My Dearest Enemy. The Heygate Girls - Anna Husen - E-Book

My Dearest Enemy. The Heygate Girls E-Book

Anna Husen

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Beschreibung

Jetzt das eBook zum Einführungspreis sichern! Manchmal verliebt man sich in die Person, von der man es am wenigsten erwartet ... Der modern erzählte historische New-Adult-Liebesroman »My Dearest Enemy« ist der zweite Band der Academy-Dilogie »The Heygate Girls«, der auch unabhängig von Band 1 lesbar ist. England, 1860. Im Heygate Gate Internat in Southend-on-Sea laufen die Vorbereitungen für den Sommer-Ball auf Hochtouren. Auch Amabel müsste eigentlich überglücklich sein: Sie ist mit dem attraktiven, jungen Adligen John verlobt und freut sich auf ihre baldige Hochzeit. Doch auf dem Ball zeigt John ihr die kalte Schulter und das nicht zum ersten Mal. Er scheint einfach keinerlei romantische Gefühle für sie zu haben. Dafür gerät Amabel heftig mit Johns bester Freundin Harriett aneinander, die mehr über sein distanziertes Verhalten Amabel gegenüber zu wissen scheint. Hat er etwa eine heimliche Geliebte? Zusammen mit ihrer besten Freundin Lucie versucht Amabel hinter Johns Geheimnis zu kommen.  Gleichzeitig stellt Amabel fest, dass sie in Harriets Nähe immer öfter weiche Knie bekommt und jede Menge Schmetterlinge in ihrem Bauch tanzen... Regency Romance rund um zwei Ladies, die sich ineinander verlieben Auch der zweite Band der Dilogie von Anna Husen versprüht erneut Bridgerton-Vibes: Der atmosphärische Liebesroman über Internatsfreundschaften, Erwachsenwerden und selbstbestimmte Liebe entführt dich an die schönsten Orte im viktorianischen England.  Diese beliebten Tropes erwarten dich: - forbidden love - love triangle - arranged marriage - found family Die Autorin Anna Husen hat Band 1 der Academy-Dilogie »My Dearest Lovers - The Heygate Girls« ebenfalls bei Knaur veröffentlicht.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 497

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Anna Husen

My Dearest Enemy

The Heygate Girls

Roman

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Über dieses Buch

Manchmal verliebt man sich in die Person, von der man es am wenigsten erwartet …

England, 1861: Amabel ist mit dem attraktiven, jungen Adligen John verlobt und ihre baldige Hochzeit steht bevor. Doch auf dem Sommerball zeigt er ihr nicht zum ersten Mal die kalte Schulter. Dafür gerät Amabel heftig mit Johns bester Freundin Harriett aneinander, die mehr über sein seltsames Verhalten zu wissen scheint. Hat John etwa eine heimliche Geliebte? Auf der Suche nach Antworten bemerkt Amabel, dass sie in Harriets Nähe Schmetterlinge in ihrem Bauch tanzen …

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Epilog

Danksagung

Für alle, die groß träumen.

Macht weiter, gebt niemals auf.

Ich sehe euch.

Kapitel 1

Amabel

Heygate Boarding School, Oktober 1860

Ich liebte den Herbst mit seinen fallenden Blättern und dem harschen Wind … Aber noch viel mehr liebte ich diese Tage, wenn der Sommer zurückkehren wollte, wenn die Sonne verzweifelt versuchte, noch einmal durch die dicke Wolkendecke zu gelangen. Wenn es nachts begann zu regnen und es sich so anfühlte, als würden die Erlebnisse des Sommers in der Dunkelheit fortgewaschen werden. Als würde der Himmel noch dunkler werden, als er schon war, und der Wind wispern: Ich bin hier.

Genau so eine Nacht war heute. Meine Finger tänzelten über die Fensterscheibe, die Gaslampe warf Schatten an die Wände, und ein Donnerwetter braute sich über dem Meer zusammen. Ich seufzte leise, während Gedanken durch meinen Kopf huschten wie Vögel auf ihrem Flug gen Süden.

Wer zur Hölle ist Harri?, fragte ich mich zum tausendsten Mal, und die Antwort war wie immer Schweigen.

Seit Lucies und Arthurs Verlobungsfeier waren nun zwei Wochen vergangen, und immer noch bekam ich diesen vermaledeiten Gedanken nicht aus dem Kopf. John, der mit seinem Studienkollegen über einen Harri gesprochen hatte.

Du sollst dich nicht mehr vor dir selbst verstecken und endlich mit der Wahrheit rausrücken.

Was war damit gemeint? Wieso sollte sich John – gerade John Hold mit seinem faszinierenden Lächeln, unvergleichlichen Charme und diesen rabenschwarzen Locken – vor irgendetwas verstecken? Ich sollte dankbar sein, dass er mein Verlobter war. Aber … ich konnte ihn nicht lieben, und selbst wenn ich es gekonnt hätte, musste ich mich damit abfinden, dass er mich doch immer nur abwies. Er zeigte mir keinerlei Zuneigung – von Anfang an schon nicht.

Es klopfte leise an meiner Zimmertür, und ich fuhr erschrocken zusammen. Mit einem leisen Quietschen schwang die Tür auf. Lucie trat ein, sie trug eine Lampe in der Hand und der schwache Schein des Lichts erhellte ihre ebenmäßigen Gesichtszüge. Gott, noch immer begann mein Herz ein wenig wehmütig zu klopfen, wenn ich sie ansah. Wenn ich daran dachte, dass ich Gefühle für sie entwickelt hatte, die über eine Freundschaft hinausgingen.

Aber das war in Ordnung. Ich hatte in den letzten Wochen viel mit Lucie über uns gesprochen und war im Reinen mit meinen Gefühlen. Ich liebte sie nicht, jedenfalls nicht so, wie … ein Mann eine Frau lieben würde. Nein, sie war meine beste Freundin geworden.

»Was … was tust du hier?«, fragte ich etwas ruppig. Doch Lucie schenkte mir nur ein gutmütiges Lächeln, schloss die Tür hinter sich und setzte sich zu mir auf die Fensterbank.

»Ich hatte Durst und wollte mir Wasser holen, da habe ich gesehen, dass in deinem Zimmer noch Licht brennt.« Sie stieß mich sanft mit der Schulter an. »Woran denkst du?«

Ich seufzte leise und legte meinen Kopf an die kühle Fensterscheibe. Es gab tausend Dinge. Aber ich konnte nichts davon wirklich in Worte fassen. Alles schien wie Nebel, den man versucht mit den Händen zu greifen – ein unmögliches Vorhaben.

»Denkst du an John?«, hakte Lucie sanft nach.

»Mhm …«, machte ich nur und lauschte dem heftigen Wind, der an den Ästen der Bäume zerrte. Dem Rumoren des Gewitters, das sich über uns zusammenbraute.

»Wir werden schon herausfinden, wer Harri ist«, sagte Lucie und ergriff meine Hand. »Und dann finden wir heraus, welches Geheimnis John verbirgt, aber vor allem …«

Sie seufzte ebenfalls und legte ihre Stirn an meine. »Aber vor allem wirst du glücklich werden, Amabel. Das schwöre ich dir.«

Ich musste schmunzeln bei ihren Worten. Lucie hatte ein reines Herz, sie war die liebste Person, die ich kannte. Immer um die anderen besorgt, scherte sie sich zu wenig um ihr eigenes Herz. Nun hatte sie mit Arthur einen Mann gefunden, der sie verstand. Mit dem sie Freude und Leid teilen konnte. Ich freute mich wahrhaftig für sie, aber da war immer noch dieses merkwürdige Prickeln in meinem Nacken, wann immer ich Lucie und Arthur zusammen sah.

Mir war bewusst, dass dieses Gefühl Neid war, und ich schämte mich dafür, so zu empfinden. Ich wünschte mir auch, endlich jemanden zu finden, der mich lieben könnte. So, wie ich war. Eine Frau, der ich mich anvertrauen könnte. Eine Beziehung, die meine Adoptiveltern wahrscheinlich niemals erlauben würden. Und zu allem Überfluss war ich schon mit John verlobt.

John Hold, dessen Adelsfamilie über weitreichende Handelsbeziehungen verfügte, die ihnen hohes Ansehen und Reichtum verliehen. Er ging gemeinsam mit Lucies Verlobtem Arthur Smith einem wirtschaftlichen Studium nach, um irgendwann die Geschäfte von seinem Vater zu übernehmen.

John, der mit seinen zweiundzwanzig Jahren schon sehr erwachsen wirkte.

Und über den ich doch fast nichts zu wissen schien.

Ich schüttelte den Kopf, um die Gedanken an ihn zu vertreiben, und sah Lucie an.

»Danke, dass du für mich da bist …«, flüsterte ich heiser.

Ohne Lucie würde ich mich hoffnungslos verloren in dieser Welt fühlen, die sich viel zu schnell drehte. Ich konnte mit diesem Tempo nicht Schritt halten, hatte jede Sekunde das Gefühl, das Gleichgewicht zu verlieren und in einen bodenlosen Abgrund zu fallen.

Lucie löste sich von mir und verschränkte ihre Hände ineinander. Sie musterte mich aufmerksam, dann glitt ihr Blick nach draußen. »Bald ist der Herbstball, da wirst du John wiedersehen. Und dann begeben wir uns auf Spurensuche …« Sie zwinkerte mir zu und klang dabei so begeistert, als wäre es ein Spiel für sie.

»Du klingst wie ein Detektiv«, murmelte ich halbherzig und gähnte erschöpft.

»Detektivin, wenn ich bitten darf«, korrigierte Lucie mich und lachte leise auf.

»Als ob Frauen so was könnten …«, entgegnete ich frustriert und pustete mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

Lucie sah mich schweigend an, zog ihre Augenbrauen nachdenklich zusammen. »Wir können alles sein, was wir wollen, Amabel. Wir müssen nur dafür kämpfen.«

Lucie sagte diese Worte, um mich aufzuheitern. Das war nett von ihr, aber es änderte nichts an der Wahrheit. Denn wir konnten eben nicht alles sein. Als Frauen aus gutem Hause sollten wir nur eines sein: eine Ehefrau. Und dann auch Mutter. Und beides würde ich … niemals wahrhaftig sein können, denn ich konnte keinen Mann lieben. Doch diese Tatsache war mein Geheimnis und ich dazu bestimmt, John zu heiraten. Dann wäre ich eine unechte Ehefrau und würde eine verlogene Mutter werden. Herr im Himmel, diese Gedanken machten mich wahnsinnig.

Wie kleine Nadelstiche bohrten sie sich in meinen Kopf. Ich biss mir auf die Unterlippe und blinzelte hastig die Tränen weg, die sich in meinen Augen sammelten.

»Denkst du nicht, dass es gut wäre, wenn du mit deinen Eltern über deine Gefühle sprichst?«, fragte Lucie zaghaft. Ihre Stimme klang sanft, und sie beugte sich mir vorsichtig entgegen. Wie ein Tier, das sich bereit machte, sofort zu flüchten. Denn sie wusste, dass sie sich mit dieser Frage auf gefährlichem Terrain bewegte.

»Nein, das denke ich nicht.« Ich war selbst überrascht wegen der Schärfe in meiner Stimme und schlug erschrocken die Hand vor meinen Mund. »Tut mir leid«, murmelte ich betroffen und senkte den Blick.

Lucie rückte erneut ein Stück zu mir heran und zog mich in ihre Arme. »Das muss es nicht …« Sie strich über meinen Rücken, und ich fühlte mich in ihren Armen geborgen. Noch nie hatte ich eine Freundin wie sie gehabt. Noch nie hatte ich mich einem Menschen völlig anvertraut.

»Aber …«, setzte Lucie vorsichtig an, »deine Eltern sind dir doch wichtig, oder nicht?«

Ich hatte Mühe, den dicken Kloß in meinem Hals hinunterzuschlucken.

Lucie erhob sich und holte aus der Tasche ihrer Strickjacke ein kleines, in Tücher gewickeltes Päckchen hervor. Als sie es auswickelte, drang der süßliche Duft von Schokolade in meine Nase.

»Hast du Kuchen aus dem Speiseraum stibitzt?«, fragte ich und hob eine Augenbraue.

»Vielleicht …« Lucie wiegte den Kopf hin und her, ein schelmisches Grinsen huschte über ihre Züge. »Kuchen hilft immer, jedenfalls hat das meine Mama gesagt.« Sie reichte mir ein Stück der Süßigkeit.

Kurz flackerte ein Schatten über Lucies grüne Augen, dann jedoch lächelte sie mich wieder offen an. Sie vermisste ihre Mutter, die erst vor drei Monaten gestorben war. Über den Verlust eines geliebten Menschen kam niemand so leicht hinweg. Das wusste ich selbst am besten.

Selbst nach all den Jahren – nun waren es fast fünfzehn – vermisste ich meine leibliche Mutter schmerzlich. Ich konnte mich kaum noch an sie erinnern. Sie war wie ein Schatten, der durch meinen Kopf geisterte, keine wirkliche Erinnerung. Aber dennoch sehnte mein Herz sich nach ihr.

»Natürlich sind meine Adoptiveltern mir wichtig«, nahm ich den Faden der Unterhaltung wieder auf und seufzte leise. »Sie haben mich nach dem Tod meiner Mutter in ihre Familie aufgenommen, sie haben mir alles gegeben, was ich brauchte. Ohne sie wäre ich in einem Waisenheim aufgewachsen. Ich hätte nicht den Stand in der Gesellschaft, den ich jetzt habe.«

Lucie verspeiste genüsslich ihr Kuchenstück, dann lehnte sie sich an die Fensterscheibe und zog die Beine an die Brust. Nachdenklich blickte sie mich an, sagte jedoch kein Wort.

»Nein, dieser Status in der Gesellschaft ist mir nicht das Wichtigste«, erklärte ich mich, weil ich ahnte, dass Lucie mich darauf hinweisen wollte. »Aber ich habe dadurch ein besseres Leben, eine Chance in dieser Welt. Und ich darf meine Eltern auf keinen Fall enttäuschen, sonst könnten sie am Ende noch bereuen, dass sie mich … dass ich …« Die Worte verhakten sich auf meiner Zunge, fühlten sich verbrannt an, wie Asche, die mit ihrem bitteren Geschmack meine Gedanken vergiftete.

»Oh, Amabel …«, wisperte Lucie und schüttelte sanft den Kopf. »Das glaubst du doch selbst nicht, oder? Sie würden doch niemals bereuen, dass sie dich adoptiert haben. Du hast mir erzählt, dass sie das getan haben, weil sie dir die Liebe schenken wollten, die du verdient hast.«

Das war die Wahrheit. Das war das, was Claire, meine Adoptivmutter, mir immer wieder erzählt hatte. Sie sei meiner Mutter unendlich dankbar gewesen, dass sie ihre Kinder erzogen hatte, die leider alle früh den Tod gefunden hatten. Meine Mama muss eine wundervolle Gouvernante gewesen sein. Nicht nur freundlich und herzlich, sondern auch intelligent und wortgewandt. Claire erzählte mir immer wieder, wie sehr ich ihr ähnelte.

Wenn du deine Stirn krausziehst und mit dem Finger gegen dein Kinn tippst, siehst du aus wie Catherina. Dann ist dein Blick ein wenig nach innen gerückt, und du scheinst am helllichten Tag zu träumen.

Das waren Claires Worte. Und auch wenn sie diese lieb meinte, wenn sie mir die Möglichkeit geben wollte, so meine Mutter in Erinnerung zu behalten, fühlte ich mich elend, wenn sie sagte, dass ich ihr ähnlich war.

Catherina.

Das war nur ein Name, den ich mit nichts verband als mit blassen Erinnerungen. Berührungen von warmen Händen und ein glockenhelles Lachen, das ich mit dem Gefühl von Glückseligkeit verband. Doch all dies kam mir oft vor wie ein ferner Traum, von dem ich nicht mal wusste, ob irgendetwas davon real oder alles nur eingebildet war.

»Trotzdem …« Ich fuhr mit den Fingern über die Fensterscheibe und biss mir auf die Unterlippe. »Ich darf sie nicht enttäuschen, ich muss eine gute Tochter sein. Auch wenn das bedeutet, dass ich John heiraten muss …«

Lucie verzog das Gesicht zu einer Grimasse, als hätte sie auf eine Zitrone gebissen, und würgte ihr letztes Stück Kuchen hinunter.

»Das ist Unsinn, und das weißt du ganz genau, Amabel.« Sie erhob sich und stemmte die Hände in die Hüften. Beinah sah sie aus wie unsere Hauslehrerin Mrs Ham. »Auch du hast es verdient, glücklich zu werden, und ich bin mir sicher, dass deine Eltern das verstehen würden. Außerdem gibt es viele andere Frauen, die so empfinden wie du. Es ist nichts … Verwerfliches.«

»Dafür, dass es so viele Frauen gibt, die wie ich empfinden, habe ich bisher wenige getroffen. Nämlich keine einzige«, antwortete ich schnippisch.

»Vielleicht hast du nur noch nicht gesucht.« Lucie beugte sich zu mir herunter und stupste mir auf die Nase. »Aber eines Tages wirst du deine Liebe finden.«

Ich stöhnte nur leise auf und verdrehte die Augen. »Das sagst du doch nur, weil du dich in Arthur verliebt hast und immer noch in dieser rosa Wolke festhängst.«

Lucie verschränkte die Hände hinter dem Kopf und sah mich an. »Vielleicht, aber ich glaube fest daran, dass es für jeden Topf einen Deckel gibt. Auch für dich, Amabel.«

»Netter Vergleich«, erwiderte ich lapidar, doch trotzdem schlich sich ein Lächeln auf mein Gesicht. »Was würde ich nur ohne dich machen?«

»Du wärst hoffnungslos verloren in dieser großen weiten Welt«, antwortete Lucie inbrünstig und lachte leise auf. »Und nun lass uns zu Bett gehen, damit wir morgen bei Madame Bloom ausgeschlafen sind, wenn wir uns schicke Kleider aussuchen dürfen.«

»Mir steht nicht der Sinn nach Schlaf.«

»Ich weiß, aber wir wollen doch nicht schon wieder Mrs Hams Ärger auf uns ziehen, wenn wir morgen früh nicht pünktlich erscheinen. Gerade jetzt, wo wir uns morgens selbst ankleiden müssen.«

Ergeben nickte ich nur und erhob mich ebenfalls. Mein Dienstmädchen hatte geheiratet, und Lucies Dienstmädchen Mimi lebte seit Kurzem im Magdalena’s House – einem Heim für schwangere und ledige Frauen, die eine Zuflucht brauchten. Mimis Kind würde vielleicht noch in diesem Jahr zur Welt kommen. Somit waren Lucie und ich ohne Hilfe, denn es schien gerade nicht so leicht zu sein, neue Dienstmädchen zu finden. Doch wir wurden immer besser darin, uns gegenseitig Zöpfe zu flechten und die Kleider ordentlich zu schnüren. Auch unsere Zimmer hatten wir schon gemeinsam gereinigt, was ein Heidenspaß gewesen war.

»Gute Nacht, Amabel, träum schön«, sagte Lucie und schlich auf leisen Sohlen zurück in ihr Zimmer.

»Gute Nacht«, erwiderte ich und ließ mich in die weichen Kissen fallen.

Ich wandte den Blick zum Fenster hinaus in die finstere Nacht, lauschte dem fernen Donnergrollen und fragte mich, ob ich eines Tages auch meinen Weg finden würde. So wie Lucie es getan hatte. Ob ich auch irgendwann die Liebe meines Lebens finden würde oder am Ende doch in einer unglücklichen Ehe voller Trostlosigkeit leben musste.

Doch das wollte ich mir nicht vorstellen. Nein, ich wollte an eine gute Zukunft glauben. Daran, dass auch ich es wert war, genau so geliebt zu werden, wie ich war.

 

Der nächste Tag begrüßte mich mit strömendem Regen und einem wolkenverhangenen Himmel. Dunst stieg von den Bäumen auf, die das Heygate-Internat umsäumten. Schläfrig stand ich auf und ging sofort herüber in Lucies Zimmer, die ebenfalls schon wach war. Wir begannen damit, uns gemeinsam für den Unterricht zurechtzumachen. In schweigendem Einvernehmen, um den ruhigen Morgen nicht durch hastige Worte zu unterbrechen. Nur das Rascheln des Stoffes unserer Kleider war in der Stille zu vernehmen sowie das Plätschern des Wassers, das Lucie in die Waschschüssel füllte, und das Klackern der Haarspangen, die wir benutzten, um unsere Haare aufzustecken.

Als wir beide fertig zurechtgemacht waren, betrachteten wir uns kurz im Spiegel. Lucie neigte den Kopf zur Seite. »Das werde ich vermissen, wenn ich im nächsten Frühling nicht mehr hier bin …«, murmelte sie abwesend.

Ich schluckte schwer und sagte nichts. Lucie würde Arthur im Frühling heiraten. Nach den Osterfeiertagen. Dann würde sie Heygate verlassen und auf seinem Landgut leben, sie wäre fort, und ich wäre schon längst nicht mehr hier. Weil ich vor ihr heiraten sollte. Weil ich nicht mehr viel Zeit hatte, bis sich mein Leben für immer ändern würde.

»Oh …« Lucie schlug sich die Hand vor den Mund und warf mir einen schuldbewussten Blick zu. »Ich wollte nicht …«

»Schon in Ordnung«, winkte ich ab. Obwohl Tränen in meinen Augen brannten, erlaubte ich meinen Gefühlen nicht, die Überhand zu gewinnen.

Johns Familie hatte eine klassische Hochzeit im Winter festgelegt, wie es bei ihnen Tradition war. Mir blieben nicht mal mehr drei Monate, bis ich eine verheiratete Frau sein würde. Im Januar würde ich zu John nach London ziehen. Bei ihm leben und mit ihm …

Übelkeit rumorte in meinem Magen, und ich unterdrückte ein Stöhnen.

Ich wollte nicht so viel an John und seine Familie denken. Daran, welchen Einfluss sie in London und auch in Southend durch ihre vielfältigen Beziehungen in einflussreichen Kreisen hatten.

»Vielleicht …«, setzte Lucie an und unterbrach sich sofort wieder.

Sie wusste selbst, dass ein Vielleicht nichts ändern würde. Dass schon ein großes Wunder passieren musste, um meine Situation noch zu ändern.

»Lass uns nach unten gehen. Ich habe Susanne und ihren Mitschülerinnen versprochen, mir vor dem Frühstück noch ihre Hausaufgaben für Geschichte anzusehen.«

Lucie lächelte versonnen und drückte meinen Arm. »Du bist so gutmütig und geduldig, du solltest Lehrerin werden.«

Ich schnaubte belustigt und hakte mich bei ihr unter. Sie wusste genauso gut wie ich, dass man nicht eine verheiratete Frau und Lehrerin sein konnte. Alle Lehrerinnen waren entweder unverheiratet oder Witwen. Verheiratete Frauen arbeiteten nicht. Jedenfalls nicht mit einem gesellschaftlichen Status, wie wir ihn innehatten. Während in der Arbeiterklasse Frauen wie Männer gleichermaßen schufteten, würden wir Mädchen aus feinem Hause das niemals tun.

Wir verließen unser Zimmer und gingen die Wendeltreppe im Turm hinunter. Wortfetzen und Gespräche drangen an meine Ohren, als wir die Empfangshalle des Heygate-Internats erreichten. Der schwarze Boden glänzte wie frisch gewischt, und der Duft von Zitronen hing in der Luft.

»Amabel!«, ertönte da schon Susannes Stimme. Hastig lief sie auf uns zu. Ihr braunes Haar war zu zwei Zöpfen geflochten und zu Schnecken um ihren Kopf festgesteckt worden, die wild hin und her wippten. Als sie vor uns stehen blieb, schob sie ihre Brille ein Stück höher auf die Nase, während sie die Stirn krauszog. In diesem Augenblick ähnelte sie Mrs Ham frappierend. Ich konnte nicht recht glauben, dass ich so lange nicht bemerkt hatte, dass unsere Hauslehrerin ihre Tante war.

»Geht es dir gut?«, fragte Susanne scharfsinnig, und ihr Blick schweifte zu Lucie.

Diese zuckte jedoch nur die Schultern.

»Macht euch nicht zu viele Sorgen um mich«, schimpfte ich liebevoll und schüttelte belustigt den Kopf. »Ihr müsst mich nicht bemuttern …«

Susanne schien sich da nicht so sicher, denn sie schaute mich weiterhin skeptisch an. Dieses schlaue Mädchen, das sich immer unbemerkt wie ein Schatten durch Heygate bewegte, hatte vor einigen Wochen Lucies und meinen Streit mitbekommen. Nur sie und Lucie wussten von meinen Gefühlen, und Susanne hatte einen großen Teil dazu beigetragen, dass wir wieder als Freundinnen zueinandergefunden hatten.

»Wenn du das sagst …«, murmelte Susanne und schaute über die Schulter zurück.

Zwei Mädchen in ihrem Alter, die über den blauen Kleidern weiße Schürzen trugen, warteten am Eingang zur Bibliothek.

»Soll ich mir eure Hausaufgaben anschauen?«

»Das wäre lieb …« Zögerlich sah Susanne mich an und drückte sich das Buch, welches sie mit sich herumgetragen hatte, an die Brust. »Du kannst das viel besser erklären als Mrs Ristman.«

Ich lachte leise auf und winkte ab. »Das glaube ich nicht, ich tue es nur lieber als Mrs Ristman. Du weißt doch: Sie ist der Meinung, dass junge Mädchen nichts über das Weltgeschehen wissen müssen. Es reicht, wenn …«

»… wir wissen, wie man einen Haushalt ordentlich führt, eine Dinnerparty und einen Ball ausrichtet und welche Blumen man zu welchen Anlässen auf die Anrichte stellt«, beendete Susanne meinen Satz, und ihre Worte klangen wie eine auswendig gelernte Litanei, was sie vermutlich auch waren.

»Richtig!«, mischte sich Lucie ins Gespräch ein. »Und wenn ihr darauf keine Lust habt, dann werdet ihr einfach selbst Lehrerin …« Sie zwinkerte Susanne zu, die ihr Kichern hinter der Hand versteckte.

»Ich gehe dann mit den Mädchen in die Bibliothek«, sagte ich zu Lucie und strich mir eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht.

»Mach das …« Lucies Blick glitt sehnsuchtsvoll nach draußen, und ein geheimnisvolles Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. »Ich glaube, ich gehe noch mal zu den Stallungen.«

»Aha?« Ich zog eine Augenbraue hoch und konnte mir ein wissendes Lächeln nicht verkneifen. »Kann es sein, dass ein gewisser Earl heute mit seinem Stallburschen vorbeikommt, um dem Internat neue Pferde zu verkaufen?«

Lucie lief knallrot an und fuhr sich nervös durch ihre störrischen blonden Locken. Ihre Finger verknoteten sich ineinander, und sie senkte den Blick. Es war niedlich. Wann immer sie vor anderen über ihren Verlobten sprach oder auf ihn angesprochen wurde, schien ihr Körper nicht mehr richtig zu funktionieren. Erst sobald sie mit ihm zusammen war, schien ihre Schüchternheit wie weggeblasen. Dann sprudelten die Worte nur so aus ihr heraus.

»Kann sein …«, murmelte sie verlegen und schaute an sich herab.

»Lucie …« Ich berührte sie kurz am Arm und lächelte sie an. »Du siehst wundervoll aus … und jetzt geh schon, ehe Mrs Ham hier auftaucht.«

Grinsend zog Lucie mich in eine stürmische Umarmung und lief eilig zur Tür hinaus. Ich schaute ihr lächelnd hinterher, obwohl mein Herz laut aufseufzte. Noch einen Augenblick verharrte ich in der Empfangshalle, bevor ich Susanne in die Bibliothek folgte. Meine Gedanken sprangen wild umher wie Funken eines sterbenden Feuers. Doch ich bemühte mich, die Maske der ruhigen und braven Amabel weiterhin aufrechtzuerhalten, während es in meinem Inneren gefährlich brodelte.

Kapitel 2

Amabel

Southend-on-Sea, Madame Blooms Schneiderei

Hier, dieses dunkle Tannengrün wird Ihnen perfekt stehen, Miss Hastings.« Die geschäftstüchtige Madame Bloom war in ihrem Element. Sie bewegte sich wie ein aufgescheuchtes Huhn durch ihre imposante Schneiderei, wobei ihre Turmfrisur gefährlich wackelte, rief ihren Assistentinnen immer wieder etwas zu, zog Kleider von den Ständern und aus der Auslage und hielt sie uns hin.

Nun musterte sie mich eingehend, als ich das Kleid vor mir betrachtete.

Es war aus eher grobem, warm haltendem Stoff, der trotzdem verführerisch im Licht des Kronleuchters glänzte. Die Ärmel waren lang geschnitten, und eine Tournüre würde das Kleid um die Hüfte ausladender machen. Doch obwohl mir das Kleid gefiel, war ich nicht glücklich damit. Ich würde mir irgendwie verkleidet darin vorkommen.

»Es gefällt Ihnen nicht?« Madame Blooms fein gezupfte Augenbrauen schossen in die Höhe, und sie musterte mich aufmerksam.

»Ich …«, setzte ich an und stieß ein Seufzen aus, als der Blick der Schneiderin mich zu durchbohren schien. »Ich weiß nicht recht, mir ist bewusst, dass dies ein Herbstball ist, aber ich fühle mich nicht wohl in so dunkler Kleidung …« Ich biss mir auf die Unterlippe und wandte beschämt den Blick ab.

Das war nicht die Wahrheit, aber Madame Bloom schien die stumme Botschaft zwischen meinen Worten zu verstehen. Sie klatschte in die Hände und reichte das Kleid einer der anderen Frauen.

»Also etwas Farbenfrohes …«, sinnierte sie und legte einen Finger an ihr Kinn. »Aber warm muss es sein, sonst holen Sie sich noch den Tod bei der Nässe dort draußen.«

Mein Blick glitt zum Fenster. Dicke Regentropfen rannen die Scheibe hinab, und der Himmel war ein einziges Chaos aus grauen Wolken und Donnergrollen. Genau das perfekte Wetter, um sich mit einem guten Buch auf einigen Decken vor den Kamin zu setzen und völlig in einer Geschichte zu versinken.

Doch ich stand hier auf einem Podest, genauso wie Lucie, Cecily und Clary sowie einige andere Mädchen aus unserer Klasse, um für den Herbstball angemessen eingekleidet zu werden.

Zu unserer aller Überraschung hatte uns jedoch nicht Mrs Ham begleitet, sondern eine neue Lehrerin, die vor wenigen Tagen in Heygate angekommen war. Miss Heartwell war Anfang zwanzig, eine unverheiratete Frau, die ihre Ausbildung zur Lehrerin in London an einem Seminar gemacht hatte. Ihr Kopf schien voll neuer Ideen für das Internat und unsere Lehrstunden zu sein, was dafür gesorgt hatte, dass sie innerhalb weniger Tage mit Mrs Ham in Konflikt geraten war.

Doch genau darum liebten die Schülerinnen Miss Heartwell. Sie war jung, brachte frischen Wind nach Heygate, und zudem war sie noch außerordentlich hübsch. Ihre gezwirbelten Locken hatten die Farbe von Kupfer, ihre Wangen waren rosig, die Wangenpartie markant, aber trotzdem sanft. Aber vor allem behandelte sie uns nicht wie dumme Mädchen, die von Wissen ferngehalten werden sollten, und das mochte ich sehr an ihr.

»Kann ich bei der Auswahl des Kleides für Miss Hastings behilflich sein?«, fragte nun Miss Heartwell und trat zu uns.

Madame Bloom wiegte den Kopf hin und her, dann nickte sie überraschenderweise. »Miss Hastings wünscht sich ein farbenfroheres Kleid als dieses Tannengrün. Aber natürlich muss es warm sein, am besten mit Wolle unterfüttert, denn Sie wollen sicherlich nicht, dass Ihre Mädchen nach dem Ball alle erkältet sind.«

Wenn mich eine Erkältung vor der Heirat bewahren könnte, dachte ich verdrossen und warf Lucie einen Blick zu, die auf einem Podest an der anderen Seite stand. Sie probierte gerade ein himmelblaues, weit fallendes Kleid an, das mit einem eckigen Ausschnitt ihr Dekolleté wunderbar betonte. Die Ärmel waren ebenfalls lang, und das Kleid schmiegte sich perfekt an ihren Körper. Vor einigen Monaten hätte der Anblick bei mir rasendes Herzklopfen verursacht, doch nun sah ich in Lucie nur meine beste Freundin, keine verlorene Liebe mehr.

Sie schien meinen Blick richtig zu deuten und schnitt eine belustigte Grimasse. Auch ohne Worte schaffte sie es, mir ein warmes Gefühl in der Magengegend zu verschaffen.

»Nun …« Miss Heartwell sah mich neugierig an und drehte sich dann einmal um die eigene Achse. »Ich finde, Ihnen würde ein roséfarbenes Kleid sehr gut stehen, Miss Hastings. Ein wenig verspielt, aber mit klaren Formen und einem engen Schnitt.«

Verwirrt sah ich Miss Heartwell an, doch sofort stieß Madame Bloom einen Pfiff aus und verschwand in einer Ecke des Geschäfts. Ich schaute der Schneiderin irritiert hinterher, da tauchte sie schon wieder auf und hielt ein Kleid auf einem Haken in die Höhe, das mir den Atem stocken ließ.

Es war ein Traum aus Rosé. Der Stoff war um einiges dicker als bei meinen Sommerkleidern und gefüttert mit Wolle. Das Kleid glitzerte hinreißend, denn es bestand aus einem seidigen Material, hatte einen hochgeschlossenen, geschnürten Ausschnitt und lange Ärmel.

»Wie schön …«, flüsterte ich entzückt und strich ehrfürchtig über das Kleid.

»Probieren Sie es an«, forderte Madame Bloom mich auf, und ich begab mich eilig hinter das Paravent.

Als ich das Kleid mithilfe einer der Assistentinnen angezogen hatte, trat ich wieder aufs Podest und wagte einen Blick in den Spiegel.

Ob meine Mama so ausgesehen hat?, fragte ich mich wehmütig. Das Kleid schmeichelte mir in jeder Hinsicht. Es passte perfekt zu meinem hellen Teint und meinen schwarzen Haaren, auch die langen Ärmel gefielen mir außerordentlich gut.

»Sehen Sie, Miss Hastings, es gibt für jeden ein passendes Kleid«, sagte Miss Heartwell und lächelte mich an.

»Ja, es …«

»Du siehst hinreißend aus!« Lucie war zu mir herübergekommen und ignorierte geflissentlich die Proteste der Angestellten, die mit Nadeln hinter ihr herstakste.

»Danke …«, murmelte ich leise und sah erneut in den Spiegel. Ich fühlte mich hübsch, doch irgendwie auch verloren. Denn tief in meinem Inneren wusste ich, dass John mir niemals so einen begeisterten Blick zuwerfen würde. Sicher würde er mein Kleid nicht als hinreißend bezeichnen, geschweige denn mich.

Ich drehte mich um die eigene Achse, als die Tür zur Schneiderei sich öffnete und die Klingel ertönte. Ein Schwall kalter Luft wehte herein, und eine junge Frau, etwa in meinem Alter, trat ein. Sie schenkte dem Trubel im Ladeninneren keinerlei Aufmerksamkeit, ging mit schnellen Schritten zum Empfangstresen und legte ein Kleid auf den Tisch.

»Hold mein Name«, sagte sie, und ihre Worte klangen abgehackt, wie mit einem Messer geschärft. »Ich soll dieses Kleid hier zur Änderung bringen, mir wurde gesagt, Sie wissen Bescheid.«

»Einen Moment …«, setzte die junge Frau am Tresen an und blätterte durch das Auftragsbuch. »Ah, ja! Hier habe ich es, Miss Hold, ich …«

»Wunderbar«, unterbrach die fremde Frau sie und nickte nur. »Lassen Sie uns bitte mitteilen, wenn das Kleid fertig ist.«

Dann wirbelte sie herum und steuerte den Ausgang des Ladens an. Ich wollte den Blick von ihr abwenden, doch ich konnte nicht. Ihre blonden Locken waren zu einem Zopf hochgesteckt, leicht rötliche Strähnen durchzogen das Haar, und auf ihrem Kopf thronte ein imposanter blauer Hut mit Federn. Sie trug ein dunkelblaues schlichtes Kleid, das trotzdem fein geschneidert aussah. Doch allein anhand ihres Verhaltens konnte man erkennen, dass sie zur Oberschicht gehörte.

Als die Frau schon eine Hand auf den Türgriff legte, schaute sie plötzlich zu mir, und ein winziges Lächeln umspielte ihre Züge. Der Blick aus ihren graublauen Augen schien mich regelrecht zu durchbohren, und mein Herz schlug plötzlich so schnell wie die Hufe eines galoppierenden Pferdes.

»Schickes Kleid«, sagte sie unvermittelt, tippte sich gegen den Hut und schenkte mir ein Grinsen.

Dann verschwand sie, und ich blieb wie vom Donner gerührt zurück.

»Sie hat Hold gesagt«, murmelte Lucie neben mir und zupfte mich am Arm.

»Was?«, fragte ich irritiert, verstand ihre Worte überhaupt nicht, denn das Bild dieses anmutigen und doch beinah ruppigen Mädchens hatte sich in mein Gedächtnis eingebrannt.

»Sie hat gesagt, dass sie etwas hierherbringt auf den Namen Hold!«, wiederholte Lucie ihre Worte, und endlich machte es klick in meinem Kopf.

»Das ist Johns Familie!«, rief ich etwas zu laut aus, sodass einige Mitschülerinnen den Kopf zu mir umdrehten. Erschrocken schlug ich mir die Hand vor den Mund und senkte den Blick, während Hitze in meine Wangen schoss.

»Blitzmerkerin«, murmelte Lucie grinsend und schaute zur Tür. »Kennst du sie? Vielleicht Johns Schwester oder so?«

»Glaubst du, ich wüsste nicht, wenn mein Verlobter eine Schwester hätte?«, fragte ich pikiert, während Madame Bloom mein Kleid genauer betrachtete und Nadeln hineinsteckte, um kleine Änderungen vorzunehmen.

»Na ja …« Lucie hob die Hände und warf mir einen eigenartigen Blick zu. So, als würde sie sagen: Du interessierst dich nicht für deinen Verlobten, möglicherweise weißt du nicht alles über seine Familie.

Ich schnaubte undamenhaft, als ich das Podest verlassen durfte, und zog mich, gefolgt von Lucie, hinter das Paravent zurück.

»Ich habe wirklich nicht die geringste Ahnung, wer sie ist. Aber vielleicht finden wir das heraus, wenn wir auf dem Herbstball bei Johns Familie in London sind.«

»Wir werden nicht auf dem Anwesen der Familie Hold feiern«, entgegnete Lucie trocken.

Ich zuckte wie von einem Schlag getroffen zusammen.

»Was?«, krächzte ich verwirrt und kramte in meinem Gedächtnis, wann zum Teufel ich die Nachricht verpasst hatte, dass wir nicht zum Herbstball nach London fahren würden.

»Das heißt immer noch ›Wie bitte‹, du Dussel«, schalt mich Lucie liebevoll und grinste. »Der Ball wird auf Arthurs Anwesen stattfinden, denn der Vater deines Verlobten hat die hohen Herren der Politik am Datum des Herbstballs geladen.«

»Ah«, machte ich dümmlich und zog mir mein blaues Schulkleid wieder über.

»Das hat uns Mrs Ham vor einer Woche mitgeteilt.« Lucie musterte mich ernst und nahm mein Handgelenk. »Kann es sein, dass du mit deinen Gedanken in letzter Zeit überall und nirgends bist, Amabel?«

Das stimmte leider, und nun war ich mit meinen Gedanken auch noch bei dieser Frau mit den rotblonden Haaren und den sturmgrauen Augen.

Gott, warum schlägt mein Herz bloß so schnell, wenn ich an sie denke? Ich legte eine Hand auf meine Brust.

Lucie beugte sich vor und schaute mir tief in die Augen. »Du denkst an diese Frau«, bemerkte sie scharfsinnig, und Hitze flutete meinen Körper wie ein Feuer.

»Das ist Blödsinn«, erwiderte ich abweisend und straffte die Schultern. »Sie sah nur nett aus.«

»Nett?«, äffte mich Lucie nach und wackelte kokett mit den Hüften. »Nett fand ich Arthur auch, als ich ihn das erste Mal gesehen habe.«

»Ach, sei still!« Ich winkte ab und trat wieder hinter dem Paravent hervor.

Da ist nichts, da ist rein gar nichts, schärfte ich mir ein und räusperte mich. Sie war einfach hübsch gewesen, und das konnte ich nicht leugnen, eine schöne Frau ließ mein Herz halt ein wenig schneller schlagen. Da war nichts dabei. Ich würde einen Teufel tun und mich meinem aufgeregten Herzen hingeben, immerhin hatte ich genug andere Probleme.

»Fertig, die Damen?«, fragte Miss Heartwell und lächelte uns an.

»Ja, sind wir. Dürften wir noch ein wenig durch die Stadt spazieren?«, fragte Lucie eifrig und verschränkte die Hände hinter dem Rücken.

»Spazierengehen? Bei dem Wetter? Oder wollen Sie Ihr ehemaliges Dienstmädchen und Ihren Verlobten im Magdalena’s House besuchen?«, hakte Miss Heartwell neugierig nach.

Lucie zog scharf die Luft ein.

»Miss Heartwell, es … woher wissen Sie …«, stammelte sie, und ich kicherte leise.

Wir waren uns beide himmelschreiend ähnlich, wenn uns etwas peinlich war und die Hitze uns in die Wangen schoss.

»Nun …« Miss Heartwell räusperte sich. »Das ist doch kein Geheimnis, welchen Trubel Sie in den letzten Monaten in Heygate verursacht haben, oder?«

Sie schaute zwischen Lucie und mir hin und her, ihr Lächeln war weich, beinahe gutmütig.

»Das …«, setzte Lucie an und seufzte dann leise. »Da mögen Sie recht haben, Miss Heartwell. Dürfen wir denn trotzdem ein wenig spazieren gehen?«

»Natürlich dürfen Sie!«, rief die junge Lehrerin und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Erzählen Sie das nur nicht Mrs Ham. Seien Sie pünktlich in einer Stunde wieder zurück, damit wir alle gemeinsam mit den Kutschen zurückfahren können.«

»Versprochen!« Lucie hakte sich bei mir unter und zog mich beschwingt zum Ausgang der Schneiderei.

Die Türklingel schien uns zu verabschieden, als wir ins Freie traten. Wir setzten uns die Hüte gegen den Regen auf die Köpfe und blieben einige Sekunden wie versteinert auf dem Gehsteig stehen.

Der Regen hatte nachgelassen, und das Donnergrollen schien sich langsam zu entfernen, doch noch immer türmten sich die Wolken gefährlich am Himmel. Nervös rieb ich mir über die Arme, um die Gänsehaut zu vertreiben, während sich immer wieder das Bild dieser mysteriösen Miss Hold vor mein inneres Auge schob.

»Du denkst schon wieder an sie«, bemerkte Lucie grinsend, während wir über die Promenade spazierten und in die Southend Lane einbogen.

Diese Straße war die Lebensader von Southend, breit angelegt, sodass mehrere Kutschen und Karren auf ihr Platz fanden. Links und rechts von uns erstreckten sich Geschäfte wie Schreibwaren- und Modeläden, kleine Schneidereien, das Telegrafenamt, Eckläden, in denen Speisen und Süßigkeiten verkauft wurden, sowie einige Kaffeehäuser und Bars.

»Tue ich nicht«, erwiderte ich ein wenig zu heftig und verschränkte die Arme vor der Brust. Wir blieben vor einem kleinen Geschäft mit allerlei Krimskrams und Spielzeug stehen. Geschnitzte Holzfiguren und eine Modelleisenbahn zierten das Schaufenster, und auf Lucies Gesicht machte sich ein rührseliger Ausdruck breit.

»Irgendwann, wenn ich selbst Kinder habe, werde ich hier für sie einkaufen. Sind die Figuren nicht niedlich?«

»Ich hätte nicht erwartet, dass du vom Thema ablenkst«, sagte ich, obwohl es mich nicht störte.

Sie schaute mich von der Seite an und zuckte mit den Schultern. »Wenn du über etwas nicht reden willst, dann ist es ohnehin sinnlos, dich danach zu fragen. Deswegen spreche ich lieber über Kinderspielzeug.«

Sie hakte sich wieder bei mir unter, und wir gingen am imposanten Theater von Southend vorbei. Das Good Old Palace Theatre war ein mehrstöckiges Gebäude aus braunrotem Backstein. Mehrere Eingänge, die mit Rundbögen verziert waren, führten ins Innere, und eine große Tafel pries die neusten Vorstellungen an. Mittig über dem Haupteingang gab es eine kleine Dachterrasse, links und rechts davon zwei kleine Kuppeltürme.

Ich liebte das Theater und hoffte inständig, dass Mrs Ham dieses Kulturerlebnis noch mal für uns möglich machen würde. Es war ewig her, dass ich mit meiner Klasse im Theater gewesen war. Die neuen Stücke waren laut Mrs Ham zu vulgär, nichts für den schwachen Verstand von jungen Damen aus gutem Hause.

»Du bist heute wirklich außerordentlich gesprächig«, merkte Lucie mit einem sarkastischen Unterton an und neigte den Kopf zur Seite.

»Wärst du mir böse, wenn ich nicht mit zum Magdalena’s House kommen würde?«, platzte es aus mir heraus.

Lucie löste sich von mir. »Nein, überhaupt nicht. Möchtest du lieber deine Ruhe haben?«

Ich nickte missmutig, und Lucie schloss mich kurz in ihre Arme. »Wir treffen uns bei der Schneiderei«, sagte sie, hob die Hand zum Abschied und machte sich auf den Weg zu Mimi.

Ich blieb noch einen Augenblick mitten auf der Southend Lane stehen. Umgeben von schepperndem Lärm, Wortfetzen und dem Geruch von frischen Backwaren. Dann ging ich mit langsamen Schritten hinunter Richtung Wasser, passierte das Royal Hotel gegenüber dem Pier und spazierte die Brücke entlang. An deren Ende setzte ich mich auf eine Bank, deren Holz feucht war vom Regen, doch es kümmerte mich kaum, als die Kälte durch meinen Körper wanderte und der Stoff des Mantels nass wurde.

Der graue Himmel und das dunkle Meer schienen miteinander zu verschmelzen. Mein Herz fühlte sich bleischwer an.

Ach Mama, dachte ich traurig und verschränkte die Hände ineinander. Warum hast du mir nichts zurückgelassen? Kein einziges Wort, an welchem ich mich festklammern könnte?

Doch meine verstorbene Mutter antwortete mir nicht, stattdessen schwoll der Sturm in meinem Inneren zu einem Tosen an, das in meinen Ohren klingelte.

Was sollte ich nur tun? Ich liebte John nicht, hatte jedoch nicht die geringste Ahnung, was mit ihm los war.. Ich konnte ihn nicht lieben, aber wie sollte ich das meinen Adoptiveltern offenbaren? Und warum zur Hölle war John mir gegenüber so abgeneigt? Vielleicht gab es schon eine Frau in seinem Leben … jemanden, der unter seinem Stand war. Und dieser Harri, von dem auf der Verlobungsfeier von Lucie und Arthur die Rede war, schien davon zu wissen.

Steh endlich zu dir selbst.

Das waren die Worte gewesen, die dieser Harri an John gerichtet hatte.

»Vielleicht liebt er wirklich eine andere«, murmelte ich in Gedanken versunken.

Doch das wäre eigentlich gut, das wäre vielleicht unser beider Rettung. Gemeinsam könnten wir unsere Eltern von dieser Verlobung abbringen, wenn John mich ebenfalls nicht heiraten wollte, wie es den Anschein hatte.

Leicht würde es sicherlich nicht werden. Johns Familie war angesehen und bekannt, in England alteingesessen. Seine Mutter besuchte Benefizveranstaltungen, und sein Vater reiste wegen des florierenden Handels herum.

»Wenn er eine andere liebt, dann sind Sie viel zu gut für ihn«, sagte eine weibliche Stimme und riss mich mit einem Schreck aus diesem Chaos in meinem Kopf. Ich hob verblüfft den Blick und schaute zum zweiten Mal an diesem Tag in graublaue Sturmaugen.

»Sie … Sie waren vorhin in der Schneiderei«, brachte ich über die Lippen und erhob mich schwankend.

Die wunderschöne Frau von vorhin stand mir gegenüber, musterte mich mit diesem koketten Blick und schob sich galant eine Haarsträhne hinters Ohr.

»In der Tat, gut kombiniert, Miss …?«

»Hastings, Amabel Hastings«, antwortete ich atemlos, während mein Herz Purzelbäume schlug.

Ein merkwürdiger Ausdruck huschte über die Gesichtszüge der Frau. Schnell und nur für den Bruchteil einer Sekunde ergriff sie meine Hand, legte einen winzigen Gegenstand hinein und drehte sich dann auf dem Absatz um.

»Ich wünsche noch einen schönen Tag, Miss Hastings. Lassen Sie sich nicht unterkriegen von den Männern dieser Welt.«

»Was?« Ich stand wie versteinert auf dem Pier, und ein eisiger Schauer rieselte meinen Rücken hinunter.

Ich habe sie schon wieder nicht nach ihrem Namen gefragt, fiel mir ein, und ich biss mir verärgert auf die Unterlippe.

Gott, ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, dabei hatte ich diese junge Frau erst zweimal gesehen. Wie konnte das sein?

Ich runzelte die Stirn und öffnete die Hand, in die die Frau etwas hineingelegt hatte. Noch immer umgab mich das Rauschen des Meeres.

Was ist das?, fragte ich mich verwirrt und starrte auf meine Handinnenfläche.

Die Frau hatte einen winzigen Anhänger hineingelegt. Es war ein goldener Vogel, der seine Flügel ausbreitete. Die Arbeit war filigran, und das Gold glänzte matt im Regen.

Tausend Gedanken schwirrten durch meinen Kopf, während ich das Schmuckstück nachdenklich zwischen den Finger hin und her drehte. Da war eine Inschrift auf dem Vogel eingraviert.

Veritas in amore.

In der Liebe liegt die Wahrheit.

Ich kannte diese Inschrift, dieses Credo. Es war das von Johns Familie. Sie musste wirklich mit ihm verwandt sein. Aber warum zur Hölle … Moment, nein …

»Sie weiß, wer ich bin«, platzte es aus mir heraus, und ein Ehepaar, das gerade über den Pier spazierte, sah mich mit skeptischem Blick an.

Sie mussten denken, dass ich verrückt geworden war. Und vielleicht stimmte das auch. Ich stand hier mutterseelenallein auf dem Pier von Southend, sprach mit mir selbst und hielt einen Anhänger in der Hand, den mir eine völlig unbekannte Frau geschenkt hatte. Die mich allein mit ihren Worten und ihrem Anblick in den Bann gezogen hatte.

Wer in Gottes Namen bist du, schöne Fremde?, dachte ich verwirrt und schloss meine Finger um den goldenen Vogel.

Ich beschloss, das auf jeden Fall herauszufinden, koste es, was es wolle. Denn wenn ich ohnehin vor dieser großen Entscheidung stand, einem Abgrund gleich, konnte ich auch noch tiefer in die Finsternis hineintreten. Vielleicht würde sich mir dann auch wieder ein Licht offenbaren.

Kapitel 3

Amabel

Außerhalb von Southend-on-Sea, Grafschaft der Familie Smith, Oktober 1860

Ich mochte das Anwesen von Arthurs Familie. Wie schön es ist, dachte ich, obwohl ich es nicht zum ersten Mal betrachtete.

Lucie und ich stiegen gerade aus der Kutsche, und wieder konnte ich mich an dem Anblick nicht sattsehen, auch wenn ich bereits zu ihrer Verlobungsfeier hier gewesen war.

Um uns herum hielten mehrere Kutschen, aus denen weitere Gäste stiegen, die den Abend bei Arthurs Familie verbringen würden.

Die weißen und grauen Steine, aus denen die imposante Villa erbaut war, ließen mein Herz auf eine eigentümliche Weise zur Ruhe kommen. Sie glänzten wie Marmor. Der Anblick gefiel mir viel besser als die rote Fassade von Johns Zuhause.

»Bist du wirklich so gefesselt vom Hause meines zukünftigen Ehemannes?«, neckte mich Lucie, die meinen Blick bemerkt hatte.

Ich stieß ihr lächelnd meinen Ellbogen in die Seite und betrachtete erneut die meterhohen Fenster der Villa, den kleinen Turm, der sich linker Hand erhob, und die runde Grünfläche, die im Winter nur spärlich bepflanzt war. Doch in dem Springbrunnen badeten tatsächlich einige Vögel. Ich sog die kalte Luft ein und nahm den scharfen Geruch vom Rauch eines Kamins wahr, während Lucie und ich mit langsamen Schritten aufs Gebäude zugingen.

Arthur begrüßte am Eingang alle eintreffenden Gäste. Als er Lucies Hand zu seinem Mund führte, verharrten die beiden einen Tick länger in dieser zarten Berührung als angemessen.

»Guten Abend, mein Glücksmädchen«, flüsterte er Lucie zu, und sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.

Dann wandte Arthur sich mir zu und grinste. »Ihnen auch einen wundervollen Abend, Miss Hastings.«

»Du Charmeur«, erwiderte ich und nickte ihm zu. »Ist mein Verlobter schon zugegen?«

Arthur schaute nach drinnen über die Schulter. »Ja, er ist bereits mit Morton in den Saal gegangen. Aber wie ich die beiden kenne, stehen sie nun auf dem Balkon und rauchen.«

Ich verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. Obwohl John abweisend mir gegenüber war, wenn es um Gefühlsbekundungen ging, so war er doch immer freundlich und höflich. Daher störte es mich auf eine merkwürdige Art und Weise schon, dass er rauchte, obwohl es bei jungen Männern beinah die Norm war.

»Gräm dich nicht, Amabel. Ich bin sicher, dass es hier eine Menge Ladys gibt, die mit dir tanzen wollen anstelle von John«, sagte Arthur und ließ den Blick wandern. »Das Kleid steht dir wundervoll.«

»Bei Gott!« Ich winkte lachend ab. »Solche Komplimente solltest du eher deiner Verlobten machen.«

Arthur lächelte sanft, beugte sich zu Lucie hinüber und hauchte ihr einen flinken Kuss auf die Wange. »Lucie weiß doch ohnehin, dass sie die Schönste für mich ist.«

Meine Freundin lief knallrot an, murmelte ein paar unverständliche Worte und ging eilig ins Innere der Villa.

»Jetzt hast du sie verlegen gemacht«, schalt ich Arthur lächelnd.

»Sag ihr, ich mache es mit einem Tanz wieder gut.«

Ich nickte ihm noch mal zu und folgte Lucie hinein. Warme Luft erfüllte meine Lunge. Mit einem dankbaren Nicken gab ich einem Dienstmädchen meinen gefütterten Wollmantel.

Die Empfangshalle war reichlich geschmückt mit wundervollen Blumenbouquets in Ozeanblau. Der dunkle Holzboden spiegelte das Licht der Kronleuchter, und leise Musik drang aus der großen Halle, die sich geradezu hinter der Treppe öffnete.

»Deswegen war es mir entgangen, dass die Villa von Arthurs Familie über einen Ballsaal verfügt. Die Türen waren beim letzten Mal geschlossen, und sie verschmelzen beinah mit der Treppe und der Wand.«

»Clever, oder?«, fragte Lucie und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. »Arthur hat mir erzählt, dass es einige solcher geheimer Türen und Orte gibt. Ich bin schon ganz versessen darauf, diese Villa zu erkunden.«

»Du bist wirklich eine Detektivin.«

»Und genau deswegen machen wir uns jetzt auf die Suche nach diesem mysteriösen Harri.« Lucie zwinkerte mir zu und hakte sich bei mir unter.

Sie zog mich sanft mit zum Saal, wo wir Arthurs Mutter begrüßten, die mit einigen anderen Ladys auf einer Récamiere Platz genommen hatte und die Tänze der jungen Leute beobachtete.

Ich versuchte meinen hektischen Atem zu beruhigen, denn es grauste mir davor, auf John zu treffen. Als ich plötzlich eine ganz andere Stimme hinter mir vernahm, zuckte ich heftig zusammen.

»Amabel! Endlich haben wir dich in diesem Trubel gefunden.«

Mir stockte der Atem, und ich wirbelte herum. »Mutter …«, wisperte ich heiser und sah sie an.

Ich empfand tausend Emotionen gleichzeitig, sie rauschten durch meinen Kopf und dröhnten laut in meinen Ohren. Mir wurde gleichzeitig warm und eiskalt ums Herz. Meine Adoptivmutter, Claire Hastings, trug ein dunkelblaues Kleid mit einer ausladenden Krinoline, die den Stoff um ihre Hüften aufbauschte. Der Schnitt war eher konservativ und betonte ihre weiblichen Rundungen. Ihr dunkelblondes Haar war zu einem eleganten Dutt hochgesteckt.

Erfreut lächelte sie mich an.

»Was ist denn das für eine Begrüßung?«, fragte sie, zog mich lachend in ihre Arme und hauchte mir einen Kuss auf die Wange. »Du siehst hinreißend aus.«

Ich nickte lächelnd, und mein Blick fiel auf meinen Adoptivvater, Sir Walter Hastings, der wie immer adrett, aber wenig prunkvoll gekleidet war. Gerader Rücken, konzentrierter Blick. Er konnte den Soldaten auch lange nach seiner Zeit beim Militär nicht wieder ablegen.

»Vater«, begrüßte ich ihn nun ebenfalls.

»Du siehst wirklich wunderschön aus, Amabel. John wird verzaubert sein.« Er hauchte einen Kuss auf meine Hand.

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, meine Kehle füllte sich mit ungesagten Worten, die schmerzhaft kribbelten.

Lucie neben mir räusperte sich.

»Du musst Lucie Farber sein«, sagte Claire und klatschte erfreut in die Hände. »Amabels beste Freundin, wie man hört. Und jemand, der für mächtig Trubel in Heygate gesorgt hat.«

Lucie machte eine wegwerfende Handbewegung und lächelte kokett. »Oh, das würde ich nicht sagen. Ich denke eher, dass Heygate ein wenig verschlafen war, bevor ich ankam. Aber ja, die bin ich, und ich habe Amabel fest in mein Herz geschlossen. Es freut mich sehr, nun auch ihre Eltern kennenzulernen.«

»Die Freude ist ganz unsererseits, junge Dame«, erwiderte mein Vater. »Auch Sie sehen ebenso zauberhaft aus und warten sicherlich nur darauf, dass Ihr Verlobter bald fertig ist mit der Begrüßung der Gäste. Sagen Sie, wie lebt es sich hier in England für Sie? Ist es ein großer Unterschied zu Deutschland?«

»Ach …«, begann Lucie zu erzählen, und während sie und mein Vater in Geplauder verfielen, ließ ich meinen Blick durch den reichlich geschmückten Ballsaal schweifen.

Ich versuchte, John in der Menschenmenge auszumachen, um mein Herz für den Moment zu wappnen, wenn er mich zum Tanz auffordern würde. Doch ich entdeckte ihn nicht. Vermutlich hatte Arthur recht und er stand gemeinsam mit diesem Morton rauchend auf einem der Balkone.

Ein Schaudern überkam mich, und im nächsten Moment wusste ich auch, wieso.

Mir stockte der Atem, und ich kniff die Augen zusammen. Zunächst glaubte ich, mir diese Gestalt einzubilden, doch die rotblonden Haare hätte ich überall wiedererkannt.

Die junge Frau aus der Schneiderei! Die unbekannte Miss Hold, dachte ich erfreut und gleichzeitig besorgt – denn was tat sie nur hier?

Ich umfasste Lucies Arm und unterbrach ihre Unterhaltung, die sie mit meinem Adoptivvater führte. »Bitte entschuldigt.« Ich sah meine Eltern mit einem kurzen reumütigen Lächeln an. »Wir haben unseren Verlobten versprochen, ihnen ein Glas Champagner zu holen, um auf unsere gemeinsame Zukunft anzustoßen.«

Lucie sah mich kurz mit zusammengezogenen Augenbrauen an, spielte aber die Scharade mit. »Natürlich! Das habe ich ganz vergessen. Bitte entschuldigen Sie uns, Mrs und Mr Hastings. Wir haben sicherlich heute Abend noch Gelegenheiten für einen Plausch.«

»Aber natürlich!« Claire zog uns beide kurz in ihre Arme. »Habt einen wunderschönen Abend.«

Dann wandte ich mich schnell ab, und Lucie folgte mir mit wackligen Schritten.

»Nicht so hastig!«, zischte sie mir zu. »Diese Absätze bringen mich noch um.«

»Nur die?«, fragte ich grinsend und ging mit Lucie in den hinteren Teil des Ballsaals, wo eine Treppe nach oben führte.

»Witzig«, murmelte Lucie und hielt inne, als wir am Fuß der Treppe angekommen waren. »Sag, was ist denn los? Du siehst aus, als wäre dir ein Geist über den Weg gelaufen.«

»Ich glaube, das trifft es gut«, erwiderte ich und seufzte. »Erinnerst du dich an Miss Hold aus der Schneiderei? Sie ist hier, ich habe sie eben gesehen.«

»Was?«, fragte Lucie verblüfft und schaute sich um. »Wo denn?«

»Sie ist gerade eben die Treppe hinaufgegangen, komm schnell mit!«

Gemeinsam huschten Lucie und ich hinauf, während unter uns die Musik anschwoll. Offenbar sollte bald der Eröffnungstanz beginnen. Eine Welle des schlechten Gewissens erfasste mich, als wir im oberen Stockwerk angekommen waren und ich Lucies Gesichtsausdruck sah.

»Du … du willst sicherlich mit Arthur tanzen, daran habe ich nicht gedacht …«, setzte ich an und biss mir auf die Unterlippe.

»Ach …« Lucie stieß mir in die Seite und zwinkerte. »Ich kann noch den Rest meines Lebens mit Arthur tanzen, er wird es mir verzeihen, dass ich jetzt einmal nicht da bin. Und wer soll mich dafür schelten? Mein Vater ist in Lübeck, und Mrs Ham ist heute nicht hier.«

Damit hatte sie recht. Miss Heartwell hatte uns hierher begleitet, und sie war eine angenehmere Zeitgenossin als unsere alte Hauslehrerin. Ich atmete erleichtert aus und schaute mich auf dem Flur um. Es war totenstill. Nur die Gaslaternen flackerten an den Wänden. Ich spürte einen eisigen Luftzug unter dem Saum meines Kleides.

»Sie könnte auf dem Balkon sein«, flüsterte Lucie mir zu und zeigte auf das offen stehende Fenster am Ende des Ganges.

»Vielleicht …«

Gemeinsam schlichen wir über den Flur wie Diebinnen und näherten uns der offenen Tür. Der dicke Teppich verschluckte die Geräusche unserer Schritte.

Wir blieben in einer kleinen Nische stehen, von der man das Fenster einsehen konnte. Ich zog scharf die Luft ein, als ich Miss Hold erkannte. Sie stand tatsächlich auf dem Balkon, aber sie war nicht allein! John war bei ihr.

In meinem Kopf begann sich alles zu drehen.

»Was tut sie hier?«, wisperte ich atemlos.

Lucie zuckte nur mit den Schultern.

»Die erste gesellschaftliche Veranstaltung, an der du seit langer Zeit teilnimmst …«, sagte John zu der Frau, und sie stützte ihre Arme auf der Brüstung ab.

»Du weißt, dass ich mich schrecklich auf Bällen langweile, Johnny. Ich verabscheue die gehobene Konversation und würde viel lieber etwas Sinnvolles tun«, erwiderte sie, und beim scharfzüngigen Klang ihrer Stimme rieselte ein Schauer über meinen Rücken, während mein Herz davonzugaloppieren schien.

Johnny, sie hat ihn Johnny genannt, schoss es mir durch den Kopf, und ich wusste nicht, was ich darüber denken sollte. Augenscheinlich kannten die beiden sich sehr gut. Denn was die Frau als Nächstes tat, raubte mir schier den Atem.

John hatte sich ihr zugewandt und grinste sie an, wie er mich noch nie angelächelt hatte.

Was nichts zur Sache tut,weil du ohnehin keine Männer liebst, murmelte eine schnippische Stimme in meinem Kopf.

»Was wäre denn für dich sinnvoll?«, fragte John und legte seine Hand auf die Schulter der fremden Frau.

»Eine Partie Schach mit dir zum Beispiel.« Ihre Augenbrauen schossen in die Höhe, und sie lachte leise. Ihre schneeweißen Zähne blitzten auf in der Dunkelheit auf dem Balkon. »Es wird Zeit, dass ich dich mal wieder besiege, Johnny.«

»Dass ich nicht lache, das wirst du nicht schaffen, Harri.«

Es dauerte einen Augenblick, bis ich begriff. Ich keuchte auf, als die Erkenntnis wie klebrige Marmelade in meinen Verstand sickerte.

»Harri ist gar kein Mann!«, rief Lucie – viel zu laut.

John und Harri drehten sich zu uns um.

»Amabel …« John legte die Stirn in Falten, und seine Gesichtszüge verdunkelten sich. »Habt ihr uns belauscht?«

»Nein, ich … es …«, stammelte ich, während sich Zorn und Schock in meinem Inneren zu einem glühenden Feuer vermischten.

»Das tut gar nichts zur Sache«, sagte Lucie und trat vor. Sie stemmte die Hände in die Hüften, wie Mrs Ham es immer tat, und schnaubte. »Denn Sie, Mr Hold, halten offenbar eine Menge vor Ihrer Verlobten geheim. Immerhin haben Sie uns bisher nicht mal Ihre …«, Lucies Blick streifte zu der Frau, »Cousine, nehme ich an, vorgestellt.«

»Scharfsinnig«, lobte diese und trat vor. Sie machte einen linkischen Knicks und zwinkerte mir zu. »Harriett Hold, Johns Cousine. Man nennt mich Harri, unter Freunden.«

Hätte die Welt angefangen zu brennen, ich hätte nicht geschockter sein können. Ich starrte Harriett Hold nur an, während meine Hände anfingen zu zittern.

Gott bewahre, ich hatte geglaubt, dass Harri ein Mann war, doch stattdessen war diese ominöse Person, die John aufgefordert hatte, zu sich selbst zu stehen, seine Cousine. Und auf eine merkwürdige Weise änderte das alles. Denn sie schien viel mehr über John zu wissen als ich, und ich lechzte geradezu nach diesem Wissen.

Doch Harriett Hold sah mich nur mit diesem spitzbübischen Lächeln an und ging an mir vorbei.

»Es war schön, Sie kennenzulernen, die Damen!« Sie hob eine Hand zum Gruß und ließ mich allein zurück mit all der Verwirrung und meinem klopfenden Herzen, das aus meiner Brust herauszuspringen drohte.

Kapitel 4

Harriett

Früher oder später hätte sie es ohnehin erfahren. Dass ich diese ominöse Harri und Johns Cousine war. Es war dumm von mir gewesen, auf dem Pier in Southend mit ihr zu sprechen, aber irgendwie hatte ich nicht anders gekonnt. Da war etwas an dieser hübschen jungen Frau, das mich nicht losließ. Aber ich konnte nicht sagen, was es genau war.

Vielleicht war es ihr hinreißendes Lächeln, ihre langen Wimpern und ihre kirschroten Lippen. Oder das schwarze Haar, das sich wie Ebenholz über ihre Schultern ergossen hatte, an dem Tag auf dem Pier. Ihr verträumtes Gesicht, die Art, wie sie die Stirn krauszog.

John war bewusst gewesen, dass Amabel und ihre Freundin sie belauscht hatten am Tag von Lucies Verlobungsfeier. Ich hatte nicht stören wollen, aber ich war wütend auf John gewesen, auf diese Misere, in die er sich sehenden Auges hineinmanövriert hatte. Darüber, dass er nicht zu sich selbst stand.

Aber bist du denn besser als er?

Ich wollte schnellstmöglich dieser merkwürdigen Situation entfliehen, doch Amabel Hastings’ Stimme hielt mich zurück.

»Moment!«, rief sie, und ich wollte mich abwenden, doch sie war schon bei mir und packte mich am Ärmel.

Ich zog überrascht die Augenbraue hoch. So viel Elan hatte ich von ihr nicht erwartet. »Was kann ich für die Dame noch tun?«, fragte ich betont höflich, obwohl meine Stimme zitterte.

»Können Sie erklären, was diese Scharade hier soll? Warum Sie mir diesen Anhänger mit dem Wappen der Familie Hold gegeben haben. Warum zur Hölle Sie mir nicht gesagt haben, dass Sie Johns Cousine sind, als wir auf dem Pier waren, und warum Sie zu John gesagt haben, er solle …«

»Das reicht, Amabel«, unterbrach John seine Verlobte scharf und trat zu uns. »Lass Harriett los und vergiss, was du am Tag von Lucies und Arthurs Verlobungsfeier gehört hast. Das tut nichts zur Sache und ist nur wieder eines von Harrietts Spielen.«

Ach? Spiele sind das jetzt?, dachte ich amüsiert und gleichzeitig genervt, denn John würde niemals über seinen Schatten springen. Dafür war er viel zu pflichtbewusst.

Der älteste Sohn der angesehenen Familie Hold. Der einzige Stammhalter der Hauptfamilie, das einzige weiße Schaf unter vielen schwarzen – wobei das auch nicht die Wahrheit war. Aber er hatte ein wenig recht.

Es war ein Spiel, jedenfalls auf eine Art und Weise. John und ich waren verwandt. Wir hatten den gleichen Großvater, der so viele Kinder gezeugt hatte, dass das Zählen manchmal schwerfiel. Ich war die jüngste Tochter des letztgeborenen Bruders von Johns Vater. Ein unbedeutendes Licht innerhalb der Familie Hold. Wir wohnten auf einem eher kleinen Grundstück außerhalb Southends. Denn mehr konnte sich meine Familie nicht leisten, nachdem mein Vater die Mitgift meiner Mutter verspielt, sich danach in den Alkohol geflüchtet hatte und gestorben war. Meine Mutter war nun an – wie die Ärzte es so fein nannten – starker Hysterie erkrankt und verbrachte ihren Lebensabend in einem Sanatorium in Bayern. Mein Bruder versuchte, die Schulden der Familie zu tilgen, was ihm eher mäßig gelang, auch wenn er sich bemühte.

Trotzdem hatte ich meine ganze Kindheit mit John verbracht. Vielleicht, weil man mich immer schon lieber abgeschoben hatte. Dieses verquere Mädchen, das sprach wie ein Junge und lieber Schach spielte, als zu sticken.

»Spielen?«, äffte Amabel John nach und schüttelte entrüstet den Kopf. Sie schnaubte unfein, ließ meine Hand los und verschränkte stattdessen die Arme vor der Brust. »Ich will endlich wissen, was das zwischen euch ist!«

Da ist nichts zwischen uns, nur mit uns, korrigierte ich sie in Gedanken, aber ich wagte es nicht, zu antworten.

Ich durfte John nicht dazwischenfahren, durfte sein Geheimnis nicht offenbaren. Das wäre nicht richtig, obwohl ich es am liebsten in die Welt hinausgeschrien hätte. Da weder John noch Amabel verdienten, dass diese arrangierte Ehe ihr Leben zerstören würde.

»Amabel, es …«, setzte John an und kratzte sich verlegen am Kopf, eine sanfte Röte zierte seine Wangen, und die schwarzen Haare standen ihm wirr vom Kopf ab. Es war nicht mehr viel übrig von dieser strahlenden Fassade, die er normalerweise aufrechterhielt.

»Möchtest du mit mir tanzen?«, fragte er nach einiger Zeit, und Amabels Gesichtszüge verzogen sich zu einem geradezu angewiderten Lächeln.

»Tanzen?«, wiederholte sie und schüttelte den Kopf. »Mit dir?«

»Ich bin dein Verlobter.«

»Du bist alles, nur nicht der Mann, mit dem ich tanzen möchte«, antwortete sie scharf, und ich konnte mir ein leises Lachen nicht verkneifen.

Auch Amabels Freundin Lucie zuckte ein Grinsen auf den Lippen.

»Und du!« Sie schaute mich erneut an und hob die Hand. Dieses Funkeln in ihren braunen Augen war wie die Sterne am Firmament. Da lag eine Wildheit in ihrem Blick, die mir schier den Atem raubte.

Gott, am liebsten hätte ich sie an mich gezogen, meine Lippen auf ihre gepresst und die Wärme ihres Körpers an meinem gespürt. Aber das war eher etwas, was ein Mann unserer Gesellschaft tun würde, und natürlich sehr übergriffig. Außerdem wusste ich nicht, ob Amabel …

»Was ist mit mir?«, fragte ich und versuchte all die Gedanken, die sich in meinem Kopf breitmachten, zu vertreiben. Doch mein Herz schlug so laut, dass ich mir sicher war, Amabel müsste es hören.

»Du bist eine merkwürdige Frau«, stellte sie fest, und ihre Stimme klang dabei so sanft wie Seide auf der Haut.

»Hm?«, machte ich und hob kokett eine Augenbraue. »Wie schön, dass wir schon per Du sind, Miss Hastings.«

Amabel schnaubte erneut und tippelte mit einem Fuß nervös auf den Boden. Sie schaute mich immer wieder an, doch dann schaute sie auch wieder weg. Als wäre es ihr unangenehm, wenn sich unsere Blicke begegneten.