Ms. Molly und ihre Gentlemen - Karolina Putz - E-Book

Ms. Molly und ihre Gentlemen E-Book

Karolina Putz

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Beschreibung

Molly träumt. Einige Träume werden wahr, andere zerplatzen wie Seifenblasen. Wie schön ist es, wenn sich eine neue Tür öffnet und sich unerwartet Erfüllendes dahinter befindet? Wie der Traum von Liebe und Abenteuer. Wie das geht? Indem Molly ihrem Herzen folgt und sich einlässt: auf das Abenteuer Leben.

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Seitenzahl: 285

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Die Autorin:

Mittlerweile lebt die Salzburgerin Karolina Putz mit ihrer Familie in Tirol, Österreich. Auch sie träumt groß und freut sich, wenn ein Traum Wirklichkeit wird. Wie dieser Debütroman.

Neben dem Schreiben liebt sie das Leben, ihren Mann und ihre beiden wunderbaren Kinder. Gemeinsam versuchen sie, jeden Tag mit Happy End zu leben.

Für meine Familie

Inhaltsverzeichnis

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 1

Der Schaum an ihren nassen Fingern begann sich aufzulösen. Sie legte den Teller neben die Spüle. Die Bläschen zerplatzten eins nach dem anderen, wie so mancher Traum in ihrem Leben. In ihrer Jugend hatte sie davon geträumt, fein gekleidet mit ihrem Schwarm Tommi zum Abschlussball zu schreiten. Vielleicht sogar Rosenkönigin zu werden. Doch dann war es Willi Weinberg, mit dem sie schließlich in die bunt dekorierte Turnhalle trat. Beide hatten bis kurz vor dem Ball keine Verabredung gehabt und schunkelten gelangweilt und zwanghaft im schummrigen Licht. Als sich Willis Mund langsam und gefährlich näherte, ergriff sie die Flucht.

Molly trocknete sich die Hände ab und ging ins Bad. »Eigentlich ganz okay«, dachte sie, während sie sich summend im Spiegel betrachtete und ihre dunkelbraunen Locken bürstete. Ihr Körper war nicht dünn, aber auch nicht dick, irgendwie kompakt. Ihre dunklen Augen strahlten, wenn sie sich freute, und wurden schwer und dunkel, wenn sie traurig oder wütend war. Die Nase fand sie zu groß, aber ihre Lippen waren schön voll.

Im Schlafzimmer nahm sie einen dunkelblauen Bleistiftrock aus dem Schrank und schlüpfte aus ihrer Lieblingsjogginghose. Vorsichtig zog sie eine feine Seidenstrumpfhose über die Beine und entschied sich für eine cremefarbene Bluse.

»Passt wie angegossen«, stellte sie zufrieden fest.

Sie schloss die Tür ihrer Wohnung ab, lief die Treppe hinab und trat auf die Straße. Ein warmer Wind und feine Sonnenstrahlen streichelten ihre Haut. Sie atmete tief durch und spazierte los. Wie immer war sie zu pünktlich losgegangen. Sie war eine Lerche, ein sonniger Morgenmensch. Braun- und ockerfarbene Stadthäuser zogen an ihr vorbei und knorrige Ahornbäume ragten ihre Äste über die alten, gemauerten Zäune. Molly liebte ihre Stadt Northampton mit dem Fluss Nene in den East Midlands von England. Es war keine große Stadt mit rund zweihunderttausend Einwohnern und bis nach London waren es circa neunzig Kilometer. Besonders die historischen Stadthäuser, die Kirchen, Galerien und denkmalgeschützten Gebäude gefielen Molly und der Marktplatz im Zentrum und die Abington Street mit ihren unzähligen Geschäften zählten zu ihren Lieblingsplätzen. Dort befand sich auch der Buchladen, in dem sie arbeitete. Er war Teil einer langen Reihe von Läden, die ihre Waren in großen, weißumrandeten Schaufenstern präsentierten, und wenn die Kunden die Ladentüren öffneten, bimmelten kleine Glöckchen zur Begrüßung.

Molly brauchte nur eine Viertelstunde bis zu ihrer Arbeit. Eine Gruppe lachender Mädchen kam ihr entgegen. Mit hohen Pumps trippelten sie über den Bordstein und ihr Haar wehte im Wind. Molly war nie Teil einer angesagten Clique. Das störte sie nicht mehr, früher hatte sie diese populären Mädchen mit ihrem strahlenden Lachen oft bewundert und wäre gerne so gewesen wie sie. So perfekt, so schön, so stark.

Molly war am Buchladen angekommen und öffnete die Tür. Der vertraute Geruch von Papier stieg ihr in die Nase und ihre Augen gewöhnten sich langsam an das düstere Licht.

Obwohl sie schon fast acht Jahre hier arbeitete, freute sie sich jedes Mal auf den Tag, der vor ihr lag. Denn Mollys beste Freunde waren schon immer die Bücher gewesen. Sie liebte es, in ihren Geschichten zu versinken und Raum und Zeit zu vergessen. Sie litt mit den Opfern, beobachtete die Täter und reiste dabei federleicht von einer Abenteuerwelt in die nächste. Sie hatte selbst versucht zu schreiben. Doch ihr Traum, Schriftstellerin zu werden, zerplatzte, als sie nach unzähligen Versuchen, die Leere im Kopf und am Papier zu füllen, aufgab und ihre ausgeliehenen Romane bevorzugte. Darum kam ihr das Jobangebot von Rose, nach dem Schulabschluss bei ihr als Verkäuferin zu arbeiten, gerade recht. Sorgsam und liebevoll stellte sie seitdem Biografien, Krimis und Liebesgeschichten ins Regal. Immer wieder las sie in die Bücher hinein und nahm sich die spannendsten Geschichten mit nach Hause. Molly hatte sich rasch eingearbeitet und verstand sich hervorragend mit ihrer Chefin Ms. Binder. In den Stoßzeiten arbeiteten sie gemeinsam, ansonsten wechselten sie sich ab. Und waren keine Kunden da, nutzte Molly die Zeit, um mit ihren Buchfreunden in neue Abenteuer abzutauchen.

Molly begann mit ihren üblichen Aufgaben, sie schaltete die Lichter und Computer ein. Der Buchladen erwachte zum Leben und alte bis zur Decke reichende Holzregale erschienen. Ein massives, hölzernes Verkaufspult stand in der Mitte des Ladens und daneben ein mit Papierstapeln beladener Schreibtisch mit zwei Computern. Die Regale waren bis obenhin mit Büchern gefüllt. Sie beherbergten neueste Werke und Bestseller, aber auch viele ältere, unverzichtbare Klassiker und Besonderheiten. Langsam ließ Molly ihren Blick durch die Buchreihen gleiten und lächelte. Sie waren alle in ihrem Kopf. Gemeinsam mit Rose hatte sie die Bände fein säuberlich nach Genre und Autor sortiert. Warmes Licht fiel auf die unzähligen Buchrücken und kleine, hängende Lampen baumelten zwischen den Regalen von der Decke. Molly öffnete die Ladentür und frische, kühle Luft vertrieb den leicht abgestandenen, staubigen Geruch im Raum. Dann schaltete sie die Kaffeemaschine ein und angenehmer Kaffeegeruch verbreitete sich.

Der Kalender auf dem Schreibtisch zeigte den 7. September 2020, obwohl der altmodische Buchladen auch ins vorige Jahrhundert gepasst hätte.

Gleich nach Molly kam Rose in den Laden.

»Guten Morgen, Molly!«, grüßte ihre Chefin gutgelaunt.

»Morgen, Rose«, erwiderte Molly, »wie geht es dir? Heute kommt die Lieferung mit den neuen Fantasyromanen von Faber & Faber.«

»Gut. Bitte beschrifte sie gleich und räume sie ein. Ich muss um 11.00 Uhr noch mal weg.«

Die beiden Frauen kannten sich mittlerweile schon in- und auswendig und die Arbeitsabläufe waren zur Routine geworden. Schon trat ein Mann in Arbeitskleidung ein.

»Eine Lieferung für Ms. Binder«, verkündete er und ließ einen großen Karton auf den Ladentisch plumpsen.

»Ja, richtig, vielen Dank« Molly nahm ihn entgegen und unterschrieb auf dem Lieferschein. Dann öffnete sie den Karton und holte einige Bücher heraus.

»Wow!«, dachte sie, »tolle Cover, die gehen sicher weg wie warme Semmeln.« Sie nahm ein pechschwarzes Buch in die Hand und schlug die erste Seite auf. Schon lernte sie Dizmore kennen, eine elfische Schönheit, die über außergewöhnliche Kampftechniken verfügte. Gemeinsam tauchten sie in eine Fantasywelt fernab der Erde ab und kämpften gegen dunkle, unberechenbare Bergtrolle. Kraftvoll und siegessicher wehrte sie ihre Gegner ab und drückte sie unerbittlich zu Boden. Dann blickten sie fasziniert auf Anuar, einen Druiden, der offensichtlich ein Geheimnis verbarg.

»Molly! Mooollllyyyy!«, drang Roses Stimme zu ihr durch. Langsam hob sie den Kopf und schaute auf die stämmige, rothaarige Dame. Ihre Hände hatte sie in ihre breiten Hüften gestützt und selbst ihr blumiges Sommerkleid warf ungeduldig Falten.

»Molly, Kunden warten. Nun komm bitte!« Schon war Rose wieder vor dem Pult verschwunden. Schnell klappte Molly das Buch zu und legte es zurück in den Karton. Sie biss sich auf die Unterlippe. Es war ihr schon wieder passiert! Sie hatte sich in der Geschichte verloren. Rose schüttelte den Kopf über Molly und murmelte schmunzelnd: »Wenigstens weiß ich, dass du hier langfristig den richtigen Arbeitsplatz gefunden hast.«

Molly hastete nach vorne und widmete sich der älteren Frau, die schon ungeduldig wartete.

»Wie kann ich helfen?«, fragte sie freundlich.

»Guten Tag! Ich suche ein Buch für meine Enkelinnen«, antwortete sie, »ich lese ihnen immer etwas vor, wissen Sie? Aber keine Märchen, oh nein«, sie hob den Zeigefinger, »etwas Großartiges muss es sein. Etwas, das inspiriert und ihnen zeigt, was in dieser Welt alles möglich ist. Ich suche das Buch über verwegene Frauen von Lorie Karnath. Ich habe es online gesehen.«

Molly lächelte. Ja, das Buch kannte sie! Ihre Mutter hatte ihr und Grace, ihrer Schwester, schon daraus vorgelesen, wenn sie sich wieder mal zu Hause langweilten. Molly verschwand zwischen den Regalen und präsentierte der Frau das Buch mit den wahren Geschichten über Ausbrecherinnen, Visionärinnen und Vordenkerinnen.

»Ich finde es sehr inspirierend«, stimmte ihre Molly zu, »Grace O’Malley zum Beispiel, die von Irland aus die Gewässer des Nordens durchstreifte – zuerst als Seekapitänin und später als berüchtigte Piratin. Wussten Sie, dass sie auch florierende Handelsposten schuf?«

»Nein«, staunte die Frau, »das ist ja interessant. Genau das Richtige für meine Mädchen.« Zufrieden steckte sie das abenteuerliche Buch in die Tasche und bezahlte. Molly lächelte und genoss es, die Freude und Befriedigung in den Gesichtern der Menschen zu sehen, wenn sie »ihr« Buch in Händen hielten. Sie lehnte am Pult und schaute der Kundin nach. Mittlerweile hatte Molly ein Gespür dafür entwickelt, welche Geschichten zu welchen Menschen passten. Manchmal machte sie sogar ein Spiel daraus und versuchte beim Eintreten zu erraten, welches Buch sie suchten. Gelegentlich wurde sie dabei aber völlig überrascht. Wie von einem staubigen Bauarbeiter im blauen Arbeitsanzug, der seine riesigen Hände lautlos aufs Pult legte. Sie hätte gewettet, dass er ein Fachbuch über Montagetechnik, einen blutrünstigen Thriller oder einen einschlägigen Comic sucht.

»Ich suche ein Origamibuch«, verkündete er leise. Als er ihr überraschtes Zögern bemerkte, fügte er hinzu: »Das ist mein Hobby, das Falten von filigranen Besonderheiten aus Papier, wissen Sie.« Schon hatte er eine feine Papierrose aus seiner Hosentasche gezaubert, etwas zerknittert zwar, aber mit zarten, einzelnen Blütenblättern und wunderschön.

Der Arbeitstag neigte sich dem Ende zu. Molly hatte die neuen Romane einsortiert, Bestellungen eingegeben und unzählige Kunden mit passenden Büchern versorgt. Es dämmerte schon, als sie die Ladentür verschloss. Müde, aber zufrieden schlenderte sie heim – zu ihrer Mietwohnung im ersten Stock eines alten Wohnhauses. Molly genoss ihre eigenen vier Wände in vollen Zügen. Ihre Eltern hatten in Bedford, einem kleinen Ort nördlich von Northampton, gut für sie und die drei Jahre ältere Grace gesorgt. Ihre Schwester lebte mittlerweile in Hamburg, mit ihren drei Kindern und Steve, ihrem Mann. Grace und Molly sahen sich nur selten, doch sie standen sich nach wie vor sehr nah. In Bedford hatten sie nicht viele Freunde gehabt und spielten meistens allein zu Hause. Auch Urlaube gab es kaum. Mollys Vater war viel mit der Englischen Armee unterwegs gewesen und verbrachte seine freie Zeit am liebsten zu Hause. Molly konnte ihr Leben als erwachsene Frau erst so richtig auskosten, seitdem sie allein in dieser Wohnung in Northampton lebte. Zu Hause angekommen, kickte sie ihre Ballerinas auf die Ablage, schob sich eine Pizza in den Ofen und kuschelte sich gemütlich auf das Sofa.

Alt war das Mauerwerk ihrer Wohnung, um nicht zu sagen historisch, aber gerade das verlieh ihr einen besonderen Charme. Als Molly vor gut sieben Jahren hier einzog, hatte sie die Wände im Wohnzimmer beruhigend hellblau und in der Küche sowie im Schlafzimmer dezent grau gestrichen. Sie hatte große, weiß gerahmte Bilder mit bunten Kunstdrucken und Fotos von sich selbst aufgehängt und damit eine freundliche, ruhige und stilvolle Atmosphäre geschaffen. Ihre heißgeliebte, cremefarbene Couch lud mit vielen bunten Kissen zum Entspannen ein. Sie liebte ihren gemütlichen, persönlichen Rückzugsort.

»Mhm, nicht schlecht für Fast Food«, stellte sie kauend fest und verspeiste ein Stück nach dem anderen, während sie sich durchs Vorabendprogramm zappte. Bei ihrer Lieblingssoap »Glück im Herzen« blieb sie hängen. Entspannt verfolgte sie, wie sich Herzenswünsche erfüllten, wie Angel und Ted sich endlich küssten und Carla ihren Traumberuf ergatterte. Sie gähnte und rollte sich in den weichen Kissen zusammen. Gleich darauf war sie ins Land der Träume entschwunden.

»Peng! Peng!« Erschrocken fuhr sie hoch und schaute sich um. Es war dunkel, nur im Fernseher lieferten sich zwei Männer in schwarzen Limousinen eine wilde Verfolgungsjagd.

»Da bin ich wohl eingenickt«, murmelte sie schläfrig und suchte nach dem Aus-Knopf der Fernbedienung. Sie fand ihn und die Jagd erlosch. Verschlafen trottete Molly ins Bett und versank wieder in tiefem Schlaf.

Als ihr Wecker am nächsten Morgen piepste, kroch sie langsam, aber einigermaßen fit aus den Federn.

Sie zog sich an und blinzelte vergnügt in die Sonnenstrahlen, die ihr Gesicht durch die großen Fenster streichelten.

»Wieder ein schöner Tag heute«, freute sie sich und sog den anregenden Geruch ihres Espressos ein. Anschließend machte sie sich auf zu ihrer geliebten Arbeit. Die Luft war noch kühl und es waren viele Autos unterwegs.

Rose war schon da, als sie den Laden betrat.

»Guten Morgen!«, begrüßte Molly sie.

»Morgen, Molly, wie geht’s?«

»Gut! Viel los in der Stadt. Da haben wir sicher einiges zu tun heute.«

»Das wäre gut! Du, gestern Abend war ich in einer tollen Ausstellung in der Galerie in der Guildhall Road. Contemporary Art, echt faszinierend.«

»Oh, wie schön! Hast du eins gekauft?«

»Ich bin mir noch nicht sicher, sie sind wirklich teuer.«

Molly lächelte und sah Rose bildlich vor sich, wie sie behäbig durch die Räume schlenderte und die Kunstwerke bestaunte. Denn Rose liebte Kunst. Einmal war Molly bei ihr zu Hause gewesen: Auf jeder Fläche ihrer Wohnung hingen oder standen Kunstwerke und sie konnte stundenlang über die Werke, ihre Künstler und ihre Entstehungsgeschichte sprechen. Sie lebte allein und steckte ihre ganze Energie in ihren Buchladen und die Kunst. Molly mochte die stämmige Dame mit dem großen Herzen.

»Würdest du bitte die Neuerscheinungen checken?«, forderte sie Molly auf.

»Natürlich.« Molly setzte sich gleich an den Computer und vertiefte sich in die vielsagenden Titel. Wieder ertappte sie sich dabei, wie sie sich fragte, wie die dazugehörigen Geschichten verliefen. So bemerkte Molly nicht, dass ein junger, gutaussehender Mann den Laden betrat. Rose war im Lager beschäftigt.

Er räusperte sich laut und riss Molly damit vom Computer los.

»Arnold!«, schoss es ihr durch den Kopf. Sie kannte ihn aus der Schulzeit. Er war zwei Jahre älter als sie und auch in Bedford aufgewachsen. Sie hatten dieselbe Schule besucht, aber nie viel miteinander zu tun gehabt …

»Ah, Entschuldigung, guten Morgen! Arnold, richtig?«, empfing sie ihn. Nun hatte sie keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, welches Buch er kaufen würde. Wahrscheinlich hätte sie auf einen Thriller getippt.

»Ja, stimmt … Guten Morgen!«, schmunzelte er.

»Wie kann ich helfen?«, fragte sie freundlich und dachte gleichzeitig: »Süßer Typ! Immer schon, aber irgendwie unnahbar …«

»Ich suche ein Buch über Steuervergünstigungen fürs Jahresende«, sagte er und riss sie aus ihren Gedanken.

»Mh, Steuervergünstigungen … mal sehen«, murmelte Molly und begann die Regale auf der linken Seite zu durchkämmen. »Das passt irgendwie zum ihm – sehr vernünftig. Meine Steuern sollte ich auch mal prüfen, da bliebe sicher etwas Geld liegen.«

Sie nahm das Fachbuch heraus und legte es Arnold vor.

»So etwas in diese Richtung?«

Arnold las im Einband und nickte zufrieden.

»Okay, dann 10,65, bitte«, sagte Molly, »die müsste ich auch mal nutzen, diese Steuervergünstigungen.«

»Das ist keine Hexerei, man muss es nur tun«, stellte er fest, »wenn du willst, zeig ich es dir.«

Abwartend stand er vor ihr und reichte ihr das Geld. Molly blickte auf. Hatte er sie gerade um ein Date gefragt? Arnold, den sie aus der Schulzeit kannte? Sie spürte, wie eine unangenehme Hitze in ihr aufstieg, und sie errötete. Was sollte sie sagen? Solche Fragen war sie nicht gewohnt.

»Ah … ja … nein, diese Woche ist ziemlich voll«, murmelte sie schnell.

»Oh, okay, schade. Dann ein andermal,« erwiderte er langsam und leicht enttäuscht. Er griff nach dem Buch und machte sich auf zu gehen. Molly stand da wie gelähmt. Ihr Herz raste. Arnold war schon fast bei der Tür hinaus, als sie sich überwand und stammelte: »Aber am Freitag nach der Arbeit würde es gehen.«

Ein Lächeln huschte über Arnolds Gesicht und er verabschiedete sich mit den Worten: »Schön! Dann hol ich dich hier ab.«

Weg war er. Molly schnaufte ungläubig. »Wow! Ich habe eine Verabredung … mit Arnold aus der 7c.« Ihre Finger zitterten. Aufgeregt, aber erleichtert ließ sie sich wieder auf den Bürostuhl am Computer fallen.

»Atmen, Molly, atmen!«, sagte sie sich, »check die Mails. Alles ist gut. Sehr gut sogar!«

KAPITEL 2

Die Woche verflog. Mollys Herz hüpfte, wenn sie an Freitag dachte. Bis dahin bemühte sie sich, mit ihren Büchern so viele Gesichter wie möglich erstrahlen zu lassen. Konzentriert ging sie die Neuerscheinungslisten durch und wählte die vielversprechendsten aus.

»Da bin ich mal gespannt, welche Abenteuer wieder hereinflattern«, dachte sie und drückte auf »Senden«. Weg war sie, die Bestellliste. Sie griff zum pechschwarzen Einband und folgte Gizmore, der Elfin, tief in das Innere einer dunklen Höhle. Gemeinsam waren sie hinter dem geheimnisvollen Druiden her. Sie spürten ihn auf und versteckten sich federleicht und leise hinter einer Felskante. Behutsam hob Anuar etwas Leuchtendes aus einer alten Holzkiste heraus.

»Mollyyy!« Roses Stimme schallte durch die Regale, »das dritte Mal die Woche! Also wirklich …!« Molly schoss hoch, legte Gizmore und Anuar zur Seite und hastete zum Verkaufspult. Rose lächelte wissend.

Am Tag ihres Dates drehte sie sich wiederholt vorm Spiegel.

»Ich möchte hübsch aussehen heute …, ich kann mich nur nicht entscheiden …« Frustriert hielt sie sich abwechselnd einen kurzen Seidenrock und eine dünne Sommerhose an die Hüfte. Sie seufzte und schlüpfte schließlich in die Hose. Dann zog sie eine olivgrüne Bluse über. »Die unterstreicht meine dunklen Augen«, dachte sie.

Bevor sie die Wohnung verließ, riskierte sie noch einmal einen prüfenden Blick in den goldumrandeten Spiegel in der Garderobe. Zufrieden mit sich selbst trat sie auf die Straße in die Sonne.

Der Vormittag im Laden zog sich wie Gummi und die Kunden waren wählerisch.

»Ich bin wohl ungeduldig«, dachte Molly gereizt, »entspann dich, alles wird gut.« Sie lehnte sich an das Pult, schloss kurz die Augen und fühlte hinunter in ihren Bauch. Sie spürte in ihre Mitte und fand Ruhe und Frieden. Molly atmete durch und widmete sich erfrischt einer jungen Dame, die etwas mit Zombies, Blut, aber unbedingt einem Happy End suchte.

»Ich geh dann mal, Molly!« Rose drehte das »We’re open«-Schild auf »Closed« und öffnete die Ladentür: »Hab einen schönen Nachmittag!«

»Danke …!«, erwiderte Molly, »ich bin auch gleich weg. Ich sortiere nur noch das Belletristik-Regal fertig.«

Rose grinste geheimnisvoll. Molly wusste, dass ihre Chefin ihr aufgeputztes Äußeres und die nervösen Blicke auf die Uhr bemerkt hatte.

»Das muss wohl ein Glückspilz sein, den du da triffst.« Rose schmunzelte und schloss die Tür.

Kurz darauf bog Arnold um die Ecke und klopfte an die Scheibe. Sein dunkles Haar, das sich nicht zähmen ließ, hatte er, so gut es ging, mit einem Seitenscheitel unterteilt. Molly winkte ihm zu und packte ihre sieben Sachen. Dann trat sie vor die Tür.

»Hallo Molly. Wie geht’s?«, begrüßte er sie gutgelaunt. Lässig stand er im Leinenhemd und einer trendigen Jeans vor ihr am Bordstein. Drahtig war er und durchtrainiert. Er gefiel ihr, das musste sie zugeben.

»Hallo Arnold. Gut und dir?« Sie schlugen den Weg zum Marktplatz ein.

»Freut mich, dass du mitkommst«, bemerkte Arnold. Molly lächelte in sich hinein. »Wollen wir ins Café dort drüben?«, schlug er vor und zeigte auf ein gemütliches, kleines Café am Rande des Platzes. Große Korbstühle unter riesigen Sonnenschirmen warteten auf sie. Molly nickte und sie schlenderten hinüber.

»Einen Moccachino, bitte«, bestellte Arnold.

»Klingt gut, für mich auch«, fügte Molly hinzu und lehnte sich entspannt zurück. Ihre Nervosität vom Vormittag hatte sich in freudige Erwartung gewandelt und sie genoss ihr Beisammensein, die Wärme und den Marktplatz mit seinem bunten Treiben.

»Seltsam, dass wir uns noch nie begegnet sind, Molly. Seit wann wohnst du denn in der Stadt?«

»Seit circa acht Jahren. Ich bin nach der Highschool nach Northampton gezogen. Ich wollte raus aus Bedford und habe glücklicherweise Rose kennengelernt. Ich war ihr Stammgast sozusagen.« Molly lachte. »Weißt du, ich lese gern und habe mir bei ihr meine Bücher besorgt.«

»Das klingt toll!«

»Ja, ist es. Es macht wirklich Spaß bei ihr zu arbeiten. Und ich genieße meine Wohnung. Und du? Wie kamst du hierher?«

»Ich bin hier aufs College gegangen. Danach habe ich bei der Northampton Car Company, dem Autowerk draußen in Wootton, als Buchhalter zu arbeiten begonnen. Ist ganz okay dort.«

»Wohnst du auch im Zentrum?«

»Nein, ich habe eine Einzimmerwohnung in Wootton. Ist zwar am Rande der Stadt, aber im Grünen. Das mag ich.«

Sie plauderten weiter über die Vor- und Nachteile von Northampton und kamen auf die Schulzeit zu sprechen.

»Weißt du noch Mrs. Turner, die Physiklehrerin?«, erinnerte sich Arnold.

»Ja … sie hatte immer den gleichen gelb-schwarz gestreiften Pullover an«, sagte Molly, »wir nannten sie schon die Hummel.« Arnold lachte amüsiert. Es war erfrischend, über alte Zeiten zu sprechen, auch wenn sie diese nicht direkt zusammen erlebt hatten.

»Seit ich hier in Northampton wohne, gehen wir abends immer in The Market Tavern«, erzählte er. Molly nickte. Sie kannte das große Pub, aber sie war mit ihren Freundinnen, Charlotte und Rachel, eher im Badgers Arms, einer gemütlichen Bar, unterwegs. Doch das tat nichts zur Sache. Spaß, Action und Alkohol gab’s da wie dort.

»Du siehst aus, als würden dich die Drinks ebenfalls nicht kalt lassen«, zog er sie auf.

»Was soll das denn heißen?«, erwiderte sie erstaunt. Er lachte. Immer wieder neckte er sie, ganz unerwartet. Die Zeit mit ihm war locker und leicht und Arnold vermittelte ihr ein Gefühl von Spaß und Geborgenheit, aber sie fühlte sich auch sicher bei ihm.

»Wollen wir uns noch Kuchen genehmigen?«, schlug er vor und zwinkerte ihr zu. Molly hatte das Gefühl, er sagte ihr, sie solle das Leben nicht zu ernst nehmen.

»Warum denn nicht?«, antwortete sie und bestellte ein großes Stück Zitronentorte. Sie genoss das gute Gefühl, es mit einem aufrichtigen und sympathischen Mann zu tun zu haben.

Ihrem Café-Date folgten Telefonate und Mollys Schmetterlinge im Bauch vermehrten sich unaufhaltsam. Am folgenden Freitagmorgen stellte Arnold sie telefonisch vor vollendete Tatsachen. »Ich hole dich heute um drei bei dir ab, okay?«

»Okay …, ein Tipp, was wir machen?« Molly saß am Schreibtisch und klopfte erwartungsvoll mit dem Kugelschreiber auf die Tastatur. Es war ruhig im Laden und sie war allein.

»Lass dich überraschen! Nimm was Warmes mit, für alle Fälle.« Mollys Herz hüpfte.

»Das klingt ja aufregend. Okay, bis dann.«

Als Molly um drei Uhr aus ihrem Fenster auf die Straße hinunterschaute, kam Arnold cool und lässig mit schwarzer Sonnenbrille in einem alten, hellblauen Cabrio angebraust. Geschickt parkte er vor ihrer Eingangstür.

Molly eilte in die Garderobe, schnappte sich noch ein Seidentuch und schlüpfte in ihre Jeansjacke.

»Er überlegt sich ja was, um mich zu beeindrucken, das muss ich ihm lassen«, dachte sie und versuchte ihre Schmetterlinge im Bauch zu beruhigen.

»Hallo Arnold! Wow, so ein stylischer Schlitten«, schwärmte sie und ließ sich behutsam auf den Beifahrersitz gleiten. Sie befühlte das weiche, schwarze Leder der Sitze und ließ ihren Blick über das antike Radio und den eigentümlichen Ganghebel gleiten. Arnold lächelte stolz, legte seine Hände aufs lederne Lenkrad und trat ins Gaspedal. Der Wagen röhrte auf.

»Cool, was? Halt dich fest, es geht los!«

Molly zog das Tuch um den Kopf etwas fester und setzte die Sonnenbrille auf.

Der Fahrtwind blies ihnen ins Gesicht und Molly fühlte sich wie eine berühmte Diva. Ihr Lächeln wollte nicht mehr verschwinden und sie strahlte mit Arnold um die Wette. So kurvten sie durch die Straßen der Stadt, vorbei an historischen Stadtgebäuden, modernen Geschäften und alten Kirchen. Es ging hinaus aufs Land und über weite Wiesen, den Fluss entlang und durch kleine Ortschaften. Immer wieder lächelte Arnold ihr zu und legte seine Hand auf Mollys Oberschenkel. Sie legte ihre darüber und drückte sie leicht.

»Etwas Musik?«, schlug er vor und machte das Radio an. Rock and Roll der Sixties erklang und Molly kicherte.

»Du bist echt der Hammer«, sagte sie und genoss. Arnold seufzte zufrieden und konzentrierte sich wieder auf die Straße vor ihnen.

Als sie am Abend vor Mollys Eingangstür hielten, schaute er ihr tief in die Augen. Molly legte ihre Hand auf seine und sagte: »Das war ein schöner Nachmittag, Arnold. Heute träum ich sicher von schwarzen Lederjacken und Rock’n’Roll.«

»Und von mir …«, flüsterte er und sein Gesicht kam etwas näher.

»Darf ich?«, fragte er und seine Hand strich sanft über ihre Wange. Molly nickte leicht und schloss die Augen. Langsam fanden ihre Lippen zueinander. Mollys Herz hüpfte. Arnold küsste sie so zärtlich, dass Molly Gänsehaut bekam. Weich waren seine Lippen und wunderbar zart. Nur langsam lösten sie sich voneinander.

»Ich mag dich Molly Thatcher. Ehrlich.«

»Ich dich auch«, erwiderte sie lächelnd und senkte den Blick.

»Du bist wunderschön!«, flüsterte er.

»Danke… Sehen wir uns bald wieder?«, fragte sie verlegen.

»Sehr gern. Ich ruf dich an. Danke für den wunderbaren Nachmittag.«

Sie küssten sich noch einmal. Wieder war der Kuss süß, sanft und unglaublich angenehm. Dann stieg Molly aus. Sie hob die Hand zum Abschied und ihr weißer Leinenrock wehte leicht im Abendwind. Sie spürte, wie Arnold sie ansah. Dann winkte er und fuhr los.

Beschwingt hüpfte Molly die Treppen zu ihrer Wohnung hinauf und summte glücklich vor sich hin.

Arnold meldete sich wie versprochen:

»Hallo meine Liebe. Wie geht es dir?«

»Hallo Arnold. Gut. Gerade viel zu tun«, antwortete Molly und unterbrach ihre Arbeit am Computer.

»Okay …, bei mir ist es eher ruhig zurzeit. Ich vermisse dich.«

Molly zögerte, dann sagte sie: »Ich dich auch. Es war schön gestern. War eine super Idee mit dem Cabrio. Hast du es schon zurückgebracht?«

»Ja, heute Morgen. Coole Karre, was? Ich mag so alte Autos, sie sind wie ich: etwas eigentümlich, aber voller Charme.«

Molly lachte und konterte: »Ach wirklich? Den Charme habe ich ja noch nicht bemerkt.«

»Na toll, gib mir noch eine Chance! Wir könnten am Samstag zum Fluss radeln.«

»Okay, warum nicht? Ich nehme ein Picknick mit.«

»Perfekt. Treffen wir uns am Marktplatz um 10.00?«

»Ja, ist gut. Ich freu mich. Bis dann«, verabschiedete sich Molly und legte auf. Sie stand auf und schwebte regelrecht zu einem Kunden, der ungeduldig wartete.

Als sie am Samstagnachmittag zum Flussufer des Nene radelten, war es leicht bewölkt, aber warm für Ende September. Das Ufer war fast menschenleer und sie breiteten ihre Decke unter einer großen Weide aus. Das satte Gras kitzelte an ihren nackten Füßen.

Molly holte süße Trauben aus dem Korb und sie setzten sich auf die ausgebreitete Decke.

»Mund auf …«, rief Arnold plötzlich und zielte mit einer Traube auf ihre Lippen. Molly lachte und er warf. Daneben. Sie kicherte und Arnold beugte sich zu ihr herüber und küsste sie stürmisch.

»Hey!«, Molly wehrte sich lachend, »langsam mit den wilden Pferden. Ich krieg ja keine Luft mehr!«

»Okay, okay …«, grummelte Arnold und zog sie zu sich auf die Decke. Er küsste sie wieder – dieses Mal ganz zärtlich. Molly seufzte wohlig und legte ihren Kopf auf seinen Bauch. Er hatte inzwischen die Augen geschlossen und spielte mit ihren Locken.

»Ich mag deine Haare, sie sind so weich.«

»Ja … und brauchen unendlich lang zum Trocknen.« Molly rollte die Augen. So lagen sie entspannt in der Sonne und genossen die Ruhe. Gemächlich floss der Nene an ihnen vorbei.

»Ich fand dich schon in der Schule süß«, verriet Arnold und steckte sich noch eine Traube in den Mund.

»Wirklich? Davon habe ich nie etwas bemerkt. Du warst immer so unnahbar für mich. So cool.«

»Ich war schüchtern. Ich habe dich oft beobachtet, in den Pausen oder auf dem Nachhauseweg zum Beispiel.«

»Was? Ein Stalker also?«

Arnold lachte.

»Schade«, fügte sie hinzu, »wäre vielleicht was geworden mit uns und es hätte mir die schreckliche Abschlussballnacht mit Willi Weinberg erspart«, sie sah ihm tief in die Augen, »aber es ist nie zu spät. Gott sei Dank hast du dieses verdammte Steuerbuch gebraucht!« Sie küsste ihn. Ihre Finger glitten durch seine Haare und über die Schultern hinab. Er legte beide Arme um sie und drückte sie sanft an sich. Molly seufzte und sog den Geruch seiner Haut in sich auf.

Ihr Zusammensein wurde mit jedem Telefonat, mit jedem Treffen vertrauter und es wurde selbstverständlich, dass sie Händchen haltend durch die Stadt spazierten und sich küssten, wann immer sie wollten, oder Arnold seine Jacke um ihre Schultern legte, wenn sie fröstelte. Ihre Küsse waren weich und süß – vorsichtig zu Beginn, dann immer fordernder. Molly genoss Arnolds Leidenschaft und hielt auch ihre nicht zurück: weder bei Küssen noch bei Umarmungen oder Kuschelattacken. Bei Übernachtungen und weiteren Anbahnungen jedoch schon. Sie wünschte sich, dass es dieses Mal gut ging. Sie hatte erlebt, wie schnell sich Liebeschwüre in Luft auflösten, wenn man gleich im Bett landete. Arnold verstand – etwas widerwillig zwar – und wartete.

KAPITEL 3

»Aber das kannst du doch nicht machen, Molly!«, protestierte Charlotte, ihre Freundin, als sie sich eines Abends im Badgers Arms auf ein paar Drinks trafen. Die beiden kannten sich schon seit vielen Jahren. Molly, Charlotte und Rachel hatten sich beim Schwimmtraining kennengelernt, das Molly begonnen hatte, als sie in die Stadt gezogen war. Mittlerweile waren die drei guten Freundinnen.

»Pass auf, dass er nicht abhaut, wenn ihr keinen Sex habt«, warnte sie Charlotte, strich ihren weißblonden Pony zur Seite und nahm einen Schluck Gin Tonic. Ihre blauen Augen blitzten warnend und sie setzte sich kerzengerade auf den Barhocker, die langen Beine lässig überschlagen.

»Doch! Dieses Mal wird es gut gehen«, versicherte ihr Molly und schaute sie direkt an, »Arnold ist anders. Wir mögen uns wirklich.« Molly nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette. Wenn sie ausgingen, rauchten sie – jedes Mal.

Charlotte verdrehte die Augen.

»Wie langweilig. Also Claton und ich hatten eine echt heiße Nacht gestern«, verriet sie, »zuerst waren wir hier was trinken, dann sind wir gleich ab zu mir nach Hause. Kann ich nur empfehlen …«

Einige neue Gäste kamen in die kleine Bar und drängten sich an ihnen vorbei.

»Ja und wie ist er so als Mensch, was macht er aus seinem Leben?«, wollte Molly wissen und nippte an ihrem Gin Tonic.

»Ist das so wichtig? Er ist cool und sehr lustig. Mehr will ich gar nicht. Ich liebe meine Freiheit.«

»Ja dann. Viel Spaß!«, erwiderte Molly trocken. Sie wusste, wie freiheitsliebend Charlotte war, doch sie kannte ihren weichen Kern und hoffte, dass sie sich mit Claton nicht selbst verletzte.

»Ich find’s gut, wenn sich Frauen holen, was sie wollen. Die Männer machen’s auch«, stellte Charlotte fest. Ihre Aussagen waren meist so cool wie ihr Erscheinungsbild, das oft die Blicke der Männer auf sich zog. Charlotte wusste, wie sie ihr Aussehen für sich nutzen konnte, und flirtete immer wieder, was das Zeug hielt. Doch binden wollte oder konnte sie sich nicht.

»Ja schon«, antwortete Molly, »aber ich bin an dem Punkt, an dem ich mich frage, welche Art von Beziehung ich denn wirklich leben möchte. Auf jeden Fall keine One-Night-Stands.«

Charlotte rollte wieder mit den Augen.

»Mach ruhig so weiter«, fügte Molly hinzu, »ich hör dir dann zu, wenn es vorbei ist.« Sie nahm einen großen Schluck und leerte das Glas.

Eigentlich genoss Molly die Abende mit Charlotte und sie lauschte gerne ihren teils abenteuerlichen Liebesgeschichten. Doch heute nervte es sie. Denn genauso wie Rachel, ihre andere Freundin, war Charlotte wild, unanständig und impulsiv. Ein Wunder, dass sie Molly noch nicht ausgeschlossen hatten – wegen »Langeweile«. Doch insgeheim wurde sie für ihre Standhaftigkeit und Ruhe bewundert, das spürte sie. Zufrieden blickte Molly auf ihr ruhiges, solides Leben. Zu viel Drama – nein danke.

Plötzlich piepste Mollys Handy – eine Nachricht von Arnold: »Dinner bei mir – morgen Abend?«

»Uuiuuuiui!«, jubelte Charlotte, »jetzt wird’s ernst. Wirst schon sehen.« Sie hob ihr Glas und prostete Molly zu. Molly winkte mit der Hand ab: »Na, na mal schauen … ja und wenn, dann tun wir es, weil wir beide dafür bereit sind und es wollen.«

Als Molly am nächsten Abend an der Tür von Arnolds Apartment läutete, flogen die Schmetterlinge in ihrem Bauch trotzdem wieder kreuz und quer. Ein leckerer Duft von Gebratenem strömte aus der Wohnung, als er die Eingangstür öffnete.

»Mhhh. Das riecht aber gut!«, schwärmte Molly. Arnold nahm ihr den Mantel ab und schloss sie in die Arme.

»Schön, dass du da bist«, flüsterte er ihr ins Ohr und küsste sie. Molly strahlte. Sie schlüpfte aus ihren Ballerinas und ging durchs Wohnzimmer in die Küche. Dabei ließ sie ihren Blick durch Arnolds Wohnung schweifen. Stilvoll war sie. Seine Möbel waren einheitlich dunkelgrau und die Vorhänge und Bilderrahmen harmonierten in einem hellen Grau. Alte Holzbalken durchzogen die Decke und verliehen dem Ganzen einen behaglichen Touch. Auf dem geschmackvoll gedeckten Tisch flackerten zwei Kerzen.

Arnold kochte konzentriert, aber entspannt vor sich hin und stocherte prüfend in die Bratpfanne. In seiner beigen Leinenhose und dem dunklen Shirt sah er super aus. »Ich bin ein Glückspilz!«, dachte sie aufgeregt.

»Rotwein?«, schlug er vor.

»Ja, danke! Sehr gern.« Sie setzte sich auf einen der Barhocker, die vor der Kochinsel standen.

Arnold reichte ihr ein fein geschwungenes Weinglas. Sie schauten sich tief und lange in die Augen, dann mussten sie lachen und prosteten sich zu. Zu viel der Romantik.

»Wie geht es dir?«, erkundigte sich Molly.

»Ganz gut«, Arnold seufzte, »heute war wieder Glenn im Büro, mein Kollege. Er ist so chaotisch und raubt mir manchmal den letzten Nerv. Er sollte die Buchungen der letzten Monate konsolidieren, doch er bekommt es einfach nicht hin. Ich muss es dann immer korrigieren.« Molly sah ihn mitfühlend an.

»Mh, das kann ich verstehen, dass dich das nervt. Hast du schon mal mit deinem Chef darüber gesprochen?«

»Ja, er kennt Glenn. Doch beim Budgetieren ist Glenn unschlagbar und darum derzeit unkündbar.«

Molly nickte.

»Und ich tröste seit heute Morgen meine Freundin Charlotte. Gestern Abend haben wir über den Typen gesprochen, den sie kennengelernt hat: Claton. Sie trafen sich ständig bei ihr zu Hause oder in einem Hotel.« Molly nahm einen Schluck Rotwein und beobachtete, wie Arnold noch etwas Öl in die Pfanne goss. »Doch wie sich herausstellte, ist der Mann verheiratet und hat zwei Kinder. Jetzt ist Charlotte in Tränen aufgelöst. Von wegen sie liebt ihre Unabhängigkeit und holt sich, was sie will.«

Arnold nickte ebenfalls verständnisvoll. Dann beugte er sich nach vorne über den Herd, nahm ihre Hand und sagte: »Ich bin so froh, dass du damals mit mir ins Café gegangen bist. Du bist etwas Besonderes!«

Wärme stieg in Mollys Bauch hoch und ihr Mund wurde trocken: »Ich habe dich auch sehr gern.«

»Nur gern?« Arnold sah sie fragend an und kam um den Herd zu ihr herüber: »Molly, ich liebe dich.«

Ihr Herz klopfte und sie erwiderte zitternd: »Ich dich auch«.