Musikantenknochen - Michaela Seul - E-Book
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Musikantenknochen E-Book

Michaela Seul

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Beschreibung

Fellnase auf heißer Spur – der vierte Fall für Franza und Flipper: „Musikantenknochen“ von Michaela Seul jetzt als eBook bei dotbooks. Franza und ihr Hund Flipper sollen den weltbekannten Pop-Musiker und Frauenschwarm „Der Zar“ bei seinen drei Konzerten in München vor aufdringlichen Fans beschützen. Doch schnell stellt sich heraus, dass liebestolle Groupies nicht das einzige Problem sind. Hinter den Kulissen des Showbusiness beherrschen Neid, Eifersucht, Lügen und Intrigen die Charts. In all diesem Chaos entgeht dem sechsbeinigen Ermittlerduo dabei fast die größte Bedrohung – ein brutaler Psychopath mit Leidenschaft für altertümliche Foltermethoden plant einen grausamen Mord! Franza und Flipper sind in großer Gefahr – wird Franzas Freund, Kriminalkommissar Felix Tixel, sie noch rechtzeitig finden? Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Musikantenknochen“ von Michaela Seul. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 444

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Über dieses Buch:

Franza und ihr Hund Flipper sollen den weltbekannten Pop-Musiker und Frauenschwarm »Der Zar«; bei seinen drei Konzerten in München vor aufdringlichen Fans beschützen.

Doch schnell stellt sich heraus, dass liebestolle Groupies nicht das einzige Problem sind. Hinter den Kulissen des Showbusiness beherrschen Neid, Eifersucht, Lügen und Intrigen die Charts.

In all diesem Chaos entgeht dem sechsbeinigen Ermittlerduo dabei fast die größte Bedrohung – ein brutaler Psychopath mit Leidenschaft für altertümliche Foltermethoden plant einen grausamen Mord!

Franza und Flipper sind in großer Gefahr – wird Franzas Freund, Kriminalkommissar Felix Tixel, sie noch rechtzeitig finden?

Über die Autorin:

Michaela Seul hat unter ihrem eigenen Namen, Pseudonymen und als Ghostwriterin rund 80 Bücher in den unterschiedlichsten Genres veröffentlicht: Romane, Krimis, Biografien und auch Sachbücher – darunter einige Bestseller. Viele Fans hat auch ihre Krimiserie um Franza und Flipper. Die ersten drei Bände Alle Vögel fliegen hoch, Verbiss und Sonst kommt dich der Jäger holen sind bei Heyne erschienen. Zudem betreibt die Autorin einen Blog, auf dem sie vom Leben mit ihrem Hund berichtet: www.flipper-privat.de

Bei dotbooks erschien bereits ihr eBook Liebe mit Wellengang.

***

Aktualisierte Originalausgabe Mai 2018

Dieses Buch erschien bereits 2016 unter dem Titel Musik im Blut bei dotbooks.

Copyright © 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Eva Philippon

Titelbildgestaltung: HildenDesign, München, Covermotiv: © HildenDesign unter Verwendung mehrerer Motive von Shutterstock.com

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH (aks)

ISBN 978-3-95824-498-6

***

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Michaela Seul

Musikantenknochen

Franza und Flipper ermitteln

dotbooks.

Es gibt wunderschöne Folterinstrumente. Was ja schon im Wort steckt. Das Instrument bringt den Körper zum Klingen. Man kann Erstaunliches mit ihnen erschaffen. Nicht nur handwerklich, auch künstlerisch.

Folter ist ein ästhetisches Balancieren auf dem Rückgrat, wie es alle wirklich großen Kunstwerke vollbringen. Gerade die kleinen Fingerknöchelchen sind sehr empfindlich, und der Schaden, der dort angerichtet werden kann, ist beeindruckend. Was einmal zu Mehl zerrieben, wächst nicht mehr nach.

Kapitel 1

»Den kannst du nicht nicht kennen«, behauptete Rechtsanwalt Anton Dürr, bevor er mir den Namen des Menschen nannte, für den ich im Fall des Falles sterben sollte.

Mein erster Auftrag als Bodyguard. Anton zog es vor, mich als Safetygirl zu bezeichnen. Ich fand, das klang wie Callgirl. Und war ich dazu nicht zu alt mit meinen reifen 33? Eine gewisse Verwandtschaft ließ sich nicht leugnen: Beide Tätigkeiten fordern starken körperlichen Einsatz. Ich hatte mich erst vor einigen Wochen zu diesem Nebenjob überreden lassen. Denn als Fitness- und Kampfsporttrainerin verdiente ich auf die Dauer zu wenig. Antons Kanzlei hatte mich auf mehrere Fortbildungen zur Personenschützerin geschickt. Im Nahkampf zeigte ich keine Schwächen, eher wenn es darum ging, mich in feiner Gesellschaft zu bewegen. Aber genau dort wollte Anton mich einsetzen. Er war der einflussreichste Wirtschaftsanwalt im deutschsprachigen Raum. Die Reichen, Schönen und Kriminellen, die in seiner Sozietät verkehrten, konnten mit Fischbesteck umgehen oder beschäftigten Personal, das ihnen die Gräten zog.

Ich war sehr überrascht gewesen, als Anton mich zu einer Vorbesprechung für meinen ersten Auftrag bat. Ich hielt den Job als Bodyguard für eine Farce, eine verdeckte Aktion, um mir finanziell ein bisschen unter die Arme zu greifen mit einem monatlichen Stand-by-Fixum. Anton wollte mir helfen, beziehungsweise Flipper. Wie die meisten Menschen, die mich und meinen Hund kennen, mag er meinen Hund lieber. Was mir nichts ausmacht. Ich mag meinen Hund oft auch lieber als mich. Und ich verdanke ihm viel. Zum Beispiel mein Leben. Oder meine Beziehung zu Kriminalhauptkommissar Felix Tixel, der zu Beginn auch mehr an Flipper als an mir interessiert war; ja, man könnte sagen, er nahm das Frauchen notgedrungen in Pflege, das nun mal an diesem Hund hing. Wobei ich kein Frauchen bin, damit das gleich mal klar ist. Ich bin hier die Chefin. Also meistens.

Aber damit, dass Flipper gerade eben eine Schnüffelkontrolle unter dem Rock der Kellnerin durchführte, hatte ich nichts zu tun. So was war mir wahnsinnig peinlich. Hatte die ihre Tage? Sex gehabt? Oder ein prinzipielles Hygieneproblem, was meinem Hund vielleicht gar nicht als Problem in die Nase stieg? Die junge Frau kicherte und schob den Kopf des schwarzen Riesen mit ihrem Bein weg. Dann stellte sie unseren Kuchen auf den Tisch. Apfel und Käse. Hin und wieder gönnte Anton sich jetzt so was. Mit meiner Hilfe hatte er immerhin 40 Kilo abgespeckt. Er sah jetzt in einem günstigen Licht von schräg vorne auch nicht mehr fettleibig aus, nur noch sehr dick.

Anton zog den Kuchenteller zu sich heran und sagte dann: »Jeder kennt ihn.«

»Ich kenne ihn trotzdem nicht«, erwiderte ich leicht genervt. Muss man alle kennen, die alle kennen? Und kennt man die dann wirklich? Ist es nicht so, dass man diejenigen, die alle kennen, am wenigsten kennt?

Da wies Anton aus dem Fenster, wir saßen mit Blick zum Lenbachplatz. Den man aber nicht sah, weil ein Bauzaun davorstand.

»Das ist er«, sagte er.

»Der?« Mir stockte der Atem. »Der ist das?«

Flipper warf mir einen aufmerksamen Blick zu. Er spürt es sofort, wenn ich aus der Balance gerate. »Aber das ist doch ein Weltstar! Spinnst du! Wie soll ich den beschützen?«

»Genau so, wie wir es vereinbart haben«, erwiderte Anton ruhig. »Du begleitest ihn während der fünf Tage, die er in München verbringt. Keine Gefahrensituationen, das habe ich vereinbart. Du nimmst nur die Termine im intimen Kreis wahr – bis 200 Personen ...«

Ich lachte schrill auf.

»... alles andere liegt in der Verantwortung der jeweiligen Organisatoren.«

»Aber ich habe keine Erfahrung mit so was!«

Anton rammte seine Kuchengabel in den Mürbteig. »Irgendwann ist immer das erste Mal. Schlimmstenfalls rückt ihm ein aufdringlicher Fan auf die Pelle. Dann sollst du natürlich dazwischengehen. Diskret. Es soll nicht sichtbar werden, dass du als Personenschützerin agierst.«

»Aber ich ...«

Anton unterbrach mich. »Er hat schlechte Erfahrungen mit Bodyguards gemacht. Während seiner Amerikatournee hat ihn einer kompromittierend fotografiert. Davon abgesehen haben Bodyguards so was Negatives an sich, also ausstrahlungsmäßig, findest du nicht?«

Verblüfft starrte ich Anton an. Wie drückte der sich denn auf einmal aus? Das passte gar nicht zu ihm.

»Hat mir sein Manager erklärt.« Er grinste, es war ihm nicht entgangen. »Im Moment ist die Welt gut, und alle haben sich lieb. Man glaubt an das Edle im Menschen. Deshalb zeigt man auch keine Angst. Man will seinen Fans Berührbarkeit vorgaukeln, verstehst du?«

»Du meinst, dass ein Bodyguard schlecht fürs Image ist?«, fragte ich. »Das hättest du mir mal vorher sagen sollen.«

»Tu doch nicht so, als hätte dich dein Image jemals interessiert.« Anton wurde für seine Verhältnisse fast ruppig. Dann lächelte er ein bisschen onkelhaft.

Er konnte auch ganz anders. Eiskalt sogar. Aber nicht, wenn es um mich, also um Flipper ging, der unser Gespräch aufmerksam verfolgte mit seinem blauen und braunen Auge. Diese Laune der Natur kommt bei schwarzen Hunden selten vor. Deshalb sollte er auch lieber keine Straftat begehen, man würde ihn schnell identifizieren. Nein, Flipper gehörte zu den Guten. Drei Fälle hatten wir in der Vergangenheit schon gelöst. In alle waren wir mehr oder weniger zufällig hineingestolpert. Also Flipper. Ich war mitgegangen, mitgefangen – am anderen Ende der Leine. Wer einen Hund hält, muss mit einer Leiche rechnen. Im Unterholz findet sich so manches, was man lieber nicht gesehen haben möchte. Andererseits: Wenn Flipper die flaschengrün schimmernde Leiche nicht gefunden hätte, wäre ich Felix Tixel nicht begegnet, der im ersten Fall der ermittelnde Kommissar war. Und mein Leben verliefe deutlich entspannter.

Seit Felix aufgetaucht war, hatte ich ein Abo für die Gefühlsachterbahn, gab viel zu viel Geld für Klamotten aus, hatte aber auch noch nie so viel und so guten Sex gehabt, wozu man bei Licht betrachtet ja eigentlich gar keine Klamotten braucht. Mit einem Wort: Ich war gaga, also verliebt. Nachdem wir uns beide wochenlang gegeneinander gewehrt hatten, waren wir nun seit einigen Monaten tatsächlich zusammen. Ich war noch nie so glücklich gewesen in meinem Leben. Was ich mir natürlich nicht anmerken ließ. Allein Flipper wusste es. Und deshalb setzte er alles daran, dass das so blieb. Das ist auch so ein Unterschied zwischen Hunden und Menschen. Hunde als Rudelwesen können Liebe und Aufmerksamkeit teilen; sie kennen ihren Platz. Realistisch betrachtet schätzte ich, dass Felix den Verlust von Flipper schwerer verkraften würde als den meiner Wenigkeit. Alle lieben Flipper. Und an Flipper hängt sie nun mal dran, die Franza Fischer.

»Du hast am Donnerstag, also morgen, um 13 Uhr einen Termin bei seinem Manager im Hotel Bayrischer Hof«, stellte Anton mich vor vollendete Tatsachen.

In diesem Moment begriff ich es in seiner ganzen Tragweite. Ich würde den Zar kennenlernen! Einen Weltstar! Und dabei war es mir völlig egal, dass ich kein einziges seiner Stücke trällern konnte. Ich hörte keine Popmusik und nur selten Radio. Aber die Zeitungen waren voll mit ihm. Die ganze Stadt war zugepflastert mit seinem Konterfei. Der Zar!!! Jeder kannte ihn, da hatte Anton recht. Und es gab wohl nur wenige Frauen, die ihn, so hatte es neulich eine meiner Schülerinnen in der Umkleidekabine formuliert, von der Bettkante stoßen würden. Die drei Konzerte in der Olympiahalle waren binnen Stunden ausverkauft gewesen, der Zar hätte zehn oder mehr geben können. Er war eines der Hauptthemen in den Damenumkleidekabinen der Fitnessstudios, in denen ich unterrichtete. Extrem gutaussehend, extrem geheimnisvoll, extrem erotisch. Ein Gesicht wie gemeißelt, männlich und edel, makellos auch der Körper, geschmeidig und muskulös. Sein dichtes langes, schwarzes Haar trug er auf der Bühne offen. Auf seinem aktuellen Konzertplakat sprang er als Wildpferd über einen weißen Flügel. Bis zur Brust der Zar, darunter ein schwarzer Hengst.

»Sag mir«, bat ich Anton, »woher kennst du den Zar?«

Anton lehnte sich zurück. »Er hat zahlreiche Firmen weltweit, unsere Sozietät betreut eines seiner deutschen Unternehmen. Bei einem Meeting letzte Woche kam ich zufällig mit jemandem aus seinem näheren Umfeld ins Gespräch. Ich war auf einem Konzert von ihm, in London. Man hat mich dazu eingeladen. Ich persönlich wäre dort eher nicht hingegangen.« Anton zuckte mit den Schultern.

»Und, wie ist er so?«, fragte ich.

»Ich habe ihn nicht persönlich gesprochen. Er wird ja völlig abgeschirmt. Aber wenn du dich bei dem Treffen morgen nicht danebenbenimmst, bist du engagiert und wirst – ohne dich besonders anstrengen zu müssen – mehr verdienen als Flipper bis an sein Lebensende in hohem Alter wird verspeisen können.«

»Toll«, sagte ich, während irgendwo in meinem Inneren eine Alarmglocke zu bimmeln begann. Wieso hatte ich das Gefühl, Anton wollte mich ablenken. Wovon? Was verschwieg er mir?

Kapitel 2

»Was?«, brüllte Felix, als ich ihm von meinem ersten Auftrag als Bodyguard erzählte. Damit hatte ich gerechnet. Wer hört schon gern, dass seine Freundin bereit ist, für einen anderen zu sterben.

Felix war ohnehin strikt gegen diesen Nebenjob gewesen, der bei Erfolg vielleicht eines Tages zu einer beruflichen Neuorientierung führen konnte. Felix fand es dennoch gut, wenn ich mich schonen würde, weil es nicht gesund war, täglich vier bis fünf Stunden Sport zu treiben und dann noch drei Stunden mit dem Hund Gassi zu gehen. Wovon ich kürzer getreten leben sollte, dazu hatte er sich nicht geäußert. Vielleicht, weil er wegen seiner Scheidung selbst knapp bei Kasse war. Er musste seine Prä-Ex-Gattin Melanie auszahlen. Ich würde niemals Geld von meinem Freund annehmen. Aber immerhin, Felix hatte meine größte Sorge verstanden und mir versichert: »Flipper wird immer einen vollen Napf haben.«

Ich hatte extra gewartet bis nach dem Essen. Wenn Felix hungrig war, explodierte er noch leichter, vor allem, wenn er Stress im Job hatte. Gestern war eine neue Leiche aufgetaucht. Eine echte. Bei der Mordkommission wurden ja erst mal alle Leichen mit ungewisser Todesursache untersucht. Die meisten klärten sich relativ schnell auf. Da waren Menschen im Bad gestürzt und verblutet, bei der Hausarbeit versehentlich von der Leiter gefallen oder absichtlich vor den Zug. Gestern war eine männliche Leiche in einem Bootshaus am Starnberger See gefunden worden. Sie lag da wohl schon länger. Laut Felix hätte es Giftgasalarm über dem See geben müssen, keine Ahnung, was er damit meinte. Das Bootshaus gehörte zu einem Segelclub, der wiederum eine kleine Werft mit größerer Werkstatt betrieb. Allein der alte Lackierermeister hatte dort hin und wieder nach dem Rechten geschaut. Aber er hatte nichts gerochen. Diesbezüglich hatte er sich in den letzten Jahrzehnten ohnehin die meisten Sensoren weggeätzt. Atemschutzmasken waren was für Schwächlinge.

»Ich will nicht, dass du dich in Gefahr bringst!«, rief Felix. »Noch dazu für so einen dahergelaufenen Lackaffen!« Seine sehr blauen Augen blitzten. Lackaffe. Das Wort hatte ich seit 100 Jahren nicht gehört. Auch Flipper schien den Klang interessant zu finden. Er spitzte die Ohren.

»Was kann der schon, außer gut aussehen!«, redete Felix sich in Rage.

»Er ist ein Weltstar!«, erinnerte ich ihn.

»Na und? Jeder Idiot kann es zum Weltstar bringen mit dem richtigen Management und einer Prise Glück.«

»Aber er hat hart für seinen Erfolg gearbeitet!«, verteidigte ich den Zar. »Schon mit drei Jahren hat er Klavierspielen gelernt und dann jeden Tag stundenlang geübt. Er hatte keine Kindheit, er hat auf alles verzichtet für seinen Erfolg. Mit acht Jahren hat er sein erstes Konzert gegeben und mit zehn ...«

Felix stand vom Tisch auf und holte sich eine Serviette. Die er dann nicht benutzte. Er konnte nicht mehr ruhig sitzen bleiben. Ich sah das Vibrieren seines Körpers. Die schmalen Hüften. Den V-förmigen Oberkörper. Ich wurde ein klein wenig schwach. Ich wäre noch viel schwächer geworden, hätte er nicht wiederholt »Lackaffe« gesagt.

Ich hätte ihm natürlich zustimmen können. Warum auch nicht? Im Grunde genommen teilte ich seine Meinung. Aber es passiert mir immer wieder, dass ich das Gegenteil von dem sage, was ich denke, weil es irgendwie auch mal gesagt gehört. Wir hätten einen schönen Abend verbringen können. Schon während ich mich in meine Lobrede auf den Zar verstrickte, wusste ich, dass ich jedes Wort bereuen würde. Und konnte meine Verteidigung dennoch nicht zurückhalten. Ich plapperte nach, was Anton mir erzählt hatte. Die Eltern des Zar waren einfache Leute, der Vater Postbeamter, die Mutter Arzthelferin. Sie wollten, dass es ihr einziger Sohn mal besser hat.

»Er musste sich die Liebe seiner Eltern verdienen!«, schrie ich Felix an.

»Ja, und?«, schrie er zurück. »Das müssen nicht nur Popstars. So was kommt in fast allen Familien vor.«

»Aber dann ist sein Vater bei einem Autounfall gestorben, und seine Mutter hat Krebs gekriegt, und mit 14 ist er ganz allein nach Amerika gegangen«, legte ich nach, was eben nicht in allen Familien vorkommt.

»Der Arme.«

»Du bist total gefühllos!« Ich sprang auf, da packte er mich am Handgelenk. Sofort wurde ich schwach. Und flüssig. Eng zog er mich an sich. »Ich spüre überhaupt nichts«, sagte er, während ich ihn hart und deutlich fühlte.

***

Später war Felix milder gestimmt und hörte sich, wenn auch nicht begeistert, so doch wenigstens ohne zu sticheln, an, dass der Zar in Amerika die richtigen Leute kennengelernt hatte, die ihm sein neues Image verpasst hatten. Aus Franz Isele wurde »Der Zar«, da war er gerade mal 18. Und als solcher spielte er keine Klassik mehr, sondern Popmusik. So wurde er zum Klassikrocker, und damit kam der ganz große Erfolg.

Felix setzte eine mitleidige Miene auf. »Und jetzt kann der arme Mann nur noch mit Personenschutz unter die Leute. Und du sollst deine Haut für ihn zu Markte tragen.«

»Wieso redest du dauernd so komisch? Lackaffen zu Markte tragen?«

»Lenk nicht ab. Ich bin dagegen, dass du diesen Job übernimmst. Das müssen Profis machen. Ich verstehe nicht, wieso Anton Dürr dir das zumutet. Der Mann hat mir einen überaus vernünftigen Eindruck gemacht. Und er schätzt dich sehr.«

Felix und Anton hatten sich einmal getroffen, nachdem Anton mich sozusagen verraten hatte. Damit hatte er mir das Leben gerettet und meine Beziehung zu Felix, der ja nicht wusste, dass ich von einer Verrückten in einem Haus im Wald eingesperrt worden war. Letztlich war es Flipper gewesen, der Felix zu mir führte. Flipper spielte in fast allen schicksalhaften Minuten meines Lebens eine tragende Rolle.

»Ich bin eher eine Aufpasserin als Personenschützerin und nur für einen ganz kleinen Kreis zuständig«, schrumpfte ich meine Aufgabe.

»Wie groß ist der kleine Kreis?«, fragte der Profi.

Ich vergaß eine Null. »Bis 20 Leute. Es geht wohl vor allem um die Fans.«

»Gerade die Fans! Es laufen so viele Durchgeknallte herum.«

»Vertraust du mir nicht?«, fragte ich. »Ich kann mich schon wehren!«

»Das weiß ich, Franza. Du hast mich nicht nur einmal aufs Kreuz gelegt.«

Ich grinste. Der Herr Kriminalhauptkommissar hatte nicht damit gerechnet, dass ihn die harmlose Gassigeherin ausknocken würde. Man sah mir meinen schwarzen Gürtel nicht an. Die Leute glaubten eher, Flipper wäre meine Waffe. »Flipper ist quasi mein Bodyguard«, versuchte ich Felix zu beruhigen.

»Franza«, sagte Felix. Seine Stimme klang belegt. »Ich will nicht, dass du dich in Gefahr bringst. Ich habe dich zweimal fast verloren. Ich ...«, er brach ab. Die widerspenstige schwarze Strähne fiel ihm in die Stirn. Er sah so wild aus und so ungezähmt. Die Ader über seinem Bizeps pochte. Ich konnte nicht widerstehen.

***

30 Minuten später waren wir beide träge und satt. Wir lagen auf dem scheußlichen braunen Sofa in seiner möblierten Wohnung im Zentrum Münchens, in der er seit nun einem Jahr nur übergangsweise wohnte, weil die Mutter seiner Tochter das Haus behalten hatte. Ich versprach ihm, vorsichtig zu sein. Und ich erinnerte ihn auch daran, dass er sich gewünscht hatte, ich triebe weniger Sport.

»Es gibt auch verschleißärmere Berufe«, meinte er.

»Aber ich habe Sport studiert. Und du fragst mich doch auch nicht, ob es mir recht ist, dass du Mörder jagst.«

»Das ist etwas ganz anderes.«

»Nein.«

»Doch.«

»Nein, es ist ...«, er packte mich. Weicher diesmal. Und sehr sanft.

20 Minuten später war er fast schon lammfromm. Und ich auch. Wenn er es jetzt von mir verlangt hätte, ich hätte meine Karriere als Bodyguard ermattet unters Sofa gleiten lassen. Aber wir sprachen einfach nicht mehr darüber. Und genau deshalb fand ich unsere Beziehung so wunderbar. Es gab nichts, was sich nicht mit Sex lösen ließ. Wahrscheinlich hatten wir nur deswegen so oft Krach. Unsere Versöhnungen waren Höhepunkte. Es ist schon was dran, wenn manche Leute behaupten, allein der Körper kenne die Wahrheit.

Im Körper wohnt die Wahrheit. Das wussten die großen Foltermeister durch die Jahrhunderte. Denn letztlich kommt es ja nicht darauf an, was jemand wirklich getan hat, sondern was er getan haben könnte. Alle Möglichkeiten manifestieren sich im Körper, der durch seine bloße Existenz schuldig wird.

Wo ein Körper atmet, gibt es auch Schuld.

Kapitel 3

Anton ließ es sich nicht nehmen, Flipper und mich am frühen Donnerstagnachmittag standesgemäß in seinem Maybach abzuholen. Seinen früheren Chauffeur, der einmal gequält das Gesicht verzogen hatte, als Flipper auf den Rücksitz sprang, hatte er längst ausgetauscht gegen einen Hundefreund, der für Flipper den Wagenschlag öffnete und dafür sorgte, dass keine Falte auf der karierten, handgefertigten englischen Naturfilzdecke, die allzeit bereit für ihn im Kofferraum lag, seinen Sitz- und Liegekomfort beeinträchtigte.

Als Felix mit Flipper beim Joggen war – dafür stand er vor seinem Dienst eine Stunde früher auf, wenn ich bei ihm übernachtete –, hatte ich den Zar gegoogelt. »Stimmt es, dass er mit Lou Lomax zusammen ist?«, fragte ich Anton, der mir im Wagenfond gegenübersaß, eine Hand auf Flippers Flanke. »Oder ist das ein Fake für die Presse?«

»Lou wer?«

»Lomax! Sie hat letztes Jahr einen Oscar gewonnen. Sie dreht gerade mit Johnny Depp.«

Er zuckte mit den Schultern. »Für so was interessiere ich mich nicht.«

»Findest du ihn überhaupt gut?«

Anton zögerte. »Früher vielleicht«, sagte er dann. »Mein Vater hat seine Musik geliebt. Ich habe ihn nur zweimal weinen sehen. Das erste Mal bei einem Klavierkonzert von Franz Isele. Das zweite Mal, als Franz Isele sich in den Zar verwandelte und der Klassik den Rücken kehrte.«

Ich schluckte. So etwas Persönliches hatte Anton mir noch nie erzählt, obwohl wir uns nun schon seit zwei Jahren kannten. Ich kombinierte, dass sein Vater die Beerdigung seiner Frau trockenen Auges absolviert haben musste. Vielleicht war Anton deshalb so dick geworden. Er war alles andere als eine Schönheit, eher ein feistes Riesenbaby, viele Millionen schwer, mit einem Herz aus Gold, das er nicht jedem zeigte und Menschen mutmaßlich gar nicht. Bei Flipper leuchtete es manchmal auf und bei seinem asthmatischen Kater namens Proust, von dem er mir manchmal erzählte.

Vor dem Hotel Bayrischer Hof in der Innenstadt standen mindestens 200 Menschen und mehrere Streifenwagen und uniformierte Polizisten. Außerdem diverse Kamerateams. Der Maybach wurde durchgewinkt. Anton wurde nirgendwo aufgehalten. Es lag an seiner Ausstrahlung: Reichtum und Autorität. Er pflügte durch die Halle des Hotels, trotz seiner Massen unsichtbar, die Atmosphäre des Geldes nahm ihn auf, er gehörte dazu. Ich hingegen tat nur so. Ich war noch nie in diesem Hotel gewesen, wieso auch, ich hatte eine Wohnung in München. Man konnte hier essen oder an der Bar und im Foyer sitzen. Aber auf die Idee wäre ich nicht gekommen. Ich wusste allerdings, dass auch Einheimische das machten, ein weiteres Umkleidekabinenthema. Man setzt sich ins Foyer und angelt einen dicken Fisch, den man dann ausnimmt.

Anton meldete uns an. Wir würden abgeholt werden.

»Ich lass dich dann allein«, sagte er. »Ich will dich nur noch persönlich vorstellen.«

Ich grinste. »Glaubst du, ich haue ab?«

»Nein, nein. Aber ich habe dich schließlich empfohlen. Du brauchst dich übrigens nicht zu bewerben. Du hast den Job. Sie wissen alles von dir.«

»Alles?«

»Du bist eine erfahrene Personenschützerin und Ermittlerin, die meine Sozietät seit vielen Jahren für Sonderaufgaben einsetzt. Du bist diskret, hochprofessionell, perfekt ausbildet – kurz: die Beste für diesen Job.«

»Gut, dass ich das noch erfahre«, versuchte ich witzig zu klingen. Doch mir war eher flau zumute.

Niemand nahm Anstoß an Flipper, aber natürlich fiel er auf, dieser schwarze Riese, der ohne Leine eng an meinem linken Oberschenkel lief. Wahrscheinlich herrschte im Hotel Leinenpflicht, aber wie so oft wurde ich angesichts des kräftigen Rüden nur selten darauf hingewiesen. Es gab eben Waffen innen am Bein, in der Hosentasche, und solche außen. Ich war ein wenig nervös. Aber egal, was passieren würde. Es konnte nichts passieren. Flipper war da.

Als hätte er meine Gedanken gelesen, hob er den Kopf und schaute mich an. Lang. In der Regel schauen einem Hunde nicht so intensiv in die Augen. Manchmal hatte ich das Gefühl, er wüsste mehr, als er mir mitteilen konnte. Sein braunes Auge maß meine emotionale Verfassung, sein blaues checkte die Lage, eine Art Gefahrenradar. Als kleinen Welpen hatte ich ihn beim Mountainbiken im Gebüsch gefunden. Ohne mich wäre er gestorben. Ohne ihn wäre ich auch schon gestorben, mindestens zwei Mal. Flipper war der wichtigste Hund in meinem Leben. Und bevor Felix auftauchte, wohl auch der wichtigste Mensch.

Wir warteten vor einem Fahrstuhl. Anton tätschelte meinen Unterarm. »Irgendwann ist immer das erste Mal, Franza«, sagte er. »Ich bin überzeugt davon, dass dir die Sache Spaß machen wird.«

Die Fahrstuhltür öffnete sich, und gleichzeitig ertönte ein gellender Schrei. Eine blonde Frau in pinkem Kostüm mit orangefarbenen Stulpenstiefeln auf mindestens 15-Zentimeter-Absätzen riss die Arme hoch. Die Tür schloss sich. Erschrocken drückte ich auf den Knopf. Ein epileptischer Anfall? Die Tür öffnete sich.

»Ein Hund!«, gellte die Blondine.

Kein epileptischer Anfall. Hundepanik. Als Anhängerin der Konfrontationstherapie machte ich Anstalten, den Aufzug zu betreten.

»Nehmen Sie den Hund weg! Den Hund weg!« Die Blondine taumelte in die Aufzugecke. Völlig hysterisch. Krümmte sich, die Hände an der Kehle, hyperventilierend.

Dabei machte Flipper gar nichts. Stand nur vor der Tür, neben mir und Anton. Und warf mir dann einen Blick zu: Soll ich? Glaubte ich zu lesen. Seine Fähigkeiten in der Krisenintervention waren einzigartig, doch ich hatte den Eindruck, seine Deeskalationsversuche würden die Situation endgültig eskalieren lassen. Und der Meinung war wohl auch Anton. Er zog mich einen Schritt zurück.

Die Tür schloss sich, ging wieder auf.

Die Blondine schrie. Die Tür schloss sich. Wieso drückte sie nicht auf irgendeinen Knopf und stieg in einer anderen Etage aus? Wir erregten Aufsehen. Was nicht gern gesehen wird in so einem Hotel, in dem selbst die Teppiche aus diskret geschlossenen Fasern bestehen.

Ein Angestellter eilte uns zu Hilfe. Anton führte mich zu einer Sitzgarnitur und teilte mir mit bekümmerter Miene mit: »Ich glaube, das war die Dame, die uns abholen sollte.«

Ja, das war sie. Und sie wollte nicht mit mir sprechen, solange die Bestie, die geradezu an meinem linken Oberschenkel klebte, frei herumlief. Ich hatte überhaupt keine Lust mehr auf diesen Job.

»Es war nie die Rede davon, dass ich Flipper zu Hause lasse!«, beschwerte ich mich bei Anton.

»Das hättest du dir doch denken können. Bei einer Abendveranstaltung kannst du ihn nicht mitnehmen.«

»Aber das hier ist ein Vorstellungstermin. Mein Hund gehört zu mir.«

»Bitte, Franza!« Antons Stimme klang, als hätte er mit goldgelbem Sonnenblumenöl gegurgelt. »Du weißt doch, dass es Leute gibt, die panische Angst vor Hunden haben. Das ist nicht mit dem Willen steuerbar.«

»Er hat überhaupt nichts gemacht, er stand nur da.«

»Alles wird sich regeln. Bitte fahre jetzt mit der Mitarbeiterin vom Zar nach oben. Ich bringe Flipper zurück in den Wagen, okay? Er fährt doch gern Auto. Ich werde meinen Chauffeur bitten, ihn ein bisschen durch die Gegend zu kutschieren. Bevorzugt er Autobahn oder lieber Stadtverkehr?«

»Was?«

Freundlich blickte Anton mich an. Das war kein Scherz gewesen.

»Stadtverkehr«, sagte ich. »Wo’s was zu sehen gibt.«

»Prima«, lächelte er. »Ich habe nämlich jetzt einen Termin.« Er schaute Flipper an. »Komm, mein Freund, wir gehen.«

Flipper schaute mich an.

»Lauf mit Onkel Anton!« Ich grinste schief. Dann leinte ich Flipper an und reichte Anton die Leine. Obwohl ich Anton hundertprozentig vertraute, versetzte es mir einen Stich. Ohne Flipper fehlen mir vier Beine. Das kommt davon, wenn man seit drei Jahren rund um die Uhr zusammen ist.

Als Anton und Flipper quer durch das Foyer zum Ausgang liefen, wäre ich ihnen am liebsten nachgerannt. Alles in mir wollte raus hier. Zurück in meine teppichlosen Umkleidekabinen, auch wenn ich als Fitnesstrainerin bedeutend weniger verdiente. Später sollte ich an diesen Moment zurückdenken. Da hätte ich noch umkehren können. Aber es ist nicht so leicht, auf die innere Stimme zu hören, wenn ein Napf voller Noten lockt ...

Kapitel 4

Die Hundeangst-Frau war ein anderer Mensch ohne Hund in ihrer Nähe. Sie reichte mir die Hand. »Ich bin die Lizzie.«

»Franza«, sagte ich.

»Ich bin als Kind mal gebissen worden«, sagte sie.

Ich schwieg. Was sollte man dazu auch sagen? Ich hatte als Kind auch mal auf eine heiße Herdplatte gefasst. War ich deswegen Rohkostlerin geworden?

»Hey, das ist kein Spaß!« Sie riss die Augen auf. Die waren braun und so stark geschminkt mit blauem und grünem Lidschatten, Goldpuder, Lidstrich und Wimperntusche, dass sie vollkommen ausdruckslos wirkten. Ich schätzte sie ein bisschen jünger als mich. Es störte mich, dass ich zu ihr aufblicken musste. Mit den Stöckeln und der auftoupierten Mähne war sie bestimmt 1,85 Meter groß.

»Entschuldigung«, sagte ich. »Aber mein Hund folgt aufs Wort.«

»Das behaupten alle.«

»Die meisten lügen.«

Wir standen nebeneinander im Lift, und es war klar, dass wir keine Freundinnen werden würden. Aber das mussten wir ja auch nicht. »Du arbeitest für den Zar?«, fragte ich.

»Ich bin seine persönliche Assistentin«, sagte sie.

»Und was macht man da so?«, fragte ich.

»Alles«, sagte sie. Dann waren wir auch schon oben. Sie stöckelte vor mir her durch einen Flur mit tiefem mokkabraunen Teppich. An einer Flügeltür standen breitbeinig zwei Männer. Ich hielt sie für Kollegen und nickte ihnen zu. Sie reagierten nicht.

Lizzie öffnete die Tür zu einem Konferenzraum. Darin befanden sich ein halbes Dutzend Leute in einer Besprechung. Alle Gesichter drehten sich zu uns.

»Bibi, das ist dem Zar seine Leibwächterin«, sagte Lizzie.

Ben Beck, der Manager, wie ich von Anton wusste, gesprochen Bibi, geschrieben BB. Er strotzte vor Testosteron. Es gibt solche Kerle, die verspritzen es geradezu, und man muss aufpassen, keine Tröpfcheninfektion zu erleiden.

Bibi war alles andere als mein Typ. Erstens zu alt mit Mitte/Ende 40. Zweitens zu nobel gekleidet in Anzug mit Krawatte, drittens mittelblond. Das bin ich selber. Bibi hatte den Zar als jungen Mann in Amerika unter seine Fittichen genommen und ihn zu Sony gebracht. Der Rest war Musikgeschichte.

Bibi riss mir mit einem Blick die Klamotten vom Leib. Ich fiel nicht in sein Beuteschema. Sicher lag es an meinen bunten Joggingschuhen. Und an der Jeans. Da fehlten schon mal Stöckel und Strapse. Und weiter oben fehlten Silikon und Schlauchbootseitenwülste. Ich erwiderte seinen Blick ebenso messerscharf. Ein exakter Schnitt vom Krawattenknoten bis in den Schritt. Nackt stand er vor mir. Dann waren die Fronten geklärt. Bibi interessierte sich nicht mehr für mich.

Eine sehr dicke Frau kam lächelnd auf mich zu. »Ach, wie schön, Frau Fischer?« Sie warf Bibi einen amüsierten Blick zu und bat mich dann: »Bitte, gehen wir kurz nach nebenan.«

Ich folgte ihr in einen kleineren Besprechungsraum. Dort saß inmitten von Schuhkartons eine blasse junge Frau mit verkniffenem Gesicht und malte etwas. Die Dicke wechselte einige Worte in einer Sprache mit ihr, die mir fremd war. Aus dem Ostblock, vermutete ich. Dann sah ich, dass die junge Frau Autogrammkarten unterschrieb. Hunderte, Tausende, Zehntausende. Sie würde niemals fertig werden. Was ihr wohl auch klar war, denn sie streifte mich nur mit einem flüchtigen, depressiven Blick und machte weiter. Drei Kreuze und dann die Unterschrift des Zar. Jetzt erst stellte sich die Dicke bei mir vor.

»Gudrun Röder, ich bin die Pressesprecherin. Herr Michalski, das ist unser Tournee-Sicherheitschef, ist gerade unabkömmlich.«

»Ich dachte, ich lerne jetzt den Zar kennen?«, fragte ich.

»Es tut mir leid, Zaza ist im Moment nicht da.«

»Aber wir haben einen Termin«, sagte ich.

Sie zog eine Augenbraue hoch. Da begriff ich, dass der Zar über Terminen stand. Und dass es dumm war, auf so etwas wie eine Absprache zu pochen. Hier tickten die Uhren anders.

Wieder wollte ich am liebsten umkehren. Und wieder blieb ich.

»Immerhin soll ich seine Haut retten«, wurde ich ein wenig drastisch.

»Also, entschuldigen Sie, normalerweise sucht sich der Zar seine Bodyguards aus, nicht der Bodyguard den, äh, Zar.«

»Tja, jeder hat seine Geschäftsethik«, sagte ich lockerer, als mir zumute war. Vielleicht wünschte ich mir auch, rausgeworfen zu werden, noch ehe ich angefangen hatte.

Ich hatte zudem den Verdacht, dass Ethik hier das falsche Wort war. Hatte Anton nicht auch von einer Gudrun erzählt, die sieben Sprachen beherrschte und von allen unterschätzt wurde, weil sie aussah wie eine dicke Mami, die den ganzen Tag vor der Glotze hockte und Erdnüsse knackte?

»Gudrun!«, rief jemand.

»Entschuldigen Sie bitte«, sagte sie und ging zurück in das Besprechungszimmer. Ich folgte ihr, ohne dazu aufgefordert worden zu sein. In diesem Augenblick wurde die Tür schwungvoll aufgerissen. Und dann stand er da.

Ich wollte es nicht, aber ich bekam Gänsehaut. Er war anders als alle anderen Menschen im Raum. Manchmal merkt man das sogar übers Fernsehen. Man nennt es wohl Charisma. Er stand in der Tür, groß, atemberaubend attraktiv und strahlend, ja strahlend. Als würde jede seiner Zellen leuchten. Und er fachte seine Mitarbeiter an. Ein Ruck ging durch alle, allein Bibi hatte den nicht nötig, er stand wie eine Eins. Lizzie glühte geradezu. Mit offenem Mund starrte sie den Zar an, bedingungslose Ergebenheit im Blick.

Der Zar musterte die Anwesenden, entdeckte mich.

»Dein Bodyguard«, sagte Gudrun.

»Ich brauche einen Kaffee«, sagte der Zar. Er trug eine schwarze Lederhose und ein weißes Hemd. Schwarze Stiefel, eine schwarze Jacke. Er sah wirklich ein bisschen aus wie ... der wilde schwarze Hengst. Unzähmbar.

Lizzie ging zum Telefon und gab die Bestellung auf.

»Hallo«, sagte ich.

»Ich will keinen Bodyguard«, sagte der Zar zu Gudrun.

»Zaza, wir habe doch ausführlich darüber gesprochen«, widersprach sie sanft.

Geschmeidig lief er zum Fenster, schaute hinaus. »Nein.«

Die Atmosphäre knisterte. Lizzie biss sich auf die Unterlippe. Auch die anderen Anwesenden wirkten eingeschüchtert. Nur an Bibi und Gudrun prallte die Stimmung ab. Und vielleicht an dem älteren Herrn mit Goldrandbrille, der am Tischende saß und bis zu diesem Moment mit seinem Laptop beschäftigt gewesen war. Nun hob er zum ersten Mal den Kopf. »Dees isch gar koi echter Bodyguard. Dees isch a Mädle. Des mergt doch koiner. Mir stegged dui en andre Glamodda ond schon gohd se logger als Groupie durch.«

»Nein, Hermann, kein Groupie«, widersprach Gudrun. »Sie kriegt einen Titel. Sie gehört zum Staff.«

»Was für ’nen Titel?«, fragte Lizzie.

Wer ist Hermann?, fragte ich mich. Der passte weder vom Aussehen noch von der Aussprache in die Runde.

»Vielleicht Assistentin der persönlichen Assistentin?«, schlug Gudrun vor.

Der Zar fuhr herum. »Nein«, sagte er.

Es klopfte. Ein Etagenkellner brachte einen Latte Macchiato. Lizzie inspizierte das Glas, dann schüttelte sie den Kopf. »Zu viel Milchschaum«, beschwerte sie sich. »Ich hab doch gesagt, höchstens ein Zentimeter.« Der Kellner entschuldigte sich und ging ab.

»Hol mir meinen Kaffee zurück«, sagte der Zar.

Hermann seufzte leise.

»Mach ich, Zaza, klar.« Lizzie lief nach draußen und stellte dann das Tablett auf den Tisch. »Soll ich den Schaum oben wegmachen?«, fragte sie.

Er nickte.

Lizzie löffelte den Schaum, der dem Zar nicht schmeckte, fort und reichte ihm das Glas. Es hätte mich nicht gewundert, wenn sie davor noch einen Zollstock aus der Tasche gezogen hätte, um die Schaumhöhe zu kontrollieren.

Der Zar nahm einen Schluck. Lizzie hing an seinen Lippen. Als er nickte, entspannte sie sich. Nicht so der Herr mit der Goldrandbrille. Er starrte den Zar weiterhin an, und alles andere als freundlich. Als er meinen Blick bemerkte, senkte er seinen.

»Fahren wir jetzt?«, fragte der Zar.

Gudrun trat vor. Sie war mindestens 1,80 Meter groß und wog sicher 150 Kilo. Ihr schwarzes Haar war zu einem strengen Knoten im Nacken gebunden. Sie trug ein dunkelblaues Kostüm mit einem in gedeckten Rottönen gemusterten Tuch, das locker um die Partie geschlungen war, an der bei schlankeren Menschen der Hals sitzt. Gudrun Röder hatte eine wohlklingende Stimme, ich konnte sie mir gut als Opernsängerin vorstellen. Sie intonierte: »Wir brauchen einen Bodyguard für die Termine, die unsere Kooperationspartner im Bereich Security nicht zufriedenstellend abdecken. Schon wegen der Versicherung, Zaza. Und weil unser Herr Michalski seit Paris krank ist. Das weißt du doch. Du wirst nichts von ihr merken. Niemand denkt bei einer Frau an einen Bodyguard. Sie ist quasi unsichtbar. Sie ist gar nicht da. Sie ist wie ein Schatten. Eine graue Maus, die niemand beachten wird.«

Ich war kurz vorm Platzen. Dies war der dritte Moment, in dem ich beinah gegangen wäre. Doch da klopfte es an der Tür, und ein Angestellter des Hotels brachte einen Blumenstrauß. Der Zar drehte sich genervt weg. Doch die Blumen waren nicht für ihn, sondern für Lizzie. »Die Hoteldirektion bedauert es außerordentlich, dass Sie vorhin Unannehmlichkeiten im Fahrstuhl hatten.«

Lizzie riss die Augen auf. »Echt?«

Der Überbringer des Straußes, ein kahlköpfiger Herr in Livree um die 50 schmunzelte. »Echt.«

»Wieso? Was soll das?«, rief Hermann. Deutsch konnte er also auch.

Lizzie nahm den Blumenstrauß, wusste nicht, wohin damit, schaute mit roten Wangen in die Runde. »Das ist ja total nett!«

»Was war denn da im Fahrstuhl?«, fragte der junge Kerl neben Hermann. Auch er war quasi unsichtbar, jedenfalls nicht in der realen Welt existent, hing mit einem Nabelkabel an seinem iPhone.

Und auch Hermann erkundigte sich: »Ja, warum hosch nix verzählt?«

»Das könnt ihr später bequatschen«, schaltete Gudrun sich ein.

»Nein, nein, Guddi, das interessiert mich auch«, sagte der Zar. »Was war denn da, Lizzie-Pissie?«

»Da war ein Hund. Der hat mich angefallen.«

Hermann verzog das Gesicht schmerzlich.

»Jetzt reicht’s!«, rief ich in Lizzies Richtung. »Der Hund hat dich nicht angefallen. Der Hund stand vor dem Fahrstuhl.«

Zum ersten Mal schaute der Zar mich direkt an. »Ach, du warst dabei?«

»Es war mein Hund.«

»Und wo ist er jetzt?«

»Er lässt sich von seinem Chauffeur im Maybach durch die Stadt kutschieren, was sonst?«, ranzte ich den Zar an.

Laut platzte er heraus: »Was sonst! Was sonst!« Dann fiel es ihm ein. »Ja! Ich glaube, ich habe ihn gesehen! So ein schwarzer, richtig?«

Ich nickte widerwillig.

»Also, Guddi, die Sache ist ganz einfach«, sagte der Zar nun. »Ich bin einverstanden, aber natürlich nur, wenn ich optimalen Schutz habe.«

»Selbstverständlich, Zaza, wir haben 18 Leute im Schichtdienst von einem Sicherheitsunternehmen und ...«

»Ich will den Hund. Der Hund soll auch da sein. Er gehört doch zum Bodyguard, oder?«

»Nein, das geht auf keinen Fall!«, rief Hermann.

»Aber Zaza, wie wollen wir denn das organisieren?«, stieß Gudrun in dasselbe Horn. »Unsere Termine sind eng getaktet ... und dann das Meeting mit den Leuten aus Washington, das Dinner morgen und ...«

»Hund oder nichts«, sagte er langsam und ließ dabei Lizzie nicht aus den Augen. Die wurde kalkweiß, sagte aber keinen Ton.

»Und man weiß ja gar nicht, ob die äh, die Frau, äh ...«

»Fischer ...«, half ich ihr.

»... damit einverstanden ist.«

»Nein«, entfleuchte es dem Alten mit der Goldrandbrille, aber niemand beachtete ihn.

»Wir sind hier alle per du, Frieda«, wandte sich der Zar das erste Mal an mich.

»Ich heiße Franza.«

»Das ist doch nah dran.«

»Ich heiße Franza«, widerholte ich und merkte, dass es nicht üblich war, dem Zar ernsthaft zu widersprechen. Sogar Bibi, Ben Beck, schenkte mir seine Aufmerksamkeit, obwohl er seit mehreren Minuten in gedämpfter Lautstärke in einer Raumecke in englischer Sprache telefonierte.

»Frieda gefällt mir aber besser«, beharrte der Zar und lächelte mich an. Verdammt, der Kerl war so attraktiv, dass es schwerfiel, ihm keine mildernden Umstände zuzuschreiben, ja, er sah so gut aus, dass es sogar schwer war, seine charakterlichen Mängel im Gedächtnis zu behalten, wie ich irritiert feststellte. Ich konnte ihn nicht ausstehen. Dennoch war ich fasziniert von ihm. »Frieda bringt den Frieden, nicht wahr?«, fragte er mit offensichtlicher Befriedigung über sein Wortspiel.

»Und der Zar den Krieg?«, fragte ich.

Einen Augenblick starrte er mich verblüfft an. Im Hintergrund raunte Gudrun »Krieg und Frieden, Tolstoi«. Da klatschte er in die Hände und lachte. Alle lachten mit.

Nur ich nicht. Was aber keinem auffiel. Graue Mäuse sieht man nicht.

Auch wenn sich unsere moderne Gesellschaft zivilisiert nennt, so wird sie niemals auf Folter verzichten können. Denn sie ist eng verknüpft mit der Existenz des Menschen, ja: Entsteht er nicht durch Folter, nämlich bei seiner Geburt? Gequetscht der Kopf im engen Schoß der Mutter, zusammengepresst, ausgetrieben, ins Grelle gezogen. Das ist der Beginn. Und manchmal das Ende. Von der Scheidenschraube zur Daumenschraube, der erste Schrei.

Kapitel 5

An den Weg aus dem Hotel heraus konnte ich mich kaum mehr erinnern, als ich zehn Minuten später am Isartor stand. Die Teppiche, die Sessel, die livrierten Pagen, alles war an mir vorbeigeschwebt wie in einem Traum. Ich zückte mein Handy, um Anton zu bitten, Flipper sofort zu mir bringen zu lassen, da klingelte es.

»Und?«, wollte Felix wissen. »Wie ist er so, dein Weltstar?«

»Ganz nett«, sagte ich gedehnt.

»Also, wie ist es gelaufen?«

»Ganz gut«, sagte ich.

»Du meinst beschissen?«

»Nein, wieso beschissen? Ich habe doch ganz gut gesagt.«

Er lachte.

»Und du? Wo bist du?«, fragte ich schnell.

»In der Rechtsmedizin.«

»Und, wie ist sie so, deine Leiche?«

»Das willst du nicht wirklich wissen.«

»Sehen wir uns heute?«, fragte ich, und wie so manches Mal, wenn ich ihn das fragte, kam es mir vor wie ein Wunder. Dass ich das einfach fragen konnte. Dass wir es trotz aller Missverständnisse doch noch geschafft hatten, ein Paar zu werden.

»Heute ist Elternabend im Kindergarten.«

»Geht Melanie auch hin?«, fragte ich.

Er seufzte. »Hoffentlich nicht.«

»Dann morgen?«, fragte ich ihn.

Er zögerte. »Vielleicht, Franza. Aber ehrlich gesagt eher nein.«

»Ach so, klar. Neue Leiche, Überstunden, verstehe. Da hab ich mich noch nicht so dran gewöhnt.«

Im Hintergrund hörte ich Stimmen lauter werden. »Ich muss aufhören«, sagte er. »Servus.«

Ich blieb noch eine Weile mit dem Handy am Ohr stehen, so als gelte es, den letzten Rest seiner Stimme in meine Muschel tröpfeln zu lassen.

Erst als ich den roten Knopf drückte, bemerkte ich, dass ich die ganze Zeit auf den schwarzen Hengst Zar gestarrt hatte, mit dem jede freie Weidefläche am Isartorplatz tapeziert war.

***

25 Minuten später lieferte Antons Chauffeur Flipper bei mir zu Hause in der Au ab. Ich erwartete ihn in Joggingklamotten an der Straße und lief gleich weiter zur Isar, womit Flipper nicht einverstanden war. Er hätte sich gern mit dem Halunken, dem Sheriff, Luke, Nino, Cookie und den Ladys Lea und Faye, denen wir auf dem kurzen Weg dorthin begegneten, unterhalten. Wobei eine Hundeunterhaltung ja deutlich anders verläuft als eine zwischen Menschen. Erstens beschränkt sie sich auf das Wesentliche. Ist also zweitens auch deutlich kürzer. Und es kommt immer was dabei raus. Häufig werden die Resultate auch gleich fixiert, mit Harnsäure. Dass dann später keiner behaupten kann, alles wäre ganz anders gewesen.

Wie so oft im Frühling hatte sich die Zahl der Jogger verdoppelt. Sie rannten ihren Bikinifiguren hinterher. Im Frühling sind auch meine Fatburner-Kurse ausgebucht. Im Sommer hat man dann meistens aufgegeben, und im Winter ist sowieso schon alles wurst. Flipper war mir auch als Motivator eine große Stütze. Seine Bekämpf-den-inneren-Schweinehund-Strategie war legendär. Er stieß seine kalte Schnauze in faule Kniekehlen, zwickte zärtlich müde Waden und wedelte begeistert, wenn der Schweiß in Strömen floss. Ob er das gern machte, wusste ich nicht. Er dachte wahrscheinlich nicht darüber nach. Sein Platz war an meiner Seite, und Punkt – beneidenswert!

Ein anonymer Anrufer ließ mein Handy am Heizkraftwerk vibrieren.

»Hallo?«, meldete ich mich und erkannte Lizzie erst nach einer Weile. Sie atmete schwer, und ich hatte Mühe, sie zu verstehen.

»Bitte. Bitte versprich mir, dass du deinen Hund immer, wirklich immer an der Leine hältst, wenn ich in der Nähe bin, und auch sonst immer, weil ich könnte ja mal in einen Raum kommen, wo er ist, bitte sag, dass du das machst, okay, bitte?« Sie war völlig hysterisch. Es tat mir leid, dass ich sie so ruppig behandelt hatte. Ich hätte vielleicht ein wenig einfühlsamer auf ihre Hundephobie reagieren sollen. Heiße Herdplatte an oder aus – manche Dramen glühten bis zum Trauma.

»Ich verspreche es«, sagte ich.

Dann fiel mir der Gesichtsausdruck des Zar ein, mit dem er Lizzie beobachtet hatte, während er auf dem Hund beharrte.

»Hör mal, Lizzie«, sagte ich. »Auch wenn mein Hund frei herumläuft, ist er keine Gefahr für dich.«

»Das sagst du!« Sie schluchzte.

In diesem Moment konnte ich mir vorstellen, dass der Zar es genießen würde, sie in Panik zu versetzen. Ich verwarf den Gedanken schnell wieder. Wer machte so was? Doch höchstens ein Sadist.

»Bitte, du tust das für mich, okay?« Ihre Stimme klang piepsig.

»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, sagte ich. Dann schob ich den Kinderspruch nach, »Alles wird gut.« Und nahm mir vor, Lizzie an Flipper zu gewöhnen. Vielleicht war das mein übergeordneter Auftrag bei dieser Sache. Es ging doch meistens um etwas anderes als das, was man glaubte. Oft erkannte man das erst spät, noch öfter wahrscheinlich nie.

Endlich war Lizzie dazu in der Lage, mir den offiziellen Grund ihres Anrufes mitzuteilen. »Du sollst bitte um 17 Uhr bei Prada sein, da triffst du die Schnuffi, die wird dich einkleiden. Wir haben einen Deal mit denen. Eventuell müsst ihr aber auch noch zu unserer Stylistin in den Fundus. Ich denke, tagsüber solltest du eher Boss tragen. Aber du brauchst auch zwei Abendkleider. Schnuffi, unsere Stylistin, weiß Bescheid, okay?«

»Wieso tagsüber? Ich dachte, ich soll den Zar ausschließlich zu Abendveranstaltungen begleiten?«, fragte ich und überlegte, was der Spitzname über die Dame aussagte. Tränen- oder kokssüchtig?

»Davon weiß ich nichts.«

»Und außerdem habe ich selber was anzuziehen!«, erklärte ich ein wenig pampig.

Lizzie zögerte. »Ja, ja, schon klar, aber du sollst eben nicht aussehen wie du, sondern wie eine vom Team. Der Zar möchte nicht, dass man dir den Bodyguard anmerkt. Er hätte auch keinen nötig. Er ist der liebenswürdigste Mensch auf der ganzen Welt. Aber das wissen die Leute nicht. Sie sehen oft nur den großen Star, der ein Leben in Saus und Braus führt, dabei stimmt das gar nicht. Und solche Leute können auf komische Gedanken kommen. Die schreiben dann Drohbriefe oder machen andere Sachen und ...«, sie brach ab.

»Was für Sachen?«, fragte die Polizistenfreundin in mir.

»Totale Scheiße eben!«, brüllte sie mir ins Ohr. »Die glauben, sie könnten dem Zar was anhaben, aber ich sag dir, der pisst auf die, verstehst du! Weil er über uns allen steht, so sieht das aus, und dem Zar, dem jagt kein Wichser Angst ein, bestimmt nicht, weil der Zar hat keine Angst!«

Ihr Ausbruch überraschte mich. Andererseits war er logisch. Für sich selbst konnte sie nicht einstehen, für den Zar sehr wohl. Aber sie beruhigte sich schnell wieder. In fast normalem Tonfall sagte sie: »Prada kennst du ja wohl. Der Shop ist in der Nähe vom Hotel. Wegen der Schuhe müsst ihr vielleicht noch zu Versace, Taschen kriegst du aber sicher im Fundus, du brauchst doch keine große?«

Ich schluckte die Bemerkung »Nur für Hundeleckerlis« hinunter und sagte: »Ja, klar. Um 17 Uhr. Ich beeil mich. Und wie geht es dann weiter, wie sieht das Programm für heute aus? Ehrlich gesagt dachte ich, ich fange morgen erst an.«

»Du fährst mit Schnuffi in die Olympiahalle. Du kannst dir das Konzert ansehen. Es ist ein Platz für dich reserviert. Danach gibt es eine Party. Wo, das kann ich dir im Moment noch nicht sagen. Es sind drei Locations im Gespräch. Du wirst immer in der Nähe des Zar platziert, sollte es eine Tischordnung geben. Ansonsten machst du einfach deinen Job, dazu kann ich dir nichts sagen, das wirst du schon selber wissen. Wenn dich jemand fragt, bist du meine Assistentin, okay?«

»Okay.«

»Und wenn es ein Problem gibt, versuchst du das bitte so zu lösen, dass niemand was merkt, vor allem nicht die Presse. Fotos von einem Handgemenge oder so was wären eine Katastrophe.«

»Okay.«

»An deiner Stelle würde ich den Hund heute zu Hause lassen. In die Olympiahalle kommt er sowieso nicht rein, da müsste er ein Polizeihund sein oder ein Blindenhund oder so was.«

Lizzie war gar nicht so doof, wie sie vorgab. Das hatte sie bestimmt recherchiert.

»Ich würde ihn auch nicht mitnehmen. Da ist es ja viel zu laut und zu eng.«

»Gut«, bestätigte sie. Sie hatte sich wieder gefangen. Seltsamerweise tat sie mir nun noch mehr leid. Ihr Ringen um Souveränität berührte mich. Aber wenn seine Angst, egal wie irrational sie sein mag, angefacht wird, verliert der Mensch schnell alles, was ihn auszeichnet, worauf er stolz ist. Die Zivilisation fällt von ihm ab, und was übrig bleibt, ist ein Tier. Das wegläuft. Oder kämpft. Oder im Schock erstarrt.

»Okay«, bestätigte ich. Und dann wollte ich ihr unbedingt noch etwas Nettes sagen. »Aber so ganz hohe Schuhe, solche wie du trägst, mit denen kann ich vielleicht nicht elegant laufen.«

Sie lachte. Hoch oben auf ihren Stöckeln balancierend, hatte sie festen Boden unter den Füßen.

Füße sind auch etwas Hübsches. Nirgends so viele Knöchelchen. Aber wer denkt schon an die Füße. Völlig vernachlässigt. Nicht jedoch von den wirklich großen Foltermeistern. Die die Fußquetsche erfanden, die es mit der Daumenschraube mehr als aufnehmen kann. Man muss nicht immer oben beginnen. Man kann sich auch hinaufarbeiten. Splitter für Splitter. Quetschung für Quetschung, die erste Phase der Folter. Vielleicht mit der Beinschraube. Die Hände verschonen mit den Fingerchen. Er wird ja wohl denken. Von den Füßen sich hinaufdenken zu den Händen. Das liegt nah, so weit ist der Weg nicht.

Der Virtuose kennt die neuralgischen Punkte seiner Schützlinge. Aber er ist kein Barbar wie die Vorgänger aus dem Mittelalter. Denen reichte es nicht, die Knie splittern zu lassen durch Drehen am Gewinde. Die schlugen auch noch mit dem Hammer drauf, was ja fast schon brutal ist. Denn es geht doch in diesem Stadium vor allem um das Gequetschte.

Kapitel 6

»Mach doch mal das Gequatsche aus«, blaffte Kriminalhauptkommissar Felix Tixel seinen jungen Kollegen, Kriminalhauptmeister Johannes Winter, an, der ihren zivilen BMW durch den Feierabendverkehr Münchens steuerte.

»Aber das ist der Zar«, widersprach Johannes, der sich jetzt schon hin und wieder traute, dem von ihm bewunderten Kollegen etwas entgegenzusetzen.

»Ach, wirklich?«, fragte Felix und drehte das Radio lauter.

Der Zar hatte eine sympathische Stimme, und was er sagte, klang ebenso. Wie glücklich er sei, nach so langer Zeit der Abwesenheit wieder durch Deutschland zu touren, gerade in München, wo er doch quasi aus Bayern stamme, wenn ihm auch bewusst sei, dass er als gebürtiger Allgäuer hier, er lachte, nicht für voll genommen werde.

»Meine Freundin fährt total auf den ab«, gestand Johannes.

»Aha«, brummte Felix, der sich schon so manches Mal gewundert hatte, dass Johannes überhaupt eine hatte. Der 27-Jährige konnte manchmal aussehen, als sei er noch Jahre von seiner ersten Akne entfernt mit seiner milchigen, fast bartlosen Haut, den hellen Wimpern und semmelblonden Haaren.

Im Radio erzählte der Zar, dass er, obwohl er sich in erster Linie vegetarisch ernähre, morgen sicher Weißwürste essen würde. Dass das ja vielleicht gar keine Würste im engeren Sinne seien, sagte der Moderator. Der Zar lachte erneut. Seine Stimme klang voll, er sprach hochdeutsch, ließ aber manchmal eine kleine süddeutsche Note einfließen. Alles Show, dachte Felix. Solche wie der lügen doch, wenn sie den Mund aufmachen.

Ob der Zar abergläubisch sei, fragte der Moderator. Er gebe drei Konzerte in München, am Donnerstag, Samstag und Sonntag. Ob das etwas damit zu tun habe, dass am Freitag der 13. sei. Der Zar verneinte. Ganz im Gegenteil. Die Dreizehn gehöre zu seinen Lieblingszahlen.

Johannes seufzte: »Ich wollte meiner Freundin zum Geburtstag Konzertkarten schenken. Ich bin um fünf aufgestanden und habe mich angestellt – keine Chance.«

»Du brauchst Karten für das Zar-Konzert?«, fragte Felix locker, während er einen Hund beobachtete, der an einem Laternenpfahl schnupperte.

»Wer braucht die nicht! Weißt du, was die am Schwarzmarkt wert sind?«

»Kann ich dir besorgen«, sagte Felix. »Wie viele?«

»Zwei. Aber nein, das kann ich mir nicht leisten.«

»Die kriegst du geschenkt.«

»Was?« Johannes blieb der Mund vor Staunen offen stehen.

»Hab da so meine Verbindungen.«

»Wie? Also was? Ich meine ...«

»Das wird sich regeln lassen.«

»Und wenn ich da Dienst habe?«

»Auch das.«

»Danke«, stammelte Johannes. »Das ist ... Wahnsinn! Danke! Gehst du auch zum Konzert?«

»Bestimmt nicht. Mit dem Lackaffen hab ich nichts am Hut«, erklärte Felix im Brustton der Überzeugung, und Johannes kapierte gar nichts mehr. Aber das kannte er ja schon, dass sich Felix Tixel zuweilen seltsam benahm, und am Ende hatte er doch recht. Deshalb war er ja so stolz, dass er von diesem erfahrenen Cop lernen durfte. Im Revier in Fürstenfeldbruck galt er als der Beste. Aber auch der Sturschädeligste, wie der Erste Kriminalhauptkommissar Leopold Chefbauer nicht müde wurde zu bemängeln.

»Das ist ein solcher Schmarrn«, sagte Felix plötzlich. »Jetzt bin ich fünf Minuten von meiner Wohnung entfernt, und wir fahren eine halbe Stunde in die Dienststelle, damit ich dann wieder zurückfahre.«

»Ja, warum suchst du dir nicht eine Wohnung in Fürstenfeldbruck?«

»Ich könnte mich auch nach München versetzen lassen«, sagte Felix.

Johannes riss die Augen auf. »Nein!«, entfuhr es ihm.

Felix lachte »War nur Spaß. Das mach ich bestimmt nicht. Wenn du da Pech hast, ermittelst du den ganzen Tag wegen eines abgefahrenen rechten 3er-BMW-Außenspiegels.«

»Aber so was ist doch kein Fall für die Mordkommission!«

»Du, sag das nicht«, grinste Felix. »Für manche Leute ist das quasi Mord.«

Im Radio erzählte der Zar, dass er sich vor einem Auftritt warmspiele und innerlich vorbereite – allein in seiner Garderobe. »Und nach dem Konzert?«, fragte der Moderator. »Stimmt es, dass Sie sich da als Erstes immer die Hände waschen? Und wenn das so ist, warum?«

Wieder lachte der Zar sein sympathisches Lachen. Dann senkte er seine Stimme zu einem vertraulichen Ton »Ich habe noch nie darüber nachgedacht. Es ist einfach so. Ich wasche mir die Hände vor und nach dem Spielen. Vielleicht ist es eine Ehrerbietung gegenüber dem Instrument.« Er klang ein wenig verlegen.

Heuchler, urteilte Felix stumm.

»Total netter Typ«, kommentierte Johannes.

Der Zar erzählte von den Aufnahmen zu seiner aktuellen CD. Dann wurde der Titelsong gespielt.

»So ein Gesülze«, kommentierte Felix.

»Der singt doch gar nicht!«

»Trotzdem«, knurrte Felix.

»Aber der kann was!«, verteidigte Johannes den Zar. »Der hat mit dem Klavier angefangen, da konnte er noch nicht laufen.«

»Mit drei Jahren kann man laufen«, entgegnete Felix. »Auch wenn der Vater bei der Post arbeitet.«

Verwirrt musterte Johannes ihn. »Ich dachte, du magst den Zar nicht?«

»Ja, und?«

»Wieso weißt du so viel über den, wenn du ihn nicht ausstehen kannst?«

»Man sollte seine Feinde besser kennen als seine Freunde«, erwiderte Felix.

Sie kamen 45 Minuten zu spät zu dem Gespräch mit dem Besitzer des Segelclubs am Starnberger See, auf dessen Gelände die Leiche gefunden worden war. Am Telefon hatte Herr Perchtinger, der den Club mit angeschlossener Werft in vierter Generation führte, bereits erklärt, dass ihm der Tote unbekannt sei. »Also freilich hab ich den kennt. Vom Sehen. Aber deswegen kenn ich den doch ned, wenn ich ihn grad amal vom Sehen kenn. Da tät ich ja Leute kennen, die ich nie kennenlernen würd, wenn es zum Kennen reichen tät, dass man einen gesehen hat.«