Narren sterben - Mario Puzo - E-Book

Narren sterben E-Book

Mario Puzo

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Beschreibung

John Merlin führt ein Doppelleben. Das eine in Hollywood, in der schillernden Welt der Bestsellerautoren, der Medienmogule, der Filmstars und Starlets. Das andere in der beschaulichen bürgerlichen Atmosphäre seines Einfamilienhauses in New York. Er riskiert sein Talent und setzt auf sein Glück. Er spielt um Geld und um die Liebe. Am Ende ist er der Sieger, denn er überlebt – und die Narren sterben... Mario Puzo, als Sohn italienischer Einwanderer in New York City geboren, ist Autor zahlreicher Weltbestseller, unter anderem von "Der Pate", der von Francis Ford Coppola mit überwältigendem internationalen Erfolg verfilmt wurde.

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Mario Puzo

Narren sterben

Roman

Ins Deutsche übertragen von Roland Fleissner und Hans E. Hausner

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel "Fools Die" Edel eBooks Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2014 Edel Germany GmbH Neumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 1978 by Mario Puzo Copyright © der deutschsprachigen Erstausgabe 1978

Ins Deutsche übertragen von Roland Fleissner und Hans E. Hausner

Trotz intensiver Recherche war es dem Verlag nicht möglich, den Rechteinhaber der Übersetzung zu identifizieren bzw. einen Kontakt herzustellen. Wir bitten den Übersetzer bzw. seinen Nachfolger, sich ggf. beim Verlag zu melden.

Covergestaltung: Agentur bürosüd°, München

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-95530-628-1

facebook.com/edel.ebooks

ERSTES BUCH

1

Hört mir zu! Ich will die Wahrheit über das Leben eines Mannes erzählen. Über seine Liebe zu den Frauen und daß er nie Haß gegen sie empfindet. Jetzt denkt ihr, ich liege bereits falsch! Aber hört mir nur weiter zu! Ihr könnt mir glauben: ich bin ein Meister der Magie.

Meint ihr: kann ein Mann eine Frau wirklich lieben und sie gleichzeitig dauernd betrügen? Nicht körperlich natürlich, sondern geistig, sozusagen in der „Poesie seiner Seele“. Nun gut, es mag nicht leichtfallen, aber die Männer haben es immer getan.

Oder wollt ihr wissen, wie Frauen euch lieben können, euch absichtlich mit dieser Liebe füttern, um euren Körper und euren Geist zu vergiften, einfach weil sie euch vernichten wollen? Und wie sie aus leidenschaftlicher Liebe heraus beschließen, euch nicht mehr zu lieben? Und euch gleichzeitig mit einer idiotischen Ekstase den Kopf verdrehen? Unmöglich? Ganz und gar nicht, es‚ gibt Schwierigeres als das.

Ihr braucht nicht davonzurennen. Das hier ist keine Liebesgeschichte!

Ich will euch die schmerzliche Schönheit eines Kindes erleben lassen, die tierhafte Geilheit des Mannes, die sehnsuchtsvolle, selbstmörderische Launenhaftigkeit des Weibes. Und dann – und hier wird es schwierig – will ich euch zeigen, wie die Zeit Mann und Frau umdreht, sie Körper und Seele tauschen läßt.

Dann gibt es natürlich die „wahre“ Liebe. Hiergeblieben! Es gibt sie wirklich, oder ich werde sie erschaffen. Ich bin nicht umsonst ein Meister der Magie. Ist sie wert, was sie kostet? Und wie steht’s mit der Treue im Sex? Klappt das? Ist das Liebe? Ist es überhaupt menschlich, dieses perverse Verlangen, bei nur einem Partner zu bleiben? Und wenn es nicht funktioniert, bekommt man dann dennoch eine Belohnung, weil man’s versucht hat? Und beides zugleich geht nicht? Nein, sicher nicht, das ist klar. Und doch...

Leben ist eine komische Sache, und es gibt nichts Drolligeres als Liebe, die durch die, Zeit reist. Aber ein wahrer Meister der Magie kann sein Publikum gleichzeitig zum Lachen und Weinen bringen. Der Tod ist eine andere Geschichte. Über den Tod mache ich keine Witze. Er liegt außerhalb meiner Macht.

Ich warte beständig wachsam auf den Tod. Mich trickst er nicht aus. Ich erkenne ihn immer sofort. Er tritt gern in biederer Verkleidung auf: als lustige Warze, die plötzlich wächst und wächst; als dunkles, haariges Muttermal, das seine Wurzeln bis zum Knochen vorantreibt. Oder er versteckt sich in hübschen kleinen Fieberröschen. Und dann taucht er plötzlich auf, der grinsende Totenschädel, und packt sein Opfer unversehens. Nicht bei mir! Ich warte auf ihn. Und ich treffe meine Vorkehrungen.

Genau wie der Tod ist auch die Liebe mühselig und kindisch, obgleich die Menschen stärker an sie glauben als an den Tod. Frauen sind da wieder anders. Ihr mächtiges Geheimnis ist, daß sie die Liebe niemals ernst nehmen und nie wirklich ernst genommen haben.

Noch einmal: Das hier wird keine Liebesgeschichte. Steckt euch mal die Liebe in die Tasche. Ich werde euch die Macht in ihrer ganzen Spannweite demonstrieren. Zuerst ist da das Leben eines armen, mühsam ringenden Schriftstellers. Talentiert. Empfindsam. Vielleicht ein bißchen genial. Ich zeige euch, wie man den Künstler zur Sau macht wegen seiner Kunst, und warum er das verdammt auch verdient: Dann zeige ich ihn als cleveren Gesetzesbrecher, der sich nie besser gefühlt hat. Ah, welch Freude für einen wahren Künstler, wenn er endlich zum Gauner wird! Endlich hat seine wahre Natur die Hüllen durchstoßen. Nichts mehr von dümmlichem Herumgetue und -gerede über seine Ehre. Der Kerl ist ein Stricher, einer, der stillschweigend mitmacht. Ein Feind der Gesellschaft, und das ganz öffentlich, statt daß er sich hinter seiner Hure Kunst versteckt. Wie erleichternd! Was für eine Freude! Was für ein heimliches Vergnügen! Und dann wird er wieder ein anständiger Mensch, denn es ist die reinste Plackerei, Gauner zu sein.

Man hat allerdings dabei gelernt, die Gesellschaft zu akzeptieren und seinen Mitmenschen zu vergeben. Wer so weit kommt, sollte kein Gauner mehr sein, außer er braucht das Geld wirklich.

Danach geht es weiter mit einer der erstaunlichsten Erfolgsstorys der Literatur. Mit dem Privatleben der Giganten des Kulturbetriebs. Vor allem eines exemplarischen Widerlings unter ihnen. Die Schickeria eben ... Jetzt haben wir also die Welt der armen, ringenden Genies, die Welt der Gauner und die Welt der arrivierten Literaten. Das Ganze verbrämt mit viel Sex und einigen Schaumspritzern Gedankenschwere, die aber niemandem den Kopf verwirren soll, ja sich vielleicht gar nicht so uninteressant liest. Und dann gibt es ein echtes pompöses Hollywood-Ende, bei dem unser Held alles in sich hineinschlingt: Preise, Geld, Ruhm, schöne Frauen. Und schließlich ... bleibt da und hört mir zu ... wandelt sich alles zu Asche.

Nicht genug? Alles schon einmal gehört? Vergeßt nicht, ich bin Meister der Magie! Ich kann euch alle diese Leute leibhaftig machen. Ich kann euch zeigen, was sie wirklich denken und fühlen. Ihr werdet um sie weinen, um jeden von ihnen. Oder vielleicht auch nur lachen. Auf jeden Fall eine Menge Spaß haben. Und etwas über das Leben lernen. Was einem allerdings im Grunde nichts nützt.

Ich weiß, was ihr denkt: Der raffinierte Hund will uns bloß dazu bringen, umzublättern. Aber wartet nur ab! Ich will nur eine Geschichte erzählen. Was ist daran so schlimm? Wenn ich sie ernst nehme, heißt das nicht, ihr müßt sie auch ernst nehmen. Ergötzt euch daran.

Ich will eine Geschichte erzählen, nichts sonst. Ich wünsche mir weder Ruhm noch Erfolg, noch Geld. Aber nichts ist leichter als das; die meisten Männer und Frauen wünschen sich das auch nicht, im Grunde. Noch besser, ich will auch keine Liebe. Als ich jung war, sagten mir einige Frauen, sie liebten mich wegen meiner langen Wimpern. Ich ließ es mir gefallen. Später war es dann mein Witz. Dann mein Einfluß und mein Geld. Danach mein Talent. Dann mein Geist. Okay, mit dem allem kann ich fertigwerden. Die einzige Frau, die mir Entsetzen einjagen kann, ist die, die mich um meiner selbst willen liebt. Für die habe ich Vorbereitungen getroffen. Gifte und Dolche und düstere Gräber in Höhlen, um ihren Kopf zu verscharren. Eine solche Frau kann man nicht am Leben lassen. Besonders wenn sie auch noch sexuell treu ist, niemals lügt und einen stets allen und allem vorzieht.

Es wird hier ziemlich viel von Liebe die Rede sein, aber es ist keine Lovestory. Sondern ein Buch über den Krieg. Den uralten Krieg zwischen Männern, die gute Freunde sind. Und den großen „neuen“ Krieg der Frauen gegen die Männer. Das ist eine alte Geschichte, sicherlich, die aber jetzt offen zutage tritt. Die Kämpfer der Frauenbewegung rühmen sich, etwas Neues entdeckt zu haben, dabei sind bloß ihre Guerilleros aus ihren Unterschlupfen gekommen. Die scheinbar sanften, unterwürfigen Frauen haben den Männern seit ewigen Zeiten Fallen gestellt: an der Wiege, in der Küche und im Schlafzimmer. Und am Grab ihrer Kinder, dem geeignetsten Ort, einen Schrei nach Erbarmen zu überhören.

O weh, denkt ihr, der hat was gegen die Frauen. Doch ich habe sie niemals gehaßt. Und sie kommen bei mir besser weg als die Männer, ihr werdet sehen. Wahr ist allerdings, daß es stets nur Frauen gelungen ist, mich unglücklich zu machen. Und sie haben es seit meinen frühesten Kindertagen getan. Das gleiche wie ich könnten aber die meisten Männer sagen. Es gibt nichts, was man dagegen tun könnte.

Kein kleines Vorhaben, das alles! Ich weiß ... ich weiß, das Ganze sieht sehr verführerisch aus. Aber Vorsicht! Ich habe so meine Tricks als Geschichtenerzähler. Und ich bin nicht eine von euren verletzlichen Künstlerseelen. Dagegen habe ich mich gefeit gemacht. Und ich habe noch ein paar Überraschungen im Ärmel.

Aber genug jetzt. Laßt mich anfangen. Und laßt mich enden.

ZWEITES BUCH

2

Am glücklichsten Tage seines Lebens betrog Jordan Hawley seine drei besten Freunde. Aber davon wußte er jetzt noch nichts, während er durch den Saal mit den Würfeltischen im riesigen Casino des Hotels Xanadu wanderte und sich fragte, welches Spiel er als nächstes versuchen solle. Es war noch früher Nachmittag, und er hatte bereits zehntausend Dollar gewonnen. Aber er hatte es satt, die blitzenden roten Würfel über das grüne Filztuch rollen zu sehen.

Er verließ den Würfel-pit, also die Abteilung im Spielsaal, wo die Würfeltische standen, der violette Teppich weich unter seinem Schritt, und trat zu dem wispernden Rad auf einem der Roulette-Tische mit den hübschen roten und schwarzen Feldern, dem grünen Zero und dem Doppelzero der Verlierer. Er machte ein paar verrückte Einsätze, verlor und ging in den Blackjack-Saal.

Die kleinen hufeisenförmigen Blackjack-Tische standen in Doppelreihen. Er ging zwischen ihnen hindurch, und es war wie bei einem Spießrutenlaufen. Zu beiden Seiten blitzten die blauen Rückseiten der Spielkarten. Doch sicher gelangte er bis zu den großen Glastüren, die auf die Straßen der Stadt Las Vegas hinausführten. Von hier aus vermochte er den „Strip“ hinunterzuschauen, auf dem gleich Wachposten die Luxushotels standen.

Unter der flammenden Sonne Nevadas blitzten in Millionen Watt starken Neonzeichen gut zwölf „Xanadus“. Im golden schimmernden Glast schienen die Hotels in eine unerreichbare Fata Morgana zu verschmelzen. Jordan Hawley saß mit seinem Gewinn in der Falle, hier in dem klimatisierten Casino. Es wäre verrückt, dort hinauszugehen, wo nur andere Casinos mit ihren unbekannten Glückschancen auf ihn lauerten. Hier war er Gewinner, und zudem sollte er bald seine Freunde treffen. Hier war er in Sicherheit vor der brennenden gelben Wüste.

Jordan Hawley drehte der Glastür den Rücken zu und setzte sich an den nächstgelegenen Blackjack-Tisch. Schwarze Hundert-Dollar-Chips, winzige verbrannte Sonnen, klapperten in seinen Händen. Er sah zu, wie ein Dealer Karten aus seinem frisch gelegten „Schuh“, der langen Holzbox, gleiten ließ, die die Karten enthielt.

Jordan setzte hoch auf zwei Boxen, machte also zwei Hände zugleich. Das Glück hielt. Er spielte, bis der Schuh keine Karten mehr hatte. Der Croupier verlor oft, und als er mischte, ging Jordan weiter. Seine sämtlichen Taschen waren prall voll mit Chips. Aber das machte nichts, denn er hatte ein von Sy Devore speziell entworfenes „Vegas-Winner“-Jackett an. Es besaß scharlachrote Paspeln auf himmelblauem Tuch und besondere Reißverschlüsse an den Taschen, die optimistisch weit geschnitten waren. Die Innentaschen hatten gleichfalls besondere Reißverschlüsse, so daß kein Taschendieb an sie herankonnte. Jordans Chips waren hier sicher aufgehoben, und er hatte noch viel Platz für weitere Gewinne. Niemand hatte je sämtliche Taschen eines „Vegas-Winner“-Jacketts vollbekommen.

Unter den riesigen Kronleuchtern war alles in bläulichen Neon-Nebel getaucht, Widerschein von den tiefvioletten Teppichböden. Jordan verließ das Licht und ging in die abgedunkelte Bar, die eine niedere Decke hatte und ein kleines Podium für Auftritte. Von seinem kleinen Tisch aus konnte er ins Casino hinüberblicken wie ein Zuschauer auf eine erleuchtete Bühne. Gebannt schaute er den Nachmittagspielern zu, die in komplizierten choreographischen Figuren von Tisch zu Tisch trieben. Wie ein Regenbogen über klarem blauem Himmel blitzte ein Rouletterad sein Rot und Schwarz gegen die Einsätze auf den Gevierten. Karten mit blau-weißem Rücken flogen über grüne filzbespannte Tische. Viereckige rote Würfel zuckten mit weißen Augen wie fliegende Fische über die walförmigen Craps-Tische. Weit hinten, zwischen den Reihen der Blackjack-Tische, „wuschen“ die Croupiers, die eben Pause machten, sich symbolisch in der Luft die Hände, um anzuzeigen, daß sie keine Jetons in den Handflächen kleben hatten.

Die Casino-Szene belebte sich mit Akteuren: Sonnenanbeter kamen vom Swimming-pool herein, andere von den Tennisplätzen, den Golfplätzen, von einem Nickerchen oder von kostenloser oder bezahlter Liebe am Nachmittag in einem der tausend Zimmer des Hotels Xanadu. Jordan sah ein anderes „Vegas-Winner“-Jackett durch das Casino treiben. Es war Merlin. Das „Kind“. Merlin wurde schwankend, als er am Roulette vorbeikam. Roulette war seine große Schwäche. Trotzdem, er spielte selten da, denn er wußte genau, daß die enormen 5,5 Prozent Gewinnschnitt der Bank wie ein scharfes Schwert zuhieben. Jordan winkte aus der Dunkelheit mit scharlachrot-gestreiftem Ärmel, und Merlin ging. weiter, jetzt wie durch Flammen, verließ die erleuchtete Bühne des Casinos und setzte sich. Merlins Reißverschlußtaschen beulten sich nicht von Jetons, und er hielt auch keine in den Händen.

Sie saßen gemütlich beisammen, ohne zu sprechen. In seinem rotblauen Jackett sah Merlin aus wie ein Athlet. Er war, mindestens zehn Jahre jünger als Jordan, sein Haar war lackschwarz. Auch schien er glücklicher, begieriger auf den kommenden Kampf mit dem Schicksal, auf die Nacht des Spieles.

Dann sahen sie, wie aus der entferntesten Ecke des Casinos, von den Bakkarat-Tischen, Cully Cross und Diane die elegante graue Barriere durchschritten und, das Casino querend, auf sie zukamen. Auch Cully trug ein „Vegas-Winner“-Jackett. Diane hatte ein weißes Sommerkleid an, tiefdekolletiert und kühl für die Arbeit tagsüber. Ihr Busen war perlweiß gepudert. Merlin winkte, und sie kamen zwischen den Spieltischen auf sie zu, ohne anzuhalten. Als sie sich gesetzt hatten, bestellte Jordan die Drinks. Er wußte, was sie üblicherweise nahmen. Cully entdeckte Jordans bauchige Taschen. „He“, sagte er, „du bist allein losgezogen und hast Glück gehabt! Ohne uns!“

Jordan lächelte. „Ein bißchen.“ Sie schauten ihn neugierig an, wie er für die Drinks bezahlte und der Kellnerin einen roten Fünf-Dollar-Chip als Trinkgeld reichte. Er merkte die Blicke. Er wußte nicht, warum sie ihn so seltsam ansahen. Jordan war seit drei Wochen in Vegas und hatte sich während dieser drei Wochen erschreckend verändert. Er war zehn Kilo leichter, sein aschblondes Haar war lang und wirkte weißer. Das Gesicht, obschon noch immer anziehend, war nun hager, die Haut wies einen grauen Schimmer auf. Er wirkte ausgelaugt. Doch das war ihm nicht bewußt, er fühlte sich gut in Form. In aller Unschuld fragte er sich, was diese drei Menschen bloß haben mochten, diese Freunde seit drei Wochen, die jetzt die besten Freunde waren, die er auf Erden hatte.

Am meisten mochte Jordan den, den sie „The Kid“ nannten, Merlin. Merlin prahlte damit, ein leidenschaftsloser Spieler zu sein. Er versuchte stets, seine Gefühle zu unterdrücken, gleich, ob er gewann oder verlor, und meist gelang ihm dies auch. Außer, daß sein Blick bei einer ungewöhnlichen Verlustserie den Ausdruck erstaunter Verwirrtheit annahm, was Jordan amüsierte.

Merlin The Kid redete niemals viel. Er beobachtete. Jordan wußte, daß Merlin The Kid Protokoll über alles führte, was er, Jordan, tat, weil er ihm auf die Schliche kommen wollte. Auch das amüsierte Jordan. Er hatte The Kid ausgetrickst. Der suchte immer nach Kompliziertheiten und begriff nie, daß er, Jordan, haargenau so war, wie er sich der Welt zeigte. Aber er war gern mit Merlin und den anderen zusammen. Das half ihm in seiner Einsamkeit. Und weil Merlin im Spiel hingegebener und leidenschaftlicher wirkte, hatte Cully ihn The Kid getauft.

Cully selbst war der jüngste unter ihnen, erst 29, schien aber merkwürdigerweise der Anführer der Gruppe zu sein. Vor drei Wochen hatten sie sich in Vegas getroffen, hier in diesem Casino, und sie hatten nichts gemeinsam, außer einer Sache: Sie waren hemmungslose Spieler. Ihre dreiwöchige Spielorgie war etwas Außergewöhnliches, denn der Casino-Gewinnschnitt hätte sie eigentlich nach den ersten paar Tagen in den Wüstensand Nevadas schicken müssen.

Jordan wußte, daß Cully Cross und Diane ebenfalls neugierig waren, was seine Person betraf, aber es machte ihm nichts aus. Seine Neugierde ihnen gegenüber hielt sich in Grenzen. The Kid wirkte auf ihn jung und zu intelligent, um ein hemmungsloser Spieler zu sein. Doch Jordan versuchte nie, dem auf den Grund zu gehen. Es interessierte ihn einfach nicht.

Bei Cully gab es keine Fragen, jedenfalls schien es so. Er war der klassische Hemmungslose mit Geschick. Er brachte es fertig, sich beim Blackjack die gefallenen Karten zu merken, selbst wenn der Schuh vier Pakete Karten zu 52 Stück enthielt. Weshalb er den Spitznamen Cully „Countdown“ hatte – Cully, der „Herunterzähler“. Er war Experte, was die Prozentchancen bei allen Spielen betraf. The Kid war das nicht. Jordan war kühl, wo The Kid ungebärdig war. Und Cully war ein Profi. Jordan machte sich allerdings nichts vor. In diesem Moment gehörte er in ihren Verein: ein Hemmungsloser wie sie. Ein Mann also, der spielte, um zu spielen und zu verlieren. Wie ein Held, der in den Krieg zieht und sterben muß. Zeig mir einen Spieler, und ich zeige dir einen Verlierer; zeig mir einen Helden, und ich zeige dir eine Leiche, dachte Jordan.

Sie waren alle am Ende mit ihren Penunzen und würden bald weiterziehen müssen, außer vielleicht Cully. Cully war teils Macker, teils Schlepper. Versuchte stets Tricks, um die Casinos übers Ohr zu hauen. Gelegentlich kriegte er einen der Croupiers beim Blackjack herum, und sie spielten gemeinsam gegen das Haus. Eine gefährliche Sache.

Das Mädchen, Diane, gehörte eigentlich nicht so recht dazu. Sie arbeitete als Anreißer für das Haus und machte jetzt gerade ihre Pause am Bakkarat-Tisch. Und verbrachte sie mit gerade diesen dreien, weil sie das Gefühl hatte, daß sie die einzigen in Vegas waren, die sich was aus ihr machten.

Als Anreißer spielte sie mit dem Geld des Casinos und gewann oder verlor das Geld des Casinos. Sie unterlag nicht, den Launen des Glücks, sondern war abhängig von dem festgelegten Wochenlohn, den ihr das Casino zahlte. Sie mußte nur in der flauen Zeit am Bakkarat-Tisch sitzen, weil Spieler leere Tische mieden. Sie war der Fliegenfänger für die Fliegen. Darum auch ihre herausfordernde Kleidung. Sie hatte langes, lackschwarzes Haar, das sie wie eine Peitsche um sich schwang, hatte einen vollen, sinnlichen Mund, einen fast makellosen Körper und lange Beine. Ihre Brüste waren klein, doch das paßte zu ihr. Und der Boß über die Bakkarat-Tische gab Spielern mit hohen Einsätzen ihre private Telefonnummer. Manchmal auch wisperte ihr der Pit-Boss oder einer der Hilfsknaben zu, daß einer der Spieler sie gern bei sich in seinem Zimmer begrüßen würde. Es stand ihr frei, so etwas abzulehnen, aber sie mußte dabei vorsichtig vorgehen. Wurde man handelseins, dann bezahlte der Kunde sie nicht persönlich. Der Pit-Boss händigte ihr einen Spezialjeton über fünfzig oder hundert Dollar aus, den sie an der Kasse des Casinos einlösen konnte. Das haßte sie an der Sache. Sie zahlte meistens einem der anderen Anreißermädchen fünf Dollar, damit diese für sie kassiere. Als Cully das erfuhr, wurde er ihr Freund. Er liebte sensible Frauen. Die konnte er manipulieren.

Jordan gab der Kellnerin das Zeichen für noch eine Runde. Er fühlte sich nun ganz entspannt. Er hatte eine Art Tugendgefühl, so früh am Tage soviel Glück gehabt zu haben. Es war, als liebte ihn irgendein fremder Gott, einer, der ihn für gut hielt und ihn für all die Opfer zu belohnen trachtete, die er in der Welt da draußen hinterlassen hatte. Und dann fühlte er sich Cully und Merlin kameradschaftlich verbunden.

Oft frühstückten sie gemeinsam. Und immer hatten sie zusammen am späten Nachmittag diesen Drink, ehe sie sich in das große Spielgeschehen stürzten, das die ganze Nacht andauern würde. Manchmal nahmen sie spätnachts einen Snack, um einen Gewinn zu feiern, wobei der vom Glück Begünstigte die Rechnung beglich und für den Tisch Keno-Tickets kaufte. Während der letzten drei Wochen waren sie Kumpel geworden, obgleich sie absolut nichts gemein hatten und ihre Freundschaft mit ihrer Spiellust vergehen würde. Doch jetzt, solange sie noch nicht kaputt waren, verspürten sie eine merkwürdige Zuneigung für einander. Während eines spontanen Ausbruchs von Gefühl hatte Merlin The Kid alle drei nach einem Gewinntag in den Bekleidungsladen des Hotels geschleppt und die scharlachroten und blauen „Vegas-Winner“-Jacketts gekauft. An jenem Tag hatten sie alle drei gewonnen, und seither behielten sie die Jacketts aus Aberglauben beständig an.

Jordan hatte Diane am Tage ihrer tiefsten Erniedrigung kennengelernt, in derselben Nacht, in der er auch Merlin traf. Tags darauf lud er sie während einer ihrer Arbeitspausen zu einem Kaffee ein, sie hatten sich unterhalten, doch er hörte ihr nicht wirklich zu. Sie spürte sein mangelndes Interesse und war beleidigt. Also passierte nichts zwischen ihnen. Hinterher bedauerte er es und tat sich selber leid, allein in seinem nächtlichen luxuriösen Zimmer, unfähig einzuschlafen. So war es jede Nacht; er hatte es mit Schlaftabletten versucht, aber davon bekam er nur Alpträume, die ihn schreckten.

Bald würde die Band zu spielen beginnen, die Bar füllte sich mit Menschen. Jordan hatte sehr wohl gesehen, wie sie ihn angestarrt hatten, als er der Kellnerin einen roten Fünf-Dollar-Chip als Trinkgeld gegeben hatte. Die dachten wohl, er sei generös, dabei war es nur so, daß er sich nicht die Mühe machen wollte, auszurechnen, wie hoch das Trinkgeld sein mußte. Er amüsierte sich bei dem Gedanken, wie sehr doch seine Wertvorstellungen sich verändert hatten. Immer war er genau und fair gewesen, doch niemals fahrlässig großzügig. Zu einer Zeit war seine Welt genau bemessen und abgesteckt gewesen. Jeder erhielt die ihm zustehende Belohnung. Und dann hatte dieses System nicht mehr funktioniert. Jetzt konnte er sich nur wundern, daß er jemals sein Leben auf eine solche Grundlage hatte bauen können.

Die Combo-Band wuselte sich in der Dunkelheit zum Podium hinauf. Gleich würden sie so laut spielen, daß keine Unterhaltung mehr möglich war, und das war dann für die drei Männer stets das Signal, daß sie sich nun ernsthaft ans Spielen machen mußten.

„Heute hab’ ich ’ne Glücksnacht“, sagte Cully. „Mein rechter Arm ist gut für dreizehn Passagen.“

Jordan lächelte. Er ging auf Cullys Begeisterung immer ein. Er kannte ihn nur unter dem Namen Cully „Countdown“, dem Namen, den er sich am Blackjack-Tisch erworben hatte. Er mochte den Mann, weil er andauernd quasselte und sein Gequassel keine Antworten verlangte. Dadurch wurde er für die Gruppe wichtig, denn Jordan selbst und Merlin The Kid redeten beide nicht viel. Und die Bakkarat-Anreißerin Diane lächelte viel, schwieg aber meistens.

Cullys feingezeichnetes Gesicht glühte vor Selbstvertrauen. „Heute halt’ ich den Würfel eine Stunde lang“, sagte er. „Ich mach’ hundert Würfe und keine Sieben. Ihr geht am besten mit.“

Die Combo spielte ihren Eröffnungstusch, als wolle sie Cully unterstützen.

Cully liebte Craps, obgleich seine höchsten Talente beim Blackjack lagen, wo er den Schuh runterzählen konnte. Jordan liebte Bakkarat, weil dabei weder Fähigkeit noch Mathematik eine Rolle spielten. Merlin liebte Roulette, weil es für ihn das am meisten mythenhafte, magische Spiel war. Heute abend aber hatte Cully erklärt, er werde unweigerlich beim Craps gewinnen, also würden sie alle mit ihm spielen müssen, um auf seiner Glückssträhne mitzureiten. Sie waren seine Freunde, sie konnten ihm nicht das Glück stehlen. Sie standen auf und gingen in den Würfelsaal, um mit Cully zu wetten. Cully spannte schon die Muskeln seines starken rechten Armes, der magische dreizehn Passagen in sich hatte.

Diane sagte zum erstenmal etwas. „Jordy hatte eine Glückssträhne beim Blackjack. Vielleicht solltet ihr mit ihm gehen.“

„Du siehst mir nicht wie ein Gewinner aus“, sagte Merlin zu Jordan.

Es war gegen die Regel, jemandes Glück gegenüber anderen Spielern zu erwähnen. Sie könnten einen ja anpumpen, oder er bekäme vielleicht das Gefühl, daß sie ihm sein Glück abzapften. Doch inzwischen kannte Diane Jordan gut genug, um zu wissen, daß er sich einen Dreck um die üblichen abergläubischen Rituale kümmerte, die Spieler so hartnäckig einhielten.

Die Band röhrte, verschluckte ihre Worte und trieb sie aus ihrem dunklen Asyl auf den grell erleuchteten Bühnenboden des Casinos. Es gab jetzt viel mehr Spieler da, aber man konnte sich frei bewegen. Nachdem ihre Kaffeepause vorbei war, ging Diane zu ihrem Bakkarat-Tisch zurück, um das Geld des Hauses zu setzen, einfach damit ein Stuhl belegt war. Sie spürte nicht die geringste Leidenschaft. Als Anreißerin, die das Geld des Hauses verlor oder gewann, war sie sozusagen eine uninteressante Unsterbliche und ging daher auch langsamer als die anderen.

Cully ging voran – drei Musketiere in Scharlachrot und Blau. Er war gierig und zuversichtlich. Merlin folgte ihm, fast ebenso gierig. Sein Spielerblut pulsierte. Jordan, mit dem deftigen Gewinn in seinen Taschen, folgte den beiden würdevoller. Cully suchte einen „heißen“ Tisch, auf welchem die Stapel der Haus-Jetons niedrig waren. Schließlich wählte er einen aus, und die drei stellten sich so, daß Cully als erster den Würfel erhalten würde, wenn er vom Stickman rüberkam. Sie setzten kleine Beträge, bis Cully endlich die roten Würfel liebevoll in seinen wärmenden Händen hielt.

The Kid setzte zwanzig, Jordan zweihundert, Cully fünfzig. Er warf eine Sechs. Sie blieben alle auf ihren Sätzen und kauften sämtliche Zahlen. Cully nahm die Würfel voller Vertrauen auf und schleuderte sie energisch auf die andere Tischseite. Ungläubig starrte er sie an. Eine entsetzliche Katastrophe. Sieben aus. Sie waren abgeschmiert. Und das, ohne noch eine, Chance zu haben. Das Kind hatte 140, Cully fette 350 verloren, und Jordan war mit 1.400 Dollar den Bach runtergeschwommen.

Cully zerkaute irgendwas zwischen den Zähnen und verzog sich. Er war vollkommen am Boden zerstört und mußte sich jetzt auf die mühevolle Arbeit vorbereiten, geschickt Blackjack zu spielen, jedes Blatt aus dem Schuh zu registrieren und sich auszurechnen, was am Ende noch im Schuh war, damit er sich dem Dealer gegenüber in Vorteil brachte. Manchmal funktionierte das, aber es war eine Schinderei. Manchmal erinnerte er sich haargenau an jede Karte, rechnete sich aus, welche Blätter noch im Schuh sein mußten, bekam dadurch dem Croupier gegenüber einen Zehnprozentvorteil und setzte einen hohen Stapel Chips. Aber sogar mit diesem Riesenvorteil verließ ihn manchmal das Glück, und er verlor. Und nun hatte ihn sein berühmter rechter Arm hintergangen, und er saß da und mußte mit dem Anfangskapital spielen. Die Nacht, die vor ihm lag, versprach eine Quälerei zu werden, denn er würde raffiniert setzen müssen und dennoch nicht verlieren dürfen.

Merlin The Kid trollte sich ebenfalls. Auch er war bis auf sein Anfangskapital blank. Aber ihm fehlten einfach die Fertigkeiten. Er konnte sich nur auf sein Glück verlassen.

Jordan strolchte allein durchs Casino. Er hatte es gern, allein zu sein, inmitten der Menge und der Murmelgeräusche der Spieler. Allein, ohne einsam zu sein. Sich mit fremden Menschen eine Stunde lang zu befreunden und sie danach nie wieder zu treffen. Das Klicken der Würfel.

Er schlenderte durch den Blackjack-pit, die hufeisenförmigen Tische standen gerade ausgerichtet in Reihen. Er horchte auf das Klicken eines „second carder“ Cully hatte ihm und Merlin diesen Trick beigebracht. Ein betrügerischer Croupier mit geschwinden Händen war mit den Augen nie zu ertappen. Aber wenn man sehr genau hinhörte, dann konnte man vernehmen, wie er die zweite Karte aus dem Stapel Karten herauszog. Denn es war die oberste Karte, die der Dealer brauchte, damit seine Hand gut war.

Eine lange Schlange bildete sich drüben für die Dinner-Show, und dabei war es erst sieben Uhr. Keine Spieler mit großen Einsätzen. Im Casino war es ziemlich ruhig. Keine außergewöhnlichen Gewinne. Jordan ließ die schwarzen Jetons in der Hand gegeneinanderklicken. Er überlegte. Dann trat er an einen fast leeren Craps-Tisch und hob den roten blitzenden Würfel auf.

Jordan zog den Reißverschluß seines „Vegas-Winner“-Jacketts an einer Außentasche auf und häufte schwarze Hundert-Dollar-Chips auf sein Feld. Er setzte zweihundert auf „win-line“, setzte für seine Zahl und kaufte sich dann alle Zahlen für je 500 Dollar. Er behielt die Würfel fast eine Stunde lang. Nach der ersten Viertelstunde zuckte die Elektrizität seiner Glückshand durch das Casino, und der Tisch war gerammelt voll. Er drückte seine Einsätze bis zum Limit von 500, und die magischen Augen rollten ihm weiter aus der Hand. In seinem Kopf verbannte er die tödliche Sieben in die Hölle. Er verbot ihr, zu erscheinen. Sein Feld füllte sich mit Bergen von schwarzen Chips. Seine Taschen barsten fast davon. Schließlich vermochte sein Gehirn sich nicht mehr zu konzentrieren, konnte die tödliche Sieben nicht mehr länger verbannen, und die Würfel gingen aus seiner. Hand zum nächsten Spieler über. Die anderen Spieler am Tisch ließen ihn hochleben. Der Pit-Boss reichte ihm Metallgestelle, damit er seine Jetons zum Kassenschalter bringen könne. Dann tauchten Merlin und Cully auf. Jordan lächelte ihnen zu.

„Bist du auf meinen Run eingestiegen?“ fragte er.

Cully schüttelte den Kopf. „Ich bin erst in den letzten zehn Minuten reingekommen“, sagte er. „Ich hab’ abgesahnt.“

Merlin lachte. „Ich hab’ nicht an dein Glück geglaubt. Ich hab mich rausgehalten.“

Merlin und Cully begleiteten Jordan zum Kassierer, um ihm dabei zu helfen, seinen Gewinn einzustreichen. Jordan war überrascht, als sich herausstellte, daß der Wert der Jetons in seinen Metallträgern sich auf mehr als fünfzigtausend Dollar belief. Und seine Taschen quollen von noch mehr Chips über.

Merlin und Cully standen in ehrfürchtiger Erstarrung. Cully sagte ernst: „Jordy, jetzt mußt du aus der Stadt abhauen. Wenn du bleibst, dann kriegen die das wieder zurück.“

Jordan lachte. „Die Nacht ist noch jung.“ Er amüsierte sich darüber, daß seine beiden Freunde es für einen so großen Hit hielten. Dennoch, die Anspannung machte sich bemerkbar. Er fühlte sich ungeheuer müde. Er sagte: „Ich geh’ rauf in mein Zimmer und leg’ mich ein bißchen hin. Wir treffen uns dann, so um Mitternacht. Ich lade euch zu einem Dinner ein. Okay?“

Der Kassierer war mit dem Zählen fertig und wendete sich an Jordan: „Sir, wünschen Sie es bar oder einen Scheck? Oder sollen wir es für Sie hier in der Kasse aufbewahren?“

Merlin sagte: „Laß dir ’nen Scheck geben.“

Cully runzelte nachdenklich die Stirn, sah aber dann wieder die innere Geheimtasche Jordans, die von Chips fast überquoll, und er lächelte. „Ein Scheck ist sicherer“, sagte er.

Die drei Männer blieben stehen und warteten. Cully und Merlin standen links und rechts von Jordan, der über ihre Schultern hinweg in die glitzernden Pits des Casinos schaute. Dann kam schließlich der Kassierer mit dem gezackten gelben Scheck und reichte ihn Jordan.

Die drei Männer vollzogen gleichzeitig unbewußt eine Pirouette, ihre Jacken leuchteten rot und blau unter den Lichtern der Keno-Tafeln. Dann ergriffen Merlin und Cully Jordans Ellenbogen und schubsten ihn in einen der speichenförmig abzweigenden Korridore, damit er auf sein Zimmer gehe. Es war ein Prunkzimmer voller Plüsch. Schwere goldfarbene Vorhänge, ein riesiges Bett mit silberner Bettdecke. Genau das Richtige fürs Spielen. Jordan nahm ein heißes Bad und versuchte danach zu lesen. Er konnte nicht einschlafen. Durch seine Fenster warfen die Neonlichter des Vegas Strip regenbogenfarbene Blitze auf die Wände seines Zimmers. Er zog die Gardinen dichter zu, doch in seinem Kopf vernahm er noch immer das ferne Dröhnen, das verschwommen durch das riesige Casino drang wie die Brandung eines fernen Strandes. Dann löschte er sämtliche Lichter und stieg ins Bett. Es war ein guter Trick, aber sein Hirn ließ sich nicht betrügen. Er konnte nicht schlafen.

Dann verspürte Jordan wieder diese altbekannte Furcht, diese erschreckende Angst. Wenn er einschliefe, würde er sterben. Er wollte verzweifelt gern schlafen, aber er konnte es nicht. Seine Angst, sein Entsetzen waren zu stark. Aber nie begriff er, warum er sich so fürchtete.

Er fühlte sich versucht, die Schlaftabletten wieder zu nehmen, doch das hatte er zu Anfang des Monats schon ausprobiert, er hatte geschlafen, aber mit derartigen Alpträumen, daß er es nicht ertragen konnte. Und am nächsten Tag war er dann deprimiert. Er zog es vor, ohne Schlaf auszukommen. So wie jetzt.

Jordan schaltete das Licht ein, stieg aus dem Bett und zog sich an. Er leerte sämtliche Taschen in seinem Anzug und nahm seine Brieftasche heraus. Er öffnete die Reißverschlüsse an allen Innen- und Außentaschen seines „Vegas-Winner“-Jacketts und schüttelte sie aus, um sicherzugehen, daß sämtliche schwarzen und grünen und roten Chips auf die Seidendecke plumpsten. Die Hundert-Dollar-Noten bildeten einen ganz schönen großen Stapel, die, schwarzen und roten Jetons formten seltsame Spiralen und schachmusterartige Konstellationen. Um sich die Zeit zu vertreiben, begann er das Geld zu zählen und die Jetons zusammenzuordnen. Es dauerte fast eine Stunde.

Er besaß mehr als fünftausend Dollar in bar. Er hatte achttausend Dollar in schwarzen Hunderter-Jetons und weitere sechstausend Dollar in 25er-Grünen, fast tausend in Fünf-Dollar-Noten. Er war überrascht. Er holte den großen Scheck mit den zackigen Kanten des Hotels Xanadu aus seiner Brieftasche und las sorgfältig die Druckbuchstaben in Schwarz und Rot und die Ziffern in Grün. Fünfzigtausend. Er prüfte den Scheck genau. Es standen drei verschiedene Unterschriften darauf. Eine davon fiel ihm besonders auf, weil sie eine so große und so klare Schrift zeigte. Alfred Gronevelt.

Und immer noch rätselte er herum. Er erinnerte sich, daß er mehrmals den Tag über Chips gegen Bargeld eingewechselt hatte, aber er hatte nicht gedacht, daß es für mehr als fünftausend gewesen war. Er räkelte sich auf dem Bett, und die ganzen sorgsam aufgestapelten Jeton-Pfeiler brachen zusammen und fielen durcheinander.

Und jetzt war er in Stimmung. Er war froh. Er besaß genug Geld, um in Vegas bleiben zu können. Er würde nicht nach Los Angeles weiterfahren müssen, er würde seinen neuen Job nicht antreten müssen. Keine neue Berufslaufbahn, kein neues Leben oder, bewahre, sogar eine neue Familie! Er zählte das Geld noch einmal durch und addierte den Scheck hinzu. Er besaß 71.000 Dollar. Er würde ewig weiterspielen können.

Er knipste die Nachttischlampe aus, damit er im Dunkel liegen konnte, umgeben von seinem Geld, das seinen Körper streichelte. Er versuchte einzuschlafen und das Entsetzen zu verscheuchen, das ihn stets in diesen dunklen Räumen überfiel. Er spürte sein Herz hastiger und heftiger schlagen, bis er schließlich das Licht wieder anknipsen und aufstehen mußte.

In seinem Penthouse hoch über der Stadt hob der Besitzer des Hotels, Alfred Gronevelt, den Telefonhörer ab. Er rief die Würfeltische an und fragte, wie weit Jordan im Vorteil sei. Man berichtete ihm, daß Jordan den Profit dieses Tisches für den Abend abgestaubt habe. Dann rief Gronevelt die Vermittlung erneut an und trug ihr auf, durch einen Pagen „Xanadu 5“ ausrufen zu lassen. Er blieb am Apparat. Der Page würde ein paar Minuten brauchen, um durch sämtliche öffentlichen Räume des Hotels zu gehen und mit seiner Stimme bis in die Gehirne der Spieler vorzudringen. Gelangweilt blickte er aus dem Fenster seines Penthouse und sah die große breite Neonschlange in Rot und Grün sich den Las Vegas Strip hinunterwinden. Weiter hinten die dunklen Berge in der Wüste ringsum, die so wie ihn Tausende von Spielern einschlossen. Sie alle, die versuchten, das Haus zu düpieren, mühten sich ab, um an diese Millionen Dollars von Scheinen zu kommen, die hinter dem Gitter beim Kassierer lagen. Im Laufe der Jahre hatten diese Spieler ihre Haut und Knochen auf diesem grellbunten Neon-Strip gelassen.

Dann hörte er Cullys Stimme über das Interfon. Cully war „Xanadu 5“. Er, Gronevelt, war „Xanadu 1“.

„Cully, Ihr Kumpel hat uns verdammt reingehauen“, sagte Gronevelt. „Glauben Sie, daß er in Ordnung ist?“

Cully sprach leise. „Jaaah, Mr. Gronevelt. Er ist ein Freund von mir, und er ist in Ordnung. Der bringt es wieder, ehe er von hier weggeht.“

Gronevelt sagte: „Wenn er irgendwas haben will, sorg dafür, daß er’s bekommt. Laßt ihn bloß nicht auf den Strip hinaus und unser Geld in anderen Lokalen ausgeben. Schickt ihm ’ne gute Nutte.“

„Keine Angst“, sagte Cully. Aber Gronevelt hatte das Gefühl, daß seine Stimme ein wenig merkwürdig klang. Einen Augenblick lang war er sehr nachdenklich, was Cully betraf. Cully war sein Spitzel, er überwachte die Arbeit im Casino und meldete ihm die Blackjack-Dealer, die Halbe-Halbe mit ihm machten, um das Haus auszutricksen. Er hatte ziemlich viel mit Cully vor, sobald diese Geschichte beendet war. Aber nun war er doch sehr nachdenklich.

„Was ist mit dem andern Knaben in eurer Bande, The Kid?“ fragte Gronevelt. „Wie liegt denn der? Und was macht er, verdammt nochmal, drei Wochen lang hier?“

„Der ist ein kleiner Fisch“, sagte Cully. „Aber ein netter kleiner Kerl. Machen Sie sich keine Sorgen, Mr. Gronevelt. Ich weiß genau, wieviel für mich bei Ihnen drinsteht.“

Gronevelt sagte: „Okay!“ Als er den Hörer aufhängte, lächelte er. Was Cully nicht wußte: Daß die Pit-Bosse sich darüber beklagt hatten, daß man Cully überhaupt ins Casino gelassen habe, denn er sei doch ein Countdown-As. Daß sich der Hotelmanager über Merlin und Jordan beklagt hatte, weil sie so lange Zimmer blockierten, die verzweifelt für andere benötigt wurden, wo doch jedes Wochenende neue Spieler mit fetten Geldbeuteln ankämen. Was allerdings keiner wußte: Gronevelt war beunruhigt über die Freundschaft zwischen den drei Männern. Und wie das sich auflöste, das würde der eigentliche Test für Cully sein.

Oben in seinem Zimmer kämpfte Jordan gegen den Drang an, wieder ins Spielkasino hinunterzugehen. Er setzte sich in einen der üppigen Fauteuils und zündete sich eine Zigarette an. Alles war jetzt in Ordnung. Er hatte Freunde, eine Glückssträhne, und er war frei. Nur sehr müde war er. Irgendwo weit weg würde er eine lange Ruhepause einlegen müssen.

Er dachte: Cully und Diane und Merlin – jetzt meine besten Freunde. Und er lächelte bei dem Gedanken.

Sie wußten ziemlich viel über ihn. Sie hatten viele Stunden in der Hotelbar zusammen verbracht und geredet, wenn sie sich zwischen zwei wütenden Spielanfällen erholten. Jordan war nie sehr verschwiegen. Er pflegte auf alle Fragen zu antworten und stellte selbst nie welche. The Kid fragte die ganze Zeit. So voller Ernst und mit solch offenkundigem Interesse, daß Jordan sich nie darüber ärgerte.

Um irgendwas zu tun, holte er seinen Koffer aus dem Schrank, um zu packen. Als erstes fiel sein Blick auf die kleine Pistole, die er sich noch zu Hause gekauft hatte. Seinen Freunden hatte er nie von der Waffe erzählt. Seine Frau, hatte ihn verlassen und die Kinder mitgenommen. Sie hatte ihn wegen eines andern Mannes verlassen, und seine erste Reaktion war gewesen, diesen anderen umzubringen. Eine Reaktion, die seiner wahren Natur derart fremd war, daß er selbst jetzt noch über sie staunte. Das Problem war nur, wie er das Schießeisen loswerden sollte. Das beste würde wohl sein, es auseinanderzunehmen und dann Stück für Stück wegzuwerfen. Er wollte nicht dafür verantwortlich sein, daß jemand damit zu, Schaden kam. Für den Augenblick jedoch legte er die Waffe beiseite und warf ein paar Kleidungsstücke in den Koffer. Dann setzte er sich wieder.

Er war sich eigentlich gar nicht so sicher, ob er abreisen, Vegas und die hell strahlende Höhle seines Casinos verlassen wollte. Er fühlte sich da wohl. Er war sicher hier. Und daß es ihm gleichgültig war, ob er verlor oder gewann, das war sein magischer Schutzmantel gegen das Schicksal. Fast alles in seiner Casino-Höhle schirmte ihn gegen all die anderen Qualen und Fallen des Lebens ab.

Wieder lächelte er, als er daran dachte, wie Cully sich Sorgen um seinen Gewinn gemacht hatte. Was zum Teufel sollte er schon mit dem Geld anstellen? Das beste wäre, er würde es seiner Frau schicken. Sie war eine gute Frau, eine gute Mutter, eine Frau mit Charakter und guten Qualitäten. Daß sie ihn nach zwanzig Ehejahren verlassen und ihren Liebhaber geheiratet hatte, änderte daran nichts, konnte nichts daran ändern. Denn jetzt, nach den langen Monaten, erkannte Jordan klar, wie richtig und gerechtfertigt ihre Entscheidung gewesen war. Sie hatte das Recht auf Glück und darauf, ihr Leben möglichst ausgefüllt zu leben. Und in dem Leben mit ihm wäre sie fast erstickt. Nein, er war kein schlechter Ehemann gewesen. Nur eben kein hinreichend guter. Und ein guter Vater. Er hatte in jeder Hinsicht seiner Pflicht genügt. Sein einziger Fehler war der, daß er nach zwanzig Jahren seine Frau nicht mehr glücklich machte.

Seine Freunde hier kannten die Geschichte. Die drei Wochen mit ihnen in Vegas kamen ihm wie Jahre vor. Mit ihnen konnte er sprechen wie mit keinem Menschen früher zu Hause. Ober den Drinks, nach mitternächtlichen Mahlzeiten in der Cafeteria, war die Story an den Tag gekommen.

Jordan wußte, daß sie ihn für kaltblütig hielten. Als Merlin ihn fragte, wie die Regelung mit den Besuchen seiner Kinder sei, hatte er bloß mit den Schultern gezuckt. Merlin hatte gefragt, ob Jordan seine Frau und seine Kinder je wiedersehen würde, und Jordan hatte versucht, ehrlich zu antworten: „Ich glaube, eigentlich nicht. Es geht ihnen gut.“ Und Merlin The Kid hatte zurückgefeuert: „Und Ihnen?. Geht’s Ihnen auch gut?“ Und Jordan hatte ganz herzlich und ehrlich gelacht, wie Merlin The Kid sich auf ihn einzuschießen versuchte. Immer noch lachend sagte er: „Ja, Mann, ich bin okay.“ Und dieses eine, einzige Mal hatte er The Kid eine Abfuhr erteilt wegen seiner Aufdringlichkeit. Er schaute ihm direkt in die Augen und bemerkte kühl: „Mehr ist da nicht zu entdecken. Was Sie sehen, das ist es. Nichts Kompliziertes. Menschen sind für die andern nicht so sehr von Bedeutung. Wenn Sie älter werden, dann ist das eben so.“

Merlin hielt dem Blick stand, dann senkte er die Augen und sagte sehr leise: „Es ist bloß so, daß Sie nachts nicht schlafen können, stimmt’s?“

Jordan sagte: „Das stimmt.“

Cully warf ungeduldig ein: „Keiner schläft in dieser Stadt. Kaufen Sie sich ’n paar Schlaftabletten.“

„Davon kriege ich Alpträume“, sagte Jordan.

„Aber nein. Ich mein’ doch die da“, sagte Cully und deutete auf drei Strichbienen, die an einem der Tische vor ihren Drinks hockten. Jordan lachte. Es war das erste Mal, daß er diesen besonderen Vegas-Ausdruck hörte. Er begriff jetzt, warum Cully manchmal zu spielen aufhörte und sagte, er gehe jetzt, um sich zwei Schlaftabletten zu Gemüte zu führen.

Wenn der Zeitpunkt für wandelnde Schlaftabletten je richtig war, dann heute abend, doch Jordan hatte das bereits in den ersten Wochen in Vegas versucht. Er schaffte es zwar immer, aber er verspürte danach eigentlich nie, daß seine Spannung sich gelöst hätte. Eines Nachts hatte ihn eine Biene zu einem Doppel überredet und ihre Freundin mitgebracht. Bloß fünfzig Mäuse mehr, und sie würden es ihm wirklich prima besorgen, weil er ein netter Kerl sei. Und er hatte okay gesagt. Irgendwie war es heiter und gemütlich gewesen mit so vielen Titten um ihn rum. Ein infantiles Gefühl der Behaglichkeit. Am Ende bettete dann eines der Mädchen seinen Kopf zwischen ihre Brüste, während die andere auf ihm ritt. Und während der letzten Augenblicke der Anspannung, als es ihm schließlich kam, er sich endlich seinem Fleisch hingab, sah er, wie das Mädchen, das auf ihm hockte, der anderen, zwischen deren Brüsten er lag, einen verstohlenen Blick lächelnden Einverständnisses zuwarf. Und er begriff, daß jetzt, wo er aus dem Wege war, die Mädchen sich dem widmen konnten, was sie wirklich wollten. Er schaute zu, wie das Mädchen, das auf ihm gesessen hatte, sich zwischen den Beinen der andern betätigte, und mit einer weitaus heftigeren Leidenschaft und viel überzeugender als bei ihm. Es störte ihn nicht. Er freute sich eigentlich sogar, daß die Mädchen auch was davon hatten. Irgendwie erschien es ihm so natürlicher. Er hatte ihnen noch einen Hunderter zugelegt. Die dachten, das sei dafür, weil sie gut seien, aber eigentlich war es für dieses heimliche Lächeln, für diesen sanften, beruhigenden, sichermachenden Betrug. Und doch hatte dann das eine Mädchen, auf dem Rücken liegend, in ihrer Ekstase, in der sie ihn betrog, blindlings die Hand nach Jordans Hand ausgestreckt, damit er sie halte, und das hatte ihn fast zu Tränen gerührt.

Alle diese zweibeinigen Schlaftabletten hatten ihr Bestes für ihn getan, oder es versucht. Sie waren wirklich erstklassig in diesem Land. Sie schenkten einem Zuneigung, hielten einem die Hand, gingen mit einem Mann essen oder in eine Show, spielten ein bißchen mit dem Geld, das man ihnen gab, und sie hauten einen nie übers Ohr. Sie gaben einem das Gefühl, daß sie einen wirklich mochten, und sie bumsten, daß man fast den Verstand verlor. Und das alles für einen einsamen lächerlichen Hunderter, „’ne einzige Biene“, wie Cully es ausdrückte. Die Mädchen waren wirklich ein guter Kauf. Mann, Jesus, waren die gut. Aber ihm gelang es niemals, sich selber zu betrügen, nicht einmal für diesen winzigen gekauften Augenblick. Sie wuschen ihn noch ab, ehe sie ihn allein ließen, wie einen sehr, sehr kranken Mann in einem Krankenhausbett. Schön, sie waren besser als die normalen Schlaftabletten, weil er von ihnen keine Alpträume bekam. Aber zum Schlafen konnten auch sie ihm nicht verhelfen. Eigentlich hatte er seit drei Wochen nicht mehr richtig geschlafen.

Schlaff ließ Jordan sich gegen das Kopfende seines Betts fallen. Er erinnerte sich nicht mehr, wie er von dem Stuhl aufgestanden war. Er sollte eigentlich das Licht löschen und zu schlafen versuchen. Aber dann würde das Entsetzen sich wieder einstellen. Nein, keine gedankliche Furcht, sondern eine rein körperliche Panik, mit der sein Leib nicht fertigwurde, auch wenn sein Hirn daneben stand und verwundert das Geschehen überwachte. Es blieb ihm keine andre Wahl: er mußte wieder runter ins Spielcasino. Er schnippte den Scheck über die fünfzigtausend in seinen Koffer. Er würde eben bloß mit seinen Jetons und seinem Bargeld setzen.

Jordan schaufelte die Chips auf dem Bett zusammen und stopfte sie sich in die Taschen. Er verließ sein Zimmer und ging durch die Hall ins Casino hinunter. Jetzt, in den späten Nachtstunden, waren die echten Spieler am Werk. Sie hatten ihre Geschäfte erledigt, ihre Geschäftsdinners hinter sich, die sie in Feinschmeckerrestaurants zu absolvieren pflegten, hatten ihre Frauen zu einer Show geleitet und sie dann ins Bett gesteckt oder sie mit Dollar-Chips am Roulette-Tisch abgeladen. So waren sie nicht im Wege. Oder aber sie hatten eine kleine Bettaffäre hinter sich, „französisch“ oder anders und richtig, oder sie hatten sich an notwendigen bürgerlichen Bestrebungen beteiligt. Nun aber waren sie alle frei und konnten mit dem Schicksal kämpfen. Mit ihrem Einsatzgeld in der Hand standen sie dichtgedrängt an den Craps-Tischen. Die Pit-Bosse standen mit leeren Markeurblättern da und warteten darauf, daß den Spielern die Chips ausgehen würden und sie vielleicht noch einen Riesen oder zwei oder drei abzeichnen würden. In den folgenden dunkelsten Nachtstunden waren Männer geneigt, ganze Vermögen zu verschulden, indem sie zeichneten. Und dabei wußten sie überhaupt nicht, warum. Jordan wendete den Blick ab und schaute zum anderen Ende des Casinos.

Ein elegant in königsgrau abgezäunter Bezirk umfing den langen ovalen Bakkarat-Tisch, abseits des übrigen Casinos. Am Zugang stand ein bewaffneter Wächter für die Sicherheit, da beim. Bakkarat meist mit Bargeld und nicht mit Chips gespielt wurde. An beiden Enden des grünen filzbedeckten Tisches wachten in hohen Stühlen die zwei „Laddermen“ über die Croupiers und die Gewinne der Spieler. Ihre falkenhafte Aufmerksamkeit wurde von ihrer Smoking-Tracht nur leicht kaschiert, die alle Casino-Angestellten innerhalb der Bakkarat-Abteilung zu tragen hatten. Die „Leitermänner“ beobachteten jede Bewegung der drei Croupiers und den Pit-Boss, der die Sache leitete. Jordan ging näher auf sie zu, bis er die Croupiers in ihren Abendanzügen genau erkennen konnte.

Vier Heilige mit dunklen Krawatten sangen da Hosianna für die Gewinner und Trauerklagen für die Verlierer. Gutaussehende Männer mit raschen Bewegungen, mit weltläufigem Charme. Sie taten dem Spiel Ehre an, über das sie regierten. Doch ehe Jordan durch die königliche graue Gasse treten konnte, stellten sich ihm Cully und Merlin in den Weg.

Cully sagte leise: „Die haben bloß noch fünfzehn Minuten. Bleib da draußen.“ Das Bakkarat schloß um 3 Uhr nachts.

Und dann rief einer der Heiligen in schwarzer Krawatte Jordan zu: „Wir machen grade den letzten Shoe, Mister J“, und er lachte. Jordan sah die ganzen Karten auf dem Tisch verteilt, ihre blauen Rückseiten, dann wie sie zusammengestrichen wurden, ehe sie gemischt wurden, wobei sich die weißen Oberseiten zeigten.

Jordan sagte: „Warum kommt ihr zwei Knaben nicht mit mir als Platzhalter rein? Ich leg’ das Geld auf, und wir wetten auf jedem Platz das Limit.“ Das bedeutete, daß Jordan bei jeder Hand sechstausend wetten wollte.

„Bist du wahnsinnig?“ sagte Cully. „Geh doch zum Teufel!“

„Setzt euch doch hin“, sagte Jordan. „Ihr bekommt von mir zehn Prozent von allem, was euer Platz gewinnt.“

„Nein!“ sagte Cully, ging weg und lehnte sich gegen die Bakkaratabsperrung.

Jordan sagte: „Merlin, setzt du dich auf einen Platz für mich?“

Merlin The Kid lächelte und sagte sanft: „Sicher, ich setz mich für dich auf den Platz.“

„Du kriegst zehn Prozent“, sagte Jordan.

„Na, okay“, gab Merlin zurück. Sie gingen durch den Zugang und setzten sich an den Tisch. Diane hatte gerade die neugemischten Blätter, und Jordan ließ sich auf den Platz neben ihr nieder, damit er als nächster den Schuh bekäme. Diane neigte ihren Kopf zu ihm.

„Jordy, spiel heut’ nicht weiter“, sagte sie. Während sie die blauen Karten aus ihrer Hand ausgab, wettete er nicht darauf. Diane verlor, sie verlor die zwanzig Dollar des Casinos, und sie verlor die Bank und gab das Spiel an Jordan weiter.

Jordan war eifrig dabei, sämtliche Außentaschen seines „Vegas-Winner“-Jacketts zu leeren. Jetons, schwarze und grüne, Hundertdollarnoten. Er stapelte vor Merlins Stuhl Nummer 6 einen Haufen von“ Banknoten. Dann nahm er die Karten auf und plazierte zwanzig schwarze Chips auf „Bank“. „Du auch“, befahl er Merlin. Merlin zählte zwanzig Hundertdollarnoten ab und legte sie ebenfalls in die „Bank“-Box.

Der Croupier hob flach die Hand, um Jordan vom Austeilen abzuhalten. Er schaute über den Tisch, damit auch jeder seine Wette plaziert habe. Seine flache Hand winkte, und er sang Jordan an: „Eine Karte für den Spieler.“

Jordan gab die Karten aus. Eine dem Croupier, eine für sich selbst. Dann wieder eine für den Croupier und eine für sich. Der Croupier schaute sich an dem ganzen Tisch um und warf seine zwei Karten dem Mann zu, der am höchsten auf den Spieler gesetzt hatte. Der Mann betrachtete sich seine zwei Karten vorsichtig und drehte sie dann lächelnd um. Er hatte eine natürliche unüberwindliche „Neun“. Jordan flippte seine Karten um, ohne sie auch nur anzusehen. Er hatte zwei Bilder. Zero. Jordan reichte den Schuh an Merlin weiter. Merlin gab ihn weiter an den nächstsitzenden Spieler. Einen Augenblick lang war Jordan versucht, Merlin daran zu hindern, aber etwas in dessen Gesicht veranlaßte ihn, es nicht zu tun. Keiner von beiden sprach.

Der goldbraune Kasten wanderte langsam um den Tisch herum. Ein Hin und Her. Die Bank gewann. Dann der Spieler. Keinerlei fortlaufende Gewinne für beide. Jordan saß dem Bankhalter die ganze Zeit im Nacken, drückte und hatte mehr als zehntausend Dollar aus seinem Stapel verloren, und Merlin weigerte sich noch immer zu setzen. Schließlich hatte Jordan den Schuh wieder.

Er machte seinen Einsatz. Das 2000-Dollar-Limit. Er griff hinüber und nahm sich einen Packen von Merlins Geld und warf ihn auf „Bank“. Er bemerkte flüchtig, daß Diane nicht mehr neben ihm saß. Dann war er bereit. Er verspürte aus sich eine enorme Kraft aufsteigen, mit der er die Karten so aus dem Schuh herauszwingen konnte, wie er es wünschte.

Ruhig und ohne jede Erregung machte Jordan vierundzwanzig gerade Pässe, einen Lauf von vierundzwanzig Coups. Nach dem achten Coup war die Absperrung um den Bakkarat-Tisch voller Menschen, und die Spieler am Tisch wetteten alle auf „Bank“, um von seiner Glückssträhne zu profitieren. Beim zehnten Coup griff der Croupier in seinen Geldschlitz und holte die seltenen 500-Dollar-Jetons hervor. Sie waren von einem wunderschönen Cremeweiß, durchsetzt mit Goldfäden.

Cully stand dicht an der Brüstung und schaute zu, Diane stand neben ihm. Jordan winkte ihnen kurz zu. Es war das erste Mal, daß er sich aufgeregt fühlte. Drunten, am anderen Ende des Spieltisches, rief ein Spieler aus Südamerika „Maestro“, als Jordan seinen dreizehnten Coup gewann. Und danach wurde es merkwürdig still um den Tisch, als Jordan weiterging.

Er teilte ohne merkbare Anstrengung aus dem Schuh, seine Hände schienen zu gleiten. Keine einzige Karte fiel oder entglitt ihm, wenn er sie aus ihrem Versteck in dem Holzkasten nahm. Kein einziges Mal ließ er durch Zufall die blaßweiße Vorderseite eines Blattes sehen. Er schwuppte seine eigenen Karten mit der gleichen rhythmischen Bewegung jedesmal auf, ohne hinzusehen, und ließ den Croupier die Zahlen und Gewinne ausrufen. Wenn der Croupier „eine Karte für den Spieler“ forderte, gab Jordan sie gern und ohne sich darauf zu konzentrieren, ob sie gut oder schlecht sein würde. Wenn der Croupier nach einer Karte „für die Bank“ rief, ließ Jordan sie ebenfalls sanft und rasch hervorschießen, ohne dabei ein Gefühl zu empfinden. Dann aber, im fünfundzwanzigsten Coup, verlor er gegen den „Spieler“, dessen Blatt vom Croupier gehalten wurde, weil alle anderen auf „Bank“ setzten.

Jordan reichte den Schuh an Merlin weiter, der ihn ablehnte und an den nächstsitzenden Spieler weiterreichte. Auch Merlin hatte Stapel von goldweißen 500-Dollar-Chips vor sich liegen. Da sie per „Bank“ gewonnen hatten, mußten sie die fünfprozentige Courtage an das Haus bezahlen. Der Croupier berechnete die Kommission gegenüber ihren Platzzahlen. Es waren über fünftausend Dollar. Das bedeutete, daß Jordan mit dieser einen heißen Hand hunderttausend Dollar gewonnen hatte. Und jeder Spieler am Tisch hatte sich daran gütlich getan.

Beide Laddermen in ihren Hochstühlen hingen am Telefonhörer und berichteten dem Manager des Casinos und dem Besitzer des Hotels über das Verhängnis. Eine unglückliche Nacht im Casino war für die Profitspanne eine der wenigen ernsthaften Gefahren, besonders wenn es am Bakkarat-Tisch stattfand. Nicht daß das langfristig irgendwelche Bedeutung gehabt hätte. Aber man hielt eben ein Auge immer auf die natürlichen Katastrophen. Gronevelt selber kam aus seinem Appartement im Penthouse herunter und begab sich still in den Bakkarat-Kreis, stellte sich neben den Pit-Boss und schaute zu. Jordan sah ihn aus den Augenwinkeln, er wußte, wer er war, denn Merlin hatte ihn ihm einmal gezeigt.

Der Schuh wanderte um den Tisch und blieb dann neckisch beim Bankhalter liegen. Jordan gewann ein bißchen. Und dann hatte er den Schuh wieder in der Hand.

Diesmal ohne Anstrengung und ganz leicht, mit Händen wie beim Ballettanz, vollzog er, was der Traum jedes Bakkarat-Spielers war: Er leerte den Schuh. Es waren keine Karten mehr übrig. Jordan hatte Stapel über Stapel von weiß-goldenen Chips vor sich stehen.

Dem Croupier warf er vier der weiß-goldenen Jetons zu. „Für Sie, Gentlemen“, sagte er.

Der Pit-Boss in der Bakkaratabteilung sagte: „Mr. Jordan, warum bleiben Sie nicht einfach hier sitzen, und wir wechseln du ganze Geld in einen Scheck um?“

Jordan stopfte das dicke Bündel von Hundertdollarnoten in seine Jacke, dann die schwarzen Einhundertdollar-Jetons. Er lieg die weiß-goldenen 500-Dollar-Chips auf dem Tisch liegen. „Sie können für mich nachzählen“, sagte er zum Pit-Boss. Er stand auf, um seine Beine zu strecken, und sagte dann beiläufig: „Können Sie einen neuen Schuh auflegen?“

Der Pit-Boss zögerte und drehte sich dann zu dem Manager des Casinos, der neben Gronevelt stand. Der Casinomanager schüttelte verneinend den Kopf. Er hatte Jordan bereits als leidenschaftlichen Spieler eingestuft. Jordan würde sicher in Vegas bleiben, bis er zu verlieren begann. Aber heute nacht war eben seine heiße Nacht. Und warum sollte man ihm Geld nachschmeißen, wenn er eine Gewinnsträhne hatte? Am nächsten Tag würden die Karten anders fallen. Er konnte nicht immer Glück haben, und dann würde es rasch mit ihm zu Ende gehen. Der Manager des Casinos hatte das alles oft und oft erlebt. Das Haus hatte noch unendlich viele Nächte vor sich, und in jeder gab es die „Kante“, den Prozentsatz für das Casino. „Schließen Sie den Tisch!“ befahl der Manager.

Jordan nickte geschlagen mit dem Kopf. Dann wandte er sich um und schaute Merlin an: „Halt die Augen offen. Du bekommst zehn Prozent von deinem Platzgewinn.“ Zu seinem Erstaunen entdeckte er einen fast betrübten Ausdruck in Merlins Augen. Merlin sagte: „Nein.“

Die Croupiers waren dabei, Jordans Goldchips zu zählen, und sie stapelten sie so, daß die Laddermen, der Pit-Boss und der Casinomanager die Abrechnung verfolgen konnten. Dann waren sie endlich fertig. Der Pit-Boss hob die Augen und sagte mit Ehrfurcht: „Sie haben hier 290.000 Dollar, Mr. J. Möchten Sie das Ganze in einem Scheck haben?“ Jordan nickte. Die Innentaschen seiner Jacke platzten noch immer von Jetons und von Banknoten. Er wollte das nicht eintauschen.

Die übrigen Spieler hatten den Tisch verlassen, als der Casinomanager erklärte, es werde kein Spiel mehr geben. Der Pit-Boss flüsterte immer noch weiter. Cully war durch die Öffnung in der Barriere gekommen und stand ebenso wie Merlin neben Jordan, und die drei sahen in ihren „Vegas-Winner“-Jacketts aus wie Mitglieder einer Gang.

Jordan war jetzt wirklich müde und zu erschöpft für die körperliche Anspannung beim Craps oder beim Roulette. Und Blackjack mit seinem Limit von fünfhundert Dollar war zu langsam. Cully sagte zu ihm: „Hör mal, du spielst jetzt nicht weiter. Heiliger Gott, ich hab’ so was noch nie gesehen. Jetzt kannste bloß noch absacken. Soviel Glück bringst du einfach nicht mehr auf.“ Jordan nickte zustimmend.

Der Sicherheitsbeamte trug die Tabletts mit den Jetons von Jordan und mit seinen vom Pit-Boss abgezeichneten Gewinnscheinen zum Kassierer. Diane schloß sich der Gruppe an und gab Jordan einen Kuß. Alle waren sie schrecklich aufgeregt. In diesem Moment fühlte sich Jordan wirklich glücklich. Er war jetzt wirklich eine Art Held. Und ohne jemanden getötet oder verletzt zu haben. So ganz schlicht und einfach. Bloß indem er eine Riesensumme darauf gesetzt hatte, wie die Karten fallen würden. Und indem er gewonnen hatte.

Sie mußten einen Augenblick lang warten, bis der Scheck aus dem Kassiererbüro zurückkam. Merlin sagte, halb spöttisch, zu Jordan: „Jetzt bist du reich! Jetzt kannst du dir alles leisten, was du willst.“

Cully sagte: „Er muß ’raus aus Vegas.“

Diane drückte Jordans Hand. Doch Jordan starrte auf Gronevelt, der mit dem Manager des Casinos neben den zwei Laddermen stand, die ihre Hochstühle verlassen hatten. Die vier Männer flüsterten miteinander. Jordan sagte plötzlich: „Xanadu Nummer-1, wie wär’s denn mit einem neuen Schuh?“

Gronevelt trat einen Schritt weg von der Gruppe der anderen Männer, und plötzlich war sein Gesicht ganz von dem grellen Licht der Beleuchtung bestrahlt. Jordan sah, daß der Mann älter sein mußte, als er gedacht hatte. Vielleicht siebzig, aber gesund und mit guter Hautdurchblutung. Eisengraues Haar, dicht und gutgekämmt. Sein Gesicht hatte eine rötliche Sonnenbräune. Der Körper war untersetzt, das Alter hatte ihn noch nicht siech gemacht. Jordan merkte, daß der Mann nur mit einem kurzen Zucken auf seinen Codenamen reagiert hatte.

Gronevelt lächelte ihn an. Er war nicht wütend. Aber etwas in ihm reagierte auf die Herausforderung, brachte etwas aus seiner Jugend zurück, als er selbst ein verrückter Spieler gewesen war ... Jetzt aber hatte er sein Leben abgesichert, seine Welt war kontrolliert, und er war es, der die Kontrolle hatte. Es gab zahlreiche Freuden für ihn, viele Pflichten, ein paar gefährliche Geschichten, aber niemals echte, ehrliche Aufregung. Es würde Zucker sein, wenn er so was wieder einmal schmecken könnte, und außerdem wollte er sehen, wie weit Jordan gehen würde, was ihn auf den Dreh brachte.

Gronevelt sagte leise: „Sie haben einen Scheck über 290 Riesen von der Kasse, stimmt’s?“

Jordan nickte.

Gronevelt sagte: „Ich veranlasse, daß die einen Schuh bauen. Wir spielen nur eine Hand. Doppelt oder nichts. Aber Sie müssen auf ,Spieler‘ setzen, nicht auf ,Bank‘.“

Am Bakkarat-Tisch schienen alle ganz verstört zu sein. Die Croupiers starrten Gronevelt verblüfft an. Nicht nur riskierte er eine enorme Summe Geld, entgegen sämtlichen Gesetzen des Casinos, sondern er riskierte auch, die Lizenz für sein Spielcasino zu verlieren, wenn die State Gaming Commission sich wegen dieser Wette verbeißen sollte. Gronevelt lächelte die Leute an: „Na mischt mal die Karten“, sagte er, „und baut den Schuh auf.“

In diesem Moment kam der Pit-Boss durch das Gatter der Absperrung und reichte Jordan das längliche gelbe Stück Papier, das sein Scheck war. Jordan warf nur einen kurzen Blick darauf, legte es auf „Spieler“ und sagte lächelnd zu Gronevelt: „Also, hier ist der Einsatz.“

Jordan sah, wie Merlin zurücktrat und sich gegen die königsgraue Brüstung stützte. Merlin beobachtete ihn wieder genau. Diane trat irgendwie verwirrt ein paar Schritte zur Seite. Jordan freute sich über ihre Verwunderung. Das einzige, was er nicht mochte, war, gegen sein Glück zu setzen. Er haßte es, auch nur daran zu denken, die Karten aus dem Schuh zu nehmen und gegen sein eigenes Blatt zu setzen. Er drehte sich zu Cully um.

„Cully, gib du für mich“, sagte er.

Aber Cully zuckte entsetzt zurück. Dann schielte er zu dem Croupier hinüber, der die Karten aus dem Karton übernommen und für das Mischen vor sich aufgebaut hatte. Cully schien von einem Schauder befallen zu sein, ehe er sich Jordan wieder zuwandte.

„Jordy, das ist ’n Scheißspiel für Trottel“, sagte Cully leise, als sollte ihn keiner sonst hören. Er warf einen hastigen Blick zu Gronevelt hinüber, der ihn anstarrte. Dennoch redete er weiter. „Hör mir zu, Jordy, die Bank hat dem Spieler gegenüber immer einen Vorteil von zweieinhalb Prozent. Bei jedem ausgeteilten Blatt. Deshalb muß doch der Junge, der ,Bank‘ spielt, fünf Prozent. Kommission bezahlen. Aber jetzt hat das Haus die Bank. Bei einer derartigen Wette bedeutet die Courtage überhaupt nichts. Es ist doch viel besser, wenn man mit zweieinhalb Prozent Vorteil auf die Hand setzt, die gewinnt. Kapierst du das, Jordy?“ Cully redete ganz leise und ruhig. Als spräche er zu einem Kind.