Natürlich gärtnern mit Terra Preta - Caroline Pfützner - E-Book

Natürlich gärtnern mit Terra Preta E-Book

Caroline Pfützner

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Beschreibung

Terra Preta gilt als der fruchtbarste Boden der Welt. Zu Recht, denn mit Schwarzerde, die ursprünglich von den Indianern am Amazonas stammt, baut sich eine dauerhafte Humusschicht auf. Das Ergebnis: gesunde Pflanzen mit üppiger Blüte und reicher Ernte – ganz ohne Dünger. Doch sie kann noch mehr, denn Terra Preta bedeutet gleichzeitig aktiver Klimaschutz! Mit dem ersten Praxisbuch zum Thema gelingen Herstellung und Anwendung der »Wundererde« selbst ohne Vorkenntnisse ganz leicht – egal ob im Garten, im Hochbeet oder auf dem Balkon. Wie viel Potenzial in Terra Preta steckt, zeigen auch Praxisbeispiele aus der Landwirtschaft. • Schwarzerde selbst herstellen und anwenden: Lernen Sie Schritt für Schritt, wie biologisches Gärtnern ohne Kunstdünger gelingt. • Wertvolle Expertentipps aus der Praxis: Profitieren Sie vom reichen Erfahrungsschatz der Autorin. • Umfangreiches Hintergrundwissen: Erfahren Sie alles rund um die Themen »Gesunder Boden« und »Nachhaltiges Gärtnern«.

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Caroline Pfützner
Natürlichgärtnern mitTerra Preta
Praxiswissen für Garten,Hochbeet und Balkon
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2018 oekom verlag MünchenGesellschaft für ökologische Kommunikation mbH,Waltherstraße 29, 80337 München
Gesamtgestaltung: www.buero-jorge-schmidt.deLektorat: Annika Christof, oekom verlagKorrektorat: Petra KienleSatz: Ines Swoboda, oekom verlag
Bildnachweis:© Alle Bilder Caroline Pfützner
außer Michael Fritzen, Adobe Stock/filipefrazao, Bruno Glaser, AdobeStock/potentilla, AdobeStock/Aleksey Zakharov, links Volker Prasuhn/Wikimedia Commons, rechts AdobeStock/Gudellaphoto, AdobeStock/Mauro Rodrigues, Ingrid Kottke/Wikimedia Commons, Stoppe/Wikimedia Commons, luckyprof/Wikimedia Commons, Kurt Wirz (www.farben-und-formen.com), AdobeStock/Cora Müller, AdobeStock/Martina Berg, AdobeStock/Sonne_Fleckl, AdobeStock/Mariusz Blach, AdobeStock/Reena, Sampada.de (www.sampada.de), Hans-Peter Schmidt/ithaka institute, Volker Lange (www.erdnah-blog.de), Christoph Klocker, Adobe Stock/Dirk Vonten, 4028mdk09/Wikimedia Commons, Alupus/Wikimedia Commons, PtrQs/Wikimedia Commons, AdobeStock/Ludmila Smite, Wald1siedel/Wikimedia Commons, fotolia/bidaya, AdobeStock/kirahoffmann, H Douglas-Walker/Wikimedia Commons, Augustus Binu/Wikimedia Commons, AdobeStock/Wiski, 4028mdk09/Wikimedia Commons, Moehre1992/Wikimedia Commons, AdobeStock/brunobarillari, AdobeStock/5ph, AdobeStock/diewalther, AdobeStock/photo 5000
© Alle Grafiken: Laura Brings
E-Book: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-96238-439-5
Vorwort
Terra Preta – die Zukunft des Gärtnerns
Was ist Terra Preta? • Natur und Umwelt heute • Die Situation unserer Böden • Was ist ein gesunder Boden und was kann Terra Preta dazu beitragen?
Die Zutaten
Pflanzenkohle • Die Rolle der Effektiven Mikroorganismen • Die Kraft der Gesteinsmehle • Mit Schwarzerde den eigenen Stoffkreislauf schließen
Schwarzerde selbst herstellen
Die Starter-Mischung • Schwarzerde mit dem Stapelkompost • Stapelkompost in der Erdgrube • Schwarzerde mit normalem Kompost • Schwarzerde mit Flächenkompostierung • Schnellmethode: Pflanzenkohle mit Urin • Schwarzerde mit Bokashi
Bokashi anwenden
Vom Bokashi zur Schwarzerde • Urban Gardening: Terra Preta in der Bäckerkiste
Schwarzerde anwenden
Schwarzerde für Garten, Balkon und Haus • Vorziehen mit Schwarzerde und Effektiven Mikroorganismen
Pflanzenkohle und EM-a selbst herstellen
Pflanzenkohle herstellen • Pyrolyse-Methoden • EM-a selbst herstellen
Nachhaltige Bodenpflege
Schonende Bodenbearbeitung • Mulchen: Bodenschutz und Humusaufbau • Gründüngung • Fruchtwechsel und Mischkultur im Gemüsegarten • Pflanzen stärken mit Jauchen
Neue Wege in der Landwirtschaft
Der aktuelle Stand • Es geht auch anders • Die Kaskadenwirkung der Pflanzenkohle • Rechenbeispiel 1: Kaskadennutzung im Milchviehbetrieb • Rechenbeispiel 2: Pflanzenkohle in der Biogasanlage • Rechenbeispiel 3: Pflanzenkohle im Ackerbau
Ein Wort zum Schluss
Anhang
Weiterführende Literatur
Hilfreiche Internetadressen
Nachhaltigkeit bei oekom: Wir unternehmen was!
Vorwort
Viele Abenteuer beginnen scheinbar harmlos – in diesem Fall war es das völlig verwilderte Gemüsebeet, das uns mein Großvater vor mehr als zehn Jahren hinterlassen hatte. In der Großstadt aufgewachsen, war ich ganz euphorisch bei der Vorstellung, demnächst als »Selbstversorgerin« mein eigenes Bio-Gemüse zu ernten. Und 100 Quadratmeter zu bearbeiten, schien mir überhaupt kein Problem – schließlich hatte ich schon Tomaten und Kräuter auf dem Balkon gezogen. Die Realität holte meine Familie und mich allerdings bald ein: Die Erde war miserabel – stark verdichtet, fast keine Regenwürmer und sehr viel Unkraut. Das Gemüse wuchs entsprechend schlecht, die ersten Kompostversuche endeten kläglich und mit den Massen von Schnecken hatten wir auch nicht gerechnet. Uns blieb nur die Wahl, entweder gleich wieder aufzuhören oder etwas zu finden, das den Boden aufbaut, und zwar möglichst schnell und ohne Chemie. Wir stießen auf die Effektiven Mikroorganismen und kurz danach auf erste Berichte über einen legendären Boden vom Amazonas, Terra Preta genannt. Da war sie, die Lösung: metertiefe Humusschichten mit mehreren Ernten pro Jahr – und das alles ohne Düngen! Nur konnte man diese schwarze Erde nirgendwo kaufen. Stattdessen fanden wir Anleitungen zum Selbermachen und gingen sofort ans Werk. Schon in der nächsten Saison war die Ernte viel besser als erwartet. Auch Dünger brauchten wir tatsächlich nie und die Schnecken wurden kontinuierlich weniger. Heute sind sie aus dem Beet so gut wie verschwunden.
Aber woher kam diese Wirkung? Eine Frage, die anscheinend nicht nur uns interessierte, denn bei unseren Recherchen bemerkten wir bald, dass sich Anwender und Wissenschaftler aus aller Welt damit beschäftigten. 2013 erschien schließlich das bisher einzige deutschsprachige Buch »Terra Preta – die schwarze Revolution aus dem Regenwald«, in dem Ute Scheub zusammen mit Haiko Pieplow und Hans-Peter Schmidt einen großartigen Überblick über die zahlreichen Möglichkeiten der Terra Preta und der Anwendung von Schwarzerde weltweit bieten.
Was mich dabei besonders faszinierte, war die Komplexität des Bodens. In ihm spielen sich ständig zahllose Vorgänge ab, deren reibungsloses Funktionieren vom Zusammenspiel unzähliger Kleinstlebewesen abhängig ist, die wir kaum je zur Kenntnis nehmen – von winzigen Bodenpilzen und Bakterien bis hin zum Regenwurm. Ohne sie gäbe es keine Pflanzen, Tiere oder Menschen. Und ich staunte über die unglaubliche Intelligenz der Natur, die sich gerade in der Terra Preta so perfekt zeigt.
Wir beschlossen, dass dieses wichtige Thema weiter verbreitet werden sollte, und gründeten unseren Familienbetrieb. Dann begannen wir mit ersten Vorträgen, die bald darauf auch durch zahlreiche Praxis-Seminare ergänzt wurden, und dabei fiel auf, wie groß der Wunsch vieler Menschen ist, wenigstens im eigenen Umfeld mit der Natur zu arbeiten anstatt gegen sie. Die Folgen des massenhaften Einsatzes von Mineraldünger und Pestiziden und fehlgeleiteter Subventionen werden also sehr wohl wahrgenommen und entsprechend abgelehnt.
Uns wurden immer wieder die gleichen konkreten Fragen zur Herstellung und Anwendung von Schwarzerde gestellt, mit deren Hilfe ein fruchtbarer Terra-Preta-Boden entsteht.
Daraus entwickelte sich schließlich die Idee für diesen Ratgeber, in dem Sie erfahren, was Terra Preta ist und wie Sie Schwarzerde selbst herstellen können. Dazu gehört zunächst etwas Hintergrundwissen, mit dem die komplexen Zusammenhänge im Boden und die Auswirkungen auf die Umwelt verständlich werden sollen. Im großen Praxisteil zeigen wir Ihnen dann Schritt für Schritt, wie Sie Ihre eigene Schwarzerde herstellen können, ebenso eine Anleitung für die Selbstherstellung von Pflanzenkohle und Effektiven Mikroorganismen, die nicht nur bei der Schwarzerde eine wichtige Rolle spielen. Außerdem bekommen Sie zahlreiche konkrete Gartentipps, die den Aufbau und Erhalt eines lebendigen Terra-Preta-Bodens unterstützen. Und auch Hobbygärtner ohne Garten finden hier praktische Anregungen zur Herstellung und Anwendung der Schwarzerde.
Das letzte Kapitel richtet sich schließlich an die Landwirte. Es zeigt, welchen Gewinn sowohl die Tiere im Stall als auch Acker- und Grünland beim Einsatz von Pflanzenkohle und Effektiven Mikroorganismen haben: gesündere Tiere bei weniger Arbeitsaufwand und gesündere Böden mit mehr Ertrag.
Zum Abschluss finden Sie im Anhang eine Zusammenstellung hilfreicher Literatur und Internet-Adressen.
Wenn man mich heute fragt, was mir die Terra Preta gebracht hat: die pure Freude am Gärtnern!
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen viel Vergnügen beim Lesen und gutes Gelingen in der Praxis.
Tirol, im Winter 2017
Caroline Pfützner
Terra Preta –die Zukunftdes Gärtnerns
Terra Preta – Wundermittel für unsere Pflanzen oder eine Hoffnung für die Zukunft der Erde? Beides! Wie sie entstand, was sie kann und worauf die enorme Bandbreite ihrer Wirkung im Einzelnen beruht – damit beginnt dieser Ratgeber.

Was ist Terra Preta?

1878 berichteten erstmals Forscher von tiefschwarzen Böden in Gebieten entlang des Amazonas, die sich deutlich von den dort üblichen unfruchtbaren hellen Ferralsol-Böden abgrenzten. Sieben Jahre später erschien eine erste Aufzeichnung mit Beschreibungen der Inhaltsstoffe dieser schwarzen Böden, in denen man Tonscherben, Überreste von Holzkohle und Steinwerkzeuge gefunden hatte. 1903 wurde ihre außerordentliche Fruchtbarkeit dokumentiert, doch erst ab 1966 bzw. in den 1980er-Jahren wurde sie durch intensive Forschungen weltweit bekannt – die Erde, die von den Einheimischen »Terra Preta do Indio« genannt wird (portugiesisch für »schwarze Erde der Indianer«). Messungen ergaben, dass sie einen Humusgehalt von mindestens 15 Prozent aufweist und an manchen Stellen weit über einen Meter mächtig ist.
Inzwischen weiß man, dass diese Terra-Preta-Böden von einer indianischen Hochkultur geschaffen wurden, die vor rund 500 Jahren schon bald nach der Ankunft der europäischen Eroberer untergegangen ist. Und dass die Annahme, im Amazonasbecken hätten aufgrund der schlechten Böden nur wenige Menschen existieren können (heute sind es etwa 350.000 Einwohner), falsch ist: Tatsächlich lebten hier 5 bis 25 Millionen Menschen in großen Städten entlang des Amazonas und seiner Nebenflüsse, wie Funde von Siedlungsresten belegen – und wovon auch der erste spanische Entdecker Francisco de Orellana (1511–1546) berichtet hatte, dessen Aufzeichnungen nach seiner Rückkehr in Spanien als Hirngespinste abgetan worden waren.
Eine so große Anzahl von Menschen hätte jedoch kaum in einer Umgebung mit wenig fruchtbaren Böden leben können. Der Grund für die einst hohen Bevölkerungszahlen kann deshalb nur in der Terra Preta liegen.
Die großen Städte im Amazonas-Becken sind längst verschwunden. Vermutlich fielen die Menschen damals den eingeschleppten Krankheiten der Eroberer zum Opfer.

Terra Preta: eine 7.000 Jahre alte Methode

Auf der Suche nach dem Geheimnis der Fruchtbarkeit dieser Böden stellte sich heraus, dass die beiden wichtigsten Faktoren bei der Entstehung von Terra Preta Holzkohle und organische Abfälle sind. Die einstigen Bewohner hatten ihre gesamten organischen Abfälle einschließlich ihrer Fäkalien zusammen mit der Holzkohle, die beim Kochen entstand, im Boden vergraben – teilweise in großen Tontöpfen – oder in Komposthaufen oberirdisch verbrannt bzw. verkohlt. Damit lösten die Indios nicht nur auf sehr einfache und effiziente Weise ihr Abfallproblem, das im feucht-heißen Klima des Amazonas ein ständiges Gesundheitsrisiko bedeutete, sondern hielten mit diesem Verfahren auch das Wasser sauber, was für ihr Überleben ebenso wichtig war wie ein fruchtbarer Boden. Durch Vergraben wurden die Abfälle außerdem nicht einfach kompostiert, sondern unter Luftabschluss fermentiert, um dann allmählich zu vererden und sich in Terra Preta umzuwandeln. Sie bildete die Basis für einen ausgeklügelten Etagenanbau, durch den ausreichend Lebensmittel produziert werden konnten. Auf diese Weise betrieben die Indios eine nahezu verlustfreie Recycling-Wirtschaft – und das bereits vor gut 7.000 Jahren, wie Funde eindeutig belegen.
Ein Merkmal der schwarzen Terra-Preta-Böden ist ihre Fähigkeit, sich selbst zu regenerieren. Das brachte so manche auf die Idee, die fruchtbare Schwarzerde schichtweise abzutragen und zu verkaufen, bis die brasilianische Regierung dagegen einschritt.
Eine weitere Überraschung war außerdem die Regenerationskraft der Terra-Preta-Böden, deren enorme Fruchtbarkeit bis in unsere Zeit unverändert erhalten geblieben ist. Sie ermöglicht den Einheimischen noch heute mehrere Ernten pro Jahr – ohne zusätzlichen Dünger. Dies zeigt auch ein erstaunliches Phänomen: Trägt man einen massiven Terra-Preta-Boden bis auf einen Rest weitgehend ab, erreicht er ohne äußeres Zutun nach mehreren Jahren wieder seine alte Mächtigkeit. 
Diese Funde regten intensive Untersuchungen an, ob und wie sich das System der Terra Preta auf unsere Klima- und Bodenverhältnisse übertragen lässt. Inzwischen belegen zahlreiche Anwendungen, dass eine nach den Prinzipien der Terra Preta hergestellte Schwarzerde auch bei uns sehr gut geeignet ist, den Boden nachhaltig und ohne zusätzlichen Dünger aufzubauen und mit allen Nährstoffen zu versorgen bzw. ausgelaugte Böden zu revitalisieren oder überdüngte Böden wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Anfangs wurde allerdings versucht, die neue Terra-Preta-Methode patentieren zu lassen, um daraus Kapital zu schlagen. Doch eine Kulturtechnik, wie sie uns von den Indios geschenkt wurde, sollte und kann niemandem »gehören«. Zum Glück hat sich das Wissen um die Schwarzerde mittlerweile weltweit verbreitet, da es heute dringender gebraucht wird denn je.
Schwarzerden in Europa
Terra-Preta-Böden unterscheiden sich grundsätzlich von den sogenannten Schwarzerden (Tschernosem), wie sie vor allem in den Steppengebieten der Ukraine oder Südrusslands vorkommen. Deren Entstehung ist sehr wahrscheinlich natürlichen Ursprungs und geht vor allem auf die dortigen klimatischen Bedingungen mit sehr heißen Sommern und eiskalten Wintern zurück, die einen schnellen und nachhaltigen Humusaufbau bewirkten. Auch die Holzkohle, die bei Steppenbränden entstand, trägt zur außergewöhnlichen Fruchtbarkeit dieser Böden bei.
Größere Flächen mit solchen Schwarzerden wurden auch in Mitteleuropa gefunden, in Deutschland vor allem in der Magdeburger und Hildesheimer Börde sowie in Thüringen oder im österreichischen Weinviertel. Menschengemachte Schwarzerden fand man auch auf kleineren Flächen bis ein Hektar im Wendland und in der Umgebung von Köln; unzählige Erdgruben aus dem Mittelalter mit erheblichen Kohleanteilen wurden in Nord- und Mitteldeutschland, Großbritannien und Skandinavien entdeckt.

Natur und Umwelt heute

Jede sinnvolle Therapie beginnt mit der richtigen Diagnose, in diesem Fall mit einer ungeschminkten Zustandsbeschreibung unserer Umwelt. Deshalb soll Ihnen dieses Kapitel vorab einen kurzen Überblick geben, wie sich die derzeitige Situation in der Stadt und auf dem Land, bei den Hobbygärtnern und in der Landwirtschaft darstellt. Natürlich kann diese Beschreibung nicht vollständig sein und ist zudem subjektiv, aber die Wahrnehmung dessen, was um uns herum geschieht, und die Überzeugung, dass in vielen Bereichen dringender Handlungsbedarf besteht, wird von zahlreichen Menschen geteilt.
Für viele Vogelarten sind die Raupen der Schmetterlinge ein wichtiges Futter. Bekannt sind rund 160.000 Schmetterlingsarten, zu denen auch der auffällige Admiral gehört.
Eine mögliche Antwort auf die Frage, wo wir heute stehen, bietet ein Blick auf eine ganz besondere Tierart: die Schmetterlinge. Sie stehen stellvertretend für viele andere Arten, die in den letzten Jahrzehnten allmählich und fast unbemerkt von der Bildfläche verschwunden sind.

Das Verschwinden der Schmetterlinge …

So lautete der Titel einer Pressekonferenz der Deutschen Wildtier Stiftung im August 2017 in Hamburg. Darin wurden die Ergebnisse einer mehr als 40-jährigen Beobachtung von nachtaktiven Schmetterlingen im südostbayerischen Raum vorgestellt: Von mehreren hundert Arten, die dort noch vor einigen Jahrzehnten häufig anzutreffen waren, sind viele inzwischen ganz ausgestorben und zahlreiche akut bedroht. Gleiches gilt für die Gesamtheit der Insekten, deren Bestand in Deutschland seit 1989 um 76 Prozent zurückgegangen ist. Und wo die Raupen der Schmetterlinge oder die Insekten fehlen, finden auch Singvögel keine Nahrung mehr – Spatzengezwitscher ist heute viel weniger zu hören und Schwalben sind inzwischen ein seltener Anblick geworden.
Einige Schmetterlingsarten wie dieser Bläuling sind wegen ihrer Spezialisierung auf bestimmte Futterpflanzen durch die Eingriffe in ihre Lebensräume inzwischen stark gefährdet.
Bei der Frage nach den Ursachen schied die Klimaerwärmung aus, die den wärmeliebenden Schmetterlingen eigentlich entgegenkommen müsste; aber trotz der warmen Sommer der letzten Jahre sind ihre Bestände nicht gewachsen. Auch die Frage nach Luftschadstoffen wie den Schwefeloxiden brachte keine passende Antwort: Die industriellen Abgase haben sich seit der Jahrtausendwende halbiert, bei den Autos gingen sie sogar um zwei Drittel zurück.
Ein Hinweis auf die Ursachen für das große Schmetterlingssterben könnte der Umstand sein, dass der Hauptrückgang bereits in den 1980er-Jahren erfolgte und mit der Energiewende noch etwas verstärkt wurde, wenngleich ihre Anzahl in den letzten zehn Jahren auf niedrigem Niveau konstant geblieben ist. Erstaunlich ist, dass die Vielfalt der Schmetterlinge in den Gärten und Parkanlagen der Städte vergleichsweise besser erhalten blieb als auf dem Land.
Was aber hat sich dort verändert? Anfang der 80er-Jahre begann die große Umstellung in der Landwirtschaft: Mit den wachsenden Agrarsubventionen wuchs auch die Größe der Ackerflächen und damit der Maschinen, die abbezahlt werden mussten und so den Landwirt unter Druck setzten, entsprechend intensiv zu produzieren. Wer als Kleinbauer nicht mithalten konnte oder wollte, wurde verdrängt. Gleichzeitig musste in den immer größeren »Tierfabriken« die überschüssige Gülle verwertet werden, die notgedrungen zusätzlich auf dem Grünland ausgebracht wurde. Das hatte eine Überdüngung mit Stickstoff und die zunehmende Nitratbelastung des Grundwassers zur Folge, deren Höchstgrenze heute durch die Düngemittelverordnung geregelt werden muss. Mit den erneuerbaren Energien kam die Subventionierung der so genannten Energiepflanzen dazu, die in endlosen Monokulturen angebaut werden. Bei uns sind das vor allem Raps, den man zu Biosprit verarbeitet, und Mais, der in Biogasanlagen Biogas und Wärme liefert.
Kurzum: In unseren heutigen Agrarwüsten, in denen kein Fleckchen Erde mehr unbearbeitet bleibt, finden Schmetterlinge und mit ihnen die anderen Insekten buchstäblich keinen Platz mehr.
Der Eichelhäher legt im Herbst mehrere Winterverstecke mit Eicheln, Nüssen und Bucheckern im Boden an und trägt so zu ihrer Verbreitung bei.
Aber liefern die reichlich gedüngten Wiesen und Äcker den Schmetterlingen nicht genug Nahrung? Leider ist das genaue Gegenteil der Fall. Viele von ihnen sind auf natürlich bewachsene Flächen mit mageren Böden angewiesen, wie sie heute oft nur noch entlang von Bahnstrecken oder um Steinbrüche herum zu finden sind. Verschwunden sind die meist mit dichten Gehölzen bestandenen Randstreifen der Äcker, die genug Nahrung und Verstecke boten und nebenbei noch als Schutz vor Winderosion dienten. Selbst ungenutzte Flächen wie die Randstreifen von Forstwegen werden regelmäßig abgemäht.
Und so sorgen wir in unserem Bestreben nach maximaler Effizienz und mit unserer »Ordnungswut«, die Natur so sauber und übersichtlich wie unsere Wohnzimmer zu halten, dafür, dass andere Lebewesen neben uns nicht oder kaum mehr existieren können.
… und was es bedeutet
Durch den dramatischen Rückgang der Insekten geraten unsere Ökosysteme zunehmend unter Druck – mit unabsehbaren Folgen. Und obwohl vier Prozent der Landfläche von Deutschland als Naturschutzgebiet ausgewiesen sind, konnte der Rückgang der Insekten auch dort nicht aufgehalten werden. »Wir befinden uns gegenwärtig auf Kurs zu einem ökologischen Armageddon«, äußerte sich eine britische Studie zum gleichen Thema. Und: »Bei dem derzeit eingeschlagenen Weg werden unsere Enkel eine hochgradig verarmte Welt erben.«
Um zu verdeutlichen, welche Folgen unbedachte Eingriffe in funktionierende Ökosysteme haben können, brauchen wir nur einen Blick in das China der späten 1950er-Jahre zu werfen: Dort wurden nach einem Erlass von höchster Stelle bei der »Großen Spatzenkampagne« zwei Milliarden Spatzen getötet, um das Getreide vor ihnen zu schützen. Unmittelbar danach kam es zu einer furchtbaren Plage mit Getreideschädlingen, die eine große Hungersnot mit sich brachte. Was man übersehen hatte, war die Tatsache, dass Spatzen zwar gerne Getreidekörner fressen, aber eben auch viele Insekten und Raupen. Die Konsequenzen des gestörten natürlichen Gleichgewichts waren unmittelbar zu spüren.
»In der Natur ist alles mit allem verbunden, alles durchkreuzt sich, alles wechselt mit allem, alles verändert sich eines in das andere.«Gotthold Ephraim Lessing, deutscher Dichter
Weniger sichtbar sind dagegen die Folgen, die sich aus der aktuell rückläufigen Zahl der Vögel ergeben. Wenn weltweit jede achte Art vom Aussterben bedroht ist, kann aber auch das nicht ohne Auswirkung bleiben. Neben der Regulierung der Insektenpopulationen tragen Vögel vor allem zur Verbreitung der Pflanzensamen bei, indem sie Früchte fressen und deren Samen an anderen Stellen wieder ausscheiden. Bei manchen Vogelarten spiegelt sich ihre Aufgabe sogar im Namen wider, z. B. beim Eichelhäher, der sich von Eicheln ernährt und auf diese Weise zu ihrer Verbreitung beiträgt. Bei Ebereschen erfüllen Drosseln die gleiche Funktion und der Tannenhäher hilft dem Fortbestand der Zirben. Und spätestens jetzt kommen auch die Pflanzen und damit ihre Bestäuber, die Bienen, ins Spiel.
Die Situation der Bienen
Bienen gehören ebenfalls zur großen Familie der Insekten und ihre akute Gefährdung ist inzwischen schon Allgemeinwissen. Das liegt vor allem an ihrem volkswirtschaftlichen Nutzen, den sie durch ihre Bestäubungsleistung erbringen und der in der EU aktuell auf jährlich 22 Milliarden Euro geschätzt wird. In den USA ist die Situation bereits so dramatisch, dass in einigen Staaten zur Blütezeit Lastwagen voller Bienenstöcke zu den Feldern gefahren werden müssen, damit die Bienen die Pfirsich-, Apfel-, Birnen- und Mandelblüten bestäuben. Sobald sie fertig sind, geht es weiter zur nächsten Obstplantage. Noch einen Schritt weiter ist man in China, wo die Menge der Bienen längst nicht mehr ausreicht, um alle Blüten zu bestäuben, sodass Menschen diese Arbeit mit feinen Pinseln selbst übernehmen müssen.
Bienen bestäuben etwa 80 Prozent der Pflanzen, einschließlich der Bäume. Auch Wildrosenhecken sind eine ideale Futterquelle.

Können wir etwas tun?

Betrachtet man das Gesamtpanorama, wozu auch der Zustand der Böden und Pflanzen gehört einschließlich des enorm gestiegenen Mineraldünger- und Pestizidverbrauchs, stellt sich die Frage, ob wir – jeder Einzelne von uns mit seinem kleineren oder größeren Garten, seinem Balkon oder nur ein paar Fensterbrettern mitten in der Stadt – überhaupt etwas ausrichten können.
Von Aristoteles stammt der Satz »Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen«. In diesem Sinne kann jeder etwas beitragen – und so verstehen auch wir unsere Arbeit, die an der Basis ansetzt: dem Boden. Darüber hinaus können wir zumindest im kleinen Rahmen Ausgleich schaffen und Lebensräume zurückgeben, indem wir z. B. Obst- oder Wildrosenhecken anlegen oder eine Streuobstwiese, wo Bienen reichlich Nahrung finden. Hilfreich wäre es außerdem, den Rasen im Sommer auch mal etwas länger wachsen zu lassen und den Löwenzahn nicht gleich abzumähen oder aber in ruhigen Gartenbereichen Nischen zu schaffen, in denen die Tiere Unterschlupf finden. Die Permakultur mit ihrer scheinbaren »Unordnung« bietet dafür gute Beispiele. Auch beim Urban Gardening hat sich in den letzten Jahren viel getan und selbst ein Balkonkasten oder Töpfe auf dem Fenstersims mit duftenden Blüten können helfen, Bienen und Schmetterlinge anzulocken.
In der Landwirtschaft gäbe es ebenfalls sinnvolle Korrekturmöglichkeiten, die eine Subventionierung verdienen würden: insbesondere das Begrünen mit Büschen und niedrigen Bäumen in regelmäßigen Abständen an den Rändern der Ackerflächen, wie es vor allem in Norddeutschland (»Knicks«) oder auch in England und Frankreich (»Bocage«) seit jeher üblich ist. Obstbäume entlang den Straßen, wie sie früher häufiger zu sehen waren, wären ebenfalls hilfreich und dazu eine Bereicherung für alle.
Ob liebevoll an einer Hauswand arrangierte Blumentöpfe mitten in der Stadt oder ein blühender Brokkoli im Bauerngarten – beides bietet den Insekten Nahrung und Unterschlupf.