Neue Farm der alten Tiere - Sonja Voß-Scharfenberg - E-Book

Neue Farm der alten Tiere E-Book

Sonja Voß-Scharfenberg

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Beschreibung

Es sind ebenso eindrucksvolle wie fantasievolle Bilder, welche die Autorin in ihrer satirischen Abrechnung mit den Vor- und Nachwendezeiten zeichnet, in dem anfangs die Tauben eine zweifelhafte Rolle spielen und aus verschiedenen Gründen anderen Tieren vorgezogen werden: Die Tauben, was zu ihren Aufgaben gehörte, erzählten manchmal von diesem und jenem Schlachtfest, das drüben – auf dieses Kurzwort hatte man sich für alles, was außerhalb der Farm lag, geeinigt – gefeiert würde. Gern malten sie dabei die Schlachtungen in ihren brutalsten und schauderhaftesten Farben aus. Hühner würden häufig noch abgeschlagenen Kopfes irrsinnige, eben kopflose, Runden im Hofe vollführen. Angestochene Tiere schrien sich in den langen, qualvollen Tod. Alsdann würde ihnen nach dem endgültigen Ableben die Haut abgezogen und das Fleisch, aufgeteilt wie ein Schachbrett in gute und weniger gute Stücke, von den Knochen gerissen. Nach derartigen Berichten wussten die Tiere wieder, was sie an Napoleon und der Farmleitung hatten, und die Erzählertaube bekam zwei Tage frei und flog derweil ins furchtbare Drüben. Und dann passiert eines Tages doch das Unglaubliche und nie im Leben für möglich Gehaltene – nicht die Mauer fällt, sondern … Da kam eines der Schweine aus dem Herrenhaus gelaufen: „Tiere der Farm, das Tor ist auf! Das Tor ist auf. Ihr seid frei!“ Selbst die Revolutionäre, die sich für verbesserte Tierhaltungsbedingungen eingesetzt und für Demokratie und gegen die Diktatur von Napoleon, selbst ein Schwein und Herrscher auf der Farm der Tiere, gekämpft haben, selbst diese Revolutionäre erleben einen Traum, ihren Nurmalguckentraum. Und da muss die Revolution halt warten. Sogar ein großes Fest wird gefeiert. Alles scheint wunderbar zu sein. Hüben und drüben schienen sich einig zu sein und alles schien in bester Ordnung – zwischen der Farm der Tiere und der Nachbarfarm, die Mr. Pilkington gehörte – einem Menschen. Aber schon bald sollte sich zeigen, dass es doch nicht ganz so weit her war, mit der Demokratie und mit der Gleichheit. So wurden die einen „Farmis“ genannt und die anderen „Pilkis“. Die Herkunft der Begriffe „Farmis“ und „Pilkis“, wie die Tiere der Farm nun ihrerseits die Brüder und Schwestern nannten, war nicht genau auszumachen, sie hatten sich aber rasch durchgesetzt und ließen keinen Zweifel an der Geringschätzung des jeweils anderen. Wie wird die Geschichte weitergehen? Ein besonderes Wende-Buch. Tierisch vergnüglich und tierisch traurig zugleich.

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Impressum

Sonja Voß-Scharfenberg

Neue Farm der alten Tiere

ISBN 978-3-96521-738-6 (E-Book)

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

2. überarbeitete Auflage, WiedenVerlag Crivitz 2014.

© 2022 EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de

Farm der Tiere – Personage

Mr. Pilkington, ein Mensch; Besitzer der Nachbarfarm der Farm der Tiere

Knecht von Mr. Pilkington, der sich später Herr auf der Farm der Tiere nennt

Seine Frau, die Herrin

Mr. Fredereck, ein Mensch – Besitzer der Nachbarfarm zur gegenüberliegenden Seite

Old Major (verst.), ein Keiler, Anführer der Revolution auf der damaligen Herrenfarm, Verkünder der Vision von der Gleichheit der Tiere

Napoleon. Schwein: Herrscher auf der Farm der Tiere

Schwatzwutz, Schwein, sein Propagandist

Minimus, Schwein, Napoleons Hofdichter

Rotäuglein, Schwein, Napoleons Vorkoster (wird nur einmal erwähnt)

Kleeblatt, eine Stute; Arbeitspferd

Boxer, (verst.) ein Hengst; Kleeblatts verstorbener Partner

Bill und Randolph. Hunde; Leibwächter und Sicherheitsangestellte der Schweine

Muriel, eine Ziege; Bürgerrechtlerin der Farm der Tiere, Reformerin auf der Tierfarm

Benjamin, ein Esel; eigenwilliger Farmbewohner, Einzelkämpfer ohne Gemeinschafssinn

Mollie, eine Schimmelstute; von der Farm der Tiere geflohen, Karriere bei Mr. Pilkington

Blacky, ein Hengst; Mollies Freund auf der Pilkingtonfarm

Moses, ein Rabe; Vertreter des Glaubens und Unterstützer der Reform auf der Farm

Schneeball, ein Schwein; Revolutionär der 1. Stunde noch unter Old Major, Idealist, wurde von Napoleon verfolgt und musste die Farm verlassen, floh zur Pilkingtonfarm

Bob, ein Schafsbock; Vertreter der Schafe im Gemischten Kreis

Nic, ein Hahn; Vertreter der Hühner im Gemischten Kreis

Beth, eine Kuh; Vertreterin der Kühe im Gemischten Kreis

Cally, die Bunte, eine Kuh – ängstlich und misstrauisch den Ereignissen gegenüber

Frank, ein junger Bulle; Callys Freund

Die Masse der Hühner (ein Huhn, das die 1000-Eier-Entschädigung fordert)

Die Masse der Schafe

Die Masse der Kühe

Die Masse der Enten (eine Ente, die die Frage nach dem verschwundenen Erpel verfolgt)

Die Masse der Tauben, Berichterstatter, Journalisten (eine davon: Linda)

Ganter; namenlos, fordert Bildung für die Gänse

Kirk, ein Schwein auf der Pilkingtonfarm, Widersacher von Schneeball, Lakai von Mr. Pilkington

Katze, namenlos

1

Ein Jahr, nachdem die Stute Kleeblatt und die anderen Tiere der Farm durch die Fenster des Herrenhauses geschaut hatten und Augenzeuge der Vermenschlichung der Schweine geworden waren, hatte sich die Lage, wie Napoleon und Schwatzwutz die Gegebenheiten der Farm gern bezeichneten, für die Tiere in den Stallungen noch verschlechtert.

Zwar waren ihre Futterkästen einigermaßen gefüllt und sie hatten mit Hilfe der Windmühle ihrer Ansicht nach gute Arbeit getan, und also gute Wirtschaft geführt, aber Schwatzwutz redete ihnen immer häufiger von der dringenden Notwendigkeit, Menschenzahlungsmittel, nämlich Geld, zu erwirtschaften.

Das gemahlene Getreide ging zu großen Teilen an Mr. Pilkington und seinesgleichen, wofür, wie Schwatzwutz nicht ohne Stolz mitteilte, erhebliche Summen Menschenzahlungsmittel auf die Farm gelangten.

Das mochte stimmen oder nicht, Kleeblatt und die anderen hatten darüber keinerlei Übersicht. Und wofür diese Menschenzahlungsmittel zu verwenden seien, war ihnen ziemlich unklar, denn ihnen kam davon, wie sie bemerken mussten und seit dem Geschehen – durch die Fenster belauscht – auch immer öfter leise diskutierten, nichts zugute.

Es hatte auch in diesem letzten Jahr wieder mehrere Hinrichtungen gegeben, ausgeführt von Napoleons scharfen Hunden, unter Ausschluss der Öffentlichkeit allerdings.

Man hatte dieses oder jenes Tier vermisst und sich gegenseitig nach dessen Verbleib gefragt.

Einmal, als es sich um zwei Hühner handelte, hieß es, sie seien, nach fetten Würmern zu suchen, dem Tor zu nahe gekommen.

Das Tor zur Nachbarfarm war schon seit langem verschlossen, und ausschließlich Napoleon war es vorbehalten, zwecks Verhandlungen, die Schwatzwutz diplomatische Beziehungen nannte, die Farm zu verlassen.

Die Stute Kleeblatt, die seit Boxers Ableben den Verschlag allein mit dem lesekundigen Esel Benjamin teilte, war müde geworden und schwach. Dennoch hatte sie nicht aufgehört zu arbeiten, denn seit Boxers mysteriösem Todbescheid und Schwatzwutz' Erklärungen dazu, hatte sie ein ungutes Gefühl, wenn sie daran dachte, dass sie längst das Alter erreicht habe, da sie sich nur noch erholen sollte, wie es einst nach der Revolution festgeschrieben worden war. Aber gar zu viele Dinge, die einst festgeschrieben worden waren, waren verändert, der Lage angepasst, wie es hieß, oder ganz abhanden gekommen. So das Lied, das ihnen Hymne gewesen war, die Prinzipien, dass etwa alle Tiere gleich seien oder kein Tier ein anderes töten solle.

Kleeblatt, der Esel Benjamin, eine Ziege, die die anderen Tiere ihrer verstorbenen Freundin zu Ehren nach deren Namen Muriel nannten, die Katze und Moses, der Rabe, sowie einige Schafe und Hühner waren die letzten von den Arbeitstieren, die noch die Revolution erlebt hatten, die noch die Hymne kannten und die sich nicht mehr sicher waren, ob der Keiler Schneeball, einst ihr Führungsgenosse, damals wirklich für alle Missgeschicke und Anschläge, die sich gegen die Farm der Tiere gerichtet hatten, verantwortlich zu machen war.

Von ihrer Art zu leben, wie sie es vor der Revolution getan hatten, war ihnen außer der stets durch Schwatzwutz gepredigten Formel So wollen wir es nie wieder wenig Erinnerung geblieben.

Mr. Jones hatte ihnen damals als Herr Geschirr angelegt und die Peitsche gegeben, zu fressen und zu arbeiten. Nach Jahresfrist gab es Verkäufe, die mit Schlachtung endeten, oder aber Mr. Jones verging sich gar selbst an ihnen. Das wollten sie wirklich nicht wieder, aber Hinrichtungen, wie Napoleon sie jetzt zuweilen anordnete, wollten sie eigentlich auch nicht.

Die nachgeborenen Tiere und jene, die Napoleon zur Bestandsaufstockung von anderen Farmen als Jungtiere mit Menschenzahlungsmitteln gekauft hatte, wollten wenig hören von der glorreichen Zeit der Revolution. Sie hatten sich eingerichtet, nahmen diese und jene Ungerechtigkeit hin und waren es ansonsten zufrieden, fressen und arbeiten zu dürfen. Mit der Leitung der Farm wollte man nichts zu tun haben.

Nur das Tor hätten sie gern einmal durchschritten, zu sehen, was es dort zu sehen gäbe, was sie nur mal gucken nannten, um dann wieder zur Farm zurückzukehren. Aber auch hierhin hatten sie sich eingerichtet, die Erfahrung der Gewohnheit nutzend, dass wohl schon das Ansinnen nicht farmkonform sei, und begnügten sich gern mit der Losung: Was wir haben, wissen wir…

Ausschließlich den Tauben und Moses, dem Raben, der hier aber nur eine kleine Rolle spielte, war mit dem Übertretungsverbot schlecht beizukommen, da sie das Tor ohne weiteres überflogen. Aber da die Tauben schon von Anbeginn der Revolution für Napoleon die Informanten stellten und sowohl auf der Nachbarfarm kundschafteten als auch dort die Gerüchte ausstreuten, die Napoleon ihnen auftrug zu verbreiten, war ihnen das Anrecht auf diese Vergünstigung traditionell zuerkannt.

Napoleon versorgte sie zuweilen mit Menschenzahlungsmitteln, und sie konnten sich frei bewegen, ohne dass sie Grund gehabt hätten, nicht wiederzukommen.

Die Tauben, was zu ihren Aufgaben gehörte, erzählten manchmal von diesem und jenem Schlachtfest, das drüben – auf dieses Kurzwort hatte man sich für alles, was außerhalb der Farm lag, geeinigt – gefeiert würde.

Gern malten sie dabei die Schlachtungen in ihren brutalsten und schauderhaftesten Farben aus. Hühner würden häufig noch abgeschlagenen Kopfes irrsinnige, eben kopflose, Runden im Hofe vollführen. Angestochene Tiere schrien sich in den langen, qualvollen Tod. Alsdann würde ihnen nach dem endgültigen Ableben die Haut abgezogen und das Fleisch, aufgeteilt wie ein Schachbrett in gute und weniger gute Stücke, von den Knochen gerissen.

Nach derartigen Berichten wussten die Tiere wieder, was sie an Napoleon und der Farmleitung hatten, und die Erzählertaube bekam zwei Tage frei und flog derweil ins furchtbare Drüben.

Schwatzwutz nutzte solche Erlebnisberichte gern, um das verschlossene Tor als Schutz für Leib und Leben der Farmbewohner darzustellen und klarzumachen, dass Napoleon es nicht ertragen könne, eines von ihnen dort geschlachtet zu sehen. Napoleon selbst freilich wollte nichts unterlassen, um sich vor Ort einzusetzen für tierrechtsgemäße Verhältnisse, auch im anderen System, in dem Menschen regierten. Und wenn das endlich gelungen sei, gut Ding will Weile, könne man auch das Tor wieder öffnen.

Stattdessen aber wurden die Berichte der Tauben immer dramatischer und unerträglicher, der Feind immer dreister. Aber auch andere Tauben von drüben kamen geflogen und erzählten anderes. Selten zwar, aber regelmäßig.

Die Schafe hörten ihnen gierig zu. Kleeblatt bezweifelte oft die Aussagen der feindlichen Propagandisten, so wurden sie von der Farmleitung bezeichnet, und Benjamin äußerte lediglich, wie immer, ein Esel habe ein langes Leben.

Gern belächelten die Tiere diese von Benjamin nur allzu oft gehörte Floskel, die ohne Sinn schien. Nur Kleeblatt dachte zuweilen, der Benjamin könne etwas Wichtigeres, etwas ungleich Bedeutsameres meinen, als eben bloß diese Aussage schlechthin.

Wieder war eine der Tauben am späten Abend gekommen und prahlte mit der Sauberkeit und Ordnung ihrer Farm drüben. Sie erzählte vom langen friedlichen Leben, besonders der Hunde, und von reichlich überfüllten Fressnäpfen, berichtete von sonderbaren äußerst schmackhaften Futtermitteln, die man extra für die Tierversorgung in Laboren entwickelt und hergestellt hätte, die strengsten hygienischen Bestimmungen unterlagen und die ständig zugunsten der Tiere weiterentwickelt würden.

Die Tiere der Farm sahen missmutig auf ihre immer schnell leergefressenen Näpfe und die schlecht oder gar nicht ausgemisteten Ställe.

Und in Kleeblatt stieg eine schwache Erinnerung auf, wie es gewesen war, als der Knecht von Mr. Jones sie noch striegelte. Sogleich schämte sie sich ihres Gedankens, aber einmal in ihr aufgeglüht als blasses Gefühl höchsten Pferdewohlbefindens, ließ er sie nicht mehr los.

Kleeblatt konnte seit diesem Erlebnis kaum die Abende und Nächte erwarten, in denen sie sich immer deutlicher und auch immer schamloser des Striegelns durch Menschenhand erinnerte und sich daran ergötzte, bis in ihr der von Sehnsucht getragene Wunsch auftauchte, einmal noch in ihrem Pferdeleben gestriegelt zu werden.

Fest entschlossen, sich diesen letzten Wunsch nicht versagen zu lassen, sprach sie eines Tages mit Muriel, der Ziege.

2

Zuvor hatte sich Kleeblatt überlegt, dass wohl mit einem für die Allgemeinheit so geringfügigen Ziel wenig Hilfe zu erwarten sei und so begann sie, Muriel gegenüber zunächst die schlechte Lage der Farm zu beklagen.

In Muriel wusste Kleeblatt diesbezüglich einen wohlwollenden Zuhörer. Muriel gehörte zu den Klügsten unter ihnen, die es trotz ihrer Lesekenntnisse und bester Übersicht nicht geschafft hatte, in die Farmleitung berufen zu werden.

So war sie in den Stallungen geblieben bei all den anderen Arbeitstieren, ohne dass sie sich ihnen je richtig zugehörig gefühlt hätte.

Was von der Farmleitung kam, registrierte sie argwöhnisch und nicht selten mit zynischem Kommentar.

Kleeblatt hatte sich insofern nicht getäuscht, als Muriel durchaus interessiert zuhörte und bisweilen ihre ungeteilte Zustimmung gab. Was das Tor anbelangte, so war Kleeblatt für Muriels Verhältnisse allerdings doch gar zu forsch zur Sache gekommen.

Und so antwortete sie denn auch, eine Tor-Öffnung solle Kleeblatt sich lieber aus dem Kopfe schlagen, das sei zum einen das Letzte, was gelänge und zum anderen sei Muriel sich nicht sicher, ob das wirklich das Erstrebenswerte sei und zur Verbesserung ihrer Lage führen könne. Nein, jetzt, da sie es überdenke, meine sie, hier auf der Farm müsse aufgeräumt werden und Schluss gemacht mit der ausschließlichen Macht der Schweine.

Muriel hatte so manches Blatt gelesen, was von drüben durch die Tauben für sie mitgebracht worden war. Dabei war viel Unsinn, wie Muriel feststellte, aber auch ein Papier darunter, das den Namen Schneeballs als Verfasser ausgab. Sie war erregt und meckerte während ihres Gespräches, denn nie hatte sie geglaubt, dass sie eines Tages diesen Artikel hier würde erwähnen können. Aber jetzt, da Kleeblatt gar so weit ging, dass sie das Tor geöffnet haben wollte, glaubte Muriel sich am Zuge.

Eindringlich sprach sie auf die alte Stute ein, die bemüht war, nicht ihr Ziel, einmal noch von Menschenhand gestriegelt zu werden, aus den Augen zu verlieren, aber schon ziemlich enttäuscht, dass die Tor-Öffnung, was sie als ihr stärkstes Argument, das auf alle wie ein Zauber wirken musste, betrachtet hatte, bei Muriel auf Ablehnung stieß. Zumindest doch ohne die gewünschte Wirkung blieb. Denn Muriels Aufregung und ihr Interesse, das Gespräch weit über den Abend hinauszuziehen, entgingen Kleeblatt nicht. Und so wertete das müde Pferd seine Aufmerksamkeit Muriel gegenüber als ein Stück notwendigen langen Weges zum Striegel.

Es sei die Frage der Demokratie, sagte Muriel. Schneeball spreche in seinem Artikel von dem Versuch auf der Farm der Tiere, der zwar gescheitert war, aber den richtigen Ansatz trüge.

Man müsse die Tiere zusammenrufen, schlussfolgerte die Ziege, so wie es einst Old Major getan hatte, die Verkündigung zu sprechen und sie die inzwischen verbotene Hymne zu lehren. Sofort kam Kleeblatt die Melodie ins Gedächtnis und Muriel und sie summten, die Strophen textlich sicher im Kopfe, das Lied vor sich hin.

Anschließend fragte Muriel, ob Kleeblatt sich sicher sei, dass die Zeit reif wäre, und ob man gleich alle Tiere zusammenholen, oder aber erst mit Benjamin, dem Esel, Moses, dem Raben, ein paar von den jungen Pferden und der Katze reden solle, um ihnen klarzumachen, dass sie die Farm seien.

Die Farm seien alle, sagte Kleeblatt und alle sollen kommen. Zwar erklärte sich Muriel damit einverstanden, aber sie hatte ein ungutes Gefühl, die Tiere zusammenzurufen ohne ein gültiges Konzept zu haben.

Sogleich aber wieder beflügelt von dem Gespräch mit Kleeblatt und von dem Gedanken, dass ihr Tag nun gekommen sei, ließ sie Kleeblatt in Vorbereitung auf die große Versammlung viermal hintereinander das Wort Demokratie aussprechen, und die beiden alten Farmbewohner begaben sich zur Nachtruhe, ohne dass sie hätten schlafen können.

Kleeblatt schubberte ihren Kopf an Benjamins Rücken und versuchte sich vorzustellen, Bens viel zu weiches Fell sei ein Striegel.

Muriel scharrte unter ihrem eigenen Mist den Artikel Schneeballs hervor und las ihn immer wieder und meckerte zufrieden: Schneeball, wir grüßen dich!

3

Es hatte sich verbreitet wie ein Lauffeuer, dass am Abend in der großen Scheune, an traditionellem Orte also, ein Treffen stattfände, zu dem Muriel und Kleeblatt luden.

Geheimnisvoll meckerte, blökte oder wieherte man sich am Tage zu: Nicht vergessen, heute Abend!

Das Treffen war von Muriel zu später Stunde angesetzt, in der Hoffnung, dass die Farmleitung, wie gewöhnlich ihrem Tagesplan folgend, zu eben dieser Stunde bereits betrunken sei oder gar schliefe.

Kleeblatt hatte gemeinsam mit Moses die Aufgabe übernommen, einmal das Herrenhaus zu umschreiten beziehungsweise zu überfliegen, um sicherzugehen, dass man ungestört die Versammlung abhalten könne.

Seit Kleeblatt mit den anderen vor einem Jahr in die Fenster des Herrenhauses geschaut hatte, war sie nicht wieder in die Nähe der Farmleitung gekommen. Und so war sie jetzt, einerseits in Erwartung auf den hoffnungsvollen Abend, andererseits in Angst, entdeckt zu werden, aufgeregt und trabte vorsichtig und in angemessenem Abstand um das Haus herum. Der Mond, schien ihr, würde mit ihr wandern in dieser klaren Septembernacht, und so glaubte sie denn, der friedliche weise Mond käme auch mit um das Haus herum, käme mit zur Scheune, dem Treffen zu leuchten.

Moses nahm seinen Auftrag ungleich ernster, er sah in alle Fenster, die noch Licht bargen und stellte zufrieden fest, die Farmleitung sei randgefüllt mit Whisky und sorglos.

Kleeblatt meldete, dass die Wachhunde in der Gewissheit, dass ohnehin nichts passierte, ruhten.

Die beiden Tiere waren durch die Erfüllung ihres Auftrages die letzten, die gekommen waren. Die Tiere hatten sich in großer Zahl versammelt und es war für die Allgemeinheit nicht auszumachen, wer fehlte. Fest stand, dass einige fehlten, aber das konkrete Tier war nur durch den Nachbarn oder Kameraden zu benennen. Einige, so hieß es, seien aus Furcht nicht gekommen.

„Tiere der Farm“, hob Muriel zur Rede an, „eben dass heute aus Furcht vor der Leitung, nicht alle gekommen sind, und wir wollen nicht behaupten, dass wir, die wir uns getraut haben, keine Furcht hätten, ist einer der Gründe, warum wir euch zusammengerufen haben.

Vor einigen Jahren, und nur wenige Farmbewohner sind uns geblieben, die das noch selbst erlebt haben, stand hier an meiner Stelle ein prächtiger Keiler namens Old Major und sprach zu uns über die Ungerechtigkeit der Versklavung der Tiere durch den Menschen. Wie sie uns gepeinigt haben und erniedrigt, wie wir für sie arbeiten mussten und schlecht zu fressen bekamen! Wie sie uns abschlachteten und Zucht nach ihrem Willen mit uns betrieben! Das hatte damals, nachdem wir uns in einer großen Revolution von dem Menschen befreit hatten, ein jähes Ende gefunden. Kleeblatt und Benjamin und einige wenige andere können euch erzählen, wie glücklich wir trotz härtester Arbeit, (denn eine Farm ist nach einer Revolution nicht leicht zu führen, das wollen wir bedenken), wie glücklich wir also waren und wie wir miteinander in gutem Glauben für alle gemeinsam den neuen Typus einer Farm geschaffen haben. Es war dies eine gute Zeit, aber sie war von kurzer Dauer, denn wieder leben wir in Abhängigkeit und Unfreiheit. Wieder sind wir in Unterdrückung geraten und diesmal, Tiere der Farm, ist es um so schmerzlicher, weil unsere eigenen Artgenossen, nämlich Tiere, allen voran die Schweine, uns aufgrund ihrer Macht, die sie sich ungerechtfertigterweise angeeignet haben, unterdrücken, uns schamlos ausbeuten und hinrichten, wie es ihnen beliebt. Ja, sie haben uns das Fürchten gelehrt, das Schuften und das Hungern. Aber wie ist es dazu gekommen, Farmbewohner …?“

Muriel begab sich in diesem, wie sie später feststellen musste, recht unglücklichen Augenblick zur Wassertonne, um ein wenig zu saufen. Die Tiere aber, aufgewühlt durch Muriels Rede, die aussprach, was sie in aller Heimlichkeit dachten, wollten die Frage, wie es dazu gekommen sei, nicht beantwortet wissen. Sie spendeten vorsichtig Beifall, sich immer noch scheu umblickend, ob nicht doch Schwatzwutz oder einer der Hunde hinter ihnen stände, um dann, nachdem sie sich vergewissert hatten, in einen Tumult auszubrechen.