Nemesis - und übt schon das Traurigsein - Konrad Meise - E-Book

Nemesis - und übt schon das Traurigsein E-Book

Konrad Meise

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Beschreibung

Die Frau, sie lebt in einer der üblichen Beziehungen, in einem gewöhnlichem Leben. Mit einem dominanten Ehemann, mit fordernden Kindern.

Der Alltag hat sie fest im Griff.

Die Träume zerstört, die Hoffnungen begraben.

Geblieben ist ein Dahinvegetieren in einer lieblosen und gleichgültigen Umgebung, die nur fordert und nichts gibt. Daran ändert auch das Neugeborene nichts.

Auch das Baby fordert nur.

Ihr Leben sollte doch eigentlich was ganz anderes sein. Wird sie in der Lage sein, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen? Wird sie den Absprung wagen oder die Kraft für einen Neuanfang finden?

Oder wird sie einfach - wie jeden Tag - das Traurigsein üben?

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Veröffentlichungsjahr: 2015

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Konrad Meise

Nemesis - und übt schon das Traurigsein

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Nemesis…und übt schon das Traurigsein

 

 

Konrad Meise

 

 

 

 

Nemesis - und übt schon das Tdaurigsein

 

 

Die Frau ist sehr verwundert

Die Frau ist sehr verwundert diesem Blick im Spiegel standzuhalten. Wenn auch nur für wenige Sekunden. Ihre eigenen Augen zu sehen, so schwarzumrändert und glasig. Schweißfeuchte Haarsträhnen kleben an der Stirn und Wange. Ein zitternder Finger berührt die blutleeren Lippen und zuckt sofort wieder ängstlich zurück. Die Frau will es nicht glauben, obwohl ein spürbares Beben durch ihren Körper rollt. Dann aber, so als wäre es das größtmöglicheUnglück, kommt ihr die Gewissheit zu leben, immer noch zu leben!

Den Blick nun von sich losreißend, schaut die Frau am Spiegel vorbei. Sie möchte einen Schrei aus der wunden Kehle stoßen, wobei sie ihre Augen schließt und nur keuchend durch den weit geöffneten Mund atmen kann. Während sie sich, ganz und gar abwesend, minutenlang die Hände wäscht, schaut die Frau wieder in den Spiegel, erkennt dort eine unheimliche Müdigkeit in ihren Augen. Kalt erfühlen die Hände das Waschbecken, auf das sie sich stützen, und das fast heiße Wasser schießt ungehindert direkt in den Ausguss.

Nun folgt das genaue Beschauen des bleichen Gesichts. Die langsam sich bewegenden Augen tasten die eingefallenen Konturen, im nach und nach blind werdenden Spiegel, ab. Wenig später bückt die Frau sich unsicher und ruckartig nach dem in Orange eingebundenen Tagebuch, das auf den feuchten Fliesen liegt, und hebt es auf. Behutsam, beinahe liebevoll glättet sie die Seiten und verwischt dabei an einigen Stellen die Schrift. Deutlich aber kann sie die letzte Eintragung entziffern. Stehend liest sie sich die wenigen Zeilen vor. Bei dem Wort ‚Abschied’ lacht die Frau laut auf. Erlösung, denkt sie, hätte es besser getroffen. Eine Erlösung aus dem Leben, in das sie mich gepresst haben. Das Geräusch des zerreißenden Papiers geht in ihrem hysterischen Lachen unter. Dann schaut die Frau, nichts erkennend, in den nun vollkommen blinden Spiegel und dreht automatisch die Wasserhähne zu.

 

 

Die drei nörgelnden Kinder schiebt sie beinahe ungeduldig zur Haustür hinein und wendet sich, indem sie die Tür wieder schließt, ihrer wartenden Freundin zu.

„Es war nett von dir, mir helfen zu wollen“, sagt die Frau leise und versucht ein mildes Lächeln. „Du hast es gut gemeint.“Die Frau lässt den Türgriff los, legt die Arme um die mitfühlende Freundin und küsst sie zärtlich auf die Wange.

„Es tut mir leid“, sagt Anne-Marie und küsst die Frau zurück.

„Sicher ergibt sich noch was.“Dann eilt sie zum Auto. Die Frau möchte etwas erwidern, aber die Haustür wird hart aufgestoßen und die Kinder zerren an ihrem Kleid. Die Freundinnen winken sich noch einmal zu, sehen sich wissend in die vertrauten Augen.Anne-Marie fährt los, während die Frau schon von den Jungs in die Küche gezogen wird. Sie deckt ihnen, in Gedanken versunken, den Abendbrottisch. Danach schlendert sie ins Wohnzimmer, holt sich ein Glas Sekt und kuschelt sich, sozusagen, in ihren Sessel. Stumpf blickt sie aus dem Fenster ohne wirklich etwas zu sehen, zu erkennen. Sie scheint eigentlich nur auf ihre wirren Gedanken zu schauen. Dabei möchte sie vergessen, was ihr mitgeteilt wurde, vergessen, dass es in den unbeteiligten Augen des Ehemannes ihre Schuld sein würde. Sie ist die Frau, sie muss auf so was aufpassen. Frauen werden schwanger, Männer nicht.

Die verwirrten Kinder stehen an der Tür und beobachten ihre reglose Mutter aufmerksam Sie haben dick belegte Brote in den butterverschmierten Händen und sind noch am Kauen, aber lautlos.

Die Frau bemerkt die Jungs erst als sie aufsteht, um sich die angebrochene Flasche von der Bar zu holen. Plötzlich hat sie ein schlechtes Gewissen, glaubt jedenfalls ein schlechtes Gewissen haben zu müssen und schaut schnell weg. Sie will diese sechs kleinen, aber unbarmherzigen Äugelein nicht wahrnehmen.

„Geht in die Küche, los!“ Dabei dreht sie sich zum Sessel und versucht Sicherheit und Härte in ihre Stimme zu legen. Obwohl sie ihre Söhne nun nicht mehr sehen kann, spürt sie deren Blicke hinter ihrem Rücken. Die Frau setzt sich, übt eine böse Miene und zeigt sie ihren Kindern. Die Buben grinsen erst sich gegenseitig an, dann ziellos durch den Raum. Und endlich schieben sie ab. Langsam, damit sie fühlen kann, dass weder ihre drohende Stimme noch ihr böser Blick sie vertreibt, sondern eher die zu befürchtende Strafe des Vaters, wenn sie der Mutter nicht gehorchen. Nur der Jüngste steht noch da. Als er sein Alleinsein bemerkt, folgt er quietschend seinen Brüdern. Erleichtert leert die Frau ihr Glas und schließt die brennenden Augen.

 

 

Die Dielen knarren leise, wenn die Mutter vom Tisch zum Holzofen wandert und zurück. Das kleine Mädchen hockt auf dem alten Sofa und kämmt die Haare ihrer neuen Puppe. Wann immer die Mutter sich nach ihr umschaut, lächeln sie sich an. Und manchmal kommt die Mutter und nimmt sie in die Arme und spielt für eine Minute oder zwei mit dem Mädchen. Aber meistens sitzt sie alleine auf dem Sofa, ganz in der Ecke, riecht die moderige Decke, hörte das laute Ticken der Küchenuhr und das plötzliche Krachen des Holzes im Ofen.

Sie liebt diese ruhigen, faulen Nachmittage, aber noch mehr liebt sie das Kuchenbacken. Wenn Mutter ihre Hilfe braucht, beim Rühren des Teiges oder Auslecken der Schüssel, wenn sie das Küchenblech in den Ofen schieben darf oder das erste Stück probieren muss. Das macht nicht nur Spaß, hört sie die Mutter sagen, sondern ist auch wichtig für dich, Kind, später, wenn du all dies einmal für deinen Mann tun musst. Und das Mädchen nickt und bestätigt diese Meinung. Sie versucht sehr ordentlich und genau zu sein und freut sich über jedes Lob der Mutter.

Die Frau merkt, dass sie schon seit einiger Zeit nicht mehr vom Sekt trinkt und nur noch auf ihre Hände, die wie ein Liebespaar miteinander spielen, schaut. Sie schüttelt ihren Kopf, als könne sie so ihre Gedanken vertreiben.Dann kümmert sie sich um ihr geduldig wartendes Getränk

 

 

Hubert ist ganz aufgeregt und möchte wissen was los ist, doch die Frau schaut nicht auf. Sie bereitet das Frühstück. Jeder Handgriff scheint gut überlegt zu sein, aber trotzdem rückt sie alles, nachdem sie es schon hingestellt hat, noch einmal zurecht, so, als wolle sie Zeit gewinnen.

Seit auch der Jüngste eingeschult wurde, bereitet sie das Frühstück gerne. Sie freut sich schon jetzt auf die angenehme Ruhe, wenn alle aus dem Haus sein werden, wenn sie endlich alleine dort am Tisch sitzen und Kaffee trinken kann.

„Was los ist, will ich wissen!“ fragt Hubert mit der dringenden Stimme, die ihr nicht nur immer Angst einflößt, sondern auch den Zwang, antworten zu müssen, dabei fühlt die Frau sich gedemütigt und erniedrigt. Sie möchte ihm ins Gesicht spucken, zündet sich aberstattdessen langsam eine Zigarette an und lächelt gezwungen beim ersten Zug. Die Kinder schauen sofort auf die Uhr, essen schnellerund erheben sich, als der Vater seinen Stuhl laut nach hinten schiebt. Hastig verlassen die drei Buben das Haus und gehen früher als gewöhnlich zur Schule.

 

Hubert schnaubt auf seine Frau zu und schlägt ihr die Zigarette so aus dem Mund, dass er die Frau dabei nicht trifft, sondern nur die Zigarette, die glühend auf dem Fußboden landet. Beide blicken erschrocken zur Glut, die auf den hellen Dielen einen Brandfleck hinterlassen will. Ihre Augen begegnen sich, starren sich an, als wollten sie sich gegenseitig das Aufheben der Zigarette befehlen, aber die Frau zuckt nur unlustig mit der Schulter und dreht sich um.Hubert stürzt sich auf die Zigarette und betrachtet den Fleck genau. Die Zigarette noch in der linken Hand haltend, wendet er sich fauchend seiner Frau zu, die allerdings schon fortgegangen ist. Er findet sie im Wohnzimmer, wo sie sich gerade eine andere Zigarette ansteckt. Die Frau sitzt in ihrem Sessel, der ihr eine gewisse Sicherheit verspricht. Hubert kommt ihr auch keineswegs zu nahe. Drei Schritte vor ihr bleibt er stehen, die Hand mit der Zigarette weit von sich gestreckt und atmet so heftig, als wüsste er nicht, was er dazu sagen sollte.

„Schöne Sitten!“ schnauft er, „Gestern Nacht finde ich dich hier im Sessel liegen – aber damit nicht genug - die Dame hat auch noch zwei leere Sektflaschen im Arm!“Hubert schaut wütend auf seine Frau.

„Was sollen denn die Kinder von ihrer Mutter halten?“Die Frau lacht stockend auf.

„Die Kinder werden auch nur Männer sein.“

„Was soll denn das heißen? – Und mach sofort die Zigarette aus. Es stinkt ja fürchterlich!“Übertrieben genussvoll bläst sie ihm den Rauch entgegen.

„Zur Abwechslung mach ich auch mal was ich möchte, verstehst du? Was ich möchte!“Dann bleibt die Frau ruhig und reagiert auch nicht mehr auf die hastig ausgestoßenen Worte ihres Mannes. Er ist in Eile und flucht vor sich hin. Er kann sich auf keine Diskussion mehr einlassen. Hubert muss zur Arbeit. Der rasende Uhrzeiger treibt ihn zur Haustür hinaus.

 

Die Frau ist in der Küche und trinkt einen Kaffee. Rauchend sitzt sie so, damit sie aus dem Fenster schauen kann. Doch sie sieht mal wieder nichts. Nur eine tote Fliege auf dem Fensterbrett. Als sie die Fliege wie gewöhnlich, wie antrainiert, aus Sauberkeitsgründen, wegwischen will, erkennt sie ihr Tun und unterlässt es, aber ihr Blick haftet weiterhin auf der bewegungslosen Fliege.

Gerade als es draußen zu regnen anfängt, klingelt das Telefon. Schnell will die Frau aufstehen und die Fenster schließen oder wenigstens ans Telefon hasten. Hin und her gerissen in ihrer Entscheidung, tut sie weder das eine noch das andere. Die Frau wird von einer bebenden Wut geschüttelt, bei der sie sich alle Fingernägel von der linken Hand abreißt. Sie möchte etwas zerstören, sich innerlich daran befriedigen können.Sie ergreift Huberts Kaffeetasse und wirft sie an die Wand, aber nicht mit voller Wucht, aus Angst, zu viel Unordnung heraufzubeschwören. Die Unordnung stellt sich dennoch ein und sie bleibt unbefriedigt. Wen könnte sie jetzt anschreien? Vor Ekel auf die Welt oder Ekel vor sich selber einen Tritt versetzen? Sie hat die Vorstellung eines fremden Gesichts, in das sie mit unbeherrschter Bosheit ihre geballten Fäuste schlägt.

Das Glas schon an die Lippen geführt, hält die Frau inne. Sie versucht an nichts zu denken, denkt dadurch aber umso stärker. Rastlos um sich schauend will sie mit ihren Augen einen ablenkenden Halt finden. Sie verbindet jede Figur, jedes Bild, jedes Ding, das sie erblickt sofort mit der Erinnerung, wann und wo sie es gekauft hat. Für eine Weile gelingt es ihr, sich abzulenken.

Früher, da war es anders, da konnte sie sich einfach aufs Sofa legen und einschlafen, obschon sie sich beim Erwachen noch elendiger fühlte. Aber schön ist es doch gewesen, Probleme für eine kurze Zeit verschlafen zu können. Und heute trinkt sie Sekt. Die Frau sitzt im Wohnzimmer und hat beide Beine seitlich unter sich auf den Sessel gezogen. Neben ihr steht ein kleiner, runder Glastisch. Die mit Wasser gefüllte Vase hat sie zum Aschenbecher erniedrigt und die Zigaretten liegen griffbereit. Unter dem Tisch schaut das Telefon hervor. Es klingelt wieder, und draußen regnet es noch immer.Viel zu schnell hebt die Frau ab und will sofort wieder auflegen, aber dann hält sie den Hörer doch ans Ohr.

„Mensch, Kind, was ist denn los?“ hört sie die raue Stimme ihrer Mutter. Ohne zu antworten hört sie weiter zu.

„Hubert hat mich angerufen. Er war ganz aufgelöst, Kind, was machst du denn mit deinem Ehemann?“Die Frau lacht kurz auf.