Murphy gegen die Dämonen der Dämmerung: Die Todesschwadron – Erster Band der Thorn-Trilogie - Markus Kastenholz - E-Book

Murphy gegen die Dämonen der Dämmerung: Die Todesschwadron – Erster Band der Thorn-Trilogie E-Book

Markus Kastenholz

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Beschreibung

David Murphy muss erneut gegen die Dämonen der Dämmerung kämpfen, doch auch diesmal sind seine Gegner stark und gerissen und nicht immer ist ersichtlich, wer Freund und wer Feind ist.
Mittels Magie gelingt Charles Mansen und zwölf weiteren Insassen die Flucht aus einem Hochsicherheitsgefängnis für Schwerverbrecher. Sie beginnen eine beispiellose Mordserie.
Das ruft David Murphy auf den Plan … und die Rosenritterin Tatjana Thorn, denn eine der Geflohenen ist die Geliebte des Vampir-Sucker-Meisters, den sie »Rotauge« nennt. Durch ihn wurde vor Jahren, als sie noch ein Kind war, ihre Familie ermordet.
Thorn sinnt auf blutige Rache …

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Markus Kastenholz

 

 

 

Die Todesschwadron

 

Murphy gegen die Dämonen der Dämmerung

 

Erster Band der Thron-Trilogie

 

 

Horror-Roman 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © Steve Mayer nach Motiven, 2023 

Korrektorat: Bärenklau Exklusiv

 

Redaktioneller Hinweis: Die Namen verschiedener Protagonisten sind vom Autor mit Absicht so gewählt worden. 

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Die Todesschwadron 

Murphy gegen die Dämonen der Dämmerung 

1. Prolog 

2. Prolog 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

7. Kapitel 

8. Kapitel 

9. Kapitel 

10. Kapitel 

11. Kapitel 

12. Kapitel 

13. Kapitel 

14. Kapitel 

15. Kapitel 

16. Kapitel 

17. Kapitel 

18. Kapitel 

19. Kapitel 

20. Kapitel 

21. Kapitel 

22. Kapitel 

23. Kapitel 

24. Kapitel 

25. Kapitel 

26. Kapitel 

27. Kapitel 

28. Kapitel 

29. Kapitel 

30. Kapitel 

31. Kapitel 

32. Kapitel 

33. Kapitel 

34. Kapitel 

35. Kapitel 

36. Kapitel 

37. Kapitel 

38. Kapitel 

39. Kapitel 

40. Kapitel 

41. Kapitel 

42. Kapitel 

43. Kapitel 

44. Kapitel 

45. Kapitel 

46. Kapitel 

47. Kapitel 

48. Kapitel 

49. Kapitel 

50. Kapitel 

51. Kapitel 

52. Kapitel 

Epilog 

Weitere Murphy-Bände sind lieferbar oder befinden sich in Vorbereitung 

 

Das Buch

 

 

 

David Murphy muss erneut gegen die Dämonen der Dämmerung kämpfen, doch auch diesmal sind seine Gegner stark und gerissen und nicht immer ist ersichtlich, wer Freund und wer Feind ist.

Mittels Magie gelingt Charles Mansen und zwölf weiteren Insassen die Flucht aus einem Hochsicherheitsgefängnis für Schwerverbrecher. Sie beginnen eine beispiellose Mordserie.

Das ruft David Murphy auf den Plan … und die Rosenritterin Tatjana Thorn, denn eine der Geflohenen ist die Geliebte des Vampir-Sucker-Meisters, den sie »Rotauge« nennt. Durch ihn wurde vor Jahren, als sie noch ein Kind war, ihre Familie ermordet.

Thorn sinnt auf blutige Rache …

 

 

***

Die Todesschwadron

 

Murphy gegen die Dämonen der Dämmerung

 

Erster Band der Thorn-Trilogie

 

1. Prolog

 

Hektisch griff David Murphy in seine rechte Westentasche und holte daraus die antik gehaltene Uhr an der Kette hervor: 11:40, sagten ihm die fluoreszierenden Zeiger.

Noch zwanzig Minuten, bis der neue Tag anbrach.

Nur noch zwanzig Minuten bis zum 22. November.

Ein weiterer schwarzer 22. November … falls er es nicht verhinderte.

Er bemerkte kaum die spätherbstlichen Böen, die beharrlich an ihm zerrten wie am welken Blattwerk eines verdorrten Birkenbaums. Er bemerkte auch kaum den Nieselregen, der auf ihn hinab torkelte und ebenso wenig die Kälte, die allmählich sein Herz umklammerte. Nur noch ein einziges Ziel hatte er vor Augen, er konnte an nichts anderes denken.

Die Uhr verschwand wieder in der Weste; stattdessen führten seine Hände den Feldstecher hoch:

Fast beschaulich lag die Farm keine zweihundert Meter entfernt inmitten dunkler Weiden. Stallungen waren nicht zu erkennen, lediglich eine Scheune und das Haupthaus sowie eine Doppelgarage. Die Tore waren verschlossen. Durch einige Fenster des Hauses drang fahler Lichtschein; hin und wieder entdeckte Murphy dahinter eine gesichtslose Silhouette, die vorüber ging und im Nichts eines der anderen Zimmer verschwand.

Doch der vermeintlich idyllische Schein trog. Jedes der anonymen Schattenbilder war bis an die Zähne bewaffnet: Gewehre, Pistolen, Messer, und Satan selbst mochte wissen, worüber sie noch verfügten, um sich im Zweifelsfall ihrer Haut zu erwehren.

Seitdem er hier eingetroffen war, wurde er gnadenlos von einem Kloß in seinem Hals gefoltert, und mit jeder Minute schien er größer, unerbittlicher zu werden. Mehr noch: Frenetisch brüllte sein Magen auf, verkrampfte sich, nahm Bauch und Blase gefangen und machte ihm Glauben, er müsse sogleich von innen heraus explodieren.

Nur psychosomatisch! redete er sich ein. Alles nur psychosomatisch! Sich in Geduld zu üben gehörte nun einmal nicht zu seinen Stärken. Und doch, er konnte nicht leugnen, die Anspannung in ihm war angewachsen, er musste sich zwingen, sie nicht Überhand nehmen zu lassen.

»Es wird Zeit«, hörte er zu allem Überfluss nun auch noch Agent Jackson neben sich sagen.

Der hatte ihm gerade noch gefehlt! Er spähte ebenfalls durchs Fernglas. Und nicht nur er und Murphy: Ungezählte Zielfernrohre hielten sich überall, ringsum im Wald versteckt, Scharfschützen, die nur darauf warteten, dass ihre Zeigefingerfertigkeit gefragt wurde.

Murphy schüttelte den Kopf. »Noch nicht.«

Jacksons Kopf fuhr herum, als wolle er sich vergewissern, dass sich die Jeeps und der Panzerwagen noch hinter ihnen in Stellung befanden. Einige Pickups trugen große, deaktivierte Scheinwerfer auf ihren Ladeflächen, man hatte sie auf die Farm ausgerichtet. Mehrere Dutzend Männer und Frauen in schwarzen Overalls, Stiefeln und Schutzwesten mit weißem FBI-Aufdruck wogen derweil ihre Gewehre ungeduldig in den Händen: Pfeile, die von den gespannten Sehnen schnellen wollten.

»Verdammt, Murphy! Entscheiden Sie sich!« Jacksons dunkle, vor Schweiß glitzernde Haut reflektierte das fahle Mondlicht. »Denken Sie an die Geisel!«

»Ich denke an nichts anderes.« Seine Lippen wurden zu einem schmalen Strich, aus dem jegliches Blut wich. Er schielte zur Seite, wo er Tatjana Thorn vermutete.

Sie war weg! Spurlos verschwunden. Obwohl er gerade jetzt ihren Rat dringender denn je gebraucht hätte, und sei es auch nur, damit sie ihm zustimmte.

Rosenritter-pah!

Und: Weiber-Doppelpah!

Vermutlich wäre sie ohnehin anderer Meinung gewesen als er, schon aus Prinzip.

Vielleicht war von Murphy ja dumm, er wollte das nicht kategorisch abstreiten; angeblich gab es Leute, die das von ihm behaupteten. Doch eines war er gewiss nicht: dämlich. Niemand wusste besser als er, obwohl Jackson den Weitblick eines Maulwurfs besaß, sprach er die Wahrheit. Womöglich hatte man sie in der Farm bereits entdeckt und traf soeben Vorbereitungen, die unvermeidliche Stürmung abzuwehren.

Vielleicht traf Mansen auch in diesem Moment die Entscheidung, seinen perfiden Plan in die Tat umzusetzen. Schlimmstenfalls überlegte er es sich anders und wartete nicht, bis der morgige Tag anbrach, sondern mordete sofort. Und sie, sie standen währenddessen nur untätig herum und drehten Däumchen…

Trotzdem – er war viel sehr Pragmatiker, um blindlings alles niederwalzen zu lassen.

Plötzlich entdeckte er am Gebäude Bewegung: Die Tür wurde aufgestoßen, und eine Gestalt kam heraus. Sie begann zu laufen, rannte, direkt auf Murphys Standort zu. Zwei weitere Personen tauchten dahinter auf, folgten ihr ebenso hastig.

Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen, ohne dass er deshalb mehr erkennen konnte.

»Licht!«, fauchte er. »Wir brauchen sofort Licht!«

Jackson wiederholte den Befehl hinter sich ins Dunkel.

Unvermittelt tauchten die starken Scheinwerfer das Gelände in gleißende Helligkeit; sie überfluteten es derart grell, dass es in den Augen schmerzte und man sie sich mit den Händen beschatten musste. Wo die Lichtkegel auf ein Hindernis trafen, wurden lange Schatten geworfen.

Die drei Personen wurden deshalb nicht langsamer, sie schienen viel zu erregt zu sein, um darauf zu achten.

Murphy meinte zu erkennen, dass es sich bei der vordersten um eine Frau handelte. Mit ungelenken Schritten torkelte sie, ihre Beine waren das Laufen offenkundig nicht gewohnt, vermutlich lag das nicht zuletzt auch an ihren Pumps. Wichtiger war hingegen, ihre beiden männlichen Verfolger schlossen allmählich zu ihr auf, hetzten sie wie gnadenlose Bluthunde, die die Fährte aufgenommen hatten.

Der psychosomatische Folter-Kloß in Murphys Hals verschwand ebenso schlagartig, wie er aufgetaucht war. Unwirsch entriss er Jackson das Walkie-Talkie:

»Die beiden hinteren Personen aufhalten!«, brüllte er, und seine Stimme überschlug sich fast bei dem Befehl an die Scharfschützen. »Sofort aufhalten! Nur die hinteren!«

Wie von unsichtbaren Äxten gefällt verloren die zwei Männer abrupt die Balance. Sie machten noch zwei, drei unsichere Schritte, dann stürzten sie zu Boden und blieben leblos liegen.

Murphy gestattete sich keinen Moment des Triumphs. Durch das Einschalten der Scheinwerfer war das Überraschungsmoment ohnehin verloren, er trat aus dem Schutz des Wäldchens.

Ungebremst, wie mit einer doppelten Portion Chili im Hintern, kam die Frau auf ihn zugelaufen; wahrscheinlich hatte sie noch gar nicht bemerkt, dass die Jagd zu Ende war.

Er traute kaum seinen Augen. »Miss Connors?«

Erst seine ausgebreiteten Arme hielten Coletta Connors auf. Mühsam kam sie zum Stehen, ihre Beine wollten in einem fort um ihr Leben laufen. Wie ein rotglühendes Brandeisen hatte sich die Todesangst in ihr Bewusstsein gebrannt. Deutlich zeigte sich das Entsetzen auf ihrem Gesicht und in ihren geweiteten Augen. Ihre Schuhe hatte sie irgendwo zwischen hier und Farm verloren, die Bluse war zerrissen, sodass man ihren roten Spitzen-BH erkennen konnte, und das rote Haar hing ihr zerzaust im Gesicht. Sie stand eindeutig unter Schock.

»Was zur Hölle tun Sie hier …?«

»Murphy?«, keuchte sie, völlig außer Atem. Sie war ebenso überrascht, ihn hier vorzufinden wie er sie. »Will …«

»Clovis? Was ist mit ihm?«

»Dieser … dieser …« Sie bekam kaum einen Ton heraus, schwer hob und senkte sich ihre Brust. »Dieser Wichser hat sich … er hat sich Will und diese Tussi geschnappt! Diese LaBelle …«

Murphy verschluckte einen gotteslästerlichen Fluch. Das mit Catherine LaBelle, der Schauspielerin, hatte er ja fast geahnt, deshalb waren sie auch hier. Aber Will Clovis … Warum lag der nicht daheim unter Coletta und machte einen Viagra-Feldversuch mit ihr?

Tausend Fragen hatte er. Mindestens! Doch er kam nicht einmal dazu, die wichtigsten zu stellen:

»Okay«, meinte Jackson ungerührt, »falls noch Zweifel bestanden haben, jetzt wissen die, dass wir da sind. Und jetzt?«

»Ihr wollt da rein?« Coletta klang hysterisch. »Die legen die beiden doch sofort um!«

Plötzlich war der Kloß wieder da! Die Last der Entscheidung wog zentnerschwer auf Murphys Schultern. Jackson hatte immer noch Recht. Sie mussten hinein! Hatten gar keine andere Wahl. Durften nicht zulassen, dass Mansens Plan Wirklichkeit wurde. Andererseits waren da die Geiseln, und Murphy wehrte sich gegen debile Milchmädchenrechnungen und zwei Leben zu opfern, um vielleicht Milliarden andere zu retten.

Noch!

 

 

2. Prolog

 

Was Jim Drahmer mit Abstand am meisten hasste, seitdem man ihn vor über acht Jahren in den Knast geworfen hatte, war das Licht! Das gottverdammte Licht!

Pünktlich um neun Uhr abends wurde der Strom in den Zellen abgestellt. Das bedeutete: Kein Fernsehen, kein Radio und auch kein Licht. Gleichzeitig brannten die Lampen in den labyrinthartigen Korridoren des Hochsicherheitstrakts von Springlake jedoch 24 Stunden rund um die Uhr. Im Sommer war das okay, dann sorgte die Sonne, die durch das winzige, vergitterte Fenster von Drahmers Zelle fiel, noch für einige weitere Stunden Helligkeit. Doch jetzt, im Herbst, und vor allem im Winter stahlen sich lediglich obskure Lichtfetzen heimtückisch durch die Türritzen. Zu viele, um einzuschlafen und zu wenige, sich die Nacht um die Ohren zu schlagen.

Dabei war er früher, bevor sie ihn erwischt und dem Vergammeln preisgegeben hatten, immerzu ein leidenschaftlicher Freund der Finsternis gewesen.

Jeden seiner neunzehn Morde hatte er nachts begangen. Schon aus Prinzip. Denn er liebte sie. Keine Postboten, kaum Verkehr auf den Straßen, keine dreckigen Rotznasen, die ihm mit ihrem elendigen Geschrei auf die Nerven gingen …

Darauf nahm hier natürlich keiner Rücksicht. Er war hier weniger Wert als eine feuchte Flatulenz, die in die Hose entwich. Sie sperrten ihn ein, beobachteten ihn Tag und Nacht mit den Kameras in jeder Ecke der Zelle, und doch war er ihnen scheißegal. Sie wollten damit lediglich verhindern, dass er sich das Leben nahm. Selbstmord – das durfte nicht sein! Nur sie hatten ein Recht, ihm das Leben zu nehmen.

Permanent ließen sie das Damoklesschwert Hinrichtung über ihm pendeln. Wozu? Warum zog man keinen schnellen Schluss-Strich und setzte ihn endlich auf den elektrischen Stuhl, wie man es beschlossen hatte? Schnallte ihn darauf, legte den Hebel um und ließ ihn im eigenen Saft schmoren. Wozu? Um ihn zu quälen? Damit er bereute?

Er bereute nichts. Und er würde auch nie bereuen, was er getan hatte. Obwohl sie ihn einen Mörder nannten, war er doch eher Henker gewesen. Jede der Huren, der er es besorgt hatte, hatte es verdient. Tausendfach hatten sie das!

Und nicht nur die, alle hatten es verdient! Alle Frauen. Doch an Nutten war er eben am einfachsten rangekommen. Es genügte, mit einem Hunderter zu winken, damit sie sofort und ohne Fragen zu stellen mit ihm kamen. Schneller, als man »Baby« sagen konnte, zogen die sich angesichts des Geldscheins aus und legten sich mit gespreizten Beinen hin, um es schnellstens hinter sich zu bringen.

Außerdem schmeckten sie gut. Besonders ihre Oberschenkel. Ganz kurz von beiden Seiten angebraten und dazu Rosmarinkartoffeln …

Und dann steckte man ihn ausgerechnet nach Springlake! Die einzige Haftanstalt der USA mit einer Frau als Direktorin! Wollten sie damit seine Existenz verhöhnen? Vermutlich.

Guantanamo hätte er garantiert als angenehmer empfunden.

Seit nunmehr acht Jahren fand er nun schon kaum Schlaf, und aus dem Klo stank es penetrant nach Scheiße und Urin. Zwar von ihm selbst, doch seiner Nase war das egal. Ab neun Uhr abends räkelte er sich auf seiner Pritsche von einer Seite auf die andere und lauschte den monoton hallenden Schritten der Wärter auf ihren sich ständig wiederholenden Kontrollgängen.

Dazu kam der tropfende Hahn – in dieser Stille war das Geräusch lauter als eine Stimme auf einem nachmitternächtlichen, verwaisten Friedhof. Die Lappen, die Drahmer behelfsmäßig herumgeschlungen hatte, halfen nicht das Geringste. Wenn er in besonders grässlichen Nächten überhaupt keinen Schlaf fand, musste er dann oft wie unter Zwang das Intervall mitzählen. Dann erwartete er den nächsten Tropfen sogar; sein Ausbleiben hätte ihn daran zweifeln lassen, ob er noch lebte.

Ein Todeskandidat durfte auch nicht arbeiten, er hatte also keinerlei Gelegenheit, wirklich müde zu werden. Und Schlafmittel verweigerte ihm der Anstaltsarzt breit grienend.

Man war hier kein Mensch. Sämtliche Rechte hatte man verwirkt.

Nichts mehr wünschte er sich als die Freiheit. Scheiße, er war nicht wählerisch. Entweder, um seinen Kreuzzug fortzusetzen und die Weiber erneut bezahlen zu lassen für ihre Falschheit und ihre Hinterlist. Oder dass sich der Gouverneur überwand, das Urteil endlich vollstrecken ließ und er, Drahmer, in der Hölle herausfand, ob auch Satan eine Frau war. Es hätte ihn nicht überrascht.

Als ihn ein hohes Sirren aus dem Halbschlaf katapultierte, schreckte er hoch! Ein leiser, flirrender Ton, der nicht hierhergehörte, den er hier noch nie vernommen hatte, obwohl es inzwischen nichts mehr geben durfte, das ihm unbekannt war. Ein ersticktes Summen, das sich tief in ihn fraß und ihn aufrüttelte.

Benommen nahm er seinen rechten kleinen Finger aus dem Hintern, wo er nachts immer steckte, schob ihn sich in den Mund, befeuchtete ihn mit Speichel und bohrte damit abwechselnd in beiden Ohren. Sollte es nur banales Ohrensausen sein, würde das genügen. Ein wenig Schmalz holte er daraus hervor, mehr nicht. Angewidert wischte er es neben sich an die Wand zu dem anderen, getrockneten Ohrenschmalz und dem, was er in acht langen Jahren aus seiner Nase geborgen hatte.

Das Geräusch blieb!

Als er verschlafen die Augen aufschlug, bemerkte er einen grünen Schimmer in seiner Zelle; ein schillerndes Glühen, das träge wie ein an Land gespülter Wal durch die Türritzen hereingekrochen kam. Wabernd pulsierte es, pochte unentwegt wie die instabilen, miteinander verwobenen Tentakel eines Monstrums aus Dr. Moreaus schier unerschöpflichem Repertoire. Ein wenig ähnelte es lebendigem Nebel.

Eine stille, jedoch unüberhörbare Stimme mahnte Drahmer zur Ruhe. Instinktiv wusste er, es handelte sich um kein Monstrum, aus den tiefsten Katakomben Springlakes hervorgekrochen, um ihn zu verschlingen.

Es handelte sich um überhaupt kein Lebewesen. Nichts Lebendiges. Nur pure, reine Energie.

Nein, er hatte nichts zu befürchten. Im Gegenteil …

Langsam, wie ein Wirklichkeit gewordener Albmahr, wurde das funkelnde Etwas größer, dehnte sich aus und schlich die schwere, stählerne Tür hoch. Es legte sich um sie, umhüllte sie wie der Kokon die Raupe und schien gewillt, sich um keinen noch so hohen Preis die Beute nehmen zu lassen. Das Pulsieren, das davon ausging, wurde nun heftiger und heftiger, bis…

Klack!

Der metallische Laut, der erklang, war unspektakulär. Und doch sprang die Tür aus dem Schloss, öffnete sich ebenso wie Drahmers Herz. Wie selbstverständlich flog sie auf, nur einen Spalt breit, doch das genügte vollkommen. Gespenstisch hell, fast irreal, überfluteten die Neonröhren des Korridors seine Zelle.

Abrupt verstummte das Sirren, ohne dass sich die grünen Schwaden auflösten. Mehr noch, sie wurde immer dichter, das Leuchten nahm dabei permanent zu. Lebendiger Phosphor. Nur noch das beharrliche Tropfen des Wasserhahns erfüllte die Zelle – und Drahmers Atemstöße, die immer schneller, immer heftiger wurden.

Dann vernahm er den Ruf! Jenen lautlosen und doch unüberhörbaren Ruf, der ihn fast hypnotisch nach draußen zog. Drahmer wurde davon gepackt und gefangen genommen. Auf einmal war ihm alles klar.

Apathisch wirkten seine Bewegungen, als er sich erhob. Er fühlte den kühlen Betonboden unter seinen nackten Füßen ebenso wie das Adrenalin, das durch seinen Körper gepumpt wurde. Einer Marionette an unsichtbaren Fäden gleich ging er zur Tür. Gleichzeitig aber auch zielstrebig und von seltener Entschlossenheit.

Das fluoreszierende Glühen floss derweil zäh die getäfelte Wand entlang. Es klebte daran wie ein großer, leuchtender Lindwurm; krümmte, ringelte und wand sich, streckte die Fühler in alle Richtungen aus, um sich zu orientieren und veränderte dabei ständig seine Gestalt.

Drahmer blieb stehen, wandte sich kurz um und beobachtete fasziniert seinen unbekannten Befreier.

Inzwischen hatte das Ding das leere Bett erreicht und kroch unter die karierte Zudecke. In sanft fließenden Übergängen nahm das mannigfarbige Leuchten nach und nach ab und erlosch schließlich völlig. Zurück blieb eine stabile, graue Masse, aus der sich Konturen schälten. Bekannte Konturen, menschliche Konturen: Arme, Beine, Kopf und Rumpf. Ein großer, schlaksiger Mann, mehr als sechseinhalb Fuß groß. Mit blauen Augen, blasser Haut und kurzem Blondhaar, das zu Strähnen neigte. Selbst die über und über tätowierten Arme fehlten nicht.

Drahmer ignorierte das Double, das seinen Platz eingenommen hatte und nun für die Überwachungskameras vor sich hindöste. Halb schmunzelnd, halb ungläubig kopfschüttelnd öffnete er die Zellentür ganz und ging nach draußen, verabschiedete sich mit einem ärgerlichen Tritt, sodass sie hinter ihm wieder krachend ins Schloss fiel.

Ihm war ein wenig wie ein Fisch an der Angel, und jemand kurbelte unbarmherzig die Leine ein. Jemand? Überirdische Mächte hatten hier ihre Hände im Spiel. Widerstandslos ließ er sich führen; er wusste, was sich gehörte und wie viel Dank er ihnen schuldete.

Lethargisch und dennoch mit pochendem Herzen, schweißüberströmt, schlug er den Weg nach links ein. Dort musste er hin, um die anderen zu treffen!

Langsam, behutsam trottete er den grell erleuchteten Gang aus Beton, Plastik und Stahl entlang. Seine Füße verursachten nicht den geringsten Laut, seine Fußsohlen hinterließen dort, wo sie den Boden berührten, nicht einmal einen feuchten Abdruck. Drahmer war zumute, als sei er nicht länger den einengenden Gesetzen der Natur unterworfen, während er die Kameras überall passierte, die ansonsten nicht den geringsten Winkel mit ihrer Neugier verschonten. Dennoch, er wusste, sie erfassten ihn nicht. Er war sich seiner Sache völlig sicher, er hatte nichts zu befürchten.

Die großkotzigen Wärter, die sich manchmal vor einer Zelle zusammenrotteten und dann auf Kommando zu furzen begannen, würden nicht einmal merken, dass er weg war. Sie würden sich von dem magischen Ebenbild mindestens solange täuschen lassen, bis das Original genügend Distanz zwischen sich und Springlake gebracht hatte, dass es zu spät war, ihn einzuholen.

Hinter einer Gitterabsperrung, die zwei Sektionen voneinander trennte, entdeckte er J. Homer. Seinen Vornamen kannte er nicht und war ihm auch egal wie eine tote oder eine mausetote Nutte. J. Homer, so stand es jedenfalls auf dem blauen Uniformhemd, das sich über dem gewaltigen Schmerbauch spannte. Die Mütze verdeckte eine Glatze aus ungesund wirkender, gelblicher Haut. Soeben schloss eben dieser J. Homer die Tür auf, um auch diesen Abschnitt mit seinem Inspektionsgang zu beglücken. Ausgerechnet so eine Witzfigur hatten sie auf ihn angesetzt – Frechheit!

Ein Lächeln huschte um Drahmers Mundwinkel, als er keine zehn Zentimeter von dem fetten Wärter vorüber ging, ohne dass der auch nur das Geringste von dessen Anwesenheit bemerkte. Er hätte ihm in den Hintern treten oder in die Fresse schlagen können, ohne gesehen zu werden. Nur den Schmerz, den hätte J. Homer hoffentlich gespürt. Doch was immer Drahmer ihm auch angetan hatte, es wäre nicht genug gewesen. Keine noch so brachiale Gewalt hätte genügt, um mit dem gesamten Personal hier quitt zu werden, selbst kein gezündeter Atomsprengkopf.

Mühelos durchdrang er die Gitterstäbe. Fast als besitze er keinen festen Körper mehr, ging er einfach hindurch, und ein Funken Zweifel in seinem düstermorbiden Hirn fragte sich, wenn dem wirklich so war, weshalb hatte das irisierende Leuchten dann seine Zelle geöffnet. Allerdings nur für einen Sekundenbruchteil. Dann war die Skepsis verflogen und konzentrierte er sich völlig auf das Hier und Jetzt.

Ebenso mühelos überwand er sämtliche andere Hindernisse – Stahltüren, Gitterstäbe, Panzerschotts. Alles kein Problem. Noch vor Minuten hätte er einen großen Schlüsselbund und den Augapfel eines Wärters benötigt, um auch die Retina-Scans zu überstehen. Jedoch nicht jetzt. Jetzt war hier alles anders. Und er profitierte davon.

Als er die Abteilung mit den mehrfach Lebenslänglichen erreichte, wurde er fast geblendet vom myriaden-grünen Glanz, der ihm entgegenschlug. Derselbe Glanz wie aus seiner Zelle. Nur weitaus stärker, intensiver. Alles schien geradezu davon erfüllt zu sein. Flackernd leuchtete er auf und pochte wie ein ungestüm rasendes Herz.

Festen Schritts kam Drahmer die stählerne Treppe hinab. Er fühlte sich im Kopf so klar wie schon seit Ewigkeiten nicht mehr. Wie wenn sich ihm nach langer, trostloser Suche die schonungslose Wahrheit offenbart und ihm ein Angebot gemacht habe, das er einfach nicht ablehnen konnte!

Beim Näherkommen bemerkte er, das Zentrum des Glühens war eine kahle Wand; es schien von innen heraus zu kommen und überstrahlte selbst die Deckenbeleuchtung.

Obwohl man hier sonst sogar beim Onanieren, Scheißen und Arschabputzen im Monitorraum beobachtet wurde, wahrscheinlich bevorzugt heran gezoomt, merkte offenbar keiner der staatlich bezahlten Spanner auch nur das geringste davon.

Ja, heute Nacht war eine magische Nacht! Alle Mächte des Universums schienen sich mit Drahmer und seinen Kameraden verbündet zu haben.

Eine Handvoll Gestalten hatte sich vor der kleinen, künstlichen Sonne versammelt. Elf, zählte sein Blick. Durchweg Häftlinge, alles Weiße. Einige der Anwesenden trugen noch ihre orangefarbenen Overalls, andere nur Unterwäsche. In ihren Augen leuchtete dasselbe erwartungsvolle Feuer wie in seinen. Auch sie waren aus ihren Zellen gerufen worden, auch sie hatten eine Offenbarung erlebt. Brüder im Geiste.

Nein! Nicht ganz. Alles in ihm verkrampfte sich plötzlich, als er unter den Wartenden eine Frau entdeckte!

Eine etwa dreißigjährige, schwarzhaarige Frau mit Pagenkopf. Sie stand etwas abseits. Die Arme leger vor der Brust miteinander verwoben, benahm sie sich so cool, dass sie wohl selbst im Fegefeuer nicht geschmolzen wäre. Weiber …

Seit seinem Prozess hatte Drahmer keine Frau mehr gesehen; ausgerechnet seine Richterin war eine gewesen. Ebenso acht der Geschworenen. Keine Überraschung, zu welchem Urteil sie gekommen waren.

Auf einmal war wieder alles präsent! Die jahrelange Wut, die auf Sparflamme vor sich hingeschlummert hatte, drohte zu explodieren und ihn abermals die letzte Grenze überschreiten zu lassen.

Alles, wirklich alles, jede noch so kleine Faser von ihm verlangte danach, sich auf die Frau zu stürzen! Drängte ihn dazu mit himmelhohen Wellen des Zorns, die Fäuste in ihrem Gesicht zu versenken und ihr Blut spritzen zu sehen. Wollte sie so beschimpfen, wie er die neunzehn toten Nutten beschimpft hatte, kurz bevor sich seine Hände um ihren Hals schlossen. Zudrücken und genießen, wie sie im Todeskampf wild um sich schlugen, röchelten und schließlich krepierten.

Es kostete ihn Überwindung, dem Zwang nicht nachzugeben. Er wusste, das durfte er nicht, jedenfalls jetzt noch nicht. Diese Frau, so niederträchtig sie auch sein mochte, hatte ebenso eine Aufgabe wie er. Auch sie war fester Teil des Schicksals. Außerdem wurde seine Aufmerksamkeit von dem Mann abgelenkt, der sich zu ihnen gesellte:

Drahmer kannte ihn. Gelegentlich waren sie sich unter schärfster Bewachung, Gewehre von den Wachtürmen auf sie gerichtet, beim Hofgang begegnet. Schweigend. Nie hatten sie ein Wort oder einen Blick gewechselt. Doch das war ebenso unnötig gewesen wie eine Vorstellung. Drahmer hatte diesen Mann schon gekannt, noch bevor er selbst seine erste Hinrichtung inszeniert hatte, und irgendwie hatte er ihn sogar bewundert. Es war der prominenteste Häftling von Springlake.

»Okay, wir sind vollzählig«, stellte Charles Mansen fest, auch respektvoll als Helter-Skelter bekannt. Seine Stimme klang ruhig, ohne den geringsten Anflug von Nervosität. Doch seine wachen Augen, um die sich nun ein grüner Glanz gelegt hatte, blinzelten wie unter Zwang einen imaginären Takt. »Wir können jetzt abhauen.«

Fast hatte es den Anschein, als falle er in Trance, als er sich ruckartig der dämonisch leuchtenden Wand zuwandte. Mansen streckte beide Arme aus und riss den Kopf so weit in den Nacken, als wolle sein Hals nach hinten abbrechen.

Dunkle, unverständliche Worte murmelten seine Lippen: In einer Sprache, die vermutlich noch niemals auf Erden gesprochen worden war. Niemand verstand auch nur das Geringste davon, doch dem Tonfall zufolge waren es blasphemische Ungeheuerlichkeiten, jenseits allen Denkens und bar jeder Vernunft.

Das Grün der Wand verdichtete sich, nahm allmählich einen etwas dunkleren Farbton an. Dann begann die wabernde Masse zu rotieren. Schneller, immer schneller, als werde sie vom puren Hass der Anwesenden angetrieben, drehte sie sich. Nach und nach entstand daraus ein Strudel. Zunächst klein und unscheinbar, doch er wuchs kontinuierlich an. Kreisende Spiralarme begannen sich herauszuschälen, schwollen an zu tosenden Twistern, die einen hektischen Sog erzeugten.

Gemächlich ging Mansen darauf zu. Ohne langsamer zu werden oder zu zögern ließ er es zu, dass ihn das Gebilde verschluckte.

Es handelte sich um ein Portal, begriff Drahmer jetzt erst.

Wohin es führte, interessierte hier niemanden. Hauptsache weg!

Einer nach dem anderen folgte Mansen. Widerstandslos. Niemand musste von seinem Hintermann gestoßen oder dazu gezwungen werden. Sie wussten, alles hatte seinen Preis. Doch dieses kostbare Geschenk der Freiheit war zu gewaltig, um es zu hinterfragen.

 

 

1. Kapitel

 

»Du?« Frank Black starrte die weißhaarige Frau vor seiner Haustür groß und erstaunt an. Sie trug einen dunklen Hosenanzug, einen schwarzen Mantel wie aus einem Italo-Western sowie fingerlose Lederhandschuhe, das Haar floss über ihre Schultern. Auf dem Rücken trug sie ein langes Bündel, eingepackt in einen Leinensack, als transportiere sie darin entweder gerollte Ölgemälde oder eine Panzerfaust. Über ihre Sonnenbrille sah ihn die Frau erwartungsvoll an. Sie sagte nichts, verlagerte nur das Gewicht vom einen auf den anderen Fuß und beschloss, Blacks Reaktion abzuwarten.

»Tati!« Seiner überraschten Stimme war nicht zu entnehmen, ob er sich darüber freute oder nicht. »Was hast denn du in L.A. verloren?«

Sie zuckte nur mit den Schultern. »Darf ich rein?«

»Äh … natürlich, klar …« Verdutzt rang er nach Worten und fragte sich dabei unwillkürlich, weshalb sie wie ein dämlicher Vampir aus einem noch dämlicheren Film um Eintritt bat. Früher war Tatjana Thorn nicht so zimperlich gewesen. Aber früher war auch schon lange vorbei.

Immer noch stand Black unter dem Eindruck des unerwarteten Wiedersehens. Wie lange hatten sie sich nun schon aus den Augen verloren? Fünf Jahre? Mindestens. Damals hatte sie ihn zusammen mit ihrem Mentor und Vater-Ersatz, Pater Magnus, besucht. Ein Auftrag hatte sie nach Kalifornien geführt, ansonsten hätten sie niemals die viele Stunden Flug auf sich genommen…

Konsterniert machte er ihr Platz, und sie drängte sich rasch an ihm vorbei ins Haus. In jenes alte, behagliche Haus, wo sie fast ein ganzes Jahr gewohnt und er sie alles beigebracht hatte, das er ihr hatte beibringen können. Trotzdem, Theorie und Praxis waren zweierlei. Niemand wusste das besser als er, der mehr als eine jener leidvollen Erfahrungen gemacht hatte.

Sie stellte ihre dunkle, abgewetzte Reisetasche neben dem Spiegelschrank ab und entledigte sich des Bündels auf ihrem Rücken. Black wusste, darin befanden sich ihre beiden Samuraischwerter, eine Katana und das etwas kleinere Wakizashi ein Daisho, das klassische Schwerterpaar eines Kriegers.

Aber Black wusste auch, noch vor wenigen Jahren hatten die beiden Schwerter Pater Magnus gehört. Vor seinem Tod.

Jetzt erst gestattete es sich Thorn, durchzuatmen. Jäh erhellte sich ihre Miene, ein Lächeln drang durch ihre ernste Maske und machte ihm deutlich, sie freute sich ehrlich und aufrichtig, ihn wieder zu sehen. Auch wenn sie es vielleicht nicht so zeigen konnte, wie es ihr recht gewesen wäre.

»Hey, Frank«, lachte sie, und es wirkte ein wenig gezwungen, künstlich und schrill. »Was machst du so ein Gesicht? Seh’ ich so schrecklich aus?« Sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. Scheinbar unbeschwert, wie das Mädchen, das einst hier gelebt hatte, schlang sie die Arme um ihn und drückte ihn so fest sie konnte. So, wie unter guten Freunden üblich.

Nein, bei Licht besehen waren sie mehr als Freunde, auch mehr als Schülerin und Lehrer. Die tiefen Narben, die sich in ihrer beider Seelen gefressen hatten, ketteten sie aneinander und machten sie zu Soldaten gegen denselben Feind.

Black erwiderte die Umarmung, wenn auch zurückhaltender, als es ihm recht war. Er konnte einfach nicht vergessen, es handelte sich um keinen Freundschaftsbesuch. Außerdem kannte er diesen Glanz in ihren Augen, dieses gefährliche Glitzern. Killerglitzern! Und vor allem kannte er sich selbst. So oder so ähnlich wie sie musste er vor dreißig Jahren ebenfalls gewesen sein. Voller Ideale und verstauchter Seele. Wenn auch nicht annähernd so hübsch.

»Okay, du hattest deine Show«, meinte er, während sie ihren Mantel ablegte und achtlos über ihr Gepäck warf. »Wie geht’s dir?«

»Du weißt ja, was mit Magnus passiert ist …«

»Einige Sucker-Vampire haben ihn zerfetzt.«

»Ja.« Ihre Lippen wurden schmal, die Wiedersehensfreude gehörte der Vergangenheit an. »Kennst du Mecklenburg-Vorpommern? Musst du nicht kennen. Ist in Ostdeutschland. Ein Vampirnest in einem kleinen Kaff dort. Als wir beide es ausgehoben haben, ist Magnus gefallen. Und es war meine Schuld.« Sie klang unendlich traurig.

»Du meinst diese Sache mit deinen Stigmata?«

»Du hast auch davon gehört?«

»Ich arbeite zwar nicht mehr für die ROSE, aber der Kontakt ist nie abgebrochen. Die Updates kommen immer noch regelmäßig.«

»Einmal dabei – immer dabei.«

Nicken. Er war jetzt 56 Jahre alt. Einst war er Bildhauer gewesen, bis sich sein Leben radikal verändert hatte, vier Vampire in sein Haus eingedrungen waren und seine Frau und die beiden Kinder abgeschlachtet hatten. Er selbst war nicht dort gewesen, hatte sich auf einer Vernissage befunden. Nur deshalb war er noch am Leben. Halb freiwillig, halb durch die Macht des Schicksals war ein Vampirjäger aus ihm geworden. Ähnlich wie Thorn. Nur, dass bei ihr der Enthusiasmus noch lichterloh brannte.

»Nicht wahr?!« Ein etwas schrilles Lachen drang sich ihr auf, jedoch ohne den geringsten Funken von Humor. »Komisch, dass ausgerechnet ich diese Dinger bekommen hab, nicht?« Lange sah sie auf ihre Handflächen, die verbundenen Wunden verbarg sie unter ihren fingerlosen Handschuhen. »Wie gesagt, Magnus und ich wollen das Nest ausheben, war ein alter Sowjet-Bunker. Ich also rein, er gibt mir Feuerschutz. Alles wie tausendmal trainiert und praktiziert. Und dann diese Scheiß-Stigmata … Zuerst ein Schmerz, als würde mich ein Blitz treffen, dann breche ich zusammen und werde ohnmächtig. Magnus will mir helfen, ist unaufmerksam und wird prompt von den Suckern zerrissen.«

»Mhm«, machte Black mitfühlend, jedes weitere Wort wäre zu viel gewesen.

»Mich haben die Vampire nicht angerührt, frag’ mich bitte nicht, weshalb. Bis ich aufgewacht bin, hat’s ein bisschen gedauert, wenn auch zu lange. Ich hab Magnus gerächt. Aber- dadurch wurde er auch nicht wieder lebendig.« Ein Seufzer tropfte von ihren Lippen, als sie versuchte, sich von den Schnappschüssen der Vergangenheit zu lösen.

Deprimiert schlug sie den Weg ins Wohnzimmer ein; sie kannte ihn noch von vor fast so vielen Jahren, dass es ihr vorkam, als sei das in einem anderen, besseren Leben gewesen.

»Und deshalb hast du dich von der ROSE losgesagt?«, erkundigte er sich.

Ein gefasstes Nicken war ihre Antwort. »Ich musste erst mal zu mir selbst finden, wie’s so schön heißt. Magnus war wie ein Vater für mich, du weißt das. Eigentlich war er mein Vater. Außerdem …« Sie schluckte. »… außerdem gab es eine ziemlich unschöne Auseinandersetzung bei seiner Beerdigung.«

Obwohl er neugierig geworden war, entschied er, fürs Erste zu schweigen und nicht zu drängen. Was Thorn erzählen wollte, würde sie erzählen. Nicht mehr und auch nicht weniger.

Das Wohnzimmer sah noch immer aus, als habe sie es gerade erst verlassen: Eine Couch, ein schwerer Eichentisch und mehrere Sessel, die darum drapiert waren. Der Raum machte den Eindruck, als sei seit hundert Jahren nichts an ihm verändert worden.

Kraftlos ließ sich Thorn in einen der Sessel fallen, gähnte laut vernehmlich aufgrund ihres Jetlags und schlug die Beine übereinander. »Wusstest du, dass Magnus Familie hatte?«

»Er sprach mal davon.«

»Mit mir nicht. Er war verheiratet und hatte eine Tochter. Das war, noch bevor er sich entschied, dem Franziskanerorden beizutreten und später der ROSE. Erst danach hab ich davon erfahren.«

»Und seine Frau hast du bei der Beerdigung getroffen?«

»Nein, seine Frau ist schon seit ein paar Jahren tot. Aber seine Tochter … Meine Fresse, Frank, die hättest du sehen sollen …« Vielsagend rollte sie die Augen. »Mandy hieß sie.«

»Hieß?« Fragend hob er eine Braue.

»Soweit ich weiß, ist sie inzwischen ebenfalls tot. Noch schlimmer war ihr … Freund! David Murphy, heißt der Arsch. Und jetzt halt’ dich fest, Frank, er arbeitet für den Orden vom Weißen Licht.«

Der ehemalige Rosenritter konnte nur den Kopf schütteln. Auch er hatte seine Erfahrungen mit diesem Orden gemacht, und sie ›schlecht‹ zu nennen, wäre noch eine maßlose Untertreibung gewesen.

»Aufgeplustert wie ein Fregattvogel war der! Weißt du, was er gesagt hat? Vampire sind ein Hirngespinst!« Sie hatte die Stimme erhoben, um ihr einen höhnischen Klang zu verleihen. »Und wenn es welche gäbe, wo waren Sie dann, als ihr Dad ermordet wurde?« Ein erneuter Seufzer. »Keine Ahnung, ob das auf seinem Mist gewachsen war oder diese Mandy es ihm eingeredet hat. Ist auch unwichtig. Wahrscheinlich hat sie es nie verwunden, dass ihr Vater sie verlassen hat, um auf seinen aberwitzigen Kreuzzug gegen die Blutsauger zu gehen. – Egal!« Sie machte eine wegwerfende Geste. »Mein Entschluss, den Hut zu nehmen, stand schon vorher fest, diese Vorwürfe waren höchstens das Sahnehäubchen. Die letzte Bestätigung, das Richtige zu tun.« Sie lächelte ein wenig verlegen. »Stattdessen hab ich eine Ausbildung bei den Bullen angefangen.«

»Bundeskriminalamt, hab ich gehört?«

»Richtig, BKA.« Sie war erstaunt, wie viel er von ihr wusste. Als habe er oder die ROSE einen Privatdetektiv auf sie angesetzt. Nicht irgendeinen, sondern wenn schon einen unsichtbaren. Andernfalls hätte sie ihn bemerkt und mit der ihr eigenen Art davon überzeugt, seine Observierung besser einzustellen. Im Sinne seiner eigenen Gesundheit.

»Und sonst? Immer noch Vegetarierin?«

»Genau wie Hitler. Und auch noch Kaffee-, Nikotin- und comicsüchtig. Nicht wie Hitler.« Ihr Lächeln wirkte welk.

»Bist du hergekommen, um dich mit den neuesten Heften einzudecken?«

»Bekomme ich sowieso per Abo direkt nach Hause. Meine Ausrüstung dürfte übrigens irgendwann im Laufe des Tages hier eintrudeln. Ist doch okay, dass ich deine Adresse angegeben hab. Ich meine … Ich wusste nicht …«

»Hey, du bist hier zu Hause!«, unterbrach sie der Veteran. »Und bevor du dich hier nach einem billigen Hotel voller Schaben umsiehst, dein Zimmer steht sowieso leer.«

»Immer noch?«

»Vielleicht hab ich geahnt, irgendwann kommst du zurück und wirst es brauchen.«

Beschämt sah sie zu Boden und schenkte ihm dann ein dankbares Lächeln. Plötzlich war sie wieder vierzehn und schämte sich nicht im Geringsten dafür.

Smalltalk war recht nett, sie beide hatten sich auch eine Menge zu erzählen. Dennoch begann das ständige Drumherumgerede Black allmählich auf die Nerven zu gehen. Er beschloss, die Bombe platzen zu lassen. »Also, Tati raus damit! Bist du dienstlich hier?«

»Du hast den Nagel mitten ins Gesicht getroffen.« Ihre ohnehin nicht sonderlich gute Laune stieg hinab in die tiefsten Kammern der Depression. Dann: »Ich kenne jemanden, der Rotauge kennt.«

Black musste sich setzen. Plötzlich fühlten sich seine Glieder an, als habe man Mühlsteine daran gebunden.

Rotauge war aufgetaucht!

Endlich ein Anhaltspunkt, wo er sich aufhielt!

Der Albino-Vampir, der vor fast fünfzehn Jahren Thorns Bruder gebissen und ihre Eltern ermordet hatte. Mit mehr Glück als Verstand war es ihr gelungen, ihren eigenen Bruder zu töten und sich in Sicherheit zu bringen. Jede Sekunde ihres Lebens würde sie sich daran erinnern – über Nacht waren ihre Haare schlohweiß geworden.

---ENDE DER LESEPROBE---