Mornings in Boston - The Stories We Tell - Anna Lane - E-Book

Mornings in Boston - The Stories We Tell E-Book

Anna Lane

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Beschreibung

SIE IST SEINE GRÖSSTE KONKURRENTIN - UND SEINE GRÖSSTE VERSUCHUNG

Die ehrgeizige Journalistin Penelope Sanderson hat den Karrieresprung endlich geschafft. Bei der quotenstarken Show Mornings in Boston moderiert sie an der Seite von Connor Kingsley zwischen sieben und neun Uhr und bringt die Menschen gut in den Tag. Alles könnte perfekt sein, würde ihr viel zu attraktiver Co-Moderator - und der Playboy der Nation - ihr nicht von der ersten Sendung an Steine in den Weg legen. Doch Penelope hat nicht vor, sich von Connor unterkriegen zu lassen, der sie trotz seines Verhaltens besser zu verstehen scheint als alle anderen ...

»Dieses Buch erzählt von Anfängen, die schwerer sind als gedacht. Von Nähe, die wehtut. Und von einem Gefühl, das leiser kommt, als man erwartet - aber lauter bleibt, als man glaubt.« annas.books

Reihenauftakt der Love-on-Air-Trilogie von Neuentdeckung Anna Lane

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Seitenzahl: 537

Veröffentlichungsjahr: 2025

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Leser:innenhinweis

Widmung

Playlist

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Epilog

Danke

Die Autorin

Die Bücher von Anna Lane bei LYX

Impressum

ANNA LANE

Mornings in Boston

THE STORIES WE TELL

Roman

ZU DIESEM BUCH

Neuer Job, neue Stadt, den Verlust ihrer Schwester hinter sich lassen – das ist das Ziel der ehrgeizigen Journalistin Penelope Sanderson, als sie die Stelle bei Mornings in Boston annimmt. In der TV-Morningshow soll sie an der Seite von Publikumsliebling Connor Kingsley die Menschen gut in den Tag bringen. Das Team ist großartig und empfängt Penelope mit offenen Armen – bis auf eine Ausnahme: Ihr Co-Moderator und der Playboy der Nation legt ihr von der ersten Begegnung an Steine in den Weg. Ob falsche Zeitangaben oder unerwartete Reden – Connor sabotiert sie, wo er nur kann, um seinen eigenen Erfolg zu sichern und sich die lästige Konkurrenz vom Hals zu schaffen. Womit er nicht gerechnet hat: Penelope lässt sich nicht von ihm einschüchtern und kann nicht nur einstecken, sondern auch austeilen. Während Interviews, Außendrehs und offizieller Events kommt es neben hitzigen Wortgefechten zu spielerischen Flirts vor der Kamera, die Penelope nicht nur aus dem Gleichgewicht bringen, sondern ihr Herz gewaltig flattern lassen. Und auch Connor kann sich bald nicht mehr dagegen wehren, dass seine eisige Fassade zu schmelzen beginnt …

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält Elemente, die triggern können. Deshalb findet ihr hier einen Contenthinweis.

Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.

Eure Anna und euer LYX Verlag

Für meine Eltern.

Danke, dass ihr die Liebe zu Büchern in mir geweckt habt. Ich hab euch lieb.

Und:

Für alle, die träumen und hoffen und kämpfen – Tag für Tag, um Gedankenschlösser auf festen Grund gebaut zu sehen, für diesen einen Hier-bin-ich-richtig-Moment, für eine Geschichte, deren letztes Kapitel man nie ändern wollen würde.

PLAYLIST

Miss Americana & The Heartbreak Prince – Taylor Swift

Cooler Than Me – Ethan Fields

Talking – Elderbrook

Blank Space (Taylor’s Version) – Taylor Swift

Don’t Blame Me – Taylor Swift

That’s So True – Gracie Abrams

Burn – David Kushner

Bigger Than The Whole Sky – Taylor Swift

You’re On Your Own, Kid – Taylor Swift

Lose Control – Teddy Swims

Afterparty – Isak Danielson

Lie To Girls – Sabrina Carpenter

Wild Child – The Black Keys

vampire – Olivia Rodrigo

angel – Camylio

Nocturne – Blanco White

Eat Your Young – Hozier

End Game – Taylor Swift, Ed Sheeran, Future

KAPITEL 1

Who knew the devil looked this good in Armani?

PENELOPE

»Du brauchst kein Glück, du hast schon dich.« Die Worte, die ich mir selbst zuflüstere, beruhigen meinen nervösen Herzschlag nicht. Seit mehr als einer Minute bin ich fest mit dem dunkelgrauen Steinboden vor dem dreißigstöckigen Media Tower in der Bostoner Downtown verwurzelt. Den Blick auf die Glasfassade gerichtet, in der sich die vom Morgenlicht goldbestäubten Wolken verheißungsvoll spiegeln – und trotzdem meilenweit davon entfernt, zu verstehen, dass einer meiner größten Träume gerade tatsächlich in Erfüllung geht. Im Angesicht der mehr als nur ein bisschen beängstigenden Tatsache, ab morgen die Frühstücksshow Mornings in Boston zu moderieren, wäre ein wenig Super-Mut sicherlich allerdings auch nicht schlecht. Aber ich habe es bis hierher geschafft, also kriege ich es auch noch hin, meinen zukünftigen Arbeitsplatz zu betreten und schon heute das Team kennenzulernen.

»Wenn das nicht die neue Drachenbezwingerin ist. Penelope, richtig?«

Ich zucke heftig zusammen und glätte das nervöse Nasenkräuseln zu einem neutralen Gesichtsausdruck, sobald ich den Ursprung des belustigten Tonfalls hinter einem dekorativen Busch unweit des Eingangs entdecke: Halb verborgen lehnt Grayson Ray mit einer Zigarette zwischen den Fingern an der Wand und winkt mir mit einem Sonnenscheingrinsen zu, ehe er wieder am Glimmstängel zieht.

»Oh, hi«, antworte ich und zwinge meine Beine dazu, sich endlich in Bewegung zu setzen. »Genau, ich bin Penelope Sanderson«, stelle ich mich der Höflichkeit halber vor, obwohl Grayson mich bereits erkannt zu haben scheint. Aber … Drachenbezwingerin?

Bevor ich nachfragen kann, zwängt er sich am Geäst vorbei. Bleibt mit dem Sakko hängen, flucht leise und entschuldigt sich mit einem ertappten Gesichtsausdruck, ehe er sich befreit und den Zigarettenstummel entsorgt. Dann kommt er auf mich zu, um meine Hand zu schütteln. »Ich bin Grayson, aber meine Freunde nennen mich Gray, und soeben habe ich beschlossen, dass du auch zu denen zählst.« Er zwinkert mir zu. »Wettermoderator und inoffizielles Empfangskomitee bei deinem neuen Arbeitgeber – dem zwar nicht größten Nachrichtensender des Landes, aber dafür dem mit den begabtesten und absolut chilischarf-hottesten Jungtalenten, wie man munkelt.«

»Schön, dich kennenzulernen.« Nur wenige hätten den beliebten Wettermoderator nicht erkannt.

»Dito. Hab schon dein Social Media gestalkt. Echtes Vermont-Girl, was?« Er mustert mich von oben bis unten.

»Schuldig«, gebe ich zu und schiebe meine Brille auf meiner Nase wieder nach oben. Ich bin froh, dass der Small Talk meinen Herzschlag ein klein wenig beruhigt.

»War leider noch nie dort: Aber … seid ihr echt so vernarrt in Ahornsirup oder ist das ein Klischee?«

»Wir sind sogar noch vernarrter in Ahornsirup als die Kanadier, zumindest glauben wir das gerne«, sage ich und setze ein Lächeln auf, weil mir Grayson mit seiner interessierten, freundlichen Art immer sympathischer wird. Ich nestle an einer Haarsträhne herum, die aus dem französischen Dutt entwischt ist. »Irgendwo muss meine Haarfarbe doch herkommen«, witzle ich, und dieser Scherz entlockt ihm ein Lachen.

»Stimmt, deine Haare haben definitiv einen Sirupton. Wenn du den Humor auch auf Sendung zeigst, kann ja nichts mehr schiefgehen. Zumindest … bei dir nicht«, fügt er hinzu und verzieht kurz das Gesicht zu einer Grimasse.

Okay? »Hoffentlich.«

»Ich freue mich echt, dass du die Show moderierst.« Nun schnipst er, als wäre ihm noch etwas Wichtiges eingefallen. »Oh, und da wir jetzt schon Besties sind: Bitte verpfeif mich nicht bei Halime.« Er fährt sich durch die blonden, kurzen Locken. Die laue Brise trägt dabei den Geruch seines blumigen, mit Zigarettenrauch unterlegten Aftershaves zu mir. »Sie hat mich erst letzte Woche von der Dachterrasse verbannt, nur weil ich mich einmal ausgesperrt habe und beinahe die Show verpasst hätte.« Grayson zuckt mit den Schultern, dann verzieht er das Gesicht und tätschelt seine Brusttasche, in der eine Packung Zigaretten steckt. »Daher musste ich mir einen anderen Ort für mein Laster suchen. Hoffentlich ist dir klar, dass du damit im Besitz von äußerst sensiblen Informationen bist.«

Würde mich nicht wundern, wenn die jüngste Produzentin des Senders ohnehin schon Wind von Graysons Geheimplatz gekriegt hätte.

»Ehrenkodex – immer die eigenen Quellen schützen!«

»Integrität, und das um diese Uhrzeit«, entgegnet mein neuer Kollege mit einem gespielt erschrockenen Blick auf die Armbanduhr am Handgelenk, die neun Uhr zweiundzwanzig und damit längst Halbzeit im Arbeitstag für die Mitarbeitenden der Morningshow anzeigt, und nickt in Richtung des Hochhauses vor uns. Für heute ist bereits abgedreht. »Dann bist du hier richtig. Apropos: Sollen wir rein?«

Ich atme tief ein … und nicke.

»Großer Tag für dich, was?«, fragt er im Gehen.

»Der größte bisher«, murmle ich, als die Automatiktür vor uns aufgleitet. Sanfte Hintergrundmusik tönt aus versteckten Lautsprechern, Menschen mit Schlüsselkarten hasten durch die Drehkreuze, begleitet von der Frühsommerluft, die nach Großstadt und Meer riecht und auch das Foyer erfüllt. Todschick, das würde Beth garantiert sagen. Ihr Lächeln kann ich vor meinem inneren Auge sehen. Jetzt bist du Moderatorin, vielleicht bald mit eigenem Format, aber dann? Nichts steht zwischen dir und der Weltherrschaft, Baby-Sis. Worte, die mir das Rückgrat ein Stückchen weiter aufrichten, obwohl meine Schwester nicht mehr hier ist, um sie auszusprechen.

»Du schaffst das«, beruhigt mich Grayson und steuert auf das Empfangspult zu, hinter dem ein Securityguard mit langsam ergrauendem, kurzem Haar sitzt und einen Schluck aus einem Starbucks-Becher trinkt, ehe er uns begrüßt und dabei breit angrinst.

»Harry, das ist Penelope. Connors neue Co-Anchor«, erklärt Grayson – Gray, erinnere ich mich –, und Harry nickt mir zu, die Lachfalten eine Landkarte aus gelebter Freude auf seiner Haut.

»Hi. Schön, dich kennenzulernen«, sage ich zu Harry und kann bei seinem freundlichen Gesicht gar nicht anders, als zurückzustrahlen. »Halime Ganim hat mir gesagt, ich könnte heute meine Schlüsselkarte hier abholen?«

»Natürlich. Schön, dass du bei der Show bist, Penelope!«, meint Harry mit einem ehrlichen, breiten Grinsen und steht auf, um mir ein Formular auszuhändigen, das ich mit persönlichen Informationen und einer Unterschrift befülle. Unterdessen scherzen die beiden Männer, und Harry zieht Gray mit dem Dachterrassen-Zwischenfall auf, was mein Kollege mit einem Augenverdrehen quittiert.

»Ich hatte Angst um mein Leben. Ehrlich, nicht mehr viel hätte gefehlt, und ich wäre allein und verlassen auf dieser Dachterrasse gestorben«, murrt Gray gespielt, während Harry sich wieder an den PC setzt, um die Daten vom Fragebogen einzutragen.

»Ach was«, sagt der Sicherheitsmann währenddessen. »Jemand hätte schon nach dir gesucht. Irgendwann.«

»Danke auch, wirklich herzerwärmend«, murmelt Gray, tut es jedoch mit einem belustigten Gesichtsausdruck.

»Solltest du dich jemals aussperren, Penelope«, nach einigem Hantieren sieht Harry nun mich an und legt mir eine Visitenkarte hin, »hier hast du meine Telefonnummer für Notfälle. Und das hier ist deine Schlüsselkarte.«

»Hey, warum gibst du mir deine Nummer nicht?«, empört sich Gray, und ich muss lächeln. »Solltest du nicht unser aller Beschützer und Retter in der Not sein?«

»Klar doch, aber Penelope sieht mir um einiges vernünftiger als du aus. Darf ich dich dran erinnern, wie oft du deine Schlüsselkarte schon verlegt hast? Wenn du mich jedes Mal deswegen anrufen würdest, hätte ich keine Ruhe mehr«, entgegnet Harry.

»Muss ich mir deinen Schutz etwa mit Venti-Caramel-Macchiatos mit extra Sahne erkaufen?«, empört sich Grayson gespielt.

Jetzt grinst Harry mich an. »Möglich wär’s. Für Penelope geht’s allerdings ohne Bestechung. Genau wie für den Rest eurer Show«, sagt er und schickt ein brummiges Lachen hinterher, das Gray mit einem Pfff abtut, ehe wir nach der Verabschiedung durch die Drehkreuze und in Richtung der Aufzüge gehen.

Eine der Türen gleitet vor uns auf, der Rest eines Schmunzelns hängt noch auf meinen Lippen. Erst jetzt fällt mir Graysons Begrüßung wieder ein. »Drachenbezwingerin?«, frage ich, ziehe die Brauen nach oben, während wir in den Lift treten. Mein Kollege checkt kurz sein Aussehen in der verspiegelten Rückwand des Aufzugs, die ebenso mein Bild mit dem blauen Ensemble, das ich trage, zurückwirft. Er dreht sich wieder zu mir um, während ich die Taste für das richtige Stockwerk drücke. Wir setzen uns mit einem leise surrenden Geräusch in Bewegung.

Ein gekünsteltes Hüsteln entwischt ihm. »Du bist deinem zukünftigen Co-Anchor noch nicht begegnet, oder?«, fragt er mit einem nun verhaltenen Unterton nach, der so gar nicht zu dem freundlichen Ausdruck auf seinem Gesicht passt. Seine Hände wandern in die Hosentaschen des dunkelblauen Anzugs.

Ich schüttle den Kopf. »Er war während meiner Vorstellungsgespräche zur Berichterstattung in Washington. Leider habe ich bis jetzt nur einen kleinen Teil des Teams kennengelernt.«

»Ah. Verstehe.«

Ich lege den Kopf schief, mustere Grayson und die unglückliche Miene auf seinem Gesicht.

»Uff. Sorry. Ich kann leider meinen Mund nicht halten. Toll, wenn ich beim Wetter Live-Updates liefern muss, aber sonst?« Grayson seufzt. »Also!« Er dreht sich in schönster Gossip-Manier zu mir und hebt bestärkend die Hände. »Zurzeit ist dein Co-Anchor-to-be eher drachenmäßig drauf. Monica, Connors alte Kollegin, hat sich ja recht kurzfristig dazu entschieden, die Sendung zu verlassen. Er wollte in den Prozess für die Neubesetzung eingebunden werden, was nicht passiert ist. Aber mach dir keine Sorgen, der kriegt sich schon ein.« Irgendwie hört sich das nicht gänzlich überzeugend an. »Wir alle freuen uns, dass du da bist. Also, bis auf ihn, vermutlich.«

Grayson hat recht – die Stelle wurde erst vor ein paar Wochen ausgeschrieben und eigentlich hatte ich erwartet, nach den zwei Gesprächen einen Test vor der Kamera mit Connor bestehen zu müssen. Dass mir die Stelle sofort angeboten wurde, war auch für mich eine Überraschung. Eine, die ich ohne zu zögern angenommen habe.

»Wie ist es denn, mit Connor zu arbeiten?« Nun klingt meine Stimme ein klein wenig kratzig, und ich räuspere mich. Es ist mir wichtig, bestmöglich in die Zusammenarbeit zu starten, und ich wünsche mir sehr, mit meinem direkten Kollegen irgendwann ein eingespieltes Team zu sein. Denn nur so werden wir die Zuschauenden begeistern. »Irgendwelche Tipps?«

Grayson verzieht die Lippen, überlegt. Etwas tritt in seine babyblauen Augen, das ich nicht deuten kann. »Nun ja …«

Ich warte, bin neugierig. Beobachte den Wettermoderator mit einem eindringlichen Blick, der laut meiner Schwester Beth jede Person zum Reden bringen kann.

»Er ist … anders als auf Sendung. Aber … mach dir am besten selbst ein Bild«, druckst Grayson herum.

»Sind wir das nicht alle?«

»Nicht ich«, gibt Grayson zurück. »Ich bin Sonnenschein durch und durch, ganz zum Leidwesen meiner Familie.« Diesen Worten schickt er ein charmantes Grinsen hinterher, das dennoch nicht so unbeschwert wie vorhin wirkt.

»Okay. Dann sag: Inwiefern verhält sich Connor abseits der Sendung anders?«

Grayson entwischt ein kleines, belustigtes Lachen. »Zu dir passt der Journalismus fabelhaft. So neugierig.« Als er weiterspricht, ist seine Stimme zögerlich. »Manche … würden sagen, es ist herausfordernd, mit Mr Elite-Uni-Abschluss zu arbeiten.« Schulterzucken. »Sein Engelsgesicht, wie die Boulevardmedien es bezeichnen, sieht im echten Leben eher grumpy aus als charmant.«

Hört sich definitiv so an, als wären die beiden nicht gerade beste Freunde. Etwas, das in dieser Branche häufig vorkommt. Wir alle sind der Wahrheit verpflichtet. Den Geschichten, die es auf der Welt gibt. Am Ende geht es trotzdem immer darum, wer sie am vertrauenswürdigsten erzählt.

Und Connor?

Die Menschen lieben es, ihm zuzuhören. Vor allem bei der samtigen Stimme, der genau wie seinem Aussehen zahlreiche TikTok-Thirst-Trap-Videos gewidmet sind. Abgesehen davon schneidet er bei Umfragen zur Vertrauenswürdigkeit gut ab, sein Witz und Charisma wird von Frauen und Männern gleichermaßen geschätzt.

Ich platziere mich mit dem Rücken zur Tür, damit ich Grayson eindringlicher mustern kann. »Herausfordernd? Wie meinst du das?« Mit Ehrgeiz kann ich arbeiten. Immerhin ist er die einzige Sache, die mich nach Beths Tod davon abgehalten hat, in ein tiefes Loch zu fallen, sondern mich stattdessen immer wieder antrieb, mein Bestes zu geben.

Grayson verlagert das Gewicht.

Ich kann ihm das schlechte Gewissen, überhaupt den Mund aufgemacht zu haben, an der Nasenspitze ansehen und setze eine freundliche Miene auf. Ups, da hab ich wohl zu tief nachgebohrt. Eine versöhnliche Geste muss her, das sehe ich, immerhin habe ich kein Interesse daran, schon vor dem offiziellen Start morgen einen meiner Kollegen vor den Kopf zu stoßen.

Ich setze ein Lächeln auf, voll darauf fokussiert, die Stimmung zu kitten. Das Ding des Aufzugs kriege ich genau wie das Aufgleiten der Tür nur halb mit, während ich meine Gedanken nach einem entschärfenden Kommentar durchforste.

»Wer versteckt sich denn hinter Connors Engelsgesicht?«, frage ich Grayson und schicke ein Grinsen hinterher, das den Scherz noch deutlicher machen soll. »Etwa der Teufel höchstpersönlich?«

Graysons antwortendes, erleichtertes Lächeln breitet sich aus und –

Fällt in sich zusammen.

Eine Regung, an der sich meine Neugierde festbeißt, und die mich das im Spiegel aufblitzende Anthrazit eines eleganten Anzugs eine Sekunde zu spät bemerken lässt.

»Warum fragst du mich das nicht lieber selbst, Penelope?«

KAPITEL 2

Try to tame the dragon, unless it bites your head off first

PENELOPE

Coolness. Eleganz. Charisma. Connor Kingsley – der Connor – hält meinen Blick über das Spiegelbild mit einer Präsenz gefangen, die mir den Atem raubt. Kurz nur, doch lang genug, um zu beobachten, wie elegante Finger sich um die Aufzugtür schließen, um sie vom Zugleiten abzuhalten. Mein Blick wandert weiter zu dem Gelenk, das von dem Ärmel eines weißen Hemds verschluckt wird, das unter dem Anzug wie eine zweite Haut sitzt. Sich an jede Bewegung von Connors muskulösen Schultern klammert, als würde sein Leben davon abhängen.

Neben mir atmet Grayson entnervt aus. Dass ich starre, wird mir in diesem Moment bewusst. Sofort reiße ich mich am Riemen, drehe mich zu Connor um und lächle ihn an, in der Hoffnung, diesen suboptimalen ersten Eindruck zu korrigieren. Ich straffe die Schultern und sehe ihm fest in die Augen, während er in den Aufzug tritt. »Sorry, das sollte ein Scherz sein. Ich bin Penelope Sanderson«, stelle ich mich vor, obwohl er mich vorhin schon beim Namen genannt hat.

Das helle Jadegrün seiner Augen, ebenso bodenlos wie ein Bergsee hoch in den Rocky Mountains, wirft mir kalt meine eigene, neutrale Miene zurück. Seine linke Braue wandert dabei bis unter sein kunstvoll verwuscheltes braunes Haar. Er mustert mich, rührt sich nicht. Grayson scheint er zur Gänze zu ignorieren.

Langsam bewegen sich die Winkel seiner Lippen nach oben. Werden zu einem Lächeln, das die makellosen Zähne preisgibt.

Nein.

Das ist kein Lächeln unter dem gepflegten Dreitagebart.

Sondern pure Kalkulation, gegossen in eine nur oberflächlich freundliche Maske – noch vereinnahmender und attraktiver als im Fernsehen. »Ich weiß.«

»Es ist schön, dich zu treffen«, schiebe ich hinterher.

»Ebenfalls«, erwidert er. Da liegt ein Funken Amüsiertheit in seiner Stimme, der mir das Gefühl gibt, bei einem Witz außen vor zu sein, den ich sowieso nicht verstehen würde.

»Connor – unser Hoch der guten Laune«, kommentiert Grayson nun mit verschränkten Armen. Von seinem Sommerlächeln ist nur eine Schmalspurversion übrig, und die wirkt eher wie ein verräterisches Lichtblinzeln zwischen einem Haufen Gewitterwolken, kurz vor einem höllenartigen Regenschauer.

Connors Aufmerksamkeit schnappt in Richtung seines – unseres – Kollegen und hinterlässt nur eine kitzelnde Leere in meiner Magengrube. »Behalte dir dein Wetter, Grayson«, raunt er mit dieser Stimme, die ihn so populär gemacht hat, kaum, dass er seinen allerersten Satz vor laufender Kamera gesagt hat.

»Nichts lieber als das«, murmelt Grayson.

Yep, die beiden sind definitiv keine Freunde.

Dann sieht Connor mich an. »Aber ist es das tatsächlich? Schön, mich kennenzulernen, meine ich.«

Ich hebe das Kinn ein Stück an. »Ich habe mich darauf gefreut, dass wir uns endlich treffen, und bilde mir sowieso gerne selbst ein Urteil. Über das, was hinter der … Fassade steckt.«

»Und, schon eine erste Einschätzung?«, fragt Connor jetzt und verschränkt die Arme.

Mit einsfünfundsiebzig bin ich nicht gerade klein, aber gerade hasse ich es, dass Connor mir gut fünfzehn Zentimeter voraushat und auf mich herabblicken kann.

»Das Urteil steht noch aus«, antworte ich ihm wahrheitsgemäß und schieße einen schnellen Blick in Richtung Grayson, der nun zerknirscht und gleichzeitig genervt dreinblickt.

»Nimm dir alle Zeit, die du brauchst«, sagt Connor über das Geräusch des Aufzugs hinweg, das signalisiert, dass wir endlich an unserem Ziel, dem siebenundzwanzigsten Stockwerk und Studio von Mornings in Boston, angekommen sind. Er lehnt sich etwas vor und sieht mir tief in die Augen. »Der Teufel kann warten.«

Dann, ohne einen Blick zurück, tritt er aus dem sich öffnenden Aufzug.

Was zur …

»Das ist … ungünstig gelaufen«, seufzt Grayson neben mir und reibt sich über das Gesicht, während ich den Aufzug verlasse.

Obwohl ich die Stimmung auflockern will, verlangsamt die Energie dieses Office meinen Schritt. Sonnenstrahlen durchbrechen die Fensterscheiben und erhellen den Eingangsbereich. Die Rezeptionistin begrüßt mich, ihre Worte unterlegt von Gesprächen, Tastaturklappern und dem Geruch von Kaffee, der durch das Büro wabert. Zwar habe ich schon für verschiedene Sender und Medien gearbeitet, doch im Gegensatz zu muffigen Studios und eingepferchten Schreibtischen erwartet mich hier eine Einrichtung, die an ein modernes Start-up erinnert. Im Newsroom sind weiße Tische in Clustern platziert, an denen – wie von Halime bei einem Rundgang nach dem Bewerbungsgespräch kurz erwähnt – zu gewissen Themen recherchiert wird. Die Leute dort bei ihrer Arbeit zu sehen und wie sie miteinander lachen oder konzentriert arbeiten, entzündet auch in mir ein Feuer. Manche haben es sich mit ihren Laptops auf ein paar der Sitzsäcke am Fenster gemütlich gemacht, andere stehen um einen Kühlschrank mit Gratis-Snacks und anschließender Tee-Bar versammelt, um aktuelle Schlagzeilen zu besprechen. Neugierige Blicke treffen mich zusammen mit Lächeln, manche zucken dann nach links – zu Connor, der mir aufgrund meines Staunens einige Schritte voraus ist.

Gerade als er an der Küche vorbeigehen will, wird er von einer älteren Frau aufgehalten, die mit einer Tasse aus der Tür kommt. »Connor! Was habe ich dir zu deiner Stirn gesagt?«, empört sie sich mit aufgerissenen Augen, der mexikanische Akzent macht ihre Stimme warm und weich. Sie stemmt die freie Hand in die Hüfte, was das lange Kleid mit Leopardenmuster dazu bringt, Falten zu werfen. Ungeduldig tippt sie mit ihren Lederstiefeletten auf den Boden und legt den Kopf schief, ihre wilden, voluminösen weißen Haare neigen sich mit.

Fast erwarte ich, dass er einfach an ihr vorbeigeht, doch er bleibt stehen und seufzt. »Wenn du immer so die Augenbrauen zusammenziehst, bleibt die Zornesfalte irgendwann. Weiß schon, Maria.«

»Wär doch schade, bei deinem hübschen Gesicht«, sagt sie, ehe ihre knallrot geschminkten Lippen ein Lächeln formen, das nicht nur ihre Augen, sondern ihr ganzes Gesicht zum Strahlen bringt. »Hast du dir außerdem die Haare gerauft?«, will sie wissen und tritt einen Schritt vor, um ihm ein paar Strähnen aus der Stirn zu streichen, obwohl sie gut zwei Köpfe kleiner als er ist. Und Connor … mit einem Seufzen neigt er den Kopf und murrt etwas, doch er lässt die Frau gewähren, die nach ein paar Handgriffen zufrieden mit seiner Frisur ist.

Dann entdeckt sie mich, und ein wissender Ausdruck tritt in ihre Augen, ehe sie in Connors Richtung sagt: »Jetzt wird mir das mit der Falte klar.« Sie kommt auf mich zu, und ich strecke ihr die Hand entgegen. Doch sie drückt mich in einer halben Umarmung an sich, bevor ich überhaupt Hallo sagen kann.

»Wie schön, dass du hier bist!« Ihr dekadentes Parfüm hüllt mich ein. »Penelope, richtig?«

Sie lässt mich los, und ich nicke, strahle sie wegen der freundlichen Begrüßung an. »Genau, hi.«

»Ich bin Maria. Ich bin Visagistin für die Show, seit – ach – siebentausend Jahren.« Sie winkt ab, ehe sie mich genauer mustert. »Ich liebe deine Ausstrahlung! Und die blauen Meeraugen noch dazu, ein Traum! Ein starker Blick«, setzt sie murmelnd hinzu. »Du hast schon vieles gesehen.« Ihre Stimme ist nun leise, als hätte sie etwas bemerkt, das ich zu verbergen suche. Nur was? Immerhin sind es viel zu viele Dinge, die ich geheim halte.

Mühevoll schlucke ich. »Es –«

»Maria, lass Penelope doch erst mal ankommen, bevor du ihr die gesamte Lebensgeschichte aus dem Gesicht liest oder von deinen ereignisreichen Affären erzählst«, unterbricht Halime Ganim, die Produzentin von Mornings in Boston, schmunzelnd die Visagistin, während sie uns entgegenkommt. Sie bleibt neben Connor stehen, der den Austausch stumm beobachtet hat – eine senkrechte Falte zwischen den Brauen, die noch tiefer wird, nachdem Grayson sich mit einer Tasse in der Hand zu uns gesellt. Maria hebt unterdessen unschuldig die Schultern und trinkt einen Schluck.

»Perfektes Timing!«, sagt die Produzentin. »Penelope, Connor – lasst uns ins Studio gehen. Grayson, trommle das Team zusammen, damit Penelope alle kennenlernt!« Sie schnappt mich am Arm und grinst mich zusammen mit einem warnenden Blick in Richtung Connor breit an. Dann gehen wir auch schon den von verglasten Büros und Meetingräumen gesäumten Flur in Richtung Studio entlang.

Ich gucke Connor kurz über die Schulter hinweg an. Der folgt uns mit neutraler Miene zum Control Room.

»Wir haben den Dreh von Monicas letzter Sendung erst vor gut einer halben Stunde abgeschlossen, das heißt, die meisten müssten noch in der Nähe des Sets herumhängen.« Halime lehnt sich verschwörerisch ein wenig weiter zu mir. Ihre wunderschönen Augen funkeln dabei, genau wie ihr goldenes Nasenpiercing. Zusammen mit dem dunklen Pixie-Cut sieht sie einfach nur umwerfend aus. »Seit das Team Wind davon gekriegt hat, dass der Kaffee bei den Abendnachrichten um Lichtjahre besser ist als dieses Gebräu bei uns, finden die Teammitglieder plötzlich seeeehr viele Gründe, um deren Stockwerk zu besuchen. Ein Glück, dass du aufgetaucht bist, bevor das Pilgern zur heiligen Espressomaschine beginnt«, gesteht sie und … schnuppert an mir. Ihre Augen verengen sich. »Sag mal, war Grayson etwa wieder eine rauchen? Ihr seid doch vorhin gemeinsam aus dem Fahrstuhl gekommen, oder?«

»Ich weiß von nichts«, sage ich mit einem schmalen Grinsen, das mich anscheinend enttarnt, da eine von Halimes dichten, schwarzen Augenbrauen bis unter die kurzen Stirnfransen nach oben zuckt.

»Wenn der mich noch einmal fragt, ob ich ihm helfen kann, endlich damit aufzuhören …«, knurrt sie.

»Sagt die, die ungefähr fünfzig Espressi am Tag ext und sich darüber beschwert, dass sie Herzflattern kriegt«, murmelt Connor hinter uns, doch entweder ignoriert ihn die Produzentin oder sie hört ihn schlichtweg nicht.

Halime zieht kurz ihr Smartphone aus der hinteren Hosentasche und tippt darauf herum. »Muss nur kurz in den Team-Chat schreiben, dass wir uns in fünf Minuten am Set treffen, falls Grayson nicht alle findet. Done. Also? Bist du bereit für deinen neuen Job?«, fragt sie mich und wackelt dabei mit den Brauen. »Hoffentlich hast du dich heute noch einmal ordentlich ausgeschlafen, bevor morgen die Frühschicht beginnt.«

Ausgeschlafen? Ihre Frage entlockt mir ein kleines Lachen. »Keine Ahnung, wann ich zum letzten Mal länger als sechs im Bett gelegen habe.« Nicht mal heute oder in den vergangenen Wochen, seit meine alte Stelle in Vermont durch Budgetkürzungen abgebaut wurde und ich nach einem neuen Job gesucht habe. Ich bin ein Morgenmensch – wenn man die Stille dieser Stunden erst mal gewöhnt ist, fällt es schwer, dieselbe Ruhe im restlichen Tag zu finden, sobald alle anderen wach sind. Ich muss nicht über die Schulter blicken, um zu wissen, dass es allen anderen hier genauso geht, immerhin geht die Show schon um sieben Uhr morgens los. Die meisten trudeln allerspätestens um vier ein, hat Halime gesagt.

Die Penelope-Zeitzone. So hat Beth diesen Wach-Schlaf-Rhythmus immer bezeichnet. Rasch zieht sich mein Herz zusammen, diesmal allerdings nicht vor Aufregung. Ich vermisse meine Schwester, aber ich weiß, dass ich das hier auch für sie tue. Sie war immer die Mutige von uns beiden – sie hätte gewollt, dass ich diesen Job annehme und ihn rocke.

»Dann bist du in bester Gesellschaft«, raunt Halime und deutet mit dem Daumen hinter uns. »Der da ist jeden Morgen einer der Ersten hier.« Sie lehnt sich ein Stück näher zu mir. »Wenn du glaubst, der ist jetzt schon grumpy, solltest du vor seiner ersten Tasse Kaffee erst gar nicht mit ihm sprechen.«

»Das habe ich gehört«, kommt es von hinten.

»Solltest du auch«, singt Halime. Bevor ich weiß, wie mir geschieht, zieht sie mich durch den Control Room voll mit Bildschirmen und Equipment, von dem aus die Aufnahmen überwacht werden, und zur gegenüberliegenden Tür raus. Weiter an Kameras und Telepromptern vorbei zum Set.

Der Anblick der beleuchteten Stage im noch von der Übertragung abgedunkelten Raum lässt mein Herz galoppieren, während mein Blick über das Set vor mir gleitet. Gebannt bleibe ich stehen, obwohl ich das Herzstück bereits beim Einstellungsgespräch bewundern konnte – jetzt, so kurz nach der Show, scheint es vor Energie nur so zu vibrieren. Als würden die hier präsentierten Geschichten nun wie glänzende, von Wahrheit umwobene Partikel in der Luft schweben.

Ich betrachte die clever platzierten runden und wolkenförmigen Elemente, die sich zusammen mit der Bostoner Skyline auf der Rückwand, die die meterhohen Screens zu beiden Seiten des Podests verbindet, zu einem Logo in wechselnden, zarten Sonnenaufgangsfarben vereinen. Links für den Empfang von Showgästen ein Sofa und zwei Stühle, die sich um einen niedrigen Tisch mit einem weißen Blumenstrauß darauf gruppieren. Rechts eine leere Bühne, auf der Liveacts und Demonstrationen ihren Platz finden. Gleich daneben der Green Screen, auf dem das Wetter gezeigt wird – Graysons Metier.

Und in der Mitte, direkt vor mir …

Ich schlucke.

Drei beleuchtete Stufen trennen mich von ihm. Dem Platz, an dem ich sein will, seitdem ich als junger Teenie wie Rory Gilmore auch Journalistin werden wollte. Eine Wunschvorstellung, an die ich mich geklammert habe wie an ein Rettungsseil, doch an die ich selbst nicht mehr geglaubt habe – hätte mich mein bester Freund Phil nicht darin bestärkt, aus meiner Trauer heraus nach den Sternen zu greifen. Du brauchst kein Glück, Rory. Du hast schon dich. Genau wie gestern Abend, als seine letzte Nachricht kam, fühle ich seine Worte nun bis tief in meine Knochen. Er weiß nicht, was für einen Job ich mache, aber er weiß, dass er mir alles bedeuten wird.

Zwei dunkelgraue Moderationsstühle, rechts Connor, links ich. Ein Ort der Verantwortung, mitten unter dem Schriftzug Mornings in Boston. Des Versprechens, immer da, verlässlich und ehrlich zu sein, den Zusehenden verpflichtet, fünf Tage die Woche von sieben bis neun Uhr morgens als Sprachrohr aller wichtigen Geschehnisse zu dienen. Hinter dem blauen, durchscheinenden Pult aus Glas steht meiner zur Seite gedreht, als wäre Monica Chopra, die Nachrichtensprecherin, die ich zukünftig ersetzen werde, keine Minute zuvor aufgestanden und einfach … gegangen.

»Monica hat es nicht so mit Abschieden.«

Meine Augen zucken zu Connor, der neben mir stehengeblieben ist, den Blick ebenfalls nach vorne gerichtet. Als hätte er genau wie ich die Platzierung des Stuhls bemerkt.

»Kaum war die Show zu Ende, ist sie abgehauen«, fügt er in einem nicht interpretierbaren Tonfall hinzu.

»Classic Monica. Gefühlsduselei liegt ihr nicht. Nicht mal jetzt, wo sie so kurzfristig nach London zu ihrer Familie zieht, war das anders«, seufzt Halime und lässt mich los, um den ankommenden Teammitgliedern und Produktionsmitarbeitenden zu bedeuten, dass sie sich vor der Stage positionieren sollen. »Fehlen wird sie mir auf jeden Fall.«

»Ja«, erwidert Connor so leise, dass ich denke, er hat dieses Wort nur für sich selbst ausgesprochen.

»Es ist mir eine Ehre, dass ich Monica nachfolgen darf. Ich hätte sie gerne kennengelernt.« Das ist die Wahrheit, obwohl mir erst jetzt so richtig bewusst wird, wie groß die Fußstapfen sind, in die ich trete. Monica hat mir nicht nur zwei Jahrzehnte im Business voraus, sondern auch einen legendären Ruf als Journalistin. Etwas, das mich zum Schlucken bringt, bevor ich in Richtung Connor sage: »Du hast mit ihr zusammengearbeitet, seit du hier vor zwei Jahren angefangen hast, oder?«

Connors grüner Blick findet mich. Die linke Augenbraue wandert dabei kaum merklich nach oben. Ist er etwa … überrascht?

Es ist mein Job, genau wie seiner, Dinge zu wissen. Und wenn ich sie nicht weiß, bringe ich sie durch gründliche Recherchearbeit in Erfahrung. Wie Connors Lebenslauf, der sich nicht stärker von meinem unterscheiden könnte – Privatschule, Eliteuniversität, Praktika bei großen Medienhäusern. Gefördert von seinem mittlerweile verstorbenen Stiefvater Jeff Allbrook.

Connor nickt knapp. Mustert mich eine Sekunde lang. Sieht wieder weg.

Unsere Chemie? Aktuell so elektrisierend wie ein nasser Waschlappen. Hoffentlich pendeln wir uns noch ein, immerhin lebt die Sendung davon, dass die beiden Menschen auf den Stühlen sich gekonnt die Bälle zuspielen.

»Es tut mir –«, fange ich an, doch dann klatscht Halime auch schon in die Hände. »Yep, alle da!« Sie stellt sich kurz auf die Bühne, um über Monicas Abschied zu reden und mich willkommen zu heißen. Dann sieht sie mich fragend an und als ich nicke, überlässt sie mir die Bühne.

Tiefes Durchatmen, während ich die drei Stufen des Podestes nach oben gehe und mich vor den gläsernen Tisch stelle. Ich betrachte das versammelte, gut siebzigköpfige Team vor mir. Endlich bin ich nicht mehr Social-Media-Managerin, Fotoredakteurin und Nachrichtensprecherin in einem. Kein Mädchen für alles wie bei meinem letzten TV-Job.

Connor steht noch immer direkt vor der Bühne, die Miene unbewegt. Graysons blonden Schopf erspähe ich sogar in der weiterhin abgedunkelten Beleuchtung nahe der Tür. Zu seiner Linken stehen Maria und eine junge Frau mit Pferdeschwanz, ihre Haare eine strahlende Nuance heller als die des Wettermoderators, wie gesponnenes, kühles Gold. Sie kommt mir vage bekannt vor.

Ich straffe die Schultern, senke die Mauer aus Vorsicht in mir ein Stück und setze mein breitestes Lächeln auf. »Hi, ein paar von euch kennen mich schon von den Vorstellungsgesprächen. Für die anderen: Ich bin Penelope Sanderson und freue mich darauf, ab morgen auf diesem Stuhl zu sitzen und Mornings in Boston mit Connor zu moderieren.« Ich deute mit dem Daumen hinter mich, ehe ich Connors Blick suche. Er hebt das Kinn leicht an. Wartet. »Ich weiß«, füge ich hinzu, während sich unsere Blicke für ein paar Sekunden verhaken, »dass ich vielleicht nicht für alle die erste Wahl für diesen Job war. Aber ich kann euch versichern, dass ich alles in meiner Macht Stehende tue, um diese erste Wahl zu werden.« Worte, die ich tief in mir spüre, und die mir mehrfaches anerkennendes Nicken einbringen. Das Knäuel in meinem Bauch beginnt, sich aufzulösen – Knoten für Knoten. Langsam, aber immerhin.

»Außerdem bin ich mir nicht zu schade dafür, mir euer Wohlwollen mit Muffins zu ergaunern.« Jetzt grinse ich.

»Scarlett Astor hier«, ruft die junge Frau neben Grayson und winkt. »Hoffentlich werden aus dieser Muffin-Geschichte keine Fake News. Wie wär’s also mit morgen? Nur, um sicherzugehen, dass wir dir wirklich unser Wohlwollen anvertrauen können?«

Warmes Gelächter. Ein weiterer Knoten: weg.

Meine Mundwinkel biegen sich ein Stück nach oben. Ein Felsbrocken lockert sich in meiner Brust. Eine Regung, die flüstert: Du bist richtig hier.

Ich zucke mit den Schultern. Warum nicht? »Am besten, ihr fühlt euch schon mal von mir bestochen, Team.«

KAPITEL 3

Früher

Phil: Hi, Rory. Ich habe gerade deinen Eintrag im Forum zum Thema »Loslassen« gelesen und … Wow. Deine Worte sind sehr relatable, dass man sich an jemanden klammert, der nicht mehr da ist, und wie schwer es ist, das Vorgefallene nicht ändern zu können. Was ich mich allerdings gefragt habe … Was genau meintest du damit, dass man am besten nichts mehr hinterfragen sollte?

Rory: Hey, Phil. Leider schadet es oft mehr, vergangene Konversationen oder Situationen, die man nicht mehr ändern kann, zu analysieren, anstatt damit Frieden zu schließen. Die Person ist nicht mehr da, mit der man darüber sprechen wollen würde.

Phil: Klingt einfacher gesagt als getan.

Rory: Es ist unglaublich schwierig, und mal ehrlich? Meistens gelingt mir das auch nicht. Aber es ist wert, es zu versuchen. Für sich selbst. Für die Person, die man verloren hat.

Phil: Es fühlt sich verdammt selbstsüchtig an, vergessen zu wollen. Bin mir nicht mal sicher, ob ich das möchte.

Rory: Das muss jede Person für sich selbst entscheiden, weil man in einem eigenen Tempo trauert. Hast du gerade jemanden verloren?

Phil: Vor einer Weile. Seither ist alles Chaos. Du?

Rory: Auch vor einer Weile. Und tut mir leid, das zu hören.

Phil: Wen hast du verloren?

Rory: Das möchte ich lieber nicht sagen.

Phil: Okay.

KAPITEL 4

Sugar and spice, will we play nice?

PENELOPE

Ich stelle die riesige Tupperdose auf der Anrichte der Büroküche ab. Es war eine absolut ambitionierte Idee, gleich am allerersten Tag einen Berg aus selbstgemachten Ahornsirup-Muffins mitzubringen, aber wenigstens habe ich ein Uber hierher genommen, so hat sich die Schlepperei in Grenzen gehalten. Absolut zufrieden mit meiner Backkunst nehme ich ein Glas aus einem der Schränke und fülle es mit Wasser.

Von draußen ertönt Tastaturklackern, darunter vereinzelte, leise Gespräche der bereits Anwesenden. So, als wären wir zwar alle schon jetzt, in diesen frühen Morgenstunden, hellwach, aber würden aufgrund einer unausgesprochenen Vereinbarung trotzdem die Ruhe einer Nacht wahren, die für uns schon längst zu Ende ist. Ich liebe diese Art der Stille, weil sie uns vereint, während der Rest der Menschen noch schläft.

»Morgen, Penelope.«

Connors Stimme bringt mich zum Zusammenzucken. Ich wirble herum, kralle mich an das Glas. »Oh mein Gott«, seufze ich und beobachte, wie er in einem hellgrauen Hemd und einer eleganten, grafitfarbenen Baumwollhose auf mich zuschlendert. »Hast du mich erschreckt!«

»Sorry.« Connor begutachtet die Muffins, entscheidet sich jedoch dagegen, einen zu nehmen, und stellt stattdessen eine Kaffeetasse unter die Maschine.

»Du kannst einen haben, wenn du möchtest«, sage ich und entferne den Deckel der Dose. Der Duft steigt mir in die Nase, und obwohl ich weiß, dass ich etwas essen sollte, würde mein Magen durch die stärker werdende Nervosität vermutlich gegen jeden Krümel revoltieren.

»Ich frühstücke nicht«, entgegnet er knapp. Das Geräusch der Kaffeemaschine füllt ein paar Sekunden lang die Stille zwischen uns. »Du hast die selbst gebacken?«, will er darauf wissen, noch immer mit Distanz in der Stimme.

»Ja.«

»Du hättest auch einfach welche kaufen können.«

Ich zucke mit den Schultern. »Kein Supermarkt-Gebäck kommt an das Rezept meiner Mom ran. Sie leitet ein Café in Burlington, die Muffins sind jeden Tag sofort weg«, sage ich und lächle ihn an. »Außerdem habe ich dem Team ja selbstgemachte versprochen.«

»Ah.« Er klingt nicht so, als würde ihn das sonderlich interessieren.

Mit ungerührter Miene nimmt er die volle Tasse, ehe er sich wieder in Richtung der Tür dreht.

»Warte«, sage ich, bevor er sich ganz abwenden kann. Gestern war er weg, bevor ich den Fauxpas endgültig aufklären konnte, doch es ist mir wichtig, gut miteinander in die Show zu starten.

Nun sieht er mich an.

»Es tut mir leid, wie unsere erste Begegnung verlaufen ist. Ich möchte mich bei dir entschuldigen«, sage ich und straffe die Schultern.

Connor mustert mich, trinkt einen Schluck. Er lässt sich Zeit mit einer Antwort, und ich versuche zu ignorieren, was sein analytischer Blick mit mir macht. Als hätte er sich bereits dazu entschlossen, dass die Zusammenarbeit nicht klappen kann, und würde nur darauf warten, dass ich ihm einen stichfesten Beweis dafür liefere.

»Möchtest du nur oder tust du es auch?«, fragt er dann seelenruhig.

»Wie bitte?«, platzt es überrascht aus mir heraus, und ich stelle das Wasserglas ab.

»Es gibt Leute, die möchten nur, aber machen nie. Bist du eine von diesen Personen? Wenn, dann lass mich das besser gleich wissen.« Er pausiert. »Immerhin sind wir … Partner.« Das letzte Wort klingt wie in Säure gekleidet.

Was für ein Arsch. Aber natürlich kann ich ihm das nicht ins Gesicht sagen, immerhin sind wir Kollegen. »Natürlich mache ich auch. Meine Bemerkung tut mir leid«, stelle ich sachlich fest. »Ich weiß, ich bin keine Monica …«

»Glaub mir, das ist mir klar«, schaltet er sich dazwischen. Korrigiere: Vielleicht sollte ich es ihm ins Gesicht sagen. »Aber Halime und Tommy« – Halimes Vorgesetzter – »haben dich trotzdem ausgesucht, also muss ich wohl mit der Situation klarkommen.«

Bin ich echt etwas, mit dem man klarkommen muss? Ärger steigt von meiner Magengrube bis zu meinem Herzen. »Wir beide werden wohl das Beste draus machen«, erwidere ich eine Spur süßer als mein üblicher Tonfall.

Er scannt mich von oben bis unten. Dann: ein süffisantes Grinsen, das jeglicher Amüsiertheit entbehrt. »Werden wir sehen.«

Bevor ich reagieren kann, nickt er mir zu und schlendert aus der Tür, als hätte er mir nicht gerade durch die – ziemlich verwelkte – Blume gesagt, dass er keinen Plan hat, was ich hier zu suchen habe. Wo ist der charmante Moderator? Scheinbar genauso verschwunden wie sein Funken Anstand, zischt die Professionalität in mir.

Gray hatte gestern recht: Wenn das nur eine Kostprobe seines Charakters ist, kann ich mich auf eine schwierige Zusammenarbeit gefasst machen. Ich beiße kopfschüttelnd die Zähne zusammen und staple die Muffins anders herum, um meinen Händen etwas zu tun zu geben. Hey, besser, als ihn zu erwürgen, oder?

Am liebsten würde ich ihm nachgehen und fragen, was an der ganzen Sache genau meine Schuld sein soll, aber lieber kühle ich erstmal ab, bevor ich mich von seiner abweisenden Art ins Bockshorn jagen lasse. Wenn ich eines noch weniger brauche, dann ist es ein Streit noch vor der ersten Show, wenn unser Vibe ohnehin schon im Graben liegt.

»Whoa, girlie! Hab noch nie jemanden gesehen, der Muffins so aggressiv arrangiert«, ertönt es von der Tür. Scarlett, die junge, blonde Journalistin, die gestern neben Gray gestanden hat, kommt näher. »Sieht aus, als hättest du deine morgendliche Connor-Dosis schon abgekriegt. Been there, done that«, witzelt sie, bevor ihre Miene ernster wird und sie den Kopf schieflegt. Ihr Pferdeschwanz schwingt dabei über ihre schmale Schulter. »Alles okay? Bist du sehr nervös?«

Ich lasse von den Muffins ab und sehe ihr zu, wie sie sich einen nimmt und das Papier abschält. »Na ja, geschlafen habe ich nicht sonderlich gut.«

»Verständlich, ist mir vor meinem ersten Bericht auch nicht anders ergangen.«

»Und Connor …«, beginne ich, unsicher, wie viel ich preisgeben soll. Büroklatsch ist nicht mein Ding, und über Connor hinter seinem Rücken zu reden, bringt uns garantiert auch nicht näher. Deshalb antworte ich nur: »Halime meinte gestern, dass er morgens grumpy wäre. Das hat er mir wohl gerade bewiesen.«

»Du wirst die Show rocken. Und Connor taut schon auf. Höchstwahrscheinlich. Vermutlich. Vielleicht.« Scarlett schneidet eine Grimasse. »Sonst musst du eben mit einem Streichholz nachhelfen.«

Ein uneleganter Laut entfährt mir. »Dafür braucht’s wohl eher einen Kanister Benzin und eine Stichflamme.«

»Gefällt mir, wie du denkst«, meint die Journalistin mit einem Grinsen und nimmt einen großen Bissen, kaut, dann, plötzlich, weiten sich ihre Augen. »Fuck, Penelope!«, keucht sie und hält sich eine Hand vor den Mund. »Oh mein Gott. Ich glaub, ich habe gerade einen Food-Orgasmus.« Sie begutachtet den Muffin in ihrer Hand, dann nimmt sie noch mal einen Riesenbissen. »Wie. Geil«, seufzt sie mit vollem Mund, sackt gespielt ergriffen gegen die Kücheninsel und entlockt mir damit ein Lächeln.

»Hör mal«, fange ich an, während ich ihr beim Kauen zusehe, »das wollte ich dich gestern schon fragen, aber bei den ganzen Leuten war nicht genug Zeit: Du kommst mir bekannt vor, kennen wir uns woher?«

»Hm. Dachte ich auch schon …« Sie schluckt den letzten Bissen runter und tupft sich dann mit einer Serviette über den Mund, die sie daraufhin entsorgt. »Du warst vorher in Vermont, oder? Warte … Warst du dort an der Uni?« Scarlett verschränkt die Arme vor dem beigen Leinen-Jumpsuit, der sich an ihre Kurven schmiegt.

»Ja, du auch?« Garantiert hätte ich mir Scarletts breites Grinsen in meinem Studiengang gemerkt. Zwar ist sie um gut einen Kopf kleiner als ich, aber ihre Ausstrahlung füllt den ganzen Raum.

»Ne. Nur mal zum Feiern in der Nähe des Campus, aber an einem Tag bin ich morgens in der Uni-Bibliothek gelandet, wo mir eine gute Seele eine Cola und einen Müsliriegel aus dem Automaten spendiert hat, weil ich mein Portemonnaie verloren hatte.«

Ein überraschtes Lachen entfährt mir. »Warte, das warst du?« Vage kann ich mich an die aufgedrehte junge Frau mit den High Heels und dem Glitzerrock erinnern, mit der ich mich unterhalten habe. Nachdem ich von der Toilette gekommen war, war sie allerdings verschwunden. »Wo bist du damals hin?«

»Hatte meine Freunde verloren, und dann haben sie mir endlich ihren Standort geschickt.« Sie verdreht die Augen, so, als wäre das typisch. Fragt sich nur, für wen – für Scarlett oder ihre Clique. »Aber … schön, dass wir uns wieder begegnen! Ich bin selbst auch erst seit zwei Wochen hier, aber Gray und ich haben uns schon angefreundet. Du solltest unbedingt mal mit uns Mittagessen gehen!«

Danach plaudern wir noch ein paar Minuten, ehe sich Scarlett verabschiedet, und ich stelle fest, dass diese kleine Ablenkung gutgetan hat. Der Ärger sowie die Nervosität sind besänftigt. Halime fängt mich auf dem Weg zum Büro ab, damit wir zusammen mit Connor den Ablauf besprechen können, bevor es später zum Abstimmungsmeeting in größerer Runde geht. Siehe da – er hat es sogar zustande gebracht, in Halimes Gegenwart normal mit mir zu sprechen, obwohl ich den Unwillen klar dahinter gespürt habe.

Danach folge ich ihm in unser Office. »Das ist dein Platz«, erklärt er mit einem Kopfnicken in Richtung des leeren Schreibtischs. Dann lässt er sich auf seinen eigenen Stuhl fallen, als wäre das schon genug einer Willkommen-in-unserem-geteilten-Büro-Rede.

Mit einem tiefen Atemzug richte ich mich ein, lasse unterdessen den Blick zur Glasfront schweifen. Boston sieht um diese Uhrzeit wunderschön aus, verschlafen in das Gold der ersten Sonnenstrahlen am Horizont gehüllt. Ein paar Sekunden gönne ich mir, um den Anblick zu bewundern, dann fahre ich den Firmenlaptop hoch, den die IT vor meiner Einführung gestern eingerichtet hat.

»Sollen wir uns das Skript gemeinsam ansehen?« Etwas, das ich gern mache, damit mir der später auf den Telepromptern gezeigte Text bekannt vorkommt. Vielleicht hat Connor das gemeinsame Gespräch mit Halime aufgetaut – ein Hoffnungsschimmer, der sofort verpufft, als sich mein Co-Anchor nicht mal die Mühe macht, bei der Antwort von seinem Laptop aufzusehen.

»Ist effizienter, wenn sich jeder allein mit dem Text beschäftigt.«

»Es geht nicht nur um Effizienz.« Null Plan, wie ich es immer noch schaffe, mich freundlich anzuhören, obwohl ich so genervt bin. Ach ja: Das nennt man wohl Professionalität. Brandneues Konzept, sollte ich Connor definitiv vorstellen. »Mindestens genauso wichtig ist es, sich gegenseitig durch den Text kennenzulernen und miteinander daran zu arbeiten, damit wir uns dadurch die Bälle geschmeidiger zuwerfen. So habe ich das bei meinem letzten Job gehandhabt.« Ich zucke mit den Schultern. »Das hier soll uns auch Spaß machen.«

Jetzt habe ich seine volle Aufmerksamkeit. »Spaß?« Er klingt fast ungläubig, so, als hätte er dieses Wort noch nie gehört.

»Möchtest du, dass ich dir erkläre, was das ist?«, scherze ich, aber nur zur Hälfte.

Er blinzelt, ehe er mit unbewegter Miene sagt: »Du bist nicht mehr in Vermont. Dein Co-Anchor ist kein siebzigjähriger Mann, der seit Anbeginn der TV-Geschichte beim gleichen Sender gearbeitet hat. Wir spielen hier in einer anderen Liga.«

Da er weiß, dass ich einen Großteil meiner Karriere zusammen mit Bernie – oder Vermont’s Favorite Grandpa, wie er genannt wird – gearbeitet habe, scheint sich Connor wohl auch über mich informiert zu haben.

»Wie habt Monica und du es denn gemacht?«, will ich wissen. So hatte ich mir das alles wirklich nicht vorgestellt. »Hat etwa jeder für sich selbst gekämpft?«

Etwas zuckt durch seine Miene, als Monicas Name fällt. Mit einem Seufzen steht Connor auf, nimmt die leere Kaffeetasse und schiebt die andere Hand in die Hosentasche. Dann schlendert er zu mir und bleibt vor meinem Tisch stehen, sieht auf mich herab. Beobachtet den Ausdruck, den ich so vorsichtig zu absoluter Neutralität arrangiert habe, um ja mein Ich-habe-es-mit-einem-Arschloch-zu-tun-Gesicht nicht durchblitzen zu lassen.

»Lass mich dir ein Geheimnis verraten«, raunt er nun und nimmt mich mit seinem Blick gefangen. »Jede Person kämpft für sich selbst und ist sich selbst die nächste. Und hier?« Er hebt eine Schulter. »Hier ist es nicht anders.« Ein schmales Lächeln kriecht auf seine Lippen. »Viel Spaß mit dieser Weisheit, Penelope. Sieh sie als Einstandsgeschenk.«

Kaum ist Connor aus der Tür, entlasse ich meine Gesichtszüge und boxe ein paarmal in die Luft, ehe ich schnaube und mich dem Laptop zuwende. Mein Herz pumpt fest, als ich mir einen kurzen Moment zum Runterkommen erlaube. Connor ist ein ausgemachter Esel, okay, suboptimal. Was allerdings in meiner Hand liegt: mich gut auf meine Arbeit vorzubereiten. Und genau das tue ich.

Ich lese mir den Content der Show durch, bewege die Lippen mit, um zu sehen, wie sich die Worte auf meiner Zunge anfühlen, und ignoriere Connor, als er wieder ins Büro kommt. Einige Absätze formuliere ich um, damit sie mehr nach mir klingen, und lese mich in die Themen ein, um ein paar weitere Fakten in den Text einfließen zu lassen.

Ich gehe kurz nachsehen, ob die Person da ist, die für die Aufbereitung von lokalen Nachrichten zuständig ist, die Halime für die Planung der Show zugespielt werden. Die junge Journalistin, sie stellt sich mir als Julie vor, sieht noch etwas verschlafen aus, als ich mit ihr abkläre, ob meine Recherchen sich mit ihren decken. Danach kehre ich erneut an den Platz zurück.

So arbeiten wir still nebeneinanderher, bis Halime ins Büro kommt. »Bald ready für das heutige Abstimmungsmeeting?«, fragt sie mich, und ich nicke. »Tommy sollte jeden Moment hier sein, dann können wir auch schon starten. Er hängt noch im zwanzigsten Stockwerk ab und streichelt dort vermutlich die Kaffeemaschine.« Sie verdreht die Augen.

»Vielleicht kann Bilton« – der CEO des Senders – »ein paar Dollar für eine Espressomaschine und einen Milchschäumer lockermachen, wenn du ihn darum bittest«, kommentiert Connor, ohne von seiner Arbeit aufzusehen.

»Bei den Sparmaßnahmen, die die gesamte Branche gerade fährt? Weißt du, wie viele Tassen wir uns als Team täglich in den Rachen schütten und wie viel gute Bohnen kosten? Träum weiter, Connor. Dafür müssen wir erst so prestigeträchtig wie die Abendnachrichten werden«, seufzt sie.

Sobald Halime die Abendnachrichten erwähnt, verändert sich Connors Haltung, wird ein paar Sekunden lang angespannter.

Ein Bellen ertönt aus Halimes gegenüberliegendem Büro.

Connor zieht die Brauen zusammen. »Hast du Besuch, Halime? Schon wieder?«

»Aus, du Frechdachs«, ruft sie über die Schulter hinweg. Merkwürdig, vorher in ihrem Büro habe ich keinen Hund bemerkt. »Peanut, unser Pflegechihuahua, versteckt sich manchmal in meiner Arbeitshandtasche, und normalerweise sehe ich nach, aber das habe ich wohl heute vergessen. Er scheint fest geschlafen zu haben, weil er sich erst vorhin im Aufzug gemeldet hat. Meine Verlobte holt ihn später ab.«

Connor schüttelt nur den Kopf, und Halime setzt ein unschuldiges Lächeln auf, das klar von einer weitreichenderen Geschichte hinter der ganzen Haustier-Sache spricht.

Wenige Momente später kommt Tommy auch schon und begrüßt uns, dann laufen wir zusammen in den Meetingraum, wo Scarlett, Grayson und ein paar andere Reporter und Nachrichtensprechende auf uns warten. Wir gehen die heutige Sendung durch, um sicherzugehen, dass jeder auf demselben Stand ist und ich mich sicher fühle. Dann reden wir über den heutigen Gast in der Sendung, Everett Knight, Quarterback der BostonKingfishers, mit dem ich zum Anfang meiner Karriere ein – extrem tollpatschiges – Interview geführt habe, weil er aus Vermont stammt.

»Das wird sicher cool, Everett ist verdammt hot«, kommt es von Scarlett, die sich gespielt die Luft zufächelt. Einige der Anwesenden stimmen lachend zu, unter anderem auch Halime, während Tommy aufstöhnt.

»Nicht ihr auch noch. Meine Frau ist total verschossen in ihn«, seufzt er, was mir auch ein Grinsen entlockt. »Mal ehrlich? Kann’s irgendwie verstehen.«

»Na, na.« Halime tätschelt seinen Arm. »Du bist auch ganz toll«, grinst sie ihn an, doch er winkt ab. Obwohl er sicher gut fünfzehn Jahre älter als sie ist, scheinen sich die beiden gut zu verstehen. Sie ergänzen einander, als wir über die Themen der anstehenden Sendung sprechen.

Die kommenden Shows zu planen fühlt sich zu großartig an, um über Connors abweisende Art nachzugrübeln. Ich darf gestalten, was Hunderttausende Menschen kurz nach dem Aufstehen als Erstes sehen und hören werden. Ein riesiges Privileg, das mich nach dem Meeting zurück ins Büro schweben lässt, um den Kleidersack zu holen. Gestern Nachmittag bin ich durch Macy’s und andere Stores gehetzt, um mir mit dem monatlichen Budget für Klamotten eine passende, farbenfrohe Garderobe zuzulegen. Mein – in der neuen Wohnung aktuell nicht existenter – Kleiderschrank besteht hauptsächlich aus dunkelblauen Ensembles, meine Lieblingsfarbe.

Ich mache mich auf den Weg zur Umkleide. Bevor ich eintrete, plaudere ich noch kurz mit Julie. Darauf ziehe ich mich um, und dann sitze ich schon bei Maria in der Maske. »Bin froh, dass endlich jemand anderes versuchen muss, meine Augenringe verschwinden zu lassen«, sage ich und deute auf mein Gesicht, wo ich die Auswirkungen der kurzen Nacht noch fühlen kann.

Maria quittiert das mit einem hellen Lachen. Danach richtet sie sich die Tunika mit Zebrastreifen, zu der sie eine riesige Statement-Kette aus türkisfarbenen Ringen trägt. »Na, schon eingelebt?«, fragt sie mich.

»Ich bin noch dabei – und ein wenig nervös«, gebe ich zu, als Maria beginnt, mich zu schminken.

»Das ist völlig in Ordnung und vollkommen verständlich. So was braucht Zeit«, erwidert sie und fängt meinen Blick mitfühlend im Spiegel auf. Mit wenigen Handgriffen zaubert sie mir rougefarbene Frische ins Gesicht und bringt meine Augen mit bräunlichem Lidschatten zum Strahlen. Eine Kombination, die meine Sommersprossen ebenfalls leuchten lässt. Dann greift sie auch schon zu ihrem Lockenstab, macht mir ein paar Wellen in die Haare.

»Ich weiß, dass ich gut in meinem Job bin, aber … aber was, wenn ich die Leere, die Monica hinterlassen hat, nicht füllen kann?« Der Zweifel, den ich bisher so gut wie möglich erstickt habe, rutscht mir über die Lippen, ehe ich ihn aufhalten kann.

»Penelope«, sagt sie nun verständnisvoll und legt den Lockenstab weg, weil wir schon fertig sind. Dann platziert sie ihre Hände sanft auf meinen Schultern. »Ich bin siebzig Jahre alt und habe schon viele Menschen bei mir in der Maske gehabt, und es werden vermutlich noch ein paar mehr, weil meine Pension nicht üppig genug ist, um gut in Boston leben zu können. Und lass mich dir sagen: Es gibt Personen, bei denen weiß ich es einfach.« Ihre feingliedrigen Finger drücken einmal beruhigend meine Schultern.

»Was?«

»Dass sie groß werden, weil sie Kampfgeist haben. Ich weiß nicht, wo du deinen herhast, aber was immer ihn gefestigt hat: Du musst nicht wie Monica sein. Du musst du sein und deinen eigenen Weg in dieser Branche gehen«, meint sie sanft. Damit entlässt sie mich, und ich stehe auf, gehe mit einem letzten, dankbaren Lächeln in Richtung Tür.

Als ich sie aufziehe, bemerke ich, dass Marias Blick weiterhin auf mir liegt. »Ein guter Schachzug, ein Kleid in der Farbe seiner Augen anzuziehen«, meint sie und nickt anerkennend. »Connor unterschätzt dich«, fügt sie danach hinzu und zwinkert verschwörerisch, was mir den Eindruck gibt, dass sie den kühlen Umgang vorhin an der Tee-Bar zwischen Connor und mir mitgekriegt hat. »Ein großer Fehler.«

KAPITEL 5

A rival like you

PENELOPE

Drei, zwei, eins.

Der Kameramann zählt still die letzten Sekunden bis zum Start der Sendung. Ein Finger geht nach unten, dann ein weiterer, und noch einer. Und ich … ich erwache zum Leben.

Jeder Millimeter Haut surrt, elektrisiert von diesem erfüllten Traum, von dieser Liebe zu dem, was ich tue – unbehelligt davon, dass mich der Mann zu meiner Linken keine halbe Minute zuvor abschätzig gemustert – Hammerkleid, ich weiß, colleague dearest – und mir danach ein kühles Viel Glück gewünscht hat.

Die Showmelodie ertönt, diese fünf Noten das wohl schönste Lied, das ich jemals gehört habe. Ich lächle von innen heraus, durch die Nervosität hindurch. Der Stuhl unter mir? So komfortabel wie mein eigenes Bett.

»Du kriegst das hin«, meldet sich Halime über das Ohrstück, durch das beispielsweise Produzierende mit News-Anchors sprechen können. Ihre Zuversichtbringt mich dazu, noch ein wenig breiter zu lächeln.

Hirn und Knackarsch. Du hast beides, Baby-Sis, vergiss das nie. Du wirst das schaffen. Die gekicherten Worte meiner Schwester wandern wie eine laue Brise durch mein Gedächtnis. Ich antworte ihr still: Ich habe es geschafft, Beth.

Neben mir atmet Connor tief ein, vermutlich aus bisheriger Gewohnheit, die Begrüßung zu übernehmen. Doch ich – und einer meiner abgeänderten Textvorschläge, die nun auf dem Teleprompter erscheinen – kommen ihm, wie im Gespräch mit Halime abgestimmt, zuvor.

»Willkommen zu Mornings in Boston! Ich bin Penelope Sanderson, Ihre neue Moderatorin, und neben mir sitzt Connor Kingsley. Ich freue mich, ab sofort mit Ihnen gemeinsam in den Tag zu starten.« Die Worte verlassen fließend meine Zunge. Ich stolpere nicht, verschlucke keine einzige der Silben – eine Furcht, wegen der ich gestern nicht einschlafen konnte. Unbegründet.

Ohne zu zögern, springt Connor in die von mir vorgelegte Dynamik. Halime hat zugestimmt, dass es eine starke Botschaft senden würde, wenn ich mich selbst vorstelle: Ichbinhier.

»Guten Morgen, und ich freue mich sehr, dich als meine neue Kollegin begrüßen zu dürfen«, entgegnet er, die Stimme freundlich und … viel samtiger als bei unseren letzten Gesprächen. In Seide gekleidete, scharfe Krallen. »Schön, dass du hier bist.«

Da ist er – der Mann, den ich aus dem Fernsehen kenne. Die Haltung offen, sein Blick voller Wärme – ein See im Sonnenlicht, einladend und so vertrauenerweckend. Connors Lächeln ist wunderschön. Und absolut schrecklich zugleich. Ein Versprechen, mich ganz genau im Auge zu behalten – und eine Warnung, die sagt, dass wir keine Freunde sind. Und auch nie welche werden.

Als würde er wissen, welche Auswirkung sein Lächeln hat, richtet er mit einem winzigen, selbstgefälligen Ausdruck um die Lippen nun erneut den Blick nach vorne. Direkt leitet er über zum ersten Segment der Show: die tagesaktuellen Nachrichten. Sofort verändert sich seine Miene, wechselt von charmant zu einer professionellen Neutralität, die ich ebenfalls auf meinem Gesicht fühle.

»In der letzten Nacht ist eine Fabrik in Salem in Brand geraten«, lese ich vom Teleprompter ab und mache mich eine Spur größer. Nehme die Kamera mit meinem Blick gefangen und lege jedes Quäntchen Präsenz in meine Haltung, meine Mimik. Achte darauf, dass meine Zunge scharf und mein Blick ernst ist, so, als könnte ich die Person daheim, vor dem Fernseher, tatsächlich sehen. »Das Salem Fire Department arbeitet seit drei Uhr morgens daran, die Flammen am Überspringen auf die angrenzendeHighschool zu hindern …« Danach: Bürgermeisterwahlen. Dackelparade im Stadtzentrum. Gestrige Protestaktionen am Flughafen gegen den Klimawandel.

Danke für die Überleitung, Penelope. Es geht weiter mit …

Wie Connor zusammengefasst hat …

Später wird uns der heutige Showgast Everett Knight … Wird interessant, mehr darüber zu erfahren, oder, Penelope?

Ja, absolut, das wird es.

Chemie: null. Fake Freundlichkeit: hundert. Echte Freundlichkeit: minus fünftausend. Wir moderieren nebeneinanderher, auch wenn ich sicher bin, dass es sich für die Zusehenden nicht so anfühlt. Aber ichspüre ihn – Connors Widerwillen, sich diesen Platz mit mir zu teilen. Und das ist genug, um mich innerlich die Zähne zusammenbeißen zu lassen.

Trotz des kurzärmeligen, fließenden Etuikleides, das wie Connors Augen in der Beleuchtung schimmert, ist mir verdammt heiß. Ein Anflug von Wut macht sich in mir breit, während Connor zum Segment mit Scarlett überleitet, die nach der Konferenz den Sender verlassen hat, um live zu berichten.

»Ich befinde mich gerade in einer Wildtier-Aufzuchtstation, nur fünf Kilometer außerhalb von Fitchburg mit einem Tierpfleger, der gestern Nacht eine außergewöhnliche Rettungsmission geleitet hat«, sagt Scarlett während der folgenden Übertragung ins Studio und hält dem bärtigen Mann neben ihr ein Mikrofon hin, nachdem sie ihn vorgestellt hat. Er erzählt recht einsilbig, dass er um ein Uhr morgens auf einen Anruf der hiesigen Polizeistelle hin zwei verwaiste Schwarzbärjungen aus einem Baustellenloch befreit hat. Scarlett navigiert die schwierige Gesprächssituation, ohne ein einziges Mal bei einer ihrer Fragen zu zögern.

Die beiden Bären tollen hinten durch das Bild, nur milde irritiert von der Kamera. Bis sich einer von ihnen entscheidet, sich durch die lockermaschige Einzäunung hindurchzuquetschen und Scarlett anzuknabbern. Oder besser gesagt: ihren Jumpsuit. Sie reagiert eine Sekunde zu spät und fällt beinahe vornüber, als sich der Bär auf die Hinterpfoten stellt und sie auf Kniehöhe ableckt. Ihr entfährt ein überraschtes Lachen. Wäre mir ein Raubtier so nah, selbst im Mini-Format, würde ich jegliches Publikum vergessen und beinhart Reißaus nehmen. Trotz der dichten Schwarzbärpopulation in Vermont habe ich nur ein-, zweimal welche aus dem Auto gesehen. Das hat mir gereicht.

»Ich hätte scheinbar heute Morgen nicht mit Honigseife duschen sollen«, scherzt Scarlett, nach wie vor Herrin der Situation, während der Pfleger den Bären von ihr weglockt, und mich – kilometerweit entfernt – ein kurzer Schauer überläuft.

Eine Reaktion, die mich eine ungeskriptete Frage stellen lässt, ehe ich an die strenge Einhaltung der Sendezeit denken kann: »Immer wieder kommt es zu Wildtierunfällen, weil sich die Wege von Mensch und Tier kreuzen, und oft nicht richtig reagiert wird. Scarlett, wie fühlt es sich an, einem Schwarzbären so nahe zu sein – aufgrund ihrer Jugend noch kuschelig-sicher oder doch wie etwas, das man auf keinen Fall unterschätzen sollte?« Hoffentlich geht mir Grayson später nicht an die Gurgel, wenn er sich dafür mit dem Wetter ein klein wenig mehr sputen muss, um die durch meine Nachfrage verlorene Zeit wieder hereinzuholen. Doch Halime beruhigt mich durch den Kopfhörer: »Gute Frage. Weiter so.«

Connor verlagert sein Gewicht, das einzige Zeugnis seiner Überraschung, aber ich beachte ihn nicht weiter. Unsere Kollegin blickt nun wieder in die Kamera, während ihr Interviewpartner dafür sorgt, dass das Tier erneut zu seiner Schwester findet. »Es fühlt sich definitiv kaum bedrohlich an. Und genau das ist das Trügerische an der Natur: Was jetzt klein und flauschig ist, ist dennoch ein wildes Tier. Etwas, das schützenswert ist und definitiv Freiraum benötigt, um artgerecht zu leben. Was auch heißt, dass wir Menschen uns von ihnen fernhalten sollten.«

Dann gibt Grayson das erste Wetterupdate, und nach der Werbepause folgt eine Kurzzusammenfassung der bisherigen Nachrichten und ein Blick auf die aktuelle Verkehrslage, dazwischen vorproduziertes Material, dann ein kurzer Check-in mit dem Moderator der New Yorker Version der Morgenshow.