Neleferi I - Fran.Z.Iska W. - E-Book
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Neleferi I E-Book

Fran.Z.Iska W.

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Beschreibung

In der Zukunft unserer sich regenerierenden Erde, wo Städte unter schützenden Kuppeln liegen und der magische Rat das Gleichgewicht bewahrt, führt die nichtmagische Heilerin Neleferi ein geordnetes Leben. Doch als ein gewaltiges Unwetter die Kuppelstadt und deren Bewohner bedroht, überrascht Neleferi ein magischer Schub. Neleferi erhält die Möglichkeit, neue Wege einzuschlagen. Wird sie den Mut finden, sich dieser Herausforderung zu stellen? Gelingt es, die gefährdete Erde erneut zu stabilisieren? Doch nicht nur die Welt steht auf dem Spiel - auch Neleferis Herz wird auf die Probe gestellt und bringt ihr Liebesleben gehörig durcheinander. Begleite die 23-jährige Nele auf ihrer Reise zu sich selbst, während sie neue Freundschaften schließt und auf außergewöhnliche magische Wesen und bedeutende Charaktere trifft. Ein fantastisches Abenteuer voller Magie, Selbstfindung und Herzklopfen beginnt!

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Seitenzahl: 481

Veröffentlichungsjahr: 2025

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GLAUBE AN DIE MAGIE IN DIR.

WIDMUNG

Für meinen wundervollen Sohn Leopold, der mir gezeigt hat, was bedingungslose Liebe bedeutet.

Für meinen über alles geliebten Opa, der immer für mich da war und den ich mehr vermisse, als ich mir jemals hätte vorstellen können.

Für diejenigen, die ihren eigenen Wert nicht erkennen, aber die Welt mit ihrer großartigen Art bereichern.

Prolog

ICH ERWACHE IN VÖLLIGER Dunkelheit und die Panik erfasst mich. Ich versuche zu schreien, mich zu bewegen, aber ein plötzlicher stechender Schmerz in meiner Brust und in meinem Bein verhindert beides. Tränen laufen meine Wangen hinunter. Ich beginne, etwas zu erkennen. Eine Schuttschicht bedeckt meinen Körper. Laut schluchze ich auf. Es ist, als würde mir jemand ein Messer in den Brustkorb stoßen. Meine Lungen rebellieren wegen des vielen Staubes, der sich in meinen Augen, der Nase, meinem Rachenraum, aber auch in meiner Lunge abgesetzt hat.

Wo bin ich?

Was mache ich hier?

Ich versuche, meine Beine anzuziehen, doch etwas blockiert mein rechtes. Meine Augen gewöhnen sich ein wenig an die Dunkelheit und ich erkenne, dass ein schwerer Balken auf meinem Bein liegt und ein Aufstehen unmöglich werden lässt. Ich schluchze verzweifelt.

Wie bin ich hierhergekommen, wo ist hier und wer bin ich? Dieser Körper ist nicht meiner.

Ich schaffe es, meine schmerzenden Hände nach oben zu meinem Oberkörper zu bewegen und weiter zu meinem Kopf. Dieser schmerzt ebenfalls, und zusätzlich dröhnen meine Ohren geradezu. Etwas Nasses ist an meinem Haaransatz zu fassen und mir wird augenblicklich übel. Ich taste an meinem Gesicht entlang, das vor Dreck nur so strotzt. Jeden Millimeter erfühle ich krümeligen Schmutz.

Ich erkunde einen schlanken und langen Hals und einen Reißverschluss, der einem Trainingsanzug in Leder oder ähnlich weichem Material angehört.

Die Angst schnürt mir die Kehle zu. Außer einem unkontrollierten Schluchzen und einem Husten, die mir das Gefühl geben, meine Brust explodiere gleich, kommt mir kein Laut über die Lippen. Ich zwinge mich dazu, weiterzutasten und meine Finger fahren über einen harten Gegenstand unter dem weichen anschmiegsamen Material. Eine Kette! Ich ziehe an dem Reißverschluss, aber meine Finger zittern so stark, dass ich ihn nicht anständig greifen kann. Einmal atme ich tief ein, doch statt mich damit zu beruhigen, durchzuckt mich ein Schmerz, der mir die Sternchen vor die Augen treibt. Ich nestele weiter an dem metallischen Element herum, bis ich ihn endlich ordentlich zu fassen bekomme und hinunterziehe, sodass der Anzug ein wenig Haut und die Kette freigibt. Ich halte mir das goldene Metall vor mein Gesicht und schluchze noch lauter als vorher. Nicht wegen der Schmerzen und meiner Angst, sondern weil ich nun weiß, wer hier liegt, beziehungsweise vermutlich irgend- wann hier liegen wird, und der Gedanke daran ist unerträglich.

Ein Lichtblitz durchzuckt die Szenerie und ich sitze aufrecht in meinem Bett. Völlig durchgeschwitzt, wie ich feststelle, und die Wangen nass von den vielen Tränen, die nun auch nicht stoppen wollen.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Epilog

Kapitel 1

DER VERREGNETE MORGEN GLEICHT meiner Stimmung. Heute ist es wieder so weit, mein Magie-Check steht an. Ein letztes Mal. Unwahrscheinlich, dass sich das Ergebnis der letzten Jahre geändert hat. Die magische Energie, die ich aufbringen kann, ist gering. Seit ich 15 bin, werde ich jedes Jahr sorgfältig nach stärkeren magischen Fähigkeiten abgesucht. Es steckt Kraft in mir, nur leider keine spezifische Magieform, die ausgeprägt genug wäre, um die Erlaubnis für eine magische Ausbildung zu erhalten. Ein paar kleine Funken Magie, die ich für winzige Tätigkeiten nutzen kann, bevor mich eine bleierne Müdigkeit übermannt und ich völlig energielos einige Stunden meine Reserven auftanken muss.

Um nicht allein zu sein, treffe ich mich nach der Prüfung mit meiner Mutter und meiner Schwester Maren in der Stadt. Beide haben sich extra für mich freigenommen. Ein Lichtblick heute, der zweite hat in Form eines Zettels in meiner Küche gehangen.

»Ich liebe dich, Nele, egal in welcher Position!«, steht darauf geschrieben.

Diese Zweideutigkeit lässt mich grinsen und heitert meine trüben Gedanken ein wenig auf.

Der Regen nimmt ab und wechselt in ein leichtes Nieseln. Ich habe das Gefühl, dass es bald aufziehen wird. Ich liebe es, durch die regennassen Gassen mit seinen traditionellen Fachwerkhäusern zu wandern, die frische Herbstluft einzuatmen und meinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Die Prüfungen nehmen mich jedes Jahrstark mit, doch diesen Herbst findet diese Quälerei endlich ein Ende.

Der Anblick des hell gepflasterten Weges, die unzähligen Blumentöpfe an jeder Ecke, die kunstvoll wirkenden Efeu- und Blumenranken an allen Häusern stimmen mich ein wenig gnädiger. Es ist ein ganz schöner Marsch zur Haltestelle, aber an so einem Tag den Kopf etwas freizubekommen, ist nicht verkehrt. Ich biege noch einmal links ab und passiere einen Torbogen, der zur großen Verbindungsstraße mit der Straßenbahn führt.

Sie ist das einzig öffentliche Verkehrsmittel, das unsere Metropole besitzt. Ansonsten ist es nur möglich, mit dem Fahrrad durch die Stadt zu fahren, um an die anderen Enden zu gelangen, oder eben zu Fuß. Den Weg ins Stadtinnere mit der Bahn zunehmen, ist entspannt. Bis zum inneren Kreisverkehr fahre ich mit einer von den zwei Bahnen, die in unserer Stadt verkehren, und steige dort aus.

Mittlerweile ist das unbeständige Wetter Vergangenheit und die Sonne kämpft sich durch die restlichen Wolken durch. Ich blicke sehnsuchtsvoll zu dem dichten Park, dem Highlight unserer Stadt, der das Stadtinnere ausfüllt. Es wäre mir wesentlich lieber, dorthin zu gehen und mich an einen der Teiche zu setzen, statt meine Zeit mit dieser unsinnigen Prüfung zu verplempern.

Ich laufe zum Amt für Magie, welches nur wenige Meter von der Haltestelle entfernt liegt. Hier im Inneren der Stadt stehen die eindrucksvollen, großen Villen. Wenige befinden sich in Privatbesitz, der Großteil gehört der Stadt selbst. Sie beherbergen öffentliche Einrichtungen. Beispielsweise verschiedene Ämter, unser Rathaus und einige Ausbildungsschulen sowie einen großen Kindergarten.

Mit gemischten Gefühlen betrachte ich die herrschaftliche Villa im Fachwerkstil. Jedes Jahr aufs Neue stehe ich hier und hoffe auf die Entdeckung meiner magischen Fähigkeiten. Da sich die letzten Jahre nichts getan hat, bin ich ab dem nächsten Jahr davon befreit. Ein tiefer Seufzer entfährt mir. Einerseits würde ich so gerne mit meiner magiebegabten Familie mithalten können, andererseits bin ich froh, wenn die psychische Qual und die damit einhergehende ewige Enttäuschung wegfallen.

Die Türschwingt auf und ich betrete das Gebäude. Martin, der den Einlass kontrolliert, nickt mir mit einem kleinen aufmuntemden Lächeln zu. »Ich wünsche dir viel Glück, Nele«, sagt er und ich bedanke mich.

Meine Familie ist bekannt in dieser Stadt. Ein stark magiebegabter Stammbaum, der seit Generationen Mitglieder und Mitarbeiter für den Rat stellt, mit einer Nachfahrin, die nicht genug Magie wirken kann, um einen magischen Beruf auszuüben.

Ich trete in den dunklen Eingangsbereich und wende mich an den Schalter. Genau wie in den letzten Jahren sitzt dieselbe dickliche Dame mit dem strengen Dutt und der dicken Brille auf der Nase am Tresen. »Name und Anliegen?«, fragt Frau Marot und ich muss mich zusammenreißen, um nicht die Augen zu verdrehen.

»Neleferi Sandor, ich bin für meine Prüfung der Magie hier«, sage ich und versuche mich an einem freundlichen Lächeln, das, wie ich hoffe, nicht allzu gestellt aussieht und den Eindruck erweckt, man müsse mich bald einweisen.

Frau Marot ist zu meiner Zeit die Sekretärin meiner Schule gewesen und noch heute macht mich ihre kleinkarierte Genauigkeit wahnsinnig. Ich habe mir vorgenommen, höflich zu sein. Nicht, dass meine Eltern mal wieder bei ihr antanzen dürfen, um sich eine Beschwerde wegen meines »unmanierlichen Verhaltens« anhören zu müssen. Beim Gedanken daran schmunzle ich ein wenig. Mein Vater hat einst ihre Art am Essenstisch so perfekt imitiert, dass selbst meiner Mutter ein lautes Lachen herausgerutscht ist, während Maren und ich ungeniert gekichert haben, bis wir kaum noch Luft bekommen haben. Einer unserer seltenen gemeinsamen Abende, da meine Eltern viel für den Rat arbeiten.

»Ach ja, da habe ich Sie ja«, sagt sie, nachdem sie ihren Plan etwas zu lange abgesucht hat. »Neleferi Sandor, Prüfung der Magie, Zimmer 21, im ersten Stock. Folgen Sie mir bitte.«

Sie wuchtet sich aus ihrem für ihre Körpermaße zu klein geratenem Stuhl und kommt aus ihrem Zimmer heraus. Ohne nach mir zu sehen, läuft sie zum Fahrstuhl. Da ich ihre etwas herablassende Art schon kenne, schließe ich mich wortlos an und wir fahren einen Stock höher. Dort laufen wir einen dunklen Gang entlang, der mit Teppich ausgelegt ist. Vor einem Raum weist sie mir einen Stuhl zu, auf den ich mich setze. Frau Marot macht kehrt und verschwindet wieder im Fahrstuhl. Ich schüttle meinen Kopf und versuche, mich auf meine Prüfung zu konzentrieren. Ich atme tief durch und sammle meine Gedanken, da öffnet sich die Tür rechts von mir. Wie auch bei den letzten zwei Prüfungen tritt Herr Parnot, Abteilungsleiter für das Amt der Magie, heraus und lächelt mich an. Schütteres graues Haar ziert seinen schmalen Kopf.

»Frau Sandor, welche Freude, Sie erneut begrüßen zu dürfen.«

Ich trete mit einem zaghaften Lächeln in den Prüfungsraum. Ganz anders als der Flur, in dem ich eben noch gesessen bin, ist dieser Raum ein Wunder. Nach den Außenmaßen ist eine so große Fläche unmöglich, aber Magie lässt so manch Unmögliches wahr werden. Ich stehe in keinem Büro, wie zu vermuten wäre, sondern in einer Halle mit vielen Raumabtrennungen. Vor mir befindet sich ein Tisch, an dem sich die drei Prüfer platziert haben, und davor ein Stuhl für mich. Ich setze mich und begrüße die zwei Prüferinnen, die ich ebenfalls aus den vorherigen Jahren kenne. Mit erneutem Erstaunen stelle ich fest, dass die beiden keinen Tag gealtert sind. Sie sehen kaum älter als ich aus, was an ihrem Posten im Rat liegt. Sie altern seit fast 50 Jahren nicht. Trotz meines Wissens um diesen Umstand finde ich es dennoch bizarr. Ich kenne deren Aufgaben und Pflichten im Rat nicht, dies unterliegt einer strengen Geheimhaltung. Was ich weiß, ist, dass nur Magier mit herausragenden Fähigkeiten im Rat aufgenommen werden, weswegen sie in unserer Gesellschaft hoch angesehen sind. Kurz schweifen meine Gedanken zu meinen Eltern und ich denke darüber nach, wie eigenartig es doch wäre, würden beide nicht seit meiner Geburt wieder altern. Ich versuche mich wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren und richte meine Aufmerksamkeit auf die Fragen meiner Prüfer.

Habe es Anzeichen von Magie gegeben, habe sich seit der letzten Überprüfung etwas verändert? Ich kenne den kompletten Fragenkatalog auswendig und da ich alles verneinen kann, geht es ziemlich schnell. Die Prüfer scheinen auch nichts anderes zu erwarten, denn wir kommen schnell zu einem Ende.

Der nächste Test besteht aus einer Blutentnahme mit Überprüfung etwaiger magischer Fähigkeiten. Dazu werde ich in einen der abgetrennten Räume geschickt. Ich klopfe zaghaft an der weißen Tür an und bin etwas erstaunt, als ich sehe, wer die Tür öffnet.

»Noah, du bist hier!« Ich werfe mich in die Arme meines Freundes.

»Ja«, haucht er mir mit den Lippen an meinem Haar ins Ohr. »Ich dachte, an diesem Tag könntest du meine Unterstützung gut gebrauchen.«

Mein Herzhüpft vor Freude. Eine gelungene Überraschung.

»Danke!«, flüstere ich zurück und lasse ihn aus meiner Umarmung heraus. Ich werfe einen Blick zu den Prüfern zurück, diese sind jedoch in ein Gespräch vertieft oder tun zumindest so, als hätten sie nichts mitbekommen.

Weißgeflieste Wände und die weißen Möbel lassen den Raum steril wirken. Mein Blick fällt auf den Tisch neben der Behandlungsliege, auf dem das Gerät abgestellt ist, das einen Magier in seine Zukunft führt. Das Magie-Meter – ein Gerät, mit dem die magische Energie gemessen wird.

Noah deutet auf die Behandlungsliege. »Bist du bereit?«

Ich nicke, schaue Noah in seine schönen braunen Augen, die so gut zu seinem Bart und den ungebändigten, abstehenden Locken passen. Der weiße Kittel steht ihm ausgezeichnet und wenn ich ihn hier so vor mir sehe, kann ich mein Glück gar nicht fassen. Die miese Laune, die durch den Test heute heraufbeschworen worden ist, verfliegt nun komplett und ich kann Noah nur selten dümmlich verliebt anstarren, bevor ich mich auf die Liege setze.

Er holt das Protokoll vom Schreibtisch und legt es neben das Magie-Meter. Ich sehe, er hat alles vorausgefüllt.

Liebevoll streicht er mir durch mein Haar und lässt seine angenehm warme Hand auf meinem Oberarm liegen. »Mir ist bewusst, dass dir dieses Verfahren nicht neu ist, dennoch bin ich verpflichtet, dir einiges erneut zu erklären, um die Vorschriften zu wahren.« Er lächelt mich leicht entschuldigend an und fährt fort: »Ich klebe dir drei Messamplituden an die Stirn, an jede Schläfe eine und eine über die Nasenwurzel. An beiden Handgelenken bekommst du ein Armband. Wie du weißt, sind diese miteinander verbunden und strahlen leichte elektrische Impulse aus, die aber kaum bemerkbar sind. Währenddessen legst du deine Hand in den Magiemesser. Es gibt einen leichten Stich, wenn die Maschine Blut abnimmt.«

Er deutet auf das Magie-Meter, das mich stark an eine Lampe aus dunklem Metall erinnert. Der obere Teil sieht aus wie ein kleiner Lampenschirm, auf dessen Dach eine messingfarbene Phiole angebracht ist.

»Bist du über alles ausreichend informiert und einverstanden mit dem Eingriff, Nele?«

Ich nicke und binde meine langen dunklen Haare zu einem Pferdeschwanz hoch, damit er ohne Probleme die Elektroden anbringen kann. Die Verkabelung geht sehr schnell, man merkt, wie routiniert Noah in seinem Beruf ist. Auch als magischer Heiler kann er völlig ohne Magie jeden Handgriff tätigen und sehr selbstständig arbeiten.

Magische und nicht magische Heiler bilden Teams, so wie es bei Noah und mir der Fall gewesen ist nach meiner Ausbildung. Wir haben uns ineinander verliebt, habendie Zusammenarbeit beenden müssen und sind unterschiedlichen Teams zugeteilt worden.

Ich lege mich auf die Liege und Noah führt meine Hand in den unteren Teil des Energiemessers, wo ich sie entspannt platzieren kann. Noah nickt mir zu und in dem Moment spüre ich eine leichte Vibration an den Stellen, an denen die Elektroden kleben. Der Magiemesser gibt ein leises Surren von sich und ein Piks in meine Handinnenfläche lässt mich kurz zusammenzucken. Ich richte meine Augen auf das Gerät, das nun seinen dunklen Ton verliert. Der Schirm obendrauf wird durchsichtig, als wäre er aus Glas. Das Blut dreht sich wie ein Schleier im Wind nach oben und fangt an, in allen Farben zu leuchten. Von Rot über Violett geht es in ein dunkles Blau über und anschließend in ein sattes dunkles Grün, das mich an meine Augenfarbe erinnert. Es ändert noch einige Male seine Farbe und ich kann meinen Blick nicht davon abwenden. Es ist ein einmaliges Schauspiel, denn für gewöhnlich nimmt magisches Blut nur einen Farbton an und nicht wie bei mir so viele verschiedene. Bei Magielosen bleibt das Blut rot. In den letzten Jahren hat dieser Anblick viele Schaulustige angelockt, was mich immer gestört hat. Aus Höflichkeit habe ich den Wunsch der Leute allerdings nicht abschlagen wollen, ein solch seltenes Schauspiel bewundern zu dürfen.

Dieses Jahr ist niemand hier. Ich vermute, Noah und meine Eltern stecken dahinter. Ich bin erleichtert, dass Noah und ich unter uns sind. Es war mir unangenehm, wie ein Versuchskaninchen vorgeführt zu werden.

Vor meinen Augen tanzen Sterne, der Raum rückt in die Ferne. Helle Punkte bewegen sich schnell durch einen leichten Nebel, der mein Gesichtsfeld durchwandert. Ich nehme wahr, dass Noah etwas sagt, bin jedoch so auf das Gerät fokussiert und darauf, mich nicht zu übergeben, dass es nicht bei mir ankommt.

Ein tanzender bunter Schleier wandert den kompletten Schirm nach oben, bis er die Phiole erreicht hat. Ein blendend weißer Lichtblitz beendet das Schauspiel plötzlich. Der Schirm nimmt seine dunkelmetallene Farbe wieder an. Die Vibrationen der Elektroden stoppen, meine Augen sind von den tanzenden Punkten und dem Schleier befreit. Alles wirkt klar, ich fühle mich besser und ansprechbar.

Noah sieht mich besorgt an, aber ich winke nur ab und erzwinge ein Lächeln. »Alles in Ordnung, Noah. Nur dasselbe Gefühl wie in den letzten Jahren. Ist schon wieder vorbei und ich fühle mich ganz okay.«

Noahs nussbraune Augen beobachten mich und jede meiner Bewegungen genau. Er kennt mich gut und scheint nach wenigen Augenblicken überzeugt zu sein, dass ich wieder fit bin.

Er entfernt die Phiole vorsichtig vom Messgerät und legt sie sanft in eine mit schwarzem Samt ausgepolsterte kleine Metallschatulle. Das Schloss schnappt zu. Mittels Magie versiegelt mein Freund die Schatulle zusätzlich. Damit wird sichergestellt, dass keinerlei Missbrauch mit der Energie betrieben werden kann, völlig egal, wie wenig Macht ihr innewohnt.

Beim Anblick dieser unscheinbaren Phiole muss ich an eine der Geschichten denken, die mein Vater uns als Kinder erzählt hat, wenn wir ihn über seine Arbeit gelöchert haben. Die Schatullen würden an einem hochgesicherten Ort aufbewahrt werden. Sie würden in Schließfächer gesperrt werden, in einem hohen Turm, der innen einer Kathedrale gleiche. Gedanklich habe ich es mir ähnlich einer Bibliothek vorgestellt. Wie sonst wäre es möglich, die oberen Fächer zu erreichen – ohne eine Bibliotheksleiter? Darüber hat mein Vater geschmunzelt, aber es unserer Fantasie überlassen. Daraufhin haben wir ihm versprochen, keinem davon zu berichten.

Die Schatulle trägt Noah sofort zu einer Tür auf der gegenüberliegenden Seite, die zu den Laboren führt. Eine in weiß gekleidete Mitarbeiterin nimmt sie entgegen, bevor Noah wieder zu mir tritt. Die Elektroden habe ich mir bereits entfernt und mich derweil wieder aufgesetzt. Noah nimmt mich in den Arm. Sein Atemstreicht erneut an meinem Ohr entlang und nun kann ich mich auch etwas entspannen. Der Test ist abgeschlossen und ich muss ihn nie wieder machen. Körperliche Schmerzen verursacht er nicht, allerdings seelische, denn jedes Mal wieder an die kaum vorhandene Magie erinnert zu werden, ist alles andere als angenehm.

»Heute Abend koche ich uns was, du bekommst nach einer entspannenden Badewanne eine ausgiebige Massage und wir genießen, was auch immer sonst noch so kommt«, verspricht mir Noah und seine Worte lösen ein angenehmes Kribbeln in meinem Bauch aus. Ich grinse ihn an, während er sich von mir wegschiebt.

Ich bin erleichtert, das Amt wieder verlassen zu können. Wie erwartet ist das Ergebnisgleich dem der letzten Jahre. Keine Veränderung meines Magiepotenzials. Die Anlagen für viele verschiedene Arten der Magie sind da. Das ist sehr selten, jedoch ist keine davon stark genug, um sie ausreichend nutzen zu können. Das, was mir vorher klar gewesen ist, ist damit offiziell besiegelt worden. Mein Leben wird so weiterlaufen wie bisher, abgesehen von den jährlichen Tests, die nun enden. Ich werde meine Arbeit in der Klinik als NiMagi – nichtmagische Heilerin – fortsetzen.

Beim Heraustreten aus dem Gebäude atme ich erst einmal tief durch. Die Wolken haben sich vollends gelichtet und die Sonne vertreibt meine grüblerischen Gedanken. Ich sehe meine Mum und Maren am Ende der Treppe unterhalb des Gebäudeeingangs warten. Die beiden Rotschöpfe winken mir zu und mein Herz hüpft beim Anblick meiner lieben Familie.

Meine Mutter nimmt mich fest in den Arm, nachdem ich bei ihnen angekommen bin. »Denk nicht lange drüber nach, meine Kleine! Du bist so eine fantastische Heilerin und ein toller Mensch, wir sind stolz auf dich«, flüstert sie mir ins Ohr. »Wollen wir in den Park oder habt ihr vorher noch etwas zu erledigen? «, fragt sie daraufhin und sieht Maren und mich an.

»Park klingt hervorragend!«, rufen wir gleichzeitig und müssen lachen.

Kapitel 2

AN DER HALTESTELLE VERABSCHIEDE ich mich von meiner Familie. Ein wenig Ruhe tut mir sicher gut, immerhin waren wir einige Stunden unterwegs. Dazu steigt bei der Erinnerung an den versprochenen gemeinsamen Abend mit Noah meine Freude.

Ich laufe an den kleinen Häusern des Randbezirks entlang. Was ich im Laufe meiner Kindheit lieben gelernt habe, sind die großen Gärten der Einfamilienhäuser, die an den Wald anschließen. Die Innenstadt bietet Platz für viele Grünflächen und auch dort hat jedes Haus einen eigenen Garten, doch der Charme des Außenbezirks ist unübertroffen.

Ich betrachte den sich verdunkelnden Himmel. Schnelle Wetterwechsel habe ich in letzter Zeit öfter beobachtet. Der Nachmittag ist wolkenlos gewesen und für den späten Herbst fast schon zu warm. Nun muss ich mich beeilen, wenn ich noch im Trockenen heimkommen möchte. Die Kuppel, unter der wir leben, hat eine Schutzfunktion und lässt extremes Wetter nicht durch. Es gibt Regen und Sonne, wenig Wind, aber keine Stürme. Der starke Wind, der mir gerade jedoch um die Ohren weht, ist absolut ungewöhnlieh, genauso wie die massiven und dunkelgrauen, beinahe schwarzen Wolken, die zügig herangetragen werden. Ein Schauer durchfährt mich. Die gelbliche Verfärbung des Himmels, zusammen mit den dunklen Wolken, macht mir Angst. Der Weg nach Hause ist länger als zu meinem Elternhaus. Ich zögere nicht, sondern drehe um und mache mich mit schnellen Schritten auf den Weg zu Maren und meiner Mutter. Vielleicht hole ich die Zwei noch ein.

Dicke Tropfen beginnen herunterzuprasseln und so beschleunige ich mein Lauftempo. Die große Straße habe ich bereits passiert und biege in den Trampelpfad ab. Ich schnaufe wie eine Dampflok. Das schmerzhafte Seitenstechen lässt mich langsamer werden, jedoch wird in diesem Moment der dunkle Himmel von einem Lichtstrahl erhellt. Ich muss mich getäuscht haben, doch lange darüber nachdenken kann ich nicht, denn in diesem Augenblick ertönt ein Donnern, das mir durch Mark und Bein fährt. Vor lauter Schreck strauchle ich und falle hin. Ein Schmerz durchfährt mein rechtes Knie und meine beiden Hände, mit denen ich mit voller Wucht auf dem Kies aufgeschlagen bin. Der laute Donnerschlag ist verhallt, meine Adrenalinproduktion dagegen kommt gerade erst richtig in Wallung. Der Schmerz tritt in den Hintergrund und ich möchte so schnell wie möglich in Sicherheit sein. Es beginnt zu schütten und so schießt mir noch mehr Adrenalin durch den Körper. Ich rapple mich schnellstens wieder auf und haste weiter.

Ich sehe bereits das Haus meiner Eltern und meine Mutter kommt mir mit schreckgeweiteten Augen am Gartenzaun entgegen. »Nele, lauf schneller!«, schreit sie und meine Beine hören auf sie. Das Tempo, das diese an den Tag legen, bin ich gar nicht gewohnt. Meine Mum hält das Gartentor auf. Auch sie trieft vor lauter Wasser.

Dieser bis jetzt so kurze Regenguss kann bereits nicht ablaufen. Der Garten ist eine einzige Pfütze, genauso wie der Pfad, aufdem sich ebenfalls Wasser sammelt. Das Gartentor passiert, schlittern meine Mutter und ich durch die Pfützen und rennen gemeinsam zur Terrassentür und stürzen in die Küche. Maren schließt die Tür hinter uns und hält uns Handtücher hin.

»Wusstest du, dass ich zu euch laufe?«, frage ich japsend Maren, während sie mich mit ihren stechend hellblauen Augen mustert.

»Ja, ich hatte die Vision erst bei unserem Eintreffen zu Hause, wenige Sekunden vor dem großen Donner. Dass das Wetter so ausartet, war mir nicht bewusst. Die Vision war undeutlich, aber erschreckend.«

Sie wirkt schuldbewusst. So wie meine Schwester aussieht, hat auch sie das Wetter voll erwischt. Ihre roten langen Haare hat sie in einen Turban gewickelt, ihr nasses rot gepunktetes Kleid klebt noch an ihr. Ihre weiße Haut wirkt noch blasser als sonst, wenn dies überhaupt möglich ist. Sie wirkt regelrecht geschockt.

Ein weiterer Blitz erhellt durch die Terrassentür die komplette Küche und kurz darauf ertönt ein Donnern, das sich anhört, als würde die halbe Stadt abgerissen werden. Maren quietscht auf und meine Mutter zieht uns beide in ihre Arme. Das Küchenlicht flackert auf und erlischt dann völlig. Der helllichte Tag ist verschwunden, es ist, als wäre in kürzester Zeit die Nacht hereingebrochen, obwohl es erst nachmittags ist.

Meine Mutter formt ihre zarten Hände in Form eines Balles und blaues Licht tritt aus ihnen heraus. Ich höre das Poltern eines Wohnzimmerschranks und wenige Sekunden später fliegen Kerzen herein, die sich im Raum verteilen und selbst entzünden, nachdem sie ihren Platz gefunden haben.

Maren nimmt meine Hände und dreht sie um. »Du bist verletzt, Nele, überall ist Blut und Dreck an deinen Handflächen.« Erst jetzt blicke ich das erste Mal auf meine Verletzung.

Mein Atem hat sich ein wenig beruhigt. Das Seitenstechen hat meine Schmerzrezeptoren beschäftigt, sobald ich allerdings die Schürfwunden betrachte, fällt mir ein pochender Schmerz auf. Nicht nur dort, denn nun brennt auch mein rechtes Knie. Ich werfe schnell ein Handtuch über meine tropfenden Haare und wende mich an das Waschbecken, an dem ich die kleinen Steinchen und den Schmutz abwasche. Das Wasser regt den Blutfluss an und das Blut rinnt wie kleine Bäche an der Innenfläche entlang.

Meine Mum tritt neben mich. »Gib mir deine Hände«, sagt sie und ich lege sie mit den Handflächen nach oben in ihre.

Ein blauer Schimmer erscheint, Wärme durchflutet meine Hände und das Blut verkrustet die Haut. Die Abschürfungen verschließen sich. Nicht komplett, aber so, dass es in wenigen Tagen komplett verheilt sein sollte.

Ich schäle mich aus meinen triefnassen Klamotten und meine Schwester ist so nett, mir diese abzunehmen, nachdem sie mir ein weiteres Handtuch und einen Waschlappen in die Hand gedrückt hat. Ich wasche mit dem Lappen mein rechtes Knie ab, das genauso zugerichtet wie meine Hände aussieht. Meine Mum heilt auch am Knie das Gröbste.

»Ich lasse dir eine Badewanne ein, Nele«, sagt Maren, nachdem sie wieder in den Raum getreten ist und mir ein frisches Shirt gereicht hat. »Leider kommt kein heißes Wasser aus der Leitung. Könntest du es magisch erhitzen, Mama?« Sie selbst hat sich ihrer nassen Klamotten entledigt und diese gegen Shirt und Schlabberhose getauscht. Ein seltener Anblick bei meiner Schwester. Ich ziehe mir das Shirt an, das mir Maren mitgebracht hat. Es ist ein wenig eng, obwohl es eines der Weiteren aus ihrem Kleiderschrank ist.

»So etwas habe ich noch nie erlebt. Ich vermute, das Gewitter hat unser Energienetz gestört und außer Kraft gesetzt«, kommt es von meiner Mutter, der ebenfalls der Schrecken in das Gesicht geschrieben steht.

Die Blitze und die Donnerschläge scheinen weniger intensiv zu sein, zumindest zucken wir nicht mehr bei jedem lauten Knall zusammen, bis eine Stille einkehrt, die mir eine Gänsehaut bereitet. Dieses diffuse Licht, das beim Blick aus dem Fenster zu erkennen ist, ist unheimlich. Der gelbliche Schimmer tritt verstärkt in Erscheinung. Kein Windhauch ist mehr in den Bäumen und Sträuchern zu erkennen.

Mit einem Mal beginnt ein lautes Tosen. Maren und meine Mutter treten zu mir ans Fenster. Kein Wort kommt uns über die Lippen, wir starren nach draußen. Hagelkörner, so groß wie die Glasmurmeln, mit denen wir als Kinder so gerne gespielt haben, fallen vom Himmel. Ein Prasseln ist über unseren Köpfen zu vernehmen. Die Hagelkörner werden immer größer. Was ist heute nur los? Erst ein Gewitter und anschließend ein Hagelschauer. Noch nie hat es so etwas unter unserer schützenden Kuppel gegeben.

Ich sehe zu Maren. Tränen laufen ihr über die Wangen. Ihre geliebten Pflanzen im Garten. Wir haben in den letzten Wochen einiges abgeerntet. Die letzten Heilpflanzen jedoch, die wir stehen gelassen haben und in nächster Zeit ernten wollten, bevor der Winter einbricht, hat es voll erwischt. Ich bin fassungslos. Maren lehnt sich an meine Schulter und ich lege den Arm um sie. »O Mare, das ist schrecklich ... Sobald das Wetter stabiler wirkt, gehen wir hinaus und sehen, was noch zu retten ist. Pflanzen sind sehr robust und können sich wieder erholen.«

Meine Gedanken kreisen nicht nur um unsere geliebten Pflanzen. Ich mache mir auch große Sorgen um die vielen Menschen und Tiere, die durch dieses unvorhergesehene Ereignis vielleicht verletzt worden sind.

Der Hagelschauer hört so plötzlich auf, wie er begonnen hat.

Wir drei sprinten nach draußen, um uns den immensen Schaden näher anzusehen.

Der Anblick ist schrecklich.

Viele unserer Pflanzen sind völlig zerstört. Bienen liegen unter den Blumen begraben, und was mich persönlich sehr bestürzt, sind die unzähligen wunderschönen Schmetterlinge, die ein grausames Ende gefunden haben. Überall liegen sie zerstreut. Zerfetzte Flügel, begraben unter Blättern oder ertrunken in den kaum abfließenden kleinen Seen, die sich auf dem Rasen, in den Beeten und sogar auf dem Fußweg gebildet haben. Meine geliebten Schmetterlinge. Jedes Jahr freue ich mich aufs Neue, wenn mit Beginn der Frühlingszeit die ersten in unserem reich bepflanzten Garten auftauchen. Das ganze Jahr über tummeln sie sich hier in ihren wundervollen Farben. Heute haben ihnen das Wetter und unser Garten den Tod eingebracht.

Maren setzt sich auf den wasserbedeckten Boden.

Völlig ungläubig versammeln sich in den Nachbarhäusern Menschen in ihren Gärten. Ich realisiere, dass ich lediglich meine Unterwäsche und ein T-Shirt trage, aber es ist mir im Moment egal. Ich stehe barfuß im überfluteten Rasen direkt vor einem unserer Blumenbeete. Von hier aus begutachte ich meine Gundelrebe, bevor ich neben Maren niederknie. Die Pflanze ist ziemlich zugerichtet. Wenn ich Glück habe, reichen die nächsten Wochen noch aus, damit sie wenigstens etwas nachwachsen kann, es sei denn, sie geht völlig ein. Mir wird wahnsinnig kalt. Ich nehme eines der Kügelchen, die noch vor wenigen Minuten vom Himmel gestürzt sind, in die Hand, drehe es hin und her, während es zügig schmilzt. So eine Zerstörung von so einem kleinen Teil.

Maren zittert.

»Ziehen wir uns kurz um. Du holst dir den Tod«, sage ich.

Sie schüttelt nur traurig ihren Kopf. Unsere Mutter tritt hinter uns. Sie ist ebenfalls klitschnass vom Warten am Gartentor.

»Mama, du solltest dich auch umziehen. Ihr zwei holt euch eine Lungenentzündung!«

Meine Mutter stimmt mir zu, aber da Maren keine Anstalten macht aufzustehen, legt sie dieser die Hand auf die Schultern. Ein blaues Licht tanzt aus ihren zarten Händen und umfangt Maren und meine Mutter für wenige Sekunden. Beide hören augenblicklich auf zu zittern. Die Kleidung ist trocken, bis auf Marens Hose, mit der sie weiterhin auf dem nassen Boden sitzt. Diese zieht sich sofort wieder mit Wasser voll.

Meine Mutter reicht mir die Hände und vollführt denselben Zauber. Eine angenehme Hitze fließt durch mich durch und erwärmt mich vollends, sogar meine Haare trocknen augenblicklich. Was für ein wundervoller Zauber.

Wie gerne würde ich diesen auch beherrschen, doch leider ist dieser für mich keine Option mit der wenigen Magie. Bei meiner Mutter ist die Heilmagie stark ausgeprägt, weswegen sie dem Rat als Mitarbeiterin zugeteilt worden ist, vor vielen Jahrzehnten.

»Ich gehe mir etwas überziehen«, sage ich und bin dabei, mich Richtung Terrassentür zu drehen, da hält mir Maren etwas entgegen.

In ihrer Handfläche liegt ein Schmetterling, ein Tagpfauenauge. Meine liebsten Schmetterlinge! Völlig durchnässt und im ersten Moment meine ich, er hätte nicht überlebt, doch plötzlich sehe ich, warum Maren ihn hochgehoben hat. Kaum merklich zucken seine filigranen Fühler. Ich gehe erneut in die Knie und nehme ihn ihr ab. In meinen ineinander gefalteten Handinnenflächen liegt er und die Energie, die ihm innewohnt, wird weniger. Pfauenaugen sind magische Wesen, weswegen ich ihre Energie wahrnehmen kann, so wie ich bei allen magisch veranlagten Lebewesen die Aura erkenne. Nicht ausreichend für eine magische Ausbildung, jedoch überhaupt eine magische Fähigkeit, über die ich ein wenig verfüge. Die schwindende Kraft des kleinen hübschen Schmetterlings macht mich traurig.

Der Schreck scheint sich nun zu entladen, denn mir rinnen die Tränen an meinen Wangen entlang. Das pinkgoldene Licht, das dieses wunderschöne Lebewesen umrahmt, wird blasser. Ich atme tief durch und schließe die Augen. Ich stelle mir den Schmetterling vor, wie er an einem sonnendurchfluteten Tag von einer Blume zur nächsten fliegt. Etwas auf meiner Handinnenfläche kitzelt und ich öffne die Augen. Der Schmetterling bewegt sich. Ein kurzes Aufflattern und er sitzt auf meinem rechten Zeigefinger. Ungläubig sehe ich mich um. Maren lächelt mir zu und meine Mutter sieht mich mit großen Augen an.

Sie findet als Erste ihre Worte wieder: »Nele, du hast ihn geheilt.« Voller Ehrfurcht flüstert sie fast.

Ein unbekanntes Gefühl macht sich in mir breit. Schrecken, so etwas Unmögliches geschafft zu haben, aber auch ein unbändiges Glücksgefühl. Bevor ich weiter darüber nachdenken kann, überkommen mich eine bleierne Schwere und Müdigkeit, die meinen Körper heimsuchen. Heilende Magie habe ich noch nie verwenden können, doch es muss von mir gekommen sein, denn die Aura des Schmetterlings weist weiterhin diesen pink-goldenen Schimmer auf mit einem leichten grünen Glanz.

Ich kenne das Aussehen meiner geringen Magie sehr gut. Gold-dunkelgrün schimmernd.

Die Flügel des Schmetterlings sind durchnässt, weswegen er ruhig sitzen bleibt.

Mir wird etwas schwindelig, ich habe wohl ein wenig zu viel meiner eigenen Energie für die Heilung verwendet. Meiner Mutter entgeht mein Straucheln nicht und so packt sie mich unter einem Arm und führt mich ins Haus, zu einem Stuhl in der Küche. So zierlich, wie sie aussieht, kann man kaum vermuten, wie viel Kraft dennoch in ihr steckt.

Der Schmetterling rührt sich kein bisschen, während ich einen Tee trinke. Meine Mutter ist in der Küche geblieben, auch Maren hat sich zu uns gesellt, nachdem sie gemerkt hat, dass sie der Natur freien Lauf lassen muss. Das Wasser auf den Rasenflächen ist langsam vollständig abgesickert und selbst die Pfützen auf dem Weg zum Haus haben sich einen Ablauf ins Erdreich gesucht. Die Sonne ist mittlerweile wieder herausgekommen und nur die vielen beschädigten Pflanzen deuten auf ein Unwetter hin.

Ich bin völlig durcheinander. Wie ist die Heilung möglich gewesen?

Kapitel 3

DER KRISTALL AN MEINER Halskette schimmert bläulich. Ich berühre den Stein und Noahs Gesicht erscheint als Projektion über dem Küchentisch.

»Nele, hey, ist alles gut bei dir?« Sorge spiegelt sich in seiner Stimme und seinem Gesichtsausdruck wider. Die kleine Falte auf seiner Stirn verstärkt sich.

»Ja, bei uns ist alles gut, und bei dir? Bist du im Krankenhaus?«, antworte ich und mustere ihn so, wie er es eben mit mir gemacht hat. Doch statt mir zu antworten, begrüßt mein Freund meine Mutter und Schwester, die er hinter mir entdeckt hat.

»Ist viel los im Krankenhaus, sind viele Opfer reingekommen?«, fragt meine Mutter, was auch meine nächste Frage gewesen wäre.

Noah nickt. »Wir sind gut beschäftigt, trotzdem hatten wir großes Glück. Bis auf einige Beulen, kleinere Platzwunden und einige Schnittwunden ist wenig passiert. Ich vermute, es benötigt mehr Zeit, den Schock zu verarbeiten, als die Wunden heilen zu lassen.« Er lässt seinen Blick wieder über meinen Körper wandern und bleibt bei dem Schmetterling in meiner Hand hängen. Über seinen fragenden Blick muss ich leicht schmunzeln, was die Furche auf seiner Stirn nur verstärkt.

»Noah, ehrlich, es ist alles gut. Ich war auf dem Weg nach Hause, als das Unwetter losging. Ich habe kehrtgemacht und bin zu meiner Familie gelaufen. Dabei bin ich allerdings gestürzt. Mich hat der Donner ziemlich erschreckt und ich bin über meine eigenen Füße gestolpert. Du kennst ja meinen sportlichen Enthusiasmus.« Ich grinse ihn an, was seinen Blick etwas milder stimmt. »Meine Mum hat mich verarztet, es tut schon nicht mehr weh.« Mit einem Blick auf den Schmetterling rede ich weiter: »Dieser kleine Kerl hier war unter den Blumen begraben. Ich habe ihn geheilt und seitdem sitzt er auf meiner Hand und rührt sich keinen Meter. Würde er nicht ab und an seine Flügel bewegen, würde ich meinen, er sei doch gestorben.«

»Wie, du hast ihn geheilt?«, fragt er ungläubig und blickt hilfesuchend zu meiner Mutter und Maren. Die beiden grinsen so sehr, dass ich das Gefühl habe, sie platzen gleich vor Stolz.

»Ich habe ihn mittels Magie geheilt«, sage ich erneut, was den fragenden Blick Noahs nicht verringert. »Ich weiß nicht, wie es zustande gekommen ist, aber es war definitiv meine Magie.«

Diese Aussage scheint ihn völlig aus dem Konzept zu bringen. »Nele, du weißt, wie unmöglich das ist. Das Testergebnis heute war eindeutig und ...«

Vielleicht ist es der schon fast bedrohlich wirkende Ausdruck auf dem Gesicht meiner Mutter, der ihn innehalten lässt. Wir haben noch nicht darüber geredet, aber sie waren genauso überzeugt von der Heilung des Schmetterlings durch meine Magie, sodass ich Noahs Skepsis gerade nicht vertrage.

»Maren und meine Mutter haben es gesehen, sie waren dabei, Noah! Keiner weiß, wie und warum, aber es ist nun mal so geschehen. Eventuell habe ich alle Reserven zusammengekratzt und ausnahmsweise ist ein kleines Wunder eingetreten. Es könnte doch sein, dass der Schmetterling ein so kleines Geschöpf ist, dass es mir deswegen gelungen ist«, rechtfertige ich mich.

Noah bleibt ruhig und scheint meine Worte zu überdenken. Ich habe mir die letzte Stunde den Kopf darüber zerbrochen. Heilmagie hat einen wesentlich größeren Energieschub nötig als die meisten anderen Magieformen. Noah weiß von meiner Fähigkeit, die Aura von Magiern und deren freigesetzte Energie zu sehen. Wenn ich behaupte, dass es sich um meine Magie handelt, sollte ihm klar sein, dass ich diese wahrgenommen habe.

Außenstehende wissen nichts von dieser bis dato unbekannten Fähigkeit. Die geringe Ausprägung der passiven Kraft reicht leider nicht, um eine magische Ausbildung beginnen zu dürfen. Dessen war ich mir immer bewusst, weswegen ich meine Auramagie bei den Tests nicht erwähnt habe. Meine Familie hat Kenntnis von diesem wenig ausgeprägten Talent und irgendwann habe ich auch bei Noah genügend Vertrauen gefasst, um ihm davon zu erzählen. Er ist total begeistert gewesen, statt, wie ich immer Angst gehabt hatte, sich darüber lustig zu machen. Wie ein Besessener hat er Informationen zu diesem Thema eingeholt. Das war schwerer als gedacht, da es über diese Art von magischer Fähigkeit kaum Daten gibt. Er hat gehofft, ich könne diese Magieform durch Wissen erweitern und damit einen Platz in der Magierriege einnehmen. Noah hat mir damit zwar keine Ausbildung im Magiebereich beschaffen können, aber er hat mich mit seiner Unterstützung glücklich gemacht.

Ich lande gedanklich wieder im Hier und Jetzt und sehe weiterhin meinen erschöpft wirkenden Freund an. Seine braunen Locken stehen heute noch zerzauster, als es sonst der Fall ist, vom Kopf weg. Seine Hornbrille sitzt leicht schief, was vermutlich daran liegt, dass er, während wir uns unterhalten, immer wieder über seine müden Augen streicht und die Brille dabei einseitig verrutscht. Diese Angewohnheit finde ich total süß und ich beobachte sie immer an ihm, wenn ermüde, total konzentriert oder beides gemeinsam ist.

»Wie geht es dir jetzt, Nele? Sind deine Kräfte aufgebraucht?«, fragt er.

»Ja, ich bin sehr erschöpft, aber meine Energie steigt wieder leicht an.«

»Das ist gut. Braucht ihr irgendetwas? Ist noch alles ganz bei euch zu Hause? «, fragt er weiter und ich bin wieder erstaunt, wie groß seine Sorgen um uns sind, obwohl er mit seiner Arbeit genug um die Ohren hat.

»Danke, Noah, es geht uns gut. Der Strom ist noch nicht wieder da, aber ich habe genügend Kerzen, um das Haus zu erhellen, sollte er bis abends nicht wiederkehren, und zwei Notfallenergiesteine sind vollständig geladen. Bis auf den Garten gab es keine offensichtlichen Schäden am Haus«, springt meine Mutter ein. »Ich vermute, du wirst länger arbeiten?«

»Ja, ich denke, das wird nötig sein. Es ist zwar Schlimmeres ausgeblieben, aber es staut sich noch einiges an und wer weiß, was in den nächsten zwei Stunden noch eintrudelt. Elaea ist auch hier, ich werde sie informieren, dass du nicht einspringen wirst«, sagt Noah und ich bekomme sofort ein schlechtes Gewissen.

Eigentlich hätte mir klar sein müssen, dass Elaea sofort ins Krankenhaus eilen würde, um in dieser Ausnahmesituation ihre Hilfe anzubieten. Wäre ich nicht so ausgelaugt, würde ich auch losstarten. Das muss nun aber warten, bis meine Reserven wieder aufgeladen sind. Das braucht einige Stunden und vor allem etwas Schlaf. »Tut mir leid, ich hätte gerne geholfen.«

»Das macht nichts, es ist ein Wunder, dass du nach deinem Test überhaupt noch Energie übrig hattest. Wir haben derweil genügend Helfer und werden das sicher auch ohne deine Hilfe heute schaffen. Ich werde ein paar Überstunden schieben und du schläfst bitte bei deiner Mutter. Ich kann nachher hier etwas schlafen, wenn es nötig ist. Ich komme dich morgen früh abholen«, sagt er und ich bin froh über seine Worte.

»Danke.«

Ich höre, wie jemand im Hintergrund nach ihm ruft. Entschuldigend sieht er mich an. »Ich muss los. Unser gemeinsamer Abend muss leider warten, aber dafür genießen wir den morgigen Tag umso mehr.« Damit beendet er unser Gespräch.

»Ich richte uns eine Kleinigkeit zum Essen her, nachdem ich dir dein Badewasser aufgewärmt habe«, sagt meine Mutter und marschiert in Richtung Badezimmer davon.

Maren hat sich erneut umgezogen. Sie setzt sich neben mich und hält ihren Finger an meinen. Der Schmetterling macht jedoch keine Anstalten, meinen Finger zu verlassen. Was für ein ulkiger kleiner Kerl.

»Ich denke, du hast dir einen Namen verdient«, sage ich und sehe ihn an. »Gandalf sollte doch ein passender Name sein.«

Meine Schwester lacht laut auf. Wir hatten in unserer Bücherei einen dicken dreiteiligen Wälzer aus der Zeit vor der Kuppel entdeckt. Dieses Buch war schon fast auseinandergefallen, jedoch hat unser Bibliothekar ein Herz für Bücher und hat es mittels Magie wieder vollständig zusammengesetzt, nachdem wir es ihm auf den Tresen gelegt hatten, um es uns auszuleihen. Es hat wieder wie neu ausgesehen. Ein Wiederherstellungszauber für Gegenstände. Nicht unähnlich der Heilenergie, aber nicht anwendbar bei Menschen. Maren ist von dem dicken Schinken genauso fasziniert gewesen wie ich. Wir haben jede Seite vom Herrn der Ringe gemeinsam gelesen und uns mit dem Vorlesen abgewechselt. Die Sprache ist schon etwas veraltet, zeitweise ein wenig langatmig, aber dennoch so fantastisch und fesselnd, dass wir es kaum aus den Händen legen wollten. Gandalf ist nach seinem vermeintlichen Tod wiedergekehrt und genau dasselbe Schicksal hat wohl auch unseren Schmetterling ereilt. Na ja, vielleicht in weniger dramatischer Szenerie, aber aus Größensicht eines Schmetterlings doch nicht zu unterschätzen, wie unglaublich diese Sturzflut und der anschließende Hagelschauer gewesen sein müssen.

»Ich finde Gandalf perfekt«, sagt Maren und dieser scheint zuzustimmen, denn er flattert die wenigen Zentimeter auf Marens Finger.

»Dann sind wir uns wohl einig«, sage ich erschöpft, aber glücklich und gehe ins Bad, um mich in der Badewanne etwas zu erholen.

Die anschließende Brotzeit ist größer ausgefallen als angekündigt und nun liege ich überfressen und müde in meinem alten Zimmer.

Plötzlich verschwimmen die Bücher in meinem Regal und ich blinzle, doch befinde mich bereits nicht mehr dort, sondern in einem großen Zimmer, das mir überhaupt nicht bekannt vorkommt. Ein Gefühl der Vertrautheit schleicht sich ein und ich erkenne einen Großteil meiner Bücher in den Bücherregalen, die das riesige Himmelbett umrunden, in dem ich nun liege. Ich staune. Die Regale reichen bis zur Decke und ersetzen den Vorhang. Wow, wie wunderschön! Diese Idee ist einfach genial. Ich schwinge mich aus dem Bett, bewege mich um die Regale herum und starre auf die gigantische Aussicht hinter der riesigen Fensterfront. Ich erblicke eine Grünfläche, die sich bis zu einem Waldstück erstreckt. Der Mischwald erstrahlt in den unterschiedlichsten Grüntönen und lässt mein Herz höherschlagen. Dahinter spitzen die Berge empor, eine ganze Bergkette zieht sich hin, so weit mein Auge reicht, und auf den Spitzen dieser Giganten liegt Schnee.

Ich richte meinen Blick wieder auf das Gelände unter mir und erkenne einen kleinen Bachlauf, der durch das grüne Gelände unterhalb meines Fensters entlangführt. Die Sonne lässt das Wasser glitzern.

Es klopft. Ich sage »herein«, doch es klopft erneut.

Ich schrecke auf und stelle fest, dass ich in meinem kleinen, aber gemütlichen Zimmer in meinem Elternhaus liege. Die Tür geht auf und mein Vater streckt seinen Kopf herein.

»Papa, was machst du denn hier?«, entfährt es mir und ich springe auf.

Ein breites Lächeln ziert das braun gebrannte und von einem Dreitagebart umrandete Gesicht meines Vaters. Ich springe ihm förmlich in die Arme und er dreht sich mit mir zweimal im Kreis. Unsere Begrüßung fällt schon immer so aus. Durch seine Arbeit für den Rat sehen wir uns sehr selten und die Freude ist deshalb immer riesig, wenn er nach Hause kommt.

»Der Rat hat uns über den Vorfall mit dem Wetter informiert und deine Mutter hat mir mitgeteilt, dass du einen kleinen neuen Freund hast.«

Erstaunt und ein wenig verwirrt blicke ich ihn an. »Neuer Freund?«, frage ich und nun fällt es mir wieder ein. »Gandalf!«, rufe ich und muss lachen. Ich bin noch etwas schlaftrunken und nicht ganz bei mir. Dieser Traum eben ist so real gewesen und dieser Ausblick so beeindruckend, dass mein Hirn wohl noch einige Minuten benötigt, um wieder im Hier und Jetzt zu landen. »Ja, da war hier wohl einiges los, wenn dich der Rat aus seinen Fängen lässt«, sage ich und umarme meinen Vater noch einmal ganz fest.

»Ich glaube nicht, dass dieses einmalige Ereignis, so toll es auch ist, etwas an dem Testergebnis ändern würde«, sagt mein Vater, während wir alle gemeinsam am Küchentisch sitzen.

Meine Mutter hat eine Flasche des guten Champagners geöffnet. Zur Feier des Tages, da Maren bald zur weiteren Ausbildung in das Hauptquartier des Rates ziehen wird, und um auf meinen Magieerfolg anzustoßen.

Unser Vater hat Maren die glückliche Nachricht heute überbracht. Eine Ehre, dem Rat zur Ausbildung zugeteilt zu werden. Eine weitere Generation unserer Familie tritt in den Dienst des Rats.

Es ist hinreißend, wie sie meinen Magieschub feiern, nur um mir das Gefühl zu geben, dass es etwas Besonderes gewesen ist. So handhabt meine Familie die Dinge. Auch die kleinsten Erfolge werden groß gefeiert und nichts wird klein geredet. Es ist ein außergewöhnlicher Erfolg und Punkt. Natürlich wird Marens Erfolg angemessen honoriert, aber da ihr es unangenehm wäre, allein im Rampenlicht zu stehen, muss nun auch ich mitmachen. Unsere Eltern kennen uns einfach viel zu gut, auch wenn unser Vater selten da ist. Die räumliche Trennung bedauert er sehr, aber sein Beruf ist einfach viel zu fordernd. Nicht umsonst ist es verboten, vor Ende der Amtslaufzeit Kinder zu bekommen. Anders bei meinen Eltern. Nachdem meine Mutter die Schwangerschaft mit mir entdeckt hatte, wurde der Alterungsprozess wieder eingesetzt. Es ist nicht möglich, ein Kind auszutragen, während der Körper nicht altern kann. Die beiden durften Mitarbeiter des Rates bleiben, auch wenn meine Mutter sich erst einmal ein paar Jahre für ihre Kinder aus ihrem Amt zurückzog. Unser Vater ließ sich seinen Wunsch, ebenfalls wieder zu altern, nicht ausreden.

Gerade kichert er wie ein kleines Kind. Gandalf sitzt nun auf einem kleinen Thronmitten auf unserem Esstisch. Auf dem Dachboden steht das Puppenschloss, das mein Großvater für uns Mädchen selbst geschnitzt hatte. Dad hat den Thron geholt, damit Gandalf, da er nicht mehr von meiner Seite weicht, am Esstisch mit Platz nehmen kann. Wie dieser Mann mit so viel Ernst ein so wichtiges Amt als Mitarbeiter für den Rat ausübt, ist mir manchmal ein Rätsel. Der Champagner hat ihm heute den Rest gegeben, er ist nur noch am Herumalbern. Sogar meiner Mutter ist das eiskalte Getränk in den Kopf gewandert. Sie überlegen nämlich gerade gemeinsam, ob sie ihm ein Bad bauen müssen, damit er duschen gehen kann. Maren und ich können uns vor Lachen allerdings auch kaum auf unseren Stühlen halten. Die ausgelassene Stimmung ist ansteckend.

Kapitel 4

ICH WACHE IM ZIMMER meiner Schwester auf. Das Sonnenlicht kitzelt mich in der Nase, denn die Vorhänge bleiben bei Maren immer offen. Sie hebt es, wenn die Sterne und der Mond in der Nacht zu sehen sind, weshalb ihr großes Bett direkt an einem der zwei Fenster im Zimmer steht. Wie immer ist Maren vor mir wach geworden, denn ihre Bettseite ist leer.

Nachdem ich mich im Bad frisch gemacht habe, gehe ich in mein altes Zimmer. Die Möbel, die ich nicht zu Noah mitgenommen habe, sind immer noch hier. Nach dem Tod von Noahs Eltern vor wenigen Jahren ist er allein im Elternhaus geblieben. Bei meinem Einzug bei ihm vor einem Jahr war das Haus fast vollständig eingerichtet. Meine Möbel waren da überflüssig.

Es ist schön, mein altes Zimmer zu betreten und mich trotz meines neuen Zuhauses auch hier immer willkommen zu fühlen. Einige meiner geliebten Bücher habe ich hiergelassen, wenige Klamotten und so ziemlich alles an Utensilien, um die Heilpflanzen aus unserem Garten zu verarbeiten. Mein alter Kleiderschrank bietet viel Platz für die ganzen Tiegel, Dosen, Pipetten, Fläschchen und kleinen Eimer. Ich wüsste bei Noah überhaupt nicht, wo ich noch alles unterbringen sollte. Das Haus ist wunderschön und für zwei Personen mehr als großzügig, aber um die Pflanzen zu verarbeiten, braucht es Platz, und den haben wir in meinem Elternhaus. Die Pflanzen wachsen immerhin auch hier im Garten dank der liebevollen Pflege meiner Schwester, die im Gegensatz zu mir ein absolutes Händchen dafür hat.

In den letzten Wochen haben Maren, meine Mum und ich sehr viel Zeit miteinander verbracht. Der Abschied fällt mir sehr schwer. Unseren Eltern wird sie regelmäßig über den Weg laufen, wenn diese arbeiten. Mich wird sie nur alle paar Monate besuchen können, wenn ihre neue Aufgabe sie nicht zu stark fordert. Ich als Außenstehende darf nicht wissen, wo sich der Ratsstandort befindet. Ich verdränge diese Gedanken und gehe die Treppe hinunter.

In der Küche trinken meine Mutter und meine Schwester Kaffee. Das Frühstück haben sie bereits auf den Esstisch gestellt. Auch für mich steht eine heiße Tasse bereit. Dafür liebe ich meine Familie! Sie wissen, wie wichtig dieses erste Getränk am Tag für mich ist. Auch wenn ich Tee liebe, das erste Getränk morgens muss ein starker Kaffee sein. Ich setze mich mit an den Tisch und genieße die Ruhe und meinen Muntermacher. Vor meinem ersten Schluck bin ich ungenießbar, weswegen mich hier keiner anspricht.

Nachdem meine erste Tasse leer geworden ist und meine Mutter mir die Kanne für weiteren Nachschub gereicht hat, beachte ich mein Gegenüber genauer.

Meine Schwester scheint etwas auf dem Herzen zu haben. Sie kräuselt ihre schmale und gerade Nase, sodass die Nasenflügel leicht beben. Ein typisches Zeichen bei ihr, dass sie etwas loswerden möchte. Ich hebe meine Augenbrauen leicht an und gebe ihr damit zu verstehen, dass ich nun bereit für ihre Worte bin.

Sie atmet hörbar aus und sagt in die Runde: »Heute Abend ist es so weit. Ich werde abgeholt.«

Für einen kurzen Moment kehrt das Schweigen zurück. Wir wussten, dass der Tag nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen würde, es geht mir dennoch zu schnell.

Maren lächelt mich an. »Freut euch für mich. Das ist ein so wichtiger und schöner Schritt in meinem Leben. Endlich darf ich meiner eigenen Zukunft entgegentreten und meinen Platz in der Gesellschaft mit einer wichtigen Position einnehmen.« Sie strahlt regelrecht vor Freude, was mich aufmuntert. Sie hat recht. Wir sollten uns freuen.

»Ich bin unglaublich stolz auf dich, kleine Schwester!«

Wir frühstücken in Ruhe und genießen die restliche gemeinsame Zeit als Familie in vollen Zügen. Als wir fertig sind, stelle ich fest, dass Marens Sachen bereits fertig gepackt im Flur stehen. Die wenige Kleidung und Habseligkeiten, an denen sie hängt, haben in zwei kleine Koffer gepasst. Im Gegensatz zu mir hat Maren wenig Kleidung. Mein Schrank quillt fast über und dennoch kann ich nie etwas Passendes finden. Maren dagegen ist minimalistisch, jedoch sieht sie immer engelsgleich aus, egal was sie trägt. Durch ihre zierliche Figur, gepaart mit den roten langen Haaren, den blauen Augen und der alabasterfarbenen Haut, könnte sie der ein oder anderen Göttin Konkurrenz machen.

Ich denke an Noah, den ich erst morgen auf der Arbeit treffen werde. Dort muss ich ihm dann von Marens weiterer Ausbildung für den Rat erzählen. Da Noah und ich nicht verheiratet sind, habe ich ihm bisher nichts verraten dürfen. Für gewöhnlich habe ich keinerlei Geheimnisse vor meinem Freund. Es ist mir schwergefallen, doch um den Rat und deren Mitarbeiter zu schützen, wird eine strikte Geheimhaltung verlangt. Erst nach Abreise erfahren die Außenstehenden von der Ehre, die der Person zuteil wird. Ratsmitglieder und deren Mitarbeiter sind sehr hoch angesehen in unserer Gesellschaft und es ist ein Privileg, ein Amt antreten zu dürfen.

Wir entschließen uns, einen letzten gemeinsamen Stadtbummel zu unternehmen. Wer weiß, wann Maren wieder dazu kommt, die Kuppelstadt zu besuchen. Trotz der Winterkälte und des gefallenen Schnees sind viele Fußgänger und Radfahrer unterwegs. Wir fahren mit der Bahn in das Stadtinnere und so habe ich Zeit, die Fachwerkhäuser zu betrachten. Der Randbezirk, in dem meine Eltern leben, ist durch kleinere Häuser und deren gemütliche Vorgärten gekennzeichnet. Je weiter man in den Innenbereich kommt, umso größer und imposanter werden die Gebäude. Ich sehe meine Schwester an und stelle erneut fest, wie zufrieden sie heute aussieht. Ein kleines Lächeln lässt ihre Mundwinkel nach oben wandern und mit ihren großen Augen beobachtet auch sie, wie die Stadt an uns vorbeizieht.

Ein kleiner Stich bohrt sich in mein Herz. Maren und ich sind gemeinsam hier aufgewachsen und nun zieht sie ohne mich weiter in eine völlig unbekannte Stadt. Normalerweise komme ich für meine Außeneinsätze raus aus der Kuppel, aber dass meine kleine Schwester nicht nur die schützende Kuppel, sondern die ganze Stadt hinter sich lässt, kommt erst heute bei mir an. Mit meinen neidangehauchten Gedanken fühle ich mich schlecht.

Maren wirkt glücklich und zufrieden, als wäre sie dort angekommen, wo sie seit langem hingehört. Ob sie schon länger von ihrer Aufgabe, die nun auf sie zukommt, gewusst hat? Meine Gedanken kreisen um die schweren Jahre, die meine Schwester aufgrund ihrer Gabe durchstehen musste. Ihre Kräfte sind in ganz jungen Jahren aufgetreten und haben ihren Alltag bestimmt. Viel früher als ihre Mitschüler musste sie sich schulen lassen, musste nächtliche Séancen abhalten und war angehalten, volle Disziplin zu erlernen, um ihre Kräfte in Schach zu halten. Die richtigen Zeitpunkte für Visionen zu bestimmen, um nicht in jeder unpassenden Situation davon überwältigt zu werden. Sie musste lernen, keine Geheimnisse zu verraten oder die Zukunft zu ändern. Sie hat es schwer gehabt und endlich hat sie die Möglichkeit, sich durch den Rat angemessen schulen zulassen und danach einen Platz als Mitarbeiterin des Rates einzunehmen. Vielleicht hat sie sogar die Möglichkeit, dem neuen Rat anzugehören.

Die Bahn hält an der Haltestelle im Kreisverkehr und meine Mutter reißt uns aus unseren Gedanken. »Hey, ihr zwei, aussteigen! Wir wollen doch nicht durch die ganze Stadt mit der Bahn fahren.« Ich sehe zu Maren, die den Schalk in ihren himmelblauen Augen zu tragen scheint. Sie grinst uns breit an. Den Ausdruck kenne ich bei ihr, wenn die großen Jahresfeste anstehen.

»Die Idee finde ich klasse! Erst das schöne Wetter nutzen, um noch in den Park zu gehen, und danach die ganze Stadt durchfahren«, sagt meine Schwester und blickt uns abwartend an.

Wir stimmen ihr zu und steigen aus, bevor die Bahn weiterfährt.

Die letzten Tage sind trist und nebelverhangen gewesen. Heute zeigt die Wintersonne ihre volle Kraft und lässt die kalte Luft angenehm erscheinen. Es wirkt, als wollte sich sogar die Sonne von Maren verabschieden.

Wir flanieren durch den Park und beobachten die Kinder, die gerade aus der Schule kommen. Die einen bauen Schneefiguren, die anderen beschäftigen sich mit einer Schneeballschlacht. Wir gehen weiter und können von unserem aktuellen Standpunkt aus, der leicht erhöht liegt, einen Blick auf den gepflasterten Marktplatz mit dem riesengroßen Brunnen in der Mitte werfen. Dieser ist der geografische Mittelpunkt unter der Kuppel. Von ihm aus sind große helle Steine in einer rechtsgewundenen Spirale über den gesamten Marktplatz angelegt. Den restlichen Boden zieren dunkle, kleinere Steine und bilden einen angenehmen Kontrast. Ich muss schmunzeln, als ich ein paar Kinder dabei beobachte, wie sie von einem zum nächsten hellen Stein hüpfen und versuchen keinen dunklen zu erwischen.

»Wie wir früher«, sage ich an Maren gewandt und mir kommt eine Idee. »Wer als Letztes am Maronenstand ist, muss zahlen«, rufe ich und renne auch schon lachend los.

Mein Vorsprung ist zu groß und ich erreiche als Erste die kleine Hütte mit dem Maronenverkauf. Meine Schwester folgt als Nächstes und als Letzte trifft meine Mutter ein. Da sie von uns dreien aber am besten Luft bekommt, vermute ich, dass sie sich mit Absicht etwas Zeit gelassen hat. Sie ist viel fitter als wir, da sie aufgrund ihrer Arbeit für den Rat sportlich sehr aktiv ist, genauso wie unser Vater.

Wir bestellen uns Maronen und Punsch und schlendern zu einer Bank vor dem Lebensbrunnen.

»Wusstet ihr, dass der Brunnen jahrelang aus war?«, fragt meine Mutter.

Wir schütteln unsere Köpfe und betrachten den sandsteingefertigten Brunnen genauer, während unsere Mum erzählt:

»Die Brunnen zu betreiben, benötigt viel Energie. Zu Beginn des Baus der Kuppelstadt, vor über 500 Jahren, war ein Großteil der Erde zerstört, viele Menschen waren gestorben und alle hatten ihr Zuhause verloren. Die Überlebenden flohen unter die Kuppeln, die auf verschiedenen Standorten der Erde errichtet wurden. Es war viel Energie und Arbeit nötig, um die Stadt darunter zu errichten.«

Schweigend betrachte ich die vielen Figuren und Wasserfontänen.

»Ein Jahrzehnt nach Beginn der Besiedlung der Kuppelstadt wurden die vier Elemente-Brunnen errichtet. Endlich feierte man das Überleben. Allerdings war es verpönt, sinnlos Magie zu verschwenden, und so wurden die Brunnen erst nicht in Betrieb genommen. Einige Bürger fanden es schade und begannen, kleine Anteile ihrer Magie zu spenden, um die Brunnen zum Laufen zu bringen. Das wird bis heute so gehandhabt, denn die Menschen sind dankbar für das Überleben und den Neubeginn.«

Stolz und Dankbarkeit durchfluten mich.

Da es noch hell ist, beschließen wir, mit der Bahn eine Runde durch die komplette Stadt zu fahren. Bewaffnet mit Sandwiches und Getränken warten wir an der Haltestelle. Auf einem großen Plakat wird für eine Ausstellung von Bildern anderer Orte geworben. Drei Städte sind von oben fotografiert worden. Fasziniert starre ich auf die Bilder.

Unsere Stadt, von oben die Form einer Triskele, ist unschwer zu erkennen. Alle drei Hauptstraßen verlaufen von ihrer Mitte aus schneckenförmig nach außen in ihren Randbezirk und von dort zurück ins Innere der Stadt, um sich in dem großen Kreisverkehr miteinander zu verbinden. Mir wird auf dem Bild bewusst, wie grün unsere Stadt doch ist. Trotz vieler Häuser und Bewohner dominiert das Grün durch Bäume, Wiesen und Parks.

Allerdings sind auch die zwei Vergleichsstädte interessant und nicht minder begrünt. Das eine Foto zeigt eine große Stadt mit vielen Hochhäusern, dennoch ist zwischen jedem Haus und an jedem Straßenblock, sogar auf den Dächern der Hochhäuser, alles bepflanzt und begrünt. Im Gegensatz zu unserer Stadt ist dieser Ort jedoch in keiner bestimmten Form angelegt. Das dritte Foto hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem unserer Stadt. Kleinere Wohneinheiten, viele Gärten, ein großer Park. SanFrista steht auf dem Schild über dem Bild und ein kleiner Stich durchfährt mein Herz.