Mythor 33: Stein der Dämonen - Hubert Haensel - E-Book

Mythor 33: Stein der Dämonen E-Book

Hubert Haensel

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Beschreibung

Seit dem Tag der Wintersonnenwende, dem Tag der entscheidenden Schlacht, die auf dem Hochmoor von Dhuannin zwischen den Streitern der Lichtwelt und den Kräften des Dunkels ausgetragen wurde, sind Wochen vergangen. Mit der Unterstützung Drudins, des obersten Dämonenpriesters, der die Kräfte der Finsternis mobilisierte, haben die eroberungssüchtigen Caer über die Kämpfer der Lichtwelt triumphiert und die große Schlacht für sich entschieden. Damit halten Tod und Verderben ihren Einzug auch in solchen Ländern, die bisher vom Krieg verschont geblieben sind. Massen von Menschen, unter ihnen die demoralisierten Besiegten der Schlacht, streben in heilloser Flucht nach Süden, die Herzen von Trauer und Hass erfüllt. Auch Mythor, der junge Held der Lichtwelt, zieht südwärts. Nach seinem Zwischenspiel in Leone, am Baum des Lebens und beim Orakel von Theran ist Mythor wieder auf der Flucht. Sein Schicksal scheint besiegelt zu sein, denn er wird sowohl von den heymalischen Vogelreitern als auch von Drudins Todesreitern verfolgt - und er bekommt es zu tun mit dem STEIN DER DÄMONEN ...

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Veröffentlichungsjahr: 2015

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Nr. 33

Stein der Dämonen

von Hubert Haensel

Seit dem Tag der Wintersonnenwende, dem Tag der entscheidenden Schlacht, die auf dem Hochmoor von Dhuannin zwischen den Streitern der Lichtwelt und den Kräften des Dunkels ausgetragen wurde, sind Wochen vergangen. Mit der Unterstützung Drudins, des obersten Dämonenpriesters, der die Kräfte der Finsternis mobilisierte, haben die eroberungssüchtigen Caer über die Kämpfer der Lichtwelt triumphiert und die große Schlacht für sich entschieden.

Damit halten Tod und Verderben ihren Einzug auch in solchen Ländern, die bisher vom Krieg verschont geblieben sind. Massen von Menschen, unter ihnen die demoralisierten Besiegten der Schlacht, streben in heilloser Flucht nach Süden, die Herzen von Trauer und Hass erfüllt.

Auch Mythor, der junge Held der Lichtwelt, zieht südwärts.

Nach seinem Zwischenspiel in Leone, am Baum des Lebens und beim Orakel von Theran ist Mythor wieder auf der Flucht. Sein Schicksal scheint besiegelt zu sein, denn er wird sowohl von den heymalischen Vogelreitern als auch von Drudins Todesreitern verfolgt – und er bekommt es zu tun mit dem STEIN DER DÄMONEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

Mythor – Der Kämpfer der Lichtwelt wird verfolgt.

Rochad – Ein »Fischer« an der Straße des Bösen.

Mistra – Rochads Tochter.

Vierfaust – Ein Stummer Großer.

Coerl O'Marn, Krude und Oburus

1.

Die Landschaft, in die er langsam hinabglitt, schien einem Albtraum zu entstammen. Tarmino ahnte, dass tief unter ihm das Verderben lauerte. Alles war fremd und verwirrend. Die bizarren Formen schienen tödliche Gefahren zu bergen und waren doch von einer gleichermaßen düsteren Schönheit, dass jeder der langgezogenen Schatten auf unheimliche Weise lebendig wirkte.

Der Krieger aus Arlond, einer der westlichsten Grafschaften Ugaliens, der die Schrecken der Schlacht im Hochmoor von Dhuannin überstanden hatte, ohne an Leib oder Seele Schaden zu nehmen, der viele Caer besiegt, aber auch seine Kampfgefährten unzählige Tode hatte sterben sehen, begann zu zittern. Ein Hauch des Bösen streifte ihn.

Die Finger seiner Rechten, mit der er krampfhaft das schartige Schwert umklammert hielt, wurden klamm. Eine eisige Kälte fraß sich durch seine Fellkleidung hindurch und ließ ihn frösteln.

Von irgendwoher erklangen schaurig schrille Töne. Verzweifelt suchte Tarmino nach einem Halt, aber sein eigenes Gewicht zog ihn unbarmherzig weiter, tiefer in die Schlucht hinein, deren unwirkliches Rot seinen Augen schmerzte.

Es gab kein Erbarmen. Das Seil, das sie um seinen Leib geschlungen hatten, spulte sich immer schneller ab.

Die Felsen sahen aus wie ein Meer versteinerter Pflanzen. Winzige Kristalle, vom Wind aufgewirbelt, stachen schmerzhaft in die Haut des Kriegers.

Gleichzeitig wurde der unwirkliche Klang lauter. Dämonen schienen durch die Schluchten und Abgründe zu streifen – auf der Suche nach wehrlosen Opfern.

»Aqvitre, hilf!«

Der Wind riss Tarmino die Worte von den Lippen und trug sie mit sich fort.

Wie tief mochte er inzwischen sein? Zwanzig Mannslängen, vielleicht gar dreißig? Wenn er den Kopf weit in den Nacken legte, konnte er über sich den wolkenüberzogenen Himmel erkennen. Die Sonne stand steil, und ihre Strahlen blendeten ihn. Dennoch war er sicher, dass die Salamiter unentwegt zu ihm herabstarrten und jede seiner Bewegungen verfolgten.

Allmählich begann Tarmino zu bedauern, dass er nicht auf dem Schlachtfeld geblieben war. Wie viel leichter mochte es sein, durch die Klinge eines Caer schnell zu sterben, als Auge in Auge mit dem Unheimlichen, dem Unbegreifbaren, einen inneren Kampf auszufechten, dessen Ausgang von vornherein unumstößlich feststand.

Beinahe schlagartig brach das dämonische Heulen ab. Auch die Kraft des Windes erlahmte. Die folgende Stille war erfüllt von den Schrecken menschlicher Vorstellungskraft. Da entpuppten sich faustgroße Steine als lauernde Bestien, wurden schlanke Felsnadeln zu peitschenden Schlangenleibern.

Mit einem harten Ruck kam das Seil zum Stillstand. Es hatte sich an einem Vorsprung verfangen. Hilflos pendelte Tarmino zwischen Himmel und Hölle, ausgeliefert einem unbeschreiblichen Etwas, das er kommen fühlte, das von allen Seiten her auf ihn eindrang – gefährlich, lauernd und von unersättlicher Gier; schlimmer noch als die Begegnung mit einem Moortoten oder der Anblick der Krieger, die ihr Ende in den Ästen einer Runengabel gefunden hatten.

In jäh aufwallendem Entsetzen schwang der Ugaliener sein Schwert. Als die Klinge auf Widerstand stieß, drosch er wie besessen darauf ein. Steine splitterten und verschwanden polternd in der Tiefe. Ein Ächzen schien durch den Berg zu gehen, ein Aufbäumen ...

Aber es war nicht der Fels, der sich bewegte. Tarmino fiel, und noch während der Boden rasend schnell näherkam, erkannte er, dass das Seil sich durch seine heftigen Bewegungen wieder gelöst hatte.

Der Aufprall fiel weit weniger hart aus, als erwartet. Wohl weil Staub und weiches Moos den Fall dämpften. Eine Wolke glitzernder Kristalle hüllte den Krieger ein. Ihr Zauber ließ ihn für wenige Augenblicke vergessen, doch war er dann schnell auf den Beinen, und das Schwert in seiner Hand lag ruhig, wie schon lange nicht mehr.

Nur wenige Sonnenstrahlen drangen bis hierher vor, wo ein trüber, rötlicher Dämmer beherrschend war. Etliche Schritte von ihm entfernt, gewahrte der Ugaliener mächtige Halme, von denen er wohl kaum zwei zugleich umfassen konnte. Ohne erkennbaren Übergang wuchsen sie aus dem harten Boden heraus und verzweigten sich etwa in Mannshöhe zu Dutzenden von Blüten, deren Blätter wie Flammen züngelten.

Tarmino tastete nach dem großen ledernen Beutel, den die Salamiter ihm gegeben hatten, um eben diese Blüten einzusammeln. Ein Gefühl drohender Gefahr beschlich ihn, und rasch führte er den ersten Hieb gegen die Pflanzen.

Die Klinge schnitt in einen der Halme, vermochte ihn aber nicht einmal zur Hälfte zu durchtrennen. Ein zweites Mal ließ der Ugaliener sein Schwert herniedersausen ...

Ein schriller, kaum hörbarer Ton zerriss die Luft.

Zuerst verspürte Tarmino nur ein kaum merkliches Zittern unter seinen Füßen, dann brachen vereinzelt Steine aus der Steilwand und polterten zu Boden. Das Seil, an dem er hing, zog sich plötzlich enger. Er taumelte, musste mühsam um sein Gleichgewicht kämpfen, schaffte es schließlich doch, auf den Beinen zu bleiben und – erstarrte.

Vier tastende Fühler schoben sich auf ihn zu – jeder so lang wie sein ausgestreckter Arm.

Eine riesenhafte, mindestens fünf Schritte messende Schnecke. Und mehr als mannshoch das gewundene Haus, das sie trug.

Wieder ertönte dieses schrille Geräusch, das Tarmino Schauder über den Rücken jagte. Es kam aus einem Rachen, der übersät war mit winzigen spitzen Zähnen.

Für die Dauer eines bangen Herzschlags war der Krieger unfähig, sich zu bewegen. Aus irgendeinem Grund musste er gerade jetzt daran denken, dass er auf seinem Weg nach Süden während der letzten Tage Hunderte solcher schleimigen Geschöpfe verspeist hatte, um überleben zu können. Keines von ihnen war aber länger gewesen als ein Finger.

Tarmino warf sich herum. Das Seil zog sich noch enger und presste ihm die Luft aus den Lungen. Er wollte schreien, wollte den Salamitern auf der Brücke zurufen, sie sollten nachlassen oder ihn zurückziehen, doch kein Laut kam über seine Lippen. Und dann sah er, dass sich hoch über ihm der Fels bewegte. Steine, die deutlich pflanzliche Strukturen erkennen ließen, hatten das Seil umschlossen.

Eine schleimige Spur hinter sich herziehend, kam die Riesenschnecke näher. Tarmino war gezwungen zu kämpfen. Doch sein Hieb, mit ungestümer Wucht geführt, ging ins Leere und riss ihn fast von den Beinen.

Mit einer unwahrscheinlich schnellen Bewegung hatte das Tier seine Fühler eingezogen. Aber schon schnellten diese wieder vor und trafen den Krieger mit der Härte eines Morgensterns.

Den nächsten Angriff ahnte er mehr, als er ihn wirklich kommen sah. Sein Schwert bohrte sich in zuckendes, weiches Fleisch. Schon wollte Tarmino die Klinge erneut hochreißen und das Seil durchtrennen, um sich ungehindert bewegen zu können, da klatschte es, völlig zerfasert, neben ihm auf den Fels. Gleichzeitig vermeinte er ein höhnisches Gelächter zu hören, indes mochte es nur der Wind sein, der in diesem Moment wieder durch die Schlucht strich.

Zur Rechten des Kriegers ragte die Steilwand in die Höhe, hinter ihm wuchsen die Pflanzen, die, wie er von den Salamitern erfahren hatte, keineswegs ungefährlich waren. Nur auf der anderen Seite schien der Boden zwanzig oder gar dreißig Schritte weit lediglich von Geröll bedeckt zu sein.

Tarmino wich den abermals zustoßenden Fühlern geschickt aus, bückte sich nach einem scharfkantigen Stein und schleuderte ihn dem Angreifer entgegen, ohne jedoch irgendetwas zu erreichen. Die Schnecke folgte ihm mit schnellen Bewegungen, und die Geräusche, die sie dabei erzeugte, gingen durch Mark und Bein.

Wieder schwang der Krieger sein Schwert. Ein Schwall klebrigen Blutes traf ihn und durchnässte seine Kleidung. Er achtete nicht darauf – ebenso wenig wie auf den Schrei des Tieres, der in vielfachem Echo durch die Schlucht hallte. Es war wie ein Rausch, der über ihn kam. In diesem Augenblick hätte Tarmino es wohl auch mit einem Caer-Priester aufgenommen. Selbst wenn er es sich nicht eingestand, die Schrecken des Erlebten, die Furcht davor, dass alles sich wiederholen könnte, hatten sich tief in seine Seele eingebrannt. Nur das Singen des Schwertes, wenn dieses durch die Luft schnitt, ließ ihn vergessen.

Wie ein Besessener drosch er auf die riesige Schnecke ein, aber obwohl er einen zweiten Fühler abschlug, vermochte die stumpfe Klinge nicht mehr zu töten. Tarmino verspürte plötzlich Hass auf alles, was sich bewegte.

Wieder ertönten gespenstische Laute.

Das Echo klang jetzt näher.

Kaum fingerdicke Ranken, die aus Felsritzen hervorwucherten, peitschten über den Boden. Sie griffen nach den Beinen des Ugalieners und schnellten sich wie Schlangen in die Höhe.

Schritt für Schritt musste Tarmino zurückweichen. Allmählich machte sich ein unangenehmes Brennen bemerkbar, als würden glühende Messer in sein Fleisch gestoßen. Es war am schlimmsten, wo das Blut des Tieres seine Kleidung verkrustete.

Während er unablässig die zuckenden Ranken abwehrte, riss Tarmino sich die Felle vom Leib.

Er erschrak, als er die winzigen schwarzen Bläschen sah, die seine Haut überzogen und eine eitrige Flüssigkeit absonderten. Die Kälte um ihn her brachte nur für kurze Zeit ein wenig Linderung.

Ein Stöhnen rang sich über Tarminos Lippen.

War es nicht besser, wenn er das Schwert gegen sich selbst richtete? Denn seine Ahnungen hatten ihn nicht getrogen. Er würde sterben! Das wusste er mit um so größerer Sicherheit, je tiefer sich das Blut der Schnecke in sein Fleisch einbrannte.

Die Schmerzen wurden immer unerträglicher. Sie ließen den Ugaliener Dinge sehen, von denen er wusste, dass sie nicht Wirklichkeit waren. Aber doch konnte er sich ihrer nicht erwehren. Finsternis senkte sich herab, die das Licht der Sonne schluckte und den nahenden Tod erahnen ließ.

Das Böse griff nach ihm. Es rief seinen Namen mit düsterer Stimme, um Macht über ihn zu erlangen.

»Nein!«, schrie der Krieger auf, und noch einmal erlangte sein Schwertarm dieselbe Kraft wie beim Kampf gegen die Caer.

»Neiiin!«

Er würde nicht aufhören, die Lichtwelt zu verteidigen. Niemals!

Wenn der Tod nun kam, um ihn mit sich zu nehmen, dann würde er Tarmino gewappnet vorfinden. Jedes Blatt, das er abtrennte, jeder Strunk, der bewegungslos zurückblieb, war ein kleiner Sieg gegen die Dunkelheit.

Der Krieger lachte. Sein Lachen klang irr und hallte schaurig von den Felsen wider.

Aber eine plötzliche Berührung in seinem Rücken ließ ihn verstummen. Als er herumwirbelte, sah er sich gleich zwei Riesenschnecken gegenüber, deren Fühler nach ihm tasteten.

Blindlings schlug Tarmino zu. Doch das Schwert wurde ihm aus der Hand gewirbelt und blieb für ihn unerreichbar liegen. Schon wollte er sich zur Flucht wenden, als ein harter Schlag ihn von den Füßen riss.

Schwer schlug er zwischen den Steinen auf. Seine Bemühungen, sich zu erheben, scheiterten, weil eine unheilvolle Kraft ihn lähmte. Er war nicht einmal mehr fähig, abwehrend die Arme zu heben.

Auf dem Rücken liegend, musste er hilflos mitansehen, wie die Schnecken näherkamen. Die Berührung war schlimmer als alles, was er jemals erlebt hatte. Sein Körper schien in siedendes Öl getaucht zu werden. Tarmino schrie. Es war ein grauenvoller, nicht enden wollender Schrei.

Ein schleimiger Körper wälzte sich auf ihn. Stinkender Atem schlug ihm entgegen.

Tarminos Gedanken schweiften ab zu den Göttern Ugaliens. Was hatte er getan, dass sie ihr Antlitz von ihm wandten?

Dann erstickte sein Schrei unter den zähen Ausscheidungen des Tieres.

*

Irgendwann – der Schleier des Vergessens senkte sich mit jedem Winter, der ins Land zog, tiefer herab – hatte ein ungnädiges Schicksal ihn nach Südsalamos verschlagen. Aber nach langen Jahren der Wanderung und Ruhelosigkeit lebte er nun für eine neue Aufgabe, und seine Magie war geachtet.

Was kümmerte es ihn da, dass das Böse mit jedem Sonnenuntergang deutlicher spürbar wurde. Er hatte es schon damals gewusst, vor fünf oder sechs Wintern, aber er hatte es hingenommen ohne den Versuch, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Die Yarl-Linie trug das Verderben in sich, und er bediente sich dessen, was die Finsteren Mächte hervorbrachten.

Sinnend näherte er sich dem Gehäuse der Riesenschnecke, das den kleinen Raum fast zur Hälfte ausfüllte. Im Schein des prasselnden Kaminfeuers wirkte dessen Oberfläche wie poliert. Doch zogen sich unzählige winzige Linien durch das Perlmutt, die zwar mit dem Auge nicht zu sehen, dafür aber um so besser mit den Fingerspitzen zu ertasten waren. Magische Zeichen – nicht von einer Laune der Natur geschaffen, sondern von den Mächten der Schattenzone so gewollt.

Her Thylon hätte viel dafür gegeben zu erfahren, welche Bedeutung ihnen innewohnte. Gleichzeitig aber wusste er, dass seine Magie niemals ausreichen würde, das herauszufinden.

Er fluchte unbeherrscht.

Ein Dutzend Männer hatten ihre Arbeitskraft zur Verfügung gestellt und gegen Waren für ihre Familien eingetauscht, ohne jedoch zu ahnen, dass sie ihr Leben für dieses seltene Exemplar eines Schneckengehäuses hingeben mussten. Nicht, dass die Fischer nicht viele davon aus den Korallen geborgen hätten. Aber das waren kleinere, gerade gut genug, um daraus Sänften, Möbel oder auch nur Musikinstrumente zu fertigen. Keinesfalls aber, um in ihnen die Zukunft zu erkennen.

Beschwörend hob Thylon die Arme und spreizte die Finger ab. Mit einemmal schien das Feuer weniger hell zu brennen. Flackernde Schatten huschten durch den Raum, ruhelose Schemen, die zweifellos der Düsterzone entstammten.

Der Magier hatte das Gefühl, in ein Meer der Stille hinabzutauchen, als er sich nach der Öffnung des Schneckenhauses bückte. Ein düsteres Wallen schlug ihm entgegen. Er wusste, dass sich in diesem Moment die von ihm herbeigerufenen Schatten vor dem Kamin drängten und das Feuer darin erstickten. Dennoch wurde es nicht völlig dunkel in dem fensterlosen Raum.

Das Tosen ferner, sturmgepeitschter See drang jetzt an das Ohr des Magiers. Er bediente sich der Kräfte, die auf ihn überströmten, ohne eigentlich zu wissen, was er damit auslöste. Irgendeine innere Stimme warnte ihn davor, dass er mit jedem Blick, den er in die Zukunft warf, mehr den Mächten des Bösen verfiel. Aber wie stets hörte er nicht darauf. Das Geschehen schlug ihn in seinen Bann.

Her Thylon fühlte sich plötzlich unsagbar leicht. Er glaubte zu schweben, frei wie ein Vogel dem Firmament entgegen, von dessen samtener Schwärze die Sichel des abnehmenden Mondes gleißte. Weit in der Ferne sah er das Band der Himmelssteine, von denen er nicht wusste, was sie darstellten. Dieses Spiel von Licht und Schatten faszinierte ihn. Dort war das Reich der Finsternis.

Der Magier vermeinte Stimmen zu hören, als das Rauschen endlich leiser wurde – menschliche Stimmen, die sich miteinander unterhielten. Aber noch konnte er nicht verstehen, was sie sagten, er wusste nur, dass eine dieser Stimmen dem Fischer Rochad gehörte.

Thylon erkannte die Gefahr, als er das ausgefranste Ende eines Seiles sah.

Und dann kamen sie ...

Es waren viele, und nie zuvor hatten sie in solcher Anzahl angegriffen. Die Brücke erzitterte unter der Gewalt ihrer Schläge. Schleimige Körper wälzten sich über die hölzernen Bohlen. Entsetzen zeichnete sich in den Gesichtern der Menschen ab, denen der Rückweg abgeschnitten war.

Ausgerechnet mit Rochad verband Thylon ein inniges Verhältnis, denn der Fischer hatte ihn bei sich aufgenommen, als jeder den Magier wie einen Aussätzigen behandelte.

»Ich muss ihn warnen!«, murmelte Her.

Schlagartig verblasste die Vision. Nur noch Düsternis erfüllte den Raum.

Als Thylon sich zögernd aus dem Gehäuse zurückzog, versagten ihm die Beine den Dienst. Schweißüberströmt brach er zusammen.

Er nahm nicht mehr wahr, dass die Schatten ihn gierig umtanzten und sich auf ihn herabsenkten. Das Böse, das er immer wieder gerufen hatte, schickte sich an, von seinem Körper Besitz zu ergreifen.

*

Undeutlich zeichneten sich am Horizont die Umrisse einiger Reiter ab. Das Land, das eben war und ohne nennenswerte Erhebungen, machte es schwer, die Entfernung abzuschätzen. Zudem verschwammen die Verfolger fast mit den tiefhängenden Wolkenbänken.