Nein, ich bin kein Playboy - Rena May - E-Book

Nein, ich bin kein Playboy E-Book

Rena May

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Beschreibung

Wird er zum Frauenversteher? Aus Sehnsucht nach Aufmerksamkeit lässt sich Felix auch als Erwachsener von seinem Vetter Peter unterdrücken. Erst als er sich aus dessen Dunstkreis befreit, wird er selbstbewusster und begibt sich auf eine spannende Suche nach seiner Traumfrau.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

1

»Verdammt noch mal, musst du dich immer wie eine Klette an mich dranhängen? Kannst du nicht mal was alleine machen?

Geh doch mal ins Kino, oder so.«

Felix kannte diesen genervten Ton seines Vetters. Das Bistro in dem sie saßen war »in« und deswegen rappelvoll. Die vorderen Tische waren alle mit jungen Pärchen besetzt, aber ein paar hübsche Mädchen waren auch allein gekommen und tranken abwartend an ihrem Platz ihren Kaffee oder ihre Cola. Geschirr schepperte, Kaffeeduft zog durch den Raum und an der Theke rumorte eine Espressomaschine.

Felix wusste, Peter hatte mal wieder ein Mädchen im Kopf, und er störte dabei.

»I-ist, j-ja, sch-schon g-gut«, stotterte er resigniert und seufzte.

Wer wollte schon jemanden wie ihn am Tisch sitzen haben.

Jemanden, der schüchtern war, jemanden, der stotterte. Es sei denn man hatte Mitleid mit ihm, und von Mitleid war Peter so weit entfernt, wie der Mond von der Erde.

»Tu mal was gegen dein Stottern. Das ist ja langsam peinlich«, schob sein Vetter gehässig nach.

Felix sah sich verstohlen im Bistro um. Es saßen ein paar nette Mädchen in ihrer Nähe. Aber auf welche hatte Peter sein Auge geworfen?

Wie er es sich gedacht hatte, schob Peter plötzlich seinen Stuhl zurück, setzte sein strahlendes Siegerlächeln auf und schlenderte hinüber zum Nachbartisch. Neugierig folgte Felix ihm mit den Augen. Wie oft hatte er gehofft von Peter etwas lernen zu können, ihn nachzuahmen, aber er wagte es nicht Peters Tricks anzuwenden. Er war einfach zu schüchtern.

Er bewunderte seinen Vetter grenzenlos; mit welcher Sicherheit er an den benachbarten Tisch trat. Mit welchem Selbstvertrauen er das hübsche Mädchen, das alleine dort saß, ansprach!

Er sagte etwas, das Mädchen lächelte bedauernd und zuckte die Schultern.

Peter schien nicht erfolgreich gewesen zu sein, aber er reagierte wie ein Gentleman, zog wie selbstverständlich seine Visitenkarte aus der Tasche seiner Jeanshose, – ja er hatte wahrhaftig Visitenkarten , weil er das cool fand – und steckte kurz darauf einen Zettel von ihr in seine Hosentasche. Mit gelangweiltem Blick kam er wieder an den Tisch zurück.

Felix schaute konzentriert auf die geschäumte Milch seines Cappuccinos und seufzte innerlich. Wenn er doch nur etwas von Peter hätte! Er wünschte es sich so sehr!

Beide, Peter und er waren in einer Kleinstadt aufgewachsen.

Seine und Peters Mutter waren Cousinen und auch noch Freundinnen dazu. Diese Kombination war selten bei Verwandten, waren doch viele Familien verkracht, hatte Felix gehört. Und so waren sie fast wie Brüder aufgewachsen.

Jetzt waren beide Mitte Zwanzig und Single. Na ja, eigentlich nur er, Peter hatte oft genug eine Freundin. Nur er wagte nichts.

»Gut, dass du noch gewartet hast.«, brummte Peter. »Sie ist nämlich verabredet,«und ließ sich auf seinen Stuhl fallen.

»Hätt ich mir denken können. So ein hübsches Mädchen läuft nicht alleine in der Welt herum. Aber ich wette mit dir, ich krieg sie«, sagte er siegessicher und klopfte auf seine Hosentasche in der ein Zettel mit ihrer Handy-Nummer knisterte.

Dann ließ er den Blick durch den Raum wandern bis er eine der jungen Bedienungen entdeckte und winkte ihr zu.

»Komme gleich«, rief sie.

Felix ging gar nicht auf die Wette ein, wusste er doch, dass er sie verlieren würde! Peter war eigentlich immer erfolgreich, wenn er auf Mädchenjagd ging.

Er sah zum Nachbartisch hinüber, wo sich gerade ein blonder, junger Mann über das Mädchen beugte und ihr einen Kuss mitten auf den Mund gab.

Er wirkte etwas abgehetzt und während er eine Entschuldigung hervorbrachte, schob er seinen Stuhl näher an sie heran.

Sie zog einen Schmollmund, murmelte irgendetwas und warf Peter über die Schulter ihres Partners einen kurzen Blick zu, den er sekundenlang festhielt.

Zufrieden rührte Peter daraufhin die restlichen Kakaoflocken seines halbausgetrunkenen Cappuccinos unter.

»Wie wär’s denn, wenn du dir auch mal eine Freundin anschaffst«, meinte er dann gönnerhaft.

»Eigentlich hast du doch genug Gelegenheit gehabt von meinen Tricks zu lernen.

Obwohl« … sein Blick streifte geringschätzig über Felix. Wie der schon dasaß, leicht gebeugt, als hätte er eine Hühnerbrust.

Außerdem hatte er einen Bauchansatz, und diese Frisur! Und dann die schlampige Kleidung, als hätte er darin geschlafen. Zu mindestens wirkte dieser graue Pullover, den er so oft anhatte, so zerknautscht.

Felix nahm ihm das langgezogene obwohl … nicht übel. Sein Vetter hatte ja Recht.

Eins musste Peter seinem Cousin Felix aber zugestehen, er hatte schöne blaue Augen und volles dunkles Haar, aber was nützte ihm das? Kaum jemand schaute ein zweites Mal zu ihm hin.

»Ich kann dir wirklich nur empfehlen, lern was von mir«, meinte er dann großzügig.

Die junge Bedienung kam jetzt an ihren Tisch, nutzte die Gelegenheit und fragte, »noch etwas zu trinken?«

Sie himmelte Peter an, der ihr ein kurzes Lächeln schenkte.

Dann nickte er und sagte knapp: »Einen Kaffee Latte trink ich noch.«

Das junge Mädchen eilte davon und brachte wenig später das Getränk, Peter nahm sofort einen großen Schluck »Heiß«, er verbrannte sich die Zunge, während er einen erneuten Blick auf seine Tischnachbarin warf.

Sie war so in ein Gespräch mit ihrem Partner vertieft, dass sie ihn scheinbar völlig vergessen hatte.

Felix bemerkte, dass sein Vetter sich darüber ärgerte. und nippte an seinem mittlerweile lauwarmen Cappuccino. Er wollte gar nicht wissen, was in Peters Kopf vorging, wenn er sich ärgerte.

Peter schaute mit gerunzelter Stirn zu seinem Vetter hinüber, der gerade seine Tasse vorsichtig auf der Untertasse abstellte, damit nichts überschwappte. Das hatte ihm sicher seine Mutter beigebracht, dachte er genervt.

Er kannte Felix Mutter schon sein Leben lang. Tante Hermine, diese Nervensäge!

»Felix, pass auf das gute Porzellan auf. Geh vorsichtig mit der teuren Vase um.«

Er hasste seine Tante und verachtete Felix, diesen Duckmäuser, der auf seine Mutter nichts kommen ließ.

Er beobachtete seinen Vetter mit Unbehagen. Na, ja, manchmal war er ja auch sehr nützlich, musste er sich eingestehen.

Beide hatten sie das Ingenieursexamen abgelegt.

Sicher, Felix früher als er. Schließlich war der ja auch ein Streber. Felix hatte sich bei der Fa. Müller beworben, einem guten, mittelständigen Unternehmen, hier in München. Und sogar, trotz Stotterns, die Stelle bekommen. Ingenieure waren im Moment sehr gesucht, und außerdem hatte Felix ein Einserexamen hingelegt, das musste man ihm lassen. Trotzdem schüttelte er in Gedanken den Kopf.

Er selbst hatte eigentlich noch länger sein Leben genießen wollen, wenigstens noch zwei, drei Monate, aber seine Alten hatten gedrängelt.

»Felix ist jünger als du und verdient sein eigenes Geld. Junge, nimm dir ein Beispiel an ihm«, hatte sein Vater gemeint. Immer stellte sein Vater ihm Felix als großes Beispiel vor. Auch das hatte er gehasst.

»Schaut ihn euch doch an«, hatte er gesagt, »dem bleibt doch gar nichts anderes übrig als zu lernen.«

Seine Mutter hatte ihn wie immer unterstützt, aber dieses Mal nützte es ihm nichts.

»Das ist keine Entschuldigung für deine Faulenzerei«, hatte sein Vater abgewunken. Aber seine Mutter hatte über seine Bemerkung gelacht und ihn mit einem stolzen Lächeln belohnt.

Es lieb ihm nichts anders übrig, als nach zu geben. Er hatte Felix gebeten ihm ebenfalls einen Job bei der Firma Müller zu besorgen. Der konnte ruhig etwas für ihn tun, schließlich hatte er ihn mal, als Felix drei und er vier Jahre alt waren, aus dem Planschbecken gezerrt und ihn vor dem Ertrinken gerettet.

Er konnte damals schon schwimmen, Felix natürlich nicht.

Tante Hermine war angeblich der Schwimmkurs zu teuer gewesen.

Das Bistro leerte sich langsam. Die junge Kellnerin war erneut zu ihnen getreten und legte die Rechnung auf den Tisch. Sie trat nahe an Peter heran und sah ihm in die Augen. »Zusammen oder getrennt?«

Peter suchte nach seinem Portemonnaie. Erst in der rechten Hosentasche, dann mit einem Seufzer, in der linken, erfolglos.

Felix war die Sucherei peinlich. Er hatte das bei seinem Vetter schon öfter erlebt, er war wahrscheinlich mal wieder pleite.

Das passierte ihm nicht. Da seine Mutter jung Witwe geworden war, hatte er früh genug gelernt, mit seinem Geld zu haushalten.

»Du musst dich um Peter kümmern«, hatte seine Mutter gesagt.

»Er ist von meiner Cousine sehr verwöhnt worden. Er ist halt ihr einziges Kind«, Als ob er kein Einzelkind wäre.

»Ich, ich l-lade d-dich ein«, sagte er schließlich und zählte das Geld auf den Tisch. Genau zehn Prozent gab er der Bedienung Trinkgeld.

Erbsenzähler, dachte Peter. Er hätte der netten Bedienung mehr Trinkgeld gegeben.

Aber im Moment war er finanziell mal wieder sehr klamm. Er strahlte die Bedienung an und sah ihr hinterher, während sie mit wiegenden Hüften zum nächsten Tisch ging und dort bei einem älteren Ehepaar abkassierte.

Felix verstaute seine Geldbörse wieder in seiner Jeanstasche.

Peter beobachtete ihn ungeduldig. Mit welcher Akkuratesse er das Portemonnaie wieder in seine Jeans steckte! Aufreizend langsam. Das ging jedem auf die Nerven.

War ja klar, dass er anstatt Felix, meistens zum Chef gerufen wurde, wenn irgendetwas zu besprechen war, obwohl er später als Felix in die Firma eingetreten war.

Zwar kamen die meisten Ideen von Felix. Aber das hatte bis jetzt noch niemand bemerkt, da der sie nicht gut vermitteln konnte.

Na, ja, manchmal stammte ja auch mal eine Idee von ihm selbst, beruhigte er sich.

Wenn er Chef wäre, würde er sich auch nicht diese Stotterei anhören, dachte er.

Aber wie Felix mit seinem Gehalt auskam, das war ihm schleierhaft, er selbst kam kaum klar.

Jetzt musste er sich schnellstens verabschieden, sonst bekam er seinen Vetter den ganzen Abend nicht mehr los, fürchtete er, als er einen Blick auf seine Armbanduhr warf.

Und dazu hatte er bestimmt keine Lust.

Er sprang auf. »Ich hab noch eine Verabredung«, sagte er, schnappte sich seine Lederjacke von der Stuhllehne, warf seiner Tischnachbarin noch einen bewundernden Blick zu und verschwand Richtung Türe.

Felix zuckte innerlich zusammen. Langsam erhob auch er sich »W-wann s-sehen w-wir u-uns w-wi …«, rief er ihm nach; zu spät.

Peter war weg. Enttäuscht blickte Felix hinter ihm her.

Das Mädchen vom Nachbartisch sah ihn mitleidig an.

Schamröte überzog sein Gesicht. Er wollte kein Mitleid!

Hastig zog er seine Regenjacke an, schlug den Kragen hoch und ohne den Blick rechts und links zu wenden, verließ er eilig das Bistro.

Beinahe wäre er mit der Kellnerin kollidiert, die ihn geschäftig und uninteressiert umrundete, als wäre er ein Kleiderständer, und auch die jungen Leute an den vorderen Tischen sahen erst gar nicht auf. Dann war er draußen.

Erleichtert atmete Felix die kühle, frische Regenluft ein. Das Bistro lag zwar mitten im Geschäftsviertel, aber es hatte bis eben geregnet und nur vereinzelt eilten Leute mit Regenschirmen an ihm vorbei ohne ihm einen Blick zuzuwerfen. Dicke Regentropfen fielen von der weißroten Markise, die den Eingang zum Bistro beschützte auf den grauen Asphalt der Straße. Feuchter Dunst senkte sich auf die Bürgersteige.

Zögernd blieb er stehen, was machte er jetzt? Er hatte eigentlich gedacht, er würde den Rest des Freitagabends mit Peter und seinen Freunden verbringen.

Er sah auf seine Armbanduhr, es war noch viel zu früh, um nach Hause zu gehen.

Es zog ihn auch nichts nach Hause. Es wartete niemand auf ihn.

Noch nicht einmal ein Kanarienvogel.

Sicher seine Zweizimmerwohnung war nett eingerichtet, fand er, und er besaß alle technischen Geräte, die ein junger Mann haben sollte. Einen Superfernseher, tolle Stereoboxen, um die ihn sogar Peter beneidete, dachte er stolz, ein Tablett und den neuesten Computer mit allen Schikanen. Auch die Küche war aufs modernste eingerichtet, aber kaum benutzt, da er die Woche über in der Kantine aß, die ein abwechslungsreiches Essen auf der Speisekarte anbot. Die Kantine gehörte nicht nur zur Firma Müller, sondern wurde auch von einer großen Rechtsanwalt Gemeinschaft und anderen Firmen im Gebäude genutzt.

Und am Wochenende kaufte er sich meist am Kiosk an der Ecke eine Currywurst. Außerdem war die Wohnung ungemütlich kalt an diesen feuchten Spätsommertagen.

Aber all das war kein Ersatz für die Wärme eines Menschen.

Er war schlicht und einfach einsam, gestand er sich ein. Verdammte Schüchternheit!

Er musste unbedingt etwas gegen das Stottern tun, er brauchte es dringend beruflich und privat. Er hatte sich das schon oft vorgenommen und nie etwas dafür getan.

Ziellos lief er durch die Stadt, bummelte an den Schaufenstern vorbei, ohne etwas zu sehen, und blieb schließlich an einem Geschäft für Tierbedarf stehen.

Der Blickfang im Schaufenster war ein großer Käfig, sauber mit Stroh ausgelegt. Ein kleiner graubrauner Hamster kletterte unermüdlich auf einem Sprossenrad nach oben. Dort angekommen fiel er sofort herunter und trotzdem kletterte er erneut hoch und fiel wieder herunter. Das gleiche Spiel wiederholte sich wieder und wieder. Entweder machte es ihm Spaß herunter zu fallen, oder er begriff nicht, dass das Rad kein Ende hatte.

Felix fröstelte. Er kam sich genauso vor, wie in einem Hamsterkäfig.

Grauer Alltag, kein Erfolgserlebnis, allein!

Er atmete schwer aus, und sah wie gebannt weiter dem kleinen, graubraunen Hamster im Rad zu.

Wann hatte er eigentlich angefangen zu stottern? überlegte er.

Zum ersten Mal war es ihm vor drei, vier Jahren unangenehm aufgefallen. Damals war er zweiundzwanzig und Peter dreiundzwanzig Jahre alt gewesen. Und dann hatte es sich kurz vor dem Examen sogar verstärkt.

Er war mit Peter noch einmal die Fragen der alten Examina durchgegangen, als der ihn ungeduldig auf sein Stottern aufmerksam gemacht hatte. Und hatte damit das bisschen Selbstvertrauen, das er sich bis dahin erhalten hatte, untergraben.

Dann hatte er angefangen sich bei Peter so-so minderwertig, so klein, so hässlich zu fühlen. Dagegen half auch nicht, dass er sich ins Gedächtnis rief, dass Peter ein schlechteres Abschlussexamen als er hingelegt hatte, denn er hatte es dann doch mit seiner Redegewandtheit im Mündlichen geschafft.

Felix runzelte die Stirn. Vielleicht hätte ein anderer Freund seinem Selbstbewusstsein besser getan?

Aber er hatte viel lernen müssen, damit er schnell fertig wurde und seiner Mutter nicht zu lange auf der Tasche lag. Da konnte er keine Zeit verschwenden, um andere Freundschaften zu schließen. Also war ihm nur Peter geblieben.

Auch als er sein Examen bestanden hatte, war ihm kaum Luft geblieben, um selbstständig zu werden, da musste er sich wieder um seinen Vetter kümmern und ihm eine Arbeitsstelle suchen.

War er vielleicht ausgenutzt worden?

Nein, schließlich war Peter sein Vetter. Da war es selbstverständlich, dass er half. Und außerdem musste er ihm sehr dankbar sein, hatte er ihn doch als er mit drei Jahren in ein kleines Wasserbecken fiel, herausgezogen. Peter konnte schon mit vier Jahren etwas schwimmen, während seine Mutter sich erst nach diesem Unfall entschloss einen Schwimmkurs zu bezahlen.

Jetzt lag wieder eines der langweiligen Wochenenden vor ihm.

Seufzend trollte er sich nach Hause.

Am nächsten Morgen rief Peter ganz unerwartet an.

»He, hast du Lust mit zum Fußball zu gehen? Unser Heimatverein spielt gegen 1860 München. Es geht um ein Benefizspiel.«

»Klar, geh ich mit.« Felix musste sich zusammenreißen, um nicht zu euphorisch zu klingen.

»Prima«, auch Peter schien sich zu freuen. Felix brauchte ja nicht zu wissen, dass seine anderen Freunde heute eine Floß-Tour auf der Isar machten. Und er absagen musste, weil er seinen Dispo Kredit bereits ausgeschöpft hatte.

»Treffen wir uns am Haupteingang des Stadions auf der rechten Seite. Wer zuerst da ist, kauft schon mal die Karten.«

Natürlich war Felix zuerst da. Er hatte sein Auto zuhause gelassen und war mit dem Bus gefahren, so hatte er die Suche nach einem Parkplatz gespart.

Er kaufte die Karten. Sie waren teurer als er gedacht hatte und er stellte sich rechts neben den Haupteingang, wie vereinbart, und wartete.

Die Zuschauer strömten. Er wurde angerempelt, geschubst und auch beschimpft, weil er seinen Platz wie einen Fels in der Brandung verteidigte.

Immer wieder sah er auf seine Armbanduhr. Der Zeiger rückte unaufhaltsam vorwärts.

Die Fanschlange schwoll an.

Wieder bekam er einen Schups in die Rippen, sodass er fast umgefallen wäre.

Die Fans drängelten. In zehn Minuten sollte das Spiel angepfiffen werden.

»Du Blödmann, hältst den ganzen Betrieb auf«, schimpfte jemand. Felix wollte sich stotternd entschuldigen.

»Oh, Scheiße, der stottert ja auch noch.« Der Drängler drehte sich feixend zu seiner Freundin um, die einen Schal in den Farben des gegnerischen Clubs trug. Zum Glück wurde der junge Mann, der sich beschwert hatte, weiter nach vorne geschoben, sodass er von Felix abgelenkt wurde.

Endlich wurde die Fanschlange dünner, und dann tröpfelten die Besucher nur noch.

Peter war immer noch nicht da. Felix beschloss die zweite Karte an der Kasse zu hinterlegen. Ein letzter Blick auf die Uhr. Da kam Peter angelaufen. Endlich!

»Hab keinen Parkplatz gefunden. Jetzt müssen wir uns aber beeilen.« Er schob Felix vor sich her.

»Wo sitzen wir?« Sie zwängten sich durch die Zuschauer.

Zischend und murrend machten sie Platz. Felix immer als Erster. Peter im Schutz seines Rückens, sodass Felix alle bösen Blicke auf sich zog.

Das Spiel hatte schon angefangen. Über dem Stadion hingen dunkle Wolken. Zum Glück aber regnete es nicht.

Ihr Verein spielte von Anfang an auf Angriff. Aufregung verbreitete sich. Vor ihnen sprangen die Fans begeistert auf, grölten oder buhten, wenn etwas nicht nach ihren Vorstellungen lief.

Das war ein Spiel nach ihrem Geschmack. Trotzdem blieb es null zu null.

Dann war Pause. Die Zuschauer beruhigten sich und schoben sich durch die Reihen Richtung Verkaufsstände. Auch Peter und er kauften sich eine Cola und Würstchen. Alkohol wurde nicht ausgeschenkt.

Peter fuhr in die Jackentasche,

»Ach Mist, ich hab meinen Geldbeutel im Auto gelassen. Zahl du mal. Bekommst es nachher zurück.«

Er biss herzhaft in die Wurst.

Die Stehtische waren rammelvoll. Sie mussten schreien, da das Stimmengewirr kaum zu durchdringen war. Immer wieder wurden sie an die Wand gedrückt, weil Leute vorbeiwollten oder über ihre Füße stolperten.

«Oh, Scheiß«, Peter hatte sich die Finger mit Senf bekleckert.

»Hast de mal ein Tempo für mich?«

Felix nickte. »Hier.«

Er bedankte sich nicht einmal. Stattdessen fragte Peter zwischen zwei bissen

»Wie sieht’s denn eigentlich mit deinem Liebesleben aus?«, nur um etwas zu sagen. Über das Spiel hatten sie schon genug geredet. Er erwartete eigentlich keine Antwort. Und Felix antwortete auch nicht.

»Bei mir ist im Moment auch nichts los«, fuhr er fort. »Die Kleine klammert, und das mag ich nicht. Sie ist dieses Wochenende zu ihren Eltern gefahren. Wollte mich mitnehmen. Hab gesagt, ich hätte keine Zeit, ich müsste mich um dich kümmern. Aber zu Hause rumsitzen, ist auch nichts. Da fiel mir das Fußballspiel ein. War doch eine gute Idee? Kaufen wir uns noch einen Kaffee?«

Felix nickte und überschlug in Gedanken, wieviel Geld er noch in der Tasche hatte, während Peter mit dem Geld loszog. Hoffentlich würde es reichen. Zur Not würde er Peter bitten ihn nach Hause zu fahren, oder ihm gleich das Geld zurückzugeben, obwohl er ja Peters Tricks kannte, denn ob es noch für eine Busfahrt reichte; bezweifelte er. Trotz seiner Bedenken gab er Peter das Geld.

Bald kam der mit zwei heißen Bechern Kaffee zurück.

Felix nahm seinen Becher in Empfang. Peter lehnte sich lässig neben ihm an die Wand.

Die ersten Fans gingen schon wieder zurück zu ihren Sitzplätzen, laut, lachend, diskutierend.

»Hoffentlich habe ich noch genug Geld für die Heimfahrt«, meinte Felix nun doch besorgt, aber du hast ja dein Portemonnaie im Auto. Denk dran, mir das Geld nachher zurückzugeben.

Mit der Karte kann ich den Bus nicht bezahlen.«

»Klaro«, sagte Peter großspurig, meinte dann aber »wie kann man so wenig Geld mitnehmen. Hättest ja die Karten mit deiner Kreditkarte bezahlen können«, redete er Felix Schuldgefühle ein.

Felix sagte lieber gar nichts. Im Gegensatz zu Peter zahlte er meistens bar, dann hatte er mehr Überblick über seine Finanzen. Nicht so wie Peter, der ihn hier und da anpumpte und dann vergaß seine Schulden zu bezahlen.

Bei kleinen Beträgen sagte er nichts, aber heute? Ihn beschlich ein ungutes Gefühl.

Die Stadionansage meldete das Ende der Pause. Hastig warfen sie ihre leeren Becher in einen der vielen Müllbehälter. Ihre Sitzplätze befanden sich weiter unten. Eilig stiegen sie die Stufen hinunter und drängelten sich wieder durch die Reihe.

Die Spieler liefen winkend aufs Spielfeld und stellten sich auf.

Der Anpfiff ertönte, die Zuschauer grölten, dann zog das Spiel ihre Aufmerksamkeit auf sich. Das Glück wendete sich. Der Gegner bedrängte das Tor. Der Rechtsaußen schoss in die Mitte, der Stürmer nahm den Ball an und »Tor«, schrien die Fans des anderen Clubs und sprangen auf.

Enttäuscht blieben Peter und Felix sitzen und verfolgten resigniert wie 1860 München ihrer Mannschaft das Spiel aufzwang.

Sie hatten Glück, dass der Torwart ihrer Mannschaft seinen guten Tag hatte, sodass sie sich nicht noch ein weiteres Tor einfingen. Dann war das Spiel zu Ende.l Bedrückt reihten sie sich in die Schlange der Zuschauer ein und verließen sie das Stadion, während um sie herum die Fans der Siegermannschaft diskutierten oder euphorisch jubelten.

Als siedraußen waren, hatte Peter es plötzlich sehr eilig.

»Tschüss, muss weg, bevor die Ausfahrten verstopft sind«, rief er Felix zu und eilte davon.

»A-aber, i-ch, d-dachte … …« Ehe Felix seine Worte herausgebracht hatte, war Peter in der Menge verschwunden.

Verdammt, da stand er nun. Sein Stottern hatte ihn mal wieder ins Hintertreffen gebracht. Dann musste er halt den Bus nehmen. Der würde jetzt rappelvoll sein, dachte er Die ersten Busse fuhren an ihm vorbei. Es waren noch nicht einmal Stehplätze frei, erkannte er, als er einem der Busse hinterher sah. Am besten würde er zwei, drei Haltestellen weiter gehen, dann wären sicher einige Fahrgäste ausgestiegen und wieder mehr Platz, beschloss er resigniert.

Also marschierte er los.

Mittlerweile senkte sich die Dämmerung auf die Stadt. Die Straßenlampen spendeten ein gedämpftes Licht und es wurde empfindlich kühl. Felix vergrub die Hände in die Jackentaschen.

Schon zweihundert Meter weiter wurde es ruhiger. Die Menge hatte sich entzerrt. Die Busse und die meisten Autos benutzen den Ringverkehr, um schnell vom Stadion wegzukommen. In seine Nebenstraße verirrten sich kaum noch Fußgänger und Autos. Noch nicht einmal eine Bushaltestelle gab es hier, stellte er frustriert fest. Bürogebäude säumten rechts und links die Straße. Alles wirkte grau und duster. Er musste jetzt doch zur Hauptstraße wechseln. Ob es noch für den Bus reichte? Er zog sein Portemonnaie heraus und zählte sein Kleingeld.

Ein paar Cent Stücke klimperten, mehr nicht. Verdammt, verdammt, verdammt. Der nächste Bankomat war zu weit weg. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als zu Fuß nach Hause zu gehen.

Es würde ein langer Marsch werden. Eine Stunde oder mehr.

Auf jeden Fall lang genug, um über sich und seine Dummheit nachzudenken.

So lange er denken konnte hatte seine Mutter gesagt,« halt dich an Peter. Er ist dein einziger Verwandter, und aus dem wird mal was. Da kannst du nur von profitieren.«

Er hatte das beherzigt; er hatte Peter bewundert, und eigentlich bewunderte er ihn immer noch. Mit welcher Leichtigkeit der sein Leben meisterte. Aber heute hatte er ihn im Grunde genommen ausgenutzt und stehen gelassen.

Jetzt fing es auch noch an zu nieseln. Er schlug seinen Kragen hoch und kroch tiefer in seine Jacke. Büros wechselten sich mit Wohnhäusern ab. Er stapfte an langen Reihen parkender Autos vorbei. Licht fiel aus den Fenstern auf die Bürgersteige. Die Bewohner aßen wohl jetzt zu Abend oder sahen fern. Nur auf ihn wartete niemand.

Zum ersten Mal in seinem Leben ging ihm auf, wie Peter ihn manipuliert hatte. Peter hatte ihn zwar zum Fußballspiel eingeladen, aber er hatte bezahlt, er hatte die bissigen Bemerkungen und die Schubser abbekommen, als sie sich auf ihre Plätze durchdrängelten und er musste jetzt zu allem Übel auch noch zu Fuß gehen.

Wahrscheinlich hatte Peter Langeweile gehabt, weil seine Freundin nicht da war, dachte er und außerdem war er wahrscheinlich wieder pleite. Und dank seines gutmütigen, nein trotteligen Vetters Felix, hatte er kostenlos einen aufregenden Nachmittag verbringen können.

Es regnete nun in Strömen. Felix bog in die nächste Straße ein.

Es war mittlerweile dunkel. Bald war er Zuhause. Gott sei Dank, aber er war klatschnass. Eine trübe Lampe erhellte schwach den nassen Asphalt, als er die Eingangstüre zum Hochhaus aufschloss, in dem er wohnte.

Der Fahrstuhl war wieder mal außer Betrieb. Auch das noch!

Er durfte sich nicht mehr von Peter manipulieren lassen, beschloss er, als er sich durch das Treppenhaus in den vierten Stock hinaufquälte und tropfnass die Wohnungstür aufschloss.

Gleich morgen würde er sich das Geld zurückfordern.

Na wenigstens das Geld für die Eintrittskarten würde er einfordern, schwächte er bereits seinen Entschluss ab, als er seine Jacke über der Dusche abtropfen ließ.

Montag hielt er Peter auf dem Flur zum Fotokopierraum an.

»Du du schuldest mir noch d deine Eintrittskarte.«

»Hab jetzt keine Zeit«, winkte Peter ab.

Am Mittwoch versuchte Felix es noch einmal.

»Mein Gott bist du hartnäckig. Du kriegst dein Geld schon noch«, wiegelte Peter ab. Und Felix stand da, als ob er sich bei Peter das Geld geliehen hätte.

Zu allem Ärger rief abends auch noch seine Mutter an. Er liebte sie zwar, aber manches Mal konnte sie ihm ganz schön auf die Nerven gehen.

»Jungchen, du vernachlässigst deine Mutter. Du hast die ganze Woche nicht angerufen«, jammerte sie.

»Mama, ich hatte keine Zeit. Ich habe Gymnastik«, log er.

»Wieso, bist du krank?«, fragte sie erschrocken.

»Nein, nur wegen meinen Rückenschmerzen«, beschwichtigte er sie.

»Ach so«, ihre Stimme klang erleichtert. »Ich habe dir ja immer gesagt, halt dich gerade. Schau dir mal deinen Vetter Peter an.

Schlank und kerzengerade, wie eine …«

»Wie eine Tanne«, ergänzte Felix. Er kannte den Satz seiner Mutter zur Genüge.

»Gut, mein Jungchen. Ich mach jetzt Schluss. Und vergiss deine alte Mutter nicht«, sagte sie neckisch.

»Tschüss Mama.« Frustriert schaltete er sein Handy aus.

Immer hielt ihm seine Mutter Peter als Vorbild vor. Wenn sie wüsste!

Er war schließlich erwachsen, also wurde es Zeit sich gegen die Bevormundung seiner Mutter zu wehren.

Als erstes würde er sie nicht mehr Mama, sondern Mutter nennen, und ihr außerdem die Kosenamen, Hasi, Felixchen und Jungchen verbieten, die sie ihm immer gab.

Er musste sich nur Mut nehmen.

Im Nachhinein wurde ihm bewusst, dass er sie das erste Mal in seinem Leben angelogen hatte. Und das ohne schlechtes Gewissen. Er hatte ja gar keine Gymnastik!

2

Zwei Wochen später.

Peters Freundin war scheinbar wieder da, und so blickte Felix erneut einem seiner einsamen Wochenenden entgegen.

Also beschloss er seine Mutter zu besuchen. Er würde sie überraschen. Er kaufte einen Blumenstrauß, gelbe Gerbera, so wie sie es liebte, und setzte sich ins Auto.

Seine Mutter würde sich freuen. Hatte sie doch immer gedrängt: »Junge, du warst sechs Wochen nicht mehr da. Du vernachlässigst deine alte Mutter.

Es hörte sich mittlerweile wie ein wiederkehrendes Ritual an, wenn er antwortete, »Mama, du bist noch nicht alt. Du bist in den besten Jahren. Ich habe halt so viel Arbeit, deswegen konnte ich nicht kommen.«

»Die hat Peter auch. Und neulich habe ich ihn hier gesehen.

Seine Mutter hatte sich bei ihm eingehängt. Und du?«

Es klang immer so vorwurfsvoll, dass er sich sofort schuldig fühlte.

Am liebsten würde er ihr die Wahrheit sagen: »weißt du was, wenn Peter nach Hause fährt, dann ist er pleite oder irgendeine Frau ist ihm auf den Versen, vor der er flieht.«

Irgendwann würde er ihr das auch sagen!

Kurz vor seinem Elternhaus fiel ihm ein, dass seine Mutter bei den letzten beiden Telefonaten gar nicht gefragt hatte, wann er nach Hause käme. Das beunruhigte ihn plötzlich. Ob sie krank war?

Seine Mutter war eigentlich die einzige Konstante in seinem Leben. Auch wenn es ihm manchmal lästig wurde.

Er bog in die ruhige Straße mit den kleinen Reihenhäusern ein, in der er aufgewachsen war. Hier hatte sich seit er sich erinnern konnte, kaum etwas verändert. Höchstens gab es mal einen neuen Hausanstrich, eine neue Garage, die in den Vorgarten gebaut wurde, oder ein neuer Gartenzwerg beim Nachbarn rechts.

Seine Mutter wartete meist mit dem Rasenschnitt bis er nach Hause kam. Er würde gleich damit anfangen.

Er musste das Auto hinter einem grünen VW-Variant parken.

Er wunderte sich. Die Straße war mit Autos zugestellt, deshalb parkte der Variant wohl vor ihrer Garageneinfahrt, dachte er dann. Das Gartentörchen stand einladend offen, als hätte seine Mutter auf ihn gewartet.

Er schloss die Haustüre auf und schnupperte Es duftete wunderbar nach Kaffee und frischgebackenem Kuchen. Aus dem Wohnzimmer drangen Stimmen.

Felix warf den Schlüssel auf das Brett unter dem Spiegel im Flur und stellte die Tasche ab.

»Hallo Mutter, ich bin es.«

Die Stimmen erstarben. Jetzt würde seine Mutter gleich herauskommen, ihn anstrahlen und umarmen. Meist zupfte sie dann an ihm herum und schimpfte, »wie siehst du denn wieder aus, ich glaube, ich muss dir mal wieder was Neues kaufen.«

Die Wohnzimmertüre ging auf und seine Mutter kam heraus.

Ihr Gesicht war gerötet. Verlegen stand sie vor ihm.

»Ach du bist es, Felix.«

Flüchtig hielt sie ihm die Wange zu einem Kuss hin. Befremdet registrierte er es. Parfümduft stieg ihm in die Nase. Sie hatte sogar einen zarten Lippenstift benutzt.

»Du siehst hübsch aus«, platzte er heraus. »Eine neue Bluse?«

Sie strich sich verlegen über ihren Rock und wurde noch roter.

»Danke! Du hast nicht angerufen, dass du kommst.«

»Ich wollte dich überraschen. Hast du Besuch?« Er öffnete die Türe zum Wohnzimmer.

Ein Mann saß im Sessel vor dem Couchtisch. Schüttere Haare, Bauch, ein rundes, freundliches Gesicht. Er trug eine Anzughose und einen grünen Pullover.

»Darf ich vorstellen«, sagte seine Mutter immer noch verlegen.

»Das ist Herr Gärtner, er war früher auf dem Bauamt, und hilft mir schon mal bei schriftlichen Angelegenheiten. Zuletzt hier beim Straßenausbau in der Tulpenstr. Wir sind befreundet«, setzte sie plötzlich trotzig hinzu.

Herr Gärtner sprang wendig wie ein Gummiball auf und drückte Felix fest die Hand.

»Sie sind also der Sohn von dem Emilie immer so schwärmt.

Wie schön Sie kennenzulernen.«

Es wurde ein gemütlicher Nachmittag. Oskar Gärtner war ein netter Kerl,– du kannst mich ruhig Oskar nennen«, und Felix bemerkte amüsiert, dass seine Mutter verliebt war.

Abends im Bett in seinem ehemaligen Zimmer dachte er, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, über die neue Situation nach.

Am Anfang hatte ihn die veränderte Sachlage verwirrt, dann aber hatte er sich rasch beruhigt.

Seine Mutter war noch nicht alt, warum sollte sie nicht auch noch ihr Leben genießen.

Für ihn würde das bedeuten, dass er keine Verantwortung mehr für sie zu tragen hatte. Und das war gut so. Er fühlte sich wie befreit.

Sie hatte nicht ein einziges Mal Peters Namen erwähnt. Sie hatte ihn nicht gedrängt öfter zu kommen. Das war wunderbar.

Jetzt konnte er sich ganz auf sich selbst konzentrieren.

Beim Abschied am nächsten Morgen meinte sie nur, »ich hoffe, du bist nicht traurig, dass ich mich mit Oskar angefreundet habe. Besonders wo er auch in München wohnt, nur drei S-bahnhaltestellen entfernt. So kann ich ihn ohne Probleme besuchen, obwohl ich kein Auto besitze. Ich bin ja noch zu jung, um hier zu versauern.«

Sie hatte ja Recht, dachte er. Er hatte sie ganz fest gedrückt und war in sein Auto gestiegen. Dann bog er pfeifend aus ihrer kleinen Stichstraße auf die Hauptstraße ein.

Einmal die Woche würde er sie anrufen, beschloss er, und das reichte.

Peter hatte ein paar Tage Urlaub gehabt. Und damit das auch jeder bemerkte, hatte er sich bräunen lassen. Aber so langsam verblasste seine Urlaubsfarbe.

Sie war sowieso von der Sonnenbank. War ja klar, wenn er hinterher die ganze Zeit im Büro verbringen musste, dass sie so schnell verschwand, dachte er ärgerlich. Schade, er sah zwar auch normalerweise gut aus, aber leicht gebräunt war noch besser.

Er hatte sich gerade einen Kaffee am Automaten geholt, da leuchtete der Ruf Knopf auf seinem Schreibtisch auf.

Der Chef!

»Herr Berg, bitte kommen sie in mein Büro.«

Peter ließ den Kaffee stehen, zwinkerte kurz der Sekretärin zu und betrat das Chefzimmer.

Herr Müller, der Chef, thronte hinter seinem Bürotisch und sah ihm entgegen.

»Aha, Urlaub gut verbracht? Man sieht’s.«

Peter setzte sich auf den niedrigen Stuhl vor dem Schreibtisch, nickte und lächelte.

Herr Müller, kam direkt auf sein Anliegen zu sprechen. »Ich habe hier von Herrn Baumann einen sehr guten Bericht mit Vorschlägen über Verbesserungen in unserem Reparaturbetrieb bekommen. Er gefällt mir gut. Lesen sie es sich mal durch, ob wir davon etwas in die Praxis umsetzen können. Eine zweite Meinung ist immer gut.«

Er schob Peter ein paar Blätter zu.

Peter zuckte innerlich zusammen. Vorschläge von Felix? Davon wusste er ja gar nichts.

»Ach, ja«, er improvisierte und lächelte den Chef gewinnend an.

»Ich erinnere mich. Vor meinem Urlaub hatte ich das mit Felix besprochen«, log er.

»Ich dachte er würde auf meine Rückkehr warten und dann zusammen mit mir bei ihnen vorsprechen.

Ich kann’s mir aber noch mal durchlesen, falls er an meinem Vorschlag etwas verändert hat.«

Bevor der Chef die Blätter wieder an sich nehmen konnte, griff er hastig danach. »Sie wissen ja, wir machen das Meiste gemeinsam.« Er wurde noch nicht einmal rot.

»Ach«, meinte der Chef, »ich dachte, es wäre eine Arbeit von Herrn Baumann.«

Peter schüttelte nur den Kopf und eilte in sein Büro. Was hatte denn Felix so verzapft.

Er las den Text durch. Das war gar nicht schlecht. Hatte der Scheißkerl doch seine Abwesenheit ausgenutzt, um ihn beim Chef auszustechen.

Sein Blick blieb an einem Satz hängen. Eigentlich war das seine eigene Ausdrucksweise.

Oh, das würde er benutzen um Felix zu manipulieren und unter Druck zu setzen. Das schaffte er mit Leichtigkeit. Hatte er doch Übung darin.

Er wusste genau, wo er den Hebel ansetzen würde. Er durfte seinem Vetter nur keine Zeit lassen, zu überlegen. Mit seiner Stotterei, konnte er sowieso nicht schnell genug reagieren.

Er nahm diese eine Seite mit und eilte in Felix Büro, das nur zwei Räume weiter lag.

»Hey, wie kommst du dazu meine Ausdrucksweise zu übernehmen. Das ist ein Plagiat, sagte er vorwurfsvoll und schwenkte ein Blatt durch die Luft.

Felix löste seine Augen vom Computerbild und hob verwirrt den Kopf, als Peter ihm eine maschinengeschriebene Seite auf den Tisch klatschte. Was wollte der denn?

Schnell erkannte er seinen Bericht. Zwei Zeilen waren rot unterstrichen.

Ungläubig las der die Zeilen und wahrhaftig er hatte Peters Ausdrucksweise übernommen. Das war ihm gar nicht aufgefallen.

Überrascht schaute er zu Peter hoch, der ihn verärgert und vorwurfsvoll ansah und dann fortfuhr, »Du kommst jetzt sofort mit ins Büro vom Chef und sagst ihm, dass das von mir stammt«, verlangte er. Er riss ihm wieder das Blatt aus der Hand, zog ihn hoch und schob ihn Richtung Chefbüro.

Felix war vollständig verdattert.

Das Glück war Peter hold. Bevor Felix richtig Luft holen konnte, kam Herr Müller gerade den Flur entlang.

»Herr Müller, Felix wollte ihnen gerade beichten, dass ein Teil des Berichtes von mir ist. Er war nur zu ungeduldig zu warten, bis ich wieder zurück bin«, sprach Peter gleich den Chef an und blieb mit Felix vor ihm stehen, die Hand auf Felix Schulter, als wolle er ihn festhalten.

Felix, immer noch verwirrt, wollte gerade widersprechen, »aaber der Be-richt ist d-doch« …begann er.

Herr Müller unterbrach ihn gequält.

»Ist mir egal von wem er ist«, polterte er.

Diese Stotterei zerrte an seinen Nerven. Enttäuscht drehte er sich um, ging mit schnellen Schritten zum Aufzug und drückte energisch den Abwärtsknopf.

Während er auf den Aufzug wartete, drehte er sich noch einmal zu ihnen um, »dann unterschreiben sie nächstens den Bericht nicht alleine, sondern warten sie bis Herr Berg aus dem Urlaub zurück ist. Das ist unfair«, sagte er noch in Felix Richtung bevor sich die Aufzugstüren hinter ihm schlossen.

Felix war gar nicht mehr dazugekommen irgendetwas zu sagen.

Peter zerrte ihn hinter sich her zurück ins Büro und verbarg ein triumphierendes Grinsen hinter Felix Rücken. Hatte er doch gewusst, wie trottelig sein Vetter war.

Den Rest des Tages ärgerte Felix sich über sich selbst.

Zu Hause hatte er den Bericht im Computer gespeichert. Er sah seine Aufzeichnungen noch einmal in Ruhe durch. Genau zwei Sätze auf jeder Seite waren in Peters Stil geschrieben.

Aber da ging es doch gar nicht drum. Es war seine Idee! Er hatte die Verbesserungen ausgetüftelt! Er hatte sich darüber tagelang den Kopf zerbrochen! Es war seine Arbeit!

Und im Übrigen musste er sich unbedingt abgewöhnen Peter zu kopieren. Gleich morgen würde er sich Mut nehmen und die Sache bei Herrn Müller richtigstellen.

Am nächsten Tag meldete er sich tatsächlich im Sekretariat an.

Aber der Chef hatte keine Zeit. Erst einige Tage später konnte er vorsprechen, doch Herr Müller ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen.

»Eine Entschuldigung hinterher ist unnötig, und ihre Erklärung unglaubwürdig. Ich habe Herrn Berg die Leitung in dieser Angelegenheit übergeben. Er wird ihnen dann die nötigen Anweisungen zukommen lassen«, schnauzte er.

Er stand auf, und damit war er entlassen.

Wie ein geprügelter Hund schlich sich Felix aus dem Zimmer des Chefs.

Peter musste das richtigstellen. Peter musste ihm helfen; schließlich hatte der ihn ja auch hereingelegt, sagte er sich.

Es dauerte über eine Woche ehe sie sich bei einem Italiener, der gerade »in« war, treffen konnten, da Peter einen Außentermin für die Firma hatte. Das überließ Felix gerne seinem Vetter, da der sich besser ausdrücken konnte.

Während Felix gedankenvoll in seinen Spaghetti Carbonara herumstocherte, aß Peter mit Genuss sein Saltimbocca.

»Peter, ich wo-wollte d-dich b-bitten«, Peter wusste genau was sein Vetter wollte. Er dachte gar nicht daran, etwas zurechtzurücken. Schließlich genoss er seine neue Position viel zu sehr, und so beschloss er ihn sofort zu unterbrechen, am besten mit Vorwürfen, dachte er.

»Dauernd soll ich etwas für dich tun; kannst du nicht mal selber was entscheiden? Und solltest du die Geschichte mit deinem von mir abgeschriebenen Text meinen, dann rate ich dir lass es ruhen.«

Dann machte er eine wegwerfende Geste, »das ist doch schon uralt. Ich würde es an deiner Stelle nicht mehr aufwärmen.

Wenn du Pech hast, nimmt dir der Chef das sogar übel. Er hat sich entschieden mir die Sache zu übergeben, und was der Chef sagt, ist Gesetz. Davon abgesehen mit deiner Stotterei gehst du nicht nur mir auf die Nerven. Tu mal was dagegen. Ich hab es dir schon oft genug gesagt.«

Peter schluckte ungerührt seinen Bissen hinunter und spülte mit Lambrusco nach.

»Am besten hält man sich ruhig«, meinte er gönnerhaft.

Äußerst zufrieden wischte er sich seinen Mund mit der Serviette ab. Obwohl, eigentlich hatte er vorgehabt, Felix die Rechnung bezahlen zu lassen, aber das war dann doch im Moment zu viel.

Schade!

Felix saß wie erstarrt da. Er schluckte. Wieder war er in die Rolle des Schuldigen gedrückt worden. Es fühlte sich ungerecht an.

Nein, schlimmer, es fühlte sich falsch an. Er senkte seinen Kopf.

Ein Klos hatte sich in seinem Hals gebildet, er versuchte ihn herunterzuschlucken. Sollte das denn immer so weiter gehen?

Eine Zeitlang sagte er nichts, dann atmete er tief ein und aus.

Entschlossen schob er sein Kinn vor. Das durfte er sich nicht länger bieten lassen.

Peter begrüßte derweil einen Freund und merkte nichts von Felix Veränderung.

»Entscheide mal selber was«, hatte Peter gesagt, und tu mal was gegen das Stottern, und das würde er auch tun, dachte Felix wütend und entschlossen.

Ein paar Tage später ließ er sich einen Termin beim Arzt geben.

Und nach einem intensiven Gespräch mit ihm, ging er mit zwei Adressen in der Tasche nach Hause. Die eines Psychotherapeuten und eines Logopäden.

Er entschloss sich es erst mal mit dem Logopäden zu versuchen.

Es war eine Logopädin, die ihn schließlich betreute und die ihm unter anderem riet auch den Psychotherapeuten so schnell wie möglich zu kontaktieren, dann könnten sie sich zeitgleich gegenseitig ergänzen.

Beim Psychotherapeuten dauerte das Gespräch fast eine Stunde.

Er ermunterte Felix im Laufe der Therapie sich zu erinnern wann er angefangen hatte zu stottern, und es stellte sich heraus, dass Felix eigentlich erst seit er sehr engen schulischen Kontakt zu seinem Vetter hatte, angefangen hatte zu stottern, denn in der Grundschule hatte er seines Wissens nicht daran gelitten, sonst hätten die Mitschüler ihn bestimmt gemobbt, und das war nicht der Fall gewesen. Sicher er war immer ein schüchterner Junge, aber das hatte damals nichts an seinem Sprechen ausgemacht.

Erst als er zusammen mit Peter auf das Gymnasium der Stadt ging, fing es wohl an.

Obwohl er immer der bessere Schüler war, verstand Peter es alles was Felix machte schlecht zu reden.

»Du bist ein fürchterlicher Streber; ein Duckmäuser, ein Muttersöhnchen. Beim Sport siehst du bescheuert aus. Er nannte ihn einen Feigling«, nur weil er jedem Streit aus dem Wege ging.

Peter machte ihn auch vor den Schulkameraden schlecht, sodass sie sich von ihm zurückzogen und er nur noch Peter als Ansprechpartner hatte.

Er erinnerte sich, dass er versucht hatte mit seiner Mutter darüber zu sprechen, aber die meinte nur, »Vertragt euch. Schließlich seid ihr verwandt.«

Als er das erste Mal vor Verlegenheit die Worte nicht schnell genug herausbrachte, grölte Peter laut, »jetzt stotterst du auch noch«, und alle grinsten.

Es galt also zusätzlich zu seinen logopädischen Übungen auch sein Selbstbewusstsein zu stärken, stellte der Therapeut fest Und das würde nicht von heute auf morgen gehen.

Wie von Felix gewünscht kontaktierte der Psychotherapeut die Logopädin, und beide einigten sich auf einen gemeinsamen Therapieplan, der damit endete, dass Felix sich langsam von Peter und seiner Umgebung lösen sollte.

Je einmal in der Woche ging er jetzt zu den Therapiestunden.

Mit Feuereifer befolgte er die Anweisungen, ganz besonders die der Logopädin, die auch noch eine attraktive Frau war.

Er lernte erst einmal tief einzuatmen, bevor er etwas sagen wollte, und dann langsam und konzentriert die Worte zu sprechen.

»Besser langsam, als stottern«, mahnte die Logopädin.

Außerdem machte sie mit ihm Atemgymnastik und schlug ihm nach einiger Zeit vor sich in einem Fitnessstudio anzumelden, um seinen Brustkorb zu stärken und dadurch sein Atemvolumen zu erweitern. Zudem meinte sie mit feingezupfter, hochgezogener Augenbraue, würde er sich schrecklich krumm halten, und auch das würde die Atmung und damit die Sprache behindern.

Auch den Psychotherapeuten besuchte er einmal die Woche.

Das würde er aber niemandem erzählen.

Im Internet suchte er sich ein Fitnessstudio in der Nähe seines Arbeitsplatzes heraus; dann konnte er direkt nach der Arbeit dorthin gehen, ohne Zeit zu verlieren. Denn manchmal musste er länger arbeiten, wenn er mit Peter eine gemeinsame Aufgabe zu lösen hatte, und der mal wieder hinterherhinkte.

Bei einigen Aufträgen arbeiteten sie als Team zusammen, obwohl sie getrennte Büros hatten. Und wenn etwas zeitlich nicht klappte, konnte Peter sich wunderbar herausreden, während er selbst mit seiner Stotterei jedes Mal als Schuldiger dastand.

Am nächsten Tag, er stand gerade nachdenklich vor dem großen Fenster seines Büros und schaute hinunter auf die stark befahrene Straße, erinnerte er sich wieder an seinen Vorsatz. Jetzt im Spätnachmittag, reihten sich Auto an Auto, die Rushhour war im vollen Gang. Auch er hatte Feierabend und er entschloss sich sofort zum ausgesuchten Fitnessstudio zu fahren. Er musste unbedingt den Ratschlag der Logopädin wahrnehmen und sich in dem Studio anmelden, sagte er sich.

Also stand er eine Stunde später an der Anmeldung des Fitnessstudios. Das Studio lag im ersten Stock eines Bürogebäudes. Plakate mit Muskelmännern an den Wänden warben für Energydrinks. Die Rezeption bestückt mit hohen Hockern und Regalen aus weißem Kunststoff auf denen Eiweißdrinks standen, ließen Felix eher an eine Bar als an eine Muckibude denken.

Aus den hinteren Räumen hörte man das Klicken der Arm- und Beinstrecker und das Surren der Laufbänder. Im Nachbarraum gab es eine Menge Spinde, und zwei Männer mit Handtüchern über den Schultern schoben lachend ihre Sporttaschen in die Boxen.

Der Inhaber des Studios nahm Felix Personalien auf.

»Was hast du dir denn so vorgestellt«, fragte er.

Felix starrte ihn an und ihm wurde klar, er hatte sich noch gar keine Gedanken gemacht.

»Gar nichts M-meine L-logo-p-pädin meinte …«, langsam und deutlich ermahnte er sich selbst. Und endlich kam Logopädin glatt heraus. Er machte eine kurze Pause, froh, dass er dieses schwierige Wort beim dritten Mal ohne Probleme herausgebracht hatte, »m-meint ich soll m-meinen Brustkorb (kleine Pause) erweitern, w-wegen der A-Atemluft.«

Der braungebrannte, muskelbepackte Trainer sah ihn abschätzend von oben bis unten an.

»Halt dich mal grade.« Dann bekam Felix einen Schlag in den Rücken, dass er beinahe nach vorne gefallen wäre.

»Eingefallener Brustkorb, schmale Schultern, dünne Oberarme, Bauchansatz«, zählte der gnadenlos auf.

»Du hast das Training bitter nötig. Aber es ist noch mehr zu verbessern. Mit genügend Ausdauer kriegen wir das aber hin.

Soll ich dir einen Trainingsplan aufstellen?«

Felix nickte. »Klar«, sagte er nur und war mehr als deprimiert.

So hatte er sich selbst noch nie gesehen.

»OK, komm Donnerstagabend vorbei. dann sprechen wir alles durch. Wie ist deine Kondition?« Er sah wieder vom Anmeldeformular auf und blickte Felix fragend an.

Felix zögerte und zuckte dann mit den Achseln.

»Ich seh schon. Wir müssen ganz von unten anfangen. Mit einmal in der Woche ist nix. Wir müssen mindestens zwei- bis dreimal einplanen.«

Felix nickte ergeben. Er hatte sowieso nichts in der nächsten Zeit vor.

Der Trainer zwinkerte Felix jetzt aufmunternd zu. »Ich werde dich am Anfang persönlich betreuen«, bestimmte er und legte den Zettel mit seinen Notizen zur Seite.

Die Wartezeit bis Donnerstag kam Felix sehr lang vor. Normalerweise hätte er jetzt aus lauter Langeweile Peter angerufen und gefragt ob sie gemeinsam etwas unternehmen könnten, aber die Logopädin hatte ihn gebeten sich von Peter, wenn möglich, etwas fern zu halten und außerdem verbrachte der sowieso seine Tage mit einer neuen Eroberung.

Und dann kam endlich die erste Übungsstunde.

Tobi begrüßte ihn mit Handschlag. Sein Griff war so fest, dass Felix schmerzhaft die Augen zukniff, dann bekam er einen auffordernden Klaps auf die Schulter.

»Dann mal los«, sagte der Trainer und klatschte in die Hände, sodass Felix erneut zusammenzuckte.

Er kam sich so hilflos vor, wie das Kaninchen vor der Schlange.

Gemeinsam gingen sie einen langen, schmalen Flur entlang zu den Übungsräumen.

Es waren mehrere Räume, getrennt durch große Schiebetüren, die jetzt offenstanden. An den Wänden reihten sich die Übungsgeräte. Sie waren fast alle besetzt. Männer und Frauen in Jogginganzügen, T-Shirts oder in hochmodischem Outfit liefen auf Laufbändern, saßen auf den Ergometern oder stemmten stöhnend Gewichte. Vor ihm, an der gegenüberliegenden Wand trat ein junger Mann verbissen in die Pedalen seines Ergometers, Daneben unterhielt sich ein Pärchen und lachte. Es roch nach Schweiß und feuchten T-Shirts. Keiner schenkte ihm, dem Neuen, große Aufmerksamkeit.

Tobi führte ihn in einen kleineren Raum, in dem eine dicke Matte lag.

»OK, fangen wir erst mal mit Lockerungsübungen an. Und jetzt spreizen wir die Arme auseinander. Und einmal, und zweimal, und dreimal.«

Nach zwei Minuten war Felix groggy. Nach fünf Minuten ging sein Atem stoßweise, der Brustkorb hob und senkte sich wie ein Blasebalg.

Tobi runzelte ungläubig die Stirn.

»Oh, je, das ist ja schlimmer, als ich dachte. OK, konzentrieren wir uns erst mal aufs Ausdauertraining, bevor wir zum Krafttraining übergehen. Du rutscht wohl den ganzen Tag auf dem Bürostuhl herum«, meinte er missbilligend und schüttelte den Kopf.

Sie machten noch ein paar Übungen. Irgendwann wurde Felix hochrot, dann kalkweiß. Tobi brach das Training ab.