Mythor 57: Flucht aus Korum - Hubert Haensel - E-Book

Mythor 57: Flucht aus Korum E-Book

Hubert Haensel

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Beschreibung

Logghard, siebter Fixpunkt des Lichtboten und Ewige Stadt, hat auch am 250. Jahrestag der Belagerung allem standgehalten, was die Kräfte der Finsternis in einem wahren Massenangriff gegen die Bastion der Lichtwelt ins Feld führten. Somit haben die Streiter des Lichtes auf Gorgan, der nördlichen Hälfte der Welt, trotz des Debakels von Dhuannin und anderer Niederlagen gegen die vordringenden Heere der Caer eine gute Chance, sich auch weiterhin zu behaupten. Mythor, der Sohn des Kometen, hat in der relativ kurzen Zeit, da er für die Sache der Lichtwelt kämpfte, bereits Großes vollbracht. Nun aber hat der junge Held nach seinem Vorstoß in die Schattenzone Gorgan, die nördliche Hälfte der Welt, durch das Tor zum Anderswo verlassen. Zahda, die Zaubermutter, nimmt sich Mythors an, der durch das unheimliche Tor in den Ozean der Dämmerzone gespült wurde, die bereits zu Vanga gehört, der vom weiblichen Geschlecht beherrschten Südhälfte der Welt. Doch kaum hat Zahda den Gorganer aus ihrer Obhut entlassen, muss dieser bereits wieder um sein Leben kämpfen. Dabei kommt es alsbald zu Mythors Begegnung mit Burra, einer Amazonenführerin, und zu Mythors überstürzter FLUCHT AUS KORUM ...

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Seitenzahl: 132

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Nr. 57

Flucht aus Korum

von Hubert Haensel

Logghard, siebter Fixpunkt des Lichtboten und Ewige Stadt, hat auch am 250. Jahrestag der Belagerung allem standgehalten, was die Kräfte der Finsternis in einem wahren Massenangriff gegen die Bastion der Lichtwelt ins Feld führten. Somit haben die Streiter des Lichtes auf Gorgan, der nördlichen Hälfte der Welt, trotz des Debakels von Dhuannin und anderer Niederlagen gegen die vordringenden Heere der Caer eine gute Chance, sich auch weiterhin zu behaupten.

Mythor, der Sohn des Kometen, hat in der relativ kurzen Zeit, da er für die Sache der Lichtwelt kämpfte, bereits Großes vollbracht. Nun aber hat der junge Held nach seinem Vorstoß in die Schattenzone Gorgan, die nördliche Hälfte der Welt, durch das Tor zum Anderswo verlassen.

Zahda, die Zaubermutter, nimmt sich Mythors an, der durch das unheimliche Tor in den Ozean der Dämmerzone gespült wurde, die bereits zu Vanga gehört, der vom weiblichen Geschlecht beherrschten Südhälfte der Welt.

Doch kaum hat Zahda den Gorganer aus ihrer Obhut entlassen, muss dieser bereits wieder um sein Leben kämpfen. Dabei kommt es alsbald zu Mythors Begegnung mit Burra, einer Amazonenführerin, und zu Mythors überstürzter FLUCHT AUS KORUM ...

Die Hauptpersonen des Romans

Mythor – Der Sohn des Kometen unter Amazonen.

Vina, Ramoa und Gerrek – Mythors Kampfgefährten.

Burra – Anführerin eines Amazonen-Clans.

Nukima – Burras Rivalin.

Forgin

1.

»Oh, diese dreimal verfluchte Hexe! Wenn ich sie zu fassen bekomme, werde ich ...« Das schrille Gezeter brach ab, als die Gondel des Zugvogels heftig zu schwanken begann.

Dunkelheit war hereingebrochen. Der Trauernebel zeigte sich von seiner ärgsten Seite. Eine dichte Wolkenbank hüllte das Luftschiff ein und machte es unmöglich zu erkennen, ob man weiter nach Süden flog oder vielleicht der Schattenzone entgegen.

Plötzlich war alles in einem unbegreiflichen Wirbel gefangen. Die Welt schien kopfzustehen.

»Nein!«, kreischte Gerrek. »Ich will 'raus hier!«

Ganz im Widerspruch zu seinen Worten klammerte er sich an den Hohlknochen fest, die das Gerippe der Gondel bildeten. Er sah Ramoa stürzen und verzweifelt nach einem Halt suchen. Aber die Frau interessierte ihn in diesem Augenblick herzlich wenig.

Eine erneute Bö ließ das Luftschiff nach der anderen Seite ausbrechen. Gerrek hing mit einemmal nicht mehr mit den Füßen nach unten sondern fand sich im Handstand wieder.

Stumm vor Entsetzen krachte er gegen die Wandung, die seinem Gewicht nicht standhielt und aufriss.

Gerreks Glubschaugen weiteten sich in jähem Erschrecken, als eine eisige Kälte an seinen Beinen hochstieg. Er schlotterte. Verzweifelt begann er zu strampeln, rutschte dadurch aber nur weiter ab.

»Halte dich fest, Gerrek!« Das war Vinas Stimme.

Doch der Beuteldrache trat heftiger um sich.

»Weg!«, schrie er. »Weg von mir! Ich will sogar eine Frau werden, wenn es sein muss – aber bitte, lass mir jetzt Flügel wachsen.«

Unvermittelt löste er eine Hand von dem Knochen und raufte sich seinen verknitterten Ziegenbart.

»Huhhh, mir ist so kalt«, jammerte er. »Ich erfriere.«

Der Hexe schwante Schlimmes.

»Untersteh dich, Feuer zu machen«, rief sie.

Wieder wurde der Zugvogel herumgewirbelt. Eine warme Luftströmung erfasste den Ballon und trug ihn höher empor zwischen die Wolken. Von irgendwoher kam ein fahles rötliches Leuchten, als brenne der Himmel.

Zwei kleine Rauchwolken ringelten sich aus Gerreks Nüstern.

»Hör sofort auf damit«, schrie Vina, »oder ich werde dafür sorgen, dass du dich in eine Fledermaus verwandelst.« Der Mandaler erschrak ob dieser fürchterlichen Drohung. Das Dasein als Beuteldrache erschien ihm da weitaus angenehmer.

All seine guten Vorsätze wurden jedoch schlagartig zunichte, als ein dröhnender Donnerschlag ihn vorübergehend taub werden ließ. Grell aufflammende Helligkeit blendete ihn. Das Luftschiff schien in Flammen zu stehen. Ein seltsames Prickeln durchflutete seinen Körper und trieb ihm abwechselnd heißen und kalten Schweiß auf die Stirn.

Der Hohlknochen, der einzige wirkliche Halt, den er besaß, schien sich aus seiner Hand zu winden.

Gerrek schnaubte. Sein eigener Rauch brannte ihm in den Augen.

Dass er die falsche Hand nahm, um über seine Nickhäute zu wischen, fiel ihm erst auf, als er in die Tiefe stürzte.

Die Drachenhaut riss weiter auf. Gerrek war wie gelähmt, unfähig zu begreifen, dass er selbst seine missliche Lage verschuldet hatte.

Aber zwei starke Arme packten ihn und bewahrten ihn davor, beim Aufprall auf das Wasser entweder zerschmettert zu werden oder jämmerlich zu ertrinken.

Dann musste er irgendwie die Besinnung verloren haben. Als er wieder zu sich kam, schien der tobende Sturm eher noch schlimmer geworden zu sein. Gerreks Gesicht brannte, als habe er sich beim Flammenspucken nicht nur die Barthaare sondern auch die Haut versengt. Aber das lag wohl daran, dass Honga ihn mit der flachen Hand schlug.

»Aufhören!«, wollte der Mandaler schreien. Es wurde aber nur ein jämmerliches Krächzen daraus. Erst allmählich begriff er, dass Honga wahrscheinlich sein Leben gerettet hatte.

»Danke«, murmelte Gerrek und bewegte seine Ohren dabei. »Wir Männer müssen zusammenhalten. Wie anders können wir in einer Welt voll Weibern und Hexen bestehen.«

Gerrek fühlte ein drängendes Würgen, das von seinem Magen aus hochstieg. Noch immer schien alles um ihn herum in wirbelnder Bewegung begriffen. Mühsam versuchte er, wieder auf die Beine zu kommen.

»Du siehst blass aus und mitgenommen«, sagte Honga spöttisch. »Bleib liegen, bis wir den Sturm hinter uns haben.«

Aber der Beuteldrache wusste selbst am besten, was ihm abträglich war und was nicht. Die Kälte jedenfalls war schlimmer als das Schwindelgefühl, das seine Sinne verwirrte. Tollpatschig tappte er zu den Fellen, die Vina in einer Ecke des Zugvogels aufbewahrte.

Indes sollte er sie nicht erreichen, denn ein übermächtiger Niesreiz schüttelte ihn. »Nie wieder werde ich ein Luftschiff betreten!«, konnte er gerade noch schnaufen, da explodierte es in ihm wie ein ausbrechender Vulkan.

»Gerrek!«, schrie Vina außer sich. »Bist du von Sinnen?«

Der Beuteldrache hörte sie nicht. Ein zweites Mal schoss es feurig aus seinen Nüstern hervor.

»Du Narr!«, zischte Ramoa. Sie starrte das Feuer an, als könne sie es derart zum Erlöschen bringen. Doch ihre Magie schien im Augenblick nicht sehr wirkungsvoll zu sein.

Erst Honga gelang es, mit einigen Fellen die Glut zu ersticken. Dicke Rußflocken wirbelten durch das Innere der Gondel, in deren Hülle nun ein zweites Loch gähnte.

Krampfhaft verzog Gerrek das Maul und rümpfte die Nüstern.

»Der Blitz soll dich treffen, wenn du wieder niest!«, fauchte Vina. Sie hatte alle Hände voll zu tun, um den Zugvogel in einer halbwegs geraden Fluglage zu halten.

Der Beuteldrache wirkte zerknirscht und schuldbewusst. Mit beiden Händen umklammerte er sein Maul und presste es fest zusammen. Sein Kehlkopf begann aufgeregt zu hüpfen; die Augen quollen weit aus ihren Höhlen hervor und nahmen einen starren Blick an.

»Aaah ... ha-ha ...«

»Raus aus der Gondel!«, schrie Vina. »Verschwinde endlich! Oben kannst du Feuer speien und dein Gemüt abkühlen.«

Der Mandaler hastete zur Treppe, die zur Deckenluke führte. Rauch quoll aus seinen Nüstern hervor.

In dem Moment, als er nach den verknüpften Tauen griff, öffnete er den Drachen, schnappte förmlich nach Luft und schnellte sich in die Höhe. Mit dem Schädel stieß er die Luke auf.

»Puuuhh!« Ein Stoßseufzer der Erleichterung entrang sich seiner Kehle. Mit dem grellen Aufzucken eines Blitzes vermischte sich die Flammenzunge, die bis weit über den Rand der Gondel hinausreichte.

Völlig erschöpft hing Gerrek in den Tauen. Er schien nicht zu bemerken, dass die Takelage Feuer gefangen hatte und die Glut sich langsam an zwei Seilen entlang fraß. Erst ein wütender Aufschrei Vinas brachte ihn zur Besinnung.

»Ich kann es nicht«, jammerte er. »Ich kann nicht weiter hinaus. Wenn ich nur daran denke, welcher Abgrund unter uns gähnt, wird mir schon schlecht.«

Scheinbar war es bereits soweit, denn er rutschte plötzlich aus und schlug schwer mit dem Oberkörper auf die Gondel.

»Bitte«, stammelte er. »Feuer, erlösche. Bewahre den Stammvater eines ganzen Drachenvolks davor, dass diese Tyrannin ihn in den Tod schickt.«

Unmittelbar neben ihm klatschte etwas auf die straff gespannte Haut.

Wasser?

Gerrek blieb keine Zeit, sich zu wundern. Im Nu schüttete es in Strömen. Die schwarzen Gewitterwolken zeigten keinerlei Mitleid mit einem geplagten und ohnehin frierenden Beuteldrachen, der von einem Moment zum anderen Übelkeit verspürte.

Die Nässe verursachte ein überaus unangenehmes Jucken in seinen Nüstern. Schon wieder musste Gerrek niesen. Ihm war dabei, als kehre sein Innerstes sich nach außen.

Zwei kleine Flammen erloschen zischend.

»Oh nein«, stöhnte der Mandaler entsetzt. »Das ist gemein. Ich werde mich fürchterlich erkälten.«

Hastig zog er sich zurück. Dabei war nicht zu vermeiden, dass der eigene Schwanz zwischen seine Beine geriet und ihn zu Fall brachte.

Bäuchlings platschte er auf den Boden, wo er regungslos liegenblieb, alle viere von sich gestreckt und den Kopf mit der spitzen Schnauze nach vorne geschoben. Lediglich sein Schwanz zuckte noch. Die Spitze ringelte sich anklagend zur Decke empor.

Ramoa platzte lauthals heraus. Sogar Honga wischte sich Tränen aus den Augenwinkeln. Es war ihm anzusehen, dass er mühsam um seine Fassung kämpfte.

»Ich bin tot«, kam es von Gerrek. »Erschlagen, zerschmettert.«

»Du bist ein Nichtsnutz«, erwiderte Vina. »Steh endlich auf und lass die Albernheiten.«

»Die viele Luft macht mich krank«, behauptete der Mandaler. »Und die Nässe und die Kälte – ich fürchte, ich werde mir einen schrecklichen Schnupfen holen.«

»Versuche nie wieder, den Zugvogel in Brand zu stecken«, warnte die Hexe. »Es gibt da eine hervorragende Arznei, die deine Atemwege schnell frei macht ...«

Gerrek wurde blass; sein Schwanz vollführte eine letzte Drehung und klatschte dann auf den Boden. Leider nur zu gut erinnerte er sich daran, dass Vina ihn vor vielen Nebeln mit Hilfe ihrer Zauberei kopfüber in die Takelage gehängt hatte. Sie schien nicht davor zurückzuschrecken, dies wieder zu versuchen.

Schneller war der Mandaler nie zuvor auf die Beine gekommen.

Aber mitten in der Bewegung zuckte er zusammen.

»Mein Beutel«, jammerte er. »Ich muss mich verletzt haben.«

»Ich sehe nichts«, grinste Honga.

»Hier.« Vorsichtig langte Gerrek mit der Rechten in seine Hauttasche. Als er sie wieder zum Vorschein brachte, waren seine Finger mit einer gelblichroten Flüssigkeit verschmiert. »Ich blute – ich verblute!« Anklagend verdrehte er seine Glubschaugen.

»Das ist kein Blut«, widersprach Honga.

Gerrek schien zu überlegen und leckte sich die Finger.

»Hmm«, machte er. »Schmeckt fast wie ... oh nein!«

Mit beiden Händen griff er in den Beutel. Was zum Vorschein kam, war weiß mit grünen Tupfen.

Dem Mandaler war die Überraschung anzusehen.

»Seltsam«, murmelte er. »Ich verstehe nicht, was das sein soll.«

»Ich dafür um so besser«, rief Vina. »Deine langen Finger greifen wirklich nach allem, was dich nichts angeht. Die Eier waren die letzte Verpflegung, die wir an Bord hatten.«

»Eier ...?«, machte Gerrek verständnislos und rieb beide Handflächen gegeneinander. »Wo ...?«

Die Hexe seufzte und schüttelte den Kopf.

»Gegen soviel Dummheit bin ich machtlos«, stöhnte sie. »Aber was kann man schon anderes von dir erwarten, wenn man bedenkt, dass du eigentlich ein Mann bist.«

»... der Schönste meiner Art«, nickte Gerrek. »Der edelste und sanftmütigste und klügste ...«

»Wer stiehlt, lügt auch«, murmelte Honga.

Die durchscheinende Haut der Fenster veränderte sich. Gerrek sah sich unverhofft einem zweiten Mandaler gegenüber. Entsetzt prallte er zurück.

»Igittigit«, zischte er. »Wer ist dieses hässliche Monstrum?«

»Dein Ebenbild«, rief Vina aufgebracht. »Hält es wirklich das, was du versprichst?«

»Mein ...« Gerrek bekam Stielaugen. Der Beuteldrache, den er im Spiegel sah, war völlig durchnässt. In wirren Strähnen hingen ihm die Haare vom Schädel, sein halbes Maul und die Nüstern waren rußgeschwärzt, einige der Barthaare versengt.

Der Anblick stimmte ihn traurig. Und wenn er traurig war, musste er niesen.

Doch nur ein paar jämmerliche Funken stoben davon und erloschen, bevor der Mandaler richtig begriff, dass die Nässe ihm mehr zusetzte, als er wahrhaben wollte.

*

Das Gewitter war weitergezogen, und die letzten düsteren Wolken trieben schnell auseinander.

Das Luftschiff trieb nach Süden, einem strahlend blauen Himmel entgegen, der sich immer weiter über das Firmament erstreckte. Etliche kleine Inseln, die wie Perlen einer Kette nebeneinander aufgereiht waren, erhoben sich aus dem Meer – von schäumender Brandung umspült.

Vereinzelt huschten Sonnenstrahlen über die Wellen. Ein Anblick, den Honga lange Zeit entbehrt hatte. Die wenigen Wolken, die noch vor dem Zugvogel lagen, leuchteten in allen Farben des Regenbogens, angefangen von einem zarten Gelb bis hin zu kräftigem Purpur und Blau. Das Licht brach sich in ihnen und ließ ihre Ränder zerfasert erscheinen.

»Wir nähern uns der Großen Barriere«, sagte Vina.

Gedankenverloren stand Honga an einem der Fenster und starrte hinaus. Je näher der Zugvogel den Inseln kam, desto deutlicher wurde, dass zwischen ihnen in regelmäßigen Abständen Felsen aufragten. Diese wirkten wie von Menschenhand behauene Monumente – stumme Zeugen einer großen Vergangenheit. Wahrscheinlich trotzten sie schon seit Tausenden von Jahren den zerstörerischen Kräften der Elemente.

Zeitlos waren sie.

Turmhoch ragten sie auf, erinnerten in gewisser Weise an ...

»Gesichter?«, fragte Honga überrascht. »Welche Bewandtnis hat es mit ihnen? Es mögen viele sein.«

»Keiner hat sie gezählt«, nickte Vina. »Hunderte und Aberhunderte bilden die südliche Grenze der Schattenzone. Es sind Schädel von besonderer Ausdruckskraft, denen magische Kräfte innewohnen und die in ihrer Gesamtheit die Große Barriere bilden. Durch sie wird die Dämmerzone daran gehindert, sich weiter auszubreiten und riesige Teile Vangas mit Finsternis zu überziehen. Alles Böse und Schwarzmagische wird nach Norden zurückgeschleudert, wo ewige Finsternis die Hexe und den Krieger, die zusammen einst diese Welt gezeugt haben, für lange Zeiten voneinander trennt.«

Honga fühlte Vinas Blick auf sich ruhen. Ahnte sie, wer er in Wirklichkeit war?

Ihre Worte besaßen einen merkwürdigen Klang. Oder bildete er sich dies nur ein? Glaubte er wirklich, dass ein neues Zeitalter aus den Trümmern der Überlieferung erstehen würde, nur weil es ihm, dem Krieger aus Gorgan, gelungen war, nach Vanga zu kommen?

Aber er war nicht der erste, der die Schattenzone lebend durchquerte. Er durfte den Süder Vangard und Prinz Nigomir mit seiner Goldenen Galeere nicht vergessen.

»Was ist mit dir, Honga? Du zitterst ja.«

Er, den alle für einen wiedergeborenen Tau hielten, wandte sich der Hexe zu. Sie hatte seinen Namen mit eigenartiger Betonung ausgesprochen.

Mythor!, zuckte es durch seine Gedanken. Sage ihnen endlich, wer du wirklich bist.

»Ich habe den Eindruck, dass du mir überhaupt nicht zuhörst«, bohrte Vina weiter.

»Doch, doch«, beeilte Honga sich zu versichern.

Gerrek ließ ein glucksendes Lachen vernehmen.

»Ich weiß nicht, was daran lustig ist«, brauste die Hexe auf. »Honga trifft zum ersten Mal in seinem Leben auf die Große Barriere. Mir scheint, dass er sich ihrem Einfluss nur schwer entziehen kann.«

»Und Ramoa?«, fragte der Beuteldrache und rollte mit den Augen.

Die Feuergöttin starrte unverwandt auf die See hinunter.

»Frauen waren schon immer schwer zu verstehen«, fuhr Gerrek fort. »Wenn ich da an eine gewisse Hexe denke.«

»Sie hätte dich in einen Fisch verwandeln sollen, denn diese Tiere sind stumm.«

»Ein Fisch?« Der Mandaler schüttelte sich. »Wahrscheinlich hätte das unmögliche Weib mir dann Flügel verpasst. Ich habe ja immer gesagt, dass die Frauen nicht wissen, was sie wollen. Sie ...«

»Schweig endlich!«

»Stets soll ich das Maul halten.« Wütend stampfte Gerrek auf. »Ich habe ein Recht darauf, meine eigene Meinung ...«

Ein lautes Klatschen ließ den Mandaler verstummen. Auf seinen Nüstern bildete sich ein roter Fleck, den er wehleidig betrachtete. Vorsichtig tastete er dann mit zwei Fingern darüber.

»Magie«, brummte er. »Gemein und hinterhältig war der Schlag ...«

Vina achtete nicht mehr auf ihn, sondern ließ ihn murren. Sie wandte sich Honga zu, den die Große Barriere allmählich in ihren Bann zog.

Die Steinernen Köpfe waren gen Norden ausgerichtet. Manche von ihnen erhoben sich höher als fünfzig Schritte aus dem Meer. Allen war eine hohe, fliehende Stirn zu eigen; sie besaßen kantige, weit vorspringende Nasen. Tief eingemeißelte Furchen verliehen den Gesichtern einen abstoßenden Eindruck, der durch die schmallippigen, geschlossenen Münder noch verstärkt wurde.

Fast mochte man meinen, es seien Dämonenfratzen – und doch waren sie geschaffen worden, um das Böse von Vanga fernzuhalten.

Honga begann sich unruhig zu bewegen. »Ich muss zurück«, stöhnte er. »Mein wirkliches Leben ... darf ich nicht verschweigen.«

»Du wurdest wiedergeboren«, murmelte Vina. »Ist es das, was dich bedrückt?«