ihre ehemaligen Mitarbeiter feixten bei Adinas Charakterisierung, die anderen wussten nichts damit anzufangen.

Gegen elf kündigte Mia ihren Rückzug ins Zimmer an. »Wir haben einen anstrengenden Tag vor uns, also macht nicht zu lange«, sagte sie.

Nach dem Frühstück begann die Wanderung, die sich eher als eine moderne Schnitzeljagd im Geo-Caching-Stil herausstellte. Dem Siegerteam winkten Präsente aus dem Werkverkauf der Schokoladenfabrik. Die anderen bekamen Trostpreise im Schokoformat. Mia hatte vor dem Abmarsch Getränke an alle ausgegeben. Sie hatte zusammen mit Adina und Jan den Proviant für das Picknick auf ihre Rucksäcke verteilt. Nach den ersten tausend Metern fragte Evchen: »Wie weit ist es denn noch? Das ist ja wie beim Militär hier.«

»Du kannst ja mal mit den Soldaten durch die Wüste robben. Ich habe gute Kontakte nach Israel. Also, wenn du magst. Da lässt sich sicher etwas arrangieren«, lachte Adina. Mia gab das Signal zum Start der vier Gruppen.

Evchen hatte doch noch ein wenig Ehrgeiz entwickelt. Ihre Gruppe scheiterte jedoch am Umgang mit den GPS-Daten, sodass sie sich einmal verfranzte und deshalb eine Station ausließ. Jan hatte den schweren Rucksack als Handicap und sein etwas schwergewichtiger Kollege Daniel suchte ewig nach dem Aufgabenzettel, der in einem Hochstand versteckt war. Am Ende siegte das Team Lisa, das alle Aufgaben am schnellsten und fehlerfrei bewältigt hatte. Hungrig verzehrten die Teilnehmer die mitgebrachten Köstlichkeiten und traten den Rückweg an.

Beim Abendessen im Hotel wurde jedes Detail ausgewertet und über die kleinen Missgeschicke gelacht. Evchen zog einen Flunsch. Sie hielt die Schatzsuche mittels GPS-Daten für unfair.

»Wir fahren morgen früh mit euren beiden Autos zu den Feengrotten. Jan nimmt Adina mit, ich steige bei dir ein, Daniel. Es sei denn, ihr wollt laufen.« Mia schaute in die Runde.

»Wie weit ist es denn?«, fragte Lisa.

»Etwa eine Stunde, ziemlich steil bergauf. Aber wir gehen anschließend noch mal eine Stunde durchs kühle Bergwerk und nach dem Mittagsimbiss ins Feenweltchen. Es gibt also genug Bewegung.«

Das Thema Laufen hatte sich schlagartig erledigt. Nur Evchen stöhnte laut. »Von Extremsport war nun wirklich keine Rede, als ich mich für das Wochenende gemeldet habe«, sagte sie.

Am Vormittag trafen sich die Reiseteilnehmer zum Frühstück. Bei Kaffee, Sekt und frischen Brötchen machten es sich die Berliner gemütlich. »Husch, husch, wir müssen in 15 Minuten los. Ich habe die Führung für elf Uhr bestellt. Wir sind schließlich nicht zum Spaß hier«, trieb Mia die Gruppe an.

Langsam trudelten die Letzten an den beiden Kleinbussen ein. »Wir fahren voraus. Bitte folge mir«, wies Mia Jan an und gab ihm die Adresse für den Fall, dass sie sich unterwegs verloren. Jan hatte Adina bereits den Beifahrerplatz angeboten, sehr zum Missfallen von Evchen, der auf der Fahrt von Berlin nach Saalfeld dieses Privileg zuteilgeworden war. Jans Freundin war freiwillig auf die Rückbank geklettert.

Nach etwa zehn Minuten hatten die Fahrzeuge den Parkplatz an den Feengrotten erreicht. »Och, guck mal, es gibt sogar einen Heilstollen. Vielleicht bleibe ich lieber im Wellnessbereich. Ich bin noch breit von gestern«, piepste Evchen.

»Nix da, du weißt, was dein Chef dir aufgetragen hat. Wie willst du ihm berichten, wenn du gar nicht dabei warst!«, bügelte Mia Evchen samt ihrer Idee ab. Sie blieb vor dem Eingang zum Grottoneum stehen. »Wir haben genau 30 Minuten. Das Museum ist selbsterklärend. Vorsicht, wer mehr als 40 Kilo wiegt, sollte nicht in jedes Loch kriechen, selbst wenn es verlockend aussieht. Das ist eher für Kinder«, erklärte Mia.

»Löcher?«, fragte Evchen. »Ja, das Grottoneum ist ein Erlebnismuseum. Es gibt viele Stationen, an denen man selbst gefordert ist. Man kann Leitern hochklettern oder Licht in die Dunkelheit bringen. Mit Löchern habe ich vor allem die Kindergrotte in ihrer räumlichen Beschränktheit gemeint«, antwortete Mia.

Kurz nach halb elf waren alle wieder draußen und folgten Mia auf den Berg zum Treffpunkt für die Führung durch die Saalfelder Feengrotten. »Ein herzliches Glück auf. Ich bin Wolf-Diether, Bergmann im Ruhestand, und werde Sie eine Stunde lang durch die Grotte führen. Zuerst müssen wir jedoch etwas an Ihrer Kleidung ändern. Bitte folgen Sie mir«, sagte er und begab sich ein paar Meter nach oben zu einer Holzhütte, wo ein Mann in seinem Alter die Gäste kurz mit einem Blick taxierte und dann jeweils einen Umhang in passender Größe durch eine Luke in der Hütte nach draußen reichte. Derweil erklärte der Grottenführer, dass sich jeder eine Zipfelmütze nehmen durfte. »Der Zipfel muss hinten sein, sonst steht er nicht«, sagte er.

Evchen kicherte.

»Warum das so sein muss, erkläre ich Ihnen während der Führung«, fuhr der Bergmann unbeeindruckt fort.

»Was ist denn mit der los?«, raunte Adina Mia zu.

»Ich glaube, sie bemerkt langsam, dass ihre Sturm-und-Drang-Zeit vorbei ist. Sie steht längst nicht mehr im Mittelpunkt. Damit kommt sie schwer zurecht«, flüsterte Mia.

Als die Umhänge locker über die Schultern fielen und sich die roten oder grünen Zipfel der Mützen in die Höhe reckten, stellte sich die Gruppe zum Gruppenfoto auf. Eine Frau mit Fotoapparat sprang gleich nach dem kollektiven »Cheese« aus dem Baum, aus dem der Blitz gekommen war, und lief zum Ausgangspavillon, wo am Ende jeder Führung die Fotos bereitlagen und Souvenirs verkauft wurden.

Wolf-Diether sperrte die Tür zur Grotte auf. Zu Adina und den Berlinern hatte sich noch eine Gruppe aus dem Erzgebirge gesellt. Zuerst erfuhren die Teilnehmer von Wolf-Diether, dass es einen Unterschied zwischen künstlich entstandenen Grotten und natürlichen Höhlen gab. Die Erzgebirger verdrehten die Augen. Bei ihnen zu Hause wusste das sicher jedes Kind. Es folgte das erste laute Stöhnen, als der Bergmann verriet, dass beim Rundgang 120 Stufen zu absolvieren waren und es 26 Meter tief in die Erde ging. Evchen wieder. Die zehn Grad Celsius konnten alle gut vertragen, denn draußen war es ziemlich heiß. Genau genommen zu heiß für die Jahreszeit. Adina staunte, dass Bergmänner früher höchstens 1,35 Meter groß waren, schließlich mussten sie sechs Tage die Woche in der Enge und Dunkelheit des Berges verbringen. Dafür hatten sie größere Frauen. Das Bild von Schneewittchen und den sieben Zwergen schoss ihr in den Kopf. Da erzählte der Bergführer bereits von den mit Stroh ausgestopften Mützen, deren Zipfel des Kumpels Kopfschutz war. Wenn der Zipfel oben anstieß, war der Bergmann gewarnt und zog den Schädel ein. Das war bei einigen Gängen des Bergwerkes angebracht.

Die Besucher aus dem Erzgebirge glänzten bei jeder Aussage des Bergführers mit Wissen aus ihrer Weltkulturerbe-Montanregion. Jeder zweite Satz begann mit »Aber bei uns …«.

»Hier wurde Alaunschiefer abgebaut. Da ist manches ein wenig anders als im Silberbergbau«, versuchte der Bergmann immer wieder auf die Unterschiede hinzuweisen.

»Aber sicher war bei Ihnen doch auch die Wismut wie bei uns und hat nach Uran für die sowjetische Atomindustrie gesucht«, hakte ein älterer Mann nach.

»Ja, die Russen haben kurze Zeit ihr Unwesen im Berg getrieben, jedoch nichts gefunden. Bis sie uns die Quelle zerstört haben, hatten wir sogar Heilwasser im Stollen. Die Leute kamen von sonst woher und füllten es draußen am Brunnen ab. Nachdem die Wismut gewütet und alles wie Hund und Sau verlassen hatte, war die Quelle versiegt und bis heute konnte sie keiner reaktivieren.« Der Zorn darüber schwang in der Stimme des Bergmanns mit.

Der Erzgebirger gab sich nicht zufrieden. »Und heute? Aktuell sind wieder Typen mit der Wünschelrute unterwegs und suchen nach Bodenschätzen. Bei uns wollen sie sogar in aufgelassene Bergwerke …«

Der Bergführer unterbrach den Redeschwall. »Hören Sie mir mit den Goldgräbern auf. Sie nennen sich Geologen und arbeiten für Firmen in Australien oder Kanada. Es vergeht kein Monat, ohne dass da einer aufkreuzt. Bisher haben wir sie erfolgreich abwimmeln können. Bin gespannt, wann da wieder einer auftaucht. Ich würde die ja gar nicht hereinlassen, aber die kommen mit amtlichen Schreiben. Und bei uns sind manche so obrigkeitshörig«, schimpfte der Bergführer.

»Wir gehen jetzt …«, war das Letzte, was Adina hörte, bevor sich eine dicke schwarze Finsternis über sie legte. Der Führer stockte mitten im Satz, als wäre seine Sprache parallel zum Licht verschwunden. »Bitte halten Sie sich an den Händen. Es wird nicht lange dauern«, versuchte er die Besucher nach einer gefühlten Ewigkeit zu beruhigen.

Adina stand wie gelähmt auf dem feuchten Untergrund der Grotte. Ruhig atmen, befahl sie sich, doch es dauerte, bis ihre Atemorgane gehorchten. »Das ist genau wie damals, als die Praktikantin hier verschwand«, hörte sie jemanden sagen. Der Hall der fremden Stimme war ihr unheimlich. Kam das jetzt vom Bergmann oder hatte sich ein anderer geäußert? Adina wusste es nicht. Eine Hand griff nach ihrer. Adina wich instinktiv zurück. Wenn sie schon die Kontrolle über Raum und Zeit verloren hatte, wollte sie nicht noch die Kontrolle über ihren Körper verlieren. Und was, wenn sich ihr ein Krimineller näherte? Warmer Atem stieß an ihren Nacken. Er legte sich zwischen die hochgesteckten Haare und den Abschluss ihres Shirts. Sie trat einen Schritt nach links und einer Frau auf den Fuß. Das laute »Aua« war nicht zu überhören. Evchen. Zum Glück. Adina fühlte, wie alle Blicke in ihre Richtung wechselten, doch um sie herum war finstere Nacht. Sie versuchte es auf der anderen Seite. Da war wieder dieser Atem. Keine Sicherheitsleuchten, kein Schild mit der Aufschrift »Notausgang« oder »Fluchtweg«. Nur diese tiefschwarze Dunkelheit, die ihren weinroten Umhang zum Bleimantel werden ließ. Es dauerte mit Sicherheit keine ganze Minute, bis das Licht wie von Geisterhand wieder anging. Für Adina fühlte es sich an wie eine Erlösung. Luft strömte in ihre Lungen.

»Und jetzt kommen wir wieder zu uns und setzen die Führung fort, denn die nächste Gruppe schließt gleich zu uns auf. Gehen Sie bitte die Treppe hinunter zu den Seen. Ich folge Ihnen als Schlusslicht«, sagte der Bergführer.

Schlusslicht ist gut, dachte Adina. Es wäre nicht so dunkel gewesen, wenn wir ein Schlusslicht gehabt hätten. Später überlegte sie, warum keiner die Taschenlampe des Handys angemacht hatte, als sie da mitten in der Dunkelheit gestanden hatten, nicht einmal sie selbst. Sie konnte es sich nicht erklären. »War das jetzt eine von deinen kleinen Gemeinheiten?«, raunte Adina ihrer Freundin zu, nachdem sie zu ihr aufgeschlossen hatte.

»Hör mir auf, das war nicht geplant. Ich bin tausend Tode gestorben«, erhielt sie als Antwort.

»Na und ich erst. Ich habe nicht einmal mehr Luft geholt, zumindest gefühlt«, erwiderte Adina.

»Und ich dachte, du bist viel tapferer als ich, bei deiner Erfahrung mit Kriminalfällen und mit Selbstverteidigung«, sagte Mia.

»Du hast recht, das war eine schwache Kür. An Krav Maga habe ich in dem Moment nicht gedacht«, antwortete Adina.

Die Gruppe kam an einen See mit Tropfsteinen, die in den schönsten Farben angestrahlt wurden. »Stalaktiten wachsen von der Decke herab, Stalagmiten vom Boden nach oben. Bei einem zufälligen Zusammentreffen werden sie zu Stalagnaten. Wenn Sie das nächste Mal kommen, werden Sie jedoch keine Veränderung wahrnehmen. Auf einen Millimeter Tropfstein muss man deutlich länger warten als auf ein paar Zentimeter Hüftspeck«, versuchte der Bergmann die angespannte Situation nach dem Lichtausfall zu entkrampfen. Dann wies er auf eine fettige gelbgrünliche Masse hin, die den Boden hinter einer Acrylscheibe überzog. »Das ist unser sogenannter Butterkeller mit Berg- oder Steinbutter. Würde sie nicht so miserabel schmecken, könnte man damit die Schwiegermutter vergiften, denn unsere Bergbutter ist extrem arsenhaltig. Allerdings braucht man etwas Geduld, bis der Erfolg einsetzt, denn wer isst schon Butter in solchen Massen?«, erklärte der Bergführer.

»Iiihhh, sieht das eklig aus«, flötete Evchen.

Die Gruppe ging weiter. »Wir nähern uns jetzt dem Höhepunkt der Führung, dem Märchendom. Das ist die Stelle, wo bitte alle ihre Handys in den Taschen lassen. Erst einmal genießen Sie die Farben und die Musik. Sie können danach fotografieren«, sagte der Bergmann und startete die Licht-Show mit einem Song von Enya. Andächtig schauten die Besucher auf die von einem Farbenspiel umgebene Gralsburg und lauschten der Gänsehautmusik.

»Fehlt nur der Heilige Gral«, flüsterte jemand in Adinas Nähe, als die Musik verstummt war. Während des großen Fotografierens wies der Bergmann auf die Möglichkeit für besondere Feiern oder Hochzeiten in diesem Teil der Feengrotten hin. Nachdem alle den Märchendom mit oder ohne sich und von allen Seiten abgelichtet hatten, forderte er sie zum Weitergehen auf.

»Sehen Sie die Hand mit dem Stinkefinger? Liebe Kinder, das ist natürlich nichts zum Nachmachen für euch«, sagte der Grotten-Führer. Kinder? Adina blickte in die Gruppe. Sie entdeckte keine Kinder. Außerdem wurde kurz nach ihrer Führung eine spezielle Kinderführung mit Schatzsuche angeboten, die für den Nachwuchs interessanter war. Der Mann hat Humor, dachte sich Adina.

»Ich sehe keinen Stinkefinger«, sagte sie zu ihm, während die anderen zur nächsten Grotte weiterliefen.

»Kommen Sie mit«, forderte der Bergführer sie auf, »ich zeige Ihnen die Hand.«

Adina folgte ihm ein paar Schritte. »Die Hand sehe ich, aber keinen Stinkefinger. Und was ich sehe, ist gewiss kein Tropfstein. Sieht eher sehr … menschlich …« Adina unterdrückte einen Aufschrei.

Des Bergmanns Gesicht verlor die Farbe, was jedoch der Beleuchtung geschuldet sein konnte. Er trat näher an die Grotte heran. »Oh, da scheint etwas aufgetaucht zu sein, was nicht hierhergehört. Kein Wort zu den anderen. Ich bringe die Führung erst einmal zu Ende«, sagte er, entnahm dem Kasten mit den Schaltern für Licht und Musik das Schild mit der Aufschrift »Kein Zutritt«, verhängte die Stinkefinger-Grotte damit und löschte das Licht. »Wir müssen die Feengrotten schließen, wie es aussieht. Ich habe unser vereinbartes Zeichen für diese Art von Vorkommnissen losgeschickt. Das wird ein Fall für die Polizei«, erklärte der Mann. Adina bewegte sich in Richtung Gruppe. Sie fühlte seinen Blick in ihrem Rücken. Von jetzt an würde er sie nicht mehr aus den Augen lassen.

»Na, du brauchst wohl eine Brille, um so einen riesigen Stinkefinger zu erkennen!«, rief ihr Mia zu.

»Viel schlimmer. Manchmal sehe ich so viel, dass mir das eigentliche Objekt entgeht und ich erst mit der Nase darauf gestupst werden muss. Ich glaube, ich hatte eine Gralsvision«, nahm sie die Bemerkung vom Heiligen Gral auf. An den Rest der Führung konnte sich Adina schon am Ausgang zum Bergwerk nicht mehr erinnern. Um die Eindrücke für ihr Tourismusportal zu beschreiben, musste sie auf jeden Fall noch einmal herkommen. Jetzt geisterte die wachsweiße Hand als Hauptattraktion durch ihren Kopf.

Nach der Führung zeigte der Bergmann auf die Ablagefläche für die Umhänge und die Zipfelmützen. Die Führungsteilnehmer entledigten sich der geliehenen Kleidung. Dann ließ er jeden von ihnen ein Exemplar aus einer Box mit Edelsteinchen und Halbedelsteinchen in den schillerndsten Farben aussuchen.

»Wie haben Sie das vorhin gemeint, als Sie sagten, dass es so dunkel wie damals war?«, fragte Adina den Mann im besten Alter. Dabei war sie gar nicht sicher, seine Stimme gehört zu haben.

»Es war vor genau fünf Jahren, am gleichen Tag. Ich hatte eine Führung, bei der das Licht ausging. Dann war sie weg.«

Volltreffer! »Wer war weg?«, hakte Adina nach. »Die Praktikantin aus Freiberg«, sagte der Bergführer. Seine Augen nahmen die Färbung des Sees an, in dem die Hand aus dem Wasser gelugt hatte.

»Könnten Sie mir mehr davon erzählen?«, fragte Adina und zog ihre Visitenkarte aus der Handyhülle. Für solche Fälle hatte sie immer ein paar geparkt.

»Sicher, aber nachher ist hier bestimmt erst einmal die Hölle los. Ich rufe Sie an«, antwortete er. »Und nicht vergessen: Kein Wort über die Hand zu den anderen!« Adina verließ den Raum, ohne sich die Souvenirs in den Regalen auch nur angeschaut zu haben.

Mia versuchte, ihre Schäfchen zusammenzuhalten. »Die Gaststätte ist leider zu. Ihr könnt euch etwas am Imbiss holen oder unten am Grottoneum. Dort gibt es Kaffee, Kuchen, Eis. Heute ist ja Grillabend. Verhungern muss also keiner. Wir treffen uns pünktlich um zwei drüben am Eingang zum Feenweltchen. Und werft eure Eintrittskarten nicht weg, die benötigen wir für den Einlass«, erklärte sie.

Adina orderte einen Eiskaffee und ließ sich auf einer der Bänke nieder. Die warmen Sonnenstrahlen umspielten ihr Gesicht. Sie hatte die Augen noch nicht lange geschlossen, als Mia sich neben sie setzte. »Vorn am Grill haben sie erzählt, dass die Feengrotten gesperrt sind wegen einer Havarie. Du hast doch einen siebten Sinn. Weißt du mehr darüber?«, fragte sie.

»Keine Ahnung. Vielleicht hängt das mit dem Strom zusammen. Ist ja nicht so angenehm ohne Licht da unten im Berg«, antwortete Adina.

»Und du bist sicher, dass du mir nichts verschweigst?«, fragte Mia nach.