Nacht über Herathis - Anton Weste - E-Book

Nacht über Herathis E-Book

Anton Weste

4,7

Beschreibung

Mord. Für ihre "Kunden" ist das üblicherweise eine einmalige Sache. Für Dorn und Pitt jedoch, zwei der erfahrensten Meuchler von Herathis, das tägliche Brot. Die Routine wird empfindlich gestört, als durch die Gilde der Langen Messer ein neuer Wind weht. Warum steigt die Zahl der Morde so sprunghaft an und welche Rolle spielen der berühmte Feenmarkt und die Magistratswahl dabei? Die beiden Schattenklingen müssen eine Wahl treffen, die sie eigentlich für längst entschieden hielten: Gold oder Moral? Ein phantastischer Roman aus Lorakis, der Welt des dreifach mit dem deutschen Rollenspielpreis ausgezeichneten Rollenspiels Splittermond.

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Autoren: Anton Weste

Lektorat: Thomas Römer

Korrektorat: Kathrin Dodenhoeft und Jan Gravert

Umschlaggestaltung und Satz: Oliver Graute

Umschlagillustration: Florian Stitz

© Feder&Schwert 2017

E-Book-Ausgabe 2017

ISBN 978-386762-280-6

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-86762-279-0

Nacht über Herathis ist ein Produkt der Feder & Schwert GmbH unter Lizenz des Uhrwerk Verlages. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck außer zu Rezensionszwecken nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Die in diesem Buch beschriebenen Charaktere und Ereignisse sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit zwischen den Charakteren und lebenden oder toten Personen ist rein zufällig. Die Erwähnung von oder Bezugnahme auf Firmen oder Produkte auf den folgenden Seiten stellt keine Verletzung des Copyrights dar.

www.feder-und-schwert.com

www.splittermond.de

Verwendung des Songtextes von Spielmannsschwur mit freundlicher Genehmigung von Saltatio Mortis.

www.saltatio-mortis.com

Widmung

Für Svenja.

Danksagung

Mit Dank an Ina Irrgang und Julia Herrmann.

Kapitel I

Henkersmahl

Kunsttag, 26. Saatmond 991 LZ, später Nachmittag

Die Blüten rochen widerlich. Jeder Windhauch trieb eine weitere Flut roter Jokablätter durch das vergitterte Fensterloch in die Zelle. Die Pritsche war rot gesprenkelt, der Boden schon bedeckt. Auch auf dem Holzbrett mit der Henkersmahlzeit für den Schwarzen breiteten sich die Flocken zunehmend aus.

Aris mochte die Hafenstadt Lamera nicht sonderlich. Zu provinziell, zu langweilig. Aber im Frühling, wenn der Jokabaum überall seinen widerlich süßen Gestank verbreitete, hasste er sie regelrecht. Wie musste es in diesen Tagen erst draußen sein, unter dem Blätterdach des Baumriesen? Wo man dem roten Dreck, den die Brise vom Elyrischen Golf überall hinwirbelte, kaum entgehen konnte?

Der große Varg schnaubte eine Blüte fort, die sich auf seinen Nüstern niedergelassen hatte. Das reichte jetzt. Aris legte die Hühnerkeule auf den Teller, grunzte gereizt, sprang auf und schüttelte sein Fell. Rote Blütenblätter stoben in alle Richtungen. Die Ketten an seinen Tatzen und Beinen klirrten. Der Schwarze sah nur kurz herüber, dann starrte er wieder still an die Wand.

Aris spie aus, rieb sich mit dem befellten Handrücken die Schnauze sauber und sog die Luft tief ein. Da waren sie wieder, die tiefer liegenden, hartnäckig nistenden Aromen dieses Ortes. Der Rußgeruch brennender Fackeln. Der Schweiß der schwarzen Nackthaut auf der anderen Pritsche. Die Jauche, die Aris und so viele vor ihm im alten Zellenstroh hinterlassen hatten. Die Angst der anderen wimmernden Insassen. Der Schimmel an den klammen Kerkerwänden.

Besser. Viel besser als diese widerwärtigen Blüten.

Seit Baron Mordaki die Stadt unterjocht hatte, war der Kerker Lameras gut gefüllt, obwohl kaum jemand lange Zeit hier verbrachte. Der Tyrann witterte überall Bedrohungen für seine Herrschaft. Er ließ kaum ein anderes Verdikt gelten als das Urteil seines Richtbeils. Und das der Hand, die es führte: Seine eigene.

„Nein! Nicht auf den Richtblock! Ich habe nichts getan.“

Wieder Gejammer. Wieder taumelte ein Verurteilter mit schreckensbleichem Gesicht durch den Zellenkorridor. Hinter ihm eine Wache, die die todgeweihte Gestalt voranstieß. „Weiter! Spar dir das Wehklagen!“

„Bitte! Ich weiß nicht, wer das an mein Haus geschmiert hat“, klagte der Mann. „Ich ehre den großen Mordaki!“

„Halt’s Maul, Aufrührer. Dieses Geschrei! Bestimmt bin ich taub, wenn dein Kopf in den Korb rollt.“ Die dicke Wache kniff selbstmitleidig die Augen zusammen.

Kettengeklirr erhob sich in den Zellen. Wie jedes Mal, wenn einer seinen letzten Gang antrat. Aris stimmte mit den Gliedern der Ketten an seinen Pfoten rhythmisch mit ein. Der Verurteilte war schmal, die Augen angstgeweitet. Die Blutergüsse auf seiner Haut nicht alt. Er trug das grobe Leinen der Schauerleute vom Hafen.

Aris leckte sich über die Lefzen. Würde sich der Stumpfzahn einpissen, bevor oder nachdem das Richtbeil seinen Hals durchtrennte? Bei Isgars Klöten, diese Menschen! Sie waren erbärmlich in ihrer steten Furcht vor Mangel, vor Schmerz, vor dem Tod. Gab es etwas, vor dem sie keine Angst hatten? Keine würdigen Gegner für einen echten Kämpfer.

Als der Verurteilte unter angeschwollenem Kettengeklirr Aris passierte, schnüffelte der Varg durch die Eisenstangen der Zellentür.

Vorher.

Eindeutig.

Varis wusste: Wenn für ihn selbst die Letzte Stunde anbrach, so würde dies eine Stunde des Triumphs sein. Er würde sie mit Würde und Stärke begehen. Seine Krallen, seine Zähne und vor allem seine beiden Falchions hatten Isgar immer einen hohen Blutzoll geschenkt. Viele Feinde hatten schon vor Aris im Staub gelegen, sich das Gekröse gehalten und waren doch mit äußerst traurigen letzten Worten auf ewig hinter die Heulende Pforte getreten. Hatten nur noch stinkende Kadaver zurückgelassen. Aris würde aufrecht durch den Lanzenwall der jenseitigen Heroen schreiten. Auf Geheiß des Herrn der Schlachten würden sie ihre Häupter ehrenvoll neigen, den Blick aus rot glosenden Augen senken. Isgar der Unnachgiebige, der Gott der gestählten Seelen, würde Aris rühmen für seine Stärke und seinen Mut.

Die behelmte Wache neben dem Ausgang gähnte und schlug dreimal kräftig mit der Hellebarde gegen das hölzerne Kerkertor. Wimmernd stand der Todgeweihte davor. Ein Riegel schnellte hoch. Zugketten rasselten, Angeln knirschten. Die Torflügel schwangen auf.

Mit dem Licht des späten Tages wehte erneut eine Wolke roter Blütenblätter in den Kerker. Der Varg fletschte angewidert die Zähne. Draußen auf dem Richtplatz erhob sich das Raunen der Menge: Krakeelen, Jubeln, vereinzelte Entsetzensrufe. Von groben Händen weitergestoßen trat der Verurteilte den letzten Gang zum Richtblock an. Hinter ihm krachte das Tor zu.

Aris wandte sich um, griff das Fleisch vom Teller und stellte sich mit dem Happen so dicht an das hohe, vergitterte Fensterloch wie es die stramm gespannte Fußfessel zuließ. Der in der Wand verankerte Eisenring knirschte. Aris’ schwarzhäutiger Zellengenosse rührte sich nicht. Er saß nur da, starrte Löcher in die Luft, kaute auf einem Strohhalm und ließ die Beine hängen.

Dank seiner Größe von mehr als zwei Metern konnte der Varg mühelos auf den Platz hinaussehen. Der Verurteilte taumelte auf das gezimmerte Schafott, das heute schon das Blut mehrerer Exekutionen getrunken hatte. Das Getöse des Volks von Lamera schwoll an.

Aris lutschte hastig Hähnchenfleisch vom Knochen. „Der Nächste. Mann, gleich ist der auch nur noch ein stinkender Kadaver. Widerlich.“

Er schielte seitlich auf den Stumpfzahn neben sich, der im Schatten saß, nur die Augen hell und wach.

„Gleich kommen sie und holen dich, Schwarzer.“

„Kann sein“, murmelte der Angesprochene.

„Kann sein, kann sein“, äffte Aris nach und warf Hähnchenknochen hinter sich. „Oh! Da ist der Fürst.“

Aris klammerte seine Hände um das Gitter, als könnte er so besser hinaussehen. Er pustete ein paar hereinwehende Jokablüten beiseite. „Oh, Scheiße, dieser Prunk und Protz. Sogar seine Lakaien tragen Brokat. Der Mann hat’s richtig gemacht und jetzt Gold ohne Ende.“

Leise trug die Rede des Tyrannen über das Geraune der Menge bis in die Kerkerzelle.

„Bürger! Freunde! Waffenbrüder! Dieser Mann hat mich, Mordaki, Herr von Lamera und Baron von Jokania, beleidigt in meiner Ehre. Wie für meine Kinder sorge ich für euch, nehme mich eures Kummers an – und dies ist der Dank. Anstatt sein Wort offen an mich zu richten, hat dieser Mann feige Schmierereien auf Wände gesetzt. Er hat sich des Aufruhrs und der Verunglimpfung schuldig gemacht. Die Strafe dafür ist der Tod. Mit scharfem Mondstahl soll er geköpft werden. Sein Blut soll dem Jokabaum zur Nahrung dienen. Seine Hände und Füße werden ihm abgeschlagen und seine sechs Körperteile sollen in den sechs Vierteln der Stadt ausgestellt werden, damit er noch im Tode anderen als Mahnung dient.“

„Blutgold“, sagte der Schwarze.

Aris drehte sich um. „Hm, was?“

„Das Gold, das er hat. Er plündert die Bevölkerung aus. Blutgold. Er ist kein Fürst. Er ist ein Tyrann.“

„Ja, der weiß, wie man’s macht“, hechelte Aris. „War doch mal ein ganz kleines Licht in seiner Familie. Und jetzt oben angekommen. Ist durch das Blut seiner Verwandten und seiner Feinde gegangen wie ein flotter ...“ Aris lange Zunge hing überrascht aus seiner Schnauze. „He! Das war jetzt mehr, als du in den letzten drei Tagen gesagt hast, Schwarzer!“

Der Mensch streckte sich. „Kann sein.“

„Kann sein“, äffte Aris nach. Er ließ den Zellengenossen nicht aus den Augen, als er noch ein Stück Fleisch vom Brett griff.

„Und du willst wirklich nichts von deiner Henkersmahlzeit, Schwarzer? Ist gut. Würzig. Saftig. Also, ich bin ja ein grober Klotz. Aber ich will nicht eines fernen Tages vor Gunwars Heulender Pforte zum Totenreich stehen und mir anhören müssen: Du Sack! Hast einem Todgeweihten das letzte Mahl geklaut!“

„Iss nur.“

„Na, komm schon. Wenigstens ein bisschen Wein. Hm?“ Aris öffnete den Weinschlauch und goss den roten Tropfen in einen Messingkelch. Südfanger Aschewein, sagte ihm seine feine Nase. In Lamera wussten sie anscheinend noch, was zu einem letzten Mahl gehört.

„Macht langsam und träge.“ Der Schwarze stand auf, seine Ketten klirrten. Er lockerte die Muskeln an Armen und Beinen.

Draußen ging ein Raunen durch die Menge. Aris war sofort wieder vom Geschehen auf dem Platz gebannt. „Oh Scheiße, jetzt passiert’s!“ Die Zunge hing ihm vor Aufregung heraus. Er hechelte.

Mordaki sprach seine Schlussformel. „Im Namen der Gerechtigkeit gebe ich dich in Gunwars Hände. Mit Blut soll deine Untat gesühnt sein.“

Die Mondstahlklinge des Beils glänzte bläulich zwischen den fallenden Jokablüten im späten Sonnenlicht dieses Tages. Dann sauste sie nieder. Die Menge hielt den Atem an, dann enteilten ihr Rufe des Erstaunens und der Erregung.

„Eiiii...“ Aris verzog die Miene und sog Luft zwischen den Zähnen ein.

Ein weiterer Schlag fiel. Aris wippte auf den Beinen. Ein dritter landete auf dem Nacken des Opfers. Auf dem Platz brach Jubel aus. Mor-daki!Mor-daki! skandierte die Menge.

Aris nahm einen tiefen Schluck Wein aus dem Kelch. „Beim dritten Schlag! Aber dann ist der Schädel sauber heruntergepurzelt. Stinkender Kadaver. Aus die Maus.“

Er schielte wieder zum Schwarzen. Der einzige Insasse dieses Kerkers, von dem er keinen Angstschweiß roch. Aris hatte schon mal schwarze Nackthäute gesehen, die aus den Dschungeln Arakeas stammten. Aber dieser hier passte nicht dazu. Nase, Wangen, Lippen – im Gesicht war alles anders. Die Augen waren anders.

„Schwarzer, ich werd’ nicht schlau aus dir.“ Aris schlürfte laut. „Ich bin Söldner, mal hier, mal da. Vermiete meine Krallen, meine Zähne, meine lieben Falchions. Und ich bin halt hier drin, weil ich mich an Mordakis Soldkasse vergriffen habe. Hab’ mich erwischen lassen. War blöd. Eine Riesenscheiße. Morgen bin ich auch da draußen. Aus die Maus.“

Der Schwarze zeigte keine Regung. Aris wischte sich ein paar stinkende Blüten aus dem Fell und fuhr fort. „Aber du? Ein Kerl mit Haut so dunkel wie Kohle. Keiner weiß, wer du bist, woher du kommst. Tauchst einfach auf und stichst den Hauptmann der Söldlinge hier in Lamera ab. Den wichtigsten Mann Mordakis. Vor dem Hurenhaus, aus dem er kam. Eiskalt.“ Bewunderung legte sich in Aris’ raue Stimme. „Eine Riesensauerei! Stimmt es wirklich, dass du stehen geblieben bist, wie ’ne Kuh vor’m Melkschemel? Und dann haben dich die Söldner einfach festgenommen?“

„Ja.“

„Aber warum, bei Iosaris’ fauligem Schoß?“

„Man nennt die Herrin der Teufel nicht beim Namen.“

Zwei Stinkeblüten hatten sich im Haar des Schwarzen niedergelassen. Aris zuckte. Er musste sich beherrschen, sie nicht mit grober Pranke wegzuwischen. „Wen juckt’s? Warum bist du nicht abgehauen?“

Der Schwarze spielte mit dem Strohhalm in seiner Hand und brach ihn ab. „Ich habe hier etwas zu erledigen.“

Das schwere Tor zum Richtplatz öffnete sich wieder. Zugketten rasselten, Angeln knirschten.

Aris starrte den Schwarzen hohl an. „Was zu erledigen? Dir ist hier drin doch das Hirn vergammelt! Schwarzer, du bist gleich tot, ein stinkender Kadaver, aus die Maus, nur noch ein Sack voller Fleisch, Blut und Eiter.“

Das Tor fiel zu. Das Echo hallte durch die Kerkerräume. „Jetzt weiß ich’s. Die haben mir hier einen Verrückten in die Zelle gepackt. Du bist einfach ein armer Irrer. Wie ist dein Name?“

Unter den Wachen kreiste ein Krug. Die Wärter schlugen sich auf die Schultern, beglückwünschten sich, dass der größte Teil der Arbeit für heute erledigt war. „Und jetzt der Mörder des Hauptmanns!“, rief der narbige Wächter.

„Mit ‚Schwarzer‘ hast du’s schon fast“, sagte der Todgeweihte und steckte sich den Strohhalm in den Rachen. Er hustete, würgte.

Aris hob die buschigen Wolfsbrauen. „Was, bei allen fallenden Sternen, machst du da?“

Der Schwarze übergab sich und würgte ein kleines Stück Metall hervor, einen Dietrich. Mit flinken Fingern fischte er das Werkzeug aus dem Erbrochenen und verbarg es in der Hand.

Aris sprang auf, war fast über ihm, konnte ihn aber nicht erreichen. Die Fußkette war zum Äußersten gespannt. „Was ist das? Was versteckst du da?“

Der Schwarze wischte sich den Mund ab, lehnte sich entspannt zurück und legte einen Finger auf die Lippen: Psst.

Die Wachen näherten sich. „So, Schluss mit Rumsitzen. Zeit, den Kopf ein wenig freizukriegen“, sagte der Dicke. Sie lachten. Der Dicke schloss die Zellentür auf, zwei andere flankierten den Ausgang mit Hellebarden. Aris stand immer noch vor dem Schwarzen. „Ja, verabschiedet euch schön, ihr Süßen“, raunte der Schlüsselträger. „Umdrehen!“

Er beugte sich zum linken Fuß des Schwarzen und schloss die eiserne Fußfessel auf. Der narbige Hellebardenträger rümpfte die Nase. „Gekotzt, hä? Scheint ein zartes Blümchen zu sein.“

Die Hände des Schwarzen blieben zusammengekettet. Die Wachen schoben ihn aus der Zelle. Aris fletschte die Zähne und wandte sich an den dicken Schlüsselträger. „Um, äh, Wärter! Wenn ich etwas echt Wichtiges über den Gefangenen verraten kann, kriege ich dann so ‘ne Begnadigung?“

Blutunterlaufene und müde Augen blickten den Varg an. „Schnauze halten! Heute will mir wohl jeder ein Ohr abkauen. Wenigstens ist Blümchen still.“ Die Zellentür fiel zu. Der Schlüssel dreht sich.

Der Schwarze wandte sich noch einmal zu den Gitterstäben. „Aris?“

„Ja?“

„Ich kannte mal ein Hündchen, das so hieß.“

„Leck mich!“

Entnervt schlug der Dicke gegen das Gitter und stieß den Schwarzen in Richtung Tor. „Schnauze, hab ich gesagt! Gehen wir, Blümchen.“

Geräuschvoll öffnete sich das große Tor und ließ Licht, Blüten und das Gejohle des Volks herein. Die Wachen und der Schwarze gingen hinaus. Aris rüttelte am Gitter der Zelle, als wollte er die Stäbe auseinanderreißen. Unter seinem Fell spannten sich die Muskeln. „Hee! Heeey!“, brüllte er, riss das Maul auf. „Er verarscht euch, Leute! Er verarscht euch! Er wollte doch hier rein!“

Leuchtend rote Jokablüten wehten ihm auf die Zunge, in den Rachen. Aris hustete, keuchte und würgte. Er glaubte, er müsste ersticken.

Kapitel II

Gerichtet

Kunsttag, 26. Saatmond 991 LZ, später Nachmittag

Man konnte Vieles über den Jokabaum in Lamera sagen. Dass er ein gewöhnlicher Baum sei, gehörte nicht dazu.

Da war zunächst – und für jeden Beobachter eindeutig bemerkenswert – seine Größe. Über einhundert Meter ragte der Wipfel über dem Erdboden auf. Nicht weniger wies die gigantische, dichte Baumkrone im Durchmesser auf. Im Schatten unter dem grünen, blaugeäderten Blattwerk stand ein ganzes Viertel der Stadt, komplett mit mehrstöckigen Häusern und verwinkelten Gassen. Der Stamm erhob sich so stark und mächtig, als schien er das ganze Himmelsgewölbe von Lorakis zu tragen. Selbst dreißig Menschen, die sich die Hände reichten, konnten seine rissige Borke am Stamm nicht umfassen. Die Lameraner hatten einst ein steinernes Heiligtum um den Jokabaum errichtet. Eine prächtige Kathedrale, der gebenden Herrin Fleadyne geweiht. Doch unter dem Giganten wirkte sie wie ein Gnomenhaus. Das ewige Wahrzeichen Lameras dominierte die Stadt und den nordpatalischen Küstenstreifen am Elyrischen Golf. Das Leuchtfeuer, das man in ein Lichthaus in die Baumspitze gesetzt hatte, konnten Schiffe an klaren Tagen noch in 50 Meilen Entfernung ausmachen.

Die Küsten und Gestade von Lorakis waren schier endlos und reichten bis in fernste und seltsamste Gefilde. Weit gereiste Portalkundige und Gelehrte sagten, es stünden höhere Bäume in Landen am anderen Ende des Erdkreises. In den Wandernden Wäldern der Frostlande, im Shahirat Badashan oder den Dschungeln Arakeas. Doch am Elyrischen Golf, in ganz Patalis und im Umkreis von tausend Meilen kannte man nichts Vergleichbares. Vielleicht in den Tälern und Nebeln des Unreichs, wer wusste das schon genau?

Der Jokabaum war alt. Sehr alt. Er war schon alt, als vor zwei Menschengenerationen das Kaiserreich Selenia im Vierten Mondsteinkrieg seinen Einfluss bis auf Herathis und den Elyrischen Golf ausdehnte. Seine Borke war schon vernarbt, als die Silberschiffe aus Patalis vor 350 Jahren die Piraten von Elyrea niederwarfen. Und glaubt man den Schriften, so war er schon so gewaltig und voll ausgewachsen, als vor 600 Jahren herathische Helden den Drachen Urdfang von seinen Wurzeln vertrieben und kurz darauf die Stadt Lamera gründeten. Manche sagten, der Jokabaum stamme vom geborstenen Splittermond selbst. Als der Blaue Mond vor einem Jahrtausend zerbrach und seine Trümmer auf Lorakis regneten, fiel demnach ein Brocken mit einer Baumsaat dorthin, wo heute Lamera lag. Der Samen machte sich die lorakische Erde zu eigen und spross und gedieh. Andere glaubten, dass der Baumgigant noch weit älter war und seine Wurzeln schon in grauer Vorzeit in die Tiefen des Landes reichten. Ihrer Ansicht nach pflanzte einst Fleadyne selbst den Schößling, als sie den Frühling in die Welt brachte. Die milde Göttin soll ihn den Völkern als Andenken an das Wunder des Lebens geschenkt haben – und als Erinnerung, dass zu jedem Geben auch ein Nehmen gehörte.

Wie viele Jahre der Jokabaum auch gesehen hatte, es stand fest, dass er einzigartig war. Auch große Pflanzenkenner und Botaniker aus gelehrteren und beleseneren Städten in Patalis wussten um keinen anderen seiner Art. Selbst bestens gebildete Naturkenner, die eigens wegen des Jokabaumes aus Ländern jenseits der Mondpfade in den Norden von Patalis gereist waren, brachten keinen Rat. Sie kamen aus Kintai, wo der Schönheitssinn der leibhaftigen Göttin Myuriko die Bäume formte, von den fernen, feuchtheißen Stromlandinseln und aus dem albischen Dämmerwald mit seinen Bäumen, die selbst die Gottbestien überragten. Aber sie kannten keinen Baum, der wie dieser war.

Im Frühjahr sprossen Myriaden kleiner roter Blüten aus seinen Knospen und fielen über Wochen als roter Regen auf Lamera herab. Sie bedeckten Dächer und Straßen, sprenkelten den Hafen und schmückten das Meer. Die intensiv riechenden Blüten wurden zu Ölen und Duftwassern destilliert. Das mächtige Laubwerk des Sommers mit seinen dicken und ledrigen, blaugeäderten Blättern ließ sich zu Lampenschirmen, Fensterbespannungen, Säcken und Segeln verarbeiten. Der dickflüssige Saft aus der inneren Rinde war mit Gold nicht aufzuwiegen und diente Alchemisten als Grundlage für mächtige Elixiere der Heilung und des Wandels. Noch begehrter waren nur die seltenen Früchte des Baumes, die apfelgroßen Jokanüsse. Trotz seiner riesigen Baumkrone und hunderten von Ästen ist kein Herbst verzeichnet, an dem der Baum mehr als drei Dutzend Jokanüsse reifen ließ. Sie sollten ungeahnte magische Kräfte verleihen und mächtige Zauberzeremonien ermöglichen. Die Gaben des Jokabaums, geerntet von sorgsamen Baumwarten, wurden bis zu entfernten Metropolen wie der patalischen Hauptstadt Ultia, der selenischen Kaiserstadt Sarnburg und der Orakelstadt Ioria gehandelt und brachten Lamera Wohlstand.

Der Segen war jedoch ein zweischneidiges Schwert – und von diesem erzählten die Händler, die teure Jokabaumteile verkauften, nur unwillig und mit beschwichtigenden Formeln und Gesten: Der Jokabaum trank Blut. Das Blut von Menschen, Alben, Gnomen, Vargen oder anderen verständigen Wesen. Er brauchte es zum Blühen und Gedeihen.

Die Lameraner hatten sich um diesen Nachteil so ihre Gedanken gemacht. Sie hatten es mit Hühnern, Schafen, Schweinen und Rindern probiert. Fässer voll des roten Lebenssafts flossen in die Wurzelgruben. Mit edlem Getier wie Hirsch, Baumlöwe, Delphin und Bär. Auch mit gefangenem Gesindel, das aus verkommenen Völkern stammte wie den Rattlingen, den Orks und Schrecken der Tiefe, die sich in Fangnetzen verheddert hatten. Doch das Ergebnis war immer gleich: Der Baum darbte, er verlor seine Blätter und bildete im nächsten Jahr keine neuen Knopsen und Blüten. Eine Fäule begann sich in seinem Holz auszubreiten. Erst das Lebensopfer von Einwohnern der Stadt ließ ihn wieder erblühen und gesunden. Und es sollten am besten junge Leute sein, gesund und voller Kraft.

Ein wählerisches Pflänzchen.

Um sich den heiligen und Gold bringenden Baumriesen zu erhalten, dachten sich die Bürger der Stadt über die Jahrhunderte einiges aus. Da gab es die Blütenlotterie, an der jeder Einwohner der Stadt jährlich teilnehmen musste. Freikaufen konnte man sich nur mit einer hohen Summe. An den Tagen der Ziehung für das Dutzend Opfer spielten sich große Dramen auf entsetzten Gesichtern ab, und Schreien und Schluchzen, Zerren und Zittern waren allgegenwärtig in der Stadt.

Und es gab die Schule der Kinder des Jokabaumes, in die Eltern ihren Nachwuchs schon in jungen Jahren gaben. Ihre familiäre Entbehrung und ihre Bereitschaft, das Liebste zu geben, wurde ihnen mit viel Silber versüßt. Die künftigen Opfer für den Baum lebten eine umsorgte, goldene Kindheit bevor sie im zarten Alter von 18 Jahren zwischen seidenen Laken zu ihrem letzten, ihrem großen Tag erwachten.

Seit sich aber vor einem Jahr die Machtverhältnisse in Lamera grundlegend verändert hatten, waren solche Traditionen ausgesetzt. Doch als Besserung verstanden das die wenigsten Einwohner. Bis dahin hatte der von den Bürgern gewählte Magistrat die Geschicke der Hafenstadt gelenkt. Die Stadt war stolz auf ihren Wohlstand und die Freiheit ihrer Bürger. Doch des Reichtums dunkle Seite war die Gier. Sie kam in Form Mordakis, des Barons der umliegenden Lande von Jokania. Mordaki, eigentlich ein unbedeutendes Mitglied eines alten patalischen Adelshauses, galt als Lebemann und Stutzer, der sich gerne auf den Banketten und Orgien in Ultia verlustierte. Doch er zeigte einen großen Willen zur Macht, als er sich mit Intrigen und Morden das Erbe seiner Familie sicherte und seine Finger nach Lamera ausstreckte. Er verwickelte die Stadt in einen Streit um Zölle, um freie Passagen und Ehrbezeugungen, um ihr dann die Feindschaft zu erklären. Mit einem Söldnerhaufen setzte er durch, was er als sein Recht betrachtete. Er besetzte die Stadt, suspendierte den Magistrat und presste die Lameraner fortan aus. Wer sich wehrte, bekam die Härte seiner Herrschaft zu spüren.

Die Blutgerichtsbarkeit des Tyrannen lieferte dem Jokabaum nun mehr als genug Nahrung. Die Blütenpracht dieses Jahres 991 nach Lunarer Zeitrechnung war nach allgemeiner Ansicht herausragend und es wurde allseits mit prächtigen Ernten gerechnet. Es war klar zu erkennen, dass Mordaki selbst den Rahm abschöpfen wollte. Den bislang tolerierten Schmuggel mit Baumteilen nach Herathis unterband er rigoros. Jeder Vorwand, durch den der Baron Blütenöle, Baumsaft und Nüsse konfiszieren konnte, kam ihm gelegen. Mordakis Schreckensherrschaft traf zunehmend kleine Gauner, lose Zungen und Unschuldige, die wegen harmloser Vergehen oder missgünstiger Denunziation auf dem Richtblock endeten. Es traf einfache Wäscher genau so wie angesehene Händlerfamilien.

„Der Baum ist satt“, sagte man hinter vorgehaltener Hand in den Tavernen und Hinterhöfen. Es rumorte in den Köpfen und in den Gassen.

Der Schwarze Dorn fand den Anblick des Jokabaumes immer wieder beeindruckend. Als er von den Wachen auf den Richtplatz geführt wurde, achtete er kaum auf die Rufe der Menge (Da ist das Schwein! – Der Mörder des Hauptmanns! – Blut! Blut! Blut! – Auf den Richtblock!) oder auf das weiche Gemüse, das seine schäbige Kutte und seine Haut traf. Sein Blick folgte den gewaltigen Kerben im Stamm und den Linien, die Äste und Zweige dunkel vor den blauen Frühlingshimmel zeichneten. Er betrachtete das rote Blütenmeer der Krone, dessen fallender Schleier aus Lamera ein Feenreich machte. Das Licht der tief stehenden Sonne intensivierte das Leuchten.

„Verrecke!“ Zuschauer lösten sich aus der Menge, stellten sich vor ihm in den Weg, schubsten, spuckten ihn an.

„Jetzt schicken wir dich zu Gunwar, Mörder!“

Die Wachen drängte die Menge zurück, verteilten hier und da Tritte und Schläge mit dem Schaft der Hellebarde. „Weg! Platz da. Macht Platz, Gesindel!“, fluchten sie.

Ein besonders engagierter Zuschauer versetzte dem Schwarzen Dorn einen Tritt in die Kniekehle. Der Verurteilte ließ sich zu Boden fallen. Blütenblätter wirbelten auf.

„Los, hoch mit dir, Blümchen!“ Der dicke Schlüsselträger zog den Schwarzhäutigen wieder auf die Beine. Überall klebten kleine Jokablüten auf seiner Haut und am schmutzigen Gewand.

„Mordaki! Mordaki!“, rief die Menge. Man unterhielt sich über das Schauspiel, machte Wetten aus. Garköche boten Schmackhaftes zur Unterhaltung an: „Kutteln! Warme Kutteln!“ – „Herathische Seegurken! Seegurken am Spieß!“

Der Schwarze Dorn sah, dass es jedoch nicht einmal die Hälfte des Publikums war, die laut jubelte und den Exekutionen mit Euphorie entgegensah. Das waren vor allem die Söldner des Barons, blutgierige Bürger, gedankenlose Feiernde und katzbuckelnde Opportunisten. Sie standen nahe dem Podest und bildeten das unangenehme Spalier vom Kerker bis zum Blutgerüst.

Doch viele in den Reihen dahinter – Menschen, Gnome, ein paar Varge und Alben – riefen nur verhalten, blieben stumm und ihre Lippen zusammengekniffen. Die blassen Mienen waren angespannt. Sie reckten die Hälse, stets voller Angst, einen verschwundenen Freund oder ein Familienmitglied zu erkennen, das dort aus dem Kerkerportal geführt wurde. Sie waren die Unterdrückten, die den Blick senkten vor Mordakis Häschern, die nur in stiller Wut hinter dem Rücken die Faust ballen konnten.

Dunkle Fliegen schwirrten in dichten Schwärmen umher. Lachen und Streifen von Blut färbten die Planken des Schafotts rotbraun. Auf dem Podest hatten sie eben erst den Vorgänger Dorns beiseite gerollt und begannen, ein Seil um dessen Beine zu knoten. Drei andere, die heute ebenfalls gerichtet worden waren, hingen an den Füßen aufgehängt als kopflose Leichen über Blutschalen, in die sie noch immer ihr entschwundenes Leben tropften. Später sollten sie weitere Gliedmaßen verlieren. Der Fliegenschwarm sammelte sich um einen großen Korb neben dem groben Richtklotz. Dort waren sie im Moment ungestört. Im Korb konnte man Haarschöpfe in verschiedenen Farben ausmachen.

Der Tyrann Mordaki wischte sich mit einem feuchten Tuch rote Sprenkel aus dem Gesicht und von den Händen. Eine seltsam anmutende Geste angesichts seiner blutgetränkten Ärmel, der besudelten Amtskette und des violetten Richterumhangs, auf dem das Blut der Getöteten so viele dunkle Flecken hinterlassen hatte. Er griff zum Richtbeil mit dem Blatt aus blau schimmerndem Mondstahl. Dann bot er das Instrument Gunwars zeremoniell dem Volk in alle Richtung dar, während der Schwarze Dorn unter dem Krakeelen des Publikums das Blutgerüst bestieg. Zwei Wachen mit Säbel und Armbrust standen mit dem Delinquenten und Mordaki auf dem Schafott. Das Publikum stimmte einen Chor an, der Blut! Blut! forderte.

Dorn wartete ruhig am Rand der Bühne, bis es an der Zeit war, an den Richtblock zu treten. Er sah sich um. Acht Wachen mit Hellebarden hatten um das Schafott herum Aufstellung genommen. Genau wie bei den Hinrichtungen, die er vor zwei Wochen beobachtet hatte. Sie wiesen gegebenenfalls vorwitzige Zuschauer in die Schranken. Die Haltung der beiden Wachen an der Südseite sagte Dorn, dass sie müde waren. Einer trug etwas zu große Rüstungsteile. Die Herausforderung war überschaubar. Dorn blickte zu den Dächern und suchte etwas. Zufrieden senkte er wieder den Blick und ließ seine Finger und Handgelenke arbeiten.

Mit einer energischen Geste brachte der Tyrann die Menge zum Verstummen. Mordakis Klinge wies auf den Verurteilten. „Bürger von Lamera! Dieser Mann ist schuldig des heimtückischen Mordes an einem meiner meistverdienten Gefolgsleute, Hauptmann Halimas. Dieser Mörder führte eine Klinge gegen meinen Waffenbruder – und damit gegen mich. Er hat schändlich Blut vergossen. Und nun soll Gerechtigkeit walten. Nun soll sein Blut vergossen werden und dem Baum als Nahrung dienen.“

Die Menge jubelte.

„Der Todgeweihte möge seine letzten Worte sprechen“, sagte Mordaki gönnerhaft.

Die dicke Wache drückte den Schwarzen Dorn vor den Richtblock. Dorn wartete kurz und sprach in das abschwellende Geraune der Menge.

„Merket auf, Bürger von Lamera. Der Mann, der heute hier getötet wird, ist eine Pest für die Stadt. Er ist ein Räuber, ein Erpresser, ein vielfacher Mörder. Ihr werdet frei sein, wenn er euch verlässt. Aber dieser Mann bin nicht ich. Dieser Mann ist Mordaki, der Tyrann!“

Dorn erntete Ausrufe des Unglaubens und höhnisches Gelächter.

„Was sagt der da?“

„Hast du das gehört?“

„Ohoo-hooo!“

„Ich glaub’s ja nicht!“

„Was für ein Großmaul!“

„Bwahahaha!“

Mordaki schüttelte den Kopf und fuhr mit einem Tuch über die Klinge des Richtbeils. „Was für eine Verschwendung der letzten Atemzüge! Auf den Richtblock!“

„Runter mit dir“, bellte der Dicke und trat gegen Dorns Hüfte. Der Schwarzhäutige wehrte sich so weit, wie es glaubwürdig sein musste. „Gilagato“, flüsterte er und fokussierte seinen Willen, klärte seinen Geist. Er ächzte, als die groben Hände der Wache seinen Oberkörper gegen das blutige Holzstück drückten. „Und runter mit deinem Quatschkopf“

Jokablüten verfingen sich in Dorns Haar. Mordaki beugte sich zu ihm hinab und grinste. „So viel Widerstandsgeist! Ich bin dir dankbar. Nur wenig sät mehr Furcht als mit anzusehen, wie aus einem stolzen Mann in wenigen Streichen sechs Fleischstücke werden. Tröste dich! Die Schneide ist scharf. Du wirst nicht lange leiden. Das letzte, was du siehst, wird der Korb sein, in den dein Schädel fällt.“

Dorn dreht den Kopf und sein Blick bohrte sich in Mordaki.

„Nein. Ich werde sehen, wie Gerechtigkeit geschieht. Ich bringe dich mit einem Fußfeger zu Fall. Dann nehme ich die Wache in den Würgegriff und nutze sie als Schutzschild vor den Armbrustbolzen der anderen Wächter. Und schließlich richte ich dich mit deinem eigenen Beil.“

„Mann, der hat jetzt schon keinen Kopf mehr“, gackerte die Wache.

Mordakis Augen waren eisig. Er roch nach Zimtwasser und faulen Zähnen. „Und wie willst du das alles anstellen, schwarzer Mann?“

„Siehst du meine Handfesseln?“, presste Dorn hervor.

„Ja ...“

„Ich habe sie geöffnet.“

Die Eisenfesseln flogen beiseite. Dorn stieß der dicken Wache den Ellbogen in die Flanke und wirbelte vom Richtblock hoch. Mit einem Fußfeger holte er Mordaki von den Beinen. Der Tyrann stürzte, das Richtbeil polterte auf das Holz. Die Menge schrie vor Überraschung auf.

„Was zum ...?“, hustete die angeschlagene Wache hervor, als Dorn sie in den Würgegriff nahm.

„Der Gefangene will fliehen! Armbrüste!“, rief eine der anderen Wachen auf dem Schafott. Die Schützen legten an.

„Schießt!“

Bolzen lösten sich von Sehnen. Dorn drehte den Gewürgten herum. Der Dicke wurde von den Bolzen getroffen und zuckte auf. Dorn zog der Wache den Dolch aus dem Gürtel und warf den sterbenden Körper vom Podest auf die zur Treppe eilenden Hellebardenträger.

Mordaki wollte sich wieder aufrappeln, aber sah sich von dem dunkelhäutigen Verurteilten auf den Richtblock gedrückt. Mit der freien Hand warf Dorn den Dolch auf eine heranstürmende Wache, die gurgelnd zusammenbrach. Die Menge war wie gebannt wegen der Dinge, die sich vor ihren Augen abspielte.

„Nachladen!“, rief einer der Schützen.

Mordakis vor Angst und Zorn geweitete Augen starrten auf den blutigen Korb, in den schon ein halbes Dutzend Köpfe gerollt war. „Damit ... kommst du ... nie durch!“, presste er hervor.

Dorn nahm das Richtbeil aus Mondstahl auf. „Die Klinge ist scharf. Du wirst nicht lange leiden.“

Mordaki atmete hektisch. „Erschießt den Bastard endlich!“, brüllte der Tyrann.

Der Schütze hob den Arm zum Befehl. Etwas knisterte, dann fuhr ein mächtiger Blitzschlag durch die Luft. Er zuckte von einem Hausdach zum anleitenden Schützen und sprang zischend auf zwei weitere über. Getroffen fielen die ersten beiden Schützen unter Krämpfen zusammen. Waffenrock und Haare waren verschmort, die Armbrüste verkohlt. Rauchfahnen stiegen auf. Der dritte zitterte und ließ die Schusswaffe mit schmerzverzerrtem Gesicht fallen.

Der Schwarze Dorn drückte den Tyrannen mit einem Bein nieder und hob mit beiden Händen die Mondstahlklinge in die Höhe. „Warte!“, schnappte Mordaki. „Ich gebe dir Gold ... die halbe Stadt ... was du willst ... alles!“

Dorns Stimme war kalt. „Gerechtigkeit.“

Er bereitete ihm das Ende wie versprochen. Mordakis Kopf rollte in den Korb. Ein Schwall Blut schwemmte auf den Brettern des Schafotts kleine Jokablüten beiseite. Zuschauer schlugen die Hände vor den Mund. Sie keuchten. Sie glotzten wie erstarrt.

Dorn sprang behände vom Schafott auf den Richtplatz und spurtete durch die entgeisterte Menge. Zwei Bolzen sausten in seine Richtung, trafen Zuschauer an seiner Statt. Als die Söldner Mordakis ihre Fassung wiedergefunden hatten und hinterherliefen, war er schon in die nächste Gasse eingebogen. Wie ein Schatten, der sich dem Licht entzog.

Kapitel III

Seegurken am Spiess

Kunsttag, 26. Saatmond 991 LZ, abends

Verglichen mit anderen Teilen des Hafenviertels von Lamera war es in dieser Seitengasse still. Das abendliche Möwengeschrei, die Gesänge aus den Seemannstavernen und die gebellten Rufe patrouillierender Waffenträger waren fern. Windschiefe Häuser lehnten sich aneinander, manche nicht mehr als halb eingestürzte Ruinen. Fensteröffnungen ohne Läden und Bespannung machten die Fassaden zu Gesichtern, die in stummem Staunen und steter Fassungslosigkeit auf die Gasse blickten. Sie lag bereits im Dunkel des Abends, das sich aus schiefen Ecken und Löchern ausbreitete. Trümmer, morsches Holz, Müll und Unrat türmten sich auf, bestäubt von roten Jokablüten. Eine Ecke mit gerissenen Segeltuchplanen und einer alten Feuerstelle hatte wohl einmal stromernden Rattlingen als Unterkunft gedient. Der Geruch nach Moder und Verfall lag über allem.

Erst, wenn man sich tiefer in die Gasse wagte, bemerkte man die achtlos abgeladene, mehr als mannslange Holzstatue. Moos hatte sich auf ihr ausgebreitet. Fingerlange Asseln und Käfer bewohnten das einst mit Stolz geschaffene Kunstwerk. Es stellte einen fremden Gott mit mildem Gesicht dar. Er hielt eine Waage in der einen und ein Schiff in der anderen Hand. Hier in Patalis wurde er nicht verehrt. Vielleicht konnte einst ein Anhänger der Gottheit das erwünschte Standbild nicht bezahlen. Vielleicht hatte ein Künstler die Wünsche seines Mäzens falsch umgesetzt. Vielleicht war das Bildnis auch auf ganz andere Weise so unrühmlich zwischen Tonscherben und Rattlingsdung gestrandet. Im schwachen Schein dieses verblassenden, denkwürdigen Tages hatte man den Eindruck, der Gott lächelte sanft. Unter ihm lag nun verborgen das blau schimmernde und blutbesudelte Richtbeil Mordakis.

Ein dunkelhäutiger Mann schlich um die Ecke der Gasse. Er atmete schwer und blickte sich kurz in alle Richtungen um. Dann eilte Dorn in die Gasse und drückte sich an einer Hauswand in die Schatten. Er ging hinter der Statue in die Knie und fischte das Richtbeil hervor. Der Schwarze Dorn fixierte den Dachgiebel am Ende der Gasse und zischte: „Pitt!“

Keine Reaktion.

„Pitt!“

Wo war diese Trantüte?

Von der Straße vernahm Dorn das Geräusch von Stiefeln im Laufschritt. Drei Paar. Flackernder Lichtschein wurde sichtbar. „Hier entlang!“, befahl eine Frauenstimme. Noch war Mordakis Macht nicht gebrochen. Seine treuen Anhänger waren bereit, den Tod ihres Herren zu rächen. Sie streiften durch die Gassen Lameras wie Bluthunde.

Dorn duckte sich hinter die Statue, konzentrierte sich auf die Tiefe der Schatten und die Kraft der lichtlosen Gespinste. Er sagte leise „Shombra“, während sein Geist den Fokus fasste. Seine Erscheinung ging tiefer in die Dämmerung ein. Er verschmolz mit den Schatten.

Das Licht von drei Fackeln passierte die Gasse. Dorn wollte sich gerade wieder erheben, als eine der Fackeln zurückkam. Der schmale Söldner, der sie hielt, linste in die Gasse.

„He, worauf wartest du?“, rief die Frauenstimme entfernt.

„Wir hatten diese Gasse noch nicht“, entgegnete der schmale Söldner. Er hielt die Fackel höher und leuchtete den Bereich vor sich bestmöglich aus. Er kam Dorns Position langsam näher. Der Gesuchte atmete ruhiger und leiser.

„Hier ist nichts“, murmelte der Fackelträger beim Blick hinter drei Fässer. Am Ausgang der Gasse erschienen die anderen beiden Söldner, ein breitschultriger Rüstungsträger mit Streithammer und eine leichtfüßige Albin mit Korporalschärpe. „Weiter jetzt!“, forderte sie gereizt.

„Einen Moment noch“, rief der Schmale und bewegte die Fackel ruckartig in alle Richtungen. Er war nur noch fünf Schritte von Dorn entfernt.

Dorn presste die Lippen aufeinander. Dunkler Herr Caran, lass nicht zu, dass mehr Blut als nötig heute fließen muss. Der Kunde war bedient, das Geschäft gemacht. Seine Finger hielten das Schwert fest umklammert.

Die Stiefel des Söldners schlurften über nassen Unrat. Jetzt stand er eine gute Armeslänge vor Dorn. Die Fackel loderte unruhig und verbreitete den Geruch schlechten Pechs. Der Blick des Schmalen glitt über Mauern, Kisten, die Statue, war direkt auf Dorn gerichtet. Aber der Blick wanderte weiter auf und hinter eine halbhohe Wand.

„Nichts“, seufzte er.

„Los!“, rief die Albin ungeduldig und ging mit dem Breitschultrigen weiter die Straße hinunter. Der Schmale warf noch einen Blick zurück und verließ dann schnellen Schrittes die Gasse.

Dorn lockerte den Griff um die Waffe, atmete aus und stand auf. Die Schattenmagie hatte ihr Werk getan und ihn verborgen.

„Ich kann dich se-eh-en.“ , sang eine Stimme von oben. „Meinen scharfen Sinnen ist deine Schattenspielerei nicht gewachsen.“

Dorn hob den Kopf. Gegen den dunkelblauen Himmel zeichnete sich über dem Giebel ein kleiner Kopf mit zwei Hörnchen ab.

„Pitt!“ Dorn war ärgerlich.

„Ist der Herr etwa in einer Zwangslage?“

„Wirf das Seil herab!“

„Mit Vergnügen.“ Die Gnomin ließ die Kletterhilfe an der Mauer herunter und machte ein Seilende am überstehenden Firstbalken fest.

Dorn löste die Konzentration auf den Zauber und die Schatten gaben ihn frei. Mit schnellen Zügen kletterte er fast lautlos am Seil hinauf. Pitt unterstützte ihn und ächzte angestrengt. „Ihr Menschen! Ich dachte, nach ein paar Tagen Kerkerfraß wärst du federleicht – im Gegensatz zu mir.“ Ihr kugeliges Bäuchlein schob sich unter ihrem Hemd hervor. Pitt zog Dorn mit festem Griff über den Rand des Daches und musste lachen. „Diese Gesichtsfarbe! Du siehst immer noch wie ein Köhler aus.“ Dorn erwiderte nichts und holte das Seil ein.

Die Nacht breitete ihren Mantel über den Himmel aus. Sie färbte die Dächer Lameras in dunkles Rot und Braun und den Jokabaum in tiefes Violett. Fern im Westen hing noch ein Streifen goldener und orangefarbener Wolken über dem Meer. Flederhunde schwirrten um Schornsteine und Giebel.

Pitt und Dorn suchten sich auf dem Mansarddach eine Stelle abseits von Giebel und Traufe, die von der Straße und den Fenstern anderer Häuser kaum einsehbar war. Sie lehnten sich an einen Dachreiter, der mit einer Darstellung des alles dominierenden Baums geschmückt war. Die Gnomin gab Dorn seinen Reisesack. Sie widmete sich ihrer eigenen Ausrüstung und ölte die Mechanik der Armbrust.

„Wo in Carans Namen warst du?“, wollte Dorn wissen, als er die Kleidung wechselte.

„Ähm, was meinst du?“

„Der Treffpunkt. Ich war schon zum zweiten Mal in der Gasse. Beim ersten Mal warst du nicht da. Und ich konnte nicht bleiben.“

„Ja, ich war eben etwas spät dran. War viel los unten in den Straßen. Hier jubelnde Hafenbewohner, da brüllende Söldner.“

„Du hast die Abmachung nicht eingehalten – und so den Auftrag gefährdet.“

Die Gnomin baute sich vor ihrem sitzenden Partner auf und funkelte ihn mit ihrem Maß von einem Meter fünfzehn knapp von oben herab aus grauen Augen an. „Jetzt mal halblang! Ist doch alles wunderbar gelaufen. Ich hätte ja eigentlich nie gedacht, dass dein irrwitziger Plan klappt, aber jetzt ...“ Ein gewinnendes Lächeln kroch über ihr Gesicht. „Du hast dich mit dem Mord an dem Hauptmann in den Kerker manövriert und damit direkt aufs Schafott, wo du Mordaki so nahe kamst, wie nirgends sonst. Ein bisschen geschwitzt hatte ich angesichts deines Dietrichs. Wirst du ihn parat haben? Wird es dir gelingen, die Fesseln zu öffnen? Riskant. Dorn, du solltest wirklich mal einen Schlossöffner-Zauber erlernen.“

„Hm“, murrte Dorn.

„Aber es hat hingehauen. Der Tyrann ist tot, du hast ihm vor der ganzen Stadt den Garaus gemacht. Wer hat den Auftrag erteilt? Wer weiß das schon? Der Tyrann hatte sich einfach zu viele Feinde gemacht. Die Gilde wird erfreut sein. Meister Eskat wird erfreut sein. ‚Ein Lehrstück für angehende Meuchler.‘ Das wird er sagen.“

Dorn zog sich die Stiefel an und steckte seinen Schwarzdolch in die Schaftscheide. „Dein Kettenblitz gegen die Schützen kam etwas spät.“

Pitts gedrillte Hörnchen röteten sich vor Wut. „Treib es nicht zu weit! Weißt du wie ich mich verrenken musste, um diese Wachen überhaupt vom Dach aus anvisieren zu können? Mein Rücken schmerzt immer noch! Ein Wunder, dass ich den Zauber überhaupt ... was denn?“

Dorn schnüffelte an Pitt.

„Gegrillte Seegurke? Wirklich, Pitt?“

Die Röte breitete sich über die Wangen der Gnomin aus.

„Naja ... also da war diese Garküche ... und die hatten herathische Seegurken am Spieß. Die mag ich ja so“, plapperte Pitt. „Und eine Menschenfrau ging rum und pries sie an. Hübsch war die, Dorn, die hätte dir bestimmt gefallen. Aber das rosafarbene Kleid, in das der Wirt sie gesteckt hatte, war ziemlich ...“

Dorn trommelte ungeduldig mit den Fingern. Pitt atmete tief ein. „Jedenfalls, du weißt doch, wie mich das Zaubern immer entkräftet ... und da ...“

„... hast du dich vollgestopft, während mich die Söldner Mordakis durch die Gassen jagten.“

Pitt wühlte verlegen in ihrem Tornister. „Äh ... ich dachte, du hast dich schon auf dem Richtplatz abgesetzt. Und hattest als Meister im Verstecken alles im Griff.“

Dorn blickte durch die Gnomin hindurch, als wäre sie Luft. Sie kramte Ölpapier hervor, schlug es auf und präsentierte zwei grüne, warzige Seegurken mit brauner Kruste. „Ich habe dir auch welche mitgebracht. Willst du?“

„Nein danke.“

Pitt sah traurig aufs Essen. Dann zuckte sie mit den Schultern und nahm ein Messer.

„Hast du die anderen Sachen wenigstens erledigt?“, erkundigte sich Dorn.

„Der Kapitän der Sinbaras Gunst hat seine Lunare bekommen und erwartet uns.“

Dorn beulte seinen schwarzen Hut aus und setzte ihn auf. „Wer sind wir?“

„Zwei Meuchler von der Gilde der Langen Messer in Herathis, die gerade den Tyrannen bedient haben“, kaute die Gnomin.

„Pitt!“

„Jaja. Zwei unbescholtene Pilger auf dem Weg nach Herathis.“

„Gut. Weiter.“

„Ich war heute Nachmittag im Palast und habe in Mordakis Schlafgemach das Zeichen hinterlassen. Auf seiner Tür, auf seinem Kopfkissen, auf seinem Nachttopf. Überall der Schwarze Dolch. Ich denke, das wird deutlich genug sein.“

„Carans Willen ist Genüge getan.“ Dorn legte eine Hand auf die Schulter der Gnomin. Sie seufzte erleichtert und drückte ihren Kopf gegen seinen Arm. Dorn stand auf, um die Lage zu überblicken.

Am Himmel waren alle drei Monde gleichzeitig aufgegangen. Der Große Mond hing tief und schwer über dem Elyrischen Golf. Seine gelbliche Sichel spiegelte sich auf der Oberfläche des Ozeans. Zwischen den Blättern des mächtigen Jokabaums zeigte der Düstermond seine rötlich leuchtende Scheibe. Dorn glaubte immer, in seiner Oberflächenzeichnung eine böse Fratze zu sehen, die dämonisch auf Lorakis herabgrinste. Ein Gesicht, das sich am Scheitern der Sterblichen erfreute. Im Meridian stand der Splittermond in ganzer Pracht. In hellem Blau leuchtete er in die Nacht und machte für scharfe Augen alle Einzelheiten seiner Gigantennarbe sichtbar: Ein großes Stück des Mondes fehlte, seit er vor 1.000 Jahren in einer kosmischen Katastrophe geborsten war und Trümmer über das ganze Firmament verteilt hatte. Dieser Splitterschweif, ein weiter Ring von Myriaden kleiner und großer Mondstücke, war heute gut zu erkennen. Immer wieder fielen Trümmer auf Lorakis und gingen als feurigblauer Mondsteinregen nieder. Und wer Glück hatte oder vom Schicksal auserwählt worden war, konnte einen der wertvollen Mondsteine finden. Dorns Finger spielten gedankenverloren mit dem Amulett um seinen Hals.

Aus Richtung des Stadthauses drangen Alarmsignale von Hornbläsern. Feuerschein flackerte und Rauch stieg in die Nacht auf. Am nächsten Stadttor brannten ungewöhnlich viele Feuerschalen. Trotz der frühen Abendstunde waren viele Fenster in den meisten umgebenden Häusern dunkel. Aus den Häusern drangen keine Geräusche. Dafür waren aus der Ferne Gesänge zu hören. Irgendwo brüllten sich mehrere Stimmen an, eindringlich, fordernd. Im Marktviertel schien ein Tumult ausgebrochen.

„Wir sollten uns aufmachen“, sagte Dorn. „Gib mir das Helanikum. Ich will meine Hautfarbe wiederhaben.“

Pitt sah ihn scheinbar fürsorglich an. „Ja, dieses alchemistische Gebräu hat dich ganz schön verfinstert. So erkennen sie dich zu Hause bestimmt nicht wieder.“

„Das Fläschchen, Pitt.“

„Wer wird sich da wohl erschrecken, wenn du schwarz wie Pech heimkommst? Deine Mutter?“

„Geht dich nichts an.“

Pitt ließ ihn weiter zappeln. „Deine Frau?“

„Hör auf, mich über mein Leben auszuhorchen, in Carans Namen. Unsere Arbeit ist der Tod. Wir trennen das Leben aus guten Gründen davon ab.“