Mythor 22: Das Nest der Nadelschlange - Hubert Haensel - E-Book

Mythor 22: Das Nest der Nadelschlange E-Book

Hubert Haensel

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Beschreibung

Nachdem der Lichtbote nach seinem Sieg über die Finsternis die Welt sich selbst überlassen hatte, begannen die Kräfte des Bösen, die sich in die Dunkelzone geflüchtet hatten, wieder zu erstarken. Inzwischen greifen sie aus der Dunkelzone, einem Ring kosmischer Trümmer, der die Welt umgibt und in eine Nord- und eine Südhälfte teilt, an und beeinflussen bereits weite Teile der nördlichen Länder und deren Bewohner. Das gilt besonders für die Caer, ein Kriegsvolk, das, von Dämonenpriestern angeführt, einen Eroberungsfeldzug beginnt und seine Nachbarn mit Feuer und Schwert heimsucht. Im Verhältnis zu den Horden der Caer ist die Zahl derer, die auf Seiten der Lichtwelt gegen die Mächte des Dunkels kämpfen, erschreckend gering. Eigentlich ist es nur eine kleine Gruppe von Menschen, die angeführt wird von Mythor, den man den Sohn des Kometen nennt. Mythor, inzwischen stolzer Besitzer von Einhorn, Bitterwolf und Schneefalke, den legendären Tieren, die ursprünglich für ihn bestimmt waren, hat jedoch seine Kampfgefährten verloren. Um sie wiederzufinden und zu befreien, zieht der junge Held der Lichtwelt auf den Spuren der Entführer südwärts. Dabei gelangt Mythor in DAS NEST DER NADELSCHLANGE ...

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Seitenzahl: 136

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Nr. 22

Das Nest der Nadelschlange

von Hubert Haensel

Nachdem der Lichtbote nach seinem Sieg über die Finsternis die Welt sich selbst überlassen hatte, begannen die Kräfte des Bösen, die sich in die Dunkelzone geflüchtet hatten, wieder zu erstarken. Inzwischen greifen sie aus der Dunkelzone, einem Ring kosmischer Trümmer, der die Welt umgibt und in eine Nord- und eine Südhälfte teilt, an und beeinflussen bereits weite Teile der nördlichen Länder und deren Bewohner.

Das gilt besonders für die Caer, ein Kriegsvolk, das, von Dämonenpriestern angeführt, einen Eroberungsfeldzug beginnt und seine Nachbarn mit Feuer und Schwert heimsucht.

Im Verhältnis zu den Horden der Caer ist die Zahl derer, die auf Seiten der Lichtwelt gegen die Mächte des Dunkels kämpfen, erschreckend gering. Eigentlich ist es nur eine kleine Gruppe von Menschen, die angeführt wird von Mythor, den man den Sohn des Kometen nennt.

Mythor, inzwischen stolzer Besitzer von Einhorn, Bitterwolf und Schneefalke, den legendären Tieren, die ursprünglich für ihn bestimmt waren, hat jedoch seine Kampfgefährten verloren. Um sie wiederzufinden und zu befreien, zieht der junge Held der Lichtwelt auf den Spuren der Entführer südwärts.

Dabei gelangt Mythor in DAS NEST DER NADELSCHLANGE ...

Die Hauptpersonen des Romans

Mythor – Der junge Krieger im Nest der Nadelschlange.

Syrina – Eine angebliche Kometenfee.

Mormand – Lichtkönig von Ugalien.

Vassander – Erzmagier von Ugalien.

Graf Corian – Heerführer von Ugalien.

Duprel Selamy

1.

Die Schritte, die ihn verfolgten, wurden schneller.

Graf Corian wandte sich um, als er die kleine Mauer erreicht hatte, die den kiesbedeckten Weg von einem mit Seerosen überwucherten Teich trennte. Aber der riesige Park vor dem Sonnenpalast lag verlassen da. Giftig-gelbe Wolken senkten sich langsam herab. Ein Hauch des Todes ging von ihnen aus, der ahnen ließ, welch schreckliches Schicksal der Stadt Ugalos von den dämonischen Mächten drohte.

Dennoch hatte Corian aus den Augenwinkeln heraus einen Schatten wahrgenommen, der blitzschnell hinter einer der mannshohen immergrünen Hecken verschwunden war.

Langsam ging er dann weiter, seine Aufmerksamkeit scheinbar den Schwänen schenkend, die flügelschlagend auf ihn zukamen.

Da hörte er es wieder. Leise, schlurfende Schritte. Es mussten zwei Personen sein, die ihm folgten.

Seine Rechte lag am Knauf des Schwertes, bereit, sich seiner Haut zu wehren. Wer immer hinter ihm herkam, nur Laffeur konnte ihn geschickt haben. Corian hatte erwartet, dass der Bruder des Königs seine Niederlage nicht so schnell überwinden können würde, aber dass er deshalb fähig war, Meuchelmörder zu dingen ...

Der Graf versuchte, die Entfernung abzuschätzen. Noch zehn Schritte, vielleicht auch nur acht.

Er wirbelte herum, das Schwert aus der Scheide reißend. Die Gewissheit, richtig vermutet zu haben, wurde von seiner Überraschung noch übertroffen. Die beiden Kumpane Laffeurs hatte er nicht erwartet.

»Sieh da«, sagte er, und in seiner Stimme schwang bitterer Hohn mit. »Ihr verfolgt mich, um mir Grüße meines Busenfreundes zu bestellen?« In seinen Augen waren Vermond und Britor schon immer etwas dümmlich gewesen, nur schnell mit dem Weinkrug und, wenn sie zuviel getrunken hatten, auch mit dem Maul.

Jetzt zeigte sich wieder, dass seine Meinung richtig war. Die beiden dachten gar nicht daran, ihn von zwei Seiten her anzugreifen, sondern drangen nebeneinander auf ihn ein, wobei sie sich gegenseitig behinderten. Es fiel ihm leicht, ihre Hiebe abzuwehren.

Obwohl Graf Corian der Kampf mit Laffeur weitaus mehr mitgenommen hatte, als er es sich eingestehen wollte, betrachtete er den Überfall seiner beiden Kumpane als willkommene Abwechslung. Er würde es ihnen ein für allemal verleiden, sich mit ihm anzulegen.

Ihre Klingen kreuzten sich in schneller Folge. Die Linke in die Hüfte gestemmt, führte Corian sein Schwert fast spielerisch. Doch schon ging sein Atem hastig.

»Du wirst niemanden mehr lächerlich machen«, fauchte Vermond, und in seinen eiskalt blickenden grauen Augen blitzte es auf.

Corian ahnte, was kommen würde. Als die rechte Fußspitze des Angreifers wie bei einem direkt vorgetragenen plumpen Angriff vorschnellte, bedurfte es nur eines schnellen Schrittes rückwärts, und er stand auf der kniehohen Mauer, die den Weg vom Wasser trennte. Vermonds Ausfall zur Seite hin kam den Bruchteil eines Herzschlages zu spät, und seine von unten heraufzuckende Klinge parierte der Graf mühelos.

Weil er nur seinen Begleiter, nicht aber sich selbst in Bedrängnis wusste, war Britor einen Augenblick lang unachtsam. Diese winzige Zeitspanne genügte Corian, um wieder von der Mauer herabzuspringen und zuzustoßen. Die Spitze seines Schwertes zerfetzte Britors farbenprächtige Kleidung und hinterließ eine tiefe Wunde in seinem Arm. Ein wütender Aufschrei antwortete ihm.

Und schon riss der Graf seine Waffe wieder hoch und lenkte einen Hieb Vermonds ab. Schritt für Schritt trieb er ihn vor sich her auf das Wasser zu, bis er nicht mehr weiter ausweichen konnte.

Vermond schrie auf, duckte sich und stieß den Schwertarm vor. Die Klinge verfehlte Corian um eine Handbreit, der aber konterte, indem er dem Angreifer sein Knie in den Leib rammte.

Vermond rang plötzlich nach Luft. Der Blick seiner blutunterlaufenen Augen wanderte zur Seite.

Die jäh aufflammende Hoffnung darin erkennen und sich fallen lassen war für Corian eins. Ein kurzes, bösartiges klingendes Sirren drang an sein Ohr, ein eisiger Luftzug streifte ihn, dann schrie Vermond gellend auf. Auf seinem Wams bildete sich ein roter Fleck, der schnell größer wurde. Er taumelte, ließ das Schwert fallen. Seine Hände verkrampften sich vor der Brust. Dann stürzte er, ohne einen weiteren Laut von sich zu geben, hintenüber. Hoch aufspritzend schlug das Wasser über ihm zusammen.

Der Graf fuhr herum und sah, dass Britor eine kaum handtellergroße Kavaliersarmbrust auf ihn richtete, aber noch verzweifelt bemüht war, einen zweiten Bolzen einzulegen. Die Furcht stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.

Als Corian zwei Schritte auf ihn zu tat, schleuderte er ihm die Waffe entgegen, verfehlte ihn jedoch abermals. Sein Gesicht verzerrte sich zur dämonischen Fratze, als er dann erneut auf den Grafen eindrang. Mit beiden Händen führte er sein Breitschwert mit einer solchen Wucht, dass Corian Mühe hatte, seinen Schlägen standzuhalten.

Aber Britor schien starke Schmerzen zu haben, das war ihm deutlich anzumerken. Über seinen Arm lief das Blut und färbte die hellen Kiesel dunkel.

»Der Fluch des Heroen über dich!«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Lange konnte Britor diese schnelle Art zu kämpfen sicher nicht durchstehen. Die Wunde machte ihm zu schaffen. Dennoch drang er mit dem Mut eines Verzweifelten auf Corian ein.

Endlich gelang es diesem, einen entscheidenden Hieb anzubringen. Quer über die Brust zerfetzte seine Klinge das Wams des Angreifers und drang tief zwischen dessen Rippen. Ohne auch nur einen Laut von sich zu geben, brach Britor zusammen. Er starb, noch bevor Corian sein Schwert in die Scheide stecken und sich über ihn beugen konnte.

Auch Vermond hatte ein unbarmherziges Schicksal ereilt. Sein Leichnam ruhte auf dem Grund des Teiches, unter den Blättern unzähliger Seerosen.

Mit einem Fluch auf den Lippen wandte Corian sich ab. Er schauderte, wenn er an die Zukunft dachte. Laffeur würde ihm den Tod seiner Kumpane niemals verzeihen und Mittel und Wege finden, sich dafür bitter zu rächen.

*

Der Tod senkte sich auf Ugalos herab.

Zuerst starben die Fische in den Kanälen und trieben mit aufgedunsenen Bäuchen auf dem schleimigen, träge fließenden Wasser dahin; dann verdorrten die Pflanzen – anfangs an den Ufern des Flusses, später auch in den Gärten, auf die die Bewohner der Stadt zu Recht stolz waren. Junge Triebe starben ab, Blätter verwelkten und fielen zu Boden, wo sie sich langsam zersetzten. Schwarzer Staub war alles, was von der einstigen Pracht blieb.

Furcht zog in die Herzen der Menschen ein. Sie empfanden Grauen beim Anblick der dichter werdenden Nebelschwaden, die vom Wasser her aufstiegen und die Stadt zu ersticken drohten.

Lautlos schlich der Tod durch die unzähligen Gassen und Straßen, breitete sein gelbes Leichentuch über Plätze und Gärten aus und vergiftete Mensch und Tier.

Es hatte in den frühen Morgenstunden begonnen, jetzt senkte sich die Sonne bereits dem Abend entgegen und färbte das Firmament rot wie mit dem Blut unschuldiger Opfer.

Ein Aufschrei, gellend und voll Entsetzen zugleich ...

»Aqvitre hilf!«

Erst war es nur eine Stimme, dann fielen andere ein, heiser, kreischend, und die Woge der Erregung pflanzte sich wie ein Lauffeuer fort.

Selbst stämmige Burschen brachen hysterisch schluchzend in die Knie. Es waren nicht viele, die beim Anblick der dämonischen Fratze den Mut fanden, zu den Waffen zu greifen. Aber kein Speer und kein Bolzen einer Armbrust vermochte das Antlitz zu verletzen. Ein Geistermund öffnete sich zu einem höhnischen Lachen, das schaurig durch Ugalos hallte.

Auch Frerick Armos starrte wie gebannt in den Himmel.

Dort, zwischen den Wolken, zeichnete es sich ab. Ein Gesicht aus Glas, leblos, aber doch von einer unbeschreiblichen Bösartigkeit.

Ein Caer-Priester.

Der Schmied hatte davon erzählen hören, doch jetzt sah er zum ersten Mal mit eigenen Augen einen dieser Wegbereiter der Schattenzone.

Er schauderte.

Als er den Blick abwenden wollte, schien eine unheimliche Macht von ihm Besitz zu ergreifen. Er würgte, brach zusammen und musste sich übergeben.

Armos ekelte sich vor sich selbst. Die Geschwüre an seinen Händen waren aufgebrochen. Zum Teil lag das Fleisch offen – es war gelblich verfärbt.

Ein dumpfes Grollen, das aus dem Schoß der Erde zu kommen schien, ließ die Mauern der Stadt erbeben. Noch nie war es so schlimm gewesen wie diesmal. Ein aufkommender Sturm peitschte die Wolken vor sich her und zerfetzte das dämonische Grinsen auf dem Gesicht des Caer.

Die Dämmerung brach herein, am Horizont wetterleuchtete es.

Ein böses Omen! Denn vor vielen Sommern schon hatten die Seher prophezeit, dass das Ende der Lichtwelt nahe sein würde, wenn der Boden zitterte und die Erde sich auftat, wenn das Licht der Sonne im Kampf mit dem Bösen lag und zu flackern begann.

An all das musste Frerick Armos denken, während er sich mühsam erhob und vorwärts taumelte.

Armos wusste nicht, wo er sich befand. Gespenstisch hallten seine Schritte von den Häusern wider, die sich eng aneinanderlehnten.

Der Schmied hastete weiter, bis ein dunkles Bündel ihn einhalten ließ. Es war ein Mensch, der zusammengekrümmt auf dem Pflaster lag.

Armos beugte sich über den Mann und drehte ihn zur Seite. Gebrochene Augen starrten ihn an.

»Möge Lavoux dir gnädig sein und deine Seele in das Reich des immerwährenden Lichtes führen«, murmelte Armos bedrückt.

Er kannte den Mann, sah ihn in diesem Augenblick wieder vor sich, wie er ihm seine dürren Arme hilfesuchend entgegenstreckte und um Mitleid bat. Am Morgen noch war er ihm begegnet auf seiner Flucht durch das Viertel der Bettler und Ausgestoßenen.

Ein Dolch ragte aus der Brust des Toten, und seine Hand schien sich daran festzuklammern: Er hatte sich selbst entleibt.

Von irgendwoher erklangen lautes Schreien und das Klirren aufeinanderschlagender Waffen.

Erst jetzt wurde Armos sich bewusst, dass er nichts hatte, womit er sich verteidigen konnte. Sein Blick blieb an dem Dolch hängen. Dann griff er kurz entschlossen zu, löste die steifen Finger von dem kunstvoll gearbeiteten Griffstück und zog die Klinge aus der Wunde. Dabei konnte er sich eines gewissen Schauders nicht erwehren.

War da nicht etwas? Eine flüchtige Bewegung, ein Zucken der Augäpfel? Öffnete sich der zahnlose Mund zu einem stummen Klagen?

Frerick Armos raffte sich auf und rannte davon, überzeugt, dem Bösen nur mit knapper Not entronnen zu sein. Er blieb erst wieder stehen, als stechende Schmerzen in seiner Brust ihn dazu zwangen.

Noch immer hielt er den Dolch mit der blutverkrusteten Schneide in der Hand. Mit Schnee wollte er ihn säubern, doch das Blut ließ sich nicht abwischen. Es widerstand sogar seinen Bemühungen, als er mit einem Stein darüberkratzte.

Allmählich offenbarte sich die Macht der Dämonen. Also waren die Gerüchte wahr, die besagten, dass die Caer nach Ugalos griffen. Welch unvorstellbares Unheil mochte erst hereinbrechen, wenn die kriegerischen Horden über die Brücken einritten?

Nur ein Narr verweilte noch länger in den Mauern, die dem Verderben preisgegeben waren. Frerick Armos mochte alles sein, Raufbold, Säufer und Weiberheld, Geliebter so mancher schönen Wirtstochter – aber als Narr konnte ihn wahrlich niemand bezeichnen.

Er lenkte seine Schritte in Richtung auf das östliche Ufer der Lorana. Die Straßen wurden belebter, je weiter er kam. Bürger, die ihre ganze Habe in riesigen Bündeln mit sich schleppten, begegneten ihm. Verzweiflung trieb sie vorwärts und die Hoffnung, irgendwo in den Weiten Dandamars, der Wildländer oder im fernen Süden eine neue Bleibe zu finden, wo das Grauen sie verschonte. Viele von ihnen trugen bereits die Male des gelben Fiebers.

Aber alle eilten sie, Ugalos zu verlassen. Gesunde und Kranke – solche, die ihr Schicksal mit dem Gleichmut der Erkenntnis ertrugen, den Mächten des Bösen ohnehin nicht gewachsen zu sein, und jene, deren schrilles Wehklagen durch die Gassen hallte.

Die Menge riss Armos mit sich. Er ließ sich treiben, wusste er doch, dass sie nur ein Ziel hatten: In den Weinbergen jenseits des Flusses würden sie erste Erleichterung finden, dort, wohin die giftigen Nebel sicher noch nicht reichten und wo die Pavillons und Jagdhäuser der Edelleute Quartier boten.

Die Schreie Verletzter schreckten den Schmied aus seinen Gedanken auf. Er hatte sein Ziel erreicht. Vor ihm spannte sich eine Brücke über die Fluten der Lorana, die sich jetzt nur träge dahinwälzten. Schaum bedeckte das Wasser, türmte sich auf und leckte nach dem Ufer und den hölzernen Pfeilern.

Obwohl der Schein der untergehenden Sonne noch ausreichende Helligkeit spendete, konnte Armos das jenseitige Ufer des Flusses nicht erkennen. Nebelschwaden, so dicht, wie er sie bisher nicht gesehen hatte, nahmen ihm die Sicht.

Die Menge drängte sich vor der Brücke, aber niemand konnte seinen Fuß auf die glitschigen, von Schleim überzogenen Bohlen setzen. Die Brückenwachen – zwei Dutzend an der Zahl und in voller Rüstung – schienen Befehl zu haben, keinen aus der Stadt hinauszulassen. Ihre Schwerter und Spieße redeten eine deutliche Sprache und führten ihr blutiges Handwerk aus, wo mancher Verzweifelte nicht weichen wollte.

Ellbogen und Fäuste gebrauchend, schob Armos sich dennoch nach vorne. Nicht jeder machte ihm sofort Platz, aber wo er auf Gesunde stieß, wichen diese von selbst mit allen Anzeichen des Abscheus vor ihm zurück. Hatte er sich bisher noch eingeredet, bis auf seine Hände und einige übel juckende Beulen im Gesicht nicht betroffen zu sein, so belehrten ihn die Blicke, die ihn trafen, dass er kaum noch besser dran war als die schrecklich entstellten Gestalten, die von allen gemieden wurden.

Als der Schmied das erkannt hatte, schlug er sich rücksichtslos durch. Kaum noch fünf Schritte trennten ihn vom Aufgang zur Brücke, als einige besonders Beherzte oder aber zutiefst Verzweifelte versuchten, von der Seite her das etwa mannshohe Geländer zu überklettern. Die Wachen wurden erst auf sie aufmerksam, als der erste schon die Brüstung erreicht hatte und hinabsprang. Ein mit großer Wucht aus allernächster Nähe geschleuderter Spieß durchbohrte den Mann förmlich. Einen Augenblick lang stand er ungläubig, seine Hände krampften sich um den Schaft, der aus seiner Brust herausragte, dann stürzte er mit einem grauenhaften Aufschrei in die aufwallenden Fluten.

Zwei weitere Spieße verfehlten ihr Ziel und bohrten sich zitternd in das Holz. Gleich darauf sprachen die Schwerter. Fünf Mann, die den Tod schon sichtbar in sich trugen, kämpften einen aussichtslosen Kampf.

Keiner konnten ihnen helfen, als sie einer nach dem anderen blutüberströmt zusammenbrachen. Die Menge war zu schwach und schlecht bewaffnet, um die Brücke im Sturm zu nehmen.

In jäh aufwallendem Zorn ballte Frerick Armos die Hände. Er schüttelte sie zum Himmel empor.

Welcher Frevel mochte schuld daran sein, dass die Götter sich von Ugalos abwandten, zu einem Zeitpunkt, da man ihrer dringend bedurfte?

Armos hielt den Atem an. Alles in ihm verkrampfte sich.

Da war plötzlich eine Hand, die aus den Fluten ragte. Die Finger krallten sich an einem Pfeiler fest, zogen sich langsam, aber unerbittlich daran in die Höhe.

Keiner der Schergen auf der Brücke hatte Augen dafür, doch viele aus dem Volk sahen es. Sie verstummten. In einer Zeitspanne, die kaum länger bemessen werden durfte als die Dauer dreier Herzschläge, kam das Schweigen.

Totenstille!

Selbst die, die von hinten herandrängten, schwiegen plötzlich.

Der Hand folgte ein Arm, eine Schulter – alles blutig und von Schleim bedeckt.

Eine zweite Hand ... Sie schwang ein Schwert, stieß es von unten her zwischen den Holzbohlen hindurch, und die spitze Klinge fand ihr Opfer. Wie vom Blitz gefällt, brach eine der Wachen zusammen.