Neun Akte - Finn  Dereaux - E-Book
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Neun Akte E-Book

Finn Dereaux

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Beschreibung

Ob im Bett oder in der Umkleidekabine einer Nobelboutique, im Bordell, in der Badewanne oder auf dem Rücksitz eines Mercedes – zügellos und phantasievoll erzählt der deutsch-französische Journalist Finn Dereaux über amouröse Abenteuer und erotische Begegnungen. Erleben Sie sinnliche Nächte, prickelnde Leidenschaft und hemmungslose Lust in neun schlüpfrigen Kurzgeschichten.

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Seitenzahl: 158

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Finn Dereaux

Neun Akte

Impressum

Copyright der E-Book-Originalausgabe © 2016 bei hey! publishing, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Umschlagabbildung: FinePic®, München

ISBN 978-3-95607-293-2

www.heypublishing.com

Inhaltsverzeichnis

Neun Akte

Impressum

24 Stunden

Zug. Sog.

1

2

3

4

5

6

7

8

9

Der Blick

Domenica

Kein Wort

Außer Atem

1

2

3

4

5

6

7

Cocktail

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

Spiel 5

24 Stunden

Die Stunde Null seines Geburtstags verbrachte Andreas Leven im Bad vor dem Spiegel. Nach Jahren der Verdrängung gestand er sich ein, dass ihm nur noch die Wahl zwischen Haarkranz und Vollplatte blieb, und entschied sich für die radikale Lösung. Gerade als er nach der Komplettrasur seine brennende Kopfhaut mit Aftershave besänftigte, klingelte es. Er fluchte lauthals. Störungen an den Wendepunkten seines Lebens waren ihm zuwider, Gäste hatte er nicht eingeladen, und nachts um eins erwartete er weder Zeitschriftendrücker noch die milchgesichtigen Mormonen in schwarzen Anzügen, die alle paar Wochen bei ihm nachfragten, ob sie seine Seele retten durften. Aber vielleicht brannte das Haus, oder ein Freund brauchte Zuspruch? Er zog ein Shirt über, ging zur Tür und nahm den Hörer ab.

„Ja bitte!“

„Guten Abend, Herr Leven“, sagte eine Frauenstimme. „Kann ich Sie kurz sprechen?“

„Kennen wir uns?“

„Noch nicht, aber es geht um Leben und Tod.“

Die Stimme klang unaufgeregt, geradezu entspannt. Er kappte die Verbindung und blickte aus dem Wohnzimmerfenster auf die stille Straße, wo weit und breit kein Autocrash, keine verunglückte Oma, keine Schießerei im Park und nirgendwo züngelnde Flammen zu sehen waren. Es klingelte wieder.

„Treiben Sie Ihre Scherze woanders!“, bellte er in die Gegensprechanlage.

„Bitte, Herr Leven. Eben habe ich mich wohl etwas unklar ausgedrückt. Es geht um Ihr Leben und Ihren Tod.“

„Ach so, das ist natürlich was anderes. Moment.“

Er nahm das Klappmesser vom Küchenbord und das Reizgas aus der Werkzeugkiste. Aus dem Golfbag zog er ein Eisen sieben und wog es in der Hand. Anständige Schwünge im schmalen Flur standen außer Frage, aber falls die Frau in finsterer Begleitung kam, eignete es sich für Stöße in die Weichteile. Fast wünschte er sich einen Grund für eine derart brachiale Aktion herbei. Wenn es irgendwie möglich war, mied er zwar körperliche Auseinandersetzungen, aber der Anblick seines geschorenen Kopfes hatte ihn aggressiv gestimmt. Er legte die Kette ein und betätigte den Summer.

An den energischen Schritten auf der Treppe hörte er, dass sie allein war. Dann sah er sie durch den Türspalt, eine große Frau, Mitte dreißig, halblanges schwarzes Haar. Er fand sie attraktiv, aber nicht ungewöhnlich, bis er ihre violetten Augen bemerkte.

„Hallo, Herr Leven. Mein Name ist Sarah Tahn. Ich weiß, es ist spät …“

„Bingo.“

„… aber die Termine legt meine Chefin fest. Übrigens ist es noch später, als Sie denken. Wir sollten keine Zeit verlieren.“

„Seh ich auch so. Um sieben geht nämlich mein Flieger nach Frankfurt.“

„Nach Frankfurt?“ Das Treppenlicht erlosch. Bevor er blinzeln konnte, hatte sie es wieder eingeschaltet. „Ich glaube kaum, dass Sie noch nach Frankfurt fliegen … oder doch? Manche Leute kommen in dieser Lage ja auf die komischsten Ideen.“

Leven packte den Golfschläger fester. Was er tat, musste echt aussehen. „Welche Lage, bitte?“

„Das erkläre ich Ihnen gerne. Darf ich reinkommen?“

„Nein.“

„Ach, schade, es ist so unpersönlich zwischen Tür und Angel.“

Leven knurrte tief im Rachen und machte Anstalten, die Tür zu schließen.

„Halt, halt!“ Begütigend hob sie die Hände. „Dann eben so, ganz wie Sie möchten. Also, Herr Leven, ich muss Ihnen mitteilen, dass Sie leider nur noch vierundzwanzig Stunden zu leben haben.“ Sie blickte auf ihre Armbanduhr, ein edles Stück von Le Coultre. „Oh, sorry, das stimmt gar nicht mehr. Noch dreiundzwanzig Stunden und einundfünfzig Minuten.“

Ihre violetten Augen erinnerten ihn an den UV-Strahler seiner Mutter, mit dem sie ihren Teint jedes Jahr im Juni vorgebräunt hatte, um der spanischen Sonne ein Schnippchen schlagen. Die Leuchtröhre im Klappdeckel strahlte weiß, blau und schließlich hellviolett wie Sarah Tahns Augen. Er nickte freundlich, sagte gute Nacht und schloss nun doch lieber die Tür. Eine glitzernde Substanz sickerte durch die Bodenritze und formte sich vor ihm wieder zu Sarahs Gestalt. Sie lächelte schüchtern.

„Ich bin nicht gerne so aufdringlich, aber bitte, Herr Leven, ich muss Sie unbedingt mit dem Ablauf bekannt machen. Schon in Ihrem Interesse.“

„Und mir wird’s allmählich zu bunt!“, brüllte er und stieß zu.

Mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung wischte sie das Eisen beiseite und nahm ihn in die Arme. Ihre Nase an seiner fühlte sich gut an.

„Andreas“, flüsterte sie, „Andreas! Ich versteh dich ja, aber das bringt doch nichts. Komm, wir müssen reden.“

Den Spruch kannte er von seiner Ex-Freundin. Widerstandslos ließ er sich den Golfschläger abnehmen und folgte ihr ins Wohnzimmer. Sie schien sich auszukennen. Am Tresen entkorkte sie seinen Lieblingscognac, schenkte ein und reichte ihm den Schwenker.

„Auf dein Wohl, Liebling.“

Er erinnerte sich an seinen ersten Brandy und die süße Schlampe auf Mallorca, die ihn im Zelt entjungfert hatte, an ihr halblanges schwarzes Haar, den schönen Mund und die Augen. Oh, diese Augen! Blau, fast violett, ganz ungewöhnlich für eine Spanierin.

„Also, mein Schatz, jetzt mal in aller Ruhe und der Reihe nach.“ Sarah schlug die Beine übereinander. Sie trug weiße Nylons mit schwarzen Nähten. „Ich komme von der Evolution Incorporated, kurz Evinc. Wir befassen uns mit dem Gleichgewicht der Welt und führen rund sechs Milliarden Kundenakten, die ständig in Echtzeit aktualisiert werden. Schon enorm, wenn ich bedenke, dass es vor zweihundert Jahren gerade mal eine Milliarde waren. Na, egal, unsere Software schafft alles. Natürlich wird es bei diesen Zahlen immer schwieriger, geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden, aber …“

„Zur Sache, Schätzchen!“ Leven nahm einen Schluck und grinste selig. Der Cognac schmeckte wunderbar. Sie schlug die Hand vor den Mund. Einen Moment lang setzte das violette Flimmern in ihren Augen aus.

„Ups, da hab ich mich schon wieder verplaudert. Hoffentlich hört meine Chefin nicht zu, sonst gibt es Minuspunkte. Weißt du, an den Job bin ich nur gekommen, weil die Personaldecke von Evinc dermaßen dünn war, dass … okay, ich hör schon auf. Sag mal, magst du mich ein bisschen?“

„Leben und Tod!“ Er kippte den Rest. „Ich hab also nur noch dreiundzwanzig Stunden einundfünfzig Minuten, und du fragst mich so was!? Gleich verhau ich dich, Sarah Tahn.“

„Nein, tust du nicht, Andreas Leven. Übrigens nett, dass du mich endlich duzt. Und leider“, sie tippte auf die Le Coultre, „sind es nur noch dreiundzwanzig Stunden und achtunddreißig Minuten.“

„Ja, mein süßes Brabbelmäulchen, dann komm doch verdammt noch mal zu Potte!“ Er knirschte mit den Zähnen, sie errötete.

„Du hast ja Recht, ich darf dir wirklich keine Sekunde mehr stehlen. Aber ich möchte schon gerne, dass du vollkommen klar siehst. Moment.“

Unversehens stand ein Monitor auf dem Tisch. Verwundert starrte er auf ein Foto seiner Freundin Birgit, die in Australien gestorben war, und das Faksimile des Briefes, den sie ihm kurz vor ihrem Tod geschickt hatte, voller Schwärmerei für einen Italiener, den sie in Sydney aufgegabelt hatte.

Er heißt Sandro Tahn und ist Engel und Teufel in einem, und wenn ich morgen sterbe, dann vor Glück und in der Gewissheit, mein Leben in vollen Zügen ausgekostet zu haben.

Birgits Schwäche für pathetische Ausbrüche war ihm schon immer auf die Nerven gegangen. Dass sie seinen Nachfolger in ihrem Bett in den höchsten Tönen pries, hatte ihn dermaßen angewidert, dass er den Brief zerriss und sich schwor, sie zu vergessen. Wie zum Teufel war Sarah Tahn an eine Kopie gelangt?

Sarah öffnete ein neues Foto auf dem Monitor, das Portrait eines schwarzhaarigen Schönlings mit violetten Augen.

„Sieh mal“, zwitscherte sie, „das ist Sandro. Er arbeitet auch bei Evinc.“

„Na toll“, murmelte Leven. „Noch ein Tahn. Gibt es viele von euch?“

„Oh ja!“ Sie zählte an den Fingern ab. „Sandra, Samuel, Sabine, Salah, der arbeitet im Nahen Osten, Sabahudin auch, dann sind da Salvatore und Saskia und …“

„Danke, es reicht. Und das hat tatsächlich irgendwas mit mir zu tun, ja? Ja?!?“

„Oh, ich wollte nur … Entschuldigung. Also, Birgit ist damals in unsere Exit-Datei geraten, so wie du jetzt. Sandro fand sie hinreißend und hat sich mehr Zeit für sie genommen, als er durfte, aber dann musste er schließlich doch seinen Job machen.“

„Ich schwöre, gleich bring ich dich um.“

„Andreas! Hab ich was Falsches gesagt?“

„Nein, du taube Nuss, nichts Falsches, aber auch nichts, was mich betrifft. Kann es sein, dass du ein klitzekleines bisschen unterbelichtet bist? Okay, dann helf ich dir mal auf die Sprünge.“ Er holte Luft. „Man soll ja helfen, wo man kann, und selig sind die geistig Armen. Also, der Reihe nach. Was ist eine Exit-Datei?“

„Ach so, logisch, wo hab ich nur meinen Kopf? Aaaalso. In die kommen alle, die überflüssig sind. Wir scannen die Weltbevölkerung, regionalisieren die Ergebnisse, evaluieren entsprechend der Bedarfsprognose, werfen den Zufallsgenerator an, und jeder Treffer wird innerhalb von vierundzwanzig Stunden exterminiert. Birgit hat damals die Zweiwochenfrist nur bekommen, natürlich völlig gegen die Regel, weil Sandro unsterblich in sie verknallt war. Ehrlich gesagt, vorhin dachte ich, dir könnte ich glatt auch zwei Wochen geben, süß wie du bist, obwohl das riskant für mich wäre, aber du bist mir doch einen Tick zu kratzbürstig. Also spielen wir nach den Regeln. Die Richtlinie sagt vierundzwanzig Stunden, und die kriegst du auch, aber mehr nicht. Punkt.“

Leven schenkte Cognac nach. „Punkt, klar soweit. Nächste Frage, wer genau ist Evinc? Gleichgewicht der Welt, das klingt ein bisschen vage.“

„Früher hießen wir Himmel und Hölle.“

„Ah ja, das sagt alles. Und ich bin also eurer Meinung nach überflüssig.“

„Absolut. Tut mir leid, Andreas.“

„Vierundzwanzig Stunden.“ Nachdenklich trank er aus. „Ziemlich hart, finde ich.“

„Ja, ich weiß. Und inzwischen nur noch dreiundzwanzig ein Viertel.“

„Oha.“ Er kratzte sich am frisch rasierten Schädel und stand auf, um nachzuschenken. Ihr etwas anzubieten, kam ihm nicht in den Sinn. „Das kommt ja alles ziemlich plötzlich. Was mach ich denn nun?“

„Aber deswegen bin ich doch hier!“ Sie lehnte sich neben ihn an den Tresen. „Du hast Glück, mein Lieber, unser Zufallsgenerator hat dich nämlich für das Golden Day Programm ausgewählt, und da kommen nur 0,01 Prozent aller Probanden rein. Meine Chefin hat es vor hundertzwanzig Jahren aufgelegt, um die Kundenzufriedenheit zu steigern. Ich bin deine persönliche Serviceassistentin und … he, du siehst auf einmal ganz blass aus. Komm, setz dich, ich erklär’s dir.“

Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn zur Couch. Als er saß, kniff sie ihn in die Wange, wartete, bis er seinen trüben Blick auf sie richtete, und räusperte sich.

„Also, dann pass ganz doll auf, ja?“ Sie konzentrierte sich und begann zu sprechen.

Die Probanden des Golden Day Programms bestimmten, wo und zu welcher Tageszeit ihre Frist beginnen sollte. Wenn nötig wurde die Erdrotation dafür je nach Bedarf verlangsamt oder beschleunigt. Sie erhielten eine goldene Amexkarte mit unbegrenzter Deckung zur freien Verfügung, und Evinc garantierte ihnen für 24 Stunden Gesundheit, einen ausgeglichenen Hormonpegel und Schutz vor negativen Einflüssen. Keine unerwünschten Begegnungen, keine bösen Überraschungen. Und das Beste: lang gehegte Träume wurden anstandslos erfüllt.

„Leider gibt es da einen kleinen Haken“, murmelte Sarah. „Gleich, wenn ich „los!“ sage, musst du in Gedanken die Wünsche formulieren, die wir erfüllen sollen. Das hört sich leicht an, aber viele bringen es nicht, die sind zu aufgeregt oder haben ihre Phantasien so lange verdrängt, dass sie sich auf Anhieb nicht mehr entsinnen, wovon sie ein Leben lang geträumt haben. Tragisch, aber leider nicht zu ändern. Ich hoffe nur, dass du … okay, also weiter.“

Auf Wunsch stand dem Probanden eine persönliche Assistentin zur Seite, um seine Träume ohne Umweg über den Zentralrechner von Evinc wahr zu machen, was ihn zwei bis drei Minuten seiner kostbaren Zeit kosten würde. Er will ein Buch lesen, das seit Jahrzehnten vergriffen ist? Kaum gesagt, liegt es auf seinem Nachttisch. Er will mit Madonna ins Bett, aber sie soll dreißig Jahre jünger sein als heute? In ihres oder seins, wird ihn die Assistentin fragen, und mit der Antwort wird er Madonnas Zahnlücke zwischen den halb geöffneten Lippen sehen, die verhangenen Augen und den nackten Körper aus Body of Evidence. Aber eben nur, wenn er es in der Wunschphase genau so phantasiert hat. Spätere Änderungen oder Ergänzungen waren ausgeschlossen.

„Andererseits musst du nicht alle Wünsche auch wirklich abrufen, Andreas. Eigentlich gar keinen. Zum Beispiel hab ich gestern einen Buchhalter aus Barsbüttel begleitet, der wilden Sex mit zehn Mädels bestellt hat, einen Ferrari, einen Segeltörn in der Ägäis und ein Essen bei Paul Bocuse. Das war eindeutig zu viel auf einmal. Fand er letztlich selber.“

„Und, was hat er gemacht?“

„Den Text für eine Heiratsanzeige ausgeknobelt und zwei Minuten vor Toresschluss per E-Mail aufgegeben.“

„Nicht ganz schussecht, der Mann.“

„Oh doch. Er wusste, dass er die Antworten nie lesen wird, aber er hat sich welche phantasiert, und dabei ist er glücklich verschieden. So, mein Lieber, du hast jetzt noch genau dreiundzwanzig Stunden. Ich an deiner Stelle würde mir langsam überlegen, was ich mir wünsche. “

„Stimmt, hätte ich fast vergessen. Okay, erst mal Tageszeit und Ort, ist doch korrekt, oder?“

„Genau. Schieß los.“

„Gut, dann sag ich mal, jetzt und hier.“

„Wie bitte?!“

„War doch deutlich, oder? Jetzt und hier.“

„Aber … okay.“

„Noch eine Frage, bevor es losgeht: Darfst du in meinen Wünschen auch eine Rolle spielen?“

„Wie jetzt?!“

„Na ja, wenn ich dich zum Beispiel ins Bett kriegen will, geht das?“

Sie lief rot an. Das Flimmern ihrer Augen beschleunigte sich, die Farbe changierte zwischen ultraviolett und infrarot. Normalerweise waren die Enden des Spektrums für den menschlichen Blick unsichtbar, aber Leven nahm jede Nuance wahr. Sie kramte in ihrer Handtasche. Als sie antwortete, klang ihre Stimme belegt.

„Moment, da muss ich im Handbuch nachschlagen.“

Sie zog ein Quartheft mit schwarzrotem Einband hervor. Ihre Zungenspitze spielte zwischen den Lippen, als sie das Inhaltsverzeichnis durchging, den Zeigefinger bei S zur Ruhe brachte und die Seite aufschlug. Nach einer Weile blickte sie auf. Der Puls in ihren Augen pochte sehr langsam.

„Durchaus“, sagte sie zögernd. „Ist neu für mich, aber es geht. Steht hier.“

„Hey, klasse!“ Er griff nach ihrer Hand. „Dann sollten wir erst mal zusammen überlegen, worauf wir beide stehen. Ich möchte schließlich, dass du auch was davon hast. Und dann legen wir den Ablauf fest, wenigstens ganz grob. Ich bin heute immerhin sechsunddreißig geworden, und in dem Alter sind dreiundzwanzig Stunden Sex am Stück ja kein Pappenstiel mehr. Was hältst du davon, wenn wir erst mal zusammen baden? Im Kühlschrank steht eine Flasche Schampus, die könnten wir in der Wanne köpfen.“

„Aber … Mensch, Andreas, das kann doch nicht alles sein!“

„Du meinst, ich müsste mir mehr wünschen? Nö, das reicht mir. Sag los!“

Sie gehorchte. Er ging in den Schneidersitz, schloss die Augen, atmete kontrolliert und formte Daumen und Zeigefinger zu Kreisen. Als er die Augen wieder öffnete, war sie immer noch verwirrt, das sah er am violetten Flackern.

Während das Wasser einlief ermordete er die Zeit. Alle Uhren in der Wohnung zerschlug er und verklebte die Standby-Anzeigen der Stereoanlage mit Gafferband. Dann öffnete er den Champagner, stieß mit Sarah an, küsste sie auf die Stirn und verschwand im Schlafzimmer. In einem schwarzen Kimono mit grauen Mustern kam er zurück und reichte ihr einen aus weißer Seide mit Lilienornamenten. Jazz schwebte aus den Boxen.

„Zieh dich um, Süße. Ich bin gleich bei wieder dir.“

Sein Atem stockte, als er zurückkam. Ihr Kostüm lag sauber gefaltet auf dem Teppich, dekoriert von lila Unterwäsche und weißen Nylons mit schwarzen Nähten, ihr Schattenhaar schimmerte bläulich, der Kimono floss um ihren Körper. Sie lächelte verlegen unter seinem Blick. Er nahm ihr das Glas aus der Hand und führte sie ins Bad. Die Flammen schwarzer Kerzen in einem vierarmigen Leuchter erhellten den Raum, das Wasser duftete nach Salbei und Myrrhe. Er schob Sarah vor den Spiegel und stellte sich hinter sie. Langsam streifte er den Kimono von ihren Schultern und zog seinen aus. Eine Weile geschah nichts, nur ihre Blicke verhakten sich im Spiegel. Dass er sie begehrte, spürte sie. Die samtige Härte zwischen ihren Schenkeln jagte ihr Schauer über den Rücken.

Das Wasser war wohltemperiert, der Champagner eisig. Er plauderte über verflossene Lieben und fragte nach ihren Vorlieben beim Sex. Anfangs verbarg Sarah ihre Brüste, nach einer Weile ließ sie es gut sein. Ihr Blick streifte seine Lenden. Manchmal ließ seine Erektion nach, aber nur kurz. Er erzählte von Birgit, die beim Sex immer „Jesus, Jesus!“ schrie, und nahm Sarahs Hand. Sein Zeigefinger schlüpfte unter ihr Uhrenarmband, Langsam zog er ihr Gelenk an die Lippen und sog daran. Sie atmete scharf ein und schloss die Augen.

„Sandro war also richtig verknallt in Birgit?“ Sanft streichelte er ihr Ohrläppchen. „Hat er mit ihr geschlafen?“

„Oh. ja!“

„Aber dann hat er sich doch an die Regeln gehalten.“ Im Wasser zogen seine Hände die Linie ihrer Brüste nach, ohne sie zu berühren. „Er durfte. Steht im Handbuch, hast du selber gesagt.“

„Wie? Ja, doch, schon … hör auf!“

Das Knistern der Kerzenflammen untermalte die rauchige Stimme von Cassandra Wilson, die You better come into my kitchen aus den Boxen hauchte. Leven spreizte Sarahs großen Zeh und zog das V an seinen Schaft entlang, von der Wurzel zur Spitze. Er zuckte, Wasser schwappte über den Wannenrand. Sie verdrehte die Augen, ihre rosa Zungenspitze tanzte zwischen den Lippen.

„Regeln brechen macht Spaß“, flüsterte er.

Sie hatten sich noch nicht geküsst, als er sie abtrocknete und ihr den Kimono um die Schultern legte. Im Schlafzimmer herrschte das übliche Chaos, aber auch dort entzündete er Kerzen, deren Schein die Konturen verwischte, und als ob er geahnt hätte, dass sie bei ihm bleiben würde, hatte er das Bett frisch mit nachtblauem Satin bezogen. Es duftete nach Lavendel, auf dem Nachttisch schimmerte eine silberne Schale mit Pfirsichen und Weintrauben. Er drehte sie zu sich um.

„Wir haben alle Zeit der Welt“, flüsterte er.

Später hockte sie über ihm, er spürte ihre Feuchte und die Hände, die ihn unablässig quälten, bis er aufstöhnte und sich mit aller Macht zurückhalten musste.

„Andreas“, flüsterte sie. „Andreas! Du verlierst so viel Zeit, willst du das denn?“

„Aaarghh! Was?!“

„Vergiss nicht, dass du …“

„Das ist nur ein kleiner Tod.“

„Ich rede vom großen, Liebling.“

„Der kann warten.“

Draußen tönte sich der Himmel graugolden. Eine Lerche trillerte. Leven träufelte duftende Essenzen auf Sarahs Schultern, Rücken, Hintern, die Schenkel, und massierte sie mit seinem Körper ein, unendlich langsam, Haut an Haut. Er biss in ihren Nacken. Sie presste sich an seine Lenden, bis er in sie glitt, und warf ihn fast ab, als sie kam. Danach wogte ihr Rücken noch lange unter ihm.

„Du bist teuflisch“, keuchte er.

Sie legte den Kopf in seine Armbeuge. Ihre Stimme klang klein und traurig.

„Das arrangiert die Zentrale. Der Rechner steuert deinen Endorphinausstoß. Ich hab nichts damit zu tun.“