MORITH Sinja - Ralph Corvin - E-Book
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Ralph Corvin

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Beschreibung

Morith – Sinja Theo Hargrove, ein angesehener Historiker, stößt bei seinen Forschungen auf ein uraltes Geheimnis, das seine Welt ins Wanken bringt: Eine mysteriöse Steintafel zeigt König Egbert, betend vor einer mächtigen Kriegerin mit spitzen Ohren und unheimlicher Ausstrahlung. Diese Frau, die wie aus den Legenden der Elfen entsprungen scheint, birgt ein Geheimnis, das die Geschichte in einem völlig neuen Licht erscheinen lässt. Welche Rolle spielte sie in einer Zeit, in der Mythen und Realität untrennbar verbunden waren? Doch während Theo immer tiefer in das Mysterium eintaucht, reißt ihn auch die Dunkelheit seiner eigenen Vergangenheit in die Tiefe. Der Verlust seines ungeborenen Kindes hat eine Wunde hinterlassen, die nicht heilt – und seine Besessenheit von der rätselhaften Kriegerin droht, seine Ehe zu zerstören. Jennifer, seine Frau, kann nur zusehen, wie Theo sich in einem Netz aus Legenden, Wahnsinn und der Frage nach der Wahrheit verliert. Jennifer konkuriert mehr und mehr mit einer Frau die vor 1000 Jahren gelebt hat. Ist diese Kriegerin mehr als nur ein Fragment der Geschichte? Gehörte sie einer Spezies an, die verloren gegangen ist? Zwischen den Geistern der Vergangenheit und den Schatten seines eigenen Herzens kämpft Theo um Antworten – doch je näher er der Wahrheit kommt, desto mehr verschwimmen die Grenzen zwischen Mythos und Wirklichkeit. Kann er das Rätsel um die Elfenfrau lösen, ohne alles zu verlieren, was ihm noch bleibt? Als das Rätsel gelöst und die Wogen sich glätten, passiert etwas, das Theo nicht für möglich gehalten hätte. „Morith – Sinja“ führt den Leser in die tiefen Abgründe menschlicher Obsession und durch die verwobenen Mythen Englands. Ein packender Roman über verlorene Liebe, wissenschaftlichen Ehrgeiz und die zerstörerische Macht der Vergangenheit. Perfekt für Fans des ersten Romans „Morith – Verzehrende Liebe“, doch auch für sich allein eine fesselnde Reise in die dunklen Ecken der Geschichte und Psyche. Die Fortsetzung und der Abschluss der Geschichte, ist der Roman „Morith Sinja – Die Suche“

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

König Egbert

Ein neuer Anfang

Ein Hauch von Vergessenem

Zweifel und Zuversicht

Geschichten aus der Dunkelheit

Die Party

Zweifel und Geschichten

Dunkle Wolken

Ein Hauch der Wahrheit

Zerbrochene Träume

Vergessene Wahrheiten

Schatten über Hunterswood

Der Ruf des Waldes

Ein Name aus der Vergangenheit

Schatten und Gefühle

Dunkle Funde und gebrochene Herzen

Zerbrechende Träume

Verloren in der Vergangenheit

Zwischen Sehnsucht und Realität

Zwischen Fiktion und Wahrheit

Der Preis der Wahrheit

Im Sog der Vergangenheit

Geheimnisse im Schatten des Waldes

Vorbereitungen im Schatten

Die Geheimnisse von Hunterswood

Die Stimmen der Vergangenheit

Der Abstieg in die Dunkelheit

Die Entscheidung

Im Schatten der Wahrheit

Das Geheimnis in einem Taschentuch

Verlorene Wege

Hoffnung und Schatten

Zeichen aus der Vergangenheit

Der Sturm vor dem Licht

Sinja

Fünf Jahre

Die Wahrheit, die im Verborgenen lag

Impressum

Prolog

Die späte Nachmittagssonne ergoss sich in warmen Strahlen über das kleine Reihenhaus in der Saxon Way, Saffron Walden. Jennifer Hargrove schloss die Haustür leise hinter sich, während sie die schwere Last des vergangenen Tages von ihren Schultern schüttelte. Ihre Gedanken waren noch bei ihren Schülern, den unaufhörlichen Fragen und Aufgaben, doch in ihrem Inneren pochte etwas anderes, etwas Dunkleres, das sich nicht so leicht abschütteln ließ.

Theo, ihr Mann, blickte von seinem Platz am Küchentisch auf, als sie den Flur betrat. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, doch sie konnte die Anspannung in seinen Augen sehen. Er stand auf, kam auf sie zu und zog sie sanft in seine Arme. „Alles in Ordnung?“, fragte er leise, seine Stimme sanft wie eine Feder.

Jennifer nickte, drückte ihn fester. „Es war ein langer Tag. Aber ich freue mich auf heute Abend. Es wird gut sein, Sarah und Ollie zu sehen.“

Theo trat einen Schritt zurück, seine Hände immer noch auf ihren Schultern ruhend. „Ja, das wird es. Wir könnten etwas Ablenkung gebrauchen.“

Sie wussten beide, was er meinte. Der Schmerz war noch frisch, kaum drei Monate alt, und die Wunde ihres Verlustes schien manchmal unerträglich. Aber sie versuchten, sich gegenseitig zu stützen, so gut es ging.

„Ich sollte das Essen vorbereiten“, sagte Jennifer und zwang sich zu einem Lächeln, das fast echt wirkte. „Du weißt, wie wählerisch Ollie ist.“

„Lass mich dir helfen“, bot Theo an und folgte ihr in die Küche. Dort hatten sie bereits die Zutaten für das Abendessen vorbereitet: ein duftender Lammbraten mit frischen Kräutern, gerösteten Kartoffeln und einer reichhaltigen Rotweinsauce, die sanft auf dem Herd vor sich hin köchelte.

„Wenn du die Salate machst, kümmere ich mich um den Rest“, sagte Jennifer und begann, die Sauce abzuschmecken. Für einen Moment schien alles wie früher: das gemeinsame Lachen, die fließenden Bewegungen, mit denen sie sich in der kleinen Küche umeinander bewegten. Sie wollte sich an diesen Moment klammern, ihn festhalten, als könnte er all den Schmerz vertreiben.

Etwa eine Stunde später klingelte es an der Tür, und Theo sprang auf, um zu öffnen. „Ich wette, das ist Ollie. Immer pünktlich, der Gute“, sagte er scherzhaft.

Ollie Bennet, Theos Schwager und Streifenpolizist, stand grinsend im Türrahmen. Seine Frau Sarah folgte ihm, ihre Augen strahlten vor Vorfreude. „Na, Professor Hargrove!“, rief Ollie mit einem spöttischen Grinsen. „Hast du heute wieder ein paar verstaubte Bücher gewälzt und längst verstorbene Könige ausgegraben?“

Theo schmunzelte. „Ja, heute ging es um die Angelsachsen. Es ist faszinierend, wie sehr ihre Geschichten unser heutiges England geprägt haben.“

„Oh ja, total faszinierend“, sagte Ollie augenzwinkernd. „Vor allem, wenn man bedenkt, wie du gemütlich in deinem Ledersessel sitzt, während ich da draußen Kriminelle jage.“

Sarah verdrehte die Augen und gab Ollie einen leichten Stoß in die Seite. „Ollie, sei nicht so dramatisch. Nicht jeder muss den Helden spielen.“

Jennifer trat vor, um Sarah zu umarmen, und für einen Moment hielt sie die Schwester etwas länger fest als gewöhnlich. Sarah schien das zu spüren, denn sie zog Jennifer sanft beiseite und hielt ihre Hand. „Wie geht es dir, Jen?“, fragte sie leise, Mitgefühl in ihrer Stimme.

„Es geht“, flüsterte Jennifer und zwang sich zu einem Lächeln. „Ich bin froh, dass ihr hier seid.“

„Wir auch“, antwortete Sarah und umarmte sie noch einmal.

Während die beiden Frauen sich in die Küche zurückzogen, folgte Theo Ollie ins Wohnzimmer. „Und, wie läuft es bei dir auf Streife? Hast du wieder jemanden verhaftet?“, fragte Theo scherzhaft.

Ollie warf sich in einen Sessel und breitete die Arme aus. „Na klar! Die Straßen sind sicherer, solange ich unterwegs bin. Heute Morgen haben wir einen Dieb erwischt, der aus dem örtlichen Supermarkt ein Dutzend Dosen Bohnen gestohlen hat. Wahrscheinlich wollte er einen persönlichen Rekord aufstellen.“

Theo schmunzelte, während er sich ihm gegenübersetzte. „Ein echter Supercop. Vielleicht solltest du darüber nachdenken, die Verbrechensrate durch Bohnenklau noch weiter zu senken.“

„Hey, unterschätz das nicht!“, entgegnete Ollie. „Die Leute da draußen haben keinen Respekt mehr vor dem Gesetz. Es ist ein harter Job.“

„Das glaube ich dir“, sagte Theo. „Aber ich bevorzuge es, mich in Geschichten zu vertiefen, die mehrere Jahrhunderte alt sind. Das ist zwar nicht ganz so heldenhaft wie dein Alltag, aber es hat auch seinen Reiz.“

Ollie nickte, aber seine Gedanken schienen bereits woanders zu sein. Theo wusste, dass Ollie die historischen Themen oft langweilig fand. Er wollte nett sein, aber das Interesse war nicht echt. „Naja, solange du glücklich bist, Theo“, sagte Ollie schließlich. „Jeder braucht eben seine Berufung.“

Theo lächelte schwach. „Ja, da hast du wohl recht.“ „Weißt du, Theo“, begann Ollie mit einem breiten Grinsen, „gestern hatten wir eine echte Verfolgungsjagd. Da war dieser Typ, total durchgeknallt, der versuchte, in einem alten Ford Fiesta mit mir und meiner Partnerin davonzufahren. Glaub mir, das war wie in einem Actionfilm. Reifen quietschen, Blaulicht, der ganze Kram. Und am Ende haben wir ihn tatsächlich in einer Sackgasse erwischt. Der Kerl war total baff, als er merkte, dass er nirgendwo mehr hin konnte.“

Theo hob eine Augenbraue. „Und was hatte er verbrochen? Banküberfall? Drogenhandel?“

Ollie lachte und schüttelte den Kopf. „Nein, nichts dergleichen. Er hatte keinen Führerschein und Angst vor einer Kontrolle. Ziemlich unspektakulär, wenn du mich fragst. Aber hey, das Adrenalin war echt. Meine Kollegin und ich hatten später Mühe, uns das Lachen zu verkneifen. Du solltest mal die Gesichter der Leute sehen, wenn sie denken, sie wären der nächste große Gangsterboss und dann stellt sich heraus, dass sie nur vergessen haben, die Versicherung zu zahlen.“

Theo grinste, während Ollie sich auf dem Sessel zurücklehnte. „Und dann war da letzte Woche dieser Typ, der mitten in der Nacht mit einem Staubsauger auf der Straße rumlief. Als ich ihn gefragt habe, was er da macht, meinte er, er müsste dringend seine Wohnung sauber machen und habe keinen Strom mehr. Also hat er sich einfach an die Straßenlaterne gehängt. Ehrlich, manchmal frage ich mich, ob die Leute das alles aus einem schlechten Drehbuch abschreiben.“

Er machte eine kurze Pause, dann wurde sein Tonfall ernster. „Und trotzdem beschwert sich die Gewerkschaft. Zu viele Überstunden, zu wenig Personal. Ich meine, klar, das sind ernste Themen, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass die da oben einfach nicht kapieren, wie es auf der Straße wirklich zugeht. Stattdessen gibt es immer neue Vorschriften, mehr Papierkram, und am Ende sitzen wir nachts um drei da und versuchen, Berichte über Staubsaugerdiebstähle zu schreiben.“

Theo konnte ein Lachen nicht unterdrücken. „Hast du jemals daran gedacht, diese Geschichten aufzuschreiben? Vielleicht wird daraus der nächste Bestseller: ‚Die Abenteuer von Supercop Ollie‘.“

Ollie hob die Hände. „Ach, ich weiß nicht. Wer will schon die Wahrheit hören? Die Leute wollen doch nur Action und Helden. Die Realität ist ihnen viel zu langweilig.“

Die Atmosphäre im Wohnzimmer war gemütlich, erfüllt vom Duft des Lammbratens und dem leisen Klingen von Besteck auf Porzellan. Theo schenkte den Wein nach, und für einen Moment war alles in Ordnung – fast so, als wäre nichts geschehen.

Doch die Schatten der Vergangenheit waren niemals weit entfernt. Sie lauerten in den Ecken, in den stillen Momenten zwischen den Gesprächen, wo Gedanken und Blicke zu den unausgesprochenen Schmerzen zurückkehrten.

„Es muss schön sein, wieder etwas Normalität zu haben“, sagte Sarah vorsichtig, während sie Jennifer einen weichen Blick zuwarf. „Das gemeinsame Abendessen, das Zusammensein.“

Jennifer nickte und hielt inne, bevor sie antwortete. „Ja, es ist gut, wieder ein bisschen Routine zu haben. Manchmal fühlt sich alles... so unwirklich an.“

Ollie, der sonst so laute und selbstsichere Polizist, wurde stiller, als er bemerkte, wie Jennifer sich an ihren Weinglasrand klammerte. Seine Augen huschten zu Theo, der ebenfalls still geworden war und ins Leere starrte. „Es tut mir leid, Jen, Theo... Wir haben euch lange nicht gesehen. Wie... Wie geht es euch jetzt?“

Theo holte tief Luft, als wollte er etwas sagen, doch es war Jennifer, die schließlich sprach. „Es ist... schwer. Es war nur fünf Wochen, aber es hat sich so echt angefühlt. So viel Hoffnung und Vorfreude. Und dann... einfach weg.“ Ihre Stimme brach fast, doch sie fing sich. „Manchmal wache ich morgens auf und denke, ich hätte es geträumt, aber dann merke ich...“ Sie schüttelte leicht den Kopf, unfähig, den Satz zu beenden.

Sarahs Augen füllten sich mit Tränen, und sie legte eine Hand auf Jennifers Arm. „Es ist in Ordnung, darüber zu sprechen. Es war ein Kind, euer Kind, egal wie weit die Schwangerschaft fortgeschritten war.“

Jennifer nickte stumm, und für einen Moment war die einzige Antwort das stille Flackern der Kerzen auf dem Tisch. Schließlich fragte Sarah vorsichtig: „Wisst ihr denn, was passiert ist? Haben die Ärzte etwas gesagt?“

Jennifer seufzte und stellte ihr Glas ab, als hätte es plötzlich an Gewicht gewonnen. „Die Ärzte sagten, dass mein Körper die Schwangerschaft abgestoßen hat. Sie vermuten eine immunologische Reaktion – dass mein Körper das Baby als etwas Fremdes angesehen hat. Aber sie wissen es nicht genau. Es könnte viele Gründe geben, und vielleicht...“ Sie stockte, suchte nach Worten. „Vielleicht finden wir es nie heraus.“

Ollie schnaubte frustriert. „Das ist doch Mist. Es muss doch eine Lösung geben, oder? Irgendeine Therapie oder ein Medikament?“

Theo legte eine Hand auf Jennifers Schulter. „Es gibt Untersuchungen und Behandlungen, aber es ist alles noch so unsicher. Es ist, als würden wir im Dunkeln tappen. Und die Ärzte sagen, dass es auch einfach Pech gewesen sein könnte.“

Sarah zog Jennifer in eine Umarmung, und die beiden Frauen hielten sich einen Moment lang fest. „Ihr seid so stark“, sagte Sarah leise. „Es ist so ungerecht, was passiert ist, aber ihr gebt nicht auf. Ihr haltet zusammen, und das ist das Wichtigste.“

Jennifer schniefte leicht und löste sich aus der Umarmung. „Wir versuchen es. Wir beide... Wir wünschen uns so sehr ein Kind. Es wäre wie ein neuer Anfang, etwas, das uns zeigt, dass wir das gemeinsam schaffen können.“

„Und das werdet ihr“, sagte Ollie entschlossen. „Ich weiß, ich rede vielleicht manchmal zu viel Mist, aber ich glaube daran, dass ihr das schafft. Ihr beide seid die stärksten Menschen, die ich kenne. Ihr habt schon so viel durchgemacht, und trotzdem seid ihr hier, zusammen. Das bedeutet etwas.“

Theo lächelte schwach. „Danke, Ollie. Es ist nur...“ Er hielt inne, unsicher, wie er die Worte finden sollte. „Es ist schwer, weiterzumachen, wenn man immer das Gefühl hat, dass etwas fehlt. Als ob ein Teil von uns...“ Er suchte nach den richtigen Worten und gab schließlich auf, den Satz zu beenden.

„Ich weiß“, sagte Sarah und sah ihren Mann an. „Aber ihr seid nicht allein. Wir sind für euch da, egal was passiert. Ihr könnt immer auf uns zählen.“

„Und das meine ich auch so“, fügte Ollie hinzu und versuchte ein aufmunterndes Lächeln. „Und wenn es irgendeinen Mistkerl gibt, der euch in irgendeiner Weise wehtun will, dann kriegt er es mit mir zu tun, verstanden?“ Er versuchte, scherzhaft zu klingen, aber die Wärme in seinen Augen verriet die echte Sorge.

Jennifer lachte kurz, ein leises, erschöpftes Lachen. „Danke, Ollie. Es ist gut zu wissen, dass du uns beschützt.“

„Immer“, sagte Ollie mit einem festen Nicken. „Supercop Ollie ist zur Stelle.“

Für einen Moment entspannte sich die Atmosphäre. Das Gespräch nahm eine leichtere Wendung, und das Lachen kehrte langsam zurück. Sie sprachen über alte Erinnerungen, über Sarahs anstehendes Projekt im Krankenhaus und über Theos neueste Vorlesung über die Historie Englands.

„Die haben wahrscheinlich gedacht, du wärst verrückt geworden“, neckte Ollie. „Aber ernsthaft, Theo – du solltest mal ein Buch schreiben. Über diese ganzen Geschichten.“

„Vielleicht tue ich das ja irgendwann“, sagte Theo nachdenklich. „Aber im Moment... im Moment bin ich einfach froh, dass ich euch habe.“

Jennifer sah ihn an, und in ihrem Blick lag mehr als nur Liebe. Es war Dankbarkeit, dass sie, trotz allem, trotz all des Schmerzes, diesen Moment teilen konnten. Zusammen.

„Wir schaffen das“, flüsterte sie und drückte seine Hand. „Egal, was passiert.“

„Ja“, sagte Theo, während er ihr Lächeln erwiderte. „Egal, was passiert.“

König Egbert

Cambridge zeigte sich von seiner besten Seite, die altehrwürdigen Gebäude leuchteten im warmen Licht der frühen Vormittagssonne. Theo Hargrove schritt durch die gepflasterten Straßen, vorbei an den majestätischen Fassaden der Colleges, die wie stumme Zeugen der Geschichte über ihn wachten. Die Universität war sein zweites Zuhause, ein Ort, an dem er die Vergangenheit erkunden konnte, fernab von den Sorgen, die ihn in Saffron Walden belasteten.

Er betrat das Historische Institut, ein imposantes Gebäude, das den Geist vergangener Epochen in sich zu tragen schien. Theo fühlte sich immer wieder aufs Neue inspiriert, wenn er die breiten Treppen hinaufstieg, vorbei an Gemälden großer Historiker und den Vitrinen mit antiken Exponaten.

Oben angekommen, erblickte er Fiona Smith, die gerade aus ihrem Büro trat. Die junge Historikerin wirkte wie immer konzentriert, ihre dunklen Haare zu einem strengen Zopf zurückgebunden, und ihre Augen leuchteten auf, als sie ihn sah. „Theo! Gut, dich zu sehen. Ich habe gerade etwas Faszinierendes erfahren.“

„Fiona“, sagte Theo lächelnd und blieb stehen. „Was gibt’s Neues?“

„Ein Kollege aus den USA hat in einer privaten Sammlung einige Manuskripte entdeckt, die bisher unbekannt waren“, begann sie aufgeregt. „Sie stammen aus dem 9. Jahrhundert und könnten Details über die Rolle der Frauen am Hof von König Egbert enthalten. Stell dir vor – vielleicht sogar Hinweise auf Frauen, die Einfluss auf politische Entscheidungen genommen haben.“

Theo zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Das wäre eine Sensation. Egbert wird oft als der Vater des vereinten Englands dargestellt, aber über die Frauen in seinem Umfeld wissen wir kaum etwas. Wer hat die Manuskripte gefunden?“

„Ein gewisser Professor Henderson aus Berkeley. Er ist nächste Woche hier für eine Konferenz und will sie mitbringen. Vielleicht dürfen wir einen Blick darauf werfen.“

Theo nickte begeistert. „Das wäre großartig. Wer weiß, vielleicht entdecken wir etwas völlig Neues über Egberts Familie und die Machtstrukturen an seinem Hof.“

„Genau das hoffe ich auch“, sagte Fiona mit einem Lächeln. „Wir könnten endlich mehr über die Frauen hinter dem Thron erfahren. Vielleicht hatten sie mehr Einfluss, als wir denken.“

„Das wäre revolutionär“, erwiderte Theo. „Ich freue mich schon darauf.“

Nach einem kurzen Gespräch verabschiedete er sich von Fiona und machte sich auf den Weg in den kleinen Vorlesungssaal, in dem er seine heutige Vorlesung halten würde. Wie immer war der Raum nur spärlich besetzt, etwa zehn Studenten verteilten sich ungleichmäßig auf den Stühlen. Theo setzte sich auf die vordere Tischkante, schlug sein Notizbuch auf und lächelte in die Runde.

„Guten Morgen! Heute sprechen wir über eine faszinierende Persönlichkeit des frühen Mittelalters: König Egbert von Wessex, der als erster wahre König von England gilt. Egbert war ein Mann mit Visionen, der es schaffte, mehrere Königreiche zu vereinen und die Grundlage für das spätere Königreich England zu legen.“

Er ließ seinen Blick über die Gesichter der Studenten schweifen und setzte dann fort: „Egbert kam 802 an die Macht, nach einer Zeit des politischen Chaos und der Unsicherheit. Er war gezwungen, aus dem Exil zurückzukehren, nachdem er von König Offa von Mercia, einem seiner mächtigsten Feinde, vertrieben worden war. Als er zurückkehrte, begann er sofort, seine Macht zu festigen. Durch strategische Heiraten und geschickte Bündnisse erlangte er die Kontrolle über die südlichen Königreiche.“

Theo stand auf, ging ein paar Schritte vor dem Pult auf und ab. „Einer seiner größten Erfolge war die Schlacht von Ellendun im Jahr 825, in der er das Königreich Wessex von der Vorherrschaft Mercia befreite. Diese Schlacht war entscheidend, denn sie markierte den Beginn der angelsächsischen Eroberungen, die später zur Vereinigung Englands führten.“

Ein Student hob die Hand. „Wie hat er es geschafft, so viele Königreiche unter seiner Herrschaft zu vereinen? War es nur durch militärische Macht?“

„Das ist eine gute Frage“, antwortete Theo. „Natürlich spielte militärische Stärke eine wichtige Rolle, aber Egbert war auch ein geschickter Diplomat. Er schloss strategische Bündnisse, ließ seine Kinder in bedeutende Familien einheiraten und nutzte jede Gelegenheit, um seine Herrschaft zu legitimieren. Ein Beispiel dafür ist die Krönung seines Enkels Alfred zum König – ein symbolischer Akt, der die Kontinuität und Stabilität seiner Dynastie zeigte.“

Ein weiterer Student meldete sich, ein junger Mann mit einer lässigen Haltung und einem verschmitzten Grinsen. „Und was ist mit den Frauen an seinem Hof? Waren die nur Deko oder hatten die auch was zu sagen?“

Theo zog die Augenbrauen zusammen. „Ich würde nicht sagen, dass sie nur ‚Deko‘ waren. Frauen spielten eine wichtige Rolle, auch wenn ihre Beiträge oft in den Quellen vernachlässigt werden. Gerade bei diplomatischen Verbindungen oder in der Erziehung der nächsten Generation hatten sie erheblichen Einfluss. Wir wissen, dass Egberts Frau, Redburga, möglicherweise eine Nichte Karls des Großen war. Ihre Verbindung zum fränkischen Hof war sicherlich ein Vorteil für Egberts politische Ambitionen.“

Eine junge Frau am Ende des Raumes meldete sich und stellte mit naiver Begeisterung eine Frage: „Hat König Egbert nicht auch mal gegen Drachen gekämpft? Ich habe das irgendwo gelesen.“

Theo schmunzelte, konnte ein leichtes Augenrollen nicht unterdrücken. „Nein, keine Drachen. Aber es gibt viele Legenden über übernatürliche Kreaturen in der angelsächsischen Folklore. Drachen, Riesen, Kobolde – das alles gehört zur mythologischen Landschaft dieser Zeit.“

Ein anderer Student, ein großgewachsener Kerl mit abfälligem Grinsen, lachte leise. „Klingt wie ein billiger Fantasy-Roman. Was kommt als nächstes? Hat Egbert einen Zauberstab geschwungen?“

Theo blieb ruhig, aber seine Stimme wurde fester. „Geschichte ist mehr als nur trockene Fakten. Diese Geschichten und Legenden waren für die Menschen damals real. Sie halfen ihnen, die Welt um sich herum zu verstehen. Und es ist wichtig, diese kulturellen Kontexte zu respektieren, auch wenn sie uns heute fremd erscheinen.“

Der Student zuckte mit den Schultern, doch Theo ließ ihn nicht aus den Augen, bis er den Blick senkte. Dann fuhr er fort: „Der 8. Jahrhundert war eine Zeit des Wandels. Der christliche Glaube begann, in England Fuß zu fassen, aber viele Menschen hielten noch an alten Überzeugungen fest. Sie glaubten an Geister, Dämonen und übernatürliche Kräfte, die das tägliche Leben beeinflussten. Diese Vorstellungen waren tief in ihrer Kultur verankert, und es dauerte Jahrhunderte, bis der christliche Glaube die alten Glaubenssysteme vollständig verdrängte.“

Patrick, ein neugieriger Student mit irischen Wurzeln, hob die Hand. „Professor, ich habe gehört, dass König Egbert bei seiner großen Schlacht gegen die Wikinger Hilfe von Dämonen hatte. Meine Oma hat mir das erzählt. Wissen Sie etwas darüber?“

Theo lachte. „Ich fürchte, das ist mir neu, Patrick. Dämonen sind mir in den historischen Quellen bisher nicht begegnet, zumindest nicht in der Form, wie wir sie uns heute vorstellen. Aber ich kann verstehen, warum solche Geschichten entstehen. Die Wikinger waren gefürchtete Krieger, und die Vorstellung, dass man übernatürliche Hilfe brauchte, um sie zu besiegen, könnte eine Erklärung dafür sein, warum Egbert so erfolgreich war.“

Er sah, wie Patricks Gesicht vor Enttäuschung fiel, und fügte schnell hinzu: „Aber die irische Mythologie ist reich an solchen Erzählungen. Kobolde, Feen und Dämonen spielen dort eine große Rolle. Die Iren haben ein Talent dafür, Geschichte und Fantasie zu verbinden, um lebendige Geschichten zu schaffen. Vielleicht hat deine Oma dir eine dieser Geschichten erzählt, um den Sieg von Egbert noch beeindruckender erscheinen zu lassen.“

Patrick lächelte leicht. „Ja, das könnte sein. Sie hat immer gesagt, dass die Iren besser Geschichten erzählen können als jeder andere.“

„Und damit hat sie wahrscheinlich recht“, sagte Theo mit einem Schmunzeln. „Geschichten sind mächtig. Sie formen unser Bild von der Vergangenheit und zeigen uns, wie die Menschen damals ihre Welt verstanden haben. Und wer weiß, vielleicht steckt in jeder Legende ein Körnchen Wahrheit.“

Nachdem die Vorlesung zu Ende war, verließen die Studenten den Saal, und Theo blieb zurück, nachdenklich über die Worte, die er gesprochen hatte. Es war nicht immer leicht, Geschichte lebendig zu halten, aber genau das war seine Aufgabe. Er wollte seine Studenten inspirieren, die Welt mit anderen Augen zu sehen, die Vergangenheit zu verstehen und sie mit der Gegenwart zu verbinden.

Als er den Saal verließ, sah er Fiona und Professor Marcus Shaw am Ende des Gangs stehen. Marcus, ein hochgewachsener, grauhaariger Mann mit scharfen Augen, musterte ihn neugierig.

„Na, wie war die Vorlesung?“, fragte er trocken.

„Ganz gut“, antwortete Theo. „Ein paar gute Fragen, und ein paar weniger gute. Patrick hat nach Dämonen gefragt, die Egbert in der Schlacht geholfen haben sollen.“

Fiona lachte. „Die Iren und ihre Mythen. Das erinnert mich an eine Vorlesung, die ich mal in Dublin gehalten habe. Jemand fragte, ob St. Patrick wirklich die Schlangen aus Irland vertrieben hat.“

Marcus grinste schief. „Ich hoffe, du hast ihm gesagt, dass die Schlangen nie wirklich da waren.“

Marcus lehnte sich mit einem nachdenklichen Ausdruck an die Wand des Korridors, die Hände in den Taschen seines Tweed-Sakkos vergraben. „Ich kann mir vorstellen, dass es frustrierend ist, Theo. König Egbert ist eine faszinierende Figur, aber die meisten Studenten interessieren sich mehr für das Spektakuläre als für die politischen Feinheiten seiner Herrschaft.“

„Genau das ist das Problem“, seufzte Theo. „Man erzählt ihnen von Egberts diplomatischem Geschick, wie er die Machtbalance zwischen Wessex und Mercia gemeistert hat, und sie gähnen förmlich. Aber sobald ich anfange, über Legenden, Dämonen oder Geister zu sprechen, werden sie alle hellwach. Vielleicht sollte ich ihnen einfach Dan Brown vorlesen, das wäre wahrscheinlich spannender für sie.“

Fiona lachte leise. „Na, wenn du deine Vorlesungen mit ‚Der Da Vinci Code‘ füllst, hast du bestimmt volle Hörsäle. Aber im Ernst, Theo – vielleicht kannst du beide Ansätze kombinieren? Die historischen Fakten mit den Legenden verweben, so wie du es vorhin gemacht hast. Das macht die Geschichte lebendig.“

Theo schüttelte den Kopf. „Das ist das, was mich ärgert. Es sollte doch reichen, die Wahrheit zu erzählen. Aber sie wollen Geschichten von Dämonen und Geheimgesellschaften. Als ob die Realität nicht faszinierend genug wäre.“

„Geschichte ist faszinierend“, sagte Marcus langsam. „Aber sie braucht ein Publikum, das zuhören will. Und wenn es Mythen und Legenden sind, die sie packen – dann nutze das. Egberts Familie ist doch voll von Stoff für Geschichten. Was ist mit den Intrigen um seine Söhne oder den Einfluss der Kirche? Du kannst das alles ein wenig... sagen wir, dramatisieren.“

Theo nickte widerwillig. „Vielleicht habt ihr recht. Ich muss nur einen Weg finden, es interessanter zu machen, ohne die wissenschaftliche Integrität zu verlieren. Aber im Moment fühlt es sich an, als würde ich nur gegen Windmühlen kämpfen.“

„Du bist ein großartiger Geschichtenerzähler, Theo“, ermutigte Fiona ihn. „Vielleicht ist das der Schlüssel. Die Geschichte selbst ist schon eine fesselnde Erzählung – du musst sie nur auf die richtige Weise präsentieren.“

„Ja, vielleicht“, murmelte Theo. „Vielleicht ist es das.“

Nach einem kurzen Abschied machte sich Theo auf den Weg zurück nach Saffron Walden. Als er zu Hause ankam, hörte er schon, dass Jennifer Gäste hatte. Lachen und angeregte Gespräche erfüllten das Wohnzimmer. Er trat ein und sah Jennifer zusammen mit zwei ihrer Freundinnen auf dem Sofa sitzen. Sarah, Jennifers Schwester, saß auf dem Sessel daneben und wedelte gerade enthusiastisch mit einem Weinglas.

„Hey, Theo!“, rief sie und winkte ihm zu. „Wir reden gerade darüber, wie lächerlich die neuesten Modetrends sind. Hast du eine Meinung dazu?“

Theo lächelte und hob abwehrend die Hände. „Ich glaube, ich passe lieber. Mode ist nicht gerade mein Spezialgebiet.“

Jennifer lächelte ihn liebevoll an. „Das hast du verpasst, Theo. Wir haben auch schon die besten Tipps für die Hautpflege im Winter durchgekaut. Bist du sicher, dass du nicht etwas beitragen möchtest?“

„Absolut sicher“, erwiderte Theo lachend. „Ich überlasse das Feld euch. Ihr scheint das gut im Griff zu haben.“

Er zwinkerte seiner Frau zu und zog sich ins Arbeitszimmer zurück, wo der vertraute Geruch von Büchern und alten Papieren ihn sofort beruhigte. Er setzte sich an seinen Computer, loggte sich in das Archiv der Universitätsbibliothek ein und begann, die Datenbanken nach neuen Informationen über die Herrschaft und die Dynastie von König Egbert zu durchforsten.

„Was hat Egbert nach der Schlacht von Ellendun erreicht?“, murmelte er vor sich hin, während er durch die alten Dokumente scrollte. „Wie hat er die Thronfolge gesichert?“

Er stieß auf eine Liste von Nachfolgern, aber es war wie ein kompliziertes Netz aus Verwandtschaftsverhältnissen und politischen Bündnissen. Egberts Sohn Æthelwulf war ihm auf den Thron gefolgt, aber es war die Art und Weise, wie Æthelwulf das Reich verwaltet hatte, die ihn faszinierte. Theo machte sich Notizen:

Æthelwulf von Wessex: Regierte nach Egberts Tod und setzte dessen Politik der Vereinigung und Expansion fort. Trotz häufiger Angriffe der Wikinger gelang es ihm, Wessex als eine der stärksten Mächte im südlichen England zu etablieren.

Heirat mit Osburga: Die Heirat mit Osburga, einer Frau aus einer bedeutenden sächsischen Familie, stärkte seine Position. Sie war die Mutter von Alfred dem Großen, der später als einer der bedeutendsten Könige Englands in die Geschichte einging.

Reise nach Rom: Æthelwulfs berühmte Reise nach Rom mit seinem Sohn Alfred im Jahr 855 zeigte seine enge Verbindung zur Kirche. Diese Pilgerreise war nicht nur ein religiöser Akt, sondern diente auch dazu, seine Autorität in England zu festigen.

Erbschaftskrise: Nach seiner Rückkehr kam es zu einer Erbfolgekrise, als sein ältester Sohn Æthelbald versuchte, die Macht zu übernehmen. Æthelwulf entschied sich, das Reich zu teilen, um Konflikte zu vermeiden.

Theo lehnte sich zurück und massierte sich die Schläfen. Die Komplexität dieser Familienverhältnisse war faszinierend, aber auch ermüdend. Er versuchte, sich vorzustellen, wie er das alles seinen Studenten erklären könnte, ohne dass sie einschliefen.

„Vielleicht sollte ich wirklich ein bisschen mehr Drama einbauen“, murmelte er vor sich hin. „Die Machtkämpfe, die Verrätereien – das ist Stoff für eine Seifenoper, wenn man es richtig erzählt.“

Seine Gedanken wanderten zu dem, was Fiona gesagt hatte. Geschichten, die die Menschen fesselten, die sie zum Zuhören brachten. Er erinnerte sich daran, wie seine Studenten auf die Erwähnung von Dämonen und alten Legenden reagiert hatten. Vielleicht konnte er die historische Realität mit diesen Erzählungen verweben, ohne dabei den wissenschaftlichen Anspruch zu verlieren.

„Die Wikingerkriege, die Rolle der Kirche, die Machtspiele innerhalb der Familie...“ Er tippte sich mit dem Stift an die Lippen. „Es gibt genug Drama, um eine ganze Vorlesungsreihe zu füllen.“

Sein Blick wanderte zurück zum Bildschirm, und er vertiefte sich wieder in die Texte, blätterte durch alte Chroniken und las die Kommentare moderner Historiker. Wie sollte er all das in etwas verwandeln, das seine Studenten wirklich fesselte? Vielleicht musste er anfangen, das, was er selbst liebte – die tiefen, verborgenen Geschichten der Vergangenheit – auf eine Art zu erzählen, die auch die Fantasie seiner Zuhörer anregte.

In Gedanken versunken, griff er nach seiner Kaffeetasse, nur um festzustellen, dass sie leer war. Er seufzte, erhob sich und ging in die Küche, wo das Gespräch der Frauen immer noch in vollem Gange war.

„Wirklich, Jennifer“, hörte er eine der Freundinnen sagen. „Vielleicht ist es einfach das falsche Timing. Aber es ist schön, dass ihr es trotzdem versucht.“

Jennifer schwieg, und Theo verspürte einen Anflug von Schuld, dass er sie mit diesem Gespräch allein ließ. Doch sie hatte ihm versichert, dass sie das allein durchstehen wollte. Er zog sich wieder zurück und setzte sich vor den Bildschirm. Egbert und seine Nachfolger warteten auf ihn. Es war eine Geschichte, die er erzählen musste – aber auf eine Weise, die alle hören wollten.

Theo fuhr sich mit einer müden Hand durch das zerzauste Haar, während er auf den Bildschirm starrte. Die PowerPoint-Präsentation war ein Flickwerk aus Fakten, Tabellen und trockenen Bulletpoints. Jede Folie schien langweiliger als die vorige zu sein, und die monotonen Textblöcke quälten ihn fast genauso sehr wie die frustrierende Software, die sich weigerte, reibungslos zu funktionieren. Er hatte bereits etliche Male auf die Rückgängig-Taste geklickt und geflucht, wenn wieder ein Bild verschwand oder die Schriftgröße sich von selbst änderte.

„Verdammtes Microsoft...“, murmelte er, als die gesamte Schrift plötzlich auf Comic Sans wechselte. Mit einem tiefen Seufzer schloss er die Augen, ließ den Kopf in die Hände fallen und atmete tief durch. „Ich wünschte, ich könnte das so flüssig wie die Studenten machen. Die klicken nur einmal und alles sieht aus wie aus einem Design-Katalog.“

Es war schon weit nach Mitternacht. Die Minuten flossen in Stunden, und seine Augen brannten vor Erschöpfung. Jennifer war bereits zweimal in die Tür gekommen, um ihn zu überreden, endlich schlafen zu gehen, aber Theo hatte sich geweigert. „Ich muss das noch schnell fertig machen“, hatte er gesagt, wohl wissend, dass „schnell“ ein dehnbarer Begriff war, wenn es um die komplizierte Kunst ging, eine halbwegs ansprechende Präsentation zu basteln.

Jetzt blickte er auf seine Folien: zwei Dutzend aneinandergereihte Fakten, die sich kaum von einer langweiligen Vorlesung abhoben. Das Problem war, dass sie leblose Worte blieben, ohne die Kraft, die er brauchte, um seine Studenten wirklich zu fesseln. Sie brauchten mehr – Bilder, die die Geschichte lebendig machten, die seine Worte unterstützten.

Er durchforstete die Bilddatenbanken der Universität und der Museen, doch alles, was er fand, waren die üblichen Verdächtigen: Münzen, Büsten, ein paar verblasste Manuskriptseiten, die er schon hundertmal gesehen hatte. Keine neuen Entdeckungen, keine frischen Perspektiven, nichts, das seine Präsentation zum Leben erwecken könnte.

„Das kann doch nicht alles sein...“, murmelte er und griff nach seiner Kaffeetasse. Sie war leer. Mit einem frustrierten Knurren stellte er sie zurück auf den Schreibtisch. Weitermachen, Theo, nur noch ein paar Bilder...

Er begann, sich durch regionale Datenbanken zu klicken, hoffend, dass er vielleicht dort auf etwas stieß, das seine Präsentation aufwerten könnte. Minuten vergingen, die Augen brannten, und er war kurz davor aufzugeben, als ihm ein neuer Eintrag in der Datenbank des Kent Archaeological Trust ins Auge sprang.

„Hm, Ausgrabungen bei Isle of Sheppey...“, murmelte er und öffnete den Eintrag. Die Notizen sprachen von einem Bauwerk, das bei Straßenbauarbeiten entdeckt worden war. Die Ausgrabung war noch nicht abgeschlossen, aber man hatte bereits einige interessante Artefakte freigelegt, darunter ein stark verwittertes Steinrelief.

Theo scrollte zu den Bildern und hielt plötzlich den Atem an. Auf dem Bildschirm vor ihm erschien das Foto einer zerbrochenen Steintafel. Der linke Teil zeigte einen König – offensichtlich König Egbert, erkannte Theo sofort an den typischen Zügen und der dargestellten Kleidung. Die Figur war leicht gebeugt, in einer Haltung der Ehrerbietung. Doch es war die Gestalt rechts neben dem König, die ihm den Atem stocken ließ.

Die große, weibliche Kriegerin war mit einer Sorgfalt dargestellt, die ihre Gestalt fast lebendig wirken ließ. Lange, spitz zulaufende Ohren ragten aus ihrem kunstvoll drapierten Haar hervor, und ihre Kleidung schien in einer Art und Weise gestaltet, die Theo noch nie gesehen hatte. Sie wirkte mächtig und grazil zugleich, fast wie eine übernatürliche Erscheinung. Die Feinheit der Züge, die Tiefe der Details – es war, als hätte der Bildhauer etwas Göttliches darstellen wollen.

„Das kann doch nicht sein...“, flüsterte Theo und lehnte sich vor, seine Nase fast am Bildschirm klebend. „So etwas gab es nicht. Es gab keine Abbildungen von Fabelwesen in dieser Zeit. Schon gar nicht neben einem König.“

Er zoomte in das Bild hinein, betrachtete das Gesicht der Kriegerin, die sanft geschwungenen Lippen, die mit einer fast unheimlichen Genauigkeit ausgearbeiteten Augen. Die Ohren waren elfenhaft, ja, aber etwas an ihrer Präsenz ließ sie nicht wie eine bloße Fantasiegestalt wirken. Sie war keine groteske Karikatur, wie man sie in den Marginalien von Manuskripten fand, sondern das Werk eines Künstlers, der genau wusste, was er darstellte.

„Wer bist du?“, flüsterte Theo, als könnte die steinerne Kriegerin ihm eine Antwort geben. Er ließ den Blick zurück zu Egbert wandern. Der König war in einer Haltung der Demut dargestellt, als würde er vor dieser Gestalt knien, als huldigte er ihr. Doch warum? Was bedeutete das? Eine solche Darstellung in einem historischen Kontext war beispiellos. Die Idee, dass ein König einer mythischen Gestalt Respekt zollte – das war für die Zeit undenkbar.

Theos Herzschlag beschleunigte sich, seine Gedanken rasten. Hatte er hier gerade eine Sensation entdeckt? Etwas, das die gesamte Sichtweise auf Egberts Herrschaft und die Mythologie dieser Epoche verändern könnte?

Er zögerte, wollte schon das Telefon greifen und Marcus oder Fiona anrufen, doch dann besann er sich. Es war mitten in der Nacht, und was, wenn er sich irrte? Vielleicht war es nur eine künstlerische Übertreibung, ein Fantasiegebilde ohne tieferen historischen Wert.

„Aber was, wenn nicht?“, flüsterte er und starrte weiter auf das Bild. Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren. War das nur ein mythologisches Symbol? Oder steckte dahinter etwas, das die Historiker noch nicht entdeckt hatten?

Er klickte auf die Metadaten des Bildes. Die Ausgrabungen waren erst vor ein paar Wochen durchgeführt worden, die Relieftafel war in einem alten, verfallenen Keller gefunden worden, der Teil einer größeren, unbekannten Struktur gewesen war. Es gab kaum Hinweise, was dieses Gebäude gewesen sein könnte.

Theo lehnte sich zurück und starrte an die Decke. Sein Kopf schwirrte vor Fragen. Eine unerforschte Ausgrabung mit einem solchen Fund... Er musste mehr darüber herausfinden, musste wissen, was die Archäologen bisher entdeckt hatten.

Aber die Müdigkeit war überwältigend, seine Augen schlossen sich von selbst, und der Gedanke, morgen in aller Frühe aufzustehen und sofort mit den Nachforschungen weiterzumachen, ließ ihn seufzen.

Jennifer erschien in der Tür, die Augen halb geschlossen. „Theo, es ist spät. Du solltest wirklich ins Bett kommen.“

Er sah zu ihr hinüber und nickte langsam. „Ja, ich weiß. Ich komme gleich. Ich... ich habe hier etwas wirklich Faszinierendes gefunden.“

„Das sagst du immer“, murmelte sie und trat zu ihm, legte ihm die Hände auf die Schultern. „Komm schon, lass es für heute gut sein.“

Theo sah ein letztes Mal auf das Bild. Die weibliche Kriegerin starrte zurück, mit Augen, die ihm fast menschlich erschienen. Was auch immer dieses Relief darstellte, es war bedeutender, als es auf den ersten Blick schien. Er konnte es förmlich spüren.

„Ja, du hast recht“, sagte er leise und schaltete den Computer aus. „Aber morgen... morgen muss ich unbedingt mehr herausfinden.“

Jennifer lächelte müde und zog ihn sanft zur Tür. „Morgen. Jetzt aber komm.“

Er folgte ihr ins Schlafzimmer, doch selbst als er im Dunkeln lag und die Müdigkeit ihn langsam überwältigte, konnte er das Bild der geheimnisvollen Kriegerin nicht aus seinem Kopf verbannen. Wer war sie, und warum war sie neben König Egbert dargestellt? Was für eine Geschichte lag hinter diesem uralten Stein?

Seine Gedanken kreisten um diese Fragen, bis der Schlaf ihn schließlich übermannte.

Ein neuer Anfang

Theo erwachte abrupt, als ein schriller Schrei das morgendliche Schweigen durchbrach. Für einen Moment war er desorientiert, sein Herz pochte laut in seiner Brust. Der Platz neben ihm im Bett war leer. Panik durchfuhr ihn, und er sprang auf, rannte durch das Schlafzimmer zur Badezimmertür. Sein Kopf war voller düsterer Gedanken, die er verzweifelt wegzudrängen versuchte.

„Jennifer?“ Seine Stimme klang rau vor Angst.

Er stürmte ins Bad und blieb abrupt stehen. Jennifer saß auf dem Rand der Badewanne, in ihrer Hand hielt sie einen kleinen weißen Stab – einen Schwangerschaftstest. Ihr Gesicht war blass, doch in ihren Augen funkelte etwas, das Theo nicht zu hoffen gewagt hatte. Sie sah auf, ihre Lippen bebten, als sie ihm ein zögerndes Lächeln schenkte.

„Theo...“, flüsterte sie. „Ich bin... ich bin wieder schwanger.“

Für einen Moment war alles still. Theo starrte auf den Test in ihrer Hand, dann auf ihr strahlendes Gesicht. Sein Herz, das eben noch in rasender Panik geschlagen hatte, schien plötzlich einen Schlag auszusetzen, um dann mit einer wilden Mischung aus Erleichterung, Freude und ungläubiger Überraschung weiterzuschlagen. Tränen stiegen ihm in die Augen, und er ließ sich vor ihr auf die Knie fallen.

„Oh mein Gott, Jennifer...“, flüsterte er, während er sie vorsichtig in die Arme schloss. „Das ist... das ist unglaublich.“ Er spürte, wie seine eigenen Tränen auf ihre Haut fielen. „Ich kann es nicht fassen.“

Sie lachte leise, ihre Hände zitterten, als sie über sein Haar strich. „Ich auch nicht. Ich bin so glücklich, Theo. Aber...“

„Aber wir müssen vorsichtig sein“, ergänzte er sanft. „Wir werden alles tun, um sicherzustellen, dass dieses Mal nichts schiefgeht.“

Jennifer nickte ernst. „Ich habe Sarah schon angerufen. Sie wird mich nach der Schule zu einer ihrer Freundinnen bringen. Sie ist Kinderärztin und kann alle nötigen Untersuchungen machen.“

Theo küsste ihre Stirn, spürte die sanfte Wärme ihres Körpers unter seinen Händen. „Das ist gut. Lass uns nichts dem Zufall überlassen.“

Der Tag war ein Wirbelwind aus Anrufen, Absprachen und Vorfreude. Theo konnte es kaum erwarten, zur Universität zu fahren und die Neuigkeit mit seinen Kollegen zu teilen. Als er endlich im Institut ankam, fühlte er sich so leicht wie schon lange nicht mehr. Es war, als hätte der positive Test ein Licht entzündet, das die dunklen Wolken, die seit Monaten über ihm schwebten, vertrieb.

„Marcus, Fiona!“, rief er, kaum dass er die Bürotür hinter sich geschlossen hatte. „Ich habe fantastische Neuigkeiten!“

Die beiden Historiker sahen von ihren Schreibtischen auf, überrascht von der Aufregung in Theos Stimme.

„Was ist los?“, fragte Fiona neugierig, während sie sich von ihrem Bildschirm abwandte.

„Jennifer ist schwanger!“, platzte es aus Theo heraus, und er konnte das breite Grinsen auf seinem Gesicht nicht unterdrücken.

„Das ist ja großartig!“, rief Marcus und sprang auf, um Theo kräftig die Hand zu schütteln. „Herzlichen Glückwunsch, alter Freund. Das sind wirklich wunderbare Nachrichten.“

„Oh Theo, das ist fantastisch!“, fügte Fiona hinzu und umarmte ihn herzlich. „Ich freue mich so sehr für euch beide. Ihr habt das so verdient.“

Theo strahlte, die Freude über die Neuigkeit erfüllte ihn noch immer. Doch dann erinnerte er sich an das, was ihn die letzten Nächte beschäftigt hatte. „Und es gibt noch etwas anderes, das ich euch zeigen muss.“ Er führte die beiden zu seinem Schreibtisch, wo er schnell die Bilddatenbank aufrief und das Foto des Reliefs von Isle of Sheppey heraussuchte.

„Das hier habe ich letzte Nacht gefunden“, erklärte er und drehte den Monitor zu Marcus und Fiona. „Schaut euch das an.“

Beide traten näher, ihre Augen weiteten sich, als sie das Bild betrachteten. „Das ist...“, begann Marcus, aber seine Stimme verklang.

„Unglaublich“, flüsterte Fiona und beugte sich vor, um die Details genauer zu betrachten. „Die Kunstfertigkeit, die Präzision – das ist außergewöhnlich. Aber wer ist diese Frau? Und warum ist sie so groß dargestellt, fast als göttliche Gestalt?“

„Das ist es, was mich so verblüfft“, sagte Theo, seine Stimme war eine Mischung aus Begeisterung und Verwunderung. „König Egbert ist eindeutig zu erkennen, aber diese... Kriegerin oder was auch immer sie sein soll, passt überhaupt nicht in das Bild, das wir von dieser Epoche haben.“

„Ich habe so etwas noch nie gesehen“, sagte Marcus leise. „Eine Darstellung eines mythologischen Wesens neben einem König? Das ist revolutionär. Aber wir müssen vorsichtig sein. Es gibt viele Fälschungen, und selbst wenn es echt ist, müssen wir herausfinden, was es wirklich darstellt.“

„Natürlich“, sagte Theo eifrig. „Aber wenn das wirklich Egbert ist und das Relief authentisch, könnte das unsere gesamte Vorstellung von seiner Herrschaft und dem kulturellen Kontext dieser Zeit verändern.“

Fiona nickte, ihre Augen glänzten vor Aufregung. „Ich werde meine Kontakte spielen lassen. Ich kenne jemanden am British Museum, der auf antike Bildwerke spezialisiert ist. Vielleicht kann er uns mehr dazu sagen.“

Vier Tage vergingen, in denen Theo fieberhaft versuchte, mehr über das Relief herauszufinden. Doch jede Spur verlief im Sand. Es gab keine weiteren Abbildungen, keine Hinweise auf ähnliche Funde. Immer wieder betrachtete er das Bild auf seinem Bildschirm, versuchte, die Identität der rätselhaften Kriegerin zu ergründen, als könnte er sie aus dem Stein heraus befragen.

Dann, an einem Nachmittag, als er gerade wieder die bekannten Seiten durchforstete, klingelte sein Telefon. Es war Fiona.

„Theo, ich habe Neuigkeiten“, sagte sie ohne Umschweife. „Ich habe mit Professor Loughton gesprochen, meinem Kontakt im British Museum. Er hat das Foto des Reliefs analysiert und bestätigt, dass es eindeutig aus dem 8. Jahrhundert stammt. Die Stilmerkmale, die Verwitterungsspuren – alles passt. Und nachdem ich ihm deinen Hinweis auf Egbert gegeben habe, hat er die Sache genauer unter die Lupe genommen.“

„Und?“, fragte Theo gespannt. „Ist es Egbert?“

„Ja, ganz eindeutig. Die Merkmale stimmen überein, und das ist ein ziemlicher Durchbruch. Professor Loughton ist begeistert und hat sich bedankt, dass du ihn auf diese Spur gebracht hast.“

„Das ist unglaublich“, sagte Theo und spürte, wie sein Herz vor Aufregung schneller schlug. „Aber was ist mit der Elfenfrau?“

„Dazu gibt es leider noch keine Antwort“, sagte Fiona bedauernd. „Loughton konnte keine Parallelen zu anderen Darstellungen finden. Es gibt keine bekannten mythischen oder historischen Figuren, die dieser Beschreibung entsprechen. Sie bleibt ein Rätsel.“

„Ein Rätsel...“, wiederholte Theo und ließ sich in seinen Stuhl sinken. „Ich habe in den letzten Tagen alles durchforstet, was ich finden konnte, aber es gibt nichts. Keine Hinweise, keine Erklärungen.“

„Mach dir keine Sorgen, Theo. Es ist ein großer Fund, aber wir müssen vorsichtig sein. Es gibt viele Unbekannte. Ich werde weiter nachhaken, vielleicht finde ich etwas in den alten Quellen oder in den Aufzeichnungen von archäologischen Fundstätten.“

„Danke, Fiona“, sagte Theo. „Ich weiß das wirklich zu schätzen.“

„Keine Ursache“, sagte sie sanft. „Kümmere dich um Jennifer. Das ist jetzt das Wichtigste. Wir werden herausfinden, was es mit diesem Relief auf sich hat, da bin ich sicher.“

„Ja“, sagte Theo leise, während sein Blick wieder zu dem Bild auf dem Bildschirm wanderte. „Wir werden es herausfinden.“

Nachdem das Gespräch beendet war, blieb er noch lange vor dem Monitor sitzen. Er betrachtete die Elfenkriegerin und versuchte, in ihren steinernen Augen eine Antwort zu finden. Wer war sie? Warum war sie neben König Egbert abgebildet? Was für eine Geschichte lag hinter diesem uralten Stein?

„Wer bist du?“, flüsterte er in die Stille seines Büros. Doch das Bild blieb stumm, ein Rätsel, das ihm aus einer längst vergangenen Zeit entgegenblickte.

Ein Hauch von Vergessenem

Die Tage zogen sich in die Länge, und jede neue Vorlesung fühlte sich für Theo Hargrove wie ein weiterer Schritt ins Leere an. Die Begeisterung, die ihn einst beflügelt hatte, war einem tiefen Frust gewichen. Die heutige Vorlesung hatte einen traurigen Tiefpunkt erreicht: Ganze drei Studenten hatten den Weg in den Saal gefunden. Drei. Und das bei einem Thema, das Theo für zentral in der Geschichte Englands hielt – die dynastischen Machtspiele im 9. Jahrhundert.

Während er sprach, hatte er versucht, seine Stimme lebhaft und mitreißend klingen zu lassen, aber er konnte die leeren Reihen nicht ignorieren, die ihm wie ein Spott entgegengähnten. Die wenigen Anwesenden wirkten gelangweilt, und einer der Studenten spielte fast ungeniert mit seinem Handy. Als die Vorlesung schließlich zu Ende war, fühlte sich Theo erschöpft und ernüchtert. Was brachte es, all sein Wissen zu teilen, wenn niemand zuhörte?

Am Abend, wieder zu Hause, versuchte er, den Frust hinter sich zu lassen. Er und Jennifer machten es sich auf dem Sofa gemütlich, in eine Decke gewickelt, bereit für einen entspannten Abend. Jennifer, die in letzter Zeit oft müde war, strahlte eine sanfte Ruhe aus, die Theo ungemein beruhigte.

„Was möchtest du schauen?“, fragte sie und lehnte sich an seine Schulter.

„Ich weiß nicht“, antwortete Theo, während er durch die Menüs von Netflix scrollte. „Es gibt zu viel Auswahl. Ich hab das Gefühl, ich verbringe mehr Zeit mit der Suche nach einem Film, als tatsächlich einen zu schauen.“

Jennifer lachte leise. „Das ist das Netflix-Problem. Wie wäre es mit einem Klassiker? Etwas, das wir schon kennen?“

Theo zuckte mit den Schultern, das flimmernde Licht des Bildschirms spiegelte sich in seinen Augen. „Vielleicht. Aber irgendwie habe ich Lust auf etwas Neues.“

Jennifer erhob sich mit einem sanften Seufzer und strich sich das Haar aus dem Gesicht. „Okay, wie wär’s, wenn ich uns ein paar Snacks hole, während du weitersuchst? Vielleicht stolperst du ja über etwas Interessantes.“

Theo nickte abwesend und ließ die Filmtitel weiter über den Bildschirm wandern. Alte Klassiker, Romantik, Action – nichts davon weckte wirklich sein Interesse. Sein Daumen schwebte schon über dem Ausschaltknopf, als er plötzlich auf einen Titel stieß, der ihn innehalten ließ: „Mythen und Legenden des Mittelalters – Verborgene Wahrheiten?“ Ein Dokumentarfilm.

Er zögerte. Doch irgendetwas an dem Titel packte ihn. Ein kurzer Druck auf die Taste, und der Film begann. Die ersten Bilder zeigten weite Landschaften, mystische Wälder und alte Ruinen. Eine tiefe Stimme aus dem Off sprach über die Legenden, die sich über Jahrhunderte in den Geschichtsbüchern verborgen hatten. Es war, als hätte der Film seine Gedanken eingefangen – genau das, was ihn so beschäftigte.

„Manche Geschichten überleben, weil sie tief im kollektiven Bewusstsein verankert sind,“ sprach der Erzähler mit ruhiger, eindringlicher Stimme. „Doch es gibt auch Erzählungen, die verloren gingen, verdrängt durch die Sieger der Geschichte, durch die Feder der Schreiber, die entschieden, welche Wahrheiten überliefert werden.“

Theo starrte auf den Bildschirm, gebannt von den Worten. War das nicht genau das, was er fühlte? Dass er eine Geschichte entdeckt hatte, die niemand hören wollte? Die sich der Zeit widersetzte, wie ein Echo aus einer längst vergangenen Ära? Eine Geschichte, die zu verschwinden drohte, wie so viele andere vor ihr.

Jennifer kam mit einer Schüssel Popcorn zurück ins Wohnzimmer. „Hast du etwas gefunden, das du sehen möchtest?“

Theo deutete auf den Bildschirm. „Ich glaube, das hier könnte interessant sein.“

Jennifer setzte sich wieder neben ihn, warf einen kurzen Blick auf die Dokumentation und lehnte sich dann an ihn. „Klar, warum nicht. Du und deine Historien-Dokus.“

Theo schmunzelte, doch tief in seinem Inneren arbeitete etwas. Die Bilder auf dem Bildschirm zogen ihn immer weiter in ihren Bann. Die alten Mythen und Legenden, die verloren gegangenen Geschichten... Sie waren mehr als nur Unterhaltung. Sie waren Hinweise, Fragmente von etwas Größerem. Und die Elfenfrau, die er auf dem alten Relief entdeckt hatte, passte perfekt in diese Welt des Verborgenen.

Der Erzähler fuhr fort: „Es gibt Geschichten, die so tief vergraben sind, dass wir nur in Bruchstücken von ihnen erfahren – alte Symbole, vergessene Traditionen, Überlieferungen, die sich den Büchern der Geschichte entzogen haben. Diese Geschichten warten darauf, wiederentdeckt zu werden.“

Theo fühlte, wie sein Herz schneller schlug. Genau das war es, was ihn nicht losließ. Das Relief, die rätselhafte Kriegerin – sie waren Teil einer dieser vergessenen Geschichten. Vielleicht hatte niemand sie aufgeschrieben, weil sie nicht in das Bild passte, das die Menschen von der Vergangenheit hatten. Vielleicht war sie zu gefährlich, zu beunruhigend, um in den Annalen der Geschichte ihren Platz zu finden.

„Vielleicht war sie ein Geheimnis, das niemand entdecken sollte,“ murmelte Theo vor sich hin.

Jennifer, die mit einem Stück Popcorn spielte, blickte ihn an. „Was meinst du?“

Theo wandte sich ihr zu, seine Gedanken rasten. „Was ist, wenn diese Legende, diese Kriegerin, die ich auf dem Relief gefunden habe, eine Geschichte ist, die absichtlich vergessen wurde? Vielleicht war sie zu mächtig, zu gefährlich für die Menschen damals. Was, wenn jemand wollte, dass wir uns nicht mehr an sie erinnern?“

Jennifer runzelte die Stirn. „Du meinst, wie eine Verschwörung?“

Theo schüttelte den Kopf. „Nicht unbedingt. Aber Geschichte ist nicht immer die Wahrheit. Oft entscheiden die Sieger, was wir glauben sollen. Vielleicht gibt es Erzählungen, die aus unserer Geschichte herausgefiltert wurden, weil sie nicht ins Bild passten.“

Jennifer legte ihm eine Hand auf den Arm und lächelte sanft. „Du machst dir zu viele Gedanken, Theo. Es ist nur eine Legende.“

„Vielleicht“, murmelte er, doch tief in seinem Inneren wusste er, dass es mehr war als das. Es war der Anfang von etwas Größerem – etwas, das er nicht loslassen konnte.

Zweifel und Zuversicht

Theo saß an seinem Schreibtisch, umgeben von einem Chaos aus Büchern, Notizen und halb leeren Kaffeetassen. Die Augen brannten ihm vor Erschöpfung, doch der Funke der Entdeckung, den er in sich trug, ließ ihn weitermachen. Seit Tagen versuchte er, die rätselhafte Kriegerin auf dem Relief zu entschlüsseln, doch alle seine Recherchen führten ins Leere.

Er hatte es auf die Spitze getrieben und Kontakt zu Kollegen weltweit aufgenommen, von renommierten Historikern in Oxford bis zu Archäologen in den USA. Seine E-Mails waren ausführlich und voller Enthusiasmus, versehen mit Bildern und detaillierten Analysen des Reliefs. Doch die Antworten, die er erhielt, brachten ihn nicht weiter. Sie machten ihn wütend, frustriert, enttäuscht.

„Fälschung.“ Das war das Urteil der meisten Experten. Eine zu moderne Darstellung, zu realistisch für die Zeit. Andere behaupteten, es handele sich um eine künstlerische Arbeit aus dem 19. Jahrhundert, inspiriert von angelsächsischer Kunst, aber weit entfernt von jeglicher historischen Grundlage.

Eine Handvoll Kollegen gab ihm zumindest die Möglichkeit, dass das Relief echt sein könnte, aber selbst sie waren skeptisch. „Vielleicht eine freie künstlerische Arbeit eines Steinmetzes aus dem 9. Jahrhundert“, schrieb ihm Professor Henderson aus Berkeley. „Es ist denkbar, dass er eine persönliche Interpretation oder Fantasie dargestellt hat. Aber das bedeutet nicht, dass König Egbert das je gesehen oder gutgeheißen hätte.“

Theo las die Worte immer wieder, als könnte er durch schiere Willenskraft eine andere Bedeutung aus ihnen herauspressen. „Eine persönliche Interpretation...“ murmelte er und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Was, wenn sie recht hatten? Was, wenn dieses Relief nichts weiter war als das Hirngespinst eines kreativen Steinmetzes, dass keine Verbindung zur tatsächlichen Geschichte hatte?

Mit einem tiefen Seufzen schaltete er seinen Laptop aus und legte die Hände in den Schoß. Der Enthusiasmus, der ihn in den letzten Wochen angetrieben hatte, wich einer schmerzhaften Ernüchterung. Was, wenn er tatsächlich auf eine Sackgasse zugesteuert war? Wenn das alles nur ein Hirngespinst war?

Er war so in Gedanken vertieft, dass er nicht bemerkte, wie Fiona und Marcus sein Büro betraten. Es war Fiona, die die Stille durchbrach. „Theo, alles in Ordnung?“

Er sah auf, blinzelte und versuchte ein Lächeln. „Ja, alles gut. Ich... ich habe nur über die Rückmeldungen der Kollegen nachgedacht.“

Marcus, der wie immer die Hände in den Taschen seines Tweed-Sakkos vergraben hatte, nickte verständnisvoll. „Wir haben deine E-Mails gesehen. Ich weiß, dass das nicht leicht ist. Aber Theo, vielleicht haben sie recht. Was, wenn das wirklich nur eine künstlerische Fantasie ist?“

Theo fühlte einen Stich, als Marcus die Möglichkeit offen ansprach. „Du meinst, ich sollte die ganze Sache einfach aufgeben?“

„Nicht aufgeben“, sagte Fiona sanft. „Aber vielleicht solltest du dir selbst eingestehen, dass du dich verrennst. Du bist ein brillanter Historiker, Theo, aber manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht.“

Theo wollte protestieren, doch er wusste, dass sie im Grunde recht hatten. Er hatte sich so sehr in die Idee verliebt, dass er etwas Bahnbrechendes entdeckt hatte, dass er vielleicht den Blick für die Realität verloren hatte.

„Es fühlt sich nur so... bedeutend an“, sagte er leise. „Als wäre da etwas, das uns durch die Jahrhunderte hinweg sagen will, dass wir etwas übersehen haben.“

„Vielleicht ist es das auch“, sagte Marcus. „Aber es könnte auch nur eine alte Legende sein, die nichts mit der tatsächlichen Geschichte zu tun hat. Die Fakten sind wichtig, Theo. Du weißt das besser als jeder andere.“

Fiona nickte. „Und manchmal müssen wir akzeptieren, dass wir nicht immer die Antworten finden, die wir uns wünschen. Das macht deine Arbeit nicht weniger wertvoll.“

Theo schaute zwischen seinen beiden Freunden hin und her. „Ihr habt recht. Vielleicht habe ich mich zu sehr auf diese Idee versteift. Aber es fällt mir schwer, das einfach loszulassen.“

„Niemand sagt, dass du es loslassen musst“, sagte Fiona. „Aber vielleicht solltest du dir eine Pause gönnen. Konzentriere dich auf etwas anderes. Du hast genug auf deinem Teller, Theo.“

Er wusste, dass sie auf Jennifer und die Schwangerschaft anspielte. Er nickte langsam. „Ja, vielleicht habt ihr recht. Ich werde es ein bisschen langsamer angehen lassen.“

„Ich hatte übrigens noch Kontakt mit dem Ausgrabungsleiter, der das Relief gefunden hat“, fügte Fiona hinzu. „Er hat mir erzählt, dass sie auf dem Bruchstück eine schwer entzifferbare Inschrift entdeckt haben. ‚Heil der mächtigen Jägerin, heil den drei...‘, dann hört es abgebrochen auf.“

„Heil der mächtigen Jägerin, heil den drei...?“ Theo sah sie überrascht an. „Was könnte das bedeuten?“

Fiona zuckte mit den Schultern. „Niemand konnte bisher etwas damit anfangen. Aber ich dachte, das könnte dich interessieren. Vielleicht findest du ja einen Zusammenhang.“

Theo runzelte die Stirn und wiederholte die Worte leise vor sich hin. Etwas an dieser Inschrift ließ ihn nicht los, doch er konnte es nicht greifen. „Ja, danke, Fiona. Ich werde es mir anschauen.“

Als Fiona und Marcus gegangen waren, blieb Theo noch eine Weile sitzen, starrte auf die Bücherstapel vor sich und spürte, wie der Enthusiasmus in ihm erlosch. Schließlich stand er auf, griff nach seiner Jacke und verließ das Büro. Der Gang nach Hause fühlte sich schwerer an als sonst.

Jennifer erwartete ihn bereits im Wohnzimmer, in eine Decke gehüllt und mit einer Tasse Tee in der Hand. Ihr Lächeln war warm und einladend, und Theo fühlte, wie der Frust sich ein wenig löste.

„Schlechter Tag?“ fragte sie sanft, als er sich neben sie auf das Sofa sinken ließ.

Er nickte und legte den Kopf an ihre Schulter. „Die Kollegen... sie denken, ich hätte mich verrannt. Dass das Relief nur eine Laune eines Steinmetzes ist, eine Fantasie. Vielleicht haben sie recht.“

Jennifer legte eine Hand auf seine Wange und drehte seinen Kopf sanft zu sich. „Und was glaubst du?“

Er zuckte die Schultern. „Ich weiß es nicht mehr. Ich dachte, ich hätte etwas Wichtiges entdeckt. Aber jetzt... es fühlt sich an, als wäre all meine Arbeit umsonst gewesen.“

„Das ist sie nicht“, sagte Jennifer entschieden. „Du hast etwas gefunden, das dich fasziniert hat, dass dir Freude gemacht hat. Das allein ist schon wichtig.“

Er lächelte schwach. „Du und deine Lehrerweisheiten.“

Jennifer lachte leise. „Ja, vielleicht. Aber es ist wahr. Ich habe auch Tage, an denen ich mich frage, warum ich das alles mache. Besonders wenn meine Schüler lieber TikTok-Videos schauen, als mir zuzuhören.“

„Und was machst du dann?“ fragte Theo neugierig.

„Ich versuche, es locker zu nehmen. Ich stelle mir vor, wie sie irgendwann einmal im Leben an mich denken und sich an eine dieser Lektionen erinnern. Das gibt mir Hoffnung, dass ich etwas bewirkt habe, auch wenn es jetzt nicht so aussieht.“

Theo betrachtete seine Frau, die sanfte Entschlossenheit in ihrem Gesicht. „Vielleicht sollte ich dich mal in eine meiner Vorlesungen einladen. Ich wette, deine Schüler wären die besseren Zuhörer als meine Studenten.“

Jennifer lachte wieder und schüttelte den Kopf. „Oh, ich bin sicher, sie wären begeistert von Geschichten über Kobolde und Dämonen. Vielleicht solltest du mal in die Schule kommen und ihnen eine dieser alten Legenden erzählen. Wer weiß, vielleicht inspirierst du sie mehr, als du denkst.“

Theo spürte, wie ein Lächeln auf seine Lippen zurückkehrte. „Das ist keine schlechte Idee. Aber ich weiß nicht, ob meine Geschichten für Kinder geeignet sind.“

„Mach dir keine Sorgen“, sagte Jennifer und strich ihm durchs Haar. „Du hast ein Talent dafür, Dinge lebendig zu machen. Die Schüler würden dich lieben.“

„Vielleicht“, sagte Theo leise und zog sie ein Stück näher zu sich. „Danke, dass du an mich glaubst.“

„Immer“, flüsterte Jennifer und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. „Und was die Kollegen sagen, das ist ihre Meinung. Du musst nur an das glauben, was du für richtig hältst. Wenn du fühlst, dass da mehr ist, dann folge deinem Instinkt.“

Theo hielt sie fest und spürte, wie der Frust des Tages langsam verblasste. „Vielleicht hast du recht“, sagte er schließlich. „Vielleicht gibt es noch mehr zu entdecken. Ich werde nicht aufgeben. Nicht jetzt.“

Jennifer hob den Kopf und sah ihm in die Augen. „Das klingt nach meinem Theo.“

Er küsste sie sanft auf die Stirn und fühlte, wie der alte Enthusiasmus langsam zurückkehrte. Vielleicht hatten seine Kollegen recht, vielleicht war das Relief nur eine Fantasie. Aber er war noch nicht bereit, das aufzugeben, was ihn so fasziniert hatte. Denn manchmal, das wusste er jetzt, waren es gerade die Fantasien, die uns die Wahrheit lehrten.

Sie saßen noch lange zusammen, sprachen über die Zukunft, das Kind, das sie erwarteten, und die Herausforderungen, die vor ihnen lagen. Und als Theo später im Bett lag, spürte er, dass er zwar noch voller Zweifel war, aber auch voller neuer Hoffnung. Denn die Suche nach der Wahrheit, so schwierig sie auch sein mochte, war immer einen weiteren Versuch wert.

„Vielleicht...“, murmelte Theo und ließ die Auswahl an Filmen weiter vorbeiziehen. „Aber irgendwie habe ich Lust auf etwas Neues.“

Jennifer erhob sich mit einem müden Seufzer. „Okay, wie wär’s, wenn ich uns ein paar Snacks hole und du währenddessen weiter suchst? Vielleicht stolperst du über etwas Interessantes.“

Theo nickte abwesend und begann, durch die Programme zu zappen, während Jennifer in der Küche verschwand. Er schaltete von einem Sender zum nächsten, blieb an ein paar Nachrichten hängen, wechselte dann zu einer Dokumentation über das römische Reich, bevor er weiterklickte. Schließlich blieb er an einem Kanal stehen, auf dem eine Dokumentation über Mythen und Legenden lief.

„...und so gibt es Geschichten, die sich über Jahrtausende hinweg hartnäckig halten, oft weil sie auf tatsächlichen Begebenheiten basieren, die tief im kollektiven Gedächtnis verankert sind“, sagte der Moderator. Theo hielt inne, sein Daumen schwebte über der Fernbedienung. Der Mann auf dem Bildschirm, ein älterer, weißhaariger Akademiker, stand vor einem alten Steinkreis und sprach mit einer Leidenschaft, die Theos Aufmerksamkeit fesselte.

„Diese Geschichten überleben, weil sie uns etwas über uns selbst erzählen. Sie sind tief verwurzelt in unserer Kultur, unserer Identität. Sie sind die Träger von Moral, von Warnungen und Weisheiten, die oft über Generationen weitergegeben werden“, fuhr der Moderator fort. „Denken Sie nur an die Geschichten der Bibel, die Mythen der Griechen oder die Legenden der Kelten. Sie sind so mächtig, dass sie Jahrtausende überdauern. Aber es gibt auch Geschichten, die verloren gehen. Entweder weil sie unbequem waren, weil sie von anderen Überlieferungen verdrängt wurden, oder weil sie einfach in Vergessenheit gerieten.“

Theo lehnte sich nachdenklich zurück. Was, wenn die Geschichte hinter der Elfenkriegerin auf dem Relief eine dieser verlorenen Erzählungen war? Er hatte die letzten Tage damit verbracht, alles über mythologische Gestalten aus der Zeit König Egberts zu recherchieren. Keine einzige Legende, keine einzige Sagengestalt, die er gefunden hatte, passte auf die Darstellung auf dem Stein. Aber was, wenn diese Geschichte einfach nicht überliefert worden war? Was, wenn sie in den Wirren der Jahrhunderte verloren gegangen war?

Der Moderator auf dem Bildschirm sprach weiter, seine Stimme wurde intensiver. „Es gibt Theorien, dass einige Geschichten so tief vergraben sind, dass wir sie nur in Bruchstücken wiederfinden. Ein altes Symbol hier, eine vergessene Tradition dort. Und wenn wir diese Bruchstücke zusammensetzen, erhalten wir ein Bild, das uns vielleicht zu einer Wahrheit führt, die wir längst verloren geglaubt haben.“

Theo spürte, wie etwas in ihm zu arbeiten begann. Was, wenn das Relief genau das war? Ein Bruchstück, ein Teil einer größeren Geschichte, die niemand mehr erzählte, weil sie aus dem Gedächtnis der Menschen verschwunden war? Was, wenn es eine Geschichte war, die Egbert selbst auslöschen wollte, weil sie seine Macht oder seine Glaubwürdigkeit infragestellt hatte?

Jennifer kam mit einer Schüssel Popcorn zurück ins Wohnzimmer. „Hast du etwas gefunden, dass du sehen möchtest?“, fragte sie und setzte sich wieder neben ihn.

Theo zeigte auf den Bildschirm. „Das hier ist ganz interessant. Es geht um alte Mythen und Legenden, die sich hartnäckig halten, und solche, die mit der Zeit verloren gehen.“

Jennifer schmunzelte. „Natürlich. Du findest immer etwas Historisches, das dich fasziniert. Aber hey, ich bin dabei. Erzähl mir mehr.“

Er erklärte ihr kurz, worum es in der Dokumentation ging, und sie nickte, während sie an ihrem Popcorn knabberte. „Vielleicht ist das genau der Punkt, Theo“, sagte sie nachdenklich. „Manche Geschichten überleben, weil sie uns etwas bedeuten. Andere gehen verloren, weil sie nicht in die Welt passen, in der sie erzählt werden. Vielleicht hat niemand die Geschichte dieser Elfenkriegerin erzählt, weil...“ Sie hielt inne und suchte nach den richtigen Worten.

„Weil sie nicht in das Bild passte, das die Menschen damals von der Welt hatten“, ergänzte Theo. „Ja, das könnte sein. Was, wenn Egbert und seine Nachfolger diese Darstellung absichtlich verdrängt haben? Wenn sie nicht wollten, dass irgendjemand daran erinnert wird?“

Jennifer nickte. „Genau. Vielleicht war es zu gefährlich, diese Geschichte zu erzählen, vielleicht hätte sie Egberts Macht untergraben. Oder vielleicht gab es jemanden, der sicherstellte, dass diese Legenden verschwanden.“