Mystery Files - Der Geist von Lilywhite Manor - R.S. Graham - E-Book

Mystery Files - Der Geist von Lilywhite Manor E-Book

R.S. GRAHAM

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Beschreibung

Über der mystischen Landschaft Schottlands thront seit Jahrhunderten Lilywhite Manor. Hierhin verschlägt es die junge Architektur-Studentin Lydia. Sie soll ein Gutachten über den Wert des Anwesens erstellen, dessen Besitzerin kürzlich verstorben ist. Schon im Ort hört sie Gerüchte über das angebliche Spukhaus, in dem Geister ihr Unwesen treiben. Natürlich hält Lydia solche Geschichten für ausgemachten Unsinn der Dorfbewohner. Doch als sie im Manor ankommt, befällt Lydia schon bald das Gefühl, nicht allein zu sein. Beobachtet sie jemand im Haus? Mehrfach sieht sie auch einen attraktiven Unbekannten, der schnell wieder spurlos verschwindet. Aber außer ihr hat niemand sonst diesen Fremden jemals gesehen. Als Lydia sich schließlich an die Erben und den Hausverwalter wendet, stößt sie auf eine eiserne Mauer des Schweigens ...

MYSTERY FILES - Unerklärliche Ereignisse, mysteriöse Geschichten und paranormale Erlebnisse. Gibt es für das Übernatürliche eine logische Erklärung? Oder ist mehr da draußen, als wir alle ahnen? Für alle Fans von »Akte X« und »X-Factor - Das Unfassbare«.

Weitere Folgen der Serie:
Mystery Files - Rufe aus dem Jenseits
Mystery Files - 14 Stunden Angst
Mystery Files - Wächter des Feuers
Mystery Files - Insel der Schrecken
Mystery Files - Der Geist von Lilywhite Manor
Mystery Files - Stadt ohne Gedächtnis
Mystery Files - Galerie der Angst
Bereits erschienen unter »Der Geist von Lilywhite Manor« (2011)

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

Über den Autor

Weitere Titel des Autors

Impressum

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Über dieses Buch

Über der mystischen Landschaft Schottlands thront seit Jahrhunderten Lilywhite Manor. Hierhin verschlägt es die junge Architektur-Studentin Lydia. Sie soll ein Gutachten über den Wert des Anwesens erstellen, dessen Besitzerin kürzlich verstorben ist. Schon im Ort hört sie Gerüchte über das angebliche Spukhaus, in dem Geister ihr Unwesen treiben. Natürlich hält Lydia solche Geschichten für ausgemachten Unsinn der Dorfbewohner. Doch als sie im Manor ankommt, befällt Lydia schon bald das Gefühl, nicht allein zu sein. Beobachtet sie jemand im Haus? Mehrfach sieht sie auch einen attraktiven Unbekannten, der schnell wieder spurlos verschwindet. Aber außer ihr hat niemand sonst diesen Fremden jemals gesehen. Als Lydia sich schließlich an die Erben und den Hausverwalter wendet, stößt sie auf eine eiserne Mauer des Schweigens ...

R.S. Graham

Der Geist von Lilywhite Manor

1. Kapitel

„Doch, doch, Veralynn, ich bin auf dem richtigen Weg“, beteuerte Lydia O’Sullivan, während sie zurück auf die linke Spur wechselte, um einen Porsche vorbeizulassen, der viel zu schnell fuhr. Es war bereits das dritte Mal an diesem Morgen, dass ihre beste Freundin Veralynn sie während der Fahrt anrief, um zu fragen, ob sie sich auch nicht verfahren hatte. „Meine Straßenkarte ist aus diesem Jahrhundert, da sind tatsächlich schon Autobahnen eingezeichnet.“

„Ich wollte dir mein Navigationsgerät leihen, aber du wolltest ja nichts davon wissen“, beklagte sich Veralynn. „Kein Mensch benutzt heute noch Karten.“

„Ich schon“, widersprach Lydia und schüttelte den Kopf über die beharrliche Art ihrer Freundin. „Dass du von iPods, iPhones und iPads besessen bist, weiß ich ja“, zog sie sie amüsiert auf. „Aber wenn dein kleiner Bruder nach Karte und nicht nach Navi gefahren wäre, dann hätte sein Wagen nicht aus dem Hafenbecken von Dover gezogen werden müssen.“

„Mein ‚kleiner‘ Bruder ist ja auch ein Schwachkopf“, stellte Veralynn klar. „Du würdest ja schließlich auch darauf achten, dass da eine Straße ist, wenn dir eine Stimme sagt, dass du jetzt links abbiegen sollst.“

„Ich brauche aber keine Stimme, die mir was sagt“, beteuerte Lydia.

„Du bist da oben noch nie gewesen, Süße, du kennst dich nicht aus. Und die Sprache verstehst du auch nicht.“

Lydia drehte die Lautstärke der Freisprecheinrichtung etwas herunter, da ihre Freundin viel zu laut in ihr Telefon sprach, und das, obwohl kein Hintergrundlärm zu hören war, den sie hätte übertönen müssen.

„Ach, komm schon, Lynn. Ich fahre auf der M90 bis Perth, danach weiter auf der A93 Richtung Braemar. Nach ziemlich genau zwanzig Meilen muss ich links abbiegen nach Inverglen. Wahrscheinlich steht da sogar ein Wegweiser, und notfalls kann ich immer noch jemanden fragen, wo es langgeht.“

„Die Sprache“, beharrte Veralynn.

„Ich fahre nicht nach Russland, sondern nur nach Schottland. Ich werde mich da schon verständlich machen können.“

„Und we... es inh... ...ber wies... ...rück... nächs... ...ummer“, drang es aus dem Lautsprecher.

„Was hast du gesagt?“, fragte Lydia und lauschte aufmerksam.

„Ob du er... ...ger ...ba...“, waren die einzigen Fetzen, die sie ausmachen konnte, die aber keinen Sinn ergaben. „... erreichbar. Bitte versuchen Sie es später noch einmal. Der Teilnehmer ist zurzeit nicht erreichbar ...“, erzählte ihr dann eine Bandansage, und sie beendete die Verbindung.

Ihre Freundin würde erst einmal warten müssen, da Lydia das Ende der Autobahn erreicht hatte und sich konzentrieren musste, damit sie den Weg zur Landstraße nach Braemar nicht verpasste. Die Strecke war bestens ausgeschildert, und als sie kurz vor Erreichen der 20-Meilen-Marke ein Hinweisschild entdeckte, das die Abzweigung nach Inverglen ankündigte, wusste sie, dass alles genau nach Plan lief. Noch sechzehn Meilen, dachte sie und warf einen kurzen Blick auf die Uhr im Armaturenbrett. Kurz nach elf. Ja, sie lag gut in der Zeit, sogar besser als erwartet. Sie würde sicher eine halbe Stunde früher ankommen, was ihr vor dem Termin mit dem Notar noch ein wenig Zeit verschaffte, um sich in Ruhe die Umgebung von Lilywhite Manor anzusehen. Schließlich wollte sie sich auch ein Bild von der Umgebung des Anwesens machen, bevor sie sich an die Arbeit begab.

Außerdem hoffte sie, dass der Notar ihr dann endlich erklären würde, warum eine gewisse Estella Lilywhite, die vor Kurzem mit 102 Jahren gestorben war, darauf bestanden hatte, dass Lydia herkam und sich ein altes Herrenhaus ansah, zu dem sie eigentlich überhaupt keinen Bezug hatte.

Der Notar hatte sich damit begnügt, sich auf die ausdrückliche Anweisung zu berufen und weiter nichts zu sagen. Lydia war davon überzeugt, dass er mehr wusste, und sie hoffte, ihn zum Reden zu bringen, wenn er ihr gegenüberstand.

Von Neugier getrieben, setzte sie den Blinker, als die Abzweigung in Sicht kam, und bog zielstrebig ab.

Nachdem sie fast eine Stunde lang durch die Gegend gefahren war, musste sie sich eingestehen, dass sie sich hoffnungslos verirrt hatte. So oft, wie sie zwischenzeitlich durch Rechtskurven gefahren war, hätte sie längst wieder dort ankommen müssen, wo sie zu ihrer Odyssee durch die Highlands aufgebrochen war – der unseligen Abzweigung. Doch sie entdeckte nirgendwo Hinweisschilder oder irgendwelche markanten Punkte in der Landschaft, die ihr Aufschluss darüber hätten geben können, wo sie sich befand.

Als Lydia an einem Feldweg vorbeikam, machte sie zu ihrer Linken eine Bewegung aus. Mit einer Vollbremsung brachte sie ihren Ford Fiesta zum Stehen, setzte zurück und bog in den Feldweg ein, auf dem ihr langsam ein Traktor entgegenkam. Sie stellte den Motor ab, stieg aus und ging auf das Gefährt zu.

Der Fahrer, ein wohlgenährter, grauhaariger Mann mit rötlichem Gesicht und einer Pfeife im Mundwinkel, grüßte und blendete einmal auf, damit sie den Weg frei machte. Aber er war das erste menschliche Wesen, auf das sie gestoßen war, seit sie die Landstraße verlassen hatte; sie würde den Mann nicht entkommen lassen, solange sie nicht wusste, wie sie nach Inverglen kam.

Der Traktor hielt nur ein paar Meter von ihr entfernt, und der Mann kletterte von seinem Sitz. „Ich kaufe nichts“, bemerkte er unfreundlich, während er sie von Kopf bis Fuß musterte.

„Wie? Oh, nein, ich ... ich hab mich bloß verfahren“, erklärte sie schnell.

Der Mann, der in seiner robusten dicken Cordhose, den schweren Stiefeln und der dunkelgrünen Weste über seinem karierten Hemd wie der Inbegriff des schottischen Bauern wirkte, nickte bei ihren Worten. Anscheinend hielt er es für selbstverständlich, dass eine Frau am Steuer sich zwangsläufig verfuhr.

„Ich wollte nach Inverglen“, fuhr sie aufgeregt fort, „aber die Hauptstraße ist gesperrt, und es ist keine Umleitung ausgeschildert, und meine Straßenkarte hat den falschen Maßstab. Deshalb weiß ich nicht, welche Strecke ich nehmen muss.“

„Aha“, machte er bloß und begann damit, ihr den Weg zu beschreiben. Nach der siebten halblinken Kurve, die noch lange nicht das Ende der Schilderung zu sein schien, holte Lydia einen Zettel aus dem Wagen und bat den Mann, von vorn anzufangen, damit sie mitschreiben konnte.

„Das ist der direkteste Weg von hier aus“, beendete er schließlich seine umfangreichen Ausführungen.

„Sagen Sie“, sagte sie stirnrunzelnd, nachdem sie einen Blick auf den vollgeschriebenen Zettel in ihren Händen geworfen hatte. „Ist Lilywhite Manor weit von Inverglen entfernt? Nicht dass ich mich dann schon wieder verfahre.“

„Lilywhite Manor? Was wollen Sie denn da?“, fragte der kauzige Kerl und zog wieder an seiner Pfeife.

„Ich soll ein Gutachten erstellen, um ...“

„Ach, dann sind Sie Gutachterin?“, unterbrach er sie ungerührt. „Sind Sie dafür nicht noch ein bisschen jung?“

„Ich bin keine Gutachterin, ich bin Studentin“, korrigierte sie ihn, verärgert darüber, dass er sie nicht ausreden ließ. „Ich ...“

„Wenn Sie keine Gutachterin sind“, fiel er ihr abermals ins Wort, „wie können Sie dann ein Gutachten erstellen?“

„Ich werde ...“ Plötzlich stutzte sie und fragte mehr sich selbst: „Warum erzähle ich Ihnen das eigentlich alles?“

„Weil ich ein netter Kerl bin“, meinte er grinsend und zeigte seine schiefen Zähne. „Und weil ich Sie danach gefragt habe.“

Lydia presste die Lippen zusammen und holte tief Luft, um sich zu beruhigen. „Ähm ... der Weg nach Lilywhite Manor?“, wiederholte sie ihr eigentliches Anliegen.

„Da würde ich Ihnen raten, im Pub in Inverglen nachzufragen“, antwortete er bereitwillig. „Von da ist es praktischer, den Weg zu erklären. Wenn ich Ihnen das jetzt auch noch erzähle, wissen Sie am Ende gar nicht mehr, wann Sie wo links oder rechts abbiegen müssen.“

Lydia bedankte sich, stieg in ihren Wagen und setzte zurück, bis sie wieder auf der Straße war. Während sie losfuhr, beobachtete sie im Rückspiegel, wie der Bauer umständlich wieder auf seinen Traktor kletterte.

Endlich tauchte das Ortsschild von Inverglen vor ihr auf, und sie warf einen Blick auf die Uhr im Armaturenbrett. Halb fünf. Damit hatte sie fünfeinhalb Stunden gebraucht, um vom ersten Hinweisschild in das „nur sechzehn Meilen entfernte Dorf“ zu gelangen. Fünfeinhalb Stunden, sechzehn Meilen ... und noch ein weiteres halbes Dutzend Landwirte, die sie befragt und von denen jeder eine bessere Abkürzung nach Inverglen gewusst hatte ...

Doch jetzt besserte sich ihre Laune schlagartig, denn Inverglen bot einen absolut idyllischen Anblick. Kleine Backsteinhäuser mit winzigen Fenstern und Türen drängten sich dicht an dicht um einen ovalen Platz in der Mitte, der mit Trauerweiden bepflanzt war. Auf dem Rasen standen ein paar Bänke, und neben einer von ihnen ragte eine Bronzebüste empor, die vielleicht ein Denkmal oder einfach nur ein Kunstwerk war. Auf den meisten Fensterbänken standen Blumenkästen, in denen größtenteils Begonien wuchsen.

Lydia ließ den Wagen langsam weiterrollen, um sich den Platz genauer anzusehen. An der Bauart der Häuser erkannte sie, dass sie früher einmal dem Handel gedient hatten, da alle Häuser im Erdgeschoss ein großes Schaufenster aufwiesen. Allerdings hingen in den meisten dieser Schaufenster inzwischen Gardinen, in mancher Auslage stand ein Vogelkäfig, oder eine Katze hatte sich dort schlafen gelegt.

Die Geschäftswelt von Inverglen beschränkte sich auf einen Bäcker, einen Metzger und einen Pub. Jetzt verstand sie auch, warum der erste Mann, den sie nach dem Weg gefragt hatte, sich das Grinsen verkneifen musste. Offenbar hatte ihn mächtig amüsiert, dass sie gefragt hatte, ob sie sich in einem bestimmten Pub nach dem kürzesten Weg nach Lilywhite Manor erkundigen sollte. Außer dem Drunken Dragonfly gab es hier keine weitere Kneipe.

Zwar führte auf der gegenüberliegenden Seite eine Straße vom Platz fort, doch soweit Lydia erkennen konnte, wurde sie ausschließlich von Einfamilienhäusern gesäumt, jedes mit einem kleinen Vorgarten, dazu Holzzäune, mal weiß, mal dunkelgrün gestrichen. Dort gab es keine Geschäfte, auch keinen weiteren Pub. Das Leben in Inverglen spielte sich augenscheinlich hier, auf diesem Platz, ab. Obwohl Lydia sich nicht ganz sicher war, ob „Leben“ überhaupt die richtige Bezeichnung war. Es war halb fünf am Nachmittag, und kein Mensch war auf der Straße zu sehen.

Sie parkte ihren Wagen hinter einem alten, klapprigen Biertransporter, der genau vor dem Pub stand, und stieg aus. Ihr Blick wanderte über den Platz, und mit einem Mal kam es ihr so vor, als sei sie in einer anderen Zeit gelandet. Das kleine Dorf schien einer Welt zu entstammen, die keine Hektik und keinen Konkurrenzkampf kannte, einer Welt, in der ein jeder harmonisch mit dem anderen lebte. Unwillkürlich musste Lydia lächeln, denn derart naive Gedanken gingen ihr normalerweise nicht durch den Kopf. Zugegeben, so zynisch war sie nun auch wieder nicht, um zu glauben, dass hinter der friedlichen Fassade von Inverglen Sodom und Gomorrha lauerten. Doch sie sah die Welt realistisch genug, und sie war sich sicher, dass hier so manches unschöne Geheimnis ans Tageslicht käme, wenn man nur lange genug Nachforschungen anstellte.

Ihr Mobiltelefon klingelte und riss sie aus ihren Gedanken, die sogar ihr selbst ein wenig fremd vorkamen. Vermutlich lag es an dieser ungewohnten Umgebung, die so völlig anders war als London. Dort kehrte nie Ruhe ein, eine menschenleere Straße war völlig undenkbar, egal zu welcher Uhrzeit. Und hier war am helllichten Tag kein Mensch unterwegs. Wo die Dorfbewohner wohl alle waren?

„Was willst du?“, meldete sie sich, nachdem sie auf dem Display Veralynns Nummer erkannt hatte.

„Gott sei Dank, du lebst noch!“, rief ihre Freundin mit einer Mischung aus Sorge und Entrüstung. „Ich dachte schon, dir ist was Schlimmes passiert! Seit Stunden hab ich nichts mehr von dir gehört! Du wolltest mich doch anrufen, sobald du angekommen bist!“

„Ja, Mutter“, entgegnete Lydia schnippisch. Dabei fiel ihr ein, dass sie ihre Eltern anrufen sollte, die sich sicher auch schon Sorgen machten, weil sie nichts von sich hatte hören lassen. „Ich bin hier mitten in der Wildnis, hier wimmelt es von Funklöchern.“

„Okay“, sagte Veralynn mit einem erleichterten Seufzer. „Und? Was ist das für ein Palast? Und wieso sollst ausgerechnet du das Gutachten erstellen?“

Lydia stockte kurz. „Ich ... habe Lilywhite Manor noch nicht gesehen.“

„Wieso nicht?“

„Weil die Landstraße nach Inverglen komplett gesperrt ist, und ich musste einen riesigen Umweg fahren, um herzukommen.“

„Und dabei hast du dich verfahren“, folgerte Veralynn.

„Nein, natürlich habe ich mich nicht verfahren“, widersprach Lydia vehement. Wenn sie jetzt zugab, dass sie stundenlang durch die Gegend geirrt war, würde ihre Freundin ihr so lange in den Ohren liegen, bis sie sich endlich ein Navigationsgerät gekauft hätte. Oder – noch schlimmer – sie würde ihr eines zum Geburtstag schenken, und das wollte Lydia auf keinen Fall. „Aber auf diesen schmalen Landstraßen ist man Ewigkeiten unterwegs“, fuhr sie deswegen mit ihrer unwahren Geschichte fort. „Auf jeden Fall war ich viel zu spät hier, und der Notar hatte noch einen anderen Termin. Wir treffen uns morgen.“ Auch das war natürlich gelogen, denn sie hatte Mr Whitecliff das letzte Mal vor etlichen Stunden gesprochen. Sie würde ihn gleich nach diesem Gespräch anrufen müssen, um einen neuen Termin zu vereinbaren.

„Gut, dann ruf mich an, sobald du mehr weißt, okay?“

„Falls ich nicht wieder in ein Funkloch gerate, werde ich dir Bescheid sagen“, versprach Lydia ihr und verabschiedete sich. Gleich im Anschluss rief sie ihre Mutter an, die ebenso wie Veralynn mehrmals versucht hatte, sie zu erreichen, und kaum hatte sie das Gespräch beendet, meldete ihr Mobiltelefon, dass eine SMS eingegangen war.

Konnte nicht länger warten. Morgen 13 Uhr? Grüße, S. Whitecliff, las sie.

Lydia bestätigte den neuen Termin und steckte das Telefon ein. Dann überlegte sie, wie sie jetzt am besten vorgehen sollte, nachdem ihr ganzer Zeitplan aus den Fugen geraten war. Ursprünglich hatte sie vorgehabt, nach dem Treffen mit dem Notar bis zur A93 zurückzufahren und sich im Old Barnaby’s ein Zimmer zu nehmen, einer gemütlichen Pension nahe der Landstraße und der Abzweigung nach Inverglen. Von da hätte sie, so lange sie hier zu tun hatte, jeden Morgen nach Lilywhite Manor fahren können. Nach ihrer heutigen Odyssee war sie allerdings froh, überhaupt in Inverglen gelandet zu sein. Wie unsinnig wäre es da, sich jetzt wieder auf den Rückweg zu machen, mit viel Glück die A93 zu erreichen und gleich morgen früh erneut über Land zu irren.

Während sie überlegte, fiel ihr auf einmal das „Zimmer frei“-Schild im Fenster des Pubs auf. „Na, bitte“, sagte sie zu sich selbst. „Problem gelöst.“ Sie holte ihre Reisetasche aus dem Kofferraum und ging zur Fahrerseite, um die Tür abzuschließen. Da schoss auf einmal wie aus dem Nichts ein Wagen aus der Wohnstraße auf den Platz und hielt genau auf sie zu!

2. Kapitel

Lydia kam es wie eine Ewigkeit vor. Endlich hatte sie ihr Entsetzen niedergerungen und konnte sich wieder bewegen. Mit einem Satz sprang sie zur Seite und brachte sich in Sicherheit. Hoffentlich kam dieser wahnsinnige Fahrer nicht in letzter Sekunde auf die Idee, zur Straßenmitte hin auszuweichen und sie doch noch zu überfahren. Ihre Reisetasche rutschte über den Asphalt und blieb an der Bordsteinkante liegen. Sie selbst rollte sich zusammen und betete, dass ihr Schwung ausgereicht hatte.

Dann hörte sie das Quietschen von Reifen und wartete zitternd, ob sie im nächsten Moment über den Haufen gefahren wurde oder ob es einen lauten Knall gab, weil der Irre irgendetwas gerammt hatte – womöglich noch ihren Wagen!

Aber nichts geschah, außer dass der Motor abgestellt und die Wagentür zugeschlagen wurde. Lydia öffnete die Augen einen Spaltbreit und stellte fest, dass der Wagen des Irren schräg hinter ihrem halb auf dem Fußweg, halb auf der Straße abgestellt worden war. Sie sah einen grauhaarigen Mann in dem Pub verschwinden, aber so tatterig, wie er die Tür aufzog, konnte er unmöglich der Fahrer sein.

Sie stand auf und klopfte Hose und Jacke ab, dann ging sie mit weichen Knien zu ihrer Reisetasche. Zum Glück hatte sie ihr Notebook nicht auch noch aus dem Wagen geholt. Nach einer solchen Landung auf hartem Asphalt wäre es wahrscheinlich nicht mehr zu gebrauchen gewesen. Das Auto, das ihr um ein Haar den Tod gebracht hätte, war ein alter dunkelgrüner Roadster, vermutlich ein Modell aus den Vierzigerjahren. Ihr Bruder, der als Automechaniker arbeitete, hätte ihr garantiert alles über den Wagen erzählen können, aber daran war sie jetzt nicht interessiert. Sie wollte vor allem den Fahrer finden und zur Rede stellen.

Als sie die Tür zum Pub aufzog, wusste sie, wieso sich niemand auf der Straße aufhielt. Offenbar hatten sich alle Einwohner von Inverglen im Drunken Dragonfly eingefunden, um auf einem riesigen Flachbildschirm ein Snookerturnier zu verfolgen. Kaum jemand nahm Notiz von ihr, da einer der Spieler soeben die weiße Kugel versenkt hatte und die Gäste ihrem Frust über diesen Fehler lautstark Luft machten.

Links von ihr befand sich die Theke, der Wirt stand vornübergebeugt dahinter und starrte ebenso wie seine Gäste auf den Bildschirm. Lediglich eine junge blonde Frau mit einem Tablett in der Hand konzentrierte sich auf das Geschehen im Pub und tauschte fleißig leere Biergläser gegen volle aus. Die jeweiligen Gäste nickten nur beiläufig und tranken weiter. Es hätte Lydia nicht gewundert, wenn viele von ihnen sich nach dem Spiel nicht mehr daran erinnern konnten, wie viel sie eigentlich getrunken hatten, und unwissentlich ein oder zwei Gläser mehr bezahlten.

An der Theke saß der ältere Mann, der vor ihr den Pub betreten hatte.

„Ähm, hallo?“, rief sie dem Wirt zu, der unverändert das Geschehen im Fernsehen verfolgte.

„Augenblick, der Frame ist gleich fertig“, erwiderte er und deutete auf den Bildschirm.

Lydia verkniff sich eine Bemerkung und beschloss, geduldig abzuwarten. Ihr Vater war ein richtiger Snooker-Fanatiker, der seit Jahren zum Turnier nach Sheffield fuhr und kein Spiel verpasste. Er hatte sogar einen Stammplatz im Saal, deshalb wusste sie nur zu gut, wie lange es dauern konnte, bis ein Frame tatsächlich entschieden war. Glücklicherweise ging es hier recht schnell, und nach ein paar Minuten kam der Wirt, ein jüngerer Mann mit einem ganz und gar unmodischen Oberlippenbart, zu ihr und fragte: „Was soll’s sein?“

„Ich brauche ein Zimmer, aber erst mal würde ich gern wissen, wem der grüne Roadster da draußen gehört.“

Der Wirt duckte sich, um durch die niedrigen Butzenscheiben zu schauen. „Der gehört dem alten Billoughby.“

„Und wo finde ich den alten Billoughby?“

Mit einer Kopfbewegung deutete er auf das andere Ende der Theke – wo nur der alte Mann mit wallendem weißen Haar, buschigem Schnauzbart und grüner Schlägerkappe saß und genüsslich ein Bier trank.

„Gehört der nur ihm, oder fährt er ihn auch?“

„Er fährt ihn. Wieso? Hat er was angestellt?“

„Er hätte mich fast überfahren!“, gab sie zurück.

„Kommt vor“, meinte der Wirt beiläufig.

„Dass er Leute überfährt?“, fragte sie fassungslos.

„Dass er Leute fast überfährt“, stellte er richtig. „Seine Augen sind nicht mehr die besten, aber passiert ist noch nie was.“

Lydia bedachte den Wirt mit einem Stirnrunzeln und überlegte, ob er sie vielleicht nur auf den Arm nehmen wollte. Dann aber drehte sie sich zu Billoughby um, und ihr fiel auf, wie er die Augen zusammenkniff, um auf dem Bildschirm etwas erkennen zu können. Dort hatte inzwischen die Übertragung des nächsten Frames begonnen.

Sie marschierte zum anderen Ende der Theke, baute sich vor dem alten Mann auf und sagte streng: „Sie könnten sich ja wenigstens bei mir entschuldigen.“

Billoughby schreckte hoch, da er ganz offensichtlich nicht bemerkt hatte, wie Lydia sich ihm genähert hatte. „Wie? Oh nein, Miss, ich brauche keine neuen Schuhe“, entgegnete er und lächelte sie freundlich an.

„Was? Ich habe kein Wort von Schuhen gesagt“, entgegnete sie ratlos.

„Ja, gute Idee, versuchen Sie’s mal bei Mrs Galway, die ist sicher daran interessiert.“

Kopfschüttelnd wandte sie sich um und sah wieder den Wirt an. „Hatten Sie nicht davon gesprochen, dass seine Augen nicht mehr so besonders sind? Seine Ohren sind ja wohl nicht viel besser, oder?“

Der Wirt zuckte mit den Schultern. „Billoughby ist ja nur hier in der Gegend unterwegs, da kennt er sich aus.“

Lydia dachte an die Baustelle auf der Landstraße und wollte sich lieber nicht vorstellen, was der Mann wohl machen würde, wenn er auf die Straßensperre zuraste. „Gibt es hier keinen Dorfpolizisten oder sonst jemanden, der ihm den Führerschein abnehmen könnte?“

„Er tut doch keinem was“, verteidigte der Wirt das verantwortungslose Verhalten des alten Mannes auch noch.

Sie beschloss, das Thema zu wechseln und um Billoughby und seine rasende Todesmaschine in Zukunft einen großen Bogen zu machen. „Wie gesagt, ich brauche ein Zimmer.“

„Für wie lange?“, fragte der Wirt geschäftsmäßig.

„Für ein paar Tage.“

„‚Ein paar Tage‘? Wissen Sie’s nicht genauer?“

„Erwarten Sie denn in den nächsten Tagen mehrere Reisegruppen?“, entgegnete sie bissig, doch der verständnislose Blick des Wirts ließ sie erkennen, dass sarkastische Bemerkungen bei ihm nicht ankamen, also ergänzte sie: „Ich habe geschäftlich hier zu tun, und ich weiß nicht genau, wie lange das dauern wird.“

„Mhm“, machte der Wirt desinteressiert. Eigentlich hatte sie mit neugierigen Fragen gerechnet, weil sich bestimmt selten jemand aus geschäftlichen Gründen nach Inverglen verirrte. „Macht zwanzig Pfund pro Übernachtung. Zahlbar im Voraus.“

„Gut, dann buche ich das Zimmer erst einmal für drei Nächte, danach sehe ich weiter.“

Der Wirt nahm die drei Zwanziger, die Lydia ihm reichte, und steckte sie in die Hemdtasche.

„Ich brauche einen Beleg“, erklärte Lydia, als der Mann sich wegdrehte, um nach dem Zimmerschlüssel zu greifen. Schließlich würde sie für das Geld, das sie mit dem Gutachten hoffentlich verdiente, Steuern zahlen müssen. Da wollte sie wenigstens ihre Ausgaben geltend machen.

Wortlos schrieb er „60 Pfund“ auf einen Notizzettel und legte ihn auf die Theke.

„Ich sagte, ich brauche einen Beleg.“

„Das da ist ’n Beleg.“

„Das ist ein Schmierzettel, den erkennt kein Finanzamt an.“

„Meines schon“, sagte der Wirt und machte sich daran, zwei Bier zu zapfen. Lydia beachtete er nicht weiter.

„Tatsächlich?“, brummte sie. „Dann ist Mr Billoughby bestimmt Ihr Sachbearbeiter.“

„Was?“, fragte der Wirt.

Sie winkte ab. „Nicht so wichtig.“ Sie steckte den Zettel ein und griff nach ihrer Reisetasche und dem Zimmerschlüssel. Die Tür, die zu den Zimmern führte, befand sich am anderen Ende des Pubs, sodass sie einmal das Lokal durchqueren musste. Zigaretten- und Pfeifenqualm waberte so dicht hin und her, dass sie den Eindruck hatte, als würde sie durch eine Nebelbank laufen. Eigentlich hatte sie den Wirt noch fragen wollen, ob sich das neue Rauchverbot für Lokale noch nicht bis Inverglen herumgesprochen hatte. Aber wenn der Dorfpolizist jemanden wie Billoughby unbehelligt durch den Ort rasen ließ, warum sollte er dann dem Wirt das Leben schwer machen und darauf bestehen, das Rauchverbot einzuhalten?

Die Gäste nahmen von ihr weiter keine Notiz, außer dass sie ungehaltene Laute von sich gaben, da Lydia ihnen für wenige Augenblicke die Sicht auf den Flachbildfernseher versperrte.

Ihr Zimmer fiel recht bescheiden aus, ein Bett mit viel zu weicher Matratze, ein baufälliger Schrank, den sie lieber gar nicht erst öffnete, ein kleiner Tisch und davor ein Stuhl, dessen linke Armlehne abfiel, als Lydia mit dem Bein dagegenstieß.

„Bei zwanzig Pfund pro Nacht kann ich wohl froh sein, dass sich die Tür von innen abschließen lässt“, murmelte sie und packte ihre Reisetasche aus. Vorsichtshalber stapelte sie ihre Sachen auf dem Tisch, denn der Schrank war ihr einfach nicht geheuer.

Die graue Hose und die weiße Bluse tauschte sie gegen Jeans und einen dünnen Pullover, da sie sich darin einfach wohler fühlte. Das Treffen mit dem Notar fand heute nicht mehr statt, also musste sie auch nicht wie eine Geschäftsfrau auftreten, sondern konnte sich lässig kleiden.