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In vierzehn Kurzerzählungen schreibt Konrad Meise über Ereignisse und Begebenheiten, die menschlich berühren und zum Denken Anlass geben.
Die Erzählingen stechen nicht deshalb hervor, weil sie Sensationen enthalten, sondern wegen ihrer Schlichtheit. Das Nebensächliche und Alltägliche, worüber die meisten hinwegsehen, wird hier in den Vordegrund geschoben.
Der Leser nimmt teil an menschlichen Schicksalen und Erfahrungen, wird konfrontiert mit der nackten Sprache einer Jugend, die im Strom der Hoffnungslosigkeit dahinsiecht und scheinbar zum Untergang verurteilt ist. Erfährt vom Schmerz und Glück des Jungseins und von der Angst des unwiderruflichen Alterns.
Ob über Tapferkeit oder Versagen geschrieben wird, über Ungerechtigkeit oder Aufbegehren oder über die Einsamkeit - die handelnden Gestalten als Individuen in ihrem Milieu stehen einem deutlich vor Augen.
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Veröffentlichungsjahr: 2015
’ne Handvoll Trips
Wir waren wieder am Ende mit unserem Geld. Den Rest hatten wir vor fünf Minuten in diesem Nachtklub für Shit ausgegeben. Mein Kumpel Herbert, einfach Herb genannt, hatte das Geschäft erledigt und wie immer mehr fürs Geld herausgeschlagen als ich es hätte tun können. Er war ein Bulle von Kerl, und die die schmächtigen Dealer taten ihm gern einen Gefallen, wenn er ihn verlangte, und gaben zu der eigentlichen Menge noch mal so viel drauf.
Ja, so gesehen, waren wir für die Dealer schlechte Geschäftspartner. Wir tranken Bier. Bier war das Billigste hier. Aber das letzte war schon abgestanden und Herb fluchte:
„Scheiß Gesöff!“
„Ja“, sagte ich, „scheiß Gesöff.“ Aber getrunken haben wir’s dann doch. Herb packte das Gekaufte aus und roch daran. Er hatte eine gute Nase für so was.
„Gut, sehr gut. Vielleicht das Beste, was wir bis jetzt geraucht haben." Er gab es mir und ich roch auch daran.
„Oh, Mann, verdammt gut! Besser als der Scheiß davor.“
Herb holte seinen Tabak und begann, sich eine Zigarette zu drehen, allerdings nicht ohne auch gleich was vom Shit zu probieren. Da saßen wir nun am Tresen und rauchten Shit. Das Bierglas war leer, unsere Taschen waren leer und bald waren wir auch leer. Ich spürte, dass ich leer war, denn in so einem Moment war mir alles scheißegal. Herb ging es ebenso. Unsere Laune hatte einen Tiefpunkt erreicht. Nur das bisschen Shit hielt uns noch einigermaßen beisammen. Damit hatten wir noch was, konnten noch was machen – ohne Shit wären wir nun total ratlos gewesen. Wir sogen am Joint, als wäre er das Beste und Einzige auf der scheiß Welt.
Der Dealer, von dem wir das Zeug hatten, kam an uns vorbei und beeilte sich, aus Herbs Gesichtskreis zu verschwinden. Der Schwanz hätte sich nicht beeilen brauchen, denn herb war nicht in Stimmung. Und im verdammten Nachtklub wurde es immer voller. Wir entschlossen uns, zu gehen, aber der Wirt kam und stellte uns zwei Bier hin. Er lächelte irgendwie hinterhältig.
„Was soll’n das? Wir haben nix bestellt." Herb hatte Schwierigkeiten mit seinen Augen.
„Ist schon in Ordnung, das Bier geht auf meine Rechnung“, gab der Wirt unsicher zu verstehen.
„Da steckt doch was dahinter, wenn so ‘n Schwanz wie du einen ausgibt.“ Herb sog am Joint.
„Da haste nicht unrecht.“ Der Wirt grinste noch unverschämter und schaute aufs Bier.
„Prost, sonst steht’s auch wieder ab."Wir tranken. Warum auch nicht? Herb wischte sich den Schaum vom Mund.
„Also sag schon, was willste?"
„Dich!“ sagte der Schwanz und dachte, das reichte.
„Für ‘n Bier?“ fragte Herb.
„Nein, Mann, für Geld."
„Was soll ich machen?"
„Nur hier bleiben, und wenn einer Laut wird, gibste ihm was auf die Schnauze."
„Ich arbeite nich’ ohne meinen Freund.“ Herb zeigte auf mich. Der Wirt sah mich an. Vielleicht war ich ihm zu schwächlich, aber Herb schien ihm das Geld wert zu sein. Er war einverstanden.
„Aber ich glaub’ nich’, dass wir große Lust haben", meinte Herb.
Wir standen auf.
„Ich kann warten."
Der Wirt grinste immer noch und am liebsten hätte ich ihm eine gewischt.
„Es wird nicht lange dauern, bis ihr pleite seid – oder seid ihr’s schon?“
Er grinste noch widerlicher, und ich schüttete ihm meinen Rest Bier ins Gesicht.
„Das macht nix. Ihr zeigt mir nur, dass ihr die Richtigen seid."
Wir gingen. Irgendwer hatte die Antenne von Herbs Auto abgebrochen, und Herb fluchte wieder.
„Die scheiß Schwänze, nichts als Scheiße im Gehirnmatsch. Ganz verdammte Scheiße.“
Herb gab Gas und ich hielt mich fest. Rote Ampeln störten nur mich.
„Dreh uns noch eine", sagte er, „und spar nur ja nich’ mit dem Zeugs."
„Dann fahr langsamer, Mann, sonst fällt mir das scheiß Zeugs noch runter.“ Herb fuhr vernünftig. Wir rauchten und schlossen die Fenster, damit uns nichts verloren ging.
„Jetzt müssen wir noch zwei Tanten aufreißen."
Er hielt vor einer Diskothek.
„Ich glaub’, das is’ deine Arbeit – ich bin zu blöd dazu."
Ich nahm noch ein paar Züge, dann ging ich hinein. Es war voll, und es roch nach Shit. Vielleicht roch auch nur ich danach – aber egal. Ich zwängte mich durch die stinkende Menge. An einem Tisch in der Ecke saßen zwei Tanten. Ich setzte mich zu ihnen.
„Gibt’s was?"
Die Tanten sahen mich etwas geistesabwesend an.
„Kommt ihr mit?"
„Was willste mit uns beide? Wird’s nicht Zuviel für dich?"
„Draußen wartet ein Freund im Auto. Habt ihr was gegen einen netten Abend?"
„Sag schon, dass ihr geil seid.“ Sie lachten und tuschelten. Ich kam mir verdammt blöde vor. Aber die Weiber waren ja alle gleich. Erst wollten sie einen verarschen und hinhalten, aber das hatte nur den Sinn, von ihrer eigenen Geilheit abzulenken. Zum Schluss kamen sie immer mit.
„Dann nich’“, sagte ich und stand auf, „dann krault eure Mösen doch selber."Ich kam nicht weit, als ich schon ihre Stimmen hinter mir hörte.
„Das is’ Herb", sagte ich und ließ sie einsteigen.
Die beiden waren ausgesprochen blöde. Das erkannten wir sofort, aber es war uns einerlei. Herb jagte den Karren durch die nächtlichen Straßen und war immerzu am Fluchen. Ich saß vorn und war am Einschlafen. Herb weckte mich unsanft. Als wir bei seiner Wohnung ankamen, latschte er voll auf die Bremse und ich knallte mit der Birne gegen die Scheibe.
„Arsch, kannste nich’ aufpassen?" Er hörte es nicht, aber wahrscheinlicher war es schon, dass er es nicht hören wollte. Die Tanten kicherten und wisperten sich ständig irgendeinen Quatsch in die Lauscher.
In Herbs Bude roch es erbärmlich nach kalter Asche und nach Schweißfüßen. Die Tanten kicherten nur und merkten nichts.
Herb ging zum Lichtschalter. Nichts. Sie hatten mal wieder den Strom abgeschaltet.
„Verdammte Kacke, die scheiß Schwänze haben auch nichts Besseres zu tun." Er holte gewohnheitsmäßig jede Menge Kerzen und stellte sie auf den Tisch. Im matten Kerzenlicht sah die Bude noch einigermaßen in Ordnung aus.
Aber das Gefühl, in einer billigen Absteige zu sein, blieb.
Die Tanten saßen auf dem Sofa und kicherten. Herb holte ihnen was zu trinken und nahm mich beiseite.
„Lass die Tanten machen was sie wollen! Wir pfeifen uns erstmal einen rein. Vielleicht hauen sie auch ab, wär besser so. Die haben doch auch nur Stuhlgang im Gehirnstübchen."
Ich war anderer Meinung, aber die behielt ich für mich. Schließlich war ich mir sicher, dass Herb seine Meinung auch noch ändern würde. Wenn er genug Shit in sich hatte, wurde er immer wild auf irgendwas Weibliches. Er wusste es auch und war wohl doch froh, dass sie nicht abhauten.
Auch dann nicht, als wir uns in eine andere Ecke verzogen, um in Ruhe zu rauchen und Musik zu hören. Aber gerade als es anfing, schön zu werden, kamen die Tanten zu uns und fragten, was wir da machten.
„Haut ab“, sagte Herb barsch, „macht es euch doch selber."
„Wir haben was für euch“, sagte die andere und kicherte.
„Was wohl?“ mischte ich mich ein, denn jetzt gingen mir die beiden auch auf den Sack.
„Was habt ihr, was andre Weiber nich’ haben?"
„Trips!"
Ich war erstaunt, eigentlich hatte ich ein Türenschlagen erwartet und keine Antwort. Herb sah mich an. In seinen Augen funkelte es.
Trip, das war ein Lockwort für ihn.
„Zeigt euren Kram her! Oder quatscht ihr nur blöde?"
Es waren Trips, jede Menge. Wir waren pleite und hätten uns auch nicht nur einen davon leisten können. Die Tanten schluckten ihre Trips.
„Bedient euch!"
Wir griffen sofort zu.
„Den Rest“, sagte die etwas schönere, „den Rest schenken wir euch vielleicht morgen früh, kommt darauf an, wie nett ihr zu uns seid."
Herb übertraf sich in Sachen Freundlichkeit. Er war immerzu um die Schöne herum und überließ mir die Andere. Na ja, die hatte wenigstens einen riesigen Busen, mit dem ich mich auch erst mal beschäftigte. Herb bumste die Schöne. Ihren Namen kannten wir nicht und wollten ihn auch gar nicht wissen. Der Bums hatte bei Gott nichts mit Liebe zu tun.
Ich selber fühlte mich nicht wohl. Sauschlecht war mir. Der Trip war wohl doch nicht das Richtige. Und dann machte ich den schlimmsten Fehler, ich machte mir Angst. Der Horrortrip war perfekt. Ich hatte keine Abwehrmöglichkeiten. Die Wirkung von Shit konnte ich jederzeit unterdrücken und hatte deshalb auch keine Angst davor. Hier war alles ganz anders. Es gelang mir nicht, mich gegen den Trip zu aufzulehnen.
„Das ‘n scheiß Zeugs", sagte ich. Eine Kerze flackerte und ich schaute in die Flamme. Funken sprangen zu mir über, und ich brannte.
„H-e-r-b", brachte ich gedehnt hervor. Mein Kiefer ließ sich nicht mehr bewegen. So versuchte ich, nur die Zunge zu bewegen, um meinen Hilferuf auszustoßen, der mir dann auch irgendwie gelang. Herb redete auf mich ein, aber ich erkannte keinen Sinn in seinen Worten. Wie in einem Film lief alles vor meinen Augen ab. Ein beschissener Film! Ich sah, wie ich mich brennend im Zimmer wälzte, bis Herb zu mir stürmte und mich umklammerte. Ich konnte mich nicht mehr bewegen.
Meine Hände! Wie waren sie zusammengekommen? Jetzt jedenfalls konnte ich sie nicht mehr voneinander lösen. Herb ließ mich stehen, als er erkannte, das ich nicht mehr brannte und mit meinen Händen beschäftigt war. Dann hörte es auf, aber nur kurz. Ich setzte mich wieder zu der, die nicht so schön war.
Herb lachte.
Mir ging es dreckig, vor allem als ich spürte, dass es wieder anfing. Und wieder machte ich den Fehler. Von einer panikartigen Angst aufgescheucht, wollte ich das verdammte Zimmer verlassen. Aber bis zur Tür war es plötzlich so weit, und ständig ging es bergauf.
Alles schwankte. Die Tür erreichte ich nicht. Irgendwann, ich weiß nicht wann, aber es mussten Stunden vergangen sein, schreckte mich Herbs Stimme in die Wirklichkeit zurück.
„Komm, Kon, wir gehen an die Luft!" Er packte meinen Arm und wir gingen. Draußen war es warm, furchtbar warm. Wir gingen die Straße entlang, bis wir eine Wiese erreichten. Da war es wieder aus mit mir. Die Wiese war feucht. Bis zum Hals stand ich im Wasser und schrie Herb an, dass er mich umbringen wollte. Herb hörte nicht. Er war selbst auf einem Trip. Endlich verschwand das Wasser und wir gingen weiter, stiegen über irgendwelche, nichtvorhandenen Zäune, hörten Düsenjäger vorüberdonnern und sahen sie am farbigen Himmel langsam dahinfliegen.
„Wir müssen zurück", sagte Herb, der wieder da war. „Es wird bald hell werden.“Er hatte Recht. Kaum, dass er es ausgesprochen hatte, wurde es auch schon heller. Die Sonne ging auf – für mich. Und der Trip, die Nacht war wirklich schon vorüber, ließ nach. Die Angst fiel von mir, auch wenn ich immer noch keinem in die Augen schauen konnte. Augen waren etwas Schreckliche. Herb merkte, dass ich den Trip unter Kontrolle hatte und begann, mich zu verarschen. Er machte mir Spinnweben zwischen die Finger und Haare auf die Zunge, die mit nichts fortzubringen waren. Dann sorgte er dafür, dass ich ständig feuchte Hände bekam.
Die Wirkung verblasste am späten Vormittag, war aber noch tagelang vorhanden und brach in den blödesten Augenblicken immer wieder aus. Aber an diesem Morgen dachten wir nur an die Trips, die wir geschenkt bekommen sollten. Also bumsten wir die Tunten so richtig durch. Diesmal hatte ich die schönere. Sie waren zufrieden und schmiegten sich an uns. Vielleicht glaubten sie wirklich daran, dass wir sie nun öfter bumsen würden. Wir ließen sie in dem Glauben.
Im Auto saß die Schöne vorn bei Herb. Ich fasste ihr von hinten in die Bluse und knetete ihre Fleischklöße, während ich die, die nicht so schön war, knutschte und ebenfalls befummelte. Sie grunzten lüstern.Schließlich gaben sie die Trips heraus. Herb steckte sie ein. Ich hörte auf, zu knutschen und zu kneten. Herb hielt irgendwo auf der Hauptstraße.
„Un’ jetzt raus mit euch Tunten!"
Zunächst dachten sie wohl, dass es sich um einen Scherz handelte.
„Los, verpisst euch!" Herb fuhr los, und die Tunten wachten auf.
„Ihr scheiß Wichser, lutscht doch eure verfaulten Schwänze selber!“ schrie die Schönere. Mehr hörten wir nicht. Wir fuhren eine Weile sinnlos umher, bis Herb sagte: „Das scheiß Benzin is’ bald alle."
Alles hätten wir uns beschaffen können – Essen, Getränke und vielleicht auch Shit, aber Benzin musste bezahlt werden.
„Scheiße. Gequirlte, stinkende Scheiße", war meine Meinung.
„Wenn wir ’n paar Trips verkaufen?"
„Kommt nich’ in Frage, lieber verdienen wir uns etwas Geld."
Das war Herb. Plötzlich bremste er, blinkte nach links und knurrte:
„Der scheiß Wichser wird sich freuen, wenn er uns so schnell wieder sieht."
„Wenn er grinst, schlagen wir ihn einfach die Fresse ein."Herb lächelte und nickte mir zu.
Und immer wieder einen Joint
„Scheiße, Alter, fahr schneller!" Herb fauchte mich an.
„Lass deine scheiß Wut woanders ab."
Langsam aber sicher wurde ich sauer. Schließlich war es nicht meine Schuld, dass er sich die Hand gebrochen hatte. Bei unserem letzten Job in der beschissenen Bar hatte er sie sich bei einer Schlägerei gebrochen. Aber selbst mit der gebrochenen Hand schlug er dem anderen noch die Fresse ein. Mein Eingreifen war eigentlich unnütz. Na ja, die Hand war kaputt, doch dafür hatten wir endlich genug Geld in den Taschen.
Und der Wirt, der Scheißer, der alles dran gesetzt hatte, Herb für diesen Job zu bekommen, warf uns gleich vor die Tür. Mit der Hand, so sagte er, hätte er für uns keine Verwendung mehr.
Herb überließ ihn mir. Dem Kacker hatte ich das Gehirnstübchen ganz schön durcheinander gebracht. Jedenfalls grinste er nicht mehr so hinterlistig.
Ich fuhr die alte Kiste mit der abgebrochenen Antenne vom Krankenhausparkplatz.
„Blas die Wut aus den Lungen!“ sagte ich und stieß ihn mit dem Ellenbogen an. „Sag lieber, was wir heute noch unternehmen können!“
„Is’ doch klar. Erst fahren wir zu mir und ziehen uns einen rein, dann besuchen wir unseren Wirt.“ Danach war Herb sehr still. Wir rauchten einen Joint, aber unsere alte Stimmung kam nicht mehr auf. Erst am Abend erwachte Herb wieder aus seiner Starre.
„Ich habe Lust, mich zu besaufen“, sagte er.
„Das is’ kein Problem. Geld haben wir genug.“
Ich zählte es ihm vor. Wir fuhren los.