My new life in New Orleans - Lindsey Moon - E-Book

My new life in New Orleans E-Book

Lindsey Moon

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Beschreibung

"Wird man von einem Monster angegriffen, muss man selbst zum Monster werden." Seit der Geburt meines Sohnes ist eine lange Zeit vergangen. Sieben Jahre habe ich ihn vor jedem versteckt gehalten. Denn seit ich die Wahrheit über unsere Welt erfahren habe, weiß ich, dass unser Leben immer in Gefahr ist. Nun bin ich bereit, in New Orleans ein neues Leben anzufangen, um meinem Sohn die Stadt zu zeigen. Hätte ich doch nur gewusst, dass sie bedrohlicher als alles andere ist. Mein Name ist Marianne Johnson und ich möchte euch etwas verraten: Es war noch nie so gefährlich. Nach einer Wattpad-Story von MusicToTheMoon

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My new life in New Orleans

Titel SeitePrologKapitel 1Kapitel 2 – PhilKapitel 3 – ArianaKapitel 4 – MaryKapitel 5 – PhilKapitel 6 – MaylaKapitel 7 – MaryKapitel 8 – MaylaKapitel 9 – MaryKapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16 – SamanthaKapitel 17 – MaryKapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29 – MikaëlKapitel 30 – MaryKapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40Kapitel 41EpilogDanksagung

Lindsey Moon

MY NEW LIFE IN NEW ORLEANS

Nach einer Wattpad-Story von MusicToTheMoon

Lindsey Moon ist eine siebzehnjährige Schülerin aus Deutschland. Sie veröffentlichte ihre ersten Bücher als Fanfiction im Internet. My new life in New Orleans ist der zweite Band ihrer My new life-Trilogie.

1. Auflage Texte: © Copyright by Larissa Mücke, Hölderlinstr. 8, 26892 Dörpen Umschlaggestaltung: © Copyright by Larissa Mücke Veröffentlichung: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin: Neopubli GmbH, Prinzessinnenstraße 20, 10969 Berlin

Prolog

„Mom, wann sind wir endlich da?“, quengelte mein kleiner Junge auf dem Beifahrersitz.

„Noch eine halbe Stunde, Phelipe“, antwortete ich ihm mit einem leichten Lächeln.

Seit seiner Geburt lebten wir nicht länger als zwei oder drei Jahre an einem Ort, da es nie vollkommen sicher war und irgendwie immer jemand hinter unser Geheimnis kam. Auch wenn mein Sohn erst sieben Jahre alt war, verstand er das erstaunlich gut, weil ich ihm schon von klein auf alles über das Leben als Vampirhexer beigebracht und ihn so vorbereitet hatte.

„Aber mir ist langweilig!“

„Möchtest du vielleicht Musik hören?“

„Nein, das haben wir gerade schon die ganze Zeit gemacht. Könntest du mir vielleicht mehr von deiner Familie erzählen?“

Ich musterte meinen Sohn aus den Augenwinkeln. Er sah seinem Vater jetzt schon unglaublich ähnlich. Nur die hellblauen Augen hatte er von mir, was mich auch sehr erleichterte. Ich wünschte niemandem das Gesicht von Terese Johnson.

„Was möchtest du denn noch hören?“, seufzte ich lächelnd.

„Ich weiß nicht. Vielleicht kannst du mir noch mal erzählen, wie du herausgefunden hast, dass du gar kein richtiger Mensch bist.“

„Die Geschichte habe ich dir doch schon hundert Mal erzählt“, grinste ich leicht.

„Ach bitte.“

„Also schön. Es begann alles in London, als ich mich auf den Weg machte, meinen Vater zu finden…“

Kapitel 1

Zwei Stunden waren vergangen, seit ich angefangen hatte, von meinem Leben in Magic Spring zu erzählen. Phelipe war mittlerweile eingeschlafen und ich beobachtete liebevoll, wie mein Sohn im Schlaf das Gesicht verzog. 

Wir waren auf dem Weg nach New Orleans. Ich wollte nicht wieder in die Stadt, in der meine große Liebe, der Vater von Phelipe, gestorben war und mit der ich kaum gute Erinnerungen verknüpfte. Außerdem hielt ich die Gefahr, dass jemand herausfinden könnte, dass unser Tod nur vorgetäuscht war, für viel zu groß. Aber seit ich Phil, wie ich ihn meistens nannte, von seiner Geburtsstadt erzählt hatte, wollte er sie unbedingt einmal sehen.

Der Tag, an dem die Entscheidung gefallen war, hatte ganz normal begonnen. Ich hatte meinem Sohn einen guten Morgen gewünscht und mich zu ihm an unseren Frühstückstisch gesetzt. Auch wenn wir beide theoretisch nicht jeden Tag menschliche Nahrung brauchten, um zu überleben, wollte ich dennoch wenigstens den Anschein von Normalität bewahren.

„Phil, mein Liebling, ich muss dir etwas sagen“, hatte ich leise angefangen. „Die Leute in unserer Nachbarschaft fangen an, über uns zu reden. Wir haben zwar kaum Kontakt zu ihnen, aber langsam fällt es ihnen auf, dass ich nicht altere. Sie denken, ich müsste um die 20 sein, aber ich sehe immer noch so aus wie 17. Ich denke, es ist an der Zeit, weiterzuziehen.“

„Jetzt schon?“

„Ja, es tut mir leid. Aber wir dürfen nicht riskieren, dass es jemand herausfindet.“

„Ich weiß. Wo fahren wir denn hin?“ Auch wenn Phil erst sieben Jahre alt war, war er erstaunlich erwachsen für sein Alter. Er verstand sofort meine Beweggründe und bekam auch nicht wie andere seines Alters einen Wutanfall oder ähnliches. Ich war so stolz auf ihn.

„Ich bin mir noch nicht sicher. Vielleicht irgendwo in den Süden.“

„Mom? Darf ich dieses Mal entscheiden?“

„Wenn du möchtest. Wo willst du denn hin?“ Im Nachhinein hätte ich diese Frage besser nicht stellen sollen, denn er hatte nur geantwortet: „Nach New Orleans. Dad und du habt euch dort kennengelernt, du bist die erste Vampirhexe geworden und ich bin in dieser Stadt geboren worden. Ich möchte den Ort sehen, der jetzt schon so viel Einfluss auf mein Leben hatte.“

„Ich weiß nicht… ich kann dich ja verstehen, aber ich glaube, es ist noch zu früh. New Orleans ist eine Metropole von allem Übernatürlichen, dort sind noch mehr Vampire als in New York.“

„Aber wir sind doch auch zur Hälfte Vampire! Was ist denn so schlimm daran?“

„Was ist denn, wenn meine Geschwister uns finden? Sie würden uns zwar nichts antun, aber sobald herauskommen würde, dass wir noch leben, wären all ihre Feinde auch unsere.“

„Und wenn du einen Verhüllungszauber sprichst? Dann würde uns niemand erkennen. Bitte, Mom! Ich möchte doch nur nach New Orleans! Und falls es gefährlich wird, können wir sofort wieder verschwinden.“

„Ich weiß nicht so recht…“

„Bitte, Mom. Erfülle mir diesen Wunsch.“ Mit seinen großen, blauen Augen hatte er mich bittend angesehen und das hatte den Ausschlag gegeben. Ich hatte mich dazu entschieden, ihm New Orleans zu zeigen. Und nun waren wir hier. In der Stadt, aus der ich nur mit meinem Kind in den Armen und der Kleidung an meinem Körper geflohen war. Jetzt, fast genau sieben Jahre später, war ich wieder hier. Ich hatte uns eine kleine Wohnung im French Quarter besorgt. Dieses Viertel hatte ich gewählt, da es für seine Partymeile bekannt war und so die Wahrscheinlichkeit am größten war, dass zwei neue Bewohner unter all den Touristen nicht auffallen würden. Bevor Phil aus dem Auto aussteigen konnte, hielt ich ihn zurück.

„Phil, wir sind noch nicht soweit.“

„Ach ja, der Verhüllungszauber.“

„Ganz genau. Halt still, das wird gleich vielleicht etwas brennen.“

Ich nahm seine kleinen Hände in meine und murmelte den entsprechenden Zauber. Kurz darauf saß ich vor einem kleinen schwarzhaarigen Jungen mit braunen Augen. Schnell wiederholte ich den Zauber bei mir und ließ mich ähnlich erscheinen.

„So, jetzt brauchen wir nur noch einen neuen Nachnamen und eine Geschichte. Möchtest du dir etwas ausdenken?“

„Unseren echten Namen. Johnson“, beschloss Phil und ich sah ihn schockiert an, bis er anfing zu lachen. „Keine Sorge, das war ein Witz. Wie wär’s mit Clayton?“, schlug er vor.

„Der ist gut, wo hast du den her?“, fragte ich ihn lächelnd.

Grinsend deutete er auf ein Straßenschild. Clayton Avenue.

„Gerissen. Und woher kommen wir?“, fragte ich stolz.

„Aus… San Francisco. Und wir sind hergekommen, um… ähm…“

„Unsere Eltern zu suchen.“

„Unsere Eltern?“, wiederholte mein Sohn überrascht.

„Ja, wir werden uns wohl als Geschwister ausgeben müssen. Eine Siebzehnjährige mit einem siebenjährigen Sohn ist vielleicht doch etwas unwahrscheinlich. Aber glaube ja nicht, dass ich dich jetzt irgendwie anders behandeln werde, kleiner Bruder“, lachte ich.

„Okay, Mo… ich meine, große Schwester.“

„Also gut, dann lass uns mal unsere Wohnung suchen gehen.“

Nach nur wenigen Minuten Fahrt hatten wir sie gefunden. Es war eine kleine Obergeschoss-Wohnung, die ich zur Vorsicht gleich gekauft hatte. Sie war ganz in der Nähe von meiner alten Wohnung, aber ich hatte leider keine andere gefunden.

„Komm rein, Phil“, bat ich meinen Sohn herein und er ging ohne Probleme über die Türschwelle. Anscheinend hatte alles funktioniert und so konnte ich auch bestimmen, wer ins Haus durfte und wer ansonsten verbrannte.

Phil suchte sich ein Zimmer aus, während ich schon einmal den Rest der Wohnung begutachtete. Die Möbel waren alle noch vom Vorbesitzer, da ich nicht gleich einen Umzugswagen hatte mieten wollen. So waren wir nur mit unseren Klamotten und persönlichen Besitztümern wie Fotos und einigen Zauberbüchern angereist. Die Zauberbücher hatte ich von verschiedenen Hexen, mit denen ich mich in den letzten Jahren angefreundet hatte. Außerdem hatte ich auch begonnen, ein eigenes zu schreiben, seit ich das von meiner Mutter vor sieben Jahren zurücklassen musste.

Ich begann gerade, meine Koffer auszuräumen, als Phil mich fragte: „Mom, kann ich ein bisschen rausgehen und die Gegend erkunden?“

„Nein, ich denke, das ist noch zu früh. Du weißt doch, hier sind überall…“

„Vampire, schon klar. Aber ich bin doch selbst einer und ich kann mich verteidigen. Du hast mir das seit sieben Jahren beigebracht und selber gesagt, dass ich erstaunlich gut bin. Bitte, ich weiß, wie ich auf mich aufpasse.“

„Also schön, unter einer Bedingung.“

„Welche?“, fragte er aufgeregt. Anscheinend freute er sich wirklich, alleine gehen zu dürfen.

Ich hielt ihm einen Zauber unter die Nase, den er sich durchlas. Dadurch würde ich es sofort spüren, wenn er in Gefahr wäre, sodass ich ihn augenblicklich orten könnte. Außerdem durfte er sich nicht weiter als drei Meilen von unserer Wohnung entfernen.

„Ich bin doch kein Hund, den du an die Leine nehmen musst“, motzte er, aber ich blieb konsequent.

„Entweder so oder gar nicht.“

„Na gut, okay.“

Schnell sprach ich den Zauber. Sobald ich fertig war, verschwand Phelipe mit seinem heißgeliebten Vampirspeed.

„Pass auf, dass dich niemand so sieht!“, rief ich ihm hinterher, hörte aber nur noch ein belustigtes Schnauben, bevor ich mich wieder meinen Sachen zuwandte.

Kapitel 2 – Phil

Ich rannte so schnell und weit ich konnte. Am Rande bemerkte ich, dass ich irgendwann das French Quarter verließ und im Garden District war. Aber da ich meine drei Meilen noch nicht vollständig ausgeschöpft hatte, rannte ich weiter. Plötzlich fühlte ich etwas wie eine innere Mahnung, dass ich nicht weitergehen sollte. Widerwillig folgte ich meinem Gefühl. Ich wollte nicht, dass meine Mom sich Sorgen machte, wenn ich meine erlaubten drei Meilen überschritt. Suchend sah ich mich um. Wo war ich?

Es schien so, als ob ich mitten im Nirgendwo war, in einer Wohnsiedlung oder so. Trotzdem waren hier noch erstaunlich viele Touristen und so beschloss ich, ihnen einfach zu folgen. Glücklicherweise bewegten sie sich in die Richtung, aus der ich gekommen war und so war es kein Problem für mich, ihnen zu folgen. Als wir anscheinend an unserem Zielort ankamen, sah ich mich verwundert um. Was wollten die Menschen alle hier?

Wir waren auf einem Friedhof. Dem Lafayette Cemetery, um genau zu sein. Den Namen wusste ich, da er groß auf dem eisernen Torbogen stand, der den Eingang zum Friedhof bildete. Da ich gerade eh nichts Besseres zu tun hatte, betrat ich ihn und schlenderte durch die verschlungenen Wege.

Die meisten der Gruften waren aus weißem Stein und hatten eine ebenso weiße Steintafel auf ihrer Vorderseite, auf der die Namen der Verstorbenen und verschiedene Sprüche eingraviert waren. Vor ihnen standen zumeist frische, teilweise aber auch vertrocknete Blumen, woran man erkannte, ob und wie viele Hinterbliebene ein Verstorbener hatte.

Langsam ging ich zwischen den Gräbern hindurch und genoss die ruhige Stimmung. Mir machten Friedhöfe generell keine Angst, was vielleicht daran lag, dass ich ja selbst irgendwie tot war. Auch wenn ich noch nie gestorben war, wusste ich, dass ich unsterblich war. Ich würde aufhören zu altern, sobald ich so alt wie meine Mutter zu ihrer Verwandlung, also 17, war.

Ich las die Namen auf den Tafeln und überlegte, welche Geschichten wohl hinter ihnen stecken könnten. Einige kamen mir sogar bekannt vor, aber ich konnte sie nicht zuordnen. Wahrscheinlich hatte ich sie mal in einem Buch über New Orleans gelesen, da ich mich schon immer sehr für diese Stadt interessiert hatte. Mom meinte immer, dass ich für mein Alter viel zu erwachsen sei, aber die Geschichte von alten Städten, insbesondere meiner Geburtsstadt, interessierte mich nun einmal mehr als irgendwelche Kinderspiele. Vielleicht lag das aber auch daran, dass ich ja genau genommen auch nicht so war wie andere Kinder meines Alters. Nicht mal ansatzweise, ich war ja noch nicht einmal ein Mensch.

Plötzlich wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als ich einen Namen auf einer Gruft neben mir erkannte. Überrascht drehte ich mich um und ging ein Stück zurück, um den Namen noch einmal zu lesen. Nein, ich hatte mich nicht vertan. Dort, auf einer imposanten, strahlend weißen Gruft, neben halb vertrockneten Rosen, stand in schwungvoller Schrift „Johnson“. Das war der Name meiner Mutter. Genau genommen auch mein Name, aber ich hatte mich noch nie so vorgestellt, da wir unsere Nachnamen in jeder neuen Stadt änderten. Dennoch war mir der Name so vertraut wie mein eigener. Wie viele Johnsons es wohl in einer so großen Stadt wie New Orleans gab? Könnte es sein, dass dies die Gruft von der Familie meiner Mutter war? Von meiner Familie? Mir fielen zwei kleine Gedenktafeln auf, die sorgfältig neben die Rosen gestellt worden waren. Ich betrachtete die erste. Sie zeigte einen kleinen Engel und auf ihr stand „In Gedenken an Baby Johnson“.

Baby Johnson? War ich damit gemeint? Vermutlich, sonst gab es in der Familie Johnson wohl keine Babys.

Ich betrachtete die andere Gedenktafel. Auf ihr war eine Abbildung von dem Gesicht der Toten zu sehen. Zuerst war ich ein wenig geschockt, doch dann wurde mir die Bedeutung klar. Diese Gruft musste wirklich meiner Familie gehören, denn ich blickte direkt in das Gesicht meiner Mutter. Auf ihrer Tafel stand „In Gedenken an Marianne Johnson, geliebte Schwester und Freundin, und an ihren Sohn, der nie das Licht der Welt erblicken durfte“. Moment, mit ihrem Sohn war ganz eindeutig ich gemeint. Aber wem galt dann die andere Tafel? Wer war Baby Johnson?

„Hallo“, sprach mich plötzlich eine Frau an und ich drehte mich um. Ich musterte sie genau und mir fiel sofort ein, wo ich sie schon mal gesehen hatte. Ich erkannte ihre blonden Haare und das Gesicht, das so ähnlich wie das meiner Mutter war, von einem Foto, von dem Mom sich nie trennen konnte. Es zeigte ihre Familie und das vor mir war ganz eindeutig Ariana Johnson, die Schwester meiner Mutter und somit meine Tante. Innerlich schrie ich und verfluchte mich selbst. Mom hatte recht gehabt, die Wahrscheinlichkeit, meinen Verwandten zu begegnen, war enorm groß.

„Bist du ganz alleine hier?“, fragte sie.

Zögernd nickte ich. Es wäre wohl nicht sehr klug, sie zu ignorieren und sie so nur noch mehr auf mich aufmerksam zu machen. Ich war froh, dass ich wenigstens nicht mehr so aussah wie ich selbst, sonst hätte sie mich nachher auch noch erkannt, da ich meinem Vater sehr ähnlich sah.

„Und wieso, wenn ich fragen darf?“

„Ich… ich wollte meine Eltern suchen.“

„Oh, das tut mir leid.“

„Danke. Ich gehe dann mal besser weiter. Hat mich gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen.“ Ich wollte gerade gehen, als sie mich aufhielt.

„Warte! Vielleicht kann ich dir ja helfen, ich bin sehr oft hier“, bot sie an. „Wie hießen denn deine Eltern?“

Kurz überlegte ich, ob ich sie mit einem Zauber außer Gefecht setzen konnte, um zu verschwinden, aber dann konnte ich ein Leben in New Orleans endgültig vergessen. Außerdem wusste ich nicht, wie stark meine Zauber bei einer der Ersten wirken würden, also versuchte ich, einfach etwas Glaubhaftes zu antworten: „Ähm… sie hießen Clayton.“

„Du lügst“, stellte sie fest. „Du bist ein Vampir, oder? Einer von denen.“

Sie verengte die Augen zu Schlitzen und ich wich zurück, doch sie kam nach und zischte: „Wage es ja nicht, auch nur ein einziges Mal wieder hierher zu kommen! Wenn ich dich noch einmal am Grab meiner Schwester sehe, töte ich dich, egal, wie alt du bist oder was sie dir von mir erzählt haben. Ist das klar?“

Eingeschüchtert nickte ich, auch wenn ich nicht alles von dem verstand, was sie sagte. Was meinte sie damit, dass ich „einer von denen“ war? Und wer hätte mir etwas von ihr erzählen sollen?

„Ich habe gefragt, ob das klar ist!“

„J… ja“, stotterte ich. Diese Ariana machte mir Angst, ich hatte das Gefühl, dass sie fähig war, mir in einer Sekunde den Kopf abzureißen. Was wahrscheinlich ja auch der Fall war.

„Gut. Das kannst du deinen anderen kleinen Vampirfreunden übrigens auch ausrichten.“

Eine Antwort blieb mir jedoch zum Glück erspart, als plötzlich Mom vor mir stand und mich so mit ihrem Körper vor der gefährlichen Vampirin verdeckte.

„Wer bist du?“, fragte meine Mutter, vermutlich, um den Schein zu wahren. Dann wandte sie sich an mich: „Geht es dir gut?“

Als ich nickte, drehte sie sich wieder zu ihrer Schwester, die sich gerade mit einem feindseligen Blick vorstellte. „Ariana Johnson. Vielleicht habt ihr schon von mir gehört.“

„Allerdings“, murmelte Mom leise.

„Dann wisst ihr ja auch sicher, dass man sich nicht mit mir und meiner Familie anlegt.“

„Ja. Hatten wir auch nicht vor.“

„Na, dann ist ja gut.“

„Komm, Phil. Wir gehen.“

Beschützend legte sie mir eine Hand auf die Schulter und führte mich vom Friedhof weg. Sobald wir außer Hörweite waren, meinte sie ohne Emotionen in ihrer Stimme: „Das war’s, wir verschwinden von hier. Wir hätten niemals herkommen sollen.“

„Was? Nein! Ich habe doch noch gar nichts gesehen!“, beschwerte ich mich sofort.

„Doch, das hast du. Du hast den Friedhof gesehen und außerdem auch noch deine Ta… Ariana kennengelernt. Hat dich das nicht überzeugt, dass es hier einfach zu gefährlich ist?“

„Nein! Bitte, Mom! Bitte lass uns noch hierbleiben! Ariana hat uns doch gar nicht erkannt! Sie meinte doch selbst, dass sie uns in Ruhe lässt, wenn wir von ihr fern bleiben!“

„Phelipe… es ist einfach zu gefährlich.“

„Nein, das ist es nicht. Du hast Angst, dass uns etwas passiert, aber das wird es nicht. Wenn wir jetzt aber einfach fliehen,…“

„…wird sie sofort auf uns aufmerksam werden“, beendete sie meinen Satz. „Verdammt, wir hätten nie herkommen sollen!“

Traurig und ein wenig schuldig sah ich auf den Boden und sie fügte hinzu: „Aber so sehr ich das auch ändern will, kann ich es nicht. Wir sind nun mal jetzt hier und wir können nicht fort, solange Ariana uns vor Kurzem gesehen hat. Das würde sie nur misstrauisch machen.“

„Das heißt, wir bleiben?“, fragte ich hoffnungsvoll und sie musste schmunzeln.

„Ja, wir bleiben. Bis wir sicher sein können, dass es nicht mehr auffällt, wenn wir gehen.“

Kapitel 3 – Ariana

Ich wollte gerade das Grab meiner Schwester, meines Neffen und meiner Nichte besuchen, auch wenn ich wusste, dass sie nicht wirklich darin lagen, als ich vor unserer Familiengruft ein fremdes Gesicht sah. Abschätzend musterte ich den kleinen, schwarzhaarigen Jungen, der so sehr auf die beiden Gedenktafeln fixiert war, dass er mich nicht einmal wahrnahm. „Hallo“, meinte ich also, um auf mich aufmerksam zu machen.

Der fremde Junge musterte mich ausführlich und schien nicht vorhaben, zu antworten, also versuchte ich es erneut. „Bist du ganz alleine hier?“

Aber statt zu antworten, nickte er nur. „Und wieso, wenn ich fragen darf?“

„Ich… ich wollte meine Eltern suchen“, antwortete er zögerlich. Kurz dachte ich, er würde mich anlügen, doch ich erkannte in seinen Augen, dass das die Wahrheit war, wenn auch nicht die ganze.

„Oh, das tut mir leid“, meinte ich, auch wenn es mir eigentlich ziemlich egal war. Aber ich wollte nicht unhöflich sein. Plötzlich verabschiedete sich der Junge und drehte sich um, doch ich hielt ihn auf. Aus irgendeinem Grund interessierte mich die Geschichte des kleinen Jungen. Und irgendwie erinnerte er mich ein kleines bisschen an Mayla, meine Nichte.

„Ähm… sie hießen Clayton.“

Sofort erkannte ich, dass er log. Sein Herzschlag beschleunigte sich, er sah mir nicht in die Augen… Moment, sein Herzschlag! Er war nicht normal, nicht menschlich. Konnte es wirklich sein, dass…

„Du lügst. Du bist ein Vampir, oder? Einer von denen.“

Die letzten Worte sagte ich voller Verachtung in meiner Stimme. Schon seit einigen Jahren bedrohte eine kleine Gruppe Übernatürlicher meine Familie, insbesondere Mayla wollten sie tot sehen. Vor einigen Monaten hatten sie sogar angefangen, Kinder ihres Alters in Vampire zu verwandeln und sie als unauffällige Späher einzusetzen. Einfach grauenhaft, vor allem da sie wussten, dass wir, und gerade ich, ihnen nichts antun würden. Aber dass sie es jetzt auch noch wagten, ihre Späher an Annis Grab zu stellen, machte mich unglaublich wütend.

Ich verengte meine Augen zu Schlitzen und kam dem Jungen bedrohlich näher. „Wage es ja nicht, auch nur ein einziges Mal wieder hierher zu kommen! Wenn ich dich hier noch einmal am Grab meiner Schwester sehe, töte ich dich, egal, wie alt du bist oder was sie dir von mir erzählt haben. Ist das klar?“

Er nickte ängstlich, doch ich war immer noch wütend, dass er allein mit seiner Anwesenheit das Andenken meiner Familie entweihte. „Ich habe gefragt, ob das klar ist!“, schrie ich ihn jetzt an.

Erst als er ein erschrockenes „Ja“ herausbrachte, zog ich mich zurück und meinte etwas gelassener: „Gut. Das kannst du deinen anderen kleinen Vampirfreunden übrigens auch ausrichten.“ Ich wollte nicht, dass so etwas je wieder vorkam.

Plötzlich stand eine junge Frau zwischen mir und dem Vampirjungen. Sie sah ihm ziemlich ähnlich, wahrscheinlich waren sie Geschwister.

„Wer bist du?“, fragte sie mich feindselig, bevor sie ihren Bruder fragte, ob alles in Ordnung sei.

„Ariana Johnson. Vielleicht habt ihr schon von mir gehört“, stellte ich mich ebenso feindselig vor.

„Allerdings“, murmelte sie. Wenigstens etwas.

„Dann wisst ihr ja auch sicher, dass man sich nicht mit mir und meiner Familie anlegt“, drohte ich.

„Ja. Hatten wir auch nicht vor.“

Als ob ich das jetzt glauben würde. Was machten sie denn sonst an der Gruft meiner Familie? Ich würde sie noch eine Weile im Auge behalten müssen. Dennoch erwiderte ich nur: „Na, dann ist ja gut.“

Die beiden gingen, doch ich hing noch ein wenig meinen Gedanken nach. Ich hatte das Gefühl, dass ich ihre Stimme von irgendwoher kennen würde, sie klang so seltsam vertraut. Aber dennoch konnte ich sie nicht eindeutig zuordnen. Das Gesicht der Frau hingegen kam mir nicht im Geringsten bekannt vor. Wieso dachte ich also so viel über ihre Stimme nach?

Ich schüttelte den Kopf, um meine Gedanken zu vertreiben, doch ich kam einfach nicht von ihnen los. Selbst als ich schon längst zu Hause war, stellte ich mir immer wieder die gleiche Frage: Wo hatte ich die Stimme dieser jungen Frau schon einmal gehört?

In dieser Nacht träumte ich wirr von unserer Familie. Ich hörte, wie meine Mutter mir ins Ohr flüsterte, dass sie uns alle töten würde und ich hörte die Stimme von Anni, wie sie mir Vorwürfe machte, dass ich nicht da gewesen war, als sie gestorben ist. Zitternd wachte ich mitten in der Nacht auf. Noch lange lag ich so da und dachte darüber nach, dass ich eine furchtbare Schwester war. Anni war nur mit Rose und Cian an ihrer Seite gestorben. Keiner von unserer Familie war da gewesen. An dem Abend waren meine Brüder und ich unterwegs gewesen, weil Mayla, Mikes Tochter, gerade geboren wurde. Wir hatten nicht wissen können, dass das Annis letzter Abend war, aber ich machte mir trotzdem Vorwürfe.

Plötzlich ging mir ein Licht auf. Schlagartig wurde mir klar, von wo ich die Stimme der jungen Frau vom Friedhof kannte. Sie hatte exakt die gleiche Stimme wie Anni und unsere Mutter. Das konnte unmöglich ein Zufall sein. War Anni wieder von den Toten auferstanden? Sofort verwarf ich den Gedanken wieder, sie wäre bestimmt zu uns gekommen. Spätestens auf dem Friedhof hätte sie mich erkennen müssen. Hatte unsere Mutter etwa wieder einen Weg gefunden, den Tod auszutricksen? Das wäre furchtbar, aber leider durchaus möglich.

Sofort rief ich nach meiner Familie, mit der ich zusammen in unserer großen Villa wohnte. „Mike, Josias, Sarah!“ Sarah war die junge Werwölfin, die Mayla damals zur Welt gebracht hatte und nun mit ihr auch hier wohnte.

Einen Augenblick später standen die drei um mein Bett herum. Ja, auf meine Brüder war wirklich immer Verlass. Genauso wie auf Sarah. Zumindest für mich war sie mittlerweile eine echte Johnson. „Was ist los, Aria?“, fragte Mike mich und verdrehte die Augen, als er auf die Uhr sah. So genervt war er nicht mehr gewesen, seit Mayla Probleme mit ihren Zähnen hatte und wir Tage gebraucht hatten, um einen Zahnarzt zu finden, der beim Anblick ihrer Vampirzähne nicht gleich in Ohnmacht fiel. Aber das interessierte mich gerade herzlich wenig.

„Ich war doch heute Nachmittag auf dem Friedhof bei Annis Grab. Aber ich war nicht allein. Ein kleiner Junge, etwa so alt wie Mayla, und vermutlich seine ältere Schwester waren auch da. Sie waren beide Vampire, aber das tut jetzt nichts zur Sache. Ich habe den ganzen Tag darüber nachgedacht, woher ich die Stimme des Mädchens kannte, und es ist mir gerade wieder eingefallen.“

„Und dafür weckst du uns mitten in der Nacht?“, fragte er mich missmutig.

„Ja. Das geht uns alle etwas an und ich habe das Gefühl, dass es wichtig ist. Denn das Mädchen hatte die Stimme von Mutter. Sie ist wieder da.“

Kapitel 4 – Mary

„Mom?“, fragte mich Phil auf dem Rückweg.

„Ja?“

„Wer ist Baby Johnson?“

„Baby Johnson? Wo hast du das denn her?“

„Es stand auf einer Gedenktafel, neben unserer.“

„Damit bist du wahrscheinlich gemeint.“

„Aber ich war doch mit auf deiner erwähnt. Außerdem war sie fast schon rosa, das macht man doch nicht für einen Jungen, oder?“

„Nein, normalerweise nicht. Aber ich wüsste nicht, wer sonst in unserer Familie ein Kind bekommen könnte. Und du bist dir sicher, dass da Baby Johnson stand?“

„Ja, natürlich.“

„Merkwürdig. Mal sehen, vielleicht weiß Rose ja etwas darüber.“

Als wir endlich unsere Wohnung erreichten, ging Phelipe sofort in sein Zimmer, während ich mein Handy rausholte und Rose anschrieb. Auch die sieben Jahre, in denen wir uns nicht gesehen hatten, hatten unsere Freundschaft nicht beeinträchtigt. Jedenfalls ging es mir so und ich hoffte, dass es bei ihr ähnlich war. Wir hatten es immer vermieden, über aktuelle Themen in unserem Leben zu reden oder uns darüber zu unterhalten, wo wir gerade waren, weil Handys dafür einfach nicht sicher genug waren. Für Außenstehende war unser Chatverlauf somit der von zwei ganz normalen Freundinnen, auch wenn ich dank meiner Paranoia, die sich über die Jahre entwickelt hatte, regelmäßig meine Nummer wechselte.

„Hey, Rose. Ich melde mich auch mal wieder. Ich habe eine Frage an dich: Weißt du, wer „Baby Johnson“ sein könnte? Danke schon mal“, schrieb ich ihr.

Nur wenige Sekunden später kam die Antwort:

„Hey! Ja, ich weiß, wer das ist. Aber ich denke, das sollte ich dir lieber persönlich erzählen. Da du das Baby erwähnt hast, bist du wohl wieder in New Orleans, oder? Können wir uns irgendwo treffen?“

Rose war also auch noch in New Orleans, das war praktisch.

„Klar, wie wär’s im Jackson Square?“

Der Park mit dem wunderschönen, märchenhaften Schloss war quasi direkt um die Ecke und so der ideale Treffpunkt.

„Okay, bin in zwei Minuten da, wir treffen uns vor der Statue.“

Gemütlich machte ich mich auf den Weg, wobei ich in normaler Geschwindigkeit lief, um erstens nicht aufzufallen und zweitens die Gebäude und kleinen Läden zu bewundern. Es schien so, als ob alle gute Laune hätten, was vielleicht auch an den vielen Straßenmusikern lag, die an jeder Ecke und manchmal auch mitten auf der Straße ihre Jazz-Stücke spielten. New Orleans war einfach eine tolle Stadt, auch außerhalb der berühmten Bourbon Street.

Als ich um die nächste Ecke bog, lief ich direkt auf Hunderte von Touristen zu. So, wie es aussah, war hier eine Art Straßenkünstler-Ausstellung. Jedenfalls waren unglaublich viele Bilder auf einem großen Platz und auch zwischen den Straßen ausgehangen. Ich hätte hier Stunden bleiben können und auch Mike hätte bestimmt seinen Spaß gehabt, aber ich war verabredet, also ging ich mit einem sehnsüchtigen Blick auf die vielen bunten Malereien weiter, bis ich am Eingang des Jackson Squares angekommen war. Der Blick auf das wunderschöne weiße Gebäude raubte mir fast den Atem. Ich hatte in meiner Zeit hier nicht sehr viel von New Orleans gesehen, ich hatte mich nur im Nachhinein über das Internet und verschiedene Straßenkarten schlau gemacht, und umso toller fand ich die Stadt nun. Zielstrebig ging ich auf die bronzene Statue von Andrew Jackson zu und zu meinem Überraschen war Rose bereits da.

Glücklich fiel ich meiner besten Freundin in die Arme.

„Rose, ich habe dich so vermisst!“

„Mary?!“, rief sie erstaunt. Ach ja, ich hatte den Zauber, der mich zur Schwarzhaarigen machte, ganz vergessen.

„Ähm, ja.“

„Darf ich sagen, dass du dich ganz schön… verändert hast?“, fragte sie lachend.

„Ja, das kann man wohl so sagen. Du hast dich aber überhaupt nicht verändert.“ Verwirrt sah ich sie an. „Nein, ehrlich. Du siehst noch genauso aus wie mit 17.“

„Na ja, also… ähm… ich bin jetzt gewissermaßen… ein Vampirwolf.“

„Wow. Glückwunsch? Keine Ahnung, was sollte ich jetzt sagen? Was ist denn passiert?“

„Es war kurz nach deiner Abreise. Wir wurden angegriffen, von Hexen, und dabei wurde ich ziemlich schwer verwundet. Dein Bruder Kaël hat mir sein Blut gegeben, aber es war zu spät, um mich zu retten, also bin ich mit seinem Blut im Körper gestorben. Na ja, jedenfalls hat er mich so zum Vampirwolf gemacht. Aber das ist jetzt auch egal. Was habt ihr denn all die Jahre gemacht?“

„Hmm, eigentlich nichts Besonderes. Ich habe Phil beigebracht, nicht durchzudrehen, wenn er Blut riecht, nachdem ich mir das erst selber beibringen musste und wir haben ganz nebenbei noch so um die zweihundert Zauberbücher auswendig gelernt.“

„Klingt ja sehr spannend“, sagte meine beste Freundin ironisch.

„Ja, total. Vor allem, wenn man nach seiner Schwangerschaft, die man komplett eingesperrt verbracht hat, plötzlich paranoid wird.“

„Ups, sorry. Aber das bringt uns wenigstens zurück auf unser ursprüngliches Thema: Baby Johnson.“

In der nächsten Stunde erklärte mir Rose alles, was seit dem Beginn meiner Schwangerschaft passiert war. Wir waren damals nach New Orleans gezogen, weil Kaël herausgefunden hatte, dass er dank seiner Werwolfseite ebenfalls Vater werden würde. An dem Abend, an dem ich Phelipe zur Welt brachte, waren meine Geschwister gerade bei der Geburt von Mayla, Mikes Tochter. Jetzt konnte ich auch verstehen, warum wir damals ganz allein gewesen waren. Nach meinem vermeintlichen Tod hatten Mike und Sarah, die Mutter seiner Tochter, beschlossen, dass ihre Kleine hier nicht sicher war und so wie auch ich ihren Tod vorgetäuscht. Daher der Name auf dem Friedhof. In Wirklichkeit hatten sie Mayla meiner Freundin Sam gegeben, die sich vorerst um sie hatte kümmern sollen. Mittlerweile hatten sie diese Strategie jedoch wieder aufgegeben und so wohnten meine Geschwister momentan wieder mit Sarah und Mayla in ihrer Villa. Es schienen auf jeden Fall sehr ereignisreiche Jahre hier in New Orleans gewesen zu sein.

„Also ist Baby Johnson eigentlich Mayla Johnson, meine Nichte, die ein fast normales Leben zwischen den Ersten und Vampirwölfen lebt?“, fasste ich die Situation kurz zusammen. Das war alles wirklich merkwürdig. Etwas, was ich nicht wirklich vermisst hatte.

„Ja. Nur dass sie auch sehr mächtig ist, da sie Werwolf, Hexe und Vampir zugleich ist. Das passiert wohl, wenn der Sohn einer Hexe Werwolf und Vampir ist und ein Kind bekommt.“

„Wow, das ist…“

„Gruselig? Unnormal? Total verrückt?“, schlug Rose vor.

„Ja, das auch. Aber vor allem ist es sehr viel aufregender, aber auch gefährlicher als mein Leben. Ich bin froh, dass ich damals weggegangen bin.“

„Das kann ich verstehen. Und? Erzählst du mir jetzt auch ein bisschen mehr von deinem Leben?“

Ich erzählte Rose also noch ein paar Geschichten aus meiner Vergangenheit, auch wenn die letzten sieben Jahre weitestgehend normal waren. Unser Leben war nicht besonders spannend gewesen, glücklicherweise. Irgendwann beschloss ich, dass nichts dagegen sprach, Rose mit Phelipe bekannt zu machen. Schließlich hatte sie ihm dieses friedliche Leben erst ermöglicht.

„Was ist, Rose? Hast du Lust, mit mir zu kommen und Phelipe kennenzulernen?“

„Was? Meinst du das ernst?“

„Ja, klar. Du bist doch meine Freundin.“

„Natürlich, ich komme gerne mit!“

So machten wir beide uns wieder auf den Weg zu meiner Wohnung, auch wenn wir uns vorher noch ein paar der Bilder auf den Straßen ansahen. Zu Hause angekommen bat ich Rose herein und rief nach Phelipe. Als er nicht sofort kam, dachte ich mir zuerst nichts dabei, vielleicht hörte er einfach gerade Musik und hatte mich so nicht gehört, also wollte ich ihn aus seinem Zimmer holen. Doch als ich es betrat und es leer vorfand, wurde ich langsam panisch. Ich verfluchte mich dafür, dass ich noch keine Schutzzauber über unsere Wohnung gelegt hatte und so jeder, der kein Vampir war, ohne Probleme eintreten konnte. Verzweifelt raufte ich mir die Haare, als ich plötzlich hörte, wie Rose aus der Küche rief: „Hey, Mary. Beruhige dich wieder. Hier liegt ein Zettel von ihm.“

Sofort war ich bei ihr und sah mir den Zettel an, auf dem in Phils Handschrift geschrieben stand:

„Hey, Mom. Bin in dem kleinen Laden unten, wenn du mich suchst. Phil“

„Im Laden“, meinte ich knapp zu Rose. Wenn er jetzt nicht da wäre, würde ich erst richtig anfangen, mir Sorgen zu machen, und wenn er dann unversehrt wiederkommen würde, würden wir sofort abreisen. Also hoffte ich mal für ihn, dass er wirklich in dem Souvenirladen im Erdgeschoss war.

Ein paar Sekunden später standen wir schon vor der Tür und ich öffnete sie, woraufhin sofort ein einladendes Klingeln ertönte. Sie verkauften hier wirklich die verschiedensten Dinge, von Kleidung, Taschen, Schals und Schmuck über Tassen, Gläser, Teekannen und Servietten bis hin zu Schokolade, Bücher und die verschiedensten Andenken. Dabei waren gewöhnliche Souvenirs wie New Orleans-Broschen oder kleine Figürchen ebenso stark vertreten wie andere, seltenere Objekte wie zum Beispiel Salze, Kräuter oder angeblich magische Heilsteine. In einem Regal erkannte ich sogar verschiedene Statuen vom Eiffelturm. Wieso auch nicht?

Nach nur wenigen Sekunden sah ich aber auch endlich das, wofür ich wirklich hergekommen war: meinen Sohn. Er sah sich gerade einige kunstvolle selbstgemalte Bilder an, als ich mich von hinten an ihn anschlich und ihm plötzlich meine Hand auf die Schulter legte. Erschrocken fuhr er herum und seine Augen weiteten sich schockiert, bis ihm wohl wieder einfiel, dass die fremde Schwarzhaarige ja ich war und er erleichtert ausatmete.

„Du hast mich erschreckt“, meinte er leise.

„Du mich auch“, erwiderte ich ebenso ruhig.

„Tut mir leid.“

„Schon in Ordnung. Nur versprich mir, dass du das nie wieder machst und mir vorher Bescheid gibst, wohin du gehst, ja?“

„Versprochen.“

„Gut. Komm, ich will dir jemanden vorstellen.“

Kapitel 5 – Phil

Ich konnte es nicht glauben. Meine Mutter wollte mir tatsächlich jemanden vorstellen? In sieben Jahren hatte sie mir noch nie irgendjemanden vorgestellt. Nie! Das lag daran, dass sie jeden Kontakt zu ihrem alten Leben abgebrochen hatte, wie sie mir erklärt hatte. Ich fand das ein bisschen übertrieben, schließlich waren wir in sieben Jahren noch nicht ein einziges Mal angegriffen worden, aber vielleicht lag das ja auch wirklich nur an den Vorkehrungen meiner Mutter. Sie war ständig besorgt um mich, aber ich wusste, dass sie nur das Beste für mich wollte, also vertraute ich ihr.

Aber dass sie mir ausgerechnet jetzt und hier, in meiner Geburtsstadt, jemanden vorstellen wollte, kam wirklich sehr überraschend. Hatte sie etwa jemanden aus ihrer Vergangenheit getroffen? Vielleicht sogar einen ihrer Brüder oder ihre Schwester? Schon lange wollte ich meine Verwandten kennenlernen und auch, wenn ich Ariana schon gesehen hatte, wusste sie nicht, wer wir waren. Sollte es jetzt also soweit sein? Würde ich jetzt meine Familie kennenlernen? Oder war die Person jemand, den sie gerade erst kennengelernt hatte? Aber dann würde sie ihn nicht zu mir lassen, dafür vertraute sie fremden Menschen einfach zu wenig. Doch wen wollte sie mir dann vorstellen? Ungeduldig reckte ich mich, aber hier war so viel los, dass ich nicht wusste, wen sie meinen könnte. Leise hörte ich Mom hinter mir lachen, ihr war meine Ungeduld keineswegs entgangen.

„Na, komm, gehen wir zu ihr. Sie weiß übrigens über uns Bescheid, aber sie wird uns nicht verraten, keine Sorge.“

„Sie weiß alles?“, fragte ich erstaunt nach. Niemand wusste alles über uns. Oder?

„Ja, alles“, lächelte Mom.

Wer könnte das nur sein? Jemand, dem sie genug vertraut, dass sie… Da fiel es mir ein. Bei meiner Geburt war noch ein anderes Mädchen dabei gewesen, das Mom geholfen hatte, aus New Orleans zu fliehen. Damals war sie Moms beste Freundin. Wie hieß sie denn noch?

„Phelipe, darf ich dir meine beste Freundin Rose vorstellen? Rose, das ist Phelipe.“

Neugierig musterte ich das schwarzhaarige Mädchen vor mir. Äußerlich sah sie genauso alt aus wie Mom, also musste sie wohl auch ein Vampir sein.

„Hallo“, begrüßte ich sie freundlich und streckte die Hand aus, genauso wie Mom es mir beigebracht hatte. Am Rande bemerkte ich, wie sie stolz über meine Manieren lächelte und auch die junge Frau vor mir konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Hallo“, grüßte sie mich zurück und schüttelte meine Hand. Als sie sie berührte, spürte ich ein merkwürdiges Gefühl, als ob etwas Wildes in ihr lauern würde. Ich hatte schon immer solche Dinge gespürt, wenn ich jemand Fremden berührte. Mom hatte mir erklärt, dass das an meiner Hexenseite lag. Aber dieses Gefühl gerade hatte ich noch nie gespürt.

Ein klein wenig erinnerte es mich an das Werwolfrudel, bei dem wir vor drei Jahren kurzzeitig untergekommen waren, aber da war noch etwas anderes. Es fühlte sich so ähnlich an wie bei meiner Mutter. Da fiel es mir wieder ein, was sie sein könnte.

„Du bist ein Vampirwolf!“, stellte ich erstaunt fest.

„Woher weißt du das?“, fragte Rose erstaunt, beantwortete ihre Frage dann aber selbst. „Natürlich, du bist ja Hexer und Vampir, oder?“

„Ja“, stimmte ich ihr schüchtern zu. Es war wirklich überraschend, dass sie so viel über uns wusste. Da Mom und Rose noch ein wenig Zeit miteinander verbringen wollten, erlaubte Mom mir kurz darauf, noch einmal die Stadt erkunden zu gehen, unter der Voraussetzung, dass ich dieses Mal wirklich vorsichtig war und sofort ging, wenn ich Ariana noch einmal treffen sollte.

Glücklich ging ich nach draußen und wanderte durch die Straßen zu einem Park, der hier ganz in der Nähe war. Dort angekommen setzte ich mich auf eine Bank, um die Aussicht auf das kleine Schloss zu genießen. Keine Ahnung, wie lange ich da saß, auf jeden Fall war es lange, bis sich ein Mädchen, etwa in meinem Alter, zu mir setzte.

„Bis jetzt hat es noch niemand geschafft, so lange hier ruhig zu sitzen“, meinte sie plötzlich.

„Danke. Denke ich“, erwiderte ich lächelnd.

Eine Weile schwiegen wir, bis sie wieder das Wort ergriff. Sie war anscheinend einsam und sehnte sich nach Aufmerksamkeit. Zumindest hatte ich das Gefühl, dass es so war. „Das ist wirklich beeindruckend. Vor allem für dein Alter.“

„Du bist doch auch nicht viel älter als ich, oder?“

„Nein, ich bin sieben. Aber ich bin nicht so wie die anderen Siebenjährigen.“

„Ich verstehe.“

„Nein, das denke ich nicht.“

„Doch, ich bin auch nicht wirklich typisch für einen normalen Siebenjährigen.“

Wieder schwieg das unbekannte Mädchen für eine Weile. Anscheinend dachte sie über meine Worte nach. Ich beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Sie hatte hellblonde Haare und blaue Augen. Irgendwie kam sie mir bekannt vor, aber ich konnte sie nicht zuordnen.

„Ja, du hast recht. Ich denke, wir könnten Freunde werden.“

Das kam plötzlich. Ich kannte dieses Mädchen erst seit einigen Minuten, da war so eine Aussage vielleicht ein wenig voreilig. Aber auch ich hatte das Gefühl, ihr vertrauen zu können. Sie war mir sehr sympathisch. Sie war ein wenig wie ich selbst.

„Ja, vielleicht“, nickte ich also lächelnd.

„Wieso bist du hier?“, wollte sie wissen. Mir fiel auf, dass ich nicht einmal ihren Namen kannte, aber ich wollte auch nicht nachfragen.

„Was meinst du? In New Orleans oder im Park?“

„Das Zweite.“

„Na ja, mir war langweilig und ich wollte die Stadt erkunden. Als ich dann hier war, wollte ich einfach nicht mehr gehen. Und du?“

„Bei mir zu Hause sind alle gerade ziemlich im Stress. Meine Eltern streiten sich andauernd und ich habe das Gefühl, erdrückt zu werden. Hier kann ich endlich abschalten“, vertraute sie mir bereitwillig an.

„Worum geht’s denn?“ Ich wollte nicht so neugierig sein, doch ich konnte mir diese Frage nicht verkneifen.

„Ist kompliziert. Ich glaube ich sollte gehen, sonst wird Dad wieder ganz wahnsinnig vor Sorge.“

„Ja, meine Mom fragt sich bestimmt auch schon, wo ich bleibe.“

Sie stand auf und wollte gehen, aber ich fragte zögerlich: „Vielleicht können wir uns ja noch mal treffen?“

Lächelnd sah sie mich an. „Ich kenne noch nicht einmal deinen Namen“, stellte sie fest.

„Phelipe“, antwortete ich, ohne zu zögern.

„Okay, Phelipe. Dann treffen wir uns wohl morgen wieder hier. Gleiche Uhrzeit.“

Wieder wollte sie gehen, doch ich rief ihr hinterher: „Und wie heißt du?“

Sie war schon einige Meter weiter weg, doch sie drehte sich noch ein letztes Mal um, bevor sie weglief, und meinte grinsend: „Mayla. Mein Name ist Mayla.“

Kurz danach ging auch ich nach Hause, mit den Gedanken immer noch bei dem seltsamen Mädchen. Ja, seltsam war sie wirklich. Aber auf eine positive Art und Weise. Ich wusste, dass es unklug war, einer Fremden zu vertrauen, aber dennoch hatte ich das Gefühl, dass es bei ihr anders war. Sie kam mir so vertraut vor. Keine Ahnung, wieso. Selbstverständlich würde ich ihr nicht sofort alles über mich und meine Welt erzählen, aber sehr abwegig erschien mir dieser Gedanke auch nicht. Ich mochte sie.

Kapitel 6 – Mayla

Dieser Junge aus dem Park faszinierte mich. Er war tatsächlich anders als die anderen Jungen in seinem Alter. Er wirkte erwachsener. Er war ein klein wenig wie ich. Auch wenn er vermutlich kein Teil meiner Welt war und es unvorsichtig war, ihn in mein Leben zu lassen, hatte ich mich noch mal mit ihm verabredet. Aber wieso? Da wurde es mir klar: Ich mochte ihn.

„Mayla Johnson, wo zur Hölle warst du?“, riss mich die wütende Stimme meines Vaters aus meinen Gedanken.

„Im Park“, antwortete ich, ohne ihn anzusehen. Ich hasste es, wenn ich zu ihm aufsehen musste und jetzt stand er auch noch auf der Treppe. Und er war eindeutig wütend.

„Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!“, brüllte er. Wenn er in dieser Stimmung war, sollte man sich wirklich nicht mit ihm anlegen. Natürlich würde er mir nie etwas antun und ich könnte mich auch bestens wehren, aber ich wollte ihn nicht noch wütender machen, also sah ich ihm direkt in die Augen. Die gleichen blauen Augen wie meine.

„Also, willst du mir jetzt bitte sagen, was du da wolltest?“, verlangte er zu wissen.

„Ich wollte mich entspannen. Hier ist es doch immer so stressig“, sagte ich leise.

„Prinzessin, ich kann dich ja verstehen, aber es ist einfach zu gefährlich. Und jetzt ist wahrscheinlich auch noch Terese da draußen und wir haben keine Ahnung, wo sie ist“, meinte er jetzt schon ruhiger. Dann fügte er jedoch bestimmt hinzu: „Du wirst nicht mehr alleine nach draußen gehen.“

„Was? Nein!“, rief ich sofort empört.

„Doch“, antwortete mein Vater jedoch nur stur.

„Du kannst mich doch nicht einfach hier einsperren!“

„Natürlich kann ich das! Ich bin dein Vater!“

„Nein. Nein, das bist du nicht. Du bist ein Monster!“, schrie ich.

Wütend stürmte ich nach oben, um nicht mehr seinen verletzten Gesichtsausdruck sehen zu müssen. Ich wusste, meine letzten Worte waren zu viel gewesen, aber ich konnte sie jetzt nicht mehr zurücknehmen. Dabei war ich doch gar nicht wütend auf ihn, sondern auf mich. Ich war wütend, weil ich Phelipe nicht wiedersehen konnte.

Nachdem ich diese furchtbaren Worte zu meinem Vater gesagt hatte, fühlte ich mich ebenso furchtbar. Mein Dad wurde schon früher oft als Monster bezeichnet, von vielen Personen, die ihm wichtig waren. Ich wusste das. Und dennoch hatte auch ich diese Worte in den Mund genommen. Ich hatte einfach das gesagt, von dem ich wusste, dass es ihn am meisten verletzen würde. Das war furchtbar von mir. Ich war furchtbar. Aber unglücklicherweise war ich ebenso stur wie mein Vater, durch und durch Johnson eben. Und aus genau diesem Grund konnte ich mich nicht dazu überwinden, mich bei ihm zu entschuldigen. War ich jetzt eine schlechte Tochter? Vermutlich.

Plötzlich klopfte es an meiner Tür und ich wusste sofort, wer es war. In diesem Haus gab es nur einen, der so höflich sein würde, anzuklopfen, und dann auch noch darauf zu warten, bis man antwortet. „Komm rein, Josias.“

„Woher wusstest du, dass ich es bin?“, fragte dieser und betrat mein Zimmer.

„Wer sonst würde anklopfen?“

„Du hast recht, unsere Familie ist insgesamt nicht sehr höflich veranlagt“, schmunzelte er.

Seufzend setzte er sich zu mir aufs Bett und ich legte meinen Kopf auf seinen Schoß. „Du hast irgendetwas angestellt, oder?“, fragte er mich sanft, während er über meine Haare strich. Traurig nickte ich.

„Möchtest du mir davon erzählen?“

Nein, wollte ich nicht. Ich wollte es einfach vergessen. Ich wollte, dass alles so war wie heute Morgen. Also schüttelte ich den Kopf, was ihn zum Seufzen brachte. „Ich weiß, dass du es trotzdem tun wirst. Genauso gut, wie du es weißt. Also, was hast du getan, dass Mikaël so verstimmt ist?“, fragte er noch einmal mit sanfter Stimme nach.

„Demoliert Dad mal wieder unsere Einrichtung?“, fragte ich ausweichend.

„Nein. Genau genommen leidet er nur still vor sich hin. Also, sag mir, was passiert ist.“

Oh. Das war nicht gut. Das war gar nicht gut. Normalerweise zeigte mein Dad seine Wut immer. Immer. Meine Worte mussten ihn mehr verletzt haben, als ich dachte. „Ich habe Mist gebaut. Ich war gerade im Park, weil ich einfach mal abschalten wollte und als ich wiederkam, war Dad natürlich wütend, weil ich ihm nicht Bescheid gegeben hatte. Er hat mir verboten, das Haus zu verlassen und da bin ich so wütend geworden… Ich habe zu ihm etwas gesagt. Etwas, was einfach unverzeihlich ist.“

„Was?“

Ich schüttelte nur mit Tränen in den Augen den Kopf. Auf keinen Fall wollte ich diese Worte wiederholen.

„Komm schon, Kleines. Sag mir, was du gesagt hast.“

„Ich… ich habe gesagt… dass er nicht mein Vater, sondern ein Monster ist.“

Erschrocken hielt Josias die Luft an und ich brach endgültig in Tränen aus.

„Ich habe es doch gar nicht so gemeint“, schluchzte ich. Tröstend umarmte mein Onkel mich und flüsterte: „Shh… Alles wird gut. Mikaël wird dir verzeihen.“

„Nein. Das wird er nicht. Ich würde es an seiner Stelle nicht tun, schließlich wusste ich, wie sehr ihn das verletzen würde.“

„Er ist dein Vater, Mayla. Natürlich wird er das. Geh zu ihm. Sag ihm, dass es dir leid tut.“

„Und was ist, wenn ich das nicht möchte?“

„So stur wie die Eltern“, lachte er leise. Dann meinte er ernster: „Es ist egal, ob du es möchtest oder nicht. Du weißt, dass es das Richtige ist, sich zu entschuldigen. Dein Vater wird dich verstehen. Du musst dich nur trauen.“

„Meinst du?“, fragte ich unsicher nach.

„Ich bin mir sogar sicher.“

Dankbar lächelte ich ihn an und stand auf. „Okay. Dann gehe ich jetzt wohl mal nach unten.“

„Viel Glück“, wünschte mir Josias und ich drehte mich noch einmal um.

„Danke.“

Ich spürte, wie er mir lächelnd nachsah, doch mit jedem Schritt, der mich weiter von der Sicherheit meines Zimmers und den Armen meines Onkels entfernte, schwand mein Mut, bis ich schließlich zitternd in der Tür zu unserem Wohnzimmer stand. Auf dem Sofa konnte ich die blonden Haare meines Vaters erkennen.

„Hallo, Mayla“, begrüßte er mich emotionslos. Und wenn ich emotionslos sagte, meinte ich das auch. In seiner Stimme konnte man wirklich keine Gefühle erkennen.

„Hi.“

Ich wusste nicht, wie ich anfangen sollte, also beschloss ich, einfach das zu sagen, was ich loswerden wollte. „Estutmirleid.“

„Was?“

Ich wusste, dass er mich verstanden hatte, auch wenn ich sehr schnell gesprochen hatte. Dennoch wiederholte ich meine Worte, wobei ich stur auf den Boden sah. „Es tut mir leid. Ich wollte das nicht sagen. Es war nicht so gemeint.“

„Doch, das war es. Und du hast recht. Ich bin ein Monster und das ist auch in Ordnung. Die Welt hat mich dazu gemacht. Wird man von einem Monster angegriffen, muss man selbst zum Monster werden. Nur wollte ich das nicht von dir hören. Ich dachte, ich hätte diese Seite gut genug vor dir versteckt.“

„Nein. Du bist kein Monster, du bist mein Dad.“ Kurz hielt ich inne, bevor ich unsicher nachfragte: „Du bist doch noch mein Dad, oder?“