Murphy gegen die Dämonen der Dämmerung: Die letzte Rose – Dritter Band der Thorn-Trilogie - Markus Kastenholz - E-Book

Murphy gegen die Dämonen der Dämmerung: Die letzte Rose – Dritter Band der Thorn-Trilogie E-Book

Markus Kastenholz

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Beschreibung

Als die Witwe eines Rosenritters verschwindet, spricht alles dafür, dass sie von Vampiren entführt wurde.
Zweifelhafte Hilfe bei der Suche bekommt Tatjana Thorn vom übereifrigen Sohn der Entführten, einem gnadenlosen Vampir-Killer.
Die Fährte führt sie nach Köln, von dort nach Wien, nach Japan … und schließlich auf die Craque des Chevaliers im Heiligen Land. Dort hat sich der Sucker-Meister Rotauge zusammen mit seiner Armee verschanzt.
Thorn ist zu allem entschlossen, nicht nur die Entführte zu befreien, sondern auch Rotauge, den Mörder ihrer Familie, dingfest zu machen. Rotauge soll endgültig fallen!

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Markus Kastenholz

 

 

 

Die letzte Rose

 

Murphy gegen die Dämonen der Dämmerung

 

Dritter Band der Thron-Trilogie

 

 

Horror-Roman 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © Steve Mayer nach Motiven, 2023 

Korrektorat: Bärenklau Exklusiv

 

Redaktioneller Hinweis: Die Namen verschiedener Protagonisten sind vom Autor mit Absicht so gewählt worden. 

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Die letzte Rose 

Prolog 

Alina 

Camouflage 

Blutmond 

Totentanz 

Wiener Brut 

Der Erste und der Letzte 

Epilog 

Weitere Murphy-Bände sind lieferbar oder befinden sich in Vorbereitung 

Weitere Romane von Markus Kastenholz sind erhältlich oder befinden sich in Vorbereitung 

 

Das Buch

 

 

 

Als die Witwe eines Rosenritters verschwindet, spricht alles dafür, dass sie von Vampiren entführt wurde.

Zweifelhafte Hilfe bei der Suche bekommt Tatjana Thorn vom übereifrigen Sohn der Entführten, einem gnadenlosen Vampir-Killer.

Die Fährte führt sie nach Köln, von dort nach Wien, nach Japan … und schließlich auf die Craque des Chevaliers im Heiligen Land. Dort hat sich der Sucker-Meister Rotauge zusammen mit seiner Armee verschanzt.

Thorn ist zu allem entschlossen, nicht nur die Entführte zu befreien, sondern auch Rotauge, den Mörder ihrer Familie, dingfest zu machen. Rotauge soll endgültig fallen!

 

 

***

Die letzte Rose

 

Murphy gegen die Dämonen der Dämmerung

 

Dritter Band der Thorn-Trilogie

 

Prolog

 

»Ich war elf, als ich meinen Bruder getötet habe.«

Die junge Frau richtete ihren Blick in weite Ferne, wo zaghaft die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages über den hügeligen Horizont gekrochen kamen. In ihren Augen schimmerte dabei ein trüber Hauch von Schwermut, und ihr schlohweißes, schulterlanges Haar, das sie mit einem Gummiband zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, wehte im eisigen Fahrtwind des offenen Autofensters.

»Heiko war sechs Jahre älter als ich«, erklärte sie, und ihre Stimme war zu einem Flüstern geworden. »An einem Samstagabend, nach Sonnenuntergang, kam er mit ’nem Typen nach Hause. Ziemlich auffälliger Bursche: sehr groß, sehr schlank, helle Haut. Vielleicht ein Albino, sah jedenfalls so aus. Allerdings pechschwarzes, langes Haar. Wahrscheinlich gefärbt. Rechts trug er ’ne Augenklappe, das linke war blutrot. Könnte also wirklich ein Albino gewesen sein. Er sah aus wie … Kennen Sie Marilyn Manson?«

»Nie von ihr gehört.«

»Dachte ich mir«, lächelte sie den Pfarrer ein wenig mitleidig an und entschied sich aus Rücksicht auf ihren Begleiter dagegen, ›Personal Jesus‹ in den CD-Player zu schieben. »So ähnlich jedenfalls hat er ausgesehen. Sei ein Kumpel, hat Heiko behauptet und Papa und Mama gefragt, ob er zum Essen bleiben kann.« Ein heiseres Lachen, dem jeder Humor fehlte. »Na ja, Heiko kannte ziemlich bizarre Typen; er trieb sich wohl in der Gruftie-Szene rum und sah selbst ganz schön schräg aus. Aber soweit ich mich erinnere, konnte man sich auf ihn verlassen. Na ja, es kam nicht selten vor, dass er einen Kumpel bei sich hat pennen lassen.«

»Aber dieser Mann war kein Kumpel«, vermutete Pfarrer Wiesner und fühlte sich im wahrsten Sinne des Wortes wie im falschen Film. Hastig zuckten seine Hände vor, hielten sich am Polster seines Sitzes fest, als der schwarze Geländewagen ungebremst auf der Überholspur um eine Kurve jagte.

»Mehr oder weniger. Eher weniger. Es war sein gottverdammter Vampirmeister! Sorry.«

»Schon gut«, versuchte er gleichmütig zu wirken und konnte doch nicht verhehlen, wie mulmig ihm zumute war. Nicht nur wegen der halsbrecherischen Fahrweise seiner Begleiterin, vor allem wegen dem, was ihm bevorstand. Das er noch immer nicht begriff, niemals je begreifen würde, selbst wenn er hautnah dabei war und seine Augen sahen, seine Nase roch und seine Hände fühlten.

Auch seine Gesellschaft kam ihm alles andere als vertrauenserweckend vor. Krampfhaft versuchte er sich einzureden, alles geschehe ausschließlich zum Besten; Kardinal Schering behauptete, die Frau, die sich ihm kurz und knapp als Tatjana Thorn vorgestellt hatte, sei ebenso integer wie er selbst, nur weitaus mutiger.

Dennoch, selbst wenn der Papst persönlich versucht hätte, ihn davon zu überzeugen: Es blieben erhebliche Zweifel, die er einfach nicht ausräumen konnte.

Zu seltsam, fast obskur erschien sie ihm in ihrem Hosenanzug, den Stiefeln, den beiden Pistolen am und den beiden japanischen Schwertern im Gürtel. Sie passte rein gar nicht ins klerikale Ambiente, eher auf ein Schlachtfeld.

»Wenigstens blieb er zum Essen«, fuhr sie fort. »Oder das, was er Essen nannte.« Erneut dieses verbitterte Lachen, das geradewegs von ihrer verstauchten Seele kam. »Aber wer oder was dieser rotäugige Bastard wirklich war, das wusste natürlich keiner von uns. Wir waren ja damals so verflucht naiv. Scheiße! Keine zehn Minuten hat’s gedauert, da hat er unsere Eltern angefallen. Wie ein Raubtier. Bloß viel, viel schneller als ein Raubtier. Eine Bestie! Bevor sie reagieren konnten, noch bevor sie überhaupt kapierten, was mit ihnen geschah, hatte er beiden schon den Hals umgedreht. Wie nebenbei. Im Vorbeigehen, wenn Sie so wollen. Haben Sie schon mal gehört, wie einem Menschen der Hals umgedreht wird?«

»Zum Glück ist das mir bislang erspart geblieben.«

»Es begleitet Sie bis an Ihr Lebensende. Sie kriegen dieses Geräusch einfach nicht aus Ihrem Schädel! Klar, es klingt nicht viel anders, als wenn man sich das Bein bricht. Aber man weiß eben, es ist kein Bein.« Ungläubig schüttelte sie den Kopf, ohne die Straße vor ihr aus den Augen zu lassen. »Andrea Glausnitz war meine beste Freundin, sie war an jenem Abend bei mir zum Übernachten. Wie Kinder nun mal sind … Wie im Schock ist Andrea erstarrt, als sie das sah. Wie paralysiert. Sie konnte weder schreien noch weinen. Und was hab ich blöde Kuh getan? Hab selbst nicht gecheckt, was passiert. Doch kurzentschlossen hab ich sie bei der Hand gepackt und wollte mit ihr wegrennen. Keine Chance! Heiko war offenbar schon vor mehr als 24 Stunden von dem rotäugigen Bastard gebissen und infiziert worden. Er war jetzt einer von ihnen! Ein Vampir! Willenlos seinem Meister ergeben. Wie eine Marionette. Nur viel, viel gefährlicher. Heiko hat uns beide aufgehalten und gezwungen, zuzusehen, wie dieser Rotauge meine Eltern ausgetrunken hat.«

»Oh, mein Gott!«

»Er hat ihnen mit den Fingernägeln die Halsschlagadern aufgeschlitzt und direkt aus ihren klaffenden Wunden getrunken. Als würde man die Milch direkt aus dem Kuheuter nuckeln.«

»Sie müssen ja …«

»Das war längst noch nicht alles«, schnitt sie ihm das Wort ab, während die Autobahn in eine Bundesstraße überging, ohne dass Thorn langsamer wurde. Die Häuser von Eltville huschten im morgendlichen Nebel wie schlaflose Geister vorüber, die Fenster blickten ihnen aus gesichtslosen Augen nach.

Die Straße war fast leer; nur einige wenige Berufspendler, die bereits zu dieser frühen Uhrzeit unterwegs waren, die meisten zog es in die andere Richtung, aus dem Rheingau hinaus nach Wiesbaden, Mainz und Frankfurt an ihre Schreibtische und Maschinen.

»Wissen Sie, wie sich Vampire fortpflanzen?«, fragte sie. »Nicht durch Sex. Sie beißen Menschen! Wenn sie sich die Schlagader vornehmen, verblutet ihr Opfer, und der Vampir leckt schmatzend alles auf. Oder sie beißen es woanders hin: In den Arm, ins Bein … Sie sind da flexibel. Ihr Speichel, der dann in den menschlichen Blutkreislauf gerät, sorgt für den Rest. Darin befindet sich eine Art … Virus. Ich weiß nicht genau, ob es wirklich ein Virus ist. Jedenfalls schreibt es die DNS um, und binnen eines Tages wird man selbst zum Sucker. Doch auch diejenigen, die scheinbar überleben, sind tot. Der neue Vampir, wie Heiko einer war, ist seinem Meister treu ergeben. Wie Herrchen und Hund. Er würde mit Freuden sterben, wenn es ihm dient oder er es befiehlt. Individualität die existiert nicht mehr. Nur noch der Wille des Meisters zählt.«

»Was hat man mit Ihnen getan?«

»Rotauge, wie ich ihn seitdem nenne, war erst mal satt, Andrea und ich wurden festgehalten. Er fragte sich, was er mit uns Mädchen anfangen sollte. Gebissen sollten wir beide werden, klar. So sichere Beute lässt man sich nicht entgehen, auch wenn kleine Mädchen nicht viel hergeben. Eine von uns sollte schließlich Heikos erste Mahlzeit werden, die andere den Clan vergrößern. Es sei Heikos Wahl, meinte Rotauge, doch mein stinkendes Vampir-Bruderherz konnte sich nicht entscheiden. Also hat er eine Münze geworfen.«

»Und Sie haben gewonnen?«

Heiseres Krächzen war ihre Antwort. »Wenn Sie das ›gewinnen‹ nennen meinetwegen. Andrea wurde Heikos erstes Opfer. Und gleichzeitig sein letztes.« Thorns Gesicht war zu einer fahlen Maske geworden. Sie schluckte. »Später in der Nacht ist Rotauge weggegangen, wahrscheinlich um sich weitere Anhänger zu holen. Heiko sollte mich beißen und morgen, wenn ich mich ebenfalls verwandelt hatte, in ihr Nest bringen: eine leerstehende Fabrikhalle, in der sie sich tagsüber versteckten. Doch Heiko hat mich unterschätzt. Ich war trotz allem halt immer noch seine kleine, doofe Schwester. Als er es tun wollte, hab ich instinktiv das Richtige getan, hab das Nächstbeste gepackt, was mir in die Hände kam und einer Waffe ähnelte. Es war die Replik eines Obelisken auf Mutters Wohnzimmerschrank. Ziemlich effektiv, wenn man es jemandem direkt ins Herz stößt. Ich hatte keine Ahnung, dass Heiko zum Vampir geworden war, das hab ich erst später herausgefunden. Aber genauso wie ich’s in einem Vampir-Film gesehen hatte, hab ich das Ding eingesetzt. Mit mehr Glück als Verstand. Er ist gestorben. Nicht einfach so. Er hat Feuer gefangen, um sich geschlagen und geschrien wie am Spieß. Binnen zwanzig Sekunden war er nur noch Asche.«

»Grauenhaft!« Für mehr fehlte dem Pfarrer die Kraft.

»Ein elfjähriges Mädchen war damit natürlich überfordert. Vampire, ich bitte Sie! Die gibt’s doch gar nicht. – Schauen Sie nicht so: Sie glauben selbst nicht dran!«

Keine Antwort. Nur Schweigen.

»In meiner Not bin ich zu Andreas Eltern. Armin, ihr Vater, war beim BKA, Bundeskriminalamt. Dort bin ich hin. Klar, auch er hat zunächst gedacht, ich würde spinnen. Doch dann hat er das viele Blut an meinem Kleid entdeckt und ist mitgekommen. Als er dann alles sah …« Vielsagend winkte sie ab. »Er ist ein logisch denkender Mensch. Trotzdem hat er instinktiv begriffen, das war nicht das Werk eines Mörders, nicht einmal das eines Amokläufers. Er wusste auch nicht weiter und hat deshalb Onkel Werner angerufen. Onkel Werner war Mutters Bruder und Kaplan. Hatte nur zwei Ortschaften weiter seine Gemeinde. Auch er dachte anfangs, wir würden phantasieren, trotzdem war er ein paar Minuten später da. Ohne groß zu fragen, er war einfach da, wenn man ihn brauchte. Bewundernswert. Und als er das Fiasko begutachtete, schien er sogar zu befürchten, was hier geschehen war, er hat sich schon früher viel mit Okkultismus und Mystik beschäftigt.«

»Er wusste also Bescheid.«

»Freilich hatte er von Vampiren keine Ahnung. Nur das, was man so nebenbei hört, liest und in Filmen sieht. Eigentlich vermutete er dahinter eine Teufelssekte. Wie auch immer, er rief einen Bischof an, mit dem er schon zu tun hatte, um zu fragen. Der wiederum wusste mehr und informierte umgehend den Vatikan.«

Die Augen des Pfarrers schienen nicht nur merklich größer zu werden, sie sprühten auch geradezu vor Skepsis.

»Nach sechs Stunden tauchten bei uns drei Schwarzkittel auf, und besonders ihr Anführer sah ganz und gar nicht wie ein Priester aus. Eher wie ein Soldat. Fast wie man sich einen modernen Kreuzritter vorstellen würde. Überall Narben, halbe rechte Ohr fehlte ihm. Und er besaß auch kein Kruzifix, sondern eine Maschinenpistole: Bruder Magnus von den Franziskanern.«

»Man war auf einen solchen Fall vorbereitet?«

»Es war beileibe nicht das erste Mal. Auch seine beiden Begleiter waren Franziskaner. Knappen, um genau zu sein. Kriegermönche, in Tradition der Tempelritter.« Sie schickte ein Seufzen hinaus. »Heute weiß ich, für Magnus war dieser Fall fast Routine. Mit knappen Worten habe ich ihnen meine Geschichte erzählt, und sie haben sie geglaubt. Wort für Wort. Dann haben sie uns aufgeklärt, was geschehen war. Man müsse um jeden Preis vertuschen, wer das angerichtet hatte. Kurzerhand haben sie bei unserem Haus eine Gasexplosion vorgetäuscht, sämtliche Leichen wurden bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Keine Spuren.«

»Aber man hat doch …« Pfarrer Wiesner schluckte »… keine Überreste gefunden. Jedenfalls nicht von Ihrem Bruder.«

»Oh doch, hat man. Magnus hat aus einem Krematorium die Leiche eines halbwüchsigen Mannes besorgt und darin deponiert. Etwa von Heikos Gestalt. Vor allem aber gelang es ihm, Andreas Vater davon zu überzeugen, still zu halten, und das war wirklich alles andere als einfach. Glausnitz war ja sozusagen vom Fach, er hat seine Kollegen beruhigt und zurückgehalten, soweit das möglich war. Und der Rest wurde hinter den Kulissen irgendwie geregelt. Wie gesagt: Keine Spuren, alles weg.«

»Und was war mit den Spuren in Ihnen?«

»Die trag’ ich immer noch mit mir rum«, nuschelte sie fast unverständlich, als wolle sie um nichts in der Welt Schwäche zeigen. »Das meiste habe ich bewältigt, irgendwie. Wenigstens bilde ich’s mir ein. Klar, die Bilder sind immer noch da, und fragen Sie mich bloß nicht nach meinen Alpträumen. Doch ich habe mich der Gefahr gestellt, blicke ihr Tag für Tag ins Auge und habe gelernt, damit zu leben.«

»Als würde jemand, der unter Flugangst leidet, absichtlich viel fliegen.«

»So könnte man es ausdrücken. Und selbst wenn ich es vergessen wollte, ich kann es nicht über Nacht sind damals meine Haare weiß geworden.«

»Weshalb färben Sie sie nicht?«

»Weil ich jedes Mal, wenn ich in den Spiegel schaue, daran erinnert werde. Ich will nicht vergessen. Ich darf nicht vergessen. Denn ich habe eine Aufgabe.«

»Dieser Rotauge?«

»Richtig«, nickte sie vielsagend. »Ich will nur eines: diesen rotäugigen Wichser erwischen! Will ihn bei den Eiern packen und zudrücken, will ihn pfählen, ihm die Gedärme aus dem Leib reißen und mich an seinen Qualen erfreuen. Ich will laut lachen, wenn er vor Schmerz gellend aufschreit und elendig krepiert.«

»Das ist …«

»Das ist nicht christlich, ich weiß. Sie predigen Nächstenliebe und Vergebung. Aber denken Sie, dieser Kerl hat für Nächstenliebe was übrig?«

Keine Reaktion. Jedes Quäntchen wollte widersprechen, doch angesichts von Thorns Erlebnissen wäre jedes mahnende oder belehrende Wort zu viel gewesen.

»Na also«, fühlte sie sich bestätigt, doch nicht der geringste Hauch von Triumph schwang in ihrer Stimme. »Dieser Kerl will nur töten, töten und abermals töten. Etwas anderes kennt er nicht. Inzwischen weiß ich, ihm geht es dabei gar nicht darum, sich zu ernähren, dafür könnte man vielleicht noch Verständnis aufbringen. Er ist auch nicht nur ein Vampir-Boss – er ist von Grund auf böse! Kein Schmerz der Welt kann groß genug sein, seine Taten zu sühnen.«

»Sie wollen doch gewiss besser sein als er.«

»Wer weiß, wie viele tausend Menschen der inzwischen auf dem Gewissen hat«, ließ sie seinen Einwand nicht gelten und wusste, er sprach mit den obligatorischen zwei Zungen der Religion; andernfalls hätte er nicht neben ihr gesessen und insgeheim um ihren Erfolg gebangt. »Siebzehn Jahre sind das nun her. Denken Sie, der hat sich währenddessen nur von Roter Grütze und Blutwurst ernährt?«

»Wahrscheinlich nicht.«

»Garantiert nicht! Magnus und seine Assistenten haben das Nest ausgehoben, wo Heiko und ich den Meister treffen sollten. Vier Sucker haben sie dabei erwischt und zur Hölle geschickt, einer der Knappen starb ebenfalls dabei.«

»Aber Rotauge war nicht darunter.«

»Sonst würde ich nicht noch immer nach ihm suchen.« Vielsagendes Seufzen. »Kaum waren meine Eltern unter der Erde, stellte mich Magnus vor die Wahl. Ich höre seine Stimme noch heute, diesen Tonfall, der mir klar machte, er war nicht zu Scherzen aufgelegt. Er wollte von mir wissen, wie ich mir meine Zukunft vorstelle.«

»Sie wollten Rache.«

»Süße, wunderbare Rache! Magnus wollte mir die Gelegenheit dazu geben, doch ich müsse bereit sein, alles, wirklich alles dafür zu tun. Weniger sei nicht genug, weniger bedeute meinen unausweichlichen Tod.«

»Und Sie waren dazu bereit.«

»Ohne freilich zu wissen, was mir bevorstand. Der Vatikan beschloss also, sich meiner anzunehmen. Irgendwie fühlen sie sich für Vampire mitverantwortlich, auch wenn ich mir nicht ganz im Klaren bin, weshalb. Es gibt Legenden, wonach der erste Vampir ein Papst im 8. Jahrhundert war. Er sah sein Ende kommen und schloss einen Pakt einem Höllendämon. Welchen Preis er für die Unsterblichkeit bezahlen musste, können Sie sich denken. Ich halte das zwar nur für eines von vielen Gerüchten, dennoch hält es sich beharrlich. Und wie gesagt: Der Vatikan unterstützt den Kampf gegen Vampire, wo immer er kann.« Ihr Lächeln sagte mehr, als es verbarg. »Man hat die letzten zweitausend Jahre nicht tatenlos Däumchen gedreht.«

»Und was geschah mit Ihnen?« Er wollte das alles nicht hören und wäre am liebsten aus dem fahrenden Wagen gesprungen, nur um schnellstens wegzukommen. Er bereute es längst, sein vorlautes Mundwerk nicht im Zaum gehalten und Meldung erstattet zu haben.

»Man stellte Onkel Werner als letztes Familienmitglied für mich frei, er wurde sozusagen mein Eltern-Ersatz. Auch Magnus war immer da, wenn ich ihn brauchte und er nicht … anderweitig beschäftigt war. Er gehörte übrigens einer …« Verzweifelt suchte sie nach dem richtigen Wort. »… einer Organisation namens ROSE an.«

»Rose?« Fragend hob er eine Augenbraue.

»Im Laufe der Jahrhunderte wurden weltweit Geheimbünde mit unterschiedlichen Zielen gegründet«, erklärte sie. »Von den Templern haben Sie bestimmt schon gehört.«

»Die Templer wurden vor langer Zeit ausgelöscht.«

»Wenn Sie meinen …«, knurrte sie nur und dachte nicht daran, ihm zuzustimmen. »Wussten Sie, dass die ROSE ein viel älteres Symbol als das Kreuz ist? Nein, natürlich wussten Sie das nicht. Jedenfalls ist sie dem Vatikan zwar nicht hörig, aber eng mit ihm verbunden. Die ROSE ist mittlerweile zu seiner Armee gegen Vampire geworden.«

»Ähnlich wie die Exorzisten …«

»Ja. Bloß, dass die nur Glauben, Weihwasser, Gebete und Kreuze einsetzen. Für Vampire sind handfestere Argumente nötig.« Demonstrativ deutete sie nach hinten in den Fond, wo eine Ansammlung bizarrer Geräte und Waffen begierig darauf zu warten schien, mit Vampirblut getränkt zu werden. »Der Vatikan und die ROSE wollten mit meiner Adoption einfach auf Nummer Sicher gehen, dass ich mein Wissen nicht publik mache. Klar, einem kleinen Mädchen hätte niemand geglaubt, doch es hätte eben Aufsehen bereitet. Das wollte sich niemand leisten.«

»Dass Sie sich für diesen Job entschieden haben, war also glückliche Fügung.«

»Nein, Schicksal. Vielleicht hatte sogar er da oben die Finger mit im Spiel. Schauen Sie nicht so ungläubig, ich bin nicht die erste und nicht die einzige, sondern nur eine Rosenritterin in einer langen Reihe. Es gibt uns fast so lange, wie es Vampire gibt, wenn auch nicht offiziell. Nichts hören, nichts sehen und vor allem nichts sprechen. Wie die drei Affen. Nehmen Sie nur die dritte Prophezeiung von Fatima …«

»Sie wurde letztens sinngemäß ja veröffentlicht. Darin wird das Attentat 1981 auf den Heiligen Vater …«

Thorns Lachen schnitt ihm jäh das Wort ab. »Meinetwegen glauben Sie weiter daran, doch lassen Sie sich von Ihren Oberen nicht zum Narren machen.« Langsam bekam sie sich wieder ein. »Wie gesagt, der Vatikan nahm sich meiner an. Ich wuchs in mehreren Klöstern auf, mit den besten Lehrern im Privatunterricht, die man finden kann. Alles, wirklich alles, was über Vampire bekannt ist, hat man mir beigebracht. Ihre Stärken und vor allem ihre Schwächen. Andererseits, seien wir realistisch: Nie werde ich mich nach ›ordentlicher‹ Arbeit umsehen müssen. Was ich mache, ist kein Job, nicht nur Beruf, sondern Berufung. Besonders jemand wie Sie wird verstehen, was ich meine.«

Mühsam rang sich der Pfarrer ein Nicken ab; seine Gesellschaft kam ihm immer dubioser vor, doch jetzt war es zu spät, auszusteigen.

»Lebenslängliche Anstellung garantiert«, stellte sie bitter fest. »Man macht das, bis man ins Gras beißt.«

»Haben Sie Angst davor?«

»Angst vor dem Tod? Nein. Ich habe schon zu viel gesehen, um noch Angst davor zu haben. Höchstens Respekt. Keiner von uns Vampirjägern hat je die Rente erlebt. Ich weiß also, was mir bevorsteht.«

»Und wenn Sie jemals Ihren Rotauge erwischen?«

»Selbst dann würde ich weitermachen, wie ich mich kenne. Er mag zwar mein Karma sein, doch es gibt dort draußen noch viele andere, die es durchaus mit ihm aufnehmen können. Insgesamt zweiundfünfzig Sucker habe ich jetzt eigenhändig erledigt. Dabei wurde ich fünfmal ernsthaft verletzt: Offene Trümmerbrüche beider Beine, ein Bauchschuss, gebrochene Rippen … Die ausgekugelten Arme rechne ich nicht mit. Aber ich weiß, ich werde gebraucht. Ich töte nicht des Tötens willen, ich rette vor allem Leben! Ja, wenn Rotauge tot wäre, ich würde bestimmt trotzdem weitermachen. Aber er liefert mir den Antrieb.«

»Und irgendwann wurden Sie dann Magnus’ Assistentin.«

»Ja, mit siebzehn. Das war ein Fehler. Er hat es nicht überlebt.«

»Er ist tot?«

Phlegmatisches Nicken, die Vergangenheit war so lebendig geworden wie seit langem nicht mehr. »Und irgendwie war es meine Schuld.«

Der Pfarrer schwieg. Es schien der jungen Frau gut zu tun, ihr Gewissen zu erleichtern. Freilich, sie waren auf dem Weg zu einem so genannten »Nest«, dort hielt sich vermutlich ein Vampirclan verschanzt. Dennoch hatte ihr Gespräch etwas von Beichte an sich, weil vorwiegend sie sprach. Pfarrer Wiesner war fest davon überzeugt, Thorn ging davon aus, das Beichtgeheimnis galt selbst in dieser ungewöhnlichen Umgebung, und er dachte nicht daran, es zu verletzen.

 

*

 

»Die Bastarde saßen in einem Bunker der Roten Armee in Mecklenburg«, schluckte Thorn, ohne den Pfarrer neben sich anzusehen. »Magnus und ich, wir haben den Eingang gesprengt, damit Licht einfiel, das ist die halbe Miete. Sie wissen vielleicht, Vampire verbrennen im Sonnenlicht. Ich also rein, Magnus dicht hinter mir. Mit Lanzen und MPs. Doch dann …«

Die Erinnerung wog schwer; plötzlich trat Thorn auf die Bremse und fuhr rechts auf den Standstreifen.

»Ich … ich bekam eine Art Krampf«, erklärte sie erschreckend naiv; von ihrer draufgängerischen Kulisse war nicht allzu viel geblieben. »Wie ein Blitz. Und mindestens genauso schmerzhaft. Hilflos bin ich zusammengesackt, war wie gelähmt, unfähig, mich zu bewegen. Alles verkrampfte. Magnus wurde davon abgelenkt, hat sich um mich kümmern wollen. Er war nun mal wie ein Vater für mich und fühlte sich verantwortlich. Die drei Sucker und ihr Meister sind über ihn hergefallen und haben ihn …«

»Ihr Meister?« Er horchte auf. »Dieser Rotauge?«

»Nein, nein«, winkte sie ab. »Jeder Clan hat seinen eigenen Meister, sozusagen das Oberhaupt. Ein Meister ist ein Vampir mit freiem Willen. Er beißt einen Menschen, der ihm dadurch unterworfen wird, es besteht ein telepathisches Band und ein kollektives Bewusstsein innerhalb des Clans. Was einer weiß, wissen alle. Infiziert dieser Sucker wiederum andere Menschen, werden auch die von dem Meister beherrscht. Doch wenn der Meister ums Leben kommt, werden die Vasallen selbst zum Meister und versucht einen eigenen Clan um sich aufzubauen. Einen möglichst großen, mächtigen Clan, manche sind mehrere hundert Köpfe stark. Aber die sind die Ausnahme, meist können wir das Übel bereits im Keim ersticken, bevor es zu spät ist.«

»Wenn Sie diese Nester ausheben, werden doch alle ausgelöscht, nicht?«

»Jedenfalls versuche ich es.«

»Dann müssten sie doch längst ausgestorben sein.«

»Schön wär’s.« Sie verzichtete darauf, den Motor abzustellen. »Die Nester sind Routine, mehr oder weniger, weil uns die Sonne dabei hilft und die meisten Vampire verbrennt. Hin und wieder verstecken sich die Meister jedoch außerhalb. Und viel zu oft ist es nötig, nachts gegen sie vorzugehen. Dann wird’s wirklich brenzlig, dann sind sie in ihrem Element und kaum zu besiegen. Es gelingt immer wieder ein paar, zu entkommen und die pflanzen sich fort wie die Karnickel. Deshalb sterben sie nie aus.«

»Warum wurden nicht auch Sie damals getötet?«

»Darum!« Stoisch langsam zog sie ihren linken fingerlosen Handschuh aus und legte ihn auf ihren Schoß. Darunter trug sie um ihre Handfläche Bandagen, die sie ebenfalls entfernte. »Sehen Sie!«

»Oh, mein Gott!« Pfarrer Wiesner fuhr erschrocken zusammen, dann bekreuzigte er sich aus einem Reflex heraus, als er das kreuzförmige Stigmata entdeckte. Es blutete nicht, wahrscheinlich schon seit langer Zeit nicht mehr, dicke Krusten hatten sich darauf gebildet.

»Auf der anderen Hand habe ich dasselbe«, murmelte sie. »Aber ich kann Sie beruhigen: Es sind keine teuflischen Wundmale. Hoffe ich wenigstens. Und der Pontifex hat es mir bestätigt.«

»Sie kennen den Papst?«

Als Zeichen der Bestätigung schloss sie kurz die Augen. »Ich war damals vierzehn, und man hatte mich im Kloster Marienkirchen untergebracht. Bei einem Besuch von ihm hab ich ihn mit dem Fahrrad fast über den Haufen gefahren. Er ist gestürzt. Die Schwester Oberin wollte mir für diese Respektlosigkeit eine Ohrfeige geben, doch er hat das verhindert. Obwohl er hinterher fast zwei Wochen an Krücken gehen musste …« Schwermut sprach aus ihrer Stimme, begleitet von einem Lächeln.

Sie begann, die Wunde wieder zuzuwickeln.

»Ich hab mir die Stigmata weder hergewünscht, noch darum gebeten. Plötzlich ist meine Haut einfach aufgebrochen, und sie waren da. Die Vampire haben mit Magnus kurzen Prozess gemacht, haben ihn zerfetzt. Dann sind sie abgehauen, haben sich in die tiefer gelegenen Räume des Bunkers verkrochen. Keine Ahnung, warum sie sich die fette Beute entgehen ließen, jedenfalls damals noch nicht. Ein, zwei Stunden später, als ich wieder einigermaßen bei mir war, hab ich die ganze Bande in die Luft gejagt.« Sie seufzte. »Es ist schon komisch. Klar, ich kenne viele Berichte über Stigmata. Man hat Jesus die Nägel bestimmt nicht in die Handflächen getrieben, wie es auf Bildern und Kruzifixen dargestellt wird. Durch sein Körpergewicht wären die Nägel ausgerissen. Die Römer haben bei Kreuzigungen durch die Handgelenksknochen geschlagen. Stigmatisierte bilden sich das nur ein, hab ich früher gedacht, sind einem religiösen Wahn verfallen. Deshalb haben sie ihre Wundmale auch in der Hand und eben nicht im Gelenk …« Erneutes Seufzen. »Okay, zugegeben, ich bin wohl wirklich so was wie eine Kreuzritterin. Trotzdem bin ich längst nicht so religiös, wie man annehmen sollte.«

»Ist mir bereits aufgefallen.«

»Ausgerechnet mir muss das passieren …« Kopfschüttelnd streifte sie sich die Handschuhe wieder über, vergewisserte sich, dass die Straße hinter ihnen frei war, dann beschleunigte sie erneut.

»Sie sind an Magnus’ Stelle gerückt?«

»Inzwischen ja. Mehr oder weniger. Nur, dass ich ohne Knappen arbeite. Ich bin nun mal Einzelgängerin, Teamarbeit liegt mir nicht. Außerdem schützt mich das hier.« Sie zeigte ihm die nunmehr bedeckte rechte Handfläche.

»Es macht Sie immun?« Noch immer weigerte er sich beharrlich, den Ausdruck »Vampir« in den Mund zu nehmen.

»Fragen Sie mich nicht, warum, aber mein Blut widert sie an. Einer von der stinkenden Brut hat’s mal geschafft, mich zu beißen, wollte es wohl drauf ankommen lassen. Mein Blut hat auf ihn fast wie Säure gewirkt, hat ihn verätzt. Und komischerweise habe ich mich hinterher auch nicht verwandelt.«

»Vampire können Ihnen also nichts anhaben.«

»Sie können mich erschießen, erstechen, vergiften, zerstückeln, überfahren, erhängen und tausend anderes unangenehmes mehr. Sie können mich sogar gefangen nehmen, vergewaltigen und zwingen, eines ihrer Kinder auszutragen. Aber nein, sie können mich nicht zu einer von ihnen machen.«

»Es scheint, als sei Ihr Blut … christlich?«

Fragend schielte sie ihn von der Seite an.

»Ich meine … Vampire sind doch allergisch gegen Kreuze und Weihwasser.«

»Schön wär’s«, knurrte sie. »Die lachen Sie nur aus, wenn Sie ihnen ein Kruzifix vor die Nase halten. Selbst wenn Sie daran glauben, wirkt es nicht. Dann packen sie Sie, beißen Ihnen in den Arsch, und 24 Stunden später blasen Sie Ihrem Meister einen und freuen sich, dass Sie das dürfen.«

»Aber …«

»Ja, ja, in Filmen funktioniert das. In Filmen wird der arme Bauernjunge auch zum Helden und kriegt die Prinzessin samt dem halben Königreich. Aber leider sind wir nicht im Film. Vampire altern nicht und sind unglaublich stark und flink. Und Rotauge, der war fast schneller als ein Gedanke. Sie haben eine verdammte Selbstheilungskraft, deshalb werden sie nie krank. Wenn man ihr Herz nicht vollständig zerstört, bringt sie das zwar nicht um, aber es hält sie auf. Man kann sie auch ans Sonnenlicht zerren, dann verbrennen sie. Empfehlenswert ist auch Köpfen.«

»Ich sehe, Sie haben Pistolen …«

»Tötet sie nicht, doch es hält sie auf. 1988 hat ein Trupp der US-Army einen Vampir erschossen. 516 Kugeln hat man auf ihn abgefeuert. Die 517. hat endlich seinen verfluchten Schädel vom Körper getrennt. Ich nehme Dumdum-Geschosse. Nicht wegen des eingeritzten Kreuzes, sondern ihrer Durchschlagskraft. Außerdem sind sie von Silber ummantelt. Aber das ist mehr eine Marotte und nützt höchstens gegen Mondvampire, doch die halten meist still.«

Am liebsten hätte sich Pfarrer Wiesner erkundigt, was »Mondvampire« waren, er verkniff es sich. Ohnehin kam er sich in seiner Rolle als Stichwortgeber keineswegs wohl vor. Er bekam Dinge zu hören, die er niemals erfahren wollte. Andererseits: Wenn nicht jemand wie er dazu prädestiniert war, einfach nur zuzuhören, wenn sich jemand sein Leid von der Seele sprechen wollte, so hätte er seinen Beruf vermutlich verfehlt.

Thorn bemerkte seine Frage, wahrscheinlich hatte sie sie mit ihrer Bemerkung sogar provoziert:

»Es gibt mehrere Sorten Vampire«, erläuterte sie. »Mondvampire, wie gesagt, Lamier, Onis und einige mehr. Aber die gefährlichsten sind und bleiben die Meister und ihre Sucker.« Erneutes Seufzen. »Um auf Magnus zurückzukommen: Ich hab mir unendliche Vorwürfe gemacht, schließlich war ich es, die die Aktion vermasselt hat.«

»Sie konnten nichts dafür.«

»Hat man mir auch gesagt. Aber das ist eine faule Ausrede! Es war meine Schuld, basta! Meine Entscheidung stand fest: Nie wieder Vampire jagen! Nie wieder!«

»Offenbar sind Sie sich untreu geworden.«

»Richtig. Doch ich war wirklich fest entschlossen. Andererseits: Was ich gelernt habe, wollte ich nicht verkümmern lassen. Habe ich Ihnen erzählt, dass Andreas Vater beim BKA war? Ich glaube, ja. Mittlerweile ist er zu einem der Stellvertretenden Abteilungsdirektoren aufgestiegen. Der Kontakt zu ihm ist nie abgerissen, er ist ja unterrichtet und wäre selbst überglücklich, wenn ich mir Rotauge endlich schnappen könnte. Er hat mir in der Zeit danach geholfen, dort Fuß zu fassen. Wahrscheinlich wird Ihnen die Vorstellung, ich bin Polizistin, ziemlich seltsam vorkommen, und ich kann Sie beruhigen: Ich bin’s nicht. Klar, ich hab mich geschunden, hab versucht, den Befehlen von Vorgesetzten zu gehorchen. Hab die ganze Scheiße anstandslos über mich ergehen lassen und den Schwanz eingezogen wie ein Pudel beim Dobermann. Ich habe im BKA viel gelernt, und wenn alles wie vorgesehen gelaufen wäre, würde ich jetzt wohl in einem Auto hocken, einen Verdächtigen observieren und mir Hämorrhoiden holen. Doch das Leben hat es so an sich, nicht vorhersehbar zu sein.«

»Der Mensch denkt, Gott lenkt …«

Sie schenkte ihm einen verächtlichen Blick; diese Argumentation war ihr zu simpel. »Obwohl ich nicht mehr der ROSE angehörte, steckte der Hass auf Rotauge noch immer tief in mir. Dann, als ich kaum noch damit gerechnet habe, als ich mit der Ausbildung fast fertig war, bekam ich Informationen, die auf Rotauge hinwiesen. Inzwischen war er in den USA aufgetaucht. Sie können sich vorstellen, ich habe alles stehen und liegen lassen. Urlaub war nicht zu bekommen – auch egal! Rotauge war mir wichtiger! Wichtiger als alles andere! Mein heiliger Gral, wenn Sie so wollen. Mein Moby Dick!«

»Wie Kapitän Ahab sind Sie erfüllt von Rache und Hass«, stellte er fest und traf damit den Nagel mitten ins Gesicht.

»Nach allem, was er mir angetan hat, wundert das eigentlich nicht.«

»Trotzdem müssen Sie …«

»Ich bin aus Deutschland abgehauen und hab mich an diesen Fall gehängt«, dachte sie nicht daran, auf seine Worte einzugehen. »Observiert hab ich, ausgekundschaftet und ermittelt. Wie besessen war ich, habe sämtliche Verbindungen spielen lassen und mir neue geschaffen. Es ging um einen Massenausbruch aus der Strafanstalt Springfield in Kalifornien. Dreizehn Schwerverbrechern, alles Todeskandidaten, ist die Flucht gelungen. Und unter uns: Es ging nicht mit rechten Dingen zu, Magie war im Spiel.«

Erwartungsgemäß musste sich der Pfarrer einen Widerspruch verkneifen, presste die Lippen zusammen, sodass sie zu zwei blutleeren Strichen wurden.

»Francine de Bors war die Schlampe von diesem Rotauge. Sie saß wegen mehrfachem Mord. Aus irgendeinem Grund war sie gegen Sonne und Blutdurst immun. Jedenfalls war sie unter den Flüchtenden, ziemlich üble Gestalten.«

»Und wahrscheinlich sind Sie durch diese Frau auch auf Rotauge gestoßen.« Alles andere wäre eine maßlose Enttäuschung für ihn gewesen.

»Richtig«, bestätigte sie. »Das Dutzend anderer Ausbrecher war mir egal, mittlerweile sind sie gestellt und erschossen worden. Aber de Bors war nicht darunter, und nur auf sie hatte ich es logischerweise abgesehen. Also hab ich mich an ihre Fersen geheftet, und tatsächlich hat sie mich zu ihrem heißgeliebten Rotauge geführt. Seit mehr als einem Jahrzehnt habe ich ihn wieder getroffen.«

»Doch Sie konnten ihn nicht töten.«

»Nein«, gestand sie mit hängenden Schultern. »Ich hab versagt. Er war viel zu schnell. Er besaß sogar eine Art magischen Stein, mit dem er sein Aussehen verändern konnte; die ganze Zeit ist er vor meiner Nase rumgelaufen, ohne dass ich ihn erkannt habe.« Ihre graute bei dieser Erinnerung. »So unvorbereitet, wie ich war, kann ich von Glück reden, dass ich noch lebe. Und das habe ich nur meinem Blut zu verdanken. Sie erinnern sich an den Kerl, von dem ich Ihnen erzählte? Rotauge war es, der mich gebissen hat. Schreiend lief er weg, seine Visage hat geraucht wie nach dem beendeten Konklave. Seine Selbstheilungskräfte dürften ihn mittlerweile aber wieder völlig regeneriert haben.«

»Und seine Geliebte?« Allmählich wurde Wiesners Neugier geweckt.

»De Bors konnte ich schon vorher schwer verletzen, sie blieb außer Gefecht. Er hat sie sich über die Schulter geworfen und hat Fersengeld gegeben.«

»Immerhin steht es jetzt eins zu Null für Sie.«

Dem vermochte sie nicht zuzustimmen, sie ging gar nicht darauf ein: »Die Aktion brachte nichts ein, außer dass mich das BKA in hohem Bogen gefeuert hat. Was soll’s … Irgendwie war’s ohnehin nur ein Ersatz für mich. Ein Job!«

»Vampire zu jagen ist hingegen Ihre Berufung.«

Mit großen Augen sah sie ihn an. So präzise hätte sie die Angelegenheit nicht auf den Punkt bringen können.

»Ich hab meine Wunden geleckt und wieder Kontakt mit der ROSE aufgenommen«, fuhr sie ein wenig konsterniert fort, »und die haben mich sofort wieder in Dienst gestellt. Sie haben mich sogar zur Ritterin befördert.«

Er schenkte es sich, sie dafür zu beglückwünschen.

»So!«

Vor ihnen tauchte ein verwitterter Brückenbogen auf, der einst zur Hindenburgbrücke gehört hatte, bevor sie von den Nazis gesprengt worden war, um die Alliierten-Truppen daran zu hindern, auf die rechte Rheinseite zu gelangen. RÜDESHEIM AM RHEIN – WILLKOMMEN stand in großen, goldenen Lettern darauf, doch Thorn dachte nicht daran, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen und sich für den Willkommensgruß zu bedanken. Zu oft schon hatte sie ihn gelesen, wann immer sie hier Alina Blake, eine Freundin und Witwe des Knappen Robert Blake besucht hatte. Robert Blake war bei damals bei der Säuberung des Nests, wo man Rotauge vermutet hatte, gefallen. Das verband die Vampirjägerin mit Alina.

Doch das musste der Pfarrer nicht unbedingt wissen.

»Den weiteren Weg müssen Sie mir zeigen«, meinte sie.

»Vorerst immer geradeaus. Dann nach rechts, hoch in Richtung Niederwalddenkmal.«

 

*

 

»Weshalb erzählen Sie mir das alles?«, kam Pfarrer Wiesner schließlich doch nicht umhin, die Frage zu stellen, die ihm auf der Zunge brannte, seitdem Thorn ihn in Mainz abgeholt und kurz darauf mit ihrer Lebensgeschichte begonnen hatte. Wollte sie ihn damit ängstigen? Oder gar langweilen? Oder benutzte sie ihn einfach nur als psychologischen Mülleimer, wie es einst gang und gebe gewesen war, während man sich heutzutage lieber auf die Couch eines Psychologen fläzte?

»Um Ihnen klar zu machen, es war richtig, sich an den Kardinal zu wenden. Ich weiß, Sie haben gezögert. Das ist nicht ehrenrührig, jeder würde das. Man hat Angst, von der Obrigkeit verspottet zu werden.«

»Fünf Menschen sind in den letzten Tagen verschwunden. Drei weitere wurden ermordet und völlig blutleer gefunden. Der oder die Mörder haben versucht, sie zu begraben …«

»Ja, das tun sie gern, um ihre Spuren zu verwischen«, grinste sie zynisch. »Aber meist sind sie nicht sorgfältig genug, richtige Dilettanten. Das Fatale ist, Vampire wissen, dass die Allgemeinheit nicht an sie glaubt. Das nutzen sie schamlos aus, und oft genug ist es für die Zweifler dann zu spät.«

»Der Hund eines Spaziergängers hat die Leichen freigescharrt. War in der Nähe vom stillgelegten Forsthaus Schwarzholtz.«

»Wenn dieses Forsthaus abgelegen und unbewohnt ist – ideal! Keine Nachbarn, die einen beobachten. Vampire verschanzen sich bevorzugt in verlassenen Gebäuden. Oder im Haus, das einem der Sucker gehört.«

Sie bog rechts ab, in Richtung Niederwalddenkmal, wo die altehrwürdige Dame Germania seit fast hundert Jahren über den Rheingau wachte, Reichsapfel und Schwert fest umklammert. Die schmale Straße führte steil bergauf, vorbei an Gaststätten und Souvenirläden.

»Häuser, Bunker, Lagerhallen … Sie sind da nicht wählerisch. Irgendwas eben, wo sie vor dem Tageslicht geschützt sind. Vampire schlafen übrigens nicht tagsüber, wie man gemeinhin annimmt, sie brauchen überhaupt keinen Schlaf. Nur Schutz vor der Sonne.«

»Deshalb sind wir auch ausgerechnet jetzt unterwegs?«

»Richtig«, bestätigte sie. »Die Sonne ist mein mächtigster Verbündeter. Und ihr größter Feind! Ich schlafe auch prinzipiell nur am Tag. Na ja, nicht nur wegen der Vampire, ich bin sowieso Nachteule …«

»Vorletzte Nacht bin ich durch den Wald gefahren«, berichtete der Pfarrer mit leiser, ernster Stimme. »Ich war auf dem Weg zu einer letzten Ölung. Im Schwarzholtz brannte Licht. Kein elektrisches, sondern offenbar Kerzen.

---ENDE DER LESEPROBE---