Mordsache Mosel - Ansgar Sittmann - E-Book

Mordsache Mosel E-Book

Ansgar Sittmann

0,0

Beschreibung

Think big – und gehe dabei über Leichen … Schüsse dröhnen durch die Trierer Innenstadt. Von seinem Fenster in der Liebfrauenstraße aus muss Privatdetektiv Castor L. Dennings dabei zusehen, wie ein verwirrter Mann anscheinend zufällig bei einem Polizeieinsatz getötet wird. Bei dem Opfer handelt es sich um den Mitarbeiter eines Schweicher Bestattungsunternehmens, der gerade auf dem Weg in Dennings' Detektivbüro war. Was wollte der Mann bei ihm? Dennings forscht nach … In Schweich an der Mosel herrscht große Aufregung – nicht nur, weil ein amerikanischer Investor plant, den gesamten Ort in ein Outlet zu verwandeln, sondern auch, weil ein Stadtrat spurlos verschwunden ist. Der mit allen Wassern gewaschene Dennings muss wieder einmal kräftig einstecken, bevor er der Ursache all dieser merkwürdigen Vorkommisse nahekommt … gefährlich nahe!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 230

Veröffentlichungsjahr: 2025

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ansgar Sittmann

Mordsache Mosel

Vom Autor bisher bei KBV erschienen:

Ein Fünf-Sterne-Mord

Ein glasklarer Mord

Der Tote vom Hauptmarkt

Ansgar Sittmann, 1965 in Trier geboren, lebt und arbeitet seit Sommer 2013 in Berlin, nachdem er zuvor neun Jahre im Ausland tätig war. Als passionierter Leser von frankobelgischen Comics sowie Krimis aller Art gilt seine Leidenschaft dem Schreiben.

Die Verbundenheit zur Heimat ist ungebrochen, weswegen seine Hauptfigur, der Berliner Privatdetektiv Castor L. Dennings, immer wieder an der Mosel ermittelt. Mit Band 4 »Mordsache Mosel« wird die erfolgreiche Reihe bei KBV fortgeführt.

ANSGAR SITTMANN

MORDSACHE MOSEL

Originalausgabe

© 2025 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH

Am Markt 7 · DE-54576 Hillesheim · Tel. +49 65 93 - 998 96-0

[email protected] · www.kbv-verlag.de

Bei Fragen zur Produktsicherheit wenden Sie sich bitte an unsere

Herstellung: [email protected] · Tel. +49 65 93 - 998 96-0

Umschlaggestaltung: Ralf Kramp

unter Verwendung von © janmalburg - stock.adobe.com

Lektorat: Volker Maria Neumann, Köln

Druck: CPI books, Ebner & Spiegel GmbH, Ulm

Printed in Germany

ISBN 978-3-95441-722-3 (Taschenbuch)

ISBN 978-3-95441-729-2 (eBook)

Für Agnès, Anne, Daniela, Heike B., Marianne, Marina M., Patricia und natürlich Eugène, Miloud und Jimmy.

Die Zusammenarbeit und Gespräche mit euch allen bleiben immer in Erinnerung!

Ralf Kramp und Volker Neumann ein riesiges Dankeschön!

Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

1. Kapitel

»Bam! Bam! Bam!«

Es klang wie das gewaltige Röhren eines brunftigen Zehnenders, der seine Konkurrenten stimmgewaltig verscheucht. Es klang nicht wie eine männliche Stimme.

»Bam! Bam! Bam!«

War es das sechste Bam!, jetzt schon etwas aufgeregter und ungeduldiger, das meinem Nachmittagsschlaf ein endgültiges Ende bereitete, oder waren ihm noch einige vorausgegangen, die unbewusst meine Träume beeinflusst hatten? Die sechste Staffel von Game of Throneshatte ich offenkundig noch nicht verdaut. Im Traum wurde ich von untoten Wesen verfolgt, leider verfügten weder meine Browning noch meine Sig Sauer über die adäquate Munition, um der Massen Herr zu werden, und nur Hodor war es zu verdanken, dass mir ein kleiner Vorsprung eingeräumt wurde, bevor die Untoten den armen Riesen überrannten.

»Bam! Bam! Bam!«

So wie sich Hodors Wortschatz auf seinen eigenen Namen beschränkte, verzichtete der Bursche in der Fußgängerzone unter mir genauso auf völlig überwertete Satzbestandteile wie Prädikat und Objekt, vorausgesetzt bei Bam! handelte es sich um das Subjekt. Ein ärgerliches zudem, denn es hatte mich nun endgültig um den Schlaf gebracht und der Hoffnung beraubt, doch noch ohne Kopfschmerzen aufzuwachen. Sie hatten sich am frühen Morgen eingestellt, erst nur leicht. Ein verspannter Nacken nach einer Nacht, die ich hinter dem Steuer meines Mini Cooper mit Observieren verbracht hatte. Dummerweise hatte ich von einem Schmerzmittel abgesehen.

»Bam! Bam! Bam!«

Es wurde heikel. Andere Stimmen konkurrierten zunehmend mit dem penetranten Krawallmacher. Eine kreischende Frau schrie um Hilfe, ein Kind weinte, nervöse Männer riefen nach der Polizei und verpassten dem verwirrten Geist ein paar Eigennamen, von denen Arschgesicht noch einer der mildesten war.

»Bam! Bam! Bam!«

Endlich ertönte das Martinshorn. Autotüren wurden auf- und zugestoßen.

»Polizei! Nehmen Sie die Waffe runter!«

»Bam …«

Na also. Die Energie erlosch. Nur noch ein enttäuschtes Bam.

»Nehmen Sie die Waffe runter! Sofort!«

»Bitch!«

Bam und Bitch. Erinnerte mich an Sundance und Butch.

»Runter mit der Waffe!« Die Stimme des Polizisten überschlug sich. Die Lage schien zu eskalieren. Ich schwang meine Beine vom Sofa und griff nach meiner Hose, die über dem Bürostuhl hing. Es war ein heißer Junitag, und ich hatte nackt bei offenem Fenster geschlafen. Das verschwitzte Hemd lag auf dem Boden und wartete darauf, gewaschen zu werden. Ich zog es über, auch wenn mich bereits getragene Wäsche, selbst die eigene, anwiderte.

Nur drei Schritte trennten mich vom Fenster und dem denkwürdigen Spektakel in der Liebfrauenstraße am Rande von Triers belebter Fußgängerzone. Nur drei Schritte bis zum traurigen Showdown, der mich an einen ähnlichen Vorfall im Sommer 2013 in Berlin erinnerte. Damals erschoss ein überforderter Polizist einen mit Messer bewaffneten, nackten Mann im Neptunbrunnen. Das Video ging in den sozialen Netzwerken viral.

Später fragte ich mich, ob vielleicht die Nachmittagssonne die Beamten derart geblendet hatte, dass einer von ihnen die Nerven verlor.

Mit Hodor hatte der Mann keine Ähnlichkeit. Dass er neben der Spur lief, belegte nicht nur sein begrenzter Wortschatz. Seine Kleidung war genauso gewöhnungsbedürftig: Die Beine seiner groben, olivgrünen Cordhose steckten in gelben, verdreckten Gummistiefeln, ein weites graues Sweat-Shirt mit der Aufschrift Yale umhüllte seinen massigen Oberkörper. Das Gesicht war anständig gepflegt, sonnengegerbt, grauer Dreitagebart, grobschlächtig. Ein kurz geschorener, grauer Haarkranz umrahmte die leuchtend rote Glatze. Mitte, vielleicht Ende fünfzig. Die Ohren standen auffällig ab. Der Grund dafür ließ sich schnell ausmachen: Er trug auf beiden Seiten unverschämt große Hörgeräte, Kassengeräte aus der Steinzeit. Die linke Hand hatte er zu einer mächtigen Faust geballt, in der rechten hielt er eine Pistole, mit der er unentwegt herumfuchtelte.

Zwei Schritte von ihm entfernt lag ein junger Mann auf dem Boden, gestützt von seiner hysterisch schreienden Thusnelda. Er hielt sich wimmernd den Zinken, seine Unterlippe blutete. Ich konnte nur mutmaßen, dass er sich mit dem Pistolero angelegt hatte und vor seiner Freundin als todesmutiger Retter punkten wollte, um dann Bekanntschaft mit der Urgewalt der Faust des Schrats zu machen.

»Bam! Bam! Bam!«

Er hatte sich wieder gefangen, leider, und röhrte furchterregend. Dann kniff er die Augen zusammen, hob seine Waffe und richtete sie auf die Polizisten. Vielleicht wurden sie geblendet. Wer weiß.

Ich jedenfalls konnte es deutlich erkennen, zwei Stockwerke darüber: Die rote Plastikkappe am Ende des Laufs entlarvte die Waffe als Spielzeugpistole.

»Das ist ein Spielzeug!«, brüllte ich den Beamten entgegen. Zwei von ihnen schauten entgeistert in meine Richtung, der Mann in den Gummistiefeln zog irritiert eine Schnute, um dann zu einem letzten Bam auszuholen.

»Bam …«

Es erstickte sofort und wurde übertönt vom Knall einer Dienstwaffe. Er stand noch wenige Sekunden, mit aufgerissenen Augen, Blut sickerte aus der Stirn. Kopfschuss. Schließlich brach er zusammen und kippte um.

»Scheiße …«, fluchte ich und rannte ins Bad, wusch eilig mein Gesicht, zog Strümpfe und Schuhe an und verließ die Wohnung.

Binnen weniger Sekunden hatte sich eine Menschentraube gebildet, die die Beamten vergeblich aufzulösen versuchten. Der Schütze, blass wie ein Leichentuch, lehnte an der Motorhaube des Dienstwagens, seine Arme baumelten kraftlos bis zu den Knien, die Waffe noch in der Hand, auf den Boden gerichtet. Die beschäftigten Kollegen konnten sich nicht um ihn kümmern und warteten auf Verstärkung, die schon bald eintraf. Zwei Krankenwagen, eine weitere Streife und drei zivile Fahrzeuge mit Blaulicht auf dem Dach.

Einer der ersten am Tatort war mein alter Bekannter Hauptkommissar Roller, ein ehrgeiziger, junger Kriminalbeamter, der kontinuierlich die Hierarchieleiter emporkletterte. Er war mir ein bisschen zu glatt, kein Vergleich zum Pensionär Rosshaupt, der sogar unter den Berliner Ganoven einen guten Ruf genoss und den Privaten wie mir, jedenfalls den rechtschaffenen Privaten, ihren Lebensraum ließ und gelegentliche Kooperationen nicht scheute. Roller hatte da schon stärkere Berührungsängste. Der Gedanke, dass neben der Staatsgewalt andere Akteure existierten, die in der Verbrechensbekämpfung mitmischten, rief allergische Reaktionen bei ihm hervor. Immerhin hatte er sich mit meiner Existenz arrangiert. Seitdem ich Berlin den Rücken gekehrt hatte und an der Mosel ermittelte, hatte ich zur Aufklärung einiger Verbrechen beigetragen, die seine Reputation beflügelten. Die Dankbarkeit eines Beamten war unglaublich wertvoll für einen Schnüffler wie mich.

Kriminaltechnik und Ärzte erledigten routiniert ihre Arbeit, Zeugenaussagen wurden aufgenommen, der Schütze psychologisch betreut. Roller kniete neben der Leiche und durchforstete die Hosentaschen. Irgendwie musste er meine prüfenden Blicke gespürt haben. Während er eine Geldbörse aus der Gesäßtasche des Toten bugsierte, drehte er sich plötzlich in meine Richtung.

»Dennings?« Er stand auf und schaute mich ungläubig an. »Was machen Sie denn hier?«

»Ich freue mich auch, Sie zu sehen, Kommissar«, antwortete ich mit einem aufgesetzten Lächeln. Dass ein Mensch vor meinen Augen getötet wurde, gehörte nicht gerade zu meinem detektivischen Standard. »Andere Umstände wären mir natürlich lieber gewesen.«

»Das beantwortet nicht meine Frage.« Roller brauchte immer eine kurze Eingewöhnungsphase, wenn er mein Antlitz wahrnahm, und ließ erst einmal den knallharten Bullen raushängen. Der Dirty Roller aus der Mosel-Metropole. Nur ohne Magnum und ohne Clint Eastwoods angeborene Coolness.

»Stimmt. Ich wohne hier, Kommissar, und habe das Drama leider live und in Farbe mitbekommen.«

»Sie wohnen hier?«, fragte er verdutzt. »Dann bin ich nicht auf dem neuesten Stand. Hatten Sie nicht ein Haus in Wasserbillig gekauft?«

»Das ist passé«, erklärte ich wahrheitsgemäß. »Verkauft, sogar mit Gewinn. Nathalie, meine Sekretärin, Sie kennen sie doch?«

Roller lief rot an. Mit hübschen Frauen hatte er ein seltsames Problem. Er nickte.

»Nun, sie hat mir die Pistole auf die Brust gesetzt. Sie habe ja nichts gegen Landleben, für eine gewisse Zeit jedenfalls. Aber auf die Dauer falle ihr die Decke auf den Kopf, hat sie gesagt. Und außerdem hasse sie es, jeden Tag von Trier nach Wasserbillig zu fahren. So toll sei ihr Gehalt nun auch wieder nicht. Nett, was? Entweder wir verlegen das Büro nach Trier, meinte sie knallhart, oder sie kehrt nach Berlin zurück. Sie sei noch jung genug, um von Neuem anzufangen.«

»Interessant.« Roller schaute sich um. »Und jetzt wohnen Sie also hier in der Nähe?«

Ich zeigte nach oben. »Hier, im zweiten Stock, direkt über uns. Deswegen hatte ich ja quasi den Logenplatz. Bei Dennings sitzen Sie in der ersten Reihe.«

Roller grübelte und kniff die Augen zusammen. »Die Adresse sagt mir irgendwie etwas«, murmelte er.

»Wahrscheinlich«, bestätigte ich. »Ist noch gar nicht so lange her, mein Freund. Sie erinnern sich bestimmt an einen früheren Kollegen von mir, den Stinker, der so ein trauriges Ende gefunden hat.«

»Na klar, jetzt dämmert es! Hesse, oder? Erhängt in seiner eigenen Wohnung!«

»Genau der.«

»Sie wollen mir doch nicht sagen, dass Sie jetzt in Hesses alter Wohnung leben, Dennings?«

»Doch, doch. Die Lage ist optimal, und ich habe sie für Trierer Verhältnisse zu einem Schnäppchenpreis bekommen. Ich kann es mir nicht erklären, aber die Wohnung war ein Ladenhüter, vermutlich hat die Erinnerung an das Verbrechen Interessenten abgeschreckt. Sie wissen ja, wie abergläubisch manche Menschen sind. Als läge ein Fluch in den Gemäuern. Na ja, des einen Leid ist des anderen Freud oder so ähnlich.«

Roller verzog das Gesicht. »Ich weiß nicht. Schön ist der Gedanke nun wirklich nicht, dass da einer gebaumelt hat. Egal, das ist Ihr Ding. Ich habe zu tun, Dennings, kommen wir zur Sache. Sie haben also alles gesehen?«

»Nicht alles, aber das Entscheidende.« In wenigen Sätzen berichtete ich wahrheitsgemäß, was ich mitbekommen hatte. Ohne die Szene bewerten oder Partei ergreifen zu wollen, gab ich auch zu Protokoll, dass die Beamten vermutlich durch den Stand der Sonne nicht erkennen konnten, dass der arme Bursche nur eine Spielzeugwaffe trug.

»Danke, Dennings, das hilft weiter. Der Fall scheint klar. Mal sehen, was die anderen Aussagen noch bringen. Warum der Mann so aufgebracht war und einen Passanten niedergeschlagen hat. Jedenfalls hoffe ich, dass der Kollege entlastet wird. So schlimm sich das anhört, aber er hat seine Pflicht getan.«

»Ja, das hat er wohl.« Ich drehte mich schon wieder zur Haustür, als ich Roller noch um einen Gefallen bat. »Ach, Kommissar, ich würde mich freuen, wenn Sie mir bei Gelegenheit verraten könnten, wer das Opfer war und was Sie herausfinden konnten. Immerhin, das Ganze passierte unter meinem Fenster. Nicht, dass hier doch ein Fluch sein Unwesen treibt.«

Roller schüttelte den Kopf. »Sie haben Probleme, Dennings. Wie gesagt, ich habe zu tun. Lassen Sie mich meine Arbeit machen.«

Nathalie. Cherchez la femme, alter Mann. Ich hatte mir ernsthaft eingeredet, dass die Zeit reif für ein Leben auf dem Land sei, nur wenige Jahre von dem entfernt, was das Sozialgesetzbuch als Regelaltersrente bezeichnete. Es bedurfte einer jungen Frau, dass mir mehr denn je klar wurde, dass ich nicht zum Landei geboren war. Einer jungen Frau, die ich nicht verlieren wollte, obwohl sie mir nicht einmal gehörte. Seit wie vielen Jahren arbeitete sie nun für mich? In einem schwachen Moment hatte sie sich vor einigen Wochen zu einem Kuss hinreißen lassen. Sie war leicht alkoholisiert gewesen, beschwingt, und vielleicht brauchte sie an jenem Abend eine starke Schulter. Es fiel mir schwer, die Situation nicht auszunutzen, doch ich beließ es bei dem Kuss.

Vor drei Tagen überraschte sie mich mit dem Ansinnen, eine Auszeit nehmen zu wollen. Wie lange es dauern würde, konnte sie nicht präzisieren. Vielleicht ein paar Tage, vielleicht ein paar Monate. Irgendeine Familienkiste. Ich drängte nicht auf Erklärungen, hielt das Vorhaben allerdings für einen Abschied auf die englische Art.

»Wenn es sein muss. Gehst du nach Berlin?«, hatte ich sie gefragt.

Ihre Augen waren wässrig. Sie nickte: »Vorübergehend. Es muss sein. Ich möchte nicht darüber sprechen, okay, Castor?«

Damit es für keinen von uns peinlich wurde, scherzte ich nur: »Na, dann besorge ich mir eben eine Urlaubsvertretung, eine besonders hübsche.«

Nachdem sie abgereist war, schaltete ich eine Anzeige. Ordentlich proportionierte Bürokraft, 30 Jahre oder jünger, für dreimonatige Vertretung in einer Detektei gesucht. Vorkenntnisse entbehrlich, gepflegte Erscheinung wichtigstes Einstellungskriterium. Zweitausend Euro brutto. Bei Interesse kurzes Motivationsschreiben und CV (Lichtbild nicht vergessen!) per Mail an [email protected].

Na ja, nicht ganz, den Chauvi-Part ließ ich aus, die Anzeige fiel entsprechend kürzer aus.

Nachdem ich geduscht, Kaffee getrunken und zwei Zigaretten geraucht hatte, fuhr ich den PC hoch. Das Fenster hatte ich geschlossen und öffnete es erst wieder, als der Tatort freigegeben wurde und der Alltag in die Liebfrauenstraße zurückgekehrt war. Entweder würde sich Roller irgendwann tatsächlich bei mir melden oder ich würde die Hintergründe des Dramas aus der Presse erfahren. Kopfschuss. Das musste man erst einmal hinkriegen. Wenigstens ging es schnell.

Sieben Bewerbungen hatten sich doch tatsächlich in meinen Posteingang verirrt. Mit diebischer Freude öffnete ich die Anhänge. Die Anschreiben interessierten mich nicht die Bohne. Dass man eine neue, spannende Herausforderung sucht, teamfähig und kommunikativ ist und auch sonst alle Voraussetzungen erfüllt, die Erwartungen des neuen Arbeitgebers vollends zu erfüllen, steht wahrscheinlich in jeder Bewerbung. Die Wahrheit will niemand hören. Ist ja auch langweilig: Ich brauche dringend einen Job. Mein Ex zahlt keinen Unterhalt mehr, und die Stütze reicht hinten und vorne nicht. Oder: Bisher habe ich es nirgends länger ausgehalten als ein halbes Jahr. Acht Stunden Arbeit am Tag sind auch wirklich ein bisschen viel. Mein letzter Lottogewinn reichte nur für einen Kinoabend mit meiner Freundin.

Lebensläufe sind da schon aussagekräftiger. Lichtbilder in begrenztem Maß. Mit Photoshop wird selbst aus Lieschen Müller die nächste Cara Delevigne.

Lisa Klein wirkte äußerst sympathisch. Jahrgang 1993, abgebrochenes Soziologiestudium, dann Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten in Kassel. Aus privaten Gründen nach Trier gezogen, nun berufliche Neuorientierung. Interessen: Musik, Ballett, Reisen.

Ich rief sie an.

»Hallo, Frau Klein, Dennings hier. Detektei Dennings. Sie haben auf meine Annonce geantwortet.«

»Oh, das ging ja flott.« Sie klang überrascht und verunsichert. »Ehrlich gesagt konnte ich mir unter einer Detektei nichts vorstellen. Nicht so richtig jedenfalls. Aber ich fand es spannend. Deswegen.«

»Deswegen«, wiederholte ich amüsiert. »Das klingt überzeugend. Könnten wir uns zu einem Gespräch treffen, Frau Klein? Es eilt ein bisschen. Nathalie, also meine Sekretärin, musste sehr kurzfristig nach Berlin, und der Papierkram erledigt sich nicht von selbst.«

»Ja, sicher. Wann würde es Ihnen denn passen, Herr Dennings?«

»Hm, die Sonne scheint, es ist jetzt …«, ich schaute auf meine Armbanduhr, die ich eigentlich nur wegen des poppigen, gelben Zifferblatts trug, »kurz nach vier. Was halten Sie von achtzehn Uhr? Am Kornmarkt. Louisiana oder Bitburger Wirtshaus. Wo draußen Platz ist.« Sie zögerte. Vielleicht vermutete sie mittlerweile hinter der Annonce einen alten Schwerenöter, der mit einer neuen Masche auf Schürzenjagd ging. »Wundern Sie sich nicht, Frau Klein. Ich bin Privatdetektiv, keine Behörde, keine Versicherung. Bei uns läuft alles ein bisschen anders. Das ist kein Bürojob, wie Sie ihn bisher kannten.«

»Ja … natürlich, ich verstehe.« Ich hörte, wie sie tief durchatmete. »Sechs Uhr passt prima. Wie erkenne ich Sie?«

»Schwarzer Anzug, weißes Hemd, braune Schuhe. Volles, leicht ergrautes Haar. Sagen wir mal, Richard Gere für den Hausgebrauch, nur nicht so attraktiv und erfolgreich.«

Jetzt hatte ich sie. Sie lachte laut auf. »Mit der Beschreibung werde ich wohl den richtigen Herrn ansprechen. Bis um sechs, Herr Dennings.«

Die Vorfreude auf das Date entschädigte für die Leiche am Nachmittag. Der Dusche ließ ich noch eine Rasur mit frischer Klinge folgen. Seitdem immer mehr weiße Stoppeln die schwarzen verdrängten, wirkte der Dreitagebart wie ein kläglicher Versuch, dem Gesicht den Ausdruck eines Bohemiens oder virilen Seemanns zu verleihen. Dann lieber ehrlich faltig oder ein gepflegter Vollbart à la Donald Sutherland in den Tributen von Panem.

Lisa war überpünktlich und erfüllte alle Erwartungen. Sie übertraf sie sogar. Ihr schwarzes, glänzendes Haar war mittellang und glatt, hinter die Ohren gesteckt, der freche, ausgefranste Pony reichte bis zu den Augenbrauen. Vornehme Dornröschen-Blässe und ein knallroter, schmaler Mund. Die 1,70 Meter erreichte sie knapp. Wie sie die Schultern in ihrem weißen Kleid nach hinten streckte und den Kopf selbstbewusst und anmutig zugleich kerzengerade wie eine Krone auf dem langen, schlanken Hals hielt, zeugte von einem Körperbewusstsein, das Tänzern zu eigen ist. Obwohl ihr Kleid nicht über Gebühr eng anlag, schimmerte eine Traumfigur durch, gleichermaßen trainiert und weiblich. Noch bevor ich sie begrüßte, griff ich nach meinen Zigaretten und zündete eine an.

»Frau Klein?« Ich setzte ein Hollywood-reifes, gönnerhaftes Lächeln auf und streckte ihr die Hand entgegen.

»Ja. Dann sind Sie also Herr Dennings?« Sie musterte mich kurz und beantwortete ihre Frage selbst. »Schwarzer Anzug, braune Schuhe, weißes Hemd. Passt.«

»Ich hatte kurz darüber nachgedacht, einen weißen Anzug anzuziehen und ein blaues Hemd. Erst einmal inkognito auftauchen, verstehen Sie?«

Sie schürzte die Lippen. »Ich glaube, ja. Erst einmal die Ware begutachten, bevor man sich zu erkennen gibt.«

Bingo. Unfreiwillig hatte ich den Macho herausgekehrt, und das an der völlig falschen Adresse. »Ach, das war ein Spaß, Frau Klein. Kommen Sie, lassen Sie uns doch eine Kleinigkeit essen. Ich habe Hunger. Ist es Ihnen draußen zu warm?« Sie schüttelte den Kopf. »Bestens. Dann gehen wir doch gleich zum Bitburger Wirtshaus.«

Ich bestellte einen Wurstsalat mit Bratkartoffeln und einen Porz Viez, Lisa einen Caesar Salat und einen Riesling.

»Sie sind also Privatdetektiv, Herr Dennings?«

»Ja, schon eine ganze Weile. Jahrzehnte. Anfangs Polizist, dann Privatdetektiv in Berlin, jetzt in Trier, um es kurz zu machen. Und es läuft. Mal gut, also richtig gut, dann gibt es Durststrecken. Trotzdem immer noch gut genug, um mir eine Mitarbeiterin leisten zu können. Tja, und meine langjährige Mitarbeiterin, Nathalie, brauchte eine Auszeit, möglicherweise eine längere. Deswegen die Annonce. Wann könnten Sie denn anfangen, Frau Klein?«

»Na ja … eigentlich sofort, ich bin ungebunden. Aber Sie wissen doch noch gar nicht, ob ich alle Voraussetzungen erfülle.«

Ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Ihre Voraussetzungen verunsicherten mich mehr und mehr, je länger sie mir gegenübersaß. Ihr Augenaufschlag, die Art, wie sie das Besteck hielt, wie sie den Mund öffnete, wenn sie ein Blatt Salat zuführte.

»Also. Telefonieren und schreiben können Sie, oder? Die Grundrechenarten beherrschen Sie doch bestimmt auch, hm? Sie sind doch gelernte Verwaltungsfachangestellte. Die Chemie muss stimmen, Frau Klein. Es mag sich blöd anhören, aber ich neige zu schnellen Urteilen bei Menschen. Eine halbe Stunde in einer Kneipe oder in einem Restaurant an einem Tisch genügt, um einschätzen zu können, ob man mit einer Person kann oder nicht.«

Sie errötete. »Okay. Verstehe.« Verlegen trank sie einen Schluck Wein.

»Wirklich? Irgendetwas stimmt doch nicht. Na los, raus mit der Sprache!«, sagte ich grinsend.

»Ich … ich frage mich«, begann sie zaghaft, »nun, ich frage mich, ob das eine neue Masche ist.« Dann atmete sie tief durch.

Der Wurstsalat war köstlich und die Bratkartoffeln wie bei Muttern. Ich verschlang den letzten Bissen, trank mein Porz leer und wischte mir den Mund mit der Papierserviette ab. Dem Kellner signalisierte ich, dass ich einem zweiten Viez nicht abgeneigt war. Mit einem Seufzer lehnte ich mich zurück und zündete die Zigarette danach an.

»Ich bin kein Sugardaddy, wenn Sie das meinen, oder irgendetwas in der Art.«

Ihre dunkelblauen Augen fixierten mich neugierig.

»Na gut. Ich gebe Ihnen einen Tag Bedenkzeit, einverstanden? Und wenn Sie der Meinung sind, ich spiele nur den coolen Schnüffler, um einer hübschen Frau zu imponieren, dann rufen Sie einfach mal bei der Kripo Trier an und verlangen nach Kommissar Roller. Ich möchte nicht behaupten, dass er mich liebt, aber er wird Ihnen gerne bestätigen, mit wem Sie es zu tun haben.«

Lisa lächelte verschämt und nippte an ihrem Wein. »Ich denke, das muss ich nicht. Ich hätte gerne den Job.«

»Eine Frau, ein Wort! Bestens! Ein Dessert? Noch ein Glas Wein?«

»Kein Nachtisch, danke. Aber einen Riesling würde ich noch trinken.«

Kaum hatte ich bestellt, meldete sich mein Handy. Da ich mich nach einer längeren Chanson-Phase seit etwa zwei Monaten in einer Rock-Phase befand, ersetzte Get on top der Red Hot Chili Peppers den voreingestellten Klingelton, wahrscheinlich zu laut, denn ich zog sämtliche Blicke der neben uns sitzenden Gäste auf mich.

Lisa kicherte. »Die Chili Peppers«, meinte sie anerkennend.

»Das nächste Mal nehme ich die Live-Version von Wooden Ships von Stephen Stills«, antwortete ich, während ich mit dem Zeigefinger über das Display strich, um das Gespräch entgegenzunehmen. Es war Roller!

»Na, so ein Zufall! Gerade noch habe ich über Sie gesprochen!«

»Tatsächlich?«, fragte er verdutzt.

»Ja, wirklich. Was kann ich denn für Sie tun, mein Freund?«

Ich hörte, wie er genervt seufzte. Meine paternalistische Art goutierte er nicht. »Ich würde Ihnen gerne etwas zeigen, Dennings. Sind Sie in der Stadt?«

»Bitburger Wirtshaus, auf der Terrasse. Mit meiner neuen Sekretärin.«

»Ihre neue Sekretärin?« Fast klang er beunruhigt. »Und ihre alte? Ich meine, Nathalie.«

»Auszeit, auf ihren Wunsch. Kommen Sie doch vorbei und trinken Sie ein Glas mit uns«, schlug ich vor.

Roller willigte ein und murmelte etwas von einer Viertelstunde.

»Wie bestellt.« Lisa taute immer mehr auf. Ein Vorstellungsgespräch bei Speis und Trank, gewürzt mit dem aufgeregten Anruf eines Kriminalbeamten, hatte sie mit Sicherheit noch nicht erlebt. Ich quittierte ihre Anmerkung mit einem amüsierten Schulterzucken und widmete mich meinem Viez. Je länger sich der Abend hinzog, desto mehr gelüstete es mich jetzt nach einem kräftigen Rotwein. Aber vollends offenbaren wollte ich mich nun auch wieder nicht. Das alte Klischee: alternder Detektiv, Womanizer, Hang zum Alkohol, Kettenraucher.

Allmählich fasste Lisa Vertrauen, lud mich ein, sie beim Vornamen zu nennen, und erzählte begeistert von ihrer eigentlichen Berufung und Leidenschaft. Tanz und Theater. Obwohl sie nach eigener Einschätzung mit bald dreißig Jahren schon fast zu alt war, hatte sie ein kleines Engagement am Theater Trier ergattert. Und das gleich in dem Kultstück Rocky Horror Picture Show. Sie sollte die Magenta spielen. Die Proben seien im Gange, Premiere im Herbst. Genau deswegen habe sie auch nur einen Job auf Zeit gesucht, einen Brotjob, wie sie es ausdrückte, verbunden mit der Hoffnung auf flexible Arbeitszeiten. Letzteres sagte sie mit dem Blick eines scheuen Rehs.

»Na klar«, nahm ich ihr jeden Zweifel, »ich bin sehr flexibel.« Den vorbeihuschenden Kellner zupfte ich an der Schürze und bestellte einen Merlot. Ich stellte mir Lisa in einem kurzen, schwarzen Kleid und weißer Haube als Magenta vor, wie sie kess den Staubwedel schwang. Ich hatte nun definitiv einen Termin im Herbst. Unweigerlich musste ich an Sahra denken. Reckziegel, ja, was für ein altmodischer Nachname für eine attraktive Jungschauspielerin, die alle weiblichen Trümpfe perfekt auszuspielen wusste. Ihre Darbietung als Wedekinds Lulu hatte für Furore gesorgt. War ich mit der Anstellung von Lisa ab sofort auf Aktricen abonniert?

»Danke! Dann bin ich Ihre Frau … also, wenn Sie wollen.«

Ich setzte ein feierliches Gesicht auf, erhob mich würdevoll, schaute ihr tief in die Augen und bestätigte mit bebender Stimme: »Ja, ich will.«

Meine kleine Showeinlage provozierte ein unbekümmertes Lachen. An den Nebentischen nahm ich zum Teil amüsiertes, zum Teil empörtes Stirnrunzeln wahr. Die warme Abendsonne lud förmlich zu einem Terrassenbesuch ein, es herrschte jetzt Hochkonjunktur, wo Trierer und Touristen nun ihre Einkäufe in der Fußgängerzone erledigt hatten und vor dem Heimweg einkehrten, um eine kleine Mahlzeit einzunehmen oder einfach nur den Staub der Warenhäuser mit einem Bierchen, Wein oder Viez herunterzuspülen. Die Bedienungen, alle zum Glück jung und schlank, schoben sich zwischen den Tischen an großen Einkaufstüten vorbei, um die Bestellungen aufzunehmen. Eine stimulierende Tageszeit, während der Geschäfte und Einkaufspassagen ihre Kunden an die Gastronomie weiterreichten. Sie war mir die liebste, dicht gefolgt von den frühen Morgenstunden, wenn die Stadt erwachte. Jede Tageszeit hat ihren ureigenen Rhythmus, der das Verhalten der Menschen maßgeblich beeinflusst. Nur die Sonntage in der Fußgängerzone nicht, sie kennen nur öde Leere, die im grauen Herbst nahezu suizidgefährdende Ausmaße annimmt.

Lisa ließ sich zu einem dritten Glas Riesling überreden, ihre Augen fingen an zu glänzen. Roller hielt Wort und störte schon bald die aufkeimende Vertrautheit. Wahrscheinlich war es die Restjugend der Dreißiger, die ihn zu einem wohldosierten, spektakulären Auftritt verleitete. Der flotte, dunkelblaue Dienstwagen fuhr mit Blaulicht auf dem polierten Dach in den Fußgängerbereich am Kornmarkt. Wenigstens wurden wir vom Martinshorn verschont. Roller entstieg der Beifahrerseite und deutete seinem Kollegen mit einem Handzeichen, dass er in der Nähe parken sollte. Mit zusammengekniffenen Augen inspizierte er den gefüllten Terrassenbereich, bis er mein Handzeichen wahrnahm und schnellen Schrittes zu unserem Tisch kam.

»Darf ich vorstellen, Kommissar? Lisa Klein, meine neue Sekretärin.« Artig gab er ihr die Hand. »Setzen Sie sich doch, mein Freund. Trinken Sie was?«

»Äh … nein, vielen Dank, Dennings, ich bin noch im Dienst.«

»Vielleicht ein Pfefferminztee oder so?«

Lisa kicherte, Roller schüttelte genervt den Kopf und ließ sich auf den Stuhl neben mir plumpsen. Aus der Innentasche seiner schwarzen Lederjacke zog er ein Stück Papier, faltete es auf und gab es mir. Darauf kopiert war ein zerknitterter Zettel, der von einem Block einer Apotheke stammen musste, vermutlich ein Werbegeschenk. Mit krakeliger, unbeholfener Schrift waren zwei Worte in Druckbuchstaben zu entziffern: Dennings und bitche.

»Hm, das schreibt man ohne e.«

»Dennings?«, frage Roller irritiert.

»Nein, Kommissar, bitch.« Ich reichte den Zettel an Lisa weiter, die ihn aufmerksam studierte. Zu aufmerksam, für ein Schriftstück mit zwei Worten, wie ich fand. Wahrscheinlich wollte sie mit ihrem Engagement ihren neuen Arbeitgeber beeindrucken. »Bitch, also Schlampe oder so ähnlich.«

Roller zog eine Grimasse wie ein bloßgestellter Pennäler. »Ja, klar, logisch. Ich weiß schon, wie man bitch schreibt. Aber warum Ihr Name auf dem Zettel steht, das wüsste ich schon gerne.«

»Wo haben Sie ihn denn gefunden?«

Roller atmete tief durch. Er spürte, dass ich ihn auf den Arm nahm und einer Prise altersbedingter Überheblichkeit vorführte. »In der Gesäßtasche des Irren, der heute Nachmittag vor Ihrer Wohnung erschossen wurde. Weswegen wir jetzt einen traumatisierten Kollegen haben, der nur seine Pflicht erfüllen wollte. Ihm droht ein Spießrutenlauf, verdammte Scheiße.«

Fast schon hatte mich Lisas Anwesenheit das Drama vergessen lassen. Natürlich war es noch präsent, und ich erinnerte mich sehr genau, wie ich von Hodors atonalem Brunftschrei geweckt worden war. »Bitch, ja, das hat der arme Kerl im Wechsel mit Bam gebrüllt. Wirklich komisch. Und mein Name steht auf dem Zettel. Also womöglich kein Zufall, dass er sich in der Liebfrauenstraße aufhielt.«

»Mit Sicherheit kein Zufall, Dennings«, korrigierte mich Roller. »Sagt Ihnen der Name Ludwig Görgens etwas?«

Ich überlegte kurz. »Nein. Ist das der Name des Burschen?«

Roller nickte.

»Ob seine Lady ihn betrogen hat und er einen Detektiv beauftragen wollte, ihm den Beweis zu beschaffen? Das liegt nahe, oder? Jedenfalls kann ich mir nichts anderes vorstellen. Irgendwie unheimlich. Und traurig.«

Wir schwiegen uns kurz an. Lisa hielt Roller das Papier entgegen. »Behalten Sie es ruhig«, sagte er, und seine Stimmlage wechselte in den Charme-Modus, »ist ja nur eine Kopie.«

»Sagen Sie, Kommissar, wo wohnte Görgens?«